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Mit fünfzigtausend Soldaten

Ein Militärspital, hier in Washington, ist eine kleine Stadt für sich und birgt oft eine größere Bevölkerung als die meisten bekannten Provinzstädte in dem Teil von Long Island, in dem die Grafschaften Queens und Suffolk liegen. Ich wiederhole: ein einziges Staatsspital ist in sich selber eine kleine Stadt, und deren gibt es an die fünfzig allein im Distrikt von Columbia. Hier liegen zu Zehntausenden die kranken und verwundeten Soldaten, das Erbteil vieler blutiger Schlachten, das Ergebnis zweier Kriegs jähre im Elend.

Diese Orte sind für mich von großer Bedeutung.

Seit Monaten widme ich ihnen meine Zeit und Arbeitskraft.

Lange Holzbaracken zu ebener Erde, so ungefähr wie eine Seilerei, nur breiter und weniger lang, ganz weiß getüncht. Zehn oder zwölf solche zusammengerückt. Einige Zelte und noch kleinere Baracken. So sieht hier ein Soldatenspital aus. Es faßt meistens 6–700, manchmal bis 1000 Soldaten, gelegentlich noch mehr. An der Spitze steht ein ständiger, von höheren und niederen Beamten gebildeter Generalstab und neben diesem ein kleinerer Stab. Militärische Haltung, die jetzt immer strenger verlangt wird. Bald wird mir Gelegenheit gegeben sein, diese ungehörigen Dummheiten ein wenig an den Pranger zu stellen.

Die Ernte ist groß, aber es fehlt an solchen, die sie halten. Zuerst besuchte ich in den Spitälern nur ganz vorübergehend verwundete oder kranke Kameraden aus Brooklyn, dann zog es mich langsam immer mehr dahin, bis ich mich ganz ihrer Pflege widmete. Jetzt bin ich schon seit Wochen hier, aber nur als ein regelmäßiger Missionar, nur mir allein Rechenschaft schuldig, mitten unter diesen verwundeten und kranken jungen Leuten, die zu Tausenden und Zehntausenden dem Staat zur Last liegen. Sie schmachten und sterben langsam hin.

Ich gehöre zu keiner Gesellschaft und tue meine Pflicht auf eigenen Antrieb, auf eigene Faust. Die ganzen Tage beinah und oft auch abends, gehe ich in einem Spital herum, von Saal zu Saal, ohne aufzufallen, und finde immer irgendwo einen Fall, bei dem ich behilflich sein kann. Immer einen Fall, mein Gott? Es gibt wohl keinen einzigen Saal, kein einziges Zelt von den 7 bis 800 hier in der Gegend, die alle angefüllt sind, wo ich nicht jede einzelne Stunde meines Lebens in nützlicher Weise zur Tröstung und zur Labung der Leidenden verwenden könnte!

Und dann fühlt ein Mensch n diesen vollen Sälen immer zwei oder drei kranke Seelen heraus, denen er sich besonders und mit ganzer Kraft widmen möchte. Immerhin, bis ich dazu komme, und um alles zu tun, was mir vorläufig möglich ist, mache ich Rundgänge und verteile eigenhändig, was ich in meinen Taschen und in einem Sack mitgebracht habe, in unendlich kleinen Portionen, sicher, daß alles irgendwie auf günstigen Boden fällt. Oder ich bringe einen großen Topf herein, lasse ihn öffnen, nehme einen Löffel und verteile den Rahm, in Begleitung des Chefarztes, an die, die ihn am besten vertragen. Anderen gebe ich einen Apfel oder eine Orange, anderen eingemachte Früchte, anderen wieder Gurken. Viele verlangen nach Tabak: ich rate keinem zu rauchen, aber wo einer ein starkes Verlangen danach zeigt, gebe ich ihm. Ich habe immer davon in den Taschen, in kleinen Stückchen. Und dann erhalte ich Aufträge: irgendeiner aus New York oder Connecticut oder von sonstwo fährt in Erholungsurlaub oder ganz weg, und da muß ich ihn neu ausrüsten, ihm ein gutes Unterhemd kaufen, Unterhosen, Socken oder so.

Auf diese Weise kommt man besser mit den Kranken in persönliche Berührung. Man lernt täglich neue und interessante Menschen kennen und dringt in sie hinein, und so wird man bald vertraut und befreundet mit diesen herrlichen Jünglingen aus allen Gegenden Amerikas. Da erst beginnt man wirklich Gutes zu tun. Da liebe ich es, ich gebe es ohne alle Bescheidenheit zu, mich hervorzutun. Aber auch in ärztlicher Hinsicht und sogar vom chirurgischen Standpunkt aus, sollte das als eine Hauptsache betrachtet werden. Ich kann sagen, daß Freundschaft tatsächlich ein Fieber gemildert hat, daß das tägliche Heilmittel der Liebe schwere Wunden wirklich geheilt hat. Und darin gerade besteht die geheimnisvolle Kunst, die jeder Wohltäter in den Spitälern unseren Soldaten gegenüber üben sollte. Soviel für die, die mich verstehen wollen …

Von Selbstüberhebung geblähte und für solches Wirken ganz unfähige Leute erhalten in Spitälern eine Macht, die sie in grenzenloser Weise den wehrlosen Soldaten gegenüber mißbrauchen. Im Spital von Judiciary-Square zum Beispiel geht es hoch zu. Da hat es irgendein Individuum, das irgendwo wohl jahrelang Kellner gewesen ist, zum obersten und gefürchteten militärischen Aufseher in diesem Spital gebracht. Bei den Kranken heißt er »der rote Kragen« (wegen seiner Artilleriegarnitur). Er ist gleichzeitig ihr Tyrann und ihr Hampelmann. Als ich neulich nachmittags hinkam, um einige kranke Soldaten aus New York zu besuchen, herrschte mich dieser mächtige Offizier an und behandelte mich in einer Weise von oben herab, daß ich gleich wußte, wes Geistes er ist. Die Regierung täte gewiß viel besser daran, wenn sie diese robusten Faulenzer an die Front schickte, wo sie sich ihre Mahlzeiten verdienen können, statt sie hier in unnützen und dekorativen Militärämtern auf kranke Soldaten und deren Freunde loszulassen.


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