Johann Karl Wezel
Robinson Krusoe
Johann Karl Wezel

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Unterdessen erwachte bei unserm Abenteurer abermals die Neubegierde, das benachbarte feste Land kennenzulernen; er erkundigte sich deswegen bei Franzen, der den Weg sonst oft gemacht hatte, ob keine Gefahr bei der Überfahrt sei, und dieser versicherte, daß man weiter hin auf der See alle Morgen einerlei Wind und einerlei Strom und alle Nachmittage entgegengesetzten Wind und Strom fände. Von den Völkern, die auf dem festen Lande wohnen sollten, konnte er weiter keine Nachricht geben, als daß er sie Karaiben nannte, und weit hinter dem Monde – er wollte sagen, nach der Gegend hin, wo der Mond untergeht – wohnten nach seinem Berichte weiße bärtige Menschen, die viele Leute umgebracht hätten, womit er wahrscheinlich die Spanier meinte. Robinson verlangte von ihm zu wissen, wie man zu diesen weißen Menschen kommen könnte. – »In zwei Kanots«, antwortete er und erklärte durch Zeichen, daß er darunter ein Kanot, so groß wie zwei andere, verstund; auch erzählte er bei dieser Gelegenheit, daß sich gleichfalls weiße Menschen in seinem Vaterlande befänden, die in einem großen, großen Kanot bei ihnen angelangt wären und unter ihnen vier Jahre lang gewohnt hätten. Robinson vermutete, daß es Leute von dem Schiffe sein möchten, das vor einigen Jahren nicht weit von seiner Insel scheiterte, und faßte den Entschluß, sich zu ihnen hinüber zu wagen. Kaum hatte er seinen Vorsatz Franzen mitgeteilt, als dieser voller Freuden hüpfte, daß er sein Vaterland wiedersehen sollte, und Robinson war nicht weniger entzückt über die Hoffnung, weiße Europäer wiederzufinden. Er wurde zwar ein wenig eifersüchtig über Franzens Verlangen nach seinem Vaterlande und quälte sich mit allerlei Besorgnissen, daß er ihn in die Hände seiner Landsleute liefern wolle; als er aber erfuhr, wie gütig jene Weißen von ihnen aufgenommen worden waren, schöpfte er wieder Mut und gab alles Mißtrauen auf.

Sogleich legten sie Hand an, ein Fahrzeug für diese Reise zu bauen; Franz bewies sich sehr geschickt bei dieser Arbeit und wußte sich alle eiserne Instrumente entbehrlich zu machen. Robinson flickte aus seinen Resten alter Leinwand ein Segel zusammen, machte aus einer jungen Zeder einen Mastbaum, baute ein Steuerruder, alles mit unsäglicher Mühe, weil ihm die nötigen Werkzeuge fehlten.

Itzt war die neue Barke fertig, und Franz mußte sich in der Kunst, sie zu regieren, unterrichten lassen. Welche neue Verwunderung, welche neue Lust für ihn, wenn er das Fahrzeug nach Gefallen bald dahin, bald dorthin drehen konnte, wenn er das Segel richtete und so ganz Herr über den Lauf des Gebäudes war! Und nun obendrein das Vergnügen, daß es ihn in sein Vaterland bringen sollte! – Er war außer sich vor Wonne. Unterdessen trat die Regenzeit ein, und die Reise mußte bis zum November oder Dezember verschoben werden.

Diese günstige Zeit kam. Man fing schon an, das Fahrzeug mit Vorräten zu beladen, und Franz mußte an einem Morgen ans Ufer gehn, um Schildkröten zu suchen, indessen daß Robinson andere Anstalten besorgte; plötzlich kömmt Franz mit lautem Geschrei zurück und verkündiget, daß er ein, zwei, drei Kanots gesehen habe. Er war in Todesschrecken und ließ sich nicht beruhigen, soviel Mühe auch Robinson sich gab, sondern bildete sich fest ein, daß die Wilden kämen, um ihn aufzusuchen und an ihm zu vollziehen, was er ihnen vor drei Jahren durch seine Flucht unmöglich gemacht hatte. – »Bin ich nicht in ebenso großer Gefahr?« stellte ihm sein Herr vor. »Sie werden meiner ebensowenig schonen, wenn sie Herr über uns werden. Hier hilft also kein Zagen; wir müssen uns mutig zur Gegenwehr rüsten und zusammen leben und sterben. Ich wage mein Leben für dich, versprichst du mir, das nämliche zu tun und mir in allem zu gehorchen?« – Franz, durch das mutige Beispiel seines Herrn aufgemuntert, gab ihm seine rechte Hand darauf und gelobte Herzhaftigkeit und Gehorsam an.

Robinson trank darauf mit ihm ein gutes Glas Rum, um seine Tapferkeit noch mehr zu befeuern und das geschlossene Bündnis zu befestigen. Franz wurde mit einer Axt und zwei scharf geladenen Flinten bewaffnet, und Robinson nahm für sich seine Pistolen und vier Musketen, mit kleingehacktem Eisen geladen; in dieser Verfassung erwarteten sie unerschrocken den Feind.

Robinson stieg auf den Felsen bei seiner Wohnung und erblickte durch das Fernglas einige zwanzig Wilde am Ufer, die in drei Kanots gekommen waren und drei Gefangene bei sich hatten; sie waren nicht an dem Orte ausgestiegen, wo Franz dem Tode entlief, sondern an einem andern, wo sich ein lichtes Gehölz beinahe bis zum Meere erstreckte. Robinson wurde durch diese Entdeckung mit neuer Entschlossenheit belebt und wollte itzt nicht mehr den Angriff erwarten, sondern ihn tun. Franz mußte außer seinem Gewehre noch einen Sack voll Kugeln tragen; sie gaben einander noch einmal das Wort, sich unverrückt bis in den Tod beizustehn, und nun hub der Marsch an. Sie erreichten ungesehen das Gehölz, aus welchem sie auf die Wilden schießen konnten, ohne von ihnen entdeckt zu werden. Unterwegs, da die Wirkungen des Rums ein wenig verflogen waren, wurde Robinsons Entschlossenheit durch manche Betrachtungen geschwächt; es fiel ihm ein wie vormals, daß er kein Recht habe, diese Barbaren zu bekriegen, da sie ihn nicht beleidigten. Aber, sagte er sich, Franz hat alle Ursachen zum Kriege, denn sie sind seine Feinde, und ich bin Franzens Freund, steh ihm wider seine Feinde bei und habe also auch gerechte Ursachen zum Kriege.

So scheinbar dieser Grund war, um einen schon gefaßten Entschluß zu beschönigen, so wurde doch Robinson durch ihn in seinem Vorsatze nicht befestigt; er nahm sich vor, von der Unmenschlichkeit der Wilden bloß ein Augenzeuge zu sein und sich so lange ruhig zu verhalten, bis es ihm Abscheu und Widerwillen nicht länger erlaubten oder, wie er sich ausdrückte, bis ihn der Himmel durch einen besonderen Beruf dazu auffoderte. Er schlich sich also nebst seinem Begleiter in möglichster Stille dem Orte, wo die Wilden waren, so nahe, daß ihn nur noch ein schmaler Streifen Holz von ihm trennte. Franz mußte auf einen hohen Baum steigen, um Kundschaft einzuziehen; er kam mit der Nachricht zurück, daß die Wilden insgesamt um ein Feuer herum säßen und sich mit dem Fleische eines von ihren Gefangenen sehr gütlich täten und daß einige Schritte von ihnen noch ein anderer gebunden und ausgestreckt auf der Erde läge, den bald das nämliche Schicksal treffen würde, und daß dieser letzte so ein weißer bärtiger Mensch wäre, wie seine Landsleute vor einiger Zeit etliche bei sich aufgenommen hätten. Nun hatte Robinson den besondern Ruf des Himmels erhalten, auf welchen er wartete: die Lebensgefahr eines Menschen, der mit ihm einerlei Farbe, vielleicht auch einerlei Vaterland und Religion hatte, war doch wohl ein hinlänglicher Bewegungsgrund, Krieg mit Leuten anzufangen, die sich unterstunden, einen Weißen, einen Europäer, einen Christen zu essen? Der Zorn übermannte ihn; er fand einen kleinen Hügel, mit Gesträuch bedeckt, postierte sich darauf mit Franzen und befahl ihm, genau achtzuhaben und alles zu tun, was er ihn würde tun sehn. Der Gebundene, den er an seiner Kleidung für einen Europäer erkannte, war nur noch einige Augenblicke vom Tode entfernt, zween Wilde wurden schon zu ihm abgesendet, vermutlich um ihn zu zerstücken. Robinson legte seine Muskete an, Franz tat das nämliche mit einer Flinte, sie zielten, Robinson gab ein Zeichen, sie schossen los. Drei Wilde stürzten sogleich tot hin, fünfe wanden sich schmerzhaft und heulend wegen der empfangenen Wunden; die übrigen blieben lange, von Schrecken angefesselt, sitzen und sahen erstaunt nach dem heitern Himmel, von welchem nach ihrer Vermutung der tödliche Donnerschlag gekommen sein mußte. Die beiden versteckten Krieger nützten diesen Augenblick der Bestürzung und gaben zum zweiten Male Feuer; die Wilden flüchteten, einige bluteten, andere schrien, einige fielen kraftlos, andere völlig tot zu Boden. Robinson warf das abgefeuerte Gewehr nieder, nahm die zweite Muskete und befahl Franzen, ihm zu folgen; sie brachen mit großem Geschrei aus ihrem Hinterhalte hervor. Franz verfolgte die Flüchtigen, die sich in ihre Kanots retten wollten, und traf zwei unter ihnen, als sie eben vom Lande abstießen; Robinson eilte zu dem Gebundenen, den seine Mörder auf den ersten Schuß verlassen hatten, hieb seine Banden entzwei und half ihm sich aufrichten. Der arme Mensch war durch die Furcht vor dem nahen Tode so sehr entkräftet, daß er kaum stehen konnte; sein Befreier stärkte ihn aus der Flasche, woraus er den Leuten gewöhnlich Kräfte und Tapferkeit mitteilte, und erfuhr auf seine Anfrage, daß er einen Spanier errettet hatte. Der Gerettete wollte ihm seine Dankbarkeit so lebhaft ausdrücken, wie sie ein Mensch empfindet, der fast so gut als tot gewesen ist; doch hierzu war itzt keine Zeit. Robinson nahm sein ganzes Spanisches zusammen, das er wußte, um ihm begreiflich zu machen, daß der Kampf noch nicht aus sei; er gab ihm eine Pistole und einen Degen und ermahnte ihn, alle Kräfte aufzubieten und mit diesen Waffen die Feinde zu verfolgen. Rache und Wut gaben ihm Stärke; er fiel die Wilden mit angestrengter Heftigkeit an und konnte um soviel leichter zwei von ihnen niederhauen, weil sie sich nicht verteidigten und von dem Schrecken über den unvermuteten Knall der Musketen nicht wieder zurückkommen konnten.

Itzt hatte Robinson nur noch eine geladene Flinte, und gleichwohl waren zween Wilde in das Gebüsch geflüchtet; Franz lief zu dem Baume, wo der Streit angefangen hatte, holte das abgefeuerte Gewehr, und während daß es geladen wurde, erhub sich ein sehr lebhafter Kampf zwischen dem Spanier und einem Wilden, der jenen mit einem hölzernen Säbel anfiel. Der Spanier stritt mit ungleichen Kräften, aber mit gleichem Mute und hatte dem Indianer schon zwei Verwundungen an dem Kopfe beigebracht, als ihn dieser mitten bei dem Leibe faßte, niederwarf und ihm mit aller Gewalt den Säbel aus der Hand winden wollte; der Spanier verlor in dieser äußersten Gefahr seine Fassung nicht, sondern war so klug und ließ den Säbel fahren, spannte sogleich die Pistole und schoß seinen Gegner in die Brust, als er eben ausholte, ihm mit dem eroberten Säbel einen Streich zu versetzen. Franz verfolgte ihn mit seiner Axt und brachte drei Verwundete um, holte sich eine geladene Flinte und jagte die beiden auf, die ins Holz geflohen waren; einen darunter, als sie nach dem Ufer zu flohen, schoß der Spanier nieder; der andere warf sich ins Meer und schwamm zu dem Kanot, worinne er nebst drei andern entkam; also waren siebenzehn Mann auf der Walstatt geblieben.

Franz bestund darauf, daß man den Fliehenden in einem der zurückgelassenen Kanots nachsetzen sollte, damit keiner nach Hause käme, der seine Landsleute aufmuntern könnte, den Tod seiner Kameraden zu rächen. Sein Rat wurde befolgt; sie stiegen in einen Kanot, wo sie noch einen Gefangenen antrafen, der gebunden und ohne alle Bewegung fast wie tot dalag; er wurde sogleich losgeschnitten. Der arme Alte konnte sich nicht aufrecht erhalten, seufzte und ächzte sehr kläglich, als man ihn losband, weil er nicht anders glauben konnte, als daß man ihn zum Tode führen würde. Kaum hatte ihm Franz etwas genau ins Gesicht gesehen, als er sich auf ihn warf, weinte, lachte, in die Hände klatschte, um ihn herumtanzte, sich ins Gesichte schlug, sang und hüpfte wie ein Verrückter. Robinson setzte ihm mit häufigen Fragen zu, was ihn zu so tollen Gebärden veranlaßte, aber er konnte nicht reden; endlich entwickelte sich das Rätsel: der Losgeschnittene war sein Vater.

Franzens Vergnügen über die Errettung seines Vaters aus einer Gefahr, deren Fürchterlichkeit er aus eigener Erfahrung kannte, war so heftig und so anhaltend, daß er Freunde und Feinde darüber vergaß; bald sprang er zu ihm in das Kanot, bald heraus, bald wieder hinein, setzte sich neben ihm, drückte seines Vaters Kopf an seine Brust und rieb ihm bald die Hände, bald die Füße, um die Schmerzen zu mindern, die ihm die Banden verursacht hatten.

Zum Glücke hatte sie dieser Zufall abgehalten, den Wilden nachzusetzen, denn eine halbe Stunde darauf erhob sich ein schrecklicher Orkan, der die ganze Nacht hindurch dauerte und die Flüchtlinge notwendig von ihrem Wege abgetrieben haben mußte, da er ihnen entgegenblies, wenn sie nicht etwa gar darinnen umkamen.

Robinson wollte den beiden neuen Gästen seine Gastfreiheit beweisen und befahl Franzen, aus seiner Wohnung getrocknete Weinbeeren, Gerstenkuchen und Wasser zu holen; kaum war der Befehl aus dem Munde, so rennte schon der entzückte Bursche mit der größten Eilfertigkeit davon und kam schneller zurück, als man glaubte, setzte alles, was er brachte, seinem Vater vor und dachte gar nicht daran, daß der Spanier auch einer Erquickung bedürfte, und gleichwohl hatte dieser durch den angestrengten Kampf mit dem Wilden sich so entkräftet, daß er lechzte und vor Müdigkeit kaum die Augen öffnen konnte. Franz mußte ihm die aufgeschwollenen Füße mit Rum reiben; so willig und geschäftig er diesen Liebesdienst an ihm verrichtete, so kehrte er doch von Zeit zu Zeit die Augen nach seinem Vater hin, und da er ihn einmal nicht mit dem ersten Blicke gewahr wurde, verließ er hurtig den Spanier und lief in das Kanot, aber seine Unruhe wurde sogleich gestillt, als er den Alten ausgestreckt in tiefem Schlafe fand.

Nachdem sich die beiden Kraftlosen ein wenig erholt hatten, machte man Anstalt, sie in Robinsons Wohnung zu schaffen; Franz lud den Spanier, weil er ihm zu langsam ging, auf seine Schultern und trug ihn ins Kanot zu seinem Vater, stieß es vom Lande ab und schiffte damit trotz des Sturms am Ufer hin bis zu der kleinen Bai, lief zu Lande zurück und holte das andere Kanot, worinnen er seinen Herrn, der den Weg bis dahin zu Lande gemacht hatte, durch die Bai hinüberbrachte. Man setzte die beiden Matten ans Land, baute von Ästen eine Sänfte und trug sie darauf in die Wohnung; weil sie nicht über den Wall hinübersteigen konnten, wurde in der Geschwindigkeit außer demselben eine Hütte gemacht und ihnen darinne ein Lager von Stroh bereitet.

Nun war Robinsons einsame Insel auf einmal bevölkert und aus dem trostlosen Einsiedler ein kleiner Monarch geworden, der nicht mehr über Ziegen, sondern über Menschen herrschte; seine Untertanen waren ihm alle das Leben schuldig und gehorchten ihm also aus Dankbarkeit. In seinem Staate herrschten sogar drei Religionen: Franz war ein Protestant, sein Vater ein Heide und der Spanier ein Katholik; und wie ein billiger und weiser Regent gab ihnen ihr Beherrscher völlige Gewissensfreiheit.

Um seine Untertanen nicht verhungern zu lassen, holte der kleine Monarch mit eigener hoher Hand eine Ziege, schlachtete sie und bereitete daraus eine Mahlzeit, wobei es gekochtes und gebratnes Ziegenfleisch gab; nach geendigtem Gastgebote wurden die Toten begraben, und der Ort, wo sonst die Wilden ihre barbarischen Feste hielten, mit Feuer so verwüstet, daß keine Spur der Unmenschlichkeit mehr übrigblieb. Nichts war nunmehr so sehr zu fürchten als die Rückkunft der Wilden, und Robinson machte deswegen neue Kriegsrüstungen, um einen Anfall von ihnen aushalten zu können; allein da sich in langer Zeit kein Feind meldete, verlor sich seine Furcht und Wachsamkeit, und er vermutete, daß entweder die vier Entflohenen im Sturm umgekommen wären oder daß sie sich scheueten, einen Fuß wieder auf eine Insel zu setzen, die sie für nichts anders als bezaubert halten mußten. In der Folge erfuhr er, daß er recht vermutet hatte: die Wilden waren wirklich nach Hause gekommen und hatten erzählt, daß Geister vom Himmel herabgestiegen wären und ihre Gefährten mit Donner und Blitz getötet hätten.

Durch einige Unterredungen mit dem alten Wilden, wobei Franz die Stelle des Dolmetschers vertrat, bekam Robinson neue Lust, den Weg nach dem festen Lande zu versuchen; der Alte versicherte ihn, daß ihn seine Landsleute sehr wohl aufnehmen würden; der Spanier berichtete ihm auch, daß noch sechzehn andere Europäer, teils Spanier, teils Portugiesen, sich daselbst aufhielten, zwar in Friede mit den Wilden lebten, aber aus Mangel an Lebensmitteln beinahe verhungerten. Sie waren nach seiner Erzählung auf einem spanischen Schiffe, das Häute und Silber nach Havana führen wollte, von Rio della Plata gekommen, in einen schrecklichen Sturm geraten und auf der Schaluppe an die Küste getrieben worden; sie sollten auch einiges Gewehr bei sich haben, das sie aber aus Mangel an Pulver und Kugeln nicht brauchen konnten. Robinson verfiel gleich auf den Gedanken, seine Kolonie mit diesen Europäern zu vermehren, aber aus Mißtrauen gegen sie, weil es meistens Spanier waren, wollte er sich ohne hinlängliche Sicherheit nicht mit ihnen einlassen; gleichwohl wünschte er gar sehnlich, mit ihrer Beihülfe ein Schiff zu bauen und alsdann entweder nach Brasilien oder nach den spanischen Inseln zu gehn. Der Spanier erbot sich zum Abgesandten, er wollte mit Franzens Vater hinüberreisen und seinen Kameraden den Plan mitteilen, und wenn sie darein willigten, sollten sie ihm durch einen förmlichen Schwur angeloben, Robinson für den Kommendanten des Schiffs zu erkennen und ihm alle Treue und Gehorsam bis zu ihrer Ankunft in ein christliches Land zu leisten. Um auch von seiner Seite keinem Mißtrauen Platz zu lassen, tat er selbst vor seiner Abreise einen Eid und machte sich verbindlich, Robinson bis auf den letzten Blutstropfen zu verteidigen, wenn seine Landsleute niederträchtig genug wären, ihr Versprechen nicht zu halten, wiewohl er versicherte, daß so etwas nicht zu befürchten wäre, da sie mit Freuden eine Gelegenheit ergreifen würden, sich von ihrer Not zu befreien.

Die Gesandtschaft war zwar beschlossen, aber man hielt es für klug, sie noch so lange zu verschieben, bis man hinlängliche Lebensmittel für die neuen Bewohner hätte; alle viere stellten sich also an den Ackerbau und rissen soviel Boden um, als sich mit ihren hölzernen Werkzeugen bezwingen ließ, und säeten alle Gerste und allen Reis, den sie bis zur nächsten Ernte missen konnten. Unterdessen suchten sie schon Holz zum Schiffe aus, das gebaut werden sollte; Robinson lehrte seine Gefährten die Handgriffe, die ihm der Zufall und Nachdenken ehmals entdeckt hatten, wie man ohne die nötigen Instrumente Bretter schneiden konnte. Zu gleicher Zeit wurde auch die Ziegenherde vermehrt, Weintrauben gesammlet, soviel ihrer zu bekommen waren, und nachdem sie reichliche Ernte gehalten und also alle Anstalten zur Bewirtung neuer Gäste getroffen hatten, reiste der Spanier, von Franzens Vater begleitet, nach dem festen Lande ab.

Es vergingen acht Tage, und die Abgesandten erschienen nicht; Franz mußte beständig auswandern und sich nach ihnen umsehen; an dem neunten Morgen in aller Frühe, da sein Herr noch schläft, kömmt er mit freudiger Übereilung ins Zelt hereingesprungen und schreit einmal über das andere: »Sie sind da! Sie sind da!« Robinson steht auf, geht durch das kleine Wäldchen, das seine Wohnung umgab, und erstaunt nicht wenig, als er eine Schaluppe mit vollem Segel nach seiner Insel herzueilen sieht. Das konnten auf alle Fälle nicht die Leute sein, die sie erwarteten, denn sie kamen aus einer ganz andern Gegend und in einem ganz andern Fahrzeuge. Weil man nicht wußte, ob es Freunde oder Feinde waren, hieß Robinson Franzen sich ruhig verhalten und stieg auf den Felsen, wo er durchs Fernglas deutlich ein Schiff vor Anker in der Entfernung einer Meile erblickte; aus seiner Bauart schloß er, daß es ein englisches war. Die vermischten Empfindungen, die dieser Anblick in ihm erregte, sind unbeschreiblich. Ein Schiff zu sehen, das nach aller Wahrscheinlichkeit zu seiner Nation gehörte, war freilich kein geringes Vergnügen, aber was hatten Engländer in diesem Meere zu tun? In diesem Teile der Welt, wohin sie keinen Handel trieben und wo sie auch kein Weg zu einem ihrer Handelsplätze führte? Verschlagen konnten sie nicht sein, weil seit langer Zeit kein Sturm gewesen war; man mußte also notwendig schlimme Absichten und schlimme Ursachen vermuten, und Robinson hielt es deswegen für klüger, sich versteckt zu halten als vielleicht in mörderische oder diebische Hände zu fallen.

Nach einiger Zeit näherte sich die Schaluppe dem Ufer, als wenn sie eine Bucht suchte, um zu landen, aber da sie die kleine Bai nicht fanden, deren so oft gedacht worden ist, so stießen sie die Schaluppe ohngefähr eine Viertelmeile von Robinsons Wohnung auf den Sand. Es stiegen eilf Personen aus, die alle Engländer zu sein schienen, bis auf einen oder zwei, die Robinson fälschlich für Holländer ansah, drei darunter waren unbewaffnet und gebunden. Einer unter diesen dreien bezeugte bei dem Aussteigen den äußersten Schmerz und eine Verzweiflung, die sich in allen Gebärden ausdrückte; die beiden andern schienen auch sehr niedergeschlagen, doch weniger heftig in ihrer Betrübnis als jene. Franz bildete sich ein, daß die Engländer so gut wie die Wilden diese gebundenen Gefangenen fressen wollten, und ob ihm gleich Robinson dafür die Gewähr leistete, so war er doch für ihr Leben besorgt, weil einer von den übrigen diesen Unglücklichen etlichemal mit dem Degen drohete. Wie nötig war itzt die Gegenwart des Spaniers und des alten Wilden!

Die Engländer schweiften durch die ganze Insel herum, als wenn sie das Land untersuchen wollten; die drei Gefangenen waren indessen allein und in völliger Freiheit, aber sie rührten sich nicht von der Stelle, sondern setzten sich tiefsinnig und traurig am Ufer nieder, beinahe in der nämlichen trostlosen Stellung, wie Robinson bei seiner ersten Ankunft auf der Insel dasaß.

Bei ihrem Landen war gerade die höchste Flut, und während daß sie herumschweiften, trat die Ebbe ein und setzte ihre Schaluppe aufs Trockne. Sie hatten zwar zwei Leute darauf zurückgelassen, die sich aber mit Branntewein berauschten und einschliefen; der eine wachte zufälligerweise auf und rief die übrigen mit lautem Geschrei herbei, um das Fahrzeug von dem Sande wegzubringen, allein es gelang ihnen nicht, ob sie gleich alle ihre Kräfte dazu vereinigten. – »He, Johann!« rief einer, »laß es stehen! Die nächste Flut wird es schon wieder flottmachen!« – und mit der wahren Sorglosigkeit der Seeleute gingen sie davon, ohne sich weiter darum zu bekümmern.

Nun dachte Robinson auf mancherlei Mittel, die Gefangenen zu befreien, da er wußte, daß die Flut unter zehn Stunden nicht wieder eintrat; er setzte sich indessen in vollkommenen Verteidigungsstand, denn er hatte itzt mit Leuten zu tun, wo der Kampf schwerer war als mit den furchtsamen nackten Wilden; gleichwohl rechnete er auch ein wenig auf seine fürchterliche Figur, die allerdings bei jedermann Furcht erregen mußte. Auf jeder Schulter eine Flinte, zwei Pistolen im Gurte, den Säbel an der Seite, begab er sich bei dem Einbruche der Dämmerung in die Nähe des Baums, unter welchem die Gefangenen lagen; die übrigen hatten sich in das Holz zerstreut, vermutlich um dort auszuruhen, und Franz folgte ihm in einer kleinen Entfernung nach.

Sobald er nahe genug war, um von den drei Leuten gehört zu werden, fragte er sie auf Spanisch, wer sie wären: sie schwiegen. Er wiederholte seine Frage auf Englisch und ermahnte sie, sich nicht vor ihm zu fürchten, weil er gekommen sei, um ihnen zu helfen; die Unglücklichen wollten an keine Hülfe glauben und konnten sich kaum vorstellen, daß ein Mensch mit ihnen redete; sie seufzten und schwiegen. »Seid ruhig!« sprach endlich Robinson, »ich bin euer Landsmann, ein Engländer, habe einen einzigen Sklaven bei mir, habe Waffen und Munition! Itzt wißt ihr, wie groß meine Hülfe sein kann, und nunmehr erzählt mir offenherzig euer Unglück!« – »Unsere Erzählung würde zu lang sein«, fing der Niedergeschlagenste unter ihnen an. »Ich bin der Kommandeur des Schiffes gewesen, das dort in der Ferne liegt; meine Leute haben einen Aufstand wider mich erregt und wollten mich beinahe umbringen, und nunmehr soll ich hier in dieser Einöde zurückgelassen werden nebst diesen beiden Leuten, worunter der eine mein Steuermann, der andre ein Passagier ist. Wir hielten diese Insel für unbewohnt und glaubten darauf Hungers zu sterben, und noch ist unsre Errettung ungewiß, ob sie uns gleich so edelmütig angeboten wird.« – »Wo sind die Bösewichter, die euch in diesen Zustand versetzten?« fragte Robinson; sie zeigten auf ein nahes Gesträuch. Robinson erkundigte sich weiter, ob die Rebellen Gewehr bei sich hätten. – »Nur zwei Flinten, wovon die eine in der Schaluppe liegt!« war die Antwort. Robinson war schon bereit, sie im Schlafe umzubringen, doch da er vernahm, daß nur zween darunter eigentliche Bösewichter waren und daß man die übrigen sehr leicht zur Vernunft bringen könnte, wenn man über diese beiden Herr geworden wäre, so ließ er seinen mörderischen Vorsatz fahren und riet den Gefangenen, ihm ins Gebüsch zu folgen, um dort unbemerkt Beratschlagung zu halten; sie folgten ihm. Er legte dem Kommandeur zwo Bedingungen vor, unter welchen er ihm alles für seine Befreiung zu wagen versprach. Erstlich sollte er ihm sein Wort geben, daß er sich nie die geringste Gewalt anmaßen wollte, solange er auf der Insel bei ihm sein würde, daß er auf Robinsons Befehl die Waffen ergreifen oder niederlegen und ihm in allem gehorchen und auf seiner Seite sein wollte; zweitens, wenn es ihm glückte, das Schiff wiederzubekommen, sollte er ihn nebst seinem Sklaven unentgeltlich nach England bringen. Der Kommandeur und seine beiden Mitgefangenen willigten ohne Anstand in beide Bedingungen und versprachen, ihren Befreier allenthalben hin zu begleiten und mit ihm zu leben und zu sterben, im Falle daß es ihnen nicht gelänge, das Schiff wieder in ihre Gewalt zu bekommen.

Nach dieser feierlichen Angelobung gab Robinson einem jedem eine Muskete und riet abermals, auf die Schlafenden zu feuern und denjenigen das Leben zu schenken, die nicht getroffen würden und sich auf Gnade ergäben. Der Kommandeur war ungemein abgeneigt, Blut zu vergießen, gleichwohl fand er es unvermeidlich, weil sie die beiden Rädelsführer nicht entwischen lassen durften, die sonst mit der ganzen Mannschaft des Schiffs zurückkommen und sie ohne Barmherzigkeit niedermachen würden; es half nichts, man mußte notwendig umbringen, um nicht umgebracht zu werden. Unter diesen Beratschlagungen stunden zwei von den Aufrührern auf und begaben sich hinweg; da es nicht die Hauptverbrecher waren, ließ man sie ungestört gehen. Die zwei Gefährten des Kommandeurs marschierten voran und weckten durch ihr Geräusch einen Matrosen auf, der seine Kameraden aus dem Schlafe rief; doch ehe sie sich erheben konnten, feuerten die beiden Anrückenden unter sie, töteten den einen Hauptaufrührer und verwundeten den andern; der Verwundete sprang hastig auf und schrie um Hülfe. »Bete und stirb!« schrie ihm der Kommandeur entgegen, stürzte mit dem Säbel auf ihn hinein und hieb ihn danieder. Noch waren drei übrig und einer darunter leicht verwundet; sie stellten sich zwar zur Gegenwehr, aber Robinson erschien mit seiner fürchterlichen Gestalt, Franz hinter ihm drein, und sie baten demütig um ihr Leben, da sie mit ihrem Widerstande nichts auszurichten hofften; der Kapitän gestand ihnen ihre Bitte unter der Bedingung zu, daß sie das Schiff wieder erobern helfen und ihm getreulich und gehorsam nach Jamaika folgen sollten, woher er kam. Sie gelobten ihm alles feierlich an und mußten sich bequemen, sich um der Sicherheit willen Hände und Füße binden zu lassen.

Sogleich wurde Franz abgeordnet, sich der Schaluppe zu bemächtigen und Segel und Ruder wegzunehmen. Drei Matrosen, die sich zu ihrem Glücke von dem Haufen entfernt hatten, kamen auf den Knall der Musketen zurück, und da sie nichts als Tod oder Unterwerfung vor sich sahen, ergaben sie sich gleichfalls und ließen sich binden wie die übrigen.

Der Kapitän konnte sich von seinem Erstaunen und seiner Verwunderung nicht erholen, als er Robinsons Festungswerke, die Ordnung, die in seiner Wohnung herrschte, und alle übrigen Anstalten seines erfindsamen Fleißes erblickte. Sie überlegten miteinander, wie sie ihre Hauptabsicht, sich des Schiffes zu bemächtigen, bewerkstelligen sollten; es waren nach des Kapitäns Bericht noch sechsundzwanzig Menschen darauf, die wegen ihrer Zusammenverschwörung alle den Tod verdient hatten und also aus Verzweiflung das Äußerste wagen würden, wenn man sie angriffe, damit sie nicht nach England oder in eine englische Kolonie gehen dürften, wo sie den Strang zur Bestrafung ihres Verbrechens bekämen; gegen eine so große Anzahl etwas zu unternehmen war äußerst mißlich, und man mußte daher durch List über sie Herr zu werden suchen. Es war zu vermuten, daß sie die andre Schaluppe ausschicken würden, um zu erfahren, wo die erste geblieben wäre; Robinson schlug deswegen vor, daß man diese versenken sollte, und sein Rat wurde gebilligt; man nahm alles heraus, was sich darinnen befand, machte ein Loch in ihren Boden, daß sie die Feinde nicht brauchen konnten, und trieb sie mit allen Kräften auf das Gestade, damit sie die Flut nicht so leicht wieder flottmachen konnte. Mitten unter dieser mühsamen Arbeit hörten sie einen Kanonenschuß und sahen auf dem Schiffe das gewöhnliche Zeichen, wodurch der Schaluppe zu erkennen gegeben wird, daß sie wieder an Bord kommen soll; allein man mochte schießen und Zeichen machen, soviel man wollte, die Schaluppe kam nicht wieder an Bord. Nicht lange darauf wurden sie durch das Fernglas gewahr, daß man ein anderes Boot aussetzte und nach dem Ufer zuruderte; bei der Annäherung desselben bemerkten sie darinne zehn Mann, alle bewaffnet, und der Hochbootsmann war der vornehmste unter ihnen. Der Kapitän besorgte zwar sehr, daß sie mit einer solchen Menge nichts ausrichten würden, vorzüglich da es insgesamt, drei oder vier ausgenommen, die ärgsten Bösewichter wären. – »Wohl!« unterbrach ihn Robinson, »so wollen wir diese drei oder vier zu erhalten und in unsre Gewalt zu bekommen suchen, damit sie uns in der Folge wider die übrigen beistehen.« – Der Kapitän bekam wieder Mut, und das Boot langte an.

Die beiden Verdächtigsten unter den Gefangenen mußte Franz in die Grotte bringen, aus welcher sie den Weg nicht leicht wieder zurückfinden konnten, wenn sie sich auch von ihren Banden befreieten; zween andre wurden in Robinsons Wohnung gebracht und den drei übrigen auf das gute Zeugnis des Kapitäns die Freiheit gegeben; sie mußten Treue und Gehorsam schwören, und auf diese Art waren ihrer sieben, die sich dem ankommenden Boote entgegenstellten. Sobald es anlangte, wurde es auf den Strand hinauf gesetzt; die zehn Personen, die darinne kamen, erblickten mit Erstaunen das große Loch in dem ersten Boote, schrien etlichemal alle zusammen, und da sich keiner von ihren Kameraden meldete, traten sie in einen Kreis und schossen ihr Gewehr auf einmal los: es meldete sich keiner von ihren Kameraden. Sie konnten sich gar nicht vorstellen, was vorgegangen sein mußte, und stiegen in ihr Boot hinein, um zum Schiffe zurückzufahren; bald darauf stiegen sie wieder aus, und nur drei blieben darinne; die übrigen wanderten auf der Insel herum. Sie marschierten in einer geschlossenen Reihe geradesweges auf den Felsen los, bei welchem Robinsons Wohnung stund, und da sie oben waren, schrien sie etlichemal aus allen Kräften; es war niemand weder zu sehen noch zu hören, und so setzten sie sich nieder und hielten Rat, denn tief in das Land hinein wollten sie sich nicht wagen, um nicht das nämliche Schicksal zu haben, das wahrscheinlicherweise ihre Kameraden betroffen hatte. Wenn sie sich nur schlafen gelegt hätten! So wäre Robinson mit seinem Trupp aus seinem Hinterhalte hervorgebrochen und hätte sie glücklich überwältigt wie die ersten, aber da sie nicht für gut befanden, ihm diesen Vorteil über sich einzuräumen, so tat der Kapitän den Vorschlag, sobald sie eine zweite Salve aus ihrem Gewehre gegeben hätten, sie sogleich zu überfallen und zur Unterwerfung zu zwingen. Auch dieser Anschlag vereitelte sich, denn sie gaben keine zweite Salve, sondern kehrten nach dem Ufer zurück.

Der Kapitän geriet außer sich, daß ihm seine Hoffnung so ganz fehlzuschlagen schien; man mußte die Leute schlechterdings wieder zurückzubringen suchen, und Robinson verfiel auf eine List, wodurch er diesen Endzweck sehr gut erreichte. Der Steuermann und Franz mußten durch die kleine Bai gehen und auf jedem Hügel, den sie fanden, laut schreien, als wenn sie die verlornen Kameraden wären, und die Angekommnen durch wiederholtes Geschrei tief ins Gebüsch hineinlocken. Es geschah: die Kundschafter wollten eben den Fuß in die Schaluppe setzen, als sie zum ersten Male das Geschrei hörten; sie stiegen sogleich wieder heraus und gingen nach der Gegend hin, woher es kam; auf einmal wurden sie von der Bai aufgehalten, und ein paar von ihnen mußten das Boot holen, worinne sie überfuhren; es wurde an einem Baume angebunden und von zwei zurückgelassenen Matrosen bewacht.

Alles ging erwünscht: einer von den Zurückgelassenen lag halb eingeschlafen auf dem Sande; der Kapitän sprang auf ihn zu, versetzte ihm einen Streich mit dem Säbel auf den Kopf und rief dem andern in dem Boote zu, daß er sich den Augenblick ergeben sollte, um einem gleichen Schicksale zu entgehn; der Matrose sah sich von fünf Leuten angefallen, denen er unmöglich widerstehen konnte, unterwarf sich und gelobte Treue und Gehorsam an.

Ebenso glücklich waren Franz und der Steuermann in ihrem Unternehmen; sie ließen nicht eher nach, als bis sie die Feinde in das tiefste Gehölz gebracht hatten, aus welchem sie sich erst in vielen Stunden wieder herausfinden konnten. Welch Erstaunen, als sie bei ihrer Rückkunft die Flut verlaufen und das Boot ohne Wächter fanden! Sie glaubten in einer bezauberten Insel zu sein, riefen die verschwundenen Matrosen bei ihren Namen und liefen wie unsinnig am Lande hin und wider. Unterdessen rückte Robinsons Armee heimlich an und wartete mit dem Angriffe nur darauf, daß sich die Feinde trennen sollten. Der Hochbootsmann, auf welchen der Kapitän den meisten Groll hatte, wandte sich mit zween andern nach der Seite hin, wo man auf sie lauerte; der Kapitän konnte sich bei der Gelegenheit nicht halten, sondern feuerte augenblicklich auf sie und tötete seinen Feind mit dem ersten Schusse. Darauf mußte der Matrose, den sie im Boote zum Kriegsgefangenen gemacht hatten, den übrigen zurufen und sie ermahnen, die Waffen niederzulegen und sich zu ergeben, wenn sie nicht den Augenblick des Todes sein wollten. Sie erkannten die Stimme ihres vermißten Kameraden und fragten, wem sie sich ergeben sollten. – »Unserm Kapitän!« antwortete der Matrose, »er ist hier mit fünfzig Mann und sucht euch schon über zwei Stunden. Der Hochbootsmann ist erschossen, Wilhelm Frie gefährlich verwundet, und ich bin gefangen worden; wenn ihr euch nicht sogleich ergebt, seid ihr alle verloren.« –

»Will man uns Quartier geben, wenn wir die Waffen niederlegen?« fing einer aus dem Haufen an. – »Ja«, rief der Kapitän, »allen soll das Leben geschenkt werden, Wilhelm Atkins ausgenommen, dem ich nichts verspreche, wenn er nicht seine Zuflucht zu der Gnade des Gouverneurs nimmt.« – Dieser Gouverneur war, in allen Ehren gesprochen, unser Robinson, den sie mit seinen erdichteten fünfzig Mann so gewaltig fürchteten, daß sie ohne Anstand das Gewehr streckten und um ihr Leben baten; Franz und zween andere mußten sie binden, bemächtigten sich ihrer Schaluppe, und der Gouverneur blieb aus klugen Staatsabsichten versteckt. Der Kapitän kündigte allen im Namen des Gouverneurs das Leben an und befahl dem Wilhelm Atkins, den er schon vorhin mit dem Tode bedrohete, daß er sich bereithalten sollte, morgen gehängt zu werden. Atkins warf sich ihm zu Füßen und flehte demütigst, daß er eine Fürbitte bei dem Gouverneur für ihn tun möchte. Der Gouverneur ließ dem Kapitän laut befehlen, daß er zu ihm kommen sollte, und der Kapitän antwortete ebenso laut, daß er Seiner Exzellenz sogleich aufwarten wollte. In der Dunkelheit konnte man die Exzellenz nicht erkennen, und bloß deswegen war sie den Gefangenen so furchtbar.

Der Kapitän erschien, und Robinson teilte ihm einen Plan mit, wie sie diese nämlichen Leute gebrauchen könnten, um sich des Schiffs zu bemächtigen; er riet, Atkins und zween der Strafbarsten in die Grotte zu stecken und die übrigen in den Sommerpalast zu schicken, der mit einem Palisadenzaune umgeben war, daß man also ihre Entfliehung nicht zu befürchten hatte. Zu diesen letztern begab sich den Tag darauf der Kapitän, um ihre Gesinnungen zu erforschen und zu versuchen, ob man sie mit Sicherheit bei der Unternehmung auf das Schiff gebrauchen könnte. Er stellte ihnen vor, daß ihnen zwar der Gouverneur Vergebung erteilt hätte, daß es aber in seiner Gewalt stünde, sie nach England zu schicken, und daß dort der Galgen auf sie wartete, wüßten sie selbst. – »Wenn ihr aber«, setzte er hinzu, »mir das Versprechen tut, mir getreulich beizustehn und das Schiff wieder in meine Gewalt zu bringen, so wird euch der Gouverneur auch in unserm Vaterlande Vergebung auswirken.«

Kein einziger weigerte sich, ihm das verlangte Versprechen zu tun, und zwar mit den schrecklichsten Schwüren. Man konnte freilich diesen Schwüren nicht sonderlich trauen, und Robinson verlangte deswegen zu größerer Sicherheit, daß nur fünf von ihnen bei der Unternehmung gebraucht werden und zwei nebst den drei Gefangenen, die er in seiner Wohnung hatte, als Geiseln da bleiben sollten; und der Kapitän versicherte diejenigen, denen er sich und das Glück seiner Absicht anvertraute, daß die Geiseln sogleich am Strande aufgeknüpft würden, wenn sie ihren Schwur brächen.

Die Macht des Kapitäns bestand also aus zwölf Personen, die er auf die zwei Boote verteilte, nachdem das eine wieder instand gesetzt war; Robinson und Franz mußten auf der Insel bleiben, um die Gefangenen zu bewachen. Weil Robinson fürchtete, daß sein ganzes Ansehen verschwinden möchte, wenn er sich ihnen in seiner wirklichen Gestalt unter dem Charakter des Gouverneurs zeigte, so gab er sich bei ihnen für einen Menschen aus, dem der Gouverneur die Aufsicht über sie gegeben hätte.

Der Kapitän fuhr mit seiner Mannschaft um Mitternacht zu dem Schiffe ab, und sobald er von den Leuten darinne gehört werden konnte, mußte einer von den Matrosen, die bei ihm waren, ihnen laut zurufen, daß sie endlich nach langem Suchen das Boot zurückbrächten, und mit andern dergleichen Reden hielt er die Feinde so lange hin, bis die Boote dicht am Schiffe waren. Der Kapitän und der Steuermann stiegen zuerst hinauf und hieben alles nieder, was ihnen entgegenkam, und bemächtigten sich auf diese Weise allmählich des ganzen Schiffs bis auf die Stube des neuen Kommandeurs, die der Steuermann aufsprengte. Der neue Kapitän hatte sich bei dem ersten Lärm mit drei andern hineingerettet und gab Feuer, sobald die Türe geöffnet war, doch ohne jemand zu treffen, nur der Steuermann bekam eine leichte Wunde an dem Arme, die ihn aber nicht hinderte, dem neuen Kapitän die Pistole auf den Kopf zu schießen; da ihn die übrigen fallen sahen, ergaben sie sich, und der Streit war aus.

Der siegreiche Kapitän ließ sogleich sieben Kanonenschüsse tun, um, der Verabredung gemäß, Robinson von seinem glücklichen Erfolge zu benachrichtigen, und kam mit dem eroberten Schiffe des Morgens darauf so nahe an die Insel, als es sich tun ließ. Sein Freund lief ihm voller Entzücken an den Strand entgegen, der Kapitän floh in seine Umarmung, und Robinson fühlte die Freude der Errettung aus seiner achtundzwanzigjährigen Einsamkeit so voll, so überwältigend stark, daß er sprachlos in Ohnmacht sank. Der dankbare Kapitän überhäufte ihn mit Geschenken, gab ihm Kleider und alle Arten von Erfrischungen und Lebensmitteln, die er auf dem Schiffe fand; Robinson kleidete sich an, um als ein wirklicher Gouverneur vor den Gefangenen zu erscheinen, die er darauf vor sich bringen ließ. Er gab ihnen die Wahl, ob sie in Ketten und Banden mit nach England gehn und sich dort hängen lassen oder auf der Insel zurückbleiben wollten; sie erwählten das letztere, und um sie in ihrem Entschlusse zu befestigen, ließ man den erschossenen neuen Kapitän an dem großen Mastbaume aufhängen und bedrohete sie mit dem nämlichen Schicksale, wenn sie sich nicht ruhig auf der Insel bis zur Abreise des Schiffes verhielten. Robinson unterrichtete sie in seiner Haushaltung, übergab ihnen sein sämtliches Geräte, sein Gewehr, seine Ziegen, sein Schloß und seinen Sommerpalast, und der Kapitän ließ ihnen auf seines Freundes Vorstellungen einen hinlänglichen Vorrat an Pulver und andere Lebensmittel, auch einige Arten Samen zurück.

Zum Andenken seines einsamen mühseligen Lebens nahm Robinson seine ganze Kleidung, sein Parasol und einen Papagei mit sich, sagte dem Orte, wo er so viele Unruhen, Mangel, Gefahr und Beschwerlichkeiten erlitten und bei aller Not so manches Vergnügen gefühlt hatte, mit herzlicher Rührung ein Lebewohl und reiste nach England ab.

Er fand zwar die Witwe noch am Leben, welcher er die eine Hälfte des Vermögens anvertraute, das er sich auf seiner ersten Reise nach Guinea erworben hatte, allein sie war durch Unglücksfälle so heruntergekommen, daß er die Auszahlung gegenwärtig nicht von ihr verlangen konnte. Seine Eltern waren während seiner Abwesenheit gestorben und ihr Vermögen unter die übrigen Anverwandten verteilt worden, weil man ihn für tot geachtet hatte, und es blieb ihm also nichts übrig, als daß er sich nach seiner Plantage in Brasilien umsah. Die Eigentümer des Schiffs, das durch seine Beihülfe aus der Gewalt der Aufrührer gerettet worden war, machten ihm aus Erkenntlichkeit ein Geschenk von zweihundert Pfunden; er reiste nach Lissabon, suchte dort den alten Kapitän auf, der ihn vormals nach Brasilien brachte, und gelangte durch seine Beihülfe zu einem Teile des Gewinstes, den seine zurückgelassene Faktoren unterdessen in Brasilien gemacht hatten. Er verkaufte seine Plantage und reiste mit einem ziemlich ansehnlichen Vermögen in sein Vaterland zurück, heuratete und lebte so lange glücklich, bis ihn Unruhe und Neigung zum Seeleben wieder auf das weite Meer hinaustrieb. Sein getreuer Franz hielt redlich bei ihm aus und wurde so sehr zum Europäer, daß ihm in seinem neuen Aufenthalte alles, nur nicht die nördliche Kälte, überaus gefiel.


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