Johann Karl Wezel
Robinson Krusoe
Johann Karl Wezel

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Zweiter Teil

Vorrede

Wäre Rousseau ein schadenfroher Mann gewesen, so könnte seine Seele itzt ein köstliches Vergnügen genießen, wenn sie von dem Fixsterne, wo sie etwa wohnen mag, einen Blick auf Teutschland wärfe und die mannigfaltigen Bewegungen wahrnähme, die ein einziges Urteil über den Robinson unter Autorfedern, Druckerpressen, Verlegern, Herausgebern, Papierhändlern, Buchbindern, Rezensenten und vielleicht auch unter Lesern veranlaßt hat. Von den übrigen Herren, die sich nach mir mit dem alten Abenteurer beschäftigten, kann ich nicht mit Gewißheit versichern, wie sehr oder wie wenig sie sich von dem Genfer Bürger hintergehen ließen, aber in Ansehung meiner muß ich ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß nicht er mich zum April schickte, sondern ich selbst. Ich habe mir bei allen Urteilen, Meinungen, Behauptungen, bei allem Lobe und Tadel dieses Mannes schon längst eine Subtraktion angewöhnt, die in jedem Falle Dreiviertel abzieht: der Rest ist Wahrheit. Daß er den innern Wert aller Sachen meistens durch einen so unmäßigen Zusatz veränderte, war niemals seine Schuld, sondern rührte offenbar von einem Betruge her, den ihm die Einbildung oder der Affekt spielte. Vielleicht hatte er den englischen Robinson in seiner Jugend gelesen wie wir alle und nichts daraus behalten als die beiden Umstände, daß das Buch durch gottesfürchtige, gutgemeinte, aber unschickliche und nicht selten einfältige Betrachtungen oft Langeweile macht und daß darinne ein Mann vorkommt, der auf einer wüsten Insel alle Bedürfnisse und Bequemlichkeiten des Lebens durch sich selbst erfindet. Indem er für seinen Emile ein Buch suchte, worinnen diese Idee ausgeführt wäre, und indem er sich dachte, wie sie behandelt werden müßte, fiel ihm der englische Abenteurer ein, und in der Lebhaftigkeit der Vorstellung überredete ihm seine Imagination, daß die Idee dort wirklich so ausgeführt sei, wie er sie sich dachte – eine Verwechselung, die in menschlichen Köpfen sehr häufig vorgeht! Vielleicht half dabei auch seine bekannte Abneigung gegen die neuern Philosophen und zog in seiner Beurteilung einen so großen Glanz um dies alte verachtete Buch, daß er mit Freuden eine Gelegenheit ergriff, eine Lieblingslektüre des gemeinen Volks in England auf Unkosten berühmter Männer zu erheben, das kleine Autorvergnügen ungerechnet, das es ihm machen mußte, wenn er sich die Überraschung vorstellte, womit der Leser nach einer Suspension von einigen Augenblicken hinter so großen Namen wie Buffon und Descartes endlich – Robinson Krusoe findet.

Mein Selbstbetrug entstund weder aus diesen Ursachen noch auf diese Art. Unter den Beiträgen, die ich den Philanthropischen Unterhandlungen des Dessauer Instituts versprochen hatte, mußten auch unterhaltende Aufsätze sein, die nach dem von mir vorgeschlagenen Plane ein besondres Lesebuch für die Jugend ausmachen sollten. Indem ich über die Wahl der Gegenstände mit mir zu Rate ging, schien mir's vorzüglich nützlich zu sein, die jungen Leser mit der Geschichte des Menschen bekannt zu machen, und ich entwarf deswegen Plane zu kleinen Dramen, die den Menschen in seinen verschiedenen Lebensarten darstellen sollten, allein wegen der allzu großen Mannigfaltigkeit des Gegenstandes hielt ich's für vorteilhafter, eine zusammenhängende Erzählung daraus zu machen, die alle hauptsächlichste Veränderungen in dem Zustande des menschlichen Geschlechts umfaßte. Plötzlich fährt mir Robinson durch den Kopf, den ich in meinen jüngern Jahren gelesen hatte und woraus ich gerade nur die beiden Umstände noch wußte, die Rousseau behalten haben mochte; die Lebhaftigkeit, womit ich meine eignen Ideen dachte, teilte sich der Vorstellung von diesem Buche mit, und die Erleichterung, die ich mir für die Ausführung meines Plans davon versprach, brachte mich sogleich auf den Entschluß, den einsamen Aufenthalt des Abenteurers auf einer Insel in Rücksicht auf meinen Zweck umzuarbeiten.

Kurz darauf fand sich eine Ursache, die mich nötigte, den ganzen ersten Teil besonders herauszugeben; ich mußte freilich einen großen Teil meines Plans aufopfern, wenn ich nicht zu sehr vom Defoe abweichen und ein neues Buch machen wollte, aber noch ging alles gut; doch wie erstaunte ich, als ich im zweiten Teile, den ich ehemals gar nicht gelesen hatte, auch nicht das mindeste für meine Absicht brauchbar fand! Ich entschloß mich also ohne langes Bedenken, diesen zweiten Teil ganz nach meinem eignen Plane auszuarbeiten, denn zwecklose Scharmützel, die nicht einmal sonderlich vergnügen, und Reisen nach China und Rußland, die man in neuen Reisebeschreibungen ungleich besser und vollständiger findet, in Auszug zu bringen, dauerte mich Zeit und Mühe. Glaubt indessen jemand, mehr dabei zu gewinnen, wenn er den wahren echten zweiten Teil des Robinsons liest, so schlage ich ihm zur Ersparung der Zeit einen französischen Auszug vor, der mir vor kurzem erst bekannt geworden ist: der Titel ist – »Robinson Crusoe, nouvelle imitation de l'Anglois par Mr. Feutry«. Dieses Werkchen besteht aus zween Bänden, ist 1766 zu Amsterdam gedruckt, in einer ziemlich guten Schreibart geschrieben, soweit ich gelesen habe, enthält das Wesentliche der Geschichte mit Hinweglassung alles dessen, was Rousseau fatras nennt, und könnte vielleicht mit Nutzen bei dem Unterricht in der französischen Sprache gebraucht werden; auch hat es Herr Feutry, der selbst Hofmeister gewesen ist, eigentlich zum Besten der lieben Jugend gemacht.

Der erste Teil der gegenwärtigen Bearbeitung gab während Robinsons Aufenthalt auf seiner Insel Beispiele von den Veränderungen, die die vier Haupturheber der menschlichen Erfindungen: Not, Zufall, Leidenschaft, Witz, in dem Zustande des Menschen hervorgebracht, wie sie die Aufsuchung der Materialien und ihre Anwendung zum Bedürfnis oder zur Bequemlichkeit veranlaßt haben.

Der zweite Teil liefert in der Geschichte der Kolonie während Robinsons Aufenthalt in England, nach seiner Rückkehr auf die Insel und nach seinem Tode Beispiele von den Veränderungen in dem Zustande der Gesellschaft und von den Erfindungen, die aus der gesellschaftlichen Vereinigung herfließen: ein kleiner Menschenhaufen wird durch Not, Zufall, Leidenschaft, Witz auf die verschiedenen Arten der Subordination, auf die Einführung richterlicher Gewalt, auf verschiedene politische Verfassungen, auf die Verschiedenheit des Vermögens, der Beschäftigung und des Standes, auf Handel, Geld und Verarbeitung der Naturprodukte geleitet, erwächst zu einem eingerichteten Staate und stirbt.

Noch muß ich zum Schlusse dieser Vorrede einen Vorfall erzählen, der in dem Jahre tausendsiebenhundertundachtzig eine wirkliche Merkwürdigkeit und der erste während meiner ganzen Autorschaft ist. Der Leipziger Zensor, Herr Hofrat Böhme, wollte nicht leiden, daß ich Rousseau in der vierten Zeile auf einem Fixsterne wohnen lasse; er anathematisierte die Stelle mit einigen Rötelstrichen und verstattete der Verlagshandlung nur dann den Druck, wenn der Herr Auctor Rousseaus Seele anderswohin quartierte; ich war in Verlegenheit, wohin ich mit der armen Seele in der Geschwindigkeit sollte, und so gleichgültig es mir und der ganzen Christenheit ist, ob Rousseau itzt in der Jungfrau, im Wassermanne oder im Steinbock wohnt, so erachtete ich doch nicht für ratsam, einem Verlangen nachzugeben, wofür sich kein vernünftiger Grund finden läßt, zumal da in der angezeigten Stelle nichts behauptet, sondern die Seele des Genfer Bürgers nur per formam loquendi auf einen Fixstern gesetzt wird. Ich habe mir zwar eine Belehrung ausgebeten, ob der Herr Zensor zuverlässigere Nachrichten von ihrem Aufenthalte hat, allein die Antwort verzögerte sich so sehr, daß sich die Verlagshandlung wegen Nähe der Messe genötiget sah, diese Vorrede unterdessen anderswo drucken zu lassen; sobald die erwartete Nachricht einläuft, um welche ich hier öffentlich bitte, werde ich's für meine Schuldigkeit halten, die Leser von Rousseaus gegenwärtiger Residenz zu benachrichtigen.

Armer Jean-Jacques! sollst du sogar nach deinem Tode nicht einmal in einer Vorrede eine bleibende Stätte haben?


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