Ernst Wiechert
Der Wilddieb
Ernst Wiechert

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Der Wirt erhob sich erst gegen Mittag. Seine Frau hatte nicht geruht, sondern die Kinder zur Schule abgefertigt und mit der Magd das Vieh gefüttert, dann das Essen besorgt. Lauronat war in ärgerlicher Stimmung, und sie besserte sich nicht, als Martin Erdenings auf dem Hof an ihn herantrat und für den Nachmittag ein Fuhrwerk forderte. »Willst du schon wieder spazierenfahren?« fragte er ihn, sich auf den Stiel der Axt stützend, mit der er eben eine Klobe Holz zerkleinerte.

»Ich will nicht spazierenfahren«, antwortete der Altsitzer, ein schwächlich aussehender Mann mit langem, grauem Haar, hustend und sich rasch ereifernd. »Ich fahr wohl auch spazieren? Du läßt deinen Altsitzer spazierenfahren – du?! Nicht zu den notwendigsten Geschäften gibst du uns das Fuhrwerk!«

Lauronat zuckte die Achseln. »Wohin willst du denn?«

»Das hab' ich nicht nötig, dir zu sagen. Es steht in meiner Verschreibung, daß ich zwölfmal im Jahre Fuhrwerk fordern kann – zur Kirche und zu Besuchen in der Nachbarschaft und wozu es mir gefällt. Willst du es leugnen?«

»Auf dem Papier steht auch sonst mancherlei. Und – es muß mir doch mit dem Fuhrwerk passen.«

»Es paßt dir nie mit dem Fuhrwerk. Heut' laß ich mich aber nicht abweisen. Und wenn es denn wissen willst, ich fahre zum Rechtsanwalt – der soll mir eine Klage gegen dich aufsetzen, weil ich das bare Geld von Martini immer noch nicht bekommen habe. Es ist eine Schande! Sieh, wie ich schon mit meiner Jacke gehe! Und ich kann mir nicht einmal Tabak kaufen. Gib mir mein Geld, Pawils, und ich brauche dein Fuhrwerk nicht.«

»Bar Geld ist allemal knapp«, meinte der Wirt. »Ich weiß nicht einmal, wovon ich zu Johanni die Zinsen zahlen soll. Meinst du, ich hab's vergraben?«

»Warum wirtschaftest du so schlecht?« eiferte der alte Martin. »So ein schönes Grundstück! Als es noch in meinen Händen war –«

Lauronat stieß die Axt auf die Klobe. »Davon rede nicht. Ich kann wirtschaften, wie es mir gefällt.«

»Das wollen wir doch sehen! Laß anspannen – ich fahre zum Rechtsanwalt.«

»Das geht heute nicht an, Martin!«

»Weshalb geht es nicht an?«

»Weil ich das Fuhrwerk selbst brauche.«

»Du?«

»Ja, ich! Der Wirt geht vor. Ich fahre nach Kaukehmen.«

»So nimm mich mit.« »Es paßt mir diesmal nicht. Ich fahre allein.«

Der Alte grinste. »Es soll wohl keiner wissen, was du auf dem Wagen hast? Bist du nicht wieder die Nacht fortgewesen? Dazu hast du ja auch – «

»Schweige!« herrschte Lauronat ihn an. »Es kümmert keinen, ob ich in der Nacht schlafe oder wache. Und kurz – das Fuhrwerk kann ich dir nicht geben. Die Klage läuft ja auch nicht fort. Willst du unvernünftig sein, dazu kommst du auch morgen oder übermorgen zur Zeit. Und nun geh und laß mich ungeschoren.«

Er hob die Axt und ließ sie mit solcher Wucht niederfallen, daß die Holzklobe zersplitterte. Erdenings sprang zur Seite und entfernte sich, leise fluchend. »Der ist ein Schlimmer – der ist ein Schlimmer. Aber das Gericht wird ihn schon unterbekommen – das Gericht!«

Er klagte Urte in der Kammer, wie grob Lauronat ihn behandelt hätte.

»Gott wird ihn strafen«, sagte sie. »Wenn er's so weitertreibt, hat er das Grundstück nicht mehr lange. Wir müssen schweigen, denn unsere Tochter steht uns nicht bei – er hat sie ganz von uns abgewendet. Aber Gott wird ihn strafen.«

Pawils spannte wirklich gegen Abend die beiden Braunen vor den leichten Korbwagen und fuhr ab. Er schlug den Feldweg ein und machte an der Brücke halt. Nachdem er sich durch eine Umschau überzeugt hatte, daß kein Mensch in der Nähe war, trat er in das Gebüsch, holte den Rehbock vor und legte ihn unter den Sitz. Die Pferdedecken breitete er darüber. Dann stieg er wieder auf und lenkte tausend Schritte weiter in die Chaussee ein. Er fuhr nun im schärfsten Trabe, um sich etwas sehen zu lassen. Wer an ihm vorüberkam, blickte ihm auch nach. »Der Lauronat hat die besten Pferde! Ja, der versteht sich darauf.«

Und so fuhr er auch mit knallender Peitsche in den freundlichen Ort ein und vor dem Kruge auf, daß der Staub aufwirbelte. Er lenkte den Wagen gleich am Podest mit den Holzbänken und dem Eingange zur Krugstube und am Materialladen vorüber in die offene gegen das Hauptgebäude ein wenig vorgelegte Einfahrt, wo schon andere Fuhrwerke standen. Abspringend rief er dem Knechte zu: »Schirr ab!« Es war also seine Absicht, eine Weile zu bleiben.

Von einem barfüßigen Jungen, der ein Ferkel aus der Einfahrt zu jagen bemüht war und dabei das Hühnervolk in Aufruhr brachte, ließ er sich sauber abstäuben. Mit einem kleinen Taschenkamme ordnete er Haar und Bart. Die Peitsche – eine herrschaftliche Peitsche von Rohr und Ledergeflecht mit blanken Ringen am Griffe – behielt er in der Hand; sie schien ihm auf dem Wagen am wenigsten sicher. Die Mütze von blauem Tuch mit kleinem Schirm und Glanzlederriemen darüber schob er tief aus der Stirn. So trat er hochaufgerichtet wie ein Gast, der des Willkommens gewiß ist, über den Podest in die Krugstube ein.

Eine kurze Weile blieb er in der Nähe des Eingangs stehen und musterte die Gesellschaft. An dem einen Tisch saßen litauische Bauern beim Schnaps, an einem andern Leute von mehr städtischem Aussehen, zwei ihm bekannte jüdische Pferdehändler und mehrere Aufkäufer von Vieh, beim Bier. Von dem in einer Nische stehenden Schanktische kam ihm der Krüger entgegen, grüßte freundschaftlich und forderte ihn auf, bei den anderen Gästen Platz zu nehmen. Lauronat schien aber keine Eile zu haben. Es gefiel ihm offenbar, daß sich alle Blicke auf ihn richteten und die Männer hier und dort zusammenrückten, ihn in ihre Mitte aufzunehmen.

»Bring' mir eine Zigarre«, sagte er, »und ein Glas Bayrisches, wenn es trinkbar ist, aber flink, ich habe Durst.« Nun stellte er die Peitsche ans Fenster und ließ sich auf der leerstehenden Bank unter demselben nieder. Jetzt erst erwiderte er den Gruß der Händler, wenig verbindlich, nur mit einem nachlässigen Kopfnicken.

Der Krüger eilte herbei, in der einen Hand ein schäumendes Seidel, auf dem Arm drei Zigarrenkisten. »Wähle dir aus,« sagte er, »du liebst die kräftigen. Hier hab' ich eine neue Sorte, die ich wohl empfehlen kann, kostet aber acht Pfennige.«

Lauronat hob das Kinn. Pah! was kommt es darauf an? Er griff in die vorgehaltene Kiste, nahm einen schwarzbraunen Stengel heraus, rollte und drückte ihn zwischen den Fingern, daß er knisterte, biß die Spitze ab und benutzte das Streichholz, das der Wirt ihm schon angezündet vorhielt. Dann tat er einen tiefen Zug aus dem Glase, setzte es nach kurzem Verschnaufen wieder an und trank es leer. Der Krüger nahm es ihm aus der Hand und brachte es neu gefüllt zurück. Dann setzte er sich neben ihn und erkundigte sich, wie es in Gilguhnen mit der Fischerei gehe. »Es ist eine wahre Schande,« bemerkte er, »daß wir hier im Lande für teures Geld nicht mehr ein ordentliches Gericht Fische zu kaufen bekommen; es geht alles nach auswärts.«

»Ja,« bestätigte der Litauer, »die Fischhändler in Gilge machen den Markt, Deutsche und Juden. Mit den Fischen über Land zu fahren, lohnt für den einzelnen wenig. Ohne die Deutschen und Juden ist kein Geschäft möglich, mit ihnen aber nur ein schlechtes.«

Der Krüger, der selbst ein Deutscher war, lächelte verschmitzt. »Was du an mir hast, weißt du, denke ich«, sagte er.

»Na,« knurrte der Litauer, »Du kennst deinen Vorteil. Was bin ich dir denn noch schuldig? So alles in allem?«

»Ach laß das, Pawils, laß das«, wehrte der Krüger ab. »Du bist mir sicher.«

»Heut' will ich auch nicht bezahlen. Übrigens –« Lauronat neigte sich zur Seite und sprach im Flüsterton – »auf meinem Wagen liegt etwas unter den Decken. Nimm das herunter, damit sich's nicht ein anderer holt. Und laß gleich die Decken ins Haus bringen, sie könnten einem gefallen. Verstehst du?«

Der Krüger nickte und verschwand bald aus der Stube.

Nun trat Moses Pinkus heran. »Wie geht's, Herr Lauronat?« fragte er dienernd. »Wollen Sie nicht an unseren Tisch kommen? Der Itzig Löwenberg, mein Kompagnon – Sie kennen ihn. Und die anderen sind auch gute Freunde.«

»Du sprichst ja litauisch,« sagte Lauronat, »ich höre das lieber.«

»Wie du willst, Pawils, mir ist's gleich. Und wenn du lieber hier sitzen magst ...« Er winkte Löwenberg, da Lauronat keine Anstalt machte, sich zu erheben. Nach und nach nahmen auch die fremden Aufkäufer und Schlächter ihre Seidel in die Hand und traten an den Tisch. »Ich hab' dich vorhin mit deinen Braunen vorbeifahren sehen«, fuhr Pinkus, mit den Nasenflügeln zwinkernd, fort. »Tüchtige Traber, hübsche Tiere, anscheinend ganz gleich in der Farbe. Willst du verkaufen?«

»Nein,« antwortete Lauronat, »ich behalte sie noch ein Jahr, dann bekomme ich den doppelten Preis.«

»Es fragt sich doch, was ich dir heut' schon biete. Für Kutschpferde sind sie freilich zu klein. Aber vor einem leichten Wägelchen –«

»Gib dir keine Mühe, ich verkaufe nicht. Die beiden hab' ich selbst gezogen und will an ihnen noch eine Weile meine Freude haben. Übers Jahr frage wieder nach.«

Pinkus rückte auf der Bank näher. »Hast du schon Löwenbergs Stute gesehen?«

»Welche?«

»Die mit dem Stern. Ein Prachtpferd und gar nicht einmal teuer. Er hat sie in Wehlau auf dem Markt gekauft. Der Besitzer gab sie mit Tränen in den Augen fort. War aber in Not.«

»Reitpferd?«

»Reitpferd, Wagenpferd, was du willst! Das Füllen hättest du sehen sollen!« Er küßte seine Fingerspitzen. »Mit der Stute ist Gold zu verdienen, wenn sie an den richtigen Mann kommt. Das wär' was für dich!«

Lauronat hatte im Winter seine Zuchtstute verkaufen müssen und dachte längst an einen anderen Erwerb. Gleichwohl tat er so, als ginge ihn die Sache gar nichts an. »Ich bin nicht neugierig«, sagte er paffend.

»Du kannst doch aber einmal sehen,« meinte Löwenberg, »wir haben das Pferd hier im Stall.«

»Eine Puppe von Pferd«, rühmte Pinkus, »und doch kräftig. Ein Gangwerk –! Ah! Die Hufe tanzen nur so über den Boden hin. Und wie es den Kopf trägt! Ein Paradepferd, sag' ich dir. Erst fünfjährig!« Er gab Löwenberg einen Wink, der sich darauf entfernte. »Sehen kostet ja kein Geld. Wenn wir warten wollen, bis die Kunstreiter nach Königsberg kommen, machen wir ein großes Geschäft.«

»So wartet doch.«

»Es ist jammerschade, wenn so etwas für die Zucht verloren geht. Das erste Füllen bringt den Preis ein. Na – guck' dich einmal um.«

Er zeigte aus dem Fenster hinaus. Löwenberg führte auf dem Platze vor dem Kruge das Pferd umher. Es war wirklich ein schönes Tier. Alle standen auf und traten ans Fenster, zuletzt auch Lauronat. »Wir haben die Stute drei Tage lang hinter unserem Wagen gehabt,« sagte Pinkus, »nun sieh, ob du irgend etwas von Ermüdung anmerkst. Dabei füttert sie sich gut.«

Auch die Litauer hatten sich erhoben. Ein hübsches Pferd zu besichtigen, war jedem von ihnen ein Vergnügen. Einige gingen hinaus, andere folgten. Auch Lauronat widerstand nicht lange. Um Löwenberg, der den Halfterstrick hielt, bildete sich ein Kreis. Man strich dem Gaul über den Rücken, hob ihm die Beine auf, prüfte die Zähne. Der Händler führte ihn im Schritt und im Trabe vorüber, setzte sich auf und galoppierte auf der Landstraße hin und her. Dann von neuem Besichtigung in der Nähe. Der Schlächter fragte nach dem Preise.

»Tausendfünfhundert Mark«, sagte Pinkus, mit den Augen blinzelnd.

»Unsinn!« rief Lauronat.

»Löwenberg läßt vielleicht mit sich handeln. Aber du willst ja nicht kaufen.«

»Nein«, antwortete der Litauer. Seine Blickte blieben doch begehrlich auf dem Gaul haften. »Zu dem Preise rat' ich's auch keinem andren.«

»Wie hoch möchtest du den Wert schätzen?«

»Bah!« Lauronat trat wieder heran, legte die Hand auf, untersuchte die Fesseln und Hufe, öffnete das Maul. »Achthundert allenfalls. Das heißt –«

Die beiden Händler lachten hellauf. Lauronat blieb aber ganz ernst.

»Das heißt, für mich wär' auch das zu viel«, fuhr er fort. »Ich geb' nicht mehr als siebenhundert.«

Die Händler lachten noch unbändiger. »Das ist dein Spaß«, sagte Pinkus. »Willst du mit den beiden Braunen tauschen?«

Nun lachte der Litauer ebenso spöttisch, machte eine kurze Wendung und ging in das Haus zurück.

Auf der Landstraße hatte sich eine große Menge Menschen angesammelt, Männer und Weiber, wie sie nicht der zufällige Verkehr hier zusammengeführt haben konnte. »Was gibt's denn?« erkundigte er sich beim Krüger.

»Ach – in meinem großen Saal will heut' ein Baptisten-Missionär predigen«, gab derselbe Auskunft. »Er spricht litauisch, ist auch ein Litauer von Geburt und heißt Martin Paukstat. Er nennt sich aber Martin Keleiwis, als ob er mit dem Blatt zusammenhängt und von da geschickt ist. Nun zieht er hier durchs Land und hat viel Zulauf. Sie wissen aber noch nicht recht, ob er zu den wirklich Erleuchteten gehört. – Deine Decken übrigens hab' ich vom Wagen hereingebracht.« Er blinzelte dazu listig.

Das »Blatt«, auf welches der Krüger anspielte, war Lauronat, wie jedem Litauer wohl bekannt. »Keleiwis«, das heißt »der Wanderer«, kehrte in viele Häuser ein. Auch Erdenings und seine Frau erbauten sich regelmäßig daran, denn es brachte stets außer allerhand weltlichen Nachrichten eine Predigt.

»Willst du auch zuhören gehen?« fragte der Krüger.

»Vielleicht,« antwortete Lauronat, »weil ich doch einmal hier bin ...«

Er setzte sich wieder an den Tisch, an dem bald auch die Händler Platz nahmen. »Bring' Wein«, rief er dem Krüger zu, »von dem starken roten, und fünf Gläser dazu.«

»Eine Flasche?«

»Zwei!« Die Stute kam ihm nicht aus dem Sinn. Wirklich ein Prachtpferd! Er meinte, beim Wein werde das Gespräch schon nochmals darauf kommen und den Preis, auf dem die Juden ernstlich bestehen wollten, herausbringen. Hätte er nur Geld gehabt! Aber seine Taschen waren ganz leer. Er wußte, daß er nicht würde kaufen können, und doch reizte ihn der Handel.

Der Krüger brachte Portwein. Es war schlechter Rotspon, stark mit Spiritus versetzt und gezuckert. Das von einer Memeler Firma versandte Getränk entsprach dem Geschmack der Litauer, die einmal etwas draufgehen lassen wollten. Die Köpfe wurden denn auch bald heiß. Pinkus kommandierte noch eine dritte Flasche. Er wollte »auf das Geschäft« anstoßen. Bei jedem Glase war er um hundert, zuletzt um fünfzig Mark heruntergegangen, endlich auf neunhundert stehengeblieben. Löwenberg verschwor sich, er verdiene so schon keinen Pfennig und bedenke nur die Kundschaft in Zukunft. Lauronat zögerte noch.

»Wenn du einen Wechsel nehmen willst –«, warf er so hin. »Ich bin nicht bei Kasse.«

»Was tun wir mit einem Wechsel?« antwortete Pinkus achselzuckend. »Wir fahren im Lande herum, sind bald hier, bald dort und brauchen für unseren Handel bar Geld. Verkauf' uns die Braunen.«

»Nein! Davon sprich nicht.«

»So leih' das Geld hier in der Nähe, wo du Kredit hast.«

»Wer soll mir's leihen?«

»Für tausend Mark bist du doch gut. Sprich mit dem alten Nathan Hirsch in Szibullen, dem weisen Nathan – der hat immer Geld.«

»Ja –«, sagte Lauronat, »der Jude!« Er gab dem Wort einen ganz eigenen Ton und schnitt dazu noch eine Grimasse.

Daß Pinkus und Löwenberg selbst Juden seien, schien dem Litauer in diesem Augenblick ganz zu entgehen. Sie waren ja freilich Pferdehändler, das hob sie aus jedem Vergleich heraus.

Im großen Saal über der Krugstube und dem Laden wurden jetzt geistliche Lieder gesungen. Die Stimme eines Vorsängers drang mitunter durch, mehr um den schwankend gewordenen Takt, als die Melodie sicherzustellen. Meist hielten die Sänger und Sängerinnen trotz der fehlenden Orgel gut zusammen und schienen nicht müde werden zu können, die Verse fast endlos zu wiederholen. Nachdem das so eine gute halbe Stunde fortgegangen war, entstand plötzliche Stille. Es wurde ein leises Gebet gesprochen. Und dann redete jemand laut und nachdrücklich. Bruchstücke von Worten und Sätzen tönten durch die offenen Saalfenster auf die Straße hinaus, auch in der Krugstube vernehmbar. Lauronat erhob sich nach einer Weile und ging hinauf. Er blieb nicht bis zum Schluß und sagte lachend zu den Pferdehändlern, die er beim Kartenspiel in der Krugstube antraf: »Geht nicht vors Haus, wenn die herunterkommen. Es ist von den Juden nicht gut gesprochen.«

Pinkus pfiff durch die Zähne. »F –t! Sie werden nicht dumm sein. Wer kauft ihnen ihre Pferde ab, wenn sie uns totschlagen?«

»Es ist doch nicht zu spaßen«, meinte Löwenberg. »Wenn man die Zeitungen liest – überall wird gegen die Juden gehetzt. Ich hab' neulich ein Bild gesehen, da sitzen drei richtige Mauschels auf einem Pfluge, den Geldbeutel in der Hand, und der Bauer und sein Weib sind vorgespannt. Wenn so etwas böses Blut macht, man kann sich nicht wundern. Jetzt fängt's hier auch schon an. Nun – du hast dich besonnen wegen der Stute?«

Lauronat schüttelte den Kopf. »Morgen vielleicht.«

Er ließ sich den Becher mit den Würfeln vom Ofenrand reichen und bestellte Branntwein. »Ich will mein Glück versuchen!« Das Glück kam aber nicht. Er verlor und wurde eifriger und verlor noch mehr. Sie spielten bis in die Nacht hinein. Der Litauer lieh Geld vom Krüger und blieb Pinkus doch noch eine Summe schuldig. »Es ist nicht mit rechten Dingen zugegangen«, sagte er halb im Scherz und halb im Ernst. Die Nacht schlief er in der Einfahrt auf dem Wagen.


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