Ernst Wiechert
Der Wilddieb
Ernst Wiechert

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Im Gefängnis hatte er lange Zeit, über seine Erlebnisse nachzudenken und sich die Zukunft zurechtzulegen. Klarer wurde er sich jedoch nicht. Im Gegenteil verbitterte sich nur noch mehr sein Gemüt, indem er sich vorstellte, wie immer ein Unglück sich ans andere reihte, bis die Kette ihn ganz niederzog. Alles, was ihn betroffen, nannte er Unglück, auch was ihn ins Gefängnis gebracht hatte. Wenn dies nicht gewesen wäre, würde auch das nicht gewesen sein – und so weiter zurück bis zu den ersten Ursachen durch alle Folgen hindurch. Stand da etwas im Wege, das sich so nicht einfügen lassen wollte, so stieß er es zur Seite fort. Es war ihm aber auch ein leichtes, Dinge in nächsten Zusammenhang zu bringen, die in Wirklichkeit fernab voneinander lagen. Er verband sie durch die Personen, zu denen er selbst in Beziehung ganz anderer Art stand, und beurteilte diese Personen nun wieder aus seiner Stellung zu jenen Dingen heraus. So ergab sich ihm, je länger er in einsamen Stunden grübelte, ein Bild, in dem alle Linien schief und alle Farben verkehrt waren. Seine Frau, die Altsitzer, der deutsche Nachbar, der Förster, die Pferdejuden, Nathan Hirsch, die Richter, die Advokaten, alle hatten sie sich zu seinem Unglück verschworen. Er mußte sich gegen sie wehren und brauchte in den Mitteln nicht zaghaft zu sein. Wie sie ihm mitgespielt hatten, so meinte er's ihnen wiedergeben zu dürfen. Und zuletzt würde er doch obenauf bleiben! Dann richtete er sich auf. Es war sein einziges Vergnügen, sich auszudenken, wie er mit jedem einen besonderen Tanz aufführen könnte, wenn er erst wieder frei wäre. Ganz ohne Groll dachte er nur an Lenke. Sie hatte für ihn geschworen, und sich dadurch auf Zeit und Ewigkeit mit ihm verbündet. Auf sie durfte er sich verlassen. Er wußte noch nicht, wie sie ihm ferner helfen könnte, aber seine Gedanken waren viel bei ihr. Von ihr konnte er fordern, was er wollte, das stand in seiner Überzeugung fest.

Als nun endlich der Tag seiner Entlassung herannahte, schrieb er an Busze, sie sollte ihn mit den Braunen abholen lassen und die lange Peitsche mitschicken. Er wollte wie ein Herr vom Gefängnis abfahren, und den lumpigen Kerlen von Beamten, die ihn so lange von obenher angesehen hatten, zeigen, wer er wäre.

Busze kam selbst. Sie sah krank und vergrämt aus – recht häßlich, fand er. Und sie war nicht mit seinem Fuhrwerk gekommen, sondern hatte einen schlechten Gaul, dem die Knochen heraussteckten, vor den alten Arbeitswagen gespannt.

»Wo sind die Braunen?« herrschte er sie zornig an.

»Verkauft«, antwortete sie.

»Verkauft? Wer hat das gewagt –«

»Der Exekutor hat sie verkauft. Er hat alles verlauft was er fortnehmen konnte. Es sieht elend bei uns aus.«

»Das gilt nicht«, rief er, feuerrot vor Wut. »Was? In meiner Abwesenheit! Während ich im Gefängnis ... Das gilt nicht.«

Sie lächelte bitter. »Danach fragen sie nicht. Die Zinsen konnten nicht bezahlt werden und die Abgaben und die großen Kosten. Wovon sollte das alles bezahlt werden? Jeder griff zu.«

»Und du hast mich ausplündern lassen! Warte, das will ich dir gedenken.«

»Wie konnte ich ... «

»Mit dem Krüppelfuhrwerk fahre ich nicht«, sagte er, sich mit Verachtung abwendend. »Steige nur allein wieder auf. Ich gehe lieber zu Fuß – ich komme nach. So kläglich soll man den Pawils Lauronat in Gilguhnen nicht einfahren sehen. Die Braunen – ich könnte weinen. Das ist mir zum Possen geschehen. Aber warte nur –! Es wird sich finden.«

Busze versuchte, ihm gut zuzureden. Aber er hörte nicht auf sie, und wurde nur noch wilder. Sie mußte sich allein aufsetzen; kein freundliches Wort hatte sie erhalten – nicht einmal nach den Kindern hatte er gefragt. Traurig saß sie auf dem Strohbündel, ganz zusammengesunken; die Leine hielt sie lose in der Hand, der magere Gaul lahmte weiter, wie es ihm gefiel.

Lauronat ging auf weitem Umwege nach Hause. Er sprach in Iblauken bei Lenke Kalbis an. Sie stand in ihrem Garten mit der Hacke in der Hand, guckte über den Strauchzaun, sah ihn kommen und jauchzte hellauf. »Nun wird's wieder gute Zeit!« rief sie ihm zu.

Er faßte sie unter die Arme und hob sie über die roten Fichtenbüschel. »Mit dir möcht' ich einmal tanzen«, sagte sie lachend.

»Das kann wohl noch geschehen«, meinte er. Sie erfuhr, daß er eben aus dem Gefängnis komme.

»Du willst nun gewiß dein Geld holen«, forschte sie.

»Ist es noch da?« fragte er.

»Was denkst du? Es liegt, wo du es hingelegt hast.«

»So laß es liegen. Es läuft mir jetzt doch aus der Hand fort. Wer weiß, ob ich's nicht einmal nötiger brauche.«

»Bist du hungrig?«

»Nein, aber durstig. Nach all dem Gefängniswasser ein Glas Branntwein –«

»Die ganze Flasche sollst du haben. Komm ins Haus.«

Als er nach einer Stunde fortging, schien er nicht ganz sicher auf den Füßen. Er blickte über das Moor hin, blinzelte mit den Augen und sagte: »Nun soll der Förster bald wieder keine ruhige Nacht haben. Du wirst doch mit mir fahren?«

»Gewiß! Das Boot liegt im Schilf, und ich kenne alle Gräben. Klopfe nur dreimal ans Fenster, dann weiß ich, daß du's bist.«

»Also auf Wiedersehen!«

Haus und Hof fand er wirklich ganz so elend, als Busze vorhergesagt hatte. Den lahmen Gaul hatte der Exekutor ihm gelassen und die schlechteste Kuh. Die Stube und die Kammern waren bis auf das notwendigste Mobiliar ausgeräumt, auch seine besten Kleider, selbst das Gewehr, verkauft. Darüber war er am meisten aufgebracht. Nun mußte er von Lenke Kalbis ihres verstorbenen Bruders Jagdzeug borgen, das sich freilich dem seinigen nicht verglich. Vorräte fehlten. Der Acker war schlecht oder gar nicht bestellt. Erdenings hatte nur notdürftig für sich und Urte gesorgt. Dabei waren die Schulden nicht einmal getilgt, die Hypotheken gekündigt, neue Klagen im Gange. Es ließ sich voraussehen, daß das Grundstück in wenig Monaten zur Subhastation kommen mußte. Lauronat wußte gar nicht, wo er zuerst angreifen sollte, und gab's bald ganz auf, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Helfen konnte er sich doch auf die regelrechte Weise nicht mehr. Es kam nur noch darauf an, aus dem nahen Zusammenbruche möglichst viel für sich zu retten.

Der Krüger, mit dem er sprach, meinte, es werde ihm doch nichts übrigbleiben, als das Grundstück zu verkaufen. Könne das freiwillig geschehen, so lasse sich noch eher ein angemessener Preis erzielen, als beim Zwangsverkaufe. Wo aber einen Käufer finden? »Danach wirst du dich bei dem weisen Nathan erkundigen müssen,« meinte der Krüger, »der hat immer einige reiche Wirtssöhne an der Hand. Die Deutschen, die kaufen wollen, wenden sich auch an ihn.«

»Ich will an einen Deutschen nicht verkaufen«, sagte Lauronat. »Der Liebert hat schon bei mir anfragen lassen, aber der wär' der letzte.«

»Ja –«. Der Krüger zuckte die Achseln. »Sprich doch mit Nathan Hirsch. Reell ist er, und was irgendeiner machen kann, das kann er.«

Nathan Hirsch! An den wandte Lauronat sich ungern. Mit seinen großen klugen Augen sah der alte Mann ihn immer durch und durch. Er hatte das unbehagliche Gefühl, daß es nicht möglich sein könne, ihn zu überlisten. Macht er ein Geschäft, so weiß er ganz genau, daß es ihm nicht zum Schaden ausschlägt, und weiter geht er keinen Schritt. Würde er ihm jetzt helfen, irgendeinen Gimpel zu fangen? Lauronat kam sich selbst wie ein Gimpel vor, den der kluge Vogelsteller sich schon eingefangen hatte. Er war ihm im Innersten zuwider. Und doch – der Krüger hatte ganz recht: ohne Nathan Hirsch ließ sich in solchem Falle nicht vorwärtskommen.

Er entschloß sich also doch wieder, zu ihm zu gehen. Jedenfalls kostete es ja nichts, wenn er mit ihm sprach. Der alte Nathan empfing ihn aber diesmal mit sehr ernstem Gesicht. »Du hast mich in allerhand Ungelegenheiten gebracht,« warf er ihm vor, »weil du bist versteckt vorgegangen und mit der Wahrheit hast hinter dem Berge gehalten. Als ich dir die zweiten tausend Mark gab, hab' ich müssen glauben, es könnte dir geholfen werden. Hätt' ich sonst deine Schwiegereltern beredet, sie sollten zurücktreten, was ich doch für unschädlich hielt? Nun ist Erdenings zu mir gelaufen, wohl zehnmal, und hat sich beklagt, daß ich ihm Unrecht getan habe, und hat mich bei allen Leuten verschrien als einen Betrüger und Blutsauger. Der Mann aber, dem ich das Dokument zediert habe nach bestem Gewissen als gut und sicher, hat keine Zinsen erhalten und in meinem Hause gelärmt und von mir sein Geld haben wollen, da ich ihm doch nichts schuldig war. Und um mir in Tilsit die Kundschaft nicht zu verschlagen, hab' ich beißen müssen in den sauren Apfel und zurückkaufen das Dokument und selbst die Sache bei Gericht betreiben. Du bist ein leichtsinniger Mensch, mein guter Lauronat, auf den kein Verlaß ist. Gott gerechter, hätt' ich ahnen können, daß du ins Gefängnis wandern müßtest! Die Rebekka hat mir Vorwürfe gemacht und der Jakob und der Moses. Warum laß ich nicht meine Hand davon? Nun hast du's so weit gebracht als ein Verächter des Gesetzes. Die Augen aus dem Kopf schämen würd' ich mir an deiner Stelle. Du aber stehst da, als ob du nur zu kommandieren hast: Nathan spring' mir auf! Was willst du von mir, frag' ich?«

»Du sollst mir das Grundstück verkaufen«, sagte der Litauer. »Was schreist du mich an? Dein Geld ist ja doch allemal sicher.«

»Ich kann froh sein, wenn ich herausbiete meine Hypothek«, antwortete Nathan. »Wer kann mehr geben für ein verwahrlostes Grundstück ohne Inventar?«

Lauronat lachte auf. »So billig geb' ich's nicht, du wirst einen besseren Käufer finden.«

»Meinst du? Und wenn einer etwas zulegt, das kommt dem Altsitzer zugute. Mit dem großen Ausgedinge kauft kein vernünftiger Mensch das Grundstück. Erdenings fällt aus. Verkaufst du aber, daß er nicht ganz leer ausgeht, so bleibt für dich doch unter Umständen nichts übrig.

»Es soll aber für mich etwas übrigbleiben«, sagte Lauronat, und trat dabei mit dem Fuße auf. »Wie du es machst, ist deine Sache. Für dich selbst nimm ab, so viel du willst.«

Nathan Hirsch wiegte unmutig den weißen Kopf. »Bin ich ein Hexenmeister? Kann ich herausschlagen Gold aus Steinen? Soll ich dir zuliebe an einem anderen zum Spitzbuben werden? Geh' mir, geh'! Du bist schlecht. Für keinen Pfennig Vertrauen setze ich mehr in dich. Was einen Menschen heraufbringt, das ist Arbeitsamkeit – daß er über das Notwendige tätig ist – und Sparsamkeit – daß er auch von dem kleinen Gewinn etwas ablegt für die Zukunft – und Redlichkeit – daß er sein Wort hält, wie er es gegeben hat. Du aber bist auf der Jagd herumspaziert wie ein Junker, und hast allemal mehr verbraucht als eingenommen, und hast viel versprochen, aber wenig gehalten. Deshalb ist es mit dir gegangen bergab, bis ganz unten hin. Wie willst du verkaufen mit Überschuß für dich selbst, wenn dir kein Strohhalm auf dem Dache mehr gehört?«

Diese Vorhaltung war dem Litauer offenbar sehr ärgerlich. »Du bist nicht mein Vormund«, sagte er, »und auch nicht mein Seelsorger. Es wär' alles anders gekommen, wenn nicht ...« Er schlug mit der Hand in die Luft. »Du bist klüger als ich. Soll ich dich belehren, wie man beim Grundstücksverkauf etwas herausschlägt? Du kannst meinetwegen parzellieren. In Stücken bringt das Land mehr ein. So hast du auch dem Kristups Klaputis und dem Endrik Klimkies geholfen und vielen anderen: ein Stückchen ist noch für sie übriggeblieben.«

»Die waren so tief nicht verschuldet,« versicherte Nathan eifrig, »da ließ sich das Geschäft machen. Ich hab' ihnen Gutes getan, und nun hören sie doch auf schlechte Leute und meinen noch nicht genug gerettet zu haben und nennen mich verächtlich einen Güterausschlächter. Man tut euch, wenn ihr euch ruiniert habt, nichts zu Dank. Übrigens behalt' ich mir vor, dein Grundstück zu parzellieren, aber erst, wenn ich's habe annehmen müssen für mein Geld.«

»Jude –!« rief Lanronat und ballte die Faust.

»Und ich will dir auch sagen warum und wozu, mein lieber Sohn. Für mich selbst will ich nicht mehr als mein Kapital und meine Zinsen und Auslagen. So viel zahlt jeder für das Grundstück – da bin auch ich ganz ruhig. Aber hinter mir steht ein alter Mann und eine alte Frau, die haben gehofft, gesichert zu sein bis an ihr seliges Ende, und sollen jetzt werden Bettler. Denn mit dem Altenteil kann Erdenings nicht mitbieten – die Gläubiger lassen ihm nicht stehen die Hypotheken, wenn er nichts hat in der Hand, die Wirtschaft wieder heraufzubringen. Deshalb denk' ich dran, das Grundstück zu verkaufen in Parzellen für einen besseren Preis und den Käufern aufzulegen einen angemessenen Teil der Last oder für Erdenings und seine Frau das Haus und den Garten und ein paar Morgen Acker übrigzubehalten an Stelle ihres Ausgedinges. Das mag dann künftig ihre Tochter von ihnen erben.«

Lauronat schien sehr beunruhigt; seine Finger zuckten und die Blicke wanderten im Zimmer herum. »Das also hast du im Sinne?« zischte er. »Für die Nichtstuer willst du sorgen, wenn deinen Worten zu trauen ist, mich aber, den Wirt, läßt du verderben! O pfui!«

»Sie sind alt, Pawils, sie sind alt«, sagte Hirsch. »Wird dich Gott werden lassen alt, wird er dich lassen einsehen, daß die Jahre auch drücken. Jetzt bist du noch jung und kannst arbeiten und mit deiner Arme Kraft verdienen deinen Unterhalt. Wenn du willst, ich soll parzellieren mit demselben Effekt, daß für dich nichts bleibt und die Altsitzer den Rest nehmen, so will ich's parzellieren vor dem Zwangsverkauf. Anders tu' ich's nicht.« Er hob sein Samtkäppchen ab und setzte es wieder auf, als ob er sagen wollte: Adieu, das ist mein letztes Wort.

So verstand Lauronat ihn auch. »So mag alles gehen, wie's geht,« rief er, »ich kann's nicht halten.« An der Türe kehrte er sich noch einmal zurück. »Aber bilde dir nicht ein, daß ich dir glaube. Für mich willst du jetzt nichts tun, aber für Erdenings wirst du später auch nichts tun. Es kommt dir nur darauf an, daß keiner dich stört, billig zu kaufen. Hast du den Zuschlag, so bist du der Herr und treibst die alten Leute unbarmherzig aus. Sie wirst du so wenig schonen wie mich –.« Er schüttelte die Hand über dem Kopfe. »Wenn du die Macht hast! Ja – wenn du die Macht hast.«

Höhnisch lachend verließ er das Zimmer und warf die Tür hinter sich ins Schloß, daß die Fenster klirrten. Jetzt war es ihm gewiß, daß der Jude sein Verderben wollte.

Deshalb hatte der Jude, so meinte Lauronat, ihm das Geld auf Wechsel gegeben, deshalb noch mehr Geld aufgeschwindelt, deshalb die Altsitzer überredet, ihm das Vorzugsrecht einzuräumen! Jetzt kaufte er das Grundstück für ein Butterbrot. Pfiffige Berechnung war alles! Eine Schlange hatte ihn umringelt und schnürte ihm den Hals zu. »Aber so bald bin ich nicht wehrlos gemacht«, rief er. »Ich kenne jetzt meinen Feind und nehme den Kampf mit ihm auf. Warte das Ende ab!«

Er hatte von Lenke Kalbis das Gewehr ihres Bruders geliehen und ließ sich nun kaum noch ohne dasselbe sehen. Es war immer geladen. Die Hausgenossen hatten Furcht vor ihm. Erdenings und seine Frau wagten sich nicht aus ihrer Kammer heraus, wenn er auf dem Hofe war, und Busze behandelte er wie eine untreue Magd. Auch die Nachbarn schwebten fortwährend in Angst, daß er das Gewehr als Waffe gegen sie brauchen könnte, wenn sie ihm nicht in allem den Willen täten. Er fing an, die Zäune abzubrechen und die Bäume umzuhauen. Was sich irgend vom Grundstück entfernen ließ, machte er zu Gelde. Er schloß Freundschaft mit allerhand übelbeleumundetem Volk in den Ortschaften am Moor und am Fluß, traktierte mit Branntwein und schaffte sich so einen stets bereiten Anhang. Wenn der Schulze ihm schüchtern Vorhaltungen machte, lachte er und sagte: »Es kommt noch besser. Der Jude soll sich geschnitten haben, der Blutsauger, der Betrüger! Was mein ist, ist mein, und damit tu' ich, was ich will! Nichts soll er haben, als das kahle Land!«

Der Termin der Zwangsversteigerung des Grundstückes war anberaumt, Liebert vom Gericht zum Sequester bestellt. »Nimm dich in acht,« drohte Lauronat, »daß ich dich nicht auf meinem Grund und Boden antreffe. Es könnte dir schlecht gehen. Ich dulde da keinen Deutschen über mir.« Dabei schlug er an den Kolben des Gewehrs. Eines Abends, als es schon dunkel geworden war, rückten mehrere Fuhrwerke auf den Hof, Arbeitswagen mit langen Leitern zu beiden Seiten, wie sie zum Einfahren von Getreide und Heu gebraucht werden. Die Führer kamen schon halb betrunken an und tranken noch weiter aus einer Flasche, die Lauronat reihum gehen ließ. In dem Winkel zwischen dem Stall und der Klete standen sie eine Weile zusammen und schienen zu beraten. Dann schlug Lauronat in die Hände und rief: »Vorwärts!«

Die unheimlichen Gäste holten nun aus ihren Fuhrwerken Äxte, Hämmer und Sägen herbei, die unter den Strohsitzen versteckt gelegen haben mochten, kletterten auf die Dächer der Gebände, setzten sich oben rittlings und begannen ein sonderbares Zerstörungswerk. Die als gezäumte Pferdeköpfe ausgeschnittenen Giebelbretter wurden heruntergeschlagen und polterten auf den Hof. Es folgten die hölzernen Dachreiter, die den Strohbelag festzuhalten hatten. Dann wurde das Stroh selbst abgerissen und in Bündeln hinabgeworfen, so daß bald die Sparren sichtbar wurden. Obgleich sicher der Befehl ausgegeben war, es solle dies alles möglichst still geschehen, riefen die betrunkenen Kerle einander doch laut zu, um nach kurzer Zeit aus dem Lachen und Johlen nicht mehr herauszukommen.

Der alte Erdenings, der schon hatte schlafen gehen wollen, hörte das Poltern und eilte ans Fenster. Er merkte sogleich, was im Werke war. »Was tut dein Mann?« rief er in die Stube hinein.

»Ich weiß nicht«, antwortete Busze, am ganzen Leibe zitternd. »Mit mir spricht er nicht.«

»Ist er toll geworden?« schrie Urte mit ihrer schrillen Stimme. »Er bricht das Haus ab.«

»Ja, er bricht es uns über dem Kopfe ab«, klagte der Alte, »und er scheint schnelle Helfer zu haben.« Eben glitt dicht vor dem Fenster ein Dachreiter über das Strohdach nieder und schlug auf das Steinpflaster am Hause.

»Du darfst das nicht leiden«, sagte Urte. »Das Haus darf er nicht abbrechen. Laufe zum Sequester und zeig' es ihm an.«

Erdenings kratzte sich den Kopf. »Pawils ist imstande, mich über den Haufen zu schießen, wenn er mich fortgehen sieht«, jammerte er. »Mein Gott, mein Gott! Hast du uns denn ganz verlassen?«

»So will ich –«, rief Urte. »So kann's doch nicht gehen, sonst schlafen wir diese Nacht unter freiem Himmel.« Sie hüllte sich in ein großes schwarzes Tuch, das sie über den Kopf genommen hatte, und schlich hinaus.

Erdenings öffnete indessen das Fenster und schrie: »Fort da! Was wollt ihr? Herunter vom Dach! Ich lasse nichts rühren – es gehört mir so gut wie dem Wirt. Fort, Räuber, befehl' ich!« Er wurde ausgelacht und verhöhnt. »Hört nicht auf den,« sagte Lauronat, »der ist der Rechte! Er will mit dem Juden gemeinsame Sache machen. Ich weiß es von Nathan selbst.«

Der Abbruch wurde fortgesetzt. Urte hatte aber doch während des Lärms auf einer Seite das Gehöft unbemerkt verlassen können. Sie fand Liebert mit Anspannen beschäftigt.

»Ich kann da nicht einschreiten,« sagte er, »sie schlagen mich tot. Geh' zum Schulzen – er wird dir aber auch nicht helfen können und vielleicht auch nicht wollen. Sie stecken alle unter einer Decke.«

»Und du fährst fort und bist doch der Sequester?«

»Ja –«, antwortete er ausweichend, »es ist besser, ich bin nicht zu Hause. Wenn man nach mir fragt ... ich bin nach meinem Heu gefahren. Verstehst du?«

Er fuhr auch in der Richtung nach den Wiesen aus dem Dorfe hinaus, wendete aber bald um und jagte den großen Weg entlang, so schnell die Pferde laufen konnten.

Urte ging von Haus zu Haus, die Nachbarn um Beistand in ihrer Not anzurufen. Es nützte ihr aber nichts, daß sie an Tür und Fenster pochte. Als sie zurückkehrte, umstanden schon viele Leute in Gruppen den Hof und freuten sich laut über das sonderbare Schauspiel. Die Frühlingsnacht war kühl und windig, aber nicht so dunkel, daß ihnen entgehen konnte, was am Hause geschah. Dort brannten auch Kienfackeln und warfen ein rotflackerndes Licht über die nächste Umgebung. Am Himmel stand die Mondsichel, aber sie leuchtete wenig, und meist zog finsteres Gewölk darüber hin. – »Hindere deinen Mann,« sagte die Altsitzerin zu Busze, »er führt das Diebesgesindel an.«

»Ich vermag nichts,« entgegnete die Frau, »er hört nicht auf mich. Er achtet mich nicht mehr als sein Weib, weil ich nicht für ihn geschworen habe. Die Kinder, die armen Kinder!« Sie rang die Hände.

Das Zerstörungswerk wurde rastlos fortgesetzt. Schon war das Stroh des Daches zum größten Teil abgelöst und rundum hinabgeworfen. Die über die Sparren genagelten Querlatten wurden mit Äxten losgeschlagen, die Holzpflöcke und Riegel aus den Verbindungslatten der nun ganz kahl dastehenden Dreiecke mit Hämmern hinausgetrieben, die Sparren umgeworfen. Das war keine leichte Arbeit, denn der Bau stammte noch aus der guten alten Zeit, als man das festeste Holz verwendete und wie für die Ewigkeit zusammenfügte. Als man nun gar auf der Stallseite zum Gebälk gelangte, wuchs die Schwierigkeit, den Verband zu lösen, die vierkantigen Balken aus den Lagern zu heben und über die Giebelwand fortzuschieben. Es vergingen mehrere Stunden, bis die Holzwände selbst in Angriff genommen werden konnten. Ein Teil des Sparrenwerks nach dem Vordergiebel zu stand noch neben dem gespenstisch in die Nacht aufragenden Schornstein, als hinten am Stall und seitwärts an der Klete schon die Pfosten krachten. Die Hölzer lagen in wüsten Haufen auf dem Hofe. Männer und Weiber schleppten sie dort auf die bereitstehenden Fuhrwerke. Fortwährend kreisten die Branntweinflaschen. Lauronat legte nicht selbst Hand an, kommandierte aber wie ein Unteroffizier die Arbeiter, von denen die meisten Soldat gewesen waren und ihn gut verstanden. Er ging auf dem Hofe umher, die Flinte am Riemen über die Schulter gehängt, um einen halben Kopf die längsten überragend. Die Flasche ließ er nie an sich vorüber, ohne einen tiefen Zug zu tun. »Sputet euch,« ermunterte er, »sputet euch, Kinder! Vor Sonnenaufgang darf kein Splitter mehr auf dem Platze sein.«

Es war aber kaum Mitternacht, als von der Dorfstraße her Peitschenknallen vernehmbar wurde. Plötzlich erhoben die Zuschauer dort ein Geschrei und stoben auseinander. »Der Herr Gendarm – der Herr Gendarm!« Der Ruf setzte sich bis zum Hause fort. Die Arbeiter ließen einen Augenblick die Äxte ruhen, stellten sich aufrecht und schauten aus, was es gäbe. Nun fuhr ein Wagen im eiligsten Galopp auf den Hof und in den Stroh- und Holzhaufen hinein. »Licht aus!« rief Lauronat. Die Kienfackeln verlöschten.

Den Wagen kutschierte Liebert. Neben ihm saß der Gendarm, den Säbel über den Knien. Den hinteren Sitz hatten Nathan Hirsch und sein Sohn Jakob eingenommen. Als die Pferde zum Stehen gebracht waren, sprang der Gendarm vom Wagen ab und zupfte seinen Rock zurecht. Nathan Hirsch aber erhob sich, streckte die Arme aufwärts und schrie so laut, als seine dünne Stimme es erlaubte: »Halt – halt! Was tut ihr? Ihr vergreift euch an fremden Eigentum! Das gehört mir – ich hab' Beschlag darauf gelegt. Gott gerechter, die Verwüstung! Sie bringen mich um mein Pfand. Fort! Keine Hand rührt sich mehr! Herr Gendarm, helfen Sie – bringen Sie das Gesetz zur Achtung. Diebe, Räuber!«

Einige von den schon halb beladenen Fuhrwerken setzten sich eiligst in Bewegung. »Niemand rührt sich von der Stelle«, donnerte der Gendarm. »Im Namen des Königs steht! Wer seid ihr? Was habt ihr hier bei Nacht und Nebel zu schaffen? Jedes Stück Holz, jedes Bündel Stroh bleibt auf seinem Platz! Keiner entfernt sich, ohne seinen Namen genannt zu haben.«

»Wir haben das Holz gekauft,« ließen sich einige Stimmen murrend vernehmen, »es gehört uns.«

»Noch ist es nicht vom Grundstück herunter,« schrie Nathan, »es gehört zum Pfand und muß bleiben beim Pfand. Herr Gendarm, lassen Sie nicht zu ...«

Der Gestrenge winkte ihm rückwärts mit der Hand, zu schweigen. »Wer hat euch angestiftet?« fragte er die Arbeiter.

»Ich!« antwortete für sie Lauronat, indem er einen Schritt vortrat und mit der Hand auf seine Brust schlug.

»Ich.«

»Ja, er – er!« rief Nathan, immer noch auf dem Wagen stehend. »Er verdirbt das Grundstück – er verachtet das Gesetz. Tun Sie dem Verderben Einhalt, Herr Gendarm.«

»Was willst du?« herrschte Lauronat ihn an. »Noch gehört das Haus mir, und ich kann damit tun, was ich will.«

»Das kannst du nicht – das kannst du nicht!«

»Ich kann damit tun, was ich will. Und ich hab's an die Leute zum Abbruch verkauft. Sie können ehrlich nehmen, was ihnen gehört.«

»Das können sie nicht! Herr Gendarm –«

»Das können sie. Der Gendarm ist nicht das Gericht. Das Gericht hat dir das Haus noch nicht zugesprochen. Ich bin der Wirt und tue damit, was ich will.«

»Aber hast du denn keine Scham im Leibe –«

»Kümmert euch nicht um den Juden,« wandte Lauronat sich zu den Arbeitern. »Er hat mich ruiniert und will mich jetzt nackt ausziehen – aber das letzte soll er nicht haben.«

»Ich – ich? Gottes Gerechtigkeit!«

»Vorwärts! Brecht die Bude herunter. Fahrt ab – ich erlaub's euch. Es hat hier niemand zu befehlen, als ich.«

»Ist das der Dank dafür, daß ich dir Gutes getan habe?« schrie Nathan vom Wagen herunter.

»Vater –!« suchte Jakob Hirsch zu begütigen.

Aber der alte Mann schob seine Hand zurück. »Soll es mich nicht empören in meinem innersten Herzen, solche Schlechtigkeit anzusehen? Das Haus ist ein Trümmerhaufen. Und er will's noch weiter verwüsten, der Schurke!«

»Schurke –? Der Riemen des Gewehrs war von der Schulter geglitten, Lauronat hielt es oben am Lauf in der linken Hand und hob es ein wenig.

»Du bist verhaftet«, sagte der Gendarm, der indessen herumgegangen war und sich die Gesichter der Leute in der Nähe angesehen hatte. »Was treibst du dich hier mit dem Gewehr herum?«

Lauronat lachte kurz auf. »Ich bin hier auf meiner Jagd«, antwortete er grinsend. »Willst du meinen Jagdschein sehen? Ich schieße Hasen und Rehe, wie mir's gefällt, aber auch Hirsche, wenn sie sich in mein Gebiet verirren. Auf so einen hätt' ich wahrlich Lust ...«

Er griff mit der rechten Hand hastig an das Schloß des Gewehres und hob den Kolben nach dem Kinn.

In diesem Augenblick stürzte sich Busze, rasch vortretend, ihm zu Füßen und griff nach seinem Arm. »Um Jesu willen,« schrie sie, »tu's nicht, Pawils!«

Er stieß sie mit dem Fuße fort. »Ist dir der Jude mehr wert als dein Mann?« Der Schuß ging los – Blitz und Knall in eins.

Vom Wagen her ein jäher Aufschrei – kurz – schrill markerschütternd. Der Mann mit dem schneeweißen Bart griff mit beiden Händen nach der Brust, taumelte, fiel hintenüber. Jakob suchte ihn aufzuhalten, aber der Körper entglitt ihm und stürzte auf die Erde. Da lag er neben den Rädern regungslos. Die großen Augen waren weit aufgerissen. Jakob warf sich jammernd über ihn.

In zwei Sekunden war alles geschehen. Nun kreischten die Weiber, durch die Reihen der Männer lief ein Gemurmel der Überraschung, des Unwillens. Noch hatte sich der Pulverdampf nicht verzogen, als der Gendarm Lauronat an der Gurgel faßte, Liebert ihm das Gewehr zu entreißen suchte. »Mörder – Mordbube –!«

Der Litauer war selbst eine kurze Zeit lang wie vom Schreck erstarrt. »Ist er tot?« lallte er. »Das hab' ich – nicht gewollt. Weshalb kam das Weib ...«

Die beiden Männer packten ihn fester. Nun aber schien er auch zu begreifen, um was es sich für ihn handelte. Ohne das Gewehr loszulassen, schlug er Liebert zurück und schüttelte den Gendarm ab. »Mir vom Leibe, ihr Hunde! – Wer will etwas von mir?« Das war zu einigen Nachbarn gesagt, die Anstalt machten, dem Gendarm zu Hilfe zu kommen. Man kannte seine Stärke und wich ihm aus. Rückwärts schreitend bahnte er sich mit den Armen den Weg durch die umstehende Menge und verschwand hinter der Ecke des Hauses.

Der Gendarm stürzte ihm nach, Liebert folgte, auch andere setzten sich in Bewegung. Aber Lauronat hatte schon einen weiten Vorsprung. Die schattenhafte Gestalt huschte um den Zaun des Nachbarhauses, wurde durch das Weidengebüsch am Graben verdeckt, tauchte noch einmal auf, entfernte sich rasch über das Feld hin und war, als die Verfolger atemlos dort anlangten, wie in die Erde gesunken.

Nathan Hirsch ward in die Stube getragen und aufs Bett gelegt, bis auf dem Wagen ein Lager zugerichtet sein würde. Sein Sohn Jakob kniete neben ihm und wehklagte laut. »Er war ein gerechter Mann, ein guter Mann! Seine Gerechtigkeit haben die Richter im Lande anerkannt, und seine Güte haben die Armen gepriesen. Warum hat Gott verderben lassen den Gerechten?« Der Bretterbelag über den Querbalken der Stubendecke war an der einen Seite schon fortgerissen worden. Durch die Lücke war der Himmel sichtbar – an der silberhellen Mondsichel jagten die Wolken hin.

Busze sah mit starrem Blick dahinauf. Es war ihr, als löse die Diele, auf der sie stand, sich vom Boden und gleite über schnellbewegtes Wasser schwankend fort. Ihre Gedanken taumelten – sie griff mit den Händen ins Leere nach einem Halt. Sie konnte nicht weinen, nicht jammern. All ihr Glück war zerstört.


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