Christoph Martin Wieland
Clelia und Sinibald
Christoph Martin Wieland

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Erstes Buch.

              Schon hatten Morgens früh, beim festlichen Gelärm
Der Glocken, schaarenweis die Bürger von Palerm
An Sanct Kathrinens Tag zur Mette sich versammelt;
Die Glocken hatten ausgebammelt,
Vorüber war der Zug mit Kreuz und Fahn',
Und Priester stimmten schon, der Heiligen zu Ehren
Mit reichen Stolen angethan,
An wohl beräucherten Altären
Ihr Dominus vobiscum schnarrend an:
Als Sinibald, ein junger Pflastertreter
Aus Tancreds edlem Blut (sonst nicht der größte Beter),
An Guido's Arm, in seinem Sonntagsstaat,
Von Neugier angelockt mit in die Kirche trat.
Man merkte wenigstens an seiner Weltkindsmiene,
Ihn ziehe nicht die heilige Kathrine,
Wie schön sie auch von eines TaffiTaffi – Ein Maler aus dem zwölften Jahrhundert, in welchem sich die gegenwärtige Geschichte zugetragen. Er beschäftigte sich mehr mit mosaischer Arbeit als Staffelei-Gemälden; und der Legendenschreiber könnte sich wohl in der Person des Meisters geirrt haben. W. Hand,
In einem Kranz von goldnen Engelsköpfen,
Am Hochaltar' in Lebensgröße stand.
Wiewohl die Kunst in ihm sonst einen Gönner fand,
Jetzt schien er wenig Lust aus Taffi's Werk zu schöpfen:
So sehr beschäftigte die schönere Natur
Den Kennerblick, der hier sich gern verwirrte,
Und, gleich dem Schmetterling auf einer Blumenflur, 160
Um hundert fromme Schönen irrte,
Die, sitzend oder auf den Knien,
Ihn wechselsweis', unwissend, an sich ziehn;
Denn jede schien allein die Sorge zu beseelen,
An ihrem Rosenkranz sich nicht zu überzählen.

Noch hatte, dem Narciß an Selbstgefallen gleich
Und unbekannt mit Amors süßen Wunden,
Der junge Sinibald in Rogers schönem ReichIn Rogers Reich – Roger II. aus dem Stamme des Normanns Tancred von Hauteville nahm zuerst im Jahre 1130 den Titel eines Königs von Sicilien an und erwählte Palermo zu seinem Sitze. W.
Nichts Schöners als sich selbst gefunden
Und, knabenhaft auf seinen Kaltsinn stolz,
Sich immer für so fest gehalten,
Als schlüg' in seiner Brust ein Herz von Eisenholz.
Er sah die reizendsten Gestalten
Am Hofe zu Palerm so kalt und unverletzt
Wie Tulpen an, an deren Wuchs und Farbe
Und buntem Glanz das Auge sich ergetzt,
Und ihre Blicke ließen nicht mehr Narben
In seinem Aug', als eine Rose läßt,
Die man mit Lust an Nas' und Lippen preßt,
Doch bald, indem der Busch mit zwanzig frischern pranget,
Sie fallen läßt und nach der nächsten langet.

So schwärmt sein Leichtsinn kühn und wild
Von Bank zu Bank an dieser heil'gen Stätte:
Und Köpfe, die für ein Madonnenbild
Ein GiottoGiotto – Auch ein florentinischer Maler dieser Zeiten (doch später als diese Geschichte), ein Freund des großen Dante (dessen Bildniß er malte) und noch jetzt allen Künstlern und Dilettanten bekannt durch das bewundernswürdige Mosaik über der großen Pforte der Peterskirche in Rom, welches nach ihm la nave del Giotto genannt wird. W. zum Modell genommen hätte,
Erhielten hie und da das Glück,
Von ihm bemerkt zu seyn, kaum einen Augenblick,
Und dieß sogar nur im Vorübergehen. 161

Von ungefähr – doch ist von ungefähr
In Narrenschädeln selbst wohl jemals was geschehen?
Sogar, wenn wir am irrsten gehen,
Führt eine Wolkenhand uns ungesehn einher –
Indem er also – nicht von ungefähr
Im Kreuzgang' irrt, fällt eine starke Helle
Aus einer schimmernden Capelle
Ihm ins Gesicht, wohin der Zulauf größer war
Als anderswo, weil hier, dem Christenvolk zur Freude,
Die Heilige des Tags in ihrem reichsten Kleide,
Mit goldner Kron' auf ihrem flächsnen Haar,
Von Perlen schwer und funkelnd von Geschmeide,
Im Galastaat zu sehn und heute gnädig war.

Der Jüngling geht hinein, tritt nahe zum Altar
Und wird, indem er sich nach neuer Augenweide
Herum sieht, im Gedräng der andachtsvollen Schaar,
In einem offnen Betstuhl knieend,
Bei eines Wachsstocks Schein ein schönes Kind gewahr.
Den Engeln Guido's gleich von lauter Himmel glühend,
Lag sie auf ihren Knien, der schönen Hände Paar
Empor gefaltet, da; die großen blauen Augen
Zu ihrer Heiligen entzückt und angelweit
Eröffnet – um in frommer Kindlichkeit
Die Gnaden dieses Tags auf einmal einzusaugen.

Wiewohl ein dünner Flor ihr liebliches Gesicht,
Den Lilienhals und selbst die schönen Hände deckte,
So schien doch Alles, was er nicht
Verhüllte oder doch verräthrisch nur versteckte, 162
Von einer Schönheit, die so wenig als das Licht
Sich selbst verbergen kann und durch bescheidnes Schweigen
Am würdigsten gepriesen wird, zu zeugen.

Aus jedem Zuge sprach das zarteste Gefühl,
Von künft'gen Küssen schien ihr kleiner Mund zu schwellen,
Und stets verrieth der Gaze leichtes Spiel
Des jungen Busens sanfte Wellen!
Ein Amor schien, ihr selber unbewußt,
In süße Träume sich auf ihnen einzuwiegen,
Und, unbekannt mit seinen Siegen,
Ihr Auge, wo im reinsten Blau die Lust
Gleich einem Wölkchen schwimmt, wenn's euch nur angesehen
Zu haben glaubt, euch Liebe zu gestehen.

Von Allem dem sah unser Jüngling – nichts!
Und wenn, im Glanz der reinsten Feuersphäre,
Von tausend Engelchen des Lichts
Umschwommen, wie in einem Flammenmeere,
Den Mond zu ihrem Fuß', ums Haupt den Sternenkranz,
Die Mutter Gottes selbst vor ihm erschienen wäre:
Ihn hätte kaum, mit allem ihrem Glanz,
Die himmlische Erscheinung mehr geblendet,
Als, bloß von eines Wachsstocks mattem Licht
Beleuchtet, ihm dieß irdische Gesicht
Besonnenheit und Selbstgefühl entwendet.
Er stand, wie einer, der nicht hörte und nicht sah,
Bezaubert und vergeistert da;
Und ob er gleich aus tausend Augen schaute, 163
Mit jedem Blick sie ganz in sich hinein zu ziehn,
Dann wieder ganz in sie sich einzusenken schien
Und kaum zu athmen sich getraute,
So hätt' er doch, wenn's auch sein Leben galt,
Von ihrer Bildung und Gestalt
In seinem Taumel nichts Genaues sagen können.
Genug, ihm war, sobald er sie
Erblickt, nicht möglicher, sich von sich selbst zu trennen,
Als von dem zweiten Ich, der lebenden Copie,
Die sich von ihr in seine Seele drückte,
Indem er sie, indem sie ihn erblickte.
Denn, o des Wunderwerks der schönen Sympathie!
Kaum glitsche, ohne daß sie wußte
Warum, ihr warmer Blick von Sanct Kathrinen ab
Und tauchte (weil er doch auf etwas tauchen mußte)
Auf Sinibald, – der, wie von Merlins Stab
Versteinert, nur durchs Feuer seiner Blicke
Ein Zeichen, daß er lebe, gab –
So zog sie diesen Blick so hastig schnell zurücke,
So schnell und so beschämungsvoll,
Als hätte sie gesehn, was man nicht sehen soll:
So wie ein Kind zurück das Händchen ziehet,
Wenn es im Gras nach einem Blümchen greift
Und unverhofft an eine Nessel streift.
Ihr reizendes Gesicht, von Andacht sanft durchglühet,
Wird plötzlich lilienweiß und lodert gleich geschwind
Noch röther auf. Ein Stich scheint ihr durchs Herz zu fahren,
Doch ein so süßer Stich! Das gute, fromme Kind, 164
Dem nie in ganzen sechzehn Jahren
Dergleichen widerfuhr, ist für die Ursach blind
Und denkt, was kann mir das bedeuten?
Ein heimlicher Instinct scheint gleichwohl sie zu leiten,
Und, ungewarnt von ihrer Schützerin,
Blickt sie erröthend wieder hin
Und heilt den ersten Stich – sogleich mit einem zweiten:
Mit jedem neuen Blick versüßet sich der Schmerz,
Und was sie schrecken sollte, macht ihr Herz.

Bei allem Taumel seiner Sinnen
Läßt Sinibald – der sie so brünstiglich,
Als wär' an ihr ein Ablaß zu gewinnen,
Betrachtet – keinen Blick entrinnen,
Der sich von ihr zu ihm hinüber schlich:
Und, da zu Lindrung seines Schmerzens
Die Augensprache hier das einz'ge Mittel war,
So stellt er ihr die Triebe seines Herzens
So nachdrucksvoll in dieser Sprache dar,
Daß sie, wiewohl darin noch gänzlich unerfahren,
Doch schnell (kraft einer wunderbaren
Geheimen Deutungskunst) so viel davon verstand,
Zu fühlen, daß sie ihn nicht merken lassen dürfe,
Wie angenehm sie seine Sprache fand.
Ein strenger Blick (ihr schien's zum wenigsten, sie werfe
Den strengsten, der ihr möglich war, ihm zu)
Setzt nun ihr kleines Herz in eine kurze Ruh';
Und, aller ferneren Zerstreuung zu entgehen,
Fängt sie mit Eifer an den Rosenkranz zu drehen. 165

Welch eine Heldin sich das sanfte Mädchen dünkt,
Da, seit sie nicht mehr hingesehen,
Bereits das dritte Ave sinkt!
Die große Thräne, die in seinem Auge blinkt,
Mag unbemerkt um Mitleid flehen!
Getreu dem warnenden jungfräulichen Instinct
Schaut sie noch immer unbeweglich
Auf ihren Rosenkranz und hält's in einem Stück
Bis an den Glauben aus: doch länger war's nicht möglich!
Nur einen kleinen Seitenblick
Beim Athemziehn, bevor sie ihren Glauben
Beginnt, den kann ihr doch die Andacht noch erlauben?
Nur, ob der Mann noch da ist? noch so scharf
Sie anzuschaun sich unterstehen darf?

Solch einer Absicht sich zu schämen,
War Kinderei; allein wer kann für sein Gefühl?
Der scheue Blick, anstatt gerad' ans Ziel
Zu gehn, mußt' einen Umweg nehmen,
Erst auf dem goldbelaubten Fries
Des Pfeilers ruhn, wo Sinibald gestanden,
Eh' er allmählich sich auf ihn herunter ließ.
Zum Glück war unterwegs ein Sanct Baptist vorhanden,
Der ihm, bevor er noch an Ort und Stelle kam,
Die Hälfte seines Feuers nahm.
Und dennoch, ob sie gleich damit nichts eingestanden
Zu haben glaubt' und im Momente, da
Ihr Aug' auf seines stieß, stracks wieder vor sich nieder
Gar züchtiglich auf ihre Schürze sah, 166
So schlug doch unter ihrem Mieder
Ihr kleines Herz so sichtbarlich empor,
Und eine solche Glut bedeckte bis ans Ohr
Ihr liebliches Gesicht, als ob sie einer Sünde,
Die nur der Papst vergibt, sich selber schuldig finde.

»Gewiß, es ist mit mir nicht, wie es soll,
Spricht sie zu sich, bestürzt und unruhvoll;
Ich werde doch nicht etwa gar erkranken?
So laulich, so zerstreut, von weltlichen Gedanken
So angefochten und gepreßt,
So – daß ich's selbst nicht weiß – war ich in meinem Leben
An keinem Sanct-Kathrinenfest:
Die Heil'ge mög' es mir vergeben!«

Zu ihrem großen Trost' entläßt
In diesem Augenblick das Ite missa est
Für dieses Mal die sämmtlichen Verwandten
Der Brüderschaft, die Sanct Kathrinens Fest
Zu Ehren hier ihr Wachs verbrannten.
Unruhig lief nach ihrem Unbekannten
Rosinens Auge hin und her,
Und fand ihn nicht; er war auf ein Mal weggeschwunden.
Ihn hatte kurz zuvor ein alter Zeidelbär
Von einem Oheim' aufgefunden
Und, eh' er noch mit einem Abschiedsblick
Der Schönen sich empfehlen konnte,
Ihn mit sich fortgeschleppt. Sein widriges Geschick
Begnügt sich nicht, so hastig sie zu trennen; 167
Es muß ihm auch sogar das Glück,
Zu wissen, wen er liebt, mißgönnen!

Rosine, die (vielleicht der Möglichkeit zu Lieb,
Den Flüchtling irgend auszuspähen)
Von allem Volk beinah die letzte blieb,
(Wiewohl aus bloßem Rachetrieb,
Wenn sie ihn fände, stracks sich von ihm wegzudrehen)
Muß, da der Küster schon mit seinen Schlüsseln klirrt,
Doch endlich, ernst und stumm und in sich selbst verirrt,
Mit ihrer Magd nach Hause gehen;
Wo König Salomon, wie er das Jungfernkind
Zu theilen winkt, mit einer rothen Nase,
Auf Holz gemalt, und – eine alte Base,
Gichtbrüchig, taub, an einem Auge blind,
Ihr Zeitvertreib in langen Nächten sind.

Doch, ich besinne mich – die Ahnen ungezählet,
Die, um und um gewappnet und gestählet,
In langer Reih' im Vorsaal Wache stehn,
War noch ein altes Stück von Hausrath hier zu sehn.
Es war die Magd, die sich Frau Clare nannte,
Die Amme erst, hernach die Gouvernante,
Nun, da das Fräulein einem Mann'
Entgegen reift und selbst ihr Halstuch stecken kann,
Geheimer Herzensrath der reizenden Infante;
Ein gutes, flinkes, rundes Weib,
Von Kopfe leicht, dich etwas schwer von Leib;
Den Rosenkranz zwar immer in den Händen
Zu drehn gewohnt, allein noch von der Jugend her 168
Für junger Herzen Noth an Mitleid selten leer
Und willig, sie zu enden und zu wenden,
Soviel in Ehren möglich ist;
Der Tugend hold, (die geht doch über Alles!)
Doch so, daß immer nöth'gen Falles
Ihr eine kleine Weiberlist,
Um einem guten Zweck zu dienen,
Das Herz nicht schwerer macht; im Uebrigen Rosinen,
Bei der sie von der Wiegen an
Der Mutter Platz vertrat, die ihre Milch gesogen,
Und die sie, Gott sey Dank! so schön und groß gezogen,
Mit Leib und Seele zugethan.

So lieb nun auch der guten Frau ihr Bette
Um diese Jahrszeit war, so ist gewiß, sie hätte
Um vieles Gold ihr Fräulein nicht allein
Zur Kirche lassen gehn, zumal in einer Mette.
»Sie ist ein frommes Kind; doch selbst in heil'ger Stätte
Schleicht der Versucher oft sich unvermuthet ein;
Man kann nicht zu behutsam seyn!«
Kurz, wo Rosine ging, da watschelte Frau Clare,
Mit ihrem Rosenkranz' am Gürtel, hinter drein.

Der junge Herr im langen gelben Haare
Und goldnen Wamms, der heute linker Hand
Am zweiten Pfeiler vom Altare
Die ganze Messe durch ihr gegenüber stand,
War ihrem Scharfblick nicht entgangen.
Sie hatte, wie ihr däucht, sogar
Verschiedne Blicke aufgefangen, 169
Wobei ihr Herz nicht ohne Argwohn war.
Herr Sinibald und Guido, sein Begleiter,
(Der neben ihm, wiewohl ein wenig weiter
Zurück gelehnt, ihr in die Augen stach)
Ein Paar Figuren, wie gedrechselt,
Bei deren Anschaun oft der Andachtsfaden brach,
Sind beide ihr dem Namen nach
Bekannt; nur daß sich stets, wenn sie von einem sprach,
Der Nam' in ihrem Kopf verwechselt,
Und, ohne daß sie sich von Irrthum träumen ließ,
Ihr Guido Sinibald, und dieser Guido hieß.
Die Ursach können wir nicht sagen;
Genug, daß selbst zu London und Paris
Wohl eher sich dergleichen zugetragen.

Rosinens vorgebogner Hals
Und unruhvoller Blick, als nach gesungner Messe
Der junge Herr auf ein Mal in der Presse
Verloren ging, war Claren ebenfalls
Nicht unbemerkt und unglossirt geblieben;
Doch that sie nicht, als ob sie was gesehn;
Und, während dem nach Hause gehn
Sprach keine nicht ein Wort, (wiewohl sie vor Verlangen
Zu fragen dürsteten) weil jede anzufangen
Und ihren Vorwitz zu gestehn
Sich schämte. – »Sahst du ihn an meinen Augen hangen?
Wer war's? Wie nennt er sich? Begreifst du einen Grund,
Warum er ohne Gruß so schnell davon gegangen?«
Dieß schien Rosinens Blick, dieß schien ihr Rosenmund 170
(Der immer halb zum Fragen offen stund
Und immer schwieg) die Amme stets zu fragen;
Und, o, was hätte diese nicht zu sagen,
Verböt' es nicht der Tante Gegenwart!
Der Tante, die, aus Mangel guter Säfte
Lebendig todt für alle Weltgeschäfte,
Indessen sie der Mittagstafel harrt,
Im Sorgestuhl, zu Schonung ihrer Kräfte,
Begraben liegt und Litaneien schnarrt,
Wobei, das Spinnrad vor den Füßen,
Das Fräulein und Frau Clar' den Chorus machen müssen.

Kathrinentag, der sonst im ganzen Jahr
Von Alters her der kürzsten einer war,
Wird für ein schönes Kind, das mit dem nächsten Lenzen
Erst sechzehn zählt, durch einen solchen Zwang,
Bei solchem Zeitvertreib, nun freilich mächtig lang.
Zusehens wird auch ihr Gesichtchen länger,
Und von erstickter Seufzer Drang
Das knappe Mieder immer enger.
Es war ich weiß nicht was, das einem seltsam bang'
Und schwer macht, in der Luft. Bei Tische
War auch nichts, wie es soll, die Maccaroni kalt,
Das Fricassé ein ekelhaft Gemische,
Das Rebhuhn zäh', und die Oliven alt.
Des Abends, wie dem trägen Stundenglase
Der Sand entschlüpfte, nahm das Uebel sichtbar zu:
Mißmuthiger als IoIo – Eine von den vielen Geliebten des Zeus, die er, um sie vor der Eifersucht seiner Gemahlin zu retten, in eine Kuh verwandelte., da Zeus in eine Kuh
Sie eingesperrt, und auf die rothe Nase 171
Des Königs Salomon hinstarrend, saß sie da
Und wußte nicht, was neben ihr geschah.
»Was ist dem Mädchen? fragt die alte taube Base;
Was fehlt dir, Kind?« – Ein gräulich Kopfweh, spricht
Das Fräulein. – »Armes Ding! So nimm das kleine Licht
Und geh' und lege dich zu Bette!
Frau Clare soll so lange bei dir seyn,
Bis du entschläfst. Das sind die Früchte von der Mette!
Du weißt, ich gab nicht gern den Willen drein.
Frau Clare, führe Sie das liebe Kind zu Bette
Und geb' ihr siebenzig von meinen Tropfen ein;
Und, schwitzt sie drauf und schläft, ich wette,
Bis morgen wird ihr besser seyn!«

Dieß war es just, (die Tropfen ausgenommen)
Was beiden fehlt; der Rath kann nicht erwünschter kommen.
Das Fräulein ist mit Claren kaum allein,
So fühlt sie sich schon weniger beklommen.
Man zieht sich aus; die Amme präludirt;
Der Zwang wird mit dem Mieder aufgeschnürt,
Das Herz kriegt Luft, die Schüchternheit verschwindet,
Und, wie man erst den rechten Faden findet,
Wird, ohne Schlaf, beinah die halbe Nacht
Mit süßem Plaudern hingebracht.
Von wem, als von dem Herrn im langen gelben Haare
Und goldnen Wamms, der heute linker Hand
Am zweiten Pfeiler vom Altare
Die Messe durch ihr gegenüber stand?
Frau Clare kennt ihn gut: er ist ein Herr von Stand 172
Und reich dabei, und Guido ist sein Name;
Und, daß der Mann für ihre junge Dame
Bis an den Hals in Liebe steckt,
Hat sie beim ersten Blick' entdeckt.
Der Oheim nur, der nach dem AmtNach dem Amt – Dem Hochamt, wie die laut gesungenen Messen genannt werden. W. sich seiner
Bemächtigte und ihn im ersten Strom
Des Volkes mit sich zog, ist zwar ein alter, feiner,
Verschmitzter Kauz und geizig wie ein Gnom',
Und Guido, der ihn einst zu erben
Gedenkt, muß allerdings pian' piano mit ihm gehn:
Allein davon läßt sich das Ende sehn;
Der Oheim wird zuletzt wie andre Menschen sterben,
Und dann – wer weiß – dann könnte was geschehn!
»Kurz, gnäd'ges Fräulein, ich, ich hoffe mit zu erben.
Den Brautkranz flecht' ich selbst! Er soll mir wunderschön
Auf diesem art'gen Köpfchen stehn,
Ich hoffe rechten Dank beim Bräut'gam zu erwerben.
Da soll's zum letzten Mal noch an ein Tanzen gehn!
Bei meiner Treu! so alt ich bin, ich springe,
Bis mir kein Faden trocken bleibt.«

Fi! (lispelt ganz in Glut das Fräulein) solche Dinge
Zu sagen! Dein Geplauder treibt
Mir alles Blut wie Feuer in die Wangen!

»Ei, ei, mein Schatz, was Arges sagt' ich dann?
Wer wird von einem Wort' auch gleich so Feuer fangen?
Der Mädchen innerstes Verlangen,
Wie fromm sie sind, ist doch zuletzt – ein Mann;
Was hat sich's da zu schämen und zu prangen? 173
Die Ehen werden ja im Himmel selbst gemacht;
Und, ist der Tag erst aufgegangen,
So folgt dem Tag natürlich eine Nacht.
Doch – eine Nacht, worin wir nichts versäumen,
Wird billiger verschlafen als verwacht:
Drum, trautes Kind, für heute gute Nacht,
Und laß Sie sich was Angenehmes träumen!«

Ob diesen Wunsch Rosine wahr gemacht,
Ist unbekannt. Von Sinibald hingegen
Sagt die Legend'; er habe ihrentwegen,
Sobald er seinen Oehm vom Halse sich geschafft,
Den ganzen Tag verwandt, bei Nebelduft und Regen
Die Straßen auf und ab zu fegen,
Und, wo ein Haus Vermuthung zu erregen
Und halbweg würdig schien, solch einen Schatz zu hegen,
Hab' er beinah sich blind und steif gegafft,
Ob seiner hungernden Begierde
Ein günstig Fenster nicht sich endlich öffnen würde;
Und, da zuletzt bei später Tageszeit
Der AngelusAngelus – Ein Zeichen, den englischen Gruß zu beten, das in der katholischen Kirche Mittags und Abends mit der Glocke gegeben wird. W. ihm laut ins Ohr geschlagen,
Hab' er, erschöpft von Müdigkeit,
Mit schwerem Haupt' und leerem Magen,
Sich heim geschleppt, auf einen sammtnen Schragen
Sich hingestürzt, wie Dido beim VirgilWie Dido u. s. w. – Anspielung an das Virgilische – quaesivit coelo requiem ingemuitque negata. W.,
Und, ach! (wie sie) der Liebesgötter Spiel,
Nach Ruh für seine Herzenswunden
Zum Himmel aufgeschaut und, leider! nichts gefunden.

Doch, sparet immer noch, ihr Mädchen von Gefühl, 174
Die Thräne, die bereits in eurem Auge zittert,
Für Jemand auf, der Mitleids mehr bedarf!
Der Schlange Biß ist wahrlich nicht so scharf,
Die man mit Lust im Busen hegt und füttert!
Der Sinibald, der dort verzweiflungsvoll
Vom Schragen in den Stuhl, vom Lehnstuhl' auf den Schragen
Sich wirft, nicht schlafen kann, sein Schicksal anzuklagen
Nicht müde wird, ist zwar – ein wenig toll;
Allein sein Uebel macht ihm allzu viel Behagen,
Als daß er euch im mindsten dauern soll.
Ihr denket, eine Nacht von vierzehn langen Stunden,
Worin kein Schlaf in seine Augen kam,
Sey eine schlimme Nacht; er hab' in seinem Gram
Sie ganz gewiß unendlich lang gefunden?
Nichts weniger! Sie flog mit ihren vierzehn Stunden
Ihm wie in einem Traum vorbei.
Ein Mensch, der in der Schwärmerei
Des Liebeswahnsinns einen Stollen
An seinem Bett' umarmt und heilig glaubt, er sey
An seiner Göttin liebevollen
Milchweißen Busen, wie die schöne Galathee
An Acis HalsGalathee an Acis Hals – Acis, der Sohn einer Nymphe, wurde von der Nymphe Galathea geliebt. Der Cyklop Polyphem, der sie unerwiedert liebte, überraschte die Liebenden einst und tödtete in der Wuth Acis mit einem Felsstück. Die Nymphe verwandelte des Geliebten Blut in einen Fluß, der seitdem nach ihm Acis genannt wird., in Wonne hingequollen,
Begehrt wohl nicht, daß wir mit seinem Weh
Noch großes Mitleid tragen sollen!

Preiswerthe Schwärmerei! wohlthätige Magie!
Sein Glück ist zwar nur Phantasie,
Allein es füllt den Platz der Wahrheit, die ihm mangelt,
Und seine Schöne steht so lebend vor ihm da, 175
Wie er sie heut' im Betstuhl knieen sah,
Da sie mit einem Blick sein Herz ihm weggeangelt.
Er spricht mit ihr von seiner Glut so frei,
Als mit sich selbst; er glaubt sogar zu sehen,
Daß sie nicht ungerührt bei seinem Leiden sey.
Ihr redend Auge scheint ihm etwas zu gestehen,
Und, wenn sie es erröthend wegzudrehen
Versuchen will, mit unsichtbarer Hand
Ein Amor es auf ihn zurück zu drehen.
So nährt die Phantasie den süßen Liebesbrand:
Und wenn dann auch, sobald ihr Zauberband
Von seiner Stirne fällt, das holde Luftbild wieder
In nichts zerfließt; so läßt, im stillen Mondenschein,
Die Panacee für alle Seelenpein,
Die Hoffnung, sich auf seinen Busen nieder
Und webt ihn unvermerkt in neue Träume ein. 176

 


 


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