Johann Karl Wezel
Robinson Krusoe
Johann Karl Wezel

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Sobald der Tag anbrach, fing sich unser Marsch an, und kaum hatten wir ihn eine Viertelstunde fortgesetzt, so erhub sich ein Sturm, ein gewaltiger Regen mit Donnern und Blitzen; wir hielten es deswegen für klüger, zu unsern Wohnungen zurückzukehren, um nicht vielleicht durch den Anlauf des Wassers von ihnen abgeschnitten zu werden. Das Wetter hielt ungewöhnlich lange an; die Wellen gingen sehr hoch und rissen die Kanots unsrer Feinde vom Ufer hinweg, trieben sie zum Teil weit in die offne See hinaus und warfen sie zum Teil an die Felsen, daß sie zerschmettert wurden. Dieser Zufall war auf der einen Seite wohl günstig für uns, weil er die Wilden ganz außerstand setzte, wieder nach Hause zu schiffen, und weil er uns den Vorteil verschaffte, daß wir sie aushungern konnten; aber er setzte uns doch auch der Notwendigkeit aus, beständig wachsam zu sein und nicht bloß unsre Vorräte, sondern auch unsern Feldbau zu verteidigen, denn die Zeit der Bestellung rückte heran. Unser Handel lag ganz; wir wurden in unsern Künsten zurückgesetzt; ein jeder bestellte mit seinen Sklaven seinen Acker und stund mit geladenem Gewehre dabei, um sie wider den Einbruch der Feinde zu sichern; Nacht und Tag hatten wir beschwerliche Wachen zu tun und konnten keinen Augenblick in Ruhe hinbringen. Es vergingen einige Tage, ohne daß sich ein Feind blicken ließ; ich schickte fleißig Kundschafter aus, die immer mit der Nachricht wiederkamen, daß in dem ganzen Umkreise keine menschliche Seele zu finden wäre. Endlich erfuhren wir, daß sie sich in ziemlicher Entfernung von uns in einem Tale aufhielten und unter der Anführung der beiden Engländer sehr geschäftig wären, Hütten zu bauen, wozu sie in Ermangelung besserer Werkzeuge ihre steinernen Streitäxte gebrauchten. Diese Nachricht war uns so unwillkommen als unerwartet, denn wir sahen immerwährenden Krieg voraus, wenn sich in unsrer Nachbarschaft ein Volk niederließ, von dem wir nichts als Feindschaft erwarten konnten. Das einzige, was uns dabei aufrichtete, war die Schwierigkeit ihres Unterhalts; von den selbstwachsenden Früchten der Insel konnte eine so große Menge nicht leben und mußte in den Monaten, wo nichts wächst, notwendig zugrunde gehen; aber sie konnten Kanots bauen oder vielleicht einige gerettet haben, sich damit Lebensmittel von ihrer Insel holen und uns so lange bekriegen, bis wir von ihnen übermannt wurden. Wir waren schon beinahe entschlossen, ihren Feindseligkeiten zuvorzukommen und sie in unsre Gewalt zu bringen, damit wenigstens die Engländer sie nicht wider uns gebrauchen konnten, aber sie kamen unsrer Entschließung zuvor, rückten an, und ihre beiden Befehlshaber ließen uns auffodern, ihnen Samen zu geben oder zu erwarten, daß sie unsre Felder und Wohnung zerstören und bis auf den letzten Blutstropfen gegen uns fechten würden. Die trotzige Auffoderung verdroß uns alle, und ohne Antwort darauf zu geben, brachen wir von zwo Seiten auf sie los, töteten einige, verwundeten viele und machten etliche zu Gefangenen, und ich war so glücklich, einen ihrer Anführer mit eigner Hand in unsre Gewalt zu bringen; die Nation war zu unserm Glücke nicht sehr kriegerisch und stritt itzo nur aus Verzweifelung mit einiger Hartnäckigkeit; wir brachten sie in die Flucht, setzten ihnen aber nicht weit nach, weil wir hofften, daß sie sich zuletzt uns ohne unsre Mühe unterwerfen müßten. Die Weiber, die in großer Anzahl dabei waren, stritten fast noch mutiger als die Männer.

Wie wir hofften, so geschah es. Der Unterhalt mangelte ihnen so stark, daß sie um die wenigen Wurzeln und Früchte, die sie mit Mühe zusammensuchten, untereinander selbst Krieg führten; ihr Anführer, der einzige Engländer, der noch in Freiheit war, dachte bloß auf seine eigne Sicherheit, verließ sie und ergab sich uns unter der Bedingung, wenn wir ihn nicht als Gefangenen behandeln, sondern zu unserm Mitbürger aufnehmen wollten. Diese Bedingung konnten wir unter allen am wenigsten eingehn, wenn wir Ruhe zu haben wünschten, denn wir kannten den Herrn und seine Kameraden schon zu gut und wußten aus der Erfahrung, daß sie das Essen, aber keine Arbeit liebten; er mußte sich uns also ohne Bedingung ergeben.

Darauf schickten wir Franzens Vater zu den Wilden ab und ließen ihnen den Vorschlag tun, daß sie von uns mit Lebensmitteln versorgt werden sollten, wenn sie sich uns als Sklaven ergäben; sie sahen keinen andern Ausweg vor sich, willigten darein und waren sehr zufrieden, daß wir sie nicht zu Gefangenen machten und bei der Siegsmahlzeit verzehrten, wie sie erwarteten.

Wir konnten mit Gewißheit prophezeien, daß die Engländer nicht lange bei uns aushalten oder uns zur Last fallen würden; es lief wahrscheinlich am Ende wieder auf die alte Geschichte hinaus, daß sie uns durchgingen und neue Unruhen verursachten. Ich traf also einen Mittelweg und dachte sie durch Glimpf zu bessern Gesinnungen zu bringen; mit Einwilligung unsrer aller teilte ich die Wilden in vier Haufen; einer wurde unter uns verteilt, wer sich am meisten in unserm Kriege hervorgetan hatte, empfing die meisten Sklaven, und aus Dankbarkeit, daß ich als Anführer dabei gedient hatte, schenkte man mir einmütig alle Kriegsgefangenen, und auf diese Weise wurde die Tapferkeit eine neue Veranlassung zur Ungleichheit des Reichtums unter uns. Den übrigen drei Haufen wiesen wir in ziemlichen Entfernungen voneinander Plätze zu Wohnungen an und setzten über jeden einen von den drei Engländern zum Befehlshaber, der von uns abhängen sollte. Sie schienen alle drei mit ihrem Schicksale sehr zufrieden zu sein, weil es ihnen Recht gab zu befehlen und sie von eigner Arbeit befreite. Sie machten in der Tat gute Anstalten, hielten die Wilden zu aller Art von Feldbau und zur Zucht der Ziegen an und beherrschten sie zwar mit tyrannischer Strenge, aber in der besten Ordnung.

Unter den Weibern, die einen Teil unsrer Kriegsgefangenen ausmachten, lasen sich einige unter den unsrigen diejenigen aus, die ihnen am besten gefielen oder am geschicktesten zur Hausarbeit schienen, und wenn sich zween Liebhaber zu einer fanden, mußte das Los entscheiden. Unsre beiden Vasallen, die beiden Engländer, deren Wohnungen zu Anfangs des Kriegs zerstört wurden, erhielten zur Belohnung ihres treuen Beistandes gleichfalls zum Anteil von der Beute eine gewisse Anzahl von Sklaven und Sklavinnen und Samen, um ihren Feldbau wiederherzustellen, und mit unsrer Beihülfe bauten sie ihre verbrannten Hütten wieder auf. Ruhe und Friede war zurückgekehrt und schien uns glückliche Tage und einen guten Fortgang in dem Ackerbaue der Insel zu versprechen; wir Spanier waren zu einer mächtigen Republik geworden, die zwei Vasallen und vier Statthalter hatte; aber wie lange blieben wir in diesem Zustande?

Der Ertrag von der Arbeit der Wilden, über welche wir die drei Engländer setzten, war eigentlich unser: sie waren durch den Sieg unser Eigentum geworden, und folglich gehörte uns auch ihre Arbeit, und sie konnten nichts als den Unterhalt von uns fodern. Um alle Irrung und Weitläufigkeit zu vermeiden, setzten wir eine Quantität Getreide und andre Früchte fest, die uns unsre Statthalter jährlich liefern mußten, das übrige war für sie und ihre Untergebenen, und es kam also auf ihren Fleiß an, ob dieser Überschuß klein oder groß sein sollte.

Sosehr wir uns geschmeichelt hatten, daß nunmehr Ackerbau und Künste bei uns fortrücken würden, so sehr fanden wir uns betrogen. Wenn ein jeder soviel Getreide und andre Früchte erbaut hatte, als er für sich und sein Haus brauchte, so war ihm das übrige ganz unnütze; es verdarb, weil wir keine Abnehmer hatten, die uns andre Waren dafür gaben, und unter uns war auch kein solches Verkehr möglich, weil ein jeder die nämlichen Früchte baute und die nämlichen Sachen verfertigte, die der andre auch baute und verfertigen konnte; da also keiner etwas brauchte und keiner etwas geben konnte, was der andre nicht schon hatte, so säete auch keiner mehr, als er für sein Haus zu bedürfen glaubte, und keiner machte mehr Töpfe, mehr Stühle, mehr Teller, mehr Körbe, als ihm nötig war. Die Verschiedenheit der Geschicklichkeit und der Neigung brachte allenfalls ein kleines Verkehr unter uns hervor, denn dieser hatte mehr Lust und Geschicklichkeit, Töpfe zu machen, einem andern gerieten die Körbe vorzüglich gut, einem dritten die Stühle, einem vierten etwas anders; jeder, dem diese Sachen nicht so gut gelangen, wollte Körbe oder Töpfe von demjenigen haben, der sie besser machte als er und die übrigen; dies war freilich wohl ein Antrieb für den geschicktesten Korbmacher, alles andre beiseite zu setzen, nur Körbe zu machen und dafür die Stühle oder Töpfe von demjenigen einzutauschen, der sie besser machte als er; aber dieser Tausch konnte doch nicht lange währen, denn wenn einer soviel Körbe oder Töpfe hatte, als er bedurfte, so tauschte er keine mehr ein, und der Mann, der sie verfertigte, machte keine mehr, weil er sie nirgends anbringen konnte. Unsre Tätigkeit schlief ein, und obgleich manche darauf sannen, neue Sachen zu erfinden, die uns fehlten, so ging es doch bei jeder neuen Erfindung ebenso: wenn wir alle damit versorgt waren, blieb die Arbeit liegen, und ihr Verfertiger mußte etwas Neues erdenken oder müßig gehn.

Bei solchen Umständen war es unser wahres Glück, daß in einem von den drei Engländern, die wir unsre Statthalter nannten, der Handelsgeist auflebte; er hatte mit den Wilden, die wir ihm unterwarfen, ein schlechtes Stück Erdreich bekommen, wohnte dem Meere nahe, war ein unruhiger Mensch und geriet also auf den Einfall, den Ackerbau nur mittelmäßig zu betreiben, seine Untergebenen zu den Künsten anzuhalten, die unter uns im Gange waren, und ihre Arbeiten in die benachbarten Inseln zu verführen. Er brachte von den Inseln fremde Waren und Lebensmittel, die wir nicht hatten, zu uns herüber, vertauschte sie an uns gegen Getreide und andre Sachen, die wir erzeugten und verfertigten. Auf einmal wurde unsre Betriebsamkeit lebhaft: einige gaben sich bloß mit dem Feldbau ab und säeten jede sechs Monate mehr, um mehr zu ernten und mehr und mancherlei fremde Waren und Lebensmittel dafür eintauschen zu können; der Korbmacher machte soviel Körbe, als er nur fertigen konnte, hielt seine Sklaven gleichfalls dazu an und trieb den Feldbau kaum bis zum Notdürftigen, weil er für seine Körbe von dem handelnden Engländer soviel Lebensmittel bekommen konnte, als er brauchte. Auch dieser Handel konnte nicht ewig dauern, denn wir waren bald mit den wenigen Waren hinlänglich versorgt, die wir von unsern Nachbarn empfingen, und unsern Nachbarn ging es ebenso mit den unsrigen; der Handel mit Lebensmitteln dauerte also allein und ohne Unterbrechung fort, dadurch kamen die Feldbauer immer weiter und die Künstler zurück, denn sosehr diese sich bemühten, die Lust der Käufer durch Veränderung der Form, der Farbe oder andre Arten von Neuheit zu erwecken, so war doch diese Neuheit in Grenzen eingeschlossen; die Landbauer hatten unterdessen immer weiter um sich gegriffen und mehr Eigentum an sich gerissen, und es kam zuletzt so weit, daß die Handwerker immer ärmer wurden, je mehr jene zunahmen.

Diese wachsende Ungleichheit veranlaßte abermals große Veränderungen unter uns. Ich hatte nach dem Ende unsers letzten großen Krieges das Amt eines Anführers verloren und nur das Ansehen behalten, das mir Alter, eine kleine Erfahrung und die Dienste gaben, die ich unsrer Gesellschaft in diesem Kriege leistete; dies Ansehn teilten diejenigen mit mir, die sich bei der nämlichen Gelegenheit durch ihre Tapferkeit hervortaten; wir machten Einrichtungen und entschieden Streitigkeiten, aber niemals ohne Zuziehung und Einwilligung aller übrigen. Itzt, da der Handel die Ungleichheit unter uns so gewaltig vermehrt und die Künstler so sehr zurückgesetzt hatte, fingen die reichen Landbauer an, ihre Obermacht zu fühlen und fühlen zu lassen. Die vier Mächtigsten, die die meisten Ländereien, die meisten Sklaven und das größte Verkehr hatten, vereinigten sich, befahlen, verordneten, machten verschiedene Veränderungen, ohne jemanden darum zu fragen; wir merkten mit Widerwillen, daß sich in unserm kleinen Staate eine Macht erhob, die uns unsre Freiheit rauben wollte. Ich hielt mich aus Ehre und durch meinen eignen Vorteil für verbunden, einer solchen Unterdrückung zuvorzukommen, und machte mit allen, denen sie drohte, eine Vereinigung wider unsre Unterdrücker; sie ernannten mich zu ihrem beständigen Befehlshaber und versprachen mir Gehorsam in allem, was ich zu ihrem Nutzen anordnen würde. Um ähnlichen Unterdrückungen und andern Ungerechtigkeiten vorzubeugen, die die Armem von den Reichen leiden mußten, hielt ich für nötig, besondre Gesetze zu machen, allein die Reichen trotzten ihnen, machten andre Gesetze, worinne sie sich große Vorzüge und Vorrechte anmaßten, und ein Teil der Ärmern wurde durch Geschenke und Verbindlichkeiten, der andere durch Furcht dahin gebracht, daß sie ihnen diese Vorrechte zugestunden. Also hatte meine Befehlshaberschaft abermals ihre Kraft verloren, und ich mußte zufrieden sein, daß mir diese vier Unterdrücker den Namen ließen und den Zutritt zu ihren Beratschlagungen verstatteten, wenn sie Einrichtungen und Gesetze machten; sie konnten ihre Befehle und Aussprüche mit ihren Sklaven durchsetzen und den Ärmern so vielfachen Schaden tun, daß sich diese gern unterwarfen. So wurde aus unsrer Gesellschaft eine Art von Aristokratie, die unter mancherlei Veränderungen noch immer dauert und deren gegenwärtige Beschaffenheit ich hernach umständlicher entdecken will. Itzt aber muß ich dir erst die Schicksale der übrigen kleinen Gesellschaften erzählen.

Die drei Engländer entzogen sich sehr bald dem Gehorsam gegen uns; der eine trieb Handlung, wie ich schon gesagt habe, und wir mußten zufrieden sein, daß er uns unser Getreide abnahm und andre Dinge dafür gab; auch konnte er uns die Abgabe an Korn nicht mehr entrichten, weil er sehr wenig Feldbau trieb. Er hatte außerdem einem jeden unter den Wilden, die ihm unterworfen waren, ein Stückchen Feld angewiesen, wo sie ihre Bedürfnisse bauen sollten, damit er nicht nötig hatte, für ihren Unterhalt zu sorgen, und desto besser der Handlung obliegen konnte. Da die Wilden sahen, daß sie ohne ihn leben konnten, wollten sie nicht mehr für ihn arbeiten, sondern fingen mit den Sachen, die sie verfertigten, selbst einen Handel an, bauten sich in seinen Abwesenheiten Kanots und fuhren, wohin es ihnen beliebte. Sie machten sich auf diese Weise selbst frei, und ihr voriger Befehlshaber hat zwar noch immer viel Ansehn unter ihnen, entscheidet ihre Händel, gibt ihnen Gesetze, doch niemals ohne ihre Einwilligung, weil er keine Macht hat, sie zu zwingen: sie sind eine handelnde Republik, wo jeder dem andern gleich und wo der Engländer das oberste vornehmste Mitglied ist.

Die andern beiden Engländer, die mitten in der Insel wohnen, wurden zu wirklichen Despoten. Sie sind grausam, wild, tyrannisch und ihre Untergebnen feige, schwach, mutlos, von der Natur zum Gehorchen gemacht; sie wurden gleich anfangs von ihren Vorgesetzten hart angegriffen, niedergedrückt, unter das Joch gebracht; sie mußten unter den härtesten Strafen viele und schwere Arbeit tun, bekamen von ihren Tyrannen kümmerlichen Unterhalt, und die Früchte ihrer Arbeit genossen diese. Da ihre Unterdrücker beständig bei ihnen waren, fanden sie nie Gelegenheit, sich frei zu machen, und im Grunde hatte ihnen auch ihr hartes Joch den Mut dazu geraubt. Die Despoten gingen willkürlich mit ihnen um, nahmen ihnen ihre Weiber, wenn sie ihnen gefielen, und Widerspenstigkeit kostete manchem das Leben; also leben sie noch itzo unter ihren grausamen Beherrschern ohne Gesetze, ohne Eigentum, ohne Sicherheit des Lebens, bloß durch sklavische Furcht regiert; was sie tun, tun sie aus Zwang, was sie arbeiten, gehört ihren Herren, die ein kleines Verkehr mit uns treiben, aber sich bloß Dinge eintauschen, womit sie sich wohltun können, weiche Matten, süße Früchte und dergleichen; ihre Untertanen hungern, und sie leben im Überflusse, gemächlich und in unaufhörlichem Müßiggange. Sie sind in allen Stücken weit hinter uns zurückgeblieben; bei den Unruhen, die unter uns selbst herrschten, entzogen sie sich unserm Gehorsam, und wir foderten ihnen gern nichts ab, um nur in Ruhe vor ihnen zu bleiben.

Die beiden Engländer, unsre Vasallen, leben noch itzo in dem ersten Stande der Natur wie zwo Familien nebeneinander, bauen durch ihre Sklaven den Acker, treiben einen kleinen Handel, und ein jeder ist der Hausvater einer Familie, die ihn liebt, indem sie ihm gehorcht. Sie sind unstreitig die Glücklichsten unter uns allen, ohne Neid, Tücke, ohne eingebildeten Reichtum und ohne Sorgen; den eingeernteten Vorrat verzehren sie mit ihren Sklaven, und gegen den Überfluß tauschen sie bei uns ein, was sie nicht erbauen oder nicht verfertigen können, gehen niemals mehr auf die See, weil sie das Alter daran hindert und noch mehr weil sie ohne Habsucht sind.

Franzens Vater ist der Monarch der fünf Wilden, die ihm unterworfen sind, aber ein sehr guter Monarch; sie arbeiten unter seiner Aufsicht, soviel sie wollen, und er entscheidet ihre Zwistigkeiten, so gut er kann; sie geben ihm von jeder Ernte etwas Gewisses zu seinem Unterhalte und empfangen dafür von ihm allerhand Ratschläge zur Verbesserung ihrer Wirtschaft, so gut er sie geben kann.

Wir Spanier machen, wie ich schon gesagt habe, eine wirkliche Aristokratie aus, worinne ich das Oberhaupt heiße, aber im Grunde bin ich ohne Macht, wenigstens vermag ich nicht mehr als die übrigen viere, die die Regierung unsrer Gesellschaft an sich gerissen haben. Ehe aber unsre Verfassung in den gegenwärtigen Zustand geriet, gingen einige Veränderungen in unserm Handel voraus, die zum Teil Ursachen davon waren. Unser bisheriger Handel bestund in einem bloßen Umtausche und war sehr unsicher, beschwerlich und beständig wachsend und abnehmend, weil uns Maß, Gewicht und Geld fehlte. Wer Korn hatte und dafür Brotfrüchte eintauschen wollte, schüttete einen Haufen von seinem Korne hin und der andre einen Haufen von seinen Brotfrüchten daneben; war der eine sehr habsüchtig, so war ihm der Haufen des andern ewig nicht groß genug; welcher von beiden nun des andern Ware am nötigsten brauchte, der mußte das meiste von der seinigen dafür geben, und es hatte folglich nichts einen ordentlichen Preis. Heute brauchte ich sehr notwendig Ziegenfleisch; ich mußte also allenthalben herumlaufen und anfragen, wer dergleichen überflüssig hatte, und ich war genötigt, ihm dafür soviel Korn zu geben, als er verlangte; den Tag darauf suchte jemand Korn, der Ziegenfleisch überflüssig hatte, und ich gab ihm für eine ganze Ziege nicht den dritten Teil soviel, als ich Tages vorher für eine halbe gab, weil er mein Korn nötiger hatte als ich seine Ziege. Heute gab der Wilde zwei Dutzend Brotfrüchte für einen Stuhl, morgen kaum eine einzige, weil er ihn nicht brauchte. Wer mit einem Kanot voll Korn ausfuhr, wußte nicht, ob er viel oder wenig dafür zurückbringen werde; zu mancher Zeit, wenn niemand etwas nötig hatte, stund unser Verkehr ganz und gar; mannichmal, wenn viele einerlei suchten, wurde man den ganzen Tag überlaufen. Außer dieser öftern Abwechslung im Wert hatte auch unser Verkehr viele andre Beschwerlichkeiten. Es brauchte jemand Weintrauben und hatte Brotfrüchte; ich hatte Ziegenfleisch und brauchte Korn; weil also jeder von uns eine Sache hatte, die der andre nicht brauchte, und eine Sache suchte, die der andre nicht hatte, so fand unser Handel entweder gar nicht statt, oder es mußte jeder unterdessen eine Sache annehmen, die er nicht wollte und alsdann von einem Dritten das dagegen eintauschen, was er bedurfte. Oft ereignete sich auch der Fall, daß jemand etwas nötig hatte und doch nichts besaß, das er dem andern dafür geben konnte; was zu tun? er versprach dem andern, zu einer gewissen Zeit so oder soviel dafür zuzustellen, hielt vielleicht Wort, hielt es vielleicht auch nicht. Es fehlte uns also notwendig ein Ding, das alle Waren vorstellte, wofür man alles bekommen konnte. Höre, wie sonderbar wir uns heraushalfen!

Für trockne Dinge fanden wir sehr bald ein gutes Maß: wir brauchten unsre beiden zusammengehaltenen Hände dazu, womit wir einander Korn zumaßen. Statt der Elle dienten uns unsre ausgestreckten Arme von der äußersten Spitze des längsten Fingers bis an die Schulter, und damit maßen wir die Matten von getrocknetem Schilf, die wir verfertigten. Unsre beiden Hände waren unsre Waage: von zwei Dingen, die gegeneinander gewägt werden sollten, legten wir das eine in die Linke, das andre in die Rechte und beurteilten nach dem Gefühl die Gleichheit oder Ungleichheit der Schwere. Was ohne große Beschwerlichkeit gezählt werden konnte wie die Brotfrüchte und Wurzeln, verkauften wir nach der Zahl und nahmen dabei zu gleicher Zeit Rücksicht auf die Größe.

Hätten wir einerlei Sachen, wie Korn gegen Korn, vertauscht, so wäre keine Schwierigkeit dabei gewesen, aber dieser Fall konnte niemals entstehen. Wir merkten wohl bald, daß gewissermaßen die Natur selbst ein Verhältnis zwischen den Waren unsers Tauschhandels angeordnet hatte, indem sie einige in geringerer Anzahl hervorbrachte als die andern; für sechs Brotfrüchte mußte man daher immer mehr Korn geben als für eine Ziege, weil jene bei uns gar nicht und bei unsern Nachbarn sehr sparsam wuchsen. Manche mußten außerdem noch mit vieler Mühe gesucht werden wie eine gewisse süße, sehr angenehme Wurzel, die sehr tief in der Erde steckt. Einige wurden häufiger und allgemeiner gebraucht als die andern, wie das Korn, wofür man uns viel geben mußte, wenn es nicht gut geraten und also selten war; einige Dinge wurden endlich mehr gesucht, weil man sie vorzüglich liebte, wie unsre geflochtnen Körbe, die den Wilden außerordentlich gefielen. Also bestimmte wohl die natürliche Seltenheit eines Dinges, die Mühe, die man darauf verwendete, es zu finden oder zu machen, die Allgemeinheit seines Gebrauchs und die häufige Nachfrage den Wert desselben und wieviel man von einer andern Sache dafür geben mußte; aber es fehlte uns doch ein allgemeiner Maßstab, nach welchem wir den Wert aller Dinge berechnen, vergleichen und ausdrücken konnten, wie das Geld in Europa ist, wo man sogleich den Wert einer Elle Leinwand und einer Elle Taffet vergleichen kann, wenn man sagt, daß jene zehn Groschen und diese zwanzig gilt. Die Sache, die diesen Mangel unter uns ersetzen sollte, mußte ein jeder haben, sie mußte in hinlänglicher, aber nicht zu großer Menge da sein, sie mußte von uns allen gleich geliebt werden und also bei allen ziemlich gleichen Wert haben, sie mußte sich bei allen in ziemlich gleichen Proportionen vermehren und vermindern; rate, was das war? – unsre ZiegenBei den ersten Römern waren es die Ochsen; bei den Kirgisen sind es die Pferde, und statt der Scheidemünze brauchen sie Wölfe und Lämmerfelle. ; diese taten die eine Verrichtung des Geldes und wurden der allgemeine Maßstab, nach welchem wir den Wert berechneten. Nach dieser Berechnung galt also ein Korb eine halbe Ziege; ein Arm – welches unser Ellenmaß war –, ein Arm geflochtne Schilfmatte kostete eine Ziege; wir sagten voneinander, daß dieser zwölf Ziegen, daß jener zwanzig Ziegen reich sei. Auf diese Art entstund eine Art von Preis unter uns, denn wenn jemand für seine Ware eine halbe Ziege foderte, so wußte der andre schon, wieviel von der seinigen gleichfalls eine halbe Ziege wert war und wieviel er davon statt der Bezahlung geben sollte.

Indessen brauchte sehr oft jemand etwas, das sein Nachbar hatte, aber er konnte dem Nachbar nichts dagegen geben, was ihm anstund; die Sache war vielleicht eine Viertelziege wert, aber deswegen konnte er nicht eine Ziege schlachten und dem Nachbar ein Viertel davon geben; anfangs trauten wir einander in solchen Fällen und gaben die verlangte Sache auf Kredit gegen das Versprechen, daß sie zu gewisser Zeit wieder ersetzt werden sollte. Teils war es mühsam, alle seine Schuldner zu merken, teils hielten sie nicht allemal ihr Versprechen. Wir gerieten also auf den Einfall, eine Art von glänzenden KieselsteinenDie Abyssinier brauchen auf eine ähnliche Art ihr Steinsalz. , die nicht allzu häufig auf der Insel gefunden wird, in den Umlauf zu bringen. Ich will den Fall setzen, daß ich der erste gewesen wäre, der dieses getan hätte, und daß ich von meinem Nachbar sechs Brotfrüchte verlangte: ich gab ihm dafür sechs solche Steinchen, dieser gab sie bei einer ähnlichen Gelegenheit einem zweiten, der zweite einem dritten und so weiter, bis sie jemand zu mir brachte und soviel dafür foderte, als sechs Brotfrüchte am Werte betrugen; es waren also im Grunde Schuldverschreibungen, Obligationen, die herumliefen und alsdann eingelöst wurden, wenn sie an denjenigen zurückkamen, der sie zuerst ausgab. Nachdem einige dieses Mittel versucht und gut befunden hatten, taten es mehrere nach, und allmählich wurden dadurch diese Steine unser wirkliches Geld, das alle Waren vorstellte, wofür man alles haben konnte. Im Anfange, da ihrer noch wenig unter uns umliefen, bekam man für einen Stein viel, aber da sich ihre Zahl häufte, fiel auch ihr Wert; es ging uns damit wie Europa mit dem Gelde, und gegenwärtig ist es dahin gekommen, daß zwölf solche Steine eine Viertelziege ausmachen.

Diese Erfindung erleichterte zwar unsern Handel ungemein, allein die Bequemlichkeit, die sie uns verschafft, kostet uns den ganzen Rest von Einigkeit, die noch unter uns herrschte. Da diese fatalen Steine eine neue Art von Ware für uns wurden, gegen welche man alle andre eintauschen konnte, so war es so gut, als wenn man alle Bedürfnisse und Bequemlichkeiten selbst besäße, sobald man eine große Menge solcher Steine besaß, und jedermann schickte seine Sklaven aus, diese kostbaren Naturprodukte auszugraben; wer die meisten Sklaven und die meiste Habsucht hatte, kam am besten dabei zurechte. Man drängte, schlug, vertrieb sich von den Örtern, wo man sie zu finden glaubte oder wirklich fand; der Mächtige maßte sie sich an, behauptete sie als sein erobertes Eigentum und trieb den Schwächern mit Gewalt davon, der seine Besitznehmung nicht erkennen oder die Ausbeute mit ihm teilen wollte. Diese Besitznehmungen gebaren nicht nur unter den Mitgliedern einer Gesellschaft Krieg, Haß, Neid und Ungleichheit, sondern sie brachten auch eine Gesellschaft wider die andre auf. Jede wollte den Fleck, wo sich viel solche Steine fanden, zu ihrem Gebiete rechnen, und da wir bisher in aller Einfalt der Natur ohne festgesetzte Grenzen nebeneinander gelebt hatten, so war itzt jede Gesellschaft darauf bedacht, sich einen großen Raum auf unsrer Insel anzumaßen und seine Grenzen weit hinauszustecken. Eroberungssucht und Krieg waren die unvermeidlichen Folgen, und die stärkste kühnste entschlossenste Gesellschaft behielt die Oberhand, und um sie zu behalten, mußte jede Gesellschaft sich bemühen, sich zu verstärken. Man zog daher auf alle Weise Wilde von den benachbarten Inseln herüber, um mehr Raum auf der unsrigen einnehmen zu können, und der Krieg, der uns allen anfangs den Tod drohte, machte sie volkreich, bewohnt, angebaut.

Also«, schloß der Spanier seine Erzählung, »ist während deiner Abwesenheit deine Insel der Wohnort von sechs verschiedenen Gesellschaften geworden; also ist aus den Erfindungen, die Not, Zufall und Nachdenken einem einzigen hülflosen Menschen eingaben, allmählich Ackerbau, Kunstgeschäftigkeit und Handel erwachsen; so haben die Leidenschaften unsre Bedürfnisse und Bequemlichkeiten vermehrt, und so haben unsre vermehrten Bedürfnisse und Bequemlichkeiten unsre Leidenschaften vermehrt; so ist aus Stärke und Schwäche, aus Fleiß und Faulheit, aus Habsucht und Genügsamkeit eine Ungleichheit des Eigentums, der Macht, des Vermögens und der Neigungen entstanden; so haben alle diese Umstände zusammen verschiedene Arten von Regierung, Gesetze und den Anfang der richterlichen Gewalt hervorgebracht; so haben wir endlich das Geld kennengelernt, das zwar nur aus glänzenden Steinen besteht, aber uns ebensoviel gute und schlimme Dienste getan hat als den Europäern ihr Gold und Silber.«

Robinson war über den Fortgang ganz erstaunt, den seine Kolonie in so kurzer Zeit gemacht hatte; die Erzählung des Spaniers veranlaßte so viele und mannigfaltige Projekte in seinem Kopfe, daß er den übrigen Teil der Nacht nicht schlafen konnte. Bald wollte er die verschiedenen Gesellschaften, die auf der Insel waren und in keinem sonderlich guten Vernehmen stunden, in eine zusammen vereinigen und durch Gesetze, Regierung und Einrichtungen untereinander verknüpfen; bald schien es ihm für den Anbau der Insel und die Wohlfahrt ihrer Bewohner besser, wenn er eine jede bei ihrer Einrichtung ließe und sie bloß nötigte, ihn für ihr gemeinschaftliches Oberhaupt und den Herrn der Insel zu erkennen. Er wählte das letzte und teilte des Morgens darauf dem Spanier, der ihm die vorhergehende Geschichte der Kolonie erzählte, seinen Plan mit, der ihn darum guthieß, weil er durch die Ausführung die vier Aristokraten zu demütigen hoffte, die sich bisher so viele Vorzüge angemaßt und mit so großer Strenge geherrscht hatten. Er suchte also erst die Gesinnungen der übrigen Spanier zu erforschen, die unter dem Drucke jener Beherrscher litten, und brachte sie ohne sonderliche Mühe dahin, daß sie auf Robinsons Seite traten. Sobald man ihres Beistandes gewiß war, ließ der Spanier die ganze Gesellschaft zusammenberufen, und Robinson trug ihnen die Gründe vor, warum er das nächste Recht auf die Herrschaft der Insel zu haben glaubte; er versprach ihnen, daß er die Macht, die man ihm zugestehn würde, zu nichts anwenden wollte, als um in den wenigen Jahren, die er noch leben könnte, den Wohlstand und die Dauer der Gesellschaft durch gute Einrichtungen zu befestigen. Der größte Teil, der schon heimlich gestimmt und durch Geschenke gewonnen war, erklärte sich sogleich einmütig für ihn und rief ihn zum Regenten aus. Die Reichen, die bisher die Herrschaft gehabt hatten, weigerten sich zwar anfangs, ihre Macht verringern zu lassen, allein sie waren so überrascht und zugleich so übermannt, daß sie nicht lange auf ihrer Weigerung beharrten, sie behielten sich bloß die Rechte vor, die sie sich bisher auf mancherlei Weise rechtmäßig und unrechtmäßig erworben hatten. Um die Sache in Güte abzutun, willigte der neue Regent in alle ohne Unterschied, ob er gleich im Grunde mit den wenigsten zufrieden war. Er foderte zur Erkenntlichkeit für die vielen Dinge, womit er die Kolonie versorgt habe, und für die Dienste, die er ihr zu leisten gedenke, weiter nichts als Ruhe und Liebe für das gemeine Beste und versprach dafür, nichts anzuordnen, was nicht allgemein sowohl von dem Reichsten als Ärmsten gebilligt wäre. Zu seinem Unterhalte bedung er sich ein Stück Feld aus, das ein jeder in der Gesellschaft nach der Reihe ihm durch seine Sklaven bestellen und besäen lassen sollte, und außerdem ein freiwilliges jährliches Gehalt von allen Lebensmitteln, womit ein Verkehr getrieben würde. Auch dies gestunden die meisten zu, und der alte Mann nahm mit kindischer Freude von jedem seiner neuen Untertanen die Hand zur Versicherung ihrer Ergebenheit, umarmte, küßte und bat sie, ihm niemals den Namen Regent zu geben, wozu man ihn vorher ausgerufen hatte, sondern ihn ihren Vater zu nennen. Die Begierde nach einer Art von Herrschaft, so eingeschränkt und unbedeutend sie auch war, mußte seine Liebe zur Bequemlichkeit sehr stark überwiegen, daß er sich vornahm, den Rest seines Lebens in Umständen hinzubringen, die höchst elend waren, wenn man sie mit der Art verglich, wie er in England leben konnte; allein die Hoffnung, die Einigkeit und das gute Vernehmen auf seiner Insel wiederherzustellen und so viele nützliche Einrichtungen zu veranlassen, überwog bei ihm alle Gründe, die ihn davon abschrecken sollten. Er nahm seine alte Burg wieder in Besitz, brachte seinen Hofstaat in Ordnung und machte den Spanier, der ihm zur Regentschaft verholfen hatte, zu seinem Freunde und Vertrauten.

Die Anstalt, womit er seine Regierung eröffnete, betraf die mitgebrachten Handwerksleute, denen er einen besondern Platz anwies, wo sie sich Häuser bauen und ihre Werkstätte errichten sollten. Darauf nahm er in Gesellschaft seines Freundes eine Reise durch die Insel vor, um sich den übrigen Bewohnern zu zeigen und ihre Gesinnungen gegen ihn zu erfahren. Mit Erstaunen erblickte er fast bei jedem Schritte Veränderungen und Beweise des menschlichen Fleißes: Fruchtfelder, wo sonst niedriges Gras und Dornen wuchsen; Fruchtbäume, wo sonst unfruchtbares Gesträuch stand; lange Reihen von Hütten, die schon viel künstlicher und regelmäßiger waren als der erste Palast, den er auf der Insel gebaut hatte. Vorzüglich bewunderte er die Arbeit an den Häusern einiger Reichen, die von ihren Sklaven die äußern Wände hatten flechten lassen, wie die Zäune bei uns geflochten werden; die Dächer waren von der nämlichen Arbeit und so dicht, daß sie keinen Regen durchließen; die innern Wände waren gleichfalls geflochten, aber mit dünnern Ruten, die auf verschiedene Arten gefärbt und so gezogen waren, daß sie bunte Vierecke und andre Figuren bildeten. Einer von den Korbmachern war der Erfinder dieser Bauart und dieser Verzierungen, die lange Zeit auf der Insel die Stelle der Tapeten vertraten. Ebensosehr bewunderte er die hölzernen Pflüge und andre ländliche Werkzeuge, die schon einen ganz unerwarteten Grad von Vollkommenheit erreicht hatten; alle Geschirre waren nicht bloß fester und sauberer, sondern auch niedlicher in Ansehung der Form und Farbe. Der Mangel an Leinwand und an wollenen Manufakturen fiel am meisten in die Augen; man verfertigte zwar eine Art von Tuch zu Kleidern, wenn man es so nennen darf, aus getrocknetem Schilf, das sehr fein geschnitten, geflochten und mit einem klebrichten Leim oder Harze, den man in einer Höhle fand, übergossen wurde, wodurch es ungemeine Festigkeit bekam, aber wegen der Mühe und Zeit, die es erforderte, waren diese schilfnen Kleider außerordentlich teuer und also nur die Sache der Reichen. Die Ärmern kleideten sich in Ziegenfelle und trugen Regenkleider, aus Ruten geflochten, wie die vorhin beschriebenen Wände; sie waren spitz wie ein Zuckerhut, bedeckten den ganzen Menschen und hatten bloß an der Seite ein paar Öffnungen für die Augen; wenn ein Mensch unter einem solchen Regenkorbe dahinging, schien es ein wandelnder Turm zu sein. Man war zwar wegen der vielfältigen Unbequemlichkeiten, die diese Kleidungsart verursachte, schon lange darauf bedacht gewesen, die Ziegenhaare zu verarbeiten, allein man konnte nicht weiter darinne kommen, als daß man sie um ein langes Stück Bast flocht und jedes solches Geflechte an das andre mit Bast schnürte, woraus Decken entstunden, auf welchen man schlief und womit man sich des Nachts bedeckte. Die Zubereitung der Tierhaare und vorzüglich der Wolle, daß sie gewebt werden kann, die Zubereitung des leinenen Garns und seine Verarbeitung auf dem Weberstuhle, die Zubereitung der Tierhäute, die sie für Fäulnis bewahrt und ihnen die Dauerhaftigkeit des Leders gibt, diese drei Erfindungen, die in der Geschichte der menschlichen Bequemlichkeit die drei vorzüglichsten Epochen machen, konnten unmöglich von zwanzig Menschen auf einer Strecke Erdreich erfunden werden, die vielleicht sechs oder sieben Meilen betrug. Allen Nutzen ausfindig zu machen, den die drei Naturreiche unmittelbar darbieten, war nicht sonderlich schwer, und es gehörte nichts dazu, als daß die Menschen in vielen Teilen der Erde in kleinen Haufen zerstreut lebten, daß die Natur an jedem Orte irgend ein Produkt oder etliche in vorzüglicher Menge hervorbrachte und die übrigen versagte und daß also die verschiedenen Menschenhaufen durch die Verschiedenheit des Klima in verschiedene Not versetzt und durch verschiedene Arten des Zufalles belehrt wurden, wie sie die reichlich vorhandnen Materialien benutzen sollten; aber die Verarbeitung derselben war nur ein Werk vieler Jahrhunderte, war nur dann möglich, als die Menschen in großen Haufen beisammenwohnten, als der eine Teil derselben in großen Überfluß und der andre in großen Mangel geriet, als diese Ungleichheit Gewinnsucht, Neid, Ehrbegierde und tausend andre Leidenschaften anfachte und der Handel alle menschliche Begierden auf einen Punkt richtete – auf das Geld. Eine getrocknete Tierhaut statt der Kleidung umzuhängen, einige solche Felle mit Bast oder Fischdärmen zusammenzubinden, mit Fischgräten zusammenzustecken, eine gereinigte Muschelschale oder den gesäuberten Hirnschädel eines Tiers zum Trinkgeschirr zu gebrauchen, aus Schilf, Bast oder Haaren Matten zu flechten, aus einer klebrichten Erde einen Topf zu formen und ihn an der Sonne zu trocknen und im Feuer zu härten, Zinn oder Blei zu schmelzen und es in mancherlei Formen hart werden zu lassen – alle diese und viele andre Erfindungen dieser Art waren bald gemacht, sobald Zufall und Bedürfnis auf die Entdeckung der Materialien geführt hatte; aber welch ein unendlicher Weg ist es von dem Leinsamen bis zu dem Hemde, dem Tischtuche, dem Schreibepapiere, den Brüsseler Spitzen! von der Schafwolle, den Haaren des Hasens, des Kamels, des Bibers bis zum Tuchkleide, zum Strumpfe, zum Hute, zum Samtrocke! von der Haut, die dem Ochsen oder Kalbe abgestreift wird, bis zu den Sohlen unter unsern Füßen oder dem Handschuhe! Es ging also dieser Kolonie völlig, wie es allen kleinen Menschengesellschaften lange ging: sie benutzte bloß die Materialien aus dem Reiche der Pflanzen und Tiere, die sich gebrauchen ließen, ohne daß sie durch Verarbeitung eine neue Gestalt bekommen durften. Robinson sah indessen mit Vergnügen, daß sie so weit gekommen war, als eine abgesonderte Gesellschaft kommen kann, die ihr Möglichstes getan hat, wenn sie die natürlichen Produkte ihres Aufenthalts entdeckt und gebraucht, sosehr sie roh benutzt werden können; ihre Verarbeitung durch Maschinen muß sie von größern Gesellschaften lernen, die länger existiert haben.

Robinson, als er sich dies ein wenig genauer überlegte, zog den Schluß daraus, daß er der Kolonie durch die mitgebrachten Kleider, eisernen Instrumente und andre Dinge zwar mehr Bequemlichkeit für itzt verschafft, aber zu ihrer Dauerhaftigkeit nichts beigetragen habe, denn, sagte er sich, sobald die mitgebrachten Dinge verbraucht sind, ist sie wieder auf dem alten Flecke und kann ewig nicht weiter rücken, wenn sie nicht durch den Handel aus einem entlegenen Himmelsstriche von einer größern und ältern Menschengesellschaft die hier fehlenden Produkte der Natur und der Kunst empfängt oder Arbeiter hieher zieht, die jene zu erzeugen und diese zu verfertigen wissen. Aber wie soll sie von irgendeinem solchen Volke rohe Materien bekommen, die ihr fehlen, da sie nichts dagegen zu geben hat, weder andre Ware noch Geld, das bei ihm gilt? Denn unsre glänzenden Steine sind eine Münze, der man nirgends dieselbe Bedeutung beigelegt hat, die sie unter uns hat; unter allen Nationen ist nur Gold und Silber das einzige, wofür man alle Waren eintauschen kann. Es ist also kein andrer Weg übrig, als daß wir Wälder ausrotten und soviel fremde Pflanzen, Gewächse und Bäume hieher verpflanzen und hier anbauen, als unser Klima verträgt, daß wir soviel fremde Arten Vieh hieher bringen und sich hier fortpflanzen lassen, als wir nähren können, besonders solche, die dem Menschen arbeiten helfen, wie Pferde und Ochsen, daß wir besonders Leinweber, Tuchmacher und Lederarbeiter hieher zu bringen suchen und dann ein Produkt ausfündig machen, das wir allein besitzen oder das größre Völker sehr stark brauchen, dann eine Arbeit erdenken, die man nirgends so gut macht wie bei uns, die doch irgendwo sehr nützlich ist oder sehr gefällt; und für eine solche Materie oder eine solche Arbeit mag meine Kolonie ihre fehlenden Bedürfnisse und das größte Bedürfnis unter allen, Gold und Silber, eintauschen.

Dieser Plan nahm ihn so sehr ein, daß er seinem Reisebegleiter schon die Regierung überlassen und ehestens mit seiner Schaluppe nach Engeland reisen wollte, um Leinsamen, Hanfsamen, Pferde, Ochsen, Leinweber, Tuchmacher und Gerber herüberzuholen. Der Spanier riet ihm, die Ausführung seines Vorsatzes wenigstens noch einige Zeit zu verschieben; der kindische Alte, der sich von jedem Einfalle und jedem Rate herumtreiben ließ, änderte sogleich seinen Entschluß wieder und eröffnete seinen Reisegefährten eine andre Bedenklichkeit: er war mit sich selbst uneinig, ob er die drei Engländer mit Gewehr versorgen oder ob er die Spanier allein in dem Besitz dieser Waffen lassen sollte. Man kann leicht vermuten, daß der Spanier alle mögliche Gründe aufbot, ihn zu dem letzten zu bereden, und Robinson sahe selbst ein, daß es ein kleineres Übel wäre, wenn vielleicht die Spanier einmal ihr Gewehr mißbrauchen sollten, sich die ganze Insel zu unterwerfen, als wenn er beiden Teilen Lust und Gelegenheit gäbe, sich zu bekriegen und vielleicht gar zu vertilgen.

Bei den beiden despotischen Engländern nahm er mit Betrübnis wahr, was für traurige Wirkungen es hervorbringt, wenn das Oberhaupt einer Gesellschaft sie bloß nach Willkür und Einfällen behandelt, hart und grausam mit ihren Mitgliedern umgeht und die Früchte ihrer Arbeit allein genießt. Die Wilden, die unter ihnen stunden, waren dumm, niedergeschlagen, faul und selbst gegen Schläge nicht sonderlich empfindlich; sie konnten wenig von den Dingen machen, die bei den Spaniern verfertigt wurden; ihre Wohnungen waren die schlechtesten auf der ganzen Insel, obgleich ihre Oberherren in den ihrigen alle Bequemlichkeiten und Verschönerungen hatten, die man auf der Insel bekommen konnte; man merkte deutlich, daß die Herren das ganze Jahr durch bei ihren Untertanen zu Gaste waren.

Desto blühender und fröhlicher war der Anblick der kleinen handelnden Republik, die der dritte Engländer errichtet hatte. Geschäftigkeit, muntre Gesichter und eine Art von fröhlichem Mutwillen kam allenthalben entgegen; die Gleichheit, in welcher die Mitglieder lebten, hatte auch ihre Wohnungen einander so ähnlich gemacht, daß man in keiner so leicht mehr Bequemlichkeit und Schönheit fand als in der andern; keiner schwelgte, keiner darbte; in den Wohnungen saßen die Weiber und flochten Körbe, Regenmäntel, Tapeten aus Weidenruten, Matten aus Ziegenhaaren und Bast oder aus Schilf; am Strande bauten die Männer Kanots; andre luden Getreide, Wurzeln, Weintrauben und Manufakturwaren in ihre Kähne, um sie in die benachbarten Inseln zu verführen. Dies unerwartete Bild der Tätigkeit tat einen so starken Eindruck auf den alten Robinson, daß er sich vor Freuden nicht halten konnte; er flog dem Engländer, der der Urheber davon war, um den Hals und machte ihm und seiner Gesellschaft alle ersinnliche Lobsprüche; er versprach, ihnen von allen mitgebrachten Sachen etwas zuzusenden, damit sie ihren Zustand verbessern und Veranlassungen zu neuer Tätigkeit empfingen. Er schickte ihnen noch denselben Tag europäische Kleider, die aber keiner trug, weil sie ihrer nicht gewohnt waren; sie brauchten fast kein einziges von seinen Geschenken selbst, sondern verhandelten alles, wenn es nicht glänzte oder eine sehr bunte helle Farbe hatte; die eisernen Nägel wurden besonders die Lieblingsneigung der Damen, die sie an einer Schnure von Ziegenhaaren und Bast mit vieler Selbstgefälligkeit an dem braunen Halse trugen.


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