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Vierter Aufzug

Dieselbe Dekoration wie im ersten und zweiten Aufzug. Es ist Morgen.

Erster Auftritt

Busch. Dr. Rathgeber. Schnepf.

Dr. Rathgeber. Aber ich bitte Sie, Herr Badekommissarius, wir sind ja alte Freunde.

Schnepf. Und verschwiegen, wie die Gräber.

Busch (sich ihrer erwehrend). Meine Herren, meine Herren –! Diplomatisches Geheimnis.

Dr. Rathgeber. Wir wissen ja doch die Hälfte schon.

Schnepf. Ich nehm's auf meinen Amtseid.

Busch. Nein unmöglich! Quälen Sie mich nicht. Vermuten Sie, was Sie wollen, aber verlangen Sie von mir nicht die Bestätigung. Es kann so sein – – und es kann so sein, meine Zunge ist unter Schloß und Riegel –.

Dr. Rathgeber. Nachdem wir gestern das Hoch ausgebracht haben, gehen wir zu Tisch und denken, Sie werden mit dem Fürsten –

Busch. S –st!

Dr. Rathgeber. Mit Ihm nachkommen. Weit gefehlt. Der Signora wird ein Billet überbracht; sie liest es und wird kreidebleich. Nach dem dritten Gange steht sie auf und verläßt den Saal. Man bemerkt auf ihrem Zimmer Licht bis ein Uhr. Offenbar erwartet sie den – (verschluckt sich) Ihn, aber er kommt nicht. Es heißt, er habe mit dem Herrn Badekommissarius Kieferthal verlassen. Das geben Sie als richtig zu, auch daß Sie in der Nacht allein zurückgekehrt sind. Wo Er aber geblieben ist –

Busch. Diplomatisches Geheimnis.

Schnepf. Es ist, als ob Einem im Bureau ein Aktenstück verschwunden wäre: man hat keine Ruhe, bis es gefunden worden.

Busch. Machen Sie sich keine Gedanken, meine Herren; ich darf versichern, daß der hohe Gast vortrefflich gegessen und noch besser getrunken – wahrscheinlich auch eben so gut geschlafen hat und sich wohlbehalten in der Nähe befindet. Ob er noch einmal hierher zurückkehren wird, ob wir die Freude haben sollen, ihm offiziell in Sulzingen aufzuwarten – (zuckt die Achseln, sehr wichtig) ja, sehen Sie, das weiß ich selbst nicht.

Dr. Rathgeber (enttäuscht und ärgerlich). Mein Himmel! Wie Sie wollen. Man wird ja zeitig genug erfahren, daß die Geschichte nicht des Aufhebens wert war. Ich mache den Rundgang bei meinen Patienten. Guten Morgen. (Ab.)

Busch (ganz ruhig). Guten Morgen, Herr Doktor.

Schnepf (jetzt ihn vertraulich unter den Arm). Wir sind allein, bester Busch, und ganz unter uns. Nun werden Sie sich doch nicht weigern –

Busch. Aber ich bitte Sie, Verehrtester, es ist gegen Pflicht und Gewissen.

Schnepf. Sie interessieren sich für meine Tochter Bertha. Busch. Freilich – freilich – ! Und ich hoffe, bald in der Lage zu sein, wagen zu dürfen –

Schnepf. Hoffen Sie – wagen Sie! Was mich anbetrifft, ich verliere kein Wort. Meine Frau ist Ihnen geneigt.

Busch. Sie beglücken mich durch Ihr Vertrauen.

Schnepf. Gut denn: Vertrauen gegen Vertrauen, lieber Busch.

Busch. Ah so –!

Schnepf. Ich habe gestern – auf Anraten meiner Frau – eine Unterredung gehabt, die mich ganz perplex gemacht hat. Eine sehr unruhige, schlaflose Nacht ist die Folge davon gewesen. Ich brauche durchaus etwas zur Erfrischung, und da es nun gleichsam in der Verwandtschaft bleibt – hm – hm –!

Busch. So zu sagen. – Hören Sie denn: der Fürst – so zu sagen, der Fürst – ist in Wolfshagen.

Schnepf. Ah!

Busch. Wohin Herr von Schwalbe geeilt war, um sein Schäfchen möglichst schnell ins Trockne zu bringen. Sie verstehen mich.

Schnepf. Dacht' ich's doch!

Busch. Der hat sich nun die erstaunlichste Mühe gegeben, den hohen Herrn zu vermögen, sein Inkognito fallen zu lassen.

Schnepf. Vergebens?

Busch. Vergebens trotz exquisitem Rheinwein und Champagner. Er will im Gegenteil von seiner Fürstlichkeit durchaus nichts wissen.

Schnepf. Um sich im Stillen noch gründlicher über die Verhältnisse zu informieren.

Busch. Wahrscheinlich. Es blieb also nichts übrig, als einen Expressen nach Sulzingen zu schicken und die verwitwete Fürstin, seine Quasi-Tante, zur Rekognition einzuladen. Sie hat ihn vor Jahren einmal gesehen.

Schnepf. Ah! Sehr fein.

Busch. Die Kunst war nun, ihn bis zu ihrem Eintreffen in Wolfshagen zurückzuhalten. Es scheint gelungen zu sein.

Schnepf. Und Sie?

Busch. Ich erhielt ganz im Geheimen eine weitere Mission –

Schnepf. Sagen Sie doch –?

Busch. Aber Sie schwören –

Schnepf. Bertha ist Ihnen sicher.

Busch. Es gilt, die Sängerin auf irgend eine Weise, gut oder übel, fortzuschaffen, um ihn diesem offenbar verderblichen Einfluß zu entziehen.

Schnepf. Ah – ah! Eine mißliche Sache.

Busch. Bedenken Sie, man rechnet auf die Verbindung mit Prinzessin Amalie. Der Skandal muß, so zu sagen, lokalisiert werden.

Schnepf. Welche Aufregung! (Bei Seite.) Clotilde wird außer sich geraten, wenn sie das erfährt. (Laut.) Wünsche Glück.

Busch. Aber Verschwiegenheit! Und wegen Fräulein Bertha-?

Schnepf (kühl). Gelegentlich, lieber Busch. Ich muß fort. Mein Himmel, man versäumt ja über diesen Neuigkeiten ganz den Brunnen. Auf Wiedersehen! (Ab.)

Busch. Macht der alte Fuchs schon Hakenschläge? Warte!

Zweiter Auftritt

Busch. Kurt (aus dem Hause).

Kurt (aufgeregt). Mein Herr –!

Busch. Sie wünschen?

Kurt. Man sagt mir, daß Sie in Kieferthal neben dem Amt eines Badekommissarius auch das eines Polizeiverwalters exekutieren.

Busch. Sehr richtig.

Kurt. In dieser letzteren Eigenschaft wünsche ich Sie zu sprechen. Erlauben Sie, daß ich mich selbst vorstelle: Kurt von Hageln.

Busch. Sehr verbunden.

Kurt. Lassen Sie sich erzählen, was mir begegnet ist. Ich befinde mich seit mehreren Monaten auf Reisen mit meiner Schwester und deren Mann, einem Herrn von Schmettwitz auf Schmettwitz.

Busch. Schmettwitz?

Kurt. Wie ich sage. In Bodenbach benutzen wir einen mehrstündigen Bahnaufenthalt, um in die Berge hinaufzusteigen. Ich gehe einem, übrigens nichtsnutzigen, Echo nach und lasse den Schwager und meine Schwester auf der Schillerplatte zurück. Als ich nach einer Viertelstunde wieder dorthin komme, sind Beide spurlos verschwunden.

Busch. Wahrscheinlich nach Bodenbach hinabgestiegen.

Kurt. Das denke ich anfangs auch. Aber ich suche sie dort – suche sie bald überall vergebens. Sie sind wie in die Erde gesunken.

Busch. Sehr merkwürdig.

Kurt. Nicht wahr? Endlich erfahre ich gestern hier vom Kellner, daß sich ein Herr von Schmettwitz in Kieferthal aufhält.

Busch. Ganz recht.

Kurt. Aber ohne Frau und mit der Beschreibung nicht übereinstimmend. Ich lasse mir heute früh vom Kellner die Karte zeigen, die er abgegeben hat – es ist die Karte meines Schwagers.

Busch. Ah!

Kurt. Ich statte ihm der Sicherheit wegen meine Visite ab, finde ihn aber nicht mehr auf seinem Zimmer. Auf dem Tische neben seinem Bette liegt die Brieftasche meines Schwagers und dessen kleine Geldbörse –

Busch. Was Sie sagen!

Kurt. Der Kellner bezeichnet mir vom Fenster aus einen Herrn, der eben das Haus verläßt, und ich erinnere mich nun, daß ich denselben Herrn auf der Schillerplatte getroffen habe, als ich von den Rabensteinen zurückkam. Er entfernte sich damals eilig.

Busch. Gleichsam vom Orte der Tat.

Kurt. Sie meinen also?

Busch. Herr du meines Lebens, es liegt ja, so zu sagen, auf der Hand. Spurloses Verschwinden – Besitz von Gegenständen der Vermißten – Betreffen am Ort der Tat – mir stehen die Haare zu Berge!

Kurt. Es wäre doch aber möglich –

Busch. Möglich – möglich! Die Polizei läßt sich auf Möglichkeiten gar nicht ein, wo sie solche Beweise hat. Und da fällt mir ein, daß schon Seine Durchlaucht warnte, der Mensch gebe sich einen falschen Namen.

Kurt. Jawohl, er nennt sich Schmettwitz.

Busch. Wie sein Opfer. Die Sache ist klar, sonnenklar!

Kurt. Sie erschrecken mich. Ich will doch nicht furchten –

Busch. Lieber Herr, das weiß die Polizei besser. Auf so etwas verstehen wir uns. – Mein Kopf – wo habe ich denn meinen Kopf? Ach! Sie ahnen gar nicht, was darin rumort. Der Fürst und die Sängerin und nun noch diese Geschichte –! Hu!

Kurt. Ich bitte, behandeln Sie den Fall vorsichtig. Es könnte doch sein –

Busch. Vorsichtig! Lieber Herr, das brauchen Sie mir nicht ans Herz zu legen. Er soll uns nicht durchbrennen! Vorsichtig und fein, das ist die Hauptsache – ganz fein. Wir werden im Geheimen unsere Maßregeln treffen, beobachten, aufpassen. Lassen Sie sich's einmal vom Herrn Geheimrath Schnepf erzählen, wie ich im vorigen Jahre den Zunderfried eingefangen habe, der sechs Häuser in Brand gesteckt hatte – fein! Sag' ich Ihnen. Hinterher ist der Kerl leider von den Geschworenen freigesprochen. – Sie bleiben doch hier?

Kurt. Jawohl.

Busch. Gut! Halten Sie sich möglichst verborgen; ich rufe Sie, wenn die Schlinge zugezogen ist. Geschäfte über Geschäfte. Nicht einmal das bißchen Bad gönnen uns die verdammten Spitzbuben. (Ab.)

Kurt. Wenn man den hört, kann Einem ganz graulich werden. Ich hoffe noch, es klärt sich gut auf. Jedenfalls muß er doch Auskunft geben, wie er in den Besitz der Brieftasche gekommen ist. Vielleicht war's übereilt, gleich die Polizei – Seh' ich recht? Mein Echo vom Andreasberge.

Dritter Auftritt

Kurt. Bertha (von der Promenade her, geht an den Brunnen und schöpft Wasser).

Bertha (abgewendet). Da ist er wahrhaftig wieder zurück. Nun, zum zweiten Male spediere ich ihn nicht zur Post, darauf kann er sich verlassen.

Kurt. Sie sieht gar nicht her; ich wette darauf, daß sie mich vorhin bemerkt hat.

Bertha. Ob er doch wieder anbinden wird?

Kurt (ganz leise). Hoi – a –ho!

Bertha. Aha! Das gilt mir. Du kannst lange warten.

Kurt. Hoia – ho – oh!

Bertha. Ein furchtbar komischer Mensch. (Sie tut so, als ob sie Wasser schöpft und ruft in den Brunnen hinein:) Schmettwitz!

Kurt. Nun ist's sicher. (Geht näher.) Mein Fräulein –

Bertha (anscheinend sehr verwundert). Mein Herr – ?

Kurt. Haben Sie Schmettwitz gerufen?

Bertha. Bewahre!

Kurt. Aber ich hörte doch –

Bertha. Das muß aus dem Brunnen gekommen sein. Wahrscheinlich der Brunnengeist des Dr. Rathgeber.

Kurt. Ein merkwürdiger Brunnengeist. Hm –! Sie kennen mich doch noch?

Bertha. Noch? Mein Gedächtnis ist entsetzlich kurz – ich glaube noch kürzer als das Ihrige.

Kurt. Und haben doch nicht vergessen, daß ich mich einer kleinen Vergeßlichkeit gegen sie schuldig machte. Ist dafür denn gar nicht Absolution zu erlangen, Fräulein Bertha?

Bertha. Wo haben Sie den Namen gefunden, nachdem Sie ihn verloren hatten?

Kurt. Am Andreasberge. Als die Postkutsche vorüberkeuchte, bog ich mich aus dem Fenster und schickte ein sehnsüchtiges Hoiho in die Fichten –

Bertha. Es kam aber keine Antwort.

Kurt. Doch! Ganz leise und wie aus weiter Ferne klang mir's zurück: Bertha.

Bertha. Ach, wenn Sie sich da nicht verhört haben – !

Kurt. Fragen Sie den Postillon.

Bertha. Ich werde mich hüten. – Was führt Sie denn eigentlich wieder nach Kieferthal?

Kurt. Offen gestanden: das Echo, das mir gar nicht mehr aus dem Sinn kommt. Es ist mir recht sonderbar gegangen, mein Fräulein. Von der Schillerplatte über Bodenbach steige ich zu den Rabensteinen auf, um ein berühmtes Echo zu suchen, und verliere dabei meinen Schwager Schmettwitz und seine Frau, meine Schwester. Um sie zu suchen, komme ich nach Kieferthal und finde statt ihrer am Andreasberge ein wunderbares Echo. Wie ich es haschen will, verpasse ich es; entdecke dafür eine junge Dame, die von nichts wissen will, und verliere dabei mein Herz. Wie ich nun wieder zurückkomme, um mein Herz zu suchen, höre ich, daß Schmettwitz doch hier ist. Wie ich ihm meine Visite mache, ist's ein ganz Anderer unter sehr verdächtigen Umständen, und wie ich endlich deshalb den Polizeiverwalter Busch aufsuche, finde ich – Sie. Sind das nicht sonderbare Schicksale?

Bertha. Kein Mensch kann Sie zusammenreimen.

Kurt. Nicht wahr? Das einzig sichere Resultat bei alledem ist, daß ich Sie gefunden habe. Sehr fraglich bleibt dagegen, ob ich auch mein Herz und meinen Schwager Schmettwitz wiederfinde, und wenn –? In welcher Beschaffenheit.

Bertha. Da soll ich Ihnen wohl gar suchen helfen?

Kurt. Ach! Das wäre sehr liebenswürdig. Wegen meines Schwagers Schmettwitz möchte ich Sie schon nicht bemühen, aber mein Herz –

Bertha. Das müssen wir dem diebischen Echo wieder abjagen.

Kurt. Viel einfacher scheint's, wenn wir das Echo selbst einfangen. Wissen Sie denn gar nicht, wo es geblieben ist?

Bertha. Was wollen Sie denn damit anfangen, wenn Sie's eingefangen hätten?

Kurt. Gar nicht mehr loslassen wollt ich's, bis es sich in ein reizendes Mädchen verwandelt hätte, das mir sein Herz schenkte für das meinige.

Bertha. Davon weiß die griechische Mythologie nichts.

Kurt (fast rasch ihre Hand). Halt! Ich hab's.

Bertha. Ach, Sie erschrecken mich.

Kurt. Gestehen Sie!

Bertha. Ich bin unschuldig.

Kurt. Sie würden mir aber einen rechten Gefallen tun, wenn Sie sich schuldig bekennen wollten.

Bertha. Daß Sie ein paar Schritte weiter ein Echo entdecken, das Ihnen besser gefällt, und mich am Andreasberge sitzen lassen! Nein, ich bin verstockt.

Kurt (drückt ihre Hand). Bertha –!

Bertha. Lassen Sie mich los! Ich habe gar keine Luft, immer zu antworten, wie Sie rufen.

Kurt. Aber nur einmal!

Vierter Auftritt

Die Vorigen. Frau Schnepf und Rosette von der Promenade.

Frau Schnepf. Bertha –!

Rosette. Fräulein –!

Bertha. Ach –! Die Mama.

Frau Schnepf. Ich bin verwundert, dich hier mit einem fremden Herrn

Bertha. Ich – ich – (schnell) ich soll ja doch Brunnen trinken, Mama.

Frau Schnepf. Mein Herr –!

Kurt (sehr verwirrt und verlegen). Gnädige Frau – ich wollte mich nur erkundigen – – (entschlossen) ich wollte nur Ihren Herrn Gemahl sprechen.

Frau Schnepf (verwundert). Meinen Mann? Darf ich vielleicht wissen –?

Kurt. Sehr wichtige Mitteilungen. (Bei Seite zu Bertha.) Verleugnen Sie mich nicht.

Frau Schnepf. Schnepf sitzt auf dem Balkon und studiert die Sulzinger Nachrichten; stelle also anheim, ihn dort aufzusuchen.

Kurt. Besten Dank! (Verbeugt sich und geht ab nach links.)

Bertha. Rechts – rechts!

Kurt (ändert die Richtung). Jawohl! (Ab.)

Frau Schnepf. Was ist der Herr eigentlich, Bertha?

Bertha. Was er ist? Ein sehr komischer Mensch, Mama; sonst weiß ich's wirklich nicht.

Rosette. Unsere Lehren scheinen auf unfruchtbaren Boden gefallen zu sein, mein Fräulein.

Bertha. Aber ich kann ja nicht dafür –

Rosette. Ich lege wenig Ehre ein mit meiner Pensionatsschülerin. Einem wildfremden Mann auf der Promenade –

Bertha. O, ich weiß, wie er heißt.

Frau Schnepf. Das ist das Wenigste. Was ist er – was hat er? Darauf kommt es an.

Rosette (seufzt). Wie schwer ist die Erziehung zur Tugend!

Frau Schnepf. Du bleibst jetzt bei uns, Bertha, und rührst dich nicht von unserer Seite. Hat jemand reelle Absichten, so wird er dich auch da zu finden wissen.

Bertha (schmollend). Ihr schickt mich ja selbst immer fort, wenn ihr euch etwas zu erzählen habt.

Frau Schnepf. Das ist etwas andres. Du hast nicht immer die Ohren zu spitzen.

Rosette (nach dem Hause sehend). Die Sängerin! Sehr schwermütig, wie es scheint. Ja, ja – es hat sich manches verändert seit gestern. Meine Ermahnungen haben doch Erfolg gehabt.

Fünfter Auftritt

Die Vorigen. Ella aus dem Hause.

Ella (sehr unruhig). Er kommt noch immer nicht. Ohne Abschied fortgehen – nach jenem heimlichen Gespräch mit einer Dame – die ganze Nacht wegbleiben – mich in Angst und Sorge zurücklassen – es ist herzlos! Ich soll's recht empfinden, daß ich einmal meinen Willen durchgesetzt habe. – Wenn ihm nur nichts Widerwärtiges begegnet ist? Und wie sie mich alle ansehen, halb mitleidig, halb schadenfroh! Wären wir nur erst fort. – Guten Morgen, meine Damen.

Frau Schnepf und Rosette (sehr reserviert). Guten Morgen.

Bertha (tritt zu Ella und reicht ihr die Hand). Sie sehen so besorgt aus, Signora.

Ella. Ich bin's. Ach, ich habe eine schlaflose Nacht gehabt.

Bertha. O – oh! Ich bedaure. Die gestrige Anstrengung wahrscheinlich.

Rosette (zu Frau Schnepf). Wollen Sie nicht das Kind –?

Frau Schnepf (streng). Bertha!

Bertha. Mama –? (Zu Ella.) Ich würde Ihnen gern Gesellschaft leisten, aber sie halten mich wie am Bindfaden.

Frau Schnepf. Wir wollen gehen. (Zieht Bertha hinüber.)

Rosette (spitzig). Wann gedenken Sie abzureisen, Signora?

Ella. Sobald mein Mann zurückkommt; je eher, je lieber.

Rosette (lächelnd). Ihr Mann? – Hm – darauf werden Sie am Ende lange warten können.

Ella. Wie? Sie wissen?

Rosette. Ich vermute, daß er den männlichen Entschluß gefaßt hat, sich dem entnervenden Einfluß eines unlauteren Umganges zu entziehen, um fortan ganz seinen höhern Pflichten zu leben. Ich darf stolz sein, diesen Gedanken in seine große Seele geworfen zu haben.

Ella. Ich verstehe Sie nicht! Von wem sprechen Sie denn?

Rosette. Von dem Manne, der in der Finsternis irrte und zum Licht erweckt ist. Eilen Sie fort, damit kein Schatten auf seinen Weg falle.

Ella. Ich? Welche Zumutung?

Rosette. Und wenn Sie dem Himmel eine Seele retten wollen, klopfen Sie reuig an ein Kloster, Signora. (Ab.)

Frau Schnepf. Hätte ich das geahnt, meinem Mann wäre eine Demütigung erspart worden. – Komm, Bertha! (Ab mit Bertha.)

Rosette (sich zurückwendend). An ein Nonnenkloster!

Ella. Hängt das mit den Tollheiten des alten Schnepf zusammen? Man könnte in dieser Gesellschaft den Verstand einbüßen, wenn man sie längere Zeit leiden müsste. Oder wissen sie wirklich etwas von meinem Mann, was sich mir verbirgt? Ich zittre vor jedem Wort.

Sechster Auftritt

Ella. Busch

Busch. Signora – !

Ella. Der macht wieder ein höchst verfängliches Gesicht. Mein Herr? Busch. Ist es Ihnen genehm, mir für einige Minuten Gehör zu schenken?

Ella (ängstlich). Was soll ich erfahren?

Busch. So schwer es mir wird, einer so schönen und liebenswürdigen jungen Dame –

Ella. Zur Sache, mein Herr!

Busch. Eine unangenehme Nachricht zu bringen –

Ella. Eine unangenehme Nachricht? Mein Himmel – ! Etwa von Arthur?

Busch. So zu sagen. Sie belieben, ihn so zu nennen, und er mag Gründe gehabt haben, sich so nennen zu lassen. Jedenfalls werden Sie begreifen, daß ich mir eine gleich vertrauliche Bezeichnung nicht gestatten darf.

Ella (ärgerlich). Was soll's?

Busch. Mit einem Wort, meine Gnädigste, Sie müssen in einer Stunde diesen Ort verlassen.

Ella. Wie? Ohne meinen Mann?

Busch. So zu sagen. Obgleich es besser wäre, wenn Sie mir gegenüber ein Spiel aufgeben möchten, das ja doch nicht länger haltbar ist.

Ella. Ein Spiel? (Verlegen.) Allerdings – wir sind nicht, wofür wir uns in einer übermütigen Laune ausgegeben haben.

Busch. Es freut mich, daß Sie mir mit Aufrichtigkeit entgegenkommen.

Ella. Aber das ist doch kein Grund, mich mit einer Nichtachtung zu behandeln, die nicht einmal erklärlich wäre, wenn Sie unser Spiel für Ernst nähmen. Ich finde es mindestens sehr unhöflich, daß Sie die Zeit meiner Abreise bestimmen wollen.

Busch (zuckt die Achseln). Ich bin Badekommissarius und Polizeiverwalter, meine Gnädigste, habe Pflichten – und kurz: Sie sind ohne jede Legitimation, gestehen selbst, sich einen unrichtigen Namen und Charakter beigelegt zu haben. – Es ist wirklich die gelindeste Maßregel, wenn wir Sie ersuchen, abzureisen.

Ella. Dieses Ersuchen kommt einer Ausweisung gleich; ich bin keine Landstreicherin, mein Herr!

Busch. Vielleicht würde es Ihnen schwer werden, die Mittel zu Ihrem Unterhalt nachzuweisen; aber ich nehme so viel Rücksicht, nicht danach zu fragen. Noch mehr: ich stelle Ihnen einen entsprechenden Teil der Badekasse zur Disposition, wenn Sie etwa wegen des Reisegeldes in Verlegenheit sein sollten. Mehr kann ich nicht tun.

Ella. Mein Herr, Sie werden mich nicht ungestraft beleidigen dürfen.

Busch (achselzuckend). Die Dinge haben sich seit gestern sehr verändert: der Fürst ist in sichern Händen.

Ella. Was geht mich der Fürst an?

Busch. Ich wünschte, nichts. Und deshalb eben – in einer Stunde, wenn ich bitten darf.

Ella. Es muß durchaus ein Irrtum obwalten.

Busch. Auf Ihrer Seite, wie es scheint. Es ist allerdings, so zu sagen, verzeihlich, daß Sie den Umschwung der Verhältnisse nicht begreifen wollen. (Im Protektorton.) Ich hoffe, daß für Sie auskömmlich gesorgt werden wird.

Ella. Statt aller weiteren Verhandlungen dies: ich werde mich nur mit meinem Manne von hier entfernen.

Busch. Diese Zähigkeit im Festhalten ist hier nicht gut angebracht, meine Gnädigste. Es sollte mir aufrichtig Leid tun, Gewalt brauchen zu müssen.

Ella (mit Tränen kämpfend). Gewalt? Gegen eine Dame?

Busch. Die Polizei kennt leider keine Damen.

Ella. Ist man denn hier außerhalb der zivilisierten Welt?

Busch. So zu sagen. Wir haben hier zum Glück noch Naturzustände, um die man uns beneiden kann. Also eine halbe Stunde Bedenkzeit, meine Gnädigste, und ich frage wieder nach, ob Sie sich besonnen haben. Empfehle mich so lange.

Siebenter Auftritt

Die Vorigen. Dr. Rathgeber.

Dr. Rathgeber (sehr eilig). Hat man den Spitzbuben schon?

Busch. Noch nicht. Aber die Netze sind gestellt, er kann nicht hinaus. Verschwiegenheit! (Ab.)

Ella. Was ist geschehen?

Dr. Rathgeber. Ach, mein Gott, eine wunderliche Geschichte. Es ist Jemand spurlos verschwunden.

Ella. Wer?

Dr. Rathgeber (immer sehr flüchtig). Ein Herr von Schmettwitz.

Ella (erschreckt). Schmettwitz?

Dr. Rathgeber. Spurlos verschwunden – wird gesucht.

Ella. Mein Mann?

Dr. Rathgeber. Ich sage ja, ein Herr von –

Ella. Der Herr, der unter diesem Namen seit einigen Tagen hier im Bade?

Dr. Rathgeber. Gott bewahre! Das ist der Falsche.

Ella. Ganz richtig. So sprechen Sie doch –!

Dr. Rathgeber. Polizeiliches Geheimnis – darf nicht. Adieu! Muß zu meinen Patienten. (Eilig ab.)

Ella. Aber bester Doktor –! Er hört nicht. (Wankt nach der Laube und sinkt auf die Bank.) Alles flieht mich, verläßt mich. Was anfangen? Wenn Arthur wirklich etwas begegnet wäre! Aber man kennt ja seinen Namen nicht. Wohin in dieser Bedrängnis? Eine Frau allein! Und kein Freund in der Not? (Egon bemerkend.) Ach! Der unzuverlässigste von allen.

Achter Auftritt

Ella. Egon.

Egon. Treffe ich Sie endlich hier, Signora carissima? Vergebens promeniert, im Saal gewartet, auf Ihrem Zimmer nachgefragt. Fürchtete schon, daß ein ernstes Unwohlsein – und ich finde Sie wirklich etwas bleich und abgespannt, wie nach einer schlecht verbrachten Nacht. Wissen Sie auch, daß Sie uns gestern das ganze Vergnügen gestört haben? Man aß ja nur Ihretwegen in großer Gesellschaft, und die Wirtin vom goldenen Tannzapfen hatte wirklich übermenschliche Anstrengungen gemacht.

Ella. Ich bedaure; aber Sie erfuhren ja, daß mein Mann –

Egon (lachend). Ihr Mann! Ha, ha, ha! Dem scheint's zu einsam in Kieferthal geworden zu sein – er reißt aus.

Ella. Scherzen Sie nicht: ich bin in großer Sorge um ihn.

Egon. Aber ich bitte Sie! Er wird Ihnen morgen oder übermorgen schreiben, daß er vorausgereist sei, um irgend eine andere Wasserheilquelle auf ihren Goldgehalt zu untersuchen, ein Engagement zu vermitteln und dergleichen: er wird Sie bitten, sich acht bis vierzehn Tage bestens zu trösten –

Ella (entsetzt). Acht bis vierzehn Tage? (Ruhiger.) Ach, ich vergesse, daß Sie Vermutungen aufstellen, die sich von selbst widerlegen.

Egon. Sollte er nicht so rücksichtsvoll sein? Nun, er weiß Sie ja jedenfalls im Schutz eines Freundes, der sich glücklich schätzen würde, seine Stelle vertreten zu können. (Setzt sich zu ihr).

Ella. Wenn ich diesem Freunde vertrauen dürfte – !

Egon (ergreift ihre Hand). Gebieten Sie über mich!

Ella (macht sich los). Mein Herr –! – Sie wissen nicht, was mich bedroht. Ich befinde mich in der unglücklichsten Lage.

Egon. Um so besser. Ich bin ganz der Mann, unglücklichen jungen Damen Ritterdienste zu leisten.

Ella. Man benutzt die Abwesenheit meines Mannes, um mich aufs Empfindlichste zu kränken. Ich weiß nicht, wofür man mich hält, oder sich den Anschein gibt, mich zu halten, aber man treibt die Unverschämtheit so weit, mir –ich möchte weinen vor Ärger und Scham – einen Ausweisungsbefehl zugehen zu lassen.

Egon. In der Tat stark! Wer ist dieser ridicule Sicherheitskommissarius?

Ella. Der Polizeiverwalter Busch.

Egon. Ein konfiszierter Kerl mit einem wahren Galgengesicht.

Ella. In einer Stunde soll ich fort – er droht mit Gewalt, wenn ich nicht gutwillig gehe. Und mein Mann läßt mich im Stich – (In ihr Tuch weinend.) Ach! Ich bin hart bestraft für meinen Leichtsinn.

Egon (bei Seite). Ob diese Tränen naß sind? (Laut.) Aber um Himmels willen! Weinen Sie doch nur nicht. Jeder Tropfen aus den schönen Augen ist ja sündhaft verschleudert. Ich will mit dem Nimrod von Kieferthal ein Wörtchen reden, und Sie sollen sehen, daß er bald zahm sein wird wie die hiesige Quelle.

Ella. Ach! Glauben Sie das nicht – es ist fürchterlicher Ernst.

Egon. Lehren Sie mich diese Sorte Menschen kennen, Signora! Sie hält die Hand auf.

Ella. Ich bitte Sie, mein Herr, nennen Sie mich nicht länger Signora. Ich kann das Wort nicht ohne die schmerzlichsten Empfindungen hören, und namentlich in Ihrem Munde hat es einen Klang – als ob Sie sich über mich lustig machten – – oder noch Schlimmeres.

Egon (überrascht bei Seite). Was ist das?

Ella. Ich bin nie Sängerin gewesen, werde nie ein zweites Konzert geben – nie! Eine bloße Laune – nein, das war's doch nicht. Ein wunderlicher Zug aus dem Regelrechten ins Ungewöhnliche, aus dem Verkünstelten in die Freiheit der Natur, aus dem Konventionellen ins Abenteuerliche – wie soll ich's nennen? Haben Sie einmal etwas empfunden von jener leidenschaftlich wehmütigen Sehnsucht in die blaue Ferne, daß Sie hätten aus dem Wagen springen, allen Ihren lästigen Besitz fortwerfen und wegelos fortstürmen mögen ins Ungewisse hinein? Das war's!

Egon (bei Seite). Sie ist reizender, als je.

Ella. Eine Frau freilich soll dergleichen Sturm- und Dranggedanken in sich gar nicht aufkommen lassen – sie rächen sich an ihr selbst. Aber wenn man jung ist und in der Pension klösterlich erzogen und plötzlich in die große weite Welt hinausgeführt und doch wieder in Schranken gebannt, die nun erst recht unleidlich scheinen – ich will nicht entschuldigen; aber erklären läßt sich's doch, wenn so eine blaue Sehnsucht auch einmal übermächtig wird und in die Tat umgesetzt sein will, was auch daraus folge.

Egon. Wenn Sie ahnten, wie Sie in meiner Verehrung wachsen durch das Bekenntnis, daß Sie die Stimme der Natur in sich stärker fühlten, als die gesellschaftliche Regel, die das Weib zur Sklavin jämmerlicher Rücksichten macht. Warum sollte das Weib nicht frei seinen Neigungen folgen dürfen wie der Mann? Dieser Trieb ins Weite, ins Ferne, ins Regellose, in die Freiheit – er befreit uns von dem Druck der Alltäglichkeit, er führt uns an die Tafel des Genusses, er –

Ella. O schweigen Sie! Sie zeigen mir nur, wie weit ich mich schon verirrte. Nein, nicht weiter! Sie überschätzen meinen Mut und meine Kraft. Oder vielleicht – – Sie wissen nicht, wer ich bin. Ich will's Ihnen sagen – zu meiner eigenen Beruhigung. Ich habe in Ihrer Hand eine Brieftasche gesehen.

Egon (bei Seite). Was soll das?

Ella. Sie haben sie unweit Bodenbach gefunden – da, wo man zur Platte aufsteigt.

Egon. Ja, ja – wie wissen Sie?

Ella. Vielleicht war auch eine kleine Geldbörse dabei.

Egon (mehr und mehr überrascht). Freilich. Sollten Sie –?

Ella. Mein Mann warf diese Gegenstände fort, um meinen törichten Wünschen entgegenzukommen, einmal die Welt seitwärts der großen Heerstraße zu sehen.

Egon. Sie sind – Frau von Schmettwitz – ? Und ich – welche bedeutungsvolle Schicksalsfügung! Auch mich wandelte die Lust an, vor dem Eintritt in eine sehr verantwortliche Stellung noch einmal mich in voller Freiheit und Selbstbestimmung zu fühlen. Und ich gerade muß diese Brieftasche finden, hier mit Ihnen zusammentreffen, unwissentlich ein Spiel weitertreiben, bei dem ich doch selbst nur der Würfel in einer kleinen mächtigen Hand bin – ! O, das ist entzückend, das ist ein Glücksfall, auf den der verwegenste Spieler nicht rechnet, das überrascht mich selbst in dieser Stunde, die doch an Überraschungen schon so reich war.

Neunter Auftritt

Die Vorigen. Arthur (von der Promenade her, will eilig nach dem Hause, hört sprechen, wird aufmerksam und schleicht hinter die Laube).

Ella. Auch Sie – ? In der Tat – wunderbar.

Egon. Nicht wahr? Ist das nicht Schickung, so ist Alles in der Welt blinder Zufall.

Arthur (bei Seite). Ich komme zu rechter Zeit.

Ella. Ich will's dafür ansehen, und darf nun gewiß auf Ihren freundschaftlichen Schutz in meiner Bedrängnis rechnen.

Egon. Können Sie zweifeln? O, ich bitte jedes unvorsichtige Wort ab, das der fahrenden Sängerin galt. Jetzt erst kenne ich Sie, jetzt erst begreife ich ganz mein Gefühl. Sie sind eine ungewöhnliche Frau; Sie werden diese kleinen Sünden gegen den guten Geschmack zu verzeihen wissen, die doch nur ein anderer Beweis meiner Verehrung waren. Nichts mehr in jenem Ton.

Ella. Ich danke Ihnen.

Egon. Dafür aber die Versicherung, daß ich nicht von Ihrer Seite weiche, bis sich ganz erfüllt hat, was uns vorbestimmt ist. Sie haben jedenfalls ohne Liebe geheiratet –

Ella. Mein Herr – ! (Zugleich.)

Arthur (bei Seite). Nicht übel.

Egon. Widersprechen sie nicht. Dieses Taschenbuch lehrt mich Ihren Mann kennen und würdigen. In der Schweiz, in Italien, wo sich sonst auch der trockenste Mensch höher und freier gestimmt fühlt, Notizen über Milchwirtschaft und Pferdezucht, sorgsame Aufzeichnungen selbst über die gezahlten Bettelgroschen.

Arthur. (bei Seite). Eine gute Lektion.

Ella. Sie verkennen ihn, mein Herr – er hat das beste Herz. Arthur (bei Seite). Wirklich?

Egon. Das beste Herz! Aber nicht den feinsten Verstand und nicht eine Spur jener leidenschaftlichen Neigung, die einer Frau Ihrer Art tiefstes Bedürfnis sein muß. Nannten Sie sich nicht selbst unglücklich?

Ella. Weil er mich gestern verlassen hat, weil ich nicht aus noch ein wußte –

Egon. Daß er Sie verlassen konnte, ist das nicht das glänzendste Zeugnis seiner Gleichgültigkeit? O, mich täuscht er nicht. Aber was hindert Sie, ihm zu vergelten? Man weist Sie aus – gut! Wir gehen. Wir suchen uns ein Fleckchen Erde, auf dem wir glücklich sein können. –!

Ella (steht auf). Mein Herr! Sie wagen –

Egon. Das Bekenntnis, daß ich Sie anbete –! (Ergreift ihre Hand.)

Ella. Lassen Sie mich los – ! (Zugleich.)

Arthur (bei Seite). Das geht weit.

Egon. Sie müssen mich hören – müssen erfahren, wer sich Ihnen zu Füßen wirft –

Ella ( macht sich los). Sie erzürnen mich ernstlich.

Egon. Ich bin – der Fürst dieses Ländchens –

Ella (in äußerstem Erstaunen). Sie wären –! (Zugleich.)

Arthur (bei Seite). Dieser Aufschneider!

Egon. Nichts als der zufällige Erbe eines mediatisierten Fürstentums, aber immerhin ein Mann, mit dem zu teilen lohnt. Ich bekenne mich als Ihren Vasallen, angebetete Frau – ich liebe Sie –

Ella (außer sich). Und wenn Sie mir eine Krone zu bieten hätten – ich gehöre zu meinem Mann! (Tritt eilig vor.)

Arthur. Spielen wir den letzten Trumpf aus. – (Vortretend.) Mein Herr –! Nicht weiter.

Ella (auf ihn zueilend). Arthur –!

Arthur (sie abwehrend). Das später! – Zunächst –

Egon. Sie scheinen gehorcht zu haben, mein Herr; ich beneide Sie nicht darum. Ein Wort für viele: diese Dame steht in meinem Schutz.

Ella (nähert sich Arthur wieder). Nein! Bei meinem Manne –

Arthur (wehrt sie ab). Das später! – Sie haben gewagt, meiner Frau einen Antrag zu machen, mein Herr!

Egon. Gewagt?

Arthur. Das ist beleidigend für mich.

Ella. Für mich, Arthur!

Arthur. Das später. – Wer Sie auch sein mögen, Sie werden mir Genugtuung nicht weigern.

Egon. Bestimmen Sie die Waffen.

Ella. Um Himmels willen! Meinetwegen kein Blutvergießen.

Arthur (immer martialisch). Einer von uns Beiden verläßt diesen Ort nicht lebendig.

Egon. Tot wird er ihn wahrscheinlich ebenso wenig verlassen.

Arthur. Das Spaßen wird Ihnen vergehen, mein Herr, wenn die Pistolen –

Ella (wirft sich an Arthurs Brust). Nein, das darfst du nicht, Arthur – wenn du mich liebst, Arthur –!

Arthur. Gerade wenn ich dich liebe, muß ich mich schießen, Kind. Es wäre ja jammerschade um unser Abenteuer seitwärts vom Wege, wenn es nicht mit einem hübschen Knalleffekt schließen sollte.

Ella. Beschäme mich nicht noch tiefer, Arthur; (bittend) Arthur –!

Arthur. Dort steht der Mann, der einer großen Leidenschaft fähig ist. Mein Herz ist ein Gletscher gegen diesen Vulkan, der Fürstentümer auswirft, wie elende Feuersteine.

Egon (bei Seite). Er macht sich über uns lustig – das fehlte noch.

Ella. Ich bin dir ja sicher fürs ganze Leben, höre mich doch nur an!

Arthur. Später, sag' ich dir. Erst muß geschossen werden. Ich rase vor Eifersucht – mach Platz! Willst du uns die Pistolen laden? Das würde die Romantik bedeutend erhöhen.

Ella. Du treibst Scherz mit meiner Angst. (Zu Egon.) Mein Herr, können Sie so schweres Unglück verschulden wollen? Ich liebe meinen Mann, wahr und aufrichtig.

Egon. Es scheint für mich wenig Gewinn abzufallen, wenn ich's noch länger bezweifle. Ich fürchte, gnädige Frau, unsere Partie ist keinen Schuß Pulver wert.

Ella. Da hörst du's, Arthur. Er hat ganz recht, sie ist keinen Schuß Pulver wert.

Egon. Übrigens stehe ich jederzeit zu Diensten. Sie wissen, wo ich zu finden bin. Für jetzt – empfehle ich mich. (Wendet sich zum Abgehen.)

Zehnter Auftritt

Die Vorigen. Busch mit einem Polizeidiener; hinter ihm Dr. Rathgeber, Blanknagel, Frau Schnepf, Bertha, Rosette, zuletzt ganz schüchtern Peter Schnips.

Busch (martialisch). Halt, mein Herr – nicht vom Platz!

Egon. Was soll das?

Busch. Polizeidiener, observieren Sie ihn, daß er nicht entwische. (Zu Arthur sehr devot). Sie sollen mit mir zufrieden sein, gnädiger Herr.

Egon (zu Arthur). Haben Sie mir die Polizei auf den Hals gehetzt? Sehr freundlich.

Arthur. Ich treffe soeben erst von Wolfshagen ein, wo man mich förmlich festhielt, so daß ich mich schließlich halb mit Gewalt losmachen mußte.

Egon (zu Busch). Was wünschen Sie also?

Busch. Was ich wünsche?! Diese Impertinenz übersteigt alle Grenzen. Polizeidiener, legen Sie Hand an den Schurken!

Egon. Rühren Sie mich nicht an, ich rat's Ihnen!

Busch. Im Namen des Gesetzes; ich verhafte Sie wegen dringenden Verdacht des Raubmordes. Die Gesellschaft (drückt durch Zeichen und Laute ihre Verwunderung und Befriedigung aus.)

Egon. Mich? Sind Sie toll?

Busch. Ob ich toll bin?! Nein, hören Sie mal, das geht über den Spaß. Herr Doktor, ob ich toll bin?! Polizeidiener, visitieren Sie ihn!

Egon. Wen in aller Welt soll ich denn geraubmordet haben?

Busch (imperatorisch). Ihre Brieftasche und Geldbörse, Herr!

Egon (der zu begreifen anfängt). Ah –!

Busch. Ja – ah! Nun haben wir ihn. Die Brieftasche und Geldbörse – da verstummt er. Nur heraus mit der Sprache: wo haben Sie die Leichen des Herrn und der Frau von Schmettwitz verscharrt?

Artur und Ella. Die Leichen –! Ha, ha, ha, ha!

Busch. Sie belieben zu lachen, gnädiger Herr, aber es ist leider entsetzlicher Ernst.

Arthur (immer lachend). Herr und Frau von Schmettwitz –

Busch. Sind spurlos verschwunden und dürften ermordet sein.

Arthur. Das müssen wir besser wissen!

Busch und die Gesellschaft. Wie – wie –?

Arthur (den Arm seiner Frau in den seinigen legend). Herr und Frau von Schmettwitz – sind wir selbst.

Busch. Sie belieben zu scherzen, Durchlaucht.

Egon. Die Durchlaucht bin ich.

Busch (zurücktaumelnd). Wa – a – a – as?

Egon. Ich bin der Fürst von Sulzingen. (Bewegung in der Gesellschaft.)

Rosette (zu Frau Schnepf). Halten Sie mich!

Busch (sich fassend). Das kann Jeder sagen! So kommen Sie uns hier nicht durch. Nehmen Sie ihn fest, Polizeidiener!

Egon. Meine Herrschaften, wenn ich ein echter Komödienfürst wäre, würde ich in diesem großen Moment den Paletot öffnen und den Stern auf meiner Brust zeigen. Leider bin ich wirklich, wofür ich gelten will. Ich kam inkognito hierher, um mir meine Leute anzusehen und das ist über Erwartung gut gelungen.

Busch. Lassen Sie sich nicht imponieren – er will sich ausreden. Ich kenne solche Schliche.

Arthur. Die fürstliche Tante ist ja in Wolfshagen. Mich hat sie nicht rekognosziert, das kann ich versichern.

Egon (die Fotografie zeigend). Und dieses Bild sollten Sie wohl auch kennen. (Bei Seite.) Ich wäre gerade in der rechten Stimmung, mich standesgemäß zu verloben.

Rosette. Prinzessin Amalie. Ja, er ist's. O, mein Fürst – !

Busch. So zu sagen. Aber das Bild kann ja auch wie Brieftasche und Geldbörse – Halt! Da fällt mir ein: wir haben ja einen klassischen Zeugen. Wo ist denn der Herr Denunziant? (Zu Schmettwitz.) Er muß doch wissen, ob Sie der Ermordete sind oder nicht.

Ella. Richtig.

Busch. Ich will sogleich – Ah! Da kommt er zur rechten Zeit. (Zu Schmettwitz.) Bitte, treten Sie dort zur Seite. (Es geschieht.)

Elfter Auftritt

Die Vorigen. Kurt und Schnepf.

Schnepf (das Gespräch fortsetzend). Was sagen Sie nun zu diesem störrischen Menschen?

Kurt. Sehr merkwürdig – außerordentlich merkwürdig. Aber erlauben Sie mir nun endlich mein Anliegen –

Schnepf. Hören Sie mal, da fällt mir noch eine zweite Geschichte ein. Als ich noch Bürodiätarius ohne Gehalt war –

Kurt (macht sich los und eilt auf Bertha zu). Mein Fräulein, ich habe Unglück. Ich wollte bei Ihrem Herrn Vater um Ihre Hand anhalten, bin aber nicht dazu gekommen, da er mir bis jetzt die Geschichte vom störrischen Büroapplikanten Munkelsteiner erzählte.

Frau Schnepf. Anhalten? Was muß ich hören?

Schmettwitz (tritt vor). Kurt?

Kurt. Schmettwitz – Ella! Ihr hier? (Umarmung. Bewegung der Gesellschaft.)

Busch (ganz matt). Schmettwitz? Sind das wirklich die Gemordeten?

Kurt. Die Gemordeten? Ach so! Aber wo habt Ihr denn gesteckt?

Schmettwitz. In tiefster Romantik.

Kurt. Kinder – Euch hier zu treffen –! Nun fehlt nichts zu meinem Glück. Denkt euch – ich habe mein Echo gefunden. Bertha – darf ich sagen, meine liebe Braut?

Bertha (auf ihre Eltern deutend). Das Echo hat diesmal keine Stimme.

(Schnepf und Frau, Kurt und Bertha sprechen leise mit einander.)

Peter (tritt vor und besieht Arthur und Ella). Nicht geraubmordet? Kommt auf Rechnung. ( Wichtig ab.)

Egon (zu Arthur). Einer Satisfaktion meinerseits wird es wohl nicht bedürfen –: Sie sind der Glückliche.

Arthur (schüttelt Egon die Hand). Ich verzichte auf die Ehre, von Ihnen noch einmal ums Leben gebracht zu werden, Durchlaucht.

Busch (ganz deprimiert). Ach! Ich Esel!

Rosette (sich vordrängend). Durchlaucht, ich bitte um eine Audienz.

Kurt. Hoia – ho – oh! Verlobung – wir feiern noch heute die Verlobung.

Ella. Und dann fort, fort! Und mit leichtem Herzen der lieben Heimat zu. Ach! Was hab' ich erlebt in diesen drei Tagen!

Arthur (Ella umarmend). Ein Schritt vom Wege!

 

Ende


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