Johann Karl Wezel
Herrmann und Ulrike / Band 3
Johann Karl Wezel

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Erstes Kapitel.

Daß Herrmann, voll guter Ahndungen, nicht lange zögerte, Vignali's Brief abzugeben, lehrt die Sache selbst: aber wie scheiterten die guten Ahndungen so plözlich! Madam Lafosse hatte noch vor einem Paar Wochen in dem Hause gewohnt, welches die Aufschrift des Briefes anzeigte, und war gegenwärtig gar nicht mehr in Leipzig. Warum? – »weil sie einem Handschuhmacher aus Dresden nachsezte, der sich mit ihr in der Ostermesse versprochen hatte und nicht Wort halten wollte,« berichtete der Hausknecht und sezte hinzu, daß sie ihre Stube aufgegeben habe und vermuthlich nur in den Messen Leipzig besuchen werde.

Also war dem armen Herrmann auch das Bischen Trost geraubt? – Nicht Eine Stütze, nicht ein Schatten, nicht eine Illusion blieb ihm 292 übrig: sein trauriges Schicksal lag so schwer auf ihm, daß er unter dem gewaltigen Drucke weder dachte noch fühlte. Er öfnete Vignali's Brief, verstund ihn in der Niedergeschlagenheit kaum und las ihn wohl zwanzigmal, ehe er den Inhalt glaubte, als er darinne den Auftrag an Madam Lafosse fand, den Ueberbringer desselben anzuhalten und ihm allen möglichen Vorschub zu thun, daß er sich auf einem Dorfe in der Stille mit dem Frauenzimmer trauen ließe, das entweder in seiner Gesellschaft oder nicht lange nach ihm mit einem Briefe von Vignali ankommen werde; als er darinne fand, daß Vignali sich zur Tragung der Unkosten erbot und ihre Freundin recht inständig bat, die Sache mit ihrer gewöhnlichen Klugheit zu betreiben und so sehr als möglich zu beschleunigen: zugleich wurde sie auf den Brief verwiesen, den Ulrike mit sich bringen werde, um den ganzen Plan zur Ausführung zu erfahren.

Wie unglücklich war er nun vollends! Der Brief lehrte ihn, daß ihm der Zufall sein Glück unter den Händen wegnahm: gleichwohl war 293 er auf der andern Seite nunmehr in so fern besser daran, daß er sich mit einem Schimmer von Hofnung täuschen konte. Ulrike mußte also, nach Vignali's Briefe zu urtheilen, nicht mehr in Berlin seyn – schon eine Beruhigung! Sie mußte entweder schon in Leipzig sich befinden oder doch bald eintreffen: wie leicht war es, sie aufzusuchen, Vignali's vorgeschlagnen Plan aus ihrem Briefe zu erfahren und ihn ohne Beyhülfe der Madam Lafosse auszuführen? – Aber er hatte sich vorgenommen, nicht eher wieder vor ihr zu erscheinen, als bis er ihr einen sichern Unterhalt anbieten könte! – Er schwankte lange, ob er seinem Vorsatze treu bleiben sollte, erkannte ihn für Uebereilung in den ersten Augenblicken der Reue, glaubte, daß es für ihn und Ulriken zuträglicher sey, sie zu heirathen, um sie nicht den Nachstellungen und der Rachsucht ihres Onkels aufzuopfern: – aber wo und wovon sollten sie zusammen leben? – »Von der Arbeit!« sagte er sich. »Sie mag nehen, stricken, waschen: ich will in einer Handlung oder bey einem Advokaten Arbeit suchen.« – Wie 294 gesagt, so beschlossen; wie beschlossen, so gethan: er bestellte in der gewesenen Wohnung der Madam Lafosse, daß man ein junges Frauenzimmer, wenn sie nach dieser Frau fragte, in seinen Gasthof weisen sollte.

Er, für seinen Theil, ließ es unterdessen nicht an Mühe fehlen, sie zu treffen: vom frühen Morgen bis zum Abend wanderte er auf den Straßen, auf dem Wege, wo die Berliner Post kommen mußte, unermüdlich herum, stellte auch eine Anweisung im Posthause aus: da war keine Ulrike! da kam keine Ulrike!

Er durchstrich an den volkreichsten Tagen und Stunden den Spatziergang ums Thor, sahe gepuzte Damen und Herren, die in einem kleinen Bezirke drängend durch einander herumkrabelten, alle etwas suchten und zum Theil zu finden schienen. Gähnende Damengesichter, von der Langeweile auf beiden Seiten begleitet, suchten den Zeitvertreib, und rechnende Mathematiker suchten zu der Größe ihres Kopfputzes und ihrer Füße die mittlere Proportionalzahl, oder suchten in den Garnirungen ihrer Kleider 295 Parallelopipeda, Trapezia, Würfel und Kegel: schöne Mädchen und Weiber suchten Bewunderer ihrer Reize, und funfzigjährige Magistri Bewunderer ihres Schmuzes: Doktores juris à quatre epingles suchten die Jurisprudenz, und veraltete Koketten die Jugend: junge Anfängerinnen suchten die ersten Liebhaber, und junge Docenten die ersten Zuhörer: Scheinheilige suchten Sünden und Aergernisse, um sie auszubreiten, Moralisten suchten Laster und Thorheiten, um dawider zu eifern, und Kennerinnen des Putzes suchten Sünden des Anzugs, um darüber zu spotten: ein jedes suchte die Gesichter der Andern, ein jedes in den Gesichtern der Andern Zeitvertreib, und ein großer Theil des Geländers war mit lebendigen Personen verziert, die mit stieren Augen die übrigen alle suchten, um sich auf ihre Unkosten zu belustigen. Aus dieser suchenden Gesellschaft drängte sich Herrmann in den größern verachteten Theil der Promenade: hier suchte ein tiefsinniger Philosoph mit gesenktem Haupte und wackelndem Schritte die Monaden mit dem Stocke im Sande, ein denkender Kaufmann suchte 296 Geld für verfallene Wechsel, ein Almanachsdichter Gedanken für seine Reime, und ein bleicher Hypochondrist das Vergnügen in der Luft; und alle suchten vergebens, wie Herrmann.

Welch nagender Kummer, nicht zu wissen, wo sie ist, die man liebt! Tausend Gefahren und Widerwärtigkeiten sich als möglich zu denken, unter welchen sie vielleicht schmachtet, und dabey sich den Vorwurf machen zu müssen: Du warst es, der sie durch Eine Unbesonnenheit aus ihrer Ruhe auf ein Meer von Kümmernissen hinaustrieb! – Unendlichemal sagte sich Herrmann dies in Einem Tage und bereute, daß er eine Liebe nährte, die der Himmel selbst nicht billigen müßte, weil er sie so vielfältig hinderte.

Seine Leiden machten ihn stumm und äußerst traurig: er sprach an dem öffentlichen Tische, wo er speiste, beinahe kein Wort, aß wenig und wußte selten, was er genoß: sein gewöhnlicher Nachbar hielt es eben so; und deswegen vertrugen sich diese beiden Leute so vortreflich mit einander, daß sich allmälich eine Sympathie mischen ihnen entspann. Die 297 leidende verzerrte Mine des Mannes, sein hagres fast verdorrtes Gesicht, sein in sich gezognes, menschenhassendes Betragen, seine Zerstreuung, zog sehr bald Herrmanns Aufmerksamkeit auf sich: er liebte ihn, weil er auch zu leiden schien. Wenn einer den Tisch verließ, verließ ihn auch der andre: als wenn sie ein geheimer Zug lenkte, giengen sie neben einander spazieren, ohne es meistenteils selbst zu wissen, redten nicht viel mehr, als bey Tische, höchstens alle fünf Minuten ein Paar Worte: der eine richtete seinen Gang, vielleicht ohne daran zu denken, in einen Garten; ungefragt und ohne Widerspruch folgte der Andre ihm nach: sie sezten sich in eine Laube, eine schattichte Allee; der eine stund vielleicht auf und gieng nach Hause, der Andre vermißte ihn nicht, als bis er selbst gehen wollte. Geriethen sie in einen Kaffegarten, so foderten sie Kaffe, vergaßen ihn zu trinken, und schmähten, wenn sie endlich einmal einschenkten, daß man ihnen so kalten Kaffe vorsezte. Die Bekanntschaft wuchs so schnell zur Freundschaft empor, daß sie sich mit vieler Treuherzigkeit 298 Besuche versprachen, zuweilen gaben und alsdann die Stunden mit nichts hinbrachten, als daß sie neben einander träumten. Nachdem sie schon einige Wochen einander alle Tage gesehen hatten, machte Herrmanns neuer Freund die Bemerkung, daß er ihm heute nicht so aufgeräumt, wie sonst, vorkomme, obgleich Herrmann vorher während ihrer ganzen Bekanntschaft so traurig gewesen war, wie izt. – »Ist Ihnen etwas widriges begegnet?« sezte der Hypochondrist hinzu. – »Ach Freund!« antwortete Herrmann; »ich bedarf keines neuen Unglücks zur Traurigkeit: ich muß der Freude sehr jung entsagen.«

Der Hypochondrist. Ich bin auch heute nicht halb so lustig, wie sonst. Die starke Hitze schlägt allen meinen Muth nieder.

Herrmann. O es ist kühl, rauh, wie im Herbst: man friert.

Der Hypochondrist. Meinen Sie? – Ja, Sie haben wirklich Recht: es ist sehr kalt: ich werde meinen Pelz umnehmen. –

Er nahm ihn um: über eine Weile schüttelte 299 er sich, als wenn er vor Frost schauderte. – »Es ist so gewaltig kalt,« sprach er, »daß ich einheizen lassen muß.« – Er gab Befehl dazu; und der Mann, der vorher sich einbildete, vor Hitze zu ersticken, bildete sich itzo ein, vor Frost zu vergehen, und stellte sich im Pelze an den glühenden Ofen.

Auf einmal fieng er an: »es ist Ihnen ganz entsezlich warm.«

Herrmann. Ich sitze hier am ofnen Fenster: ich kan nicht darüber klagen.

Der Hypochondrist. Ihnen wäre nicht warm? Sie keuchen ja vor Hitze.

Herrmann. Wenn meinem Herze so wohl wäre, wie dem Körper!

Der Hypochondrist. Ich weis nicht, wozu Sie es läugnen: der Schweis läuft Ihnen ja am Kopfe herein.

Herrmann. Mir nicht, aber Ihnen! Sie schwitzen und glühen, wie ein Backofen.

Der Hypochondrist. Meinen Sie? – Ja, es kan wohl seyn. – Oh, es ist mir 300 übernatürlich warm: der Pelz brennt, wie die Hölle – ah, ich möchte verschmachten. –

Hastig warf er den Pelz von sich, das Kleid hinter drein, und zog das leichteste dünnste Neglische an. Er gieng stillschweigend in der Stube herum. »Warum sind Sie denn so still?« fragte er.

Herrmann. Lieber Freund, meine Seele ist so voll, daß die Zunge nicht reden kam Sprechen Sie! zerstreuen Sie meine düstern Empfindungen!

Der Hypochondrist. Red' ich denn nicht? – Ich dächte, ich hätte den Mund nicht zugethan.

Herrmann. Kaum funfzig Worte haben Sie gesprochen, so lang ich hier bin.

Der Hypochondrist. Das wundert mich: aber es ist möglich: ich fühl' es selbst, daß ich heute nicht halb so munter bin, wie sonst. Kommen Sie! wir wollen den Magister – wie heißt er doch? – Sie werdens schon erfahren; er ist mein sehr guter Freund und wird uns gewiß aufheitern. –

301 Sie begaben sich zu dem Magister und fanden ihn in einem so tollen Anzuge, daß sich Herrmann, seiner übeln Laune ungeachtet, des Lachens kaum enthalten konte. Ein kleines Männchen, einen Tressenhut nebst einer Haarbeutelperücke auf dem Kopfe, den buntstreifigten Schlafrock mit einem braunledernen Degengehenke zusammengeschnallt und aufgeschürzt, wie die Bauermädchen die Röcke aufgürten, in bloßen Füßen und großen wollnen Socken: – in dieser grotesken Kleidung wandelte er gravitätisch die enge beräucherte Stube auf und nieder, ohne sich durch den Besuch von seiner Richtungslinie abbringen zu lassen. Kaum hatte Herrmann den Mund geöfnet, um ihn zu grüßen, als ihn der Ton seiner fremden Stimme verscheuchte – husch! war er in die Kammer hinein. Nach langer Zeit kam er mit bekleideten Füßen, aber in dem vorigen Anzuge, wieder zurück, weil ihn sein Freund durch die Kammerthür aus allen Kräften versicherte, daß der Fremde seine Draperie nicht übel nehmen werden. Er bewillkommte seinen noch nie gesehnen Gast 302 mit vieler Aengstlichkeit und drückte sich dabey mit dem Rücken so dicht an die Wand, als wenn er besorgte, Herrmann werde ihm darauf springen; und da er sich so an drey Wänden hin bekomplimentirt hatte, bat er an der vierten um Erlaubnis seinen Hut aufzusetzen. – »Ich habe mir meinen Kopf so gewaltig erkältet,« gab er zur Ursache an, »daß er sich seit vier Tagen nicht erwärmen läßt.« – Herrmann verstattete ihm sehr gern die verlangte Freiheit und wartete ungeduldig auf die versprochne Aufheiterung, die ihm dieser Mann verschaffen sollte: er suchte deswegen das erloschne Gespräch wieder anzufachen: der Aufheiterer machte sich bey jedem Gange, den er that, beständig den Rücken frey und verließ deswegen niemals die Wand. Seine Scheu wurde zulezt so groß, daß sie sein Freund bemerkte und ihn darüber befragte: er wollte lange nicht beichten, doch da ihm auch Herrmann durch Fragen zusezte, gestand er endlich, daß seine Gegenwart ihn in solche Furcht versetze. Herrmann näherte sich ihm, um die Furcht durch freundliches Zureden zu 303 vertreiben: je näher er ihm kam, je ängstlicher und zitternder zog sich der Andre vor ihm zurück, bis er in einen Winkel kam, der ihn nicht weiter ließ: er bat um Gottes willen, ihm ja nicht auf den Hals zu fallen. Herrmann entfernte sich zwar, aber ruhte nicht, bis er ihm die Ursache dieser sonderbaren Besorgniß entdeckte. – »Sie sehen,« sagte er, »natürlich wie ein griechisches Sigma (ς) aus; und den verwünschten Buchstaben kan ich nun vierzehn Tage her nicht ohne Angst ansehn: es ist mir immer, als wenn er über mich herfallen und mich mit dem gottlosen langen Schnabel hacken wollte.«

Nicht lange darauf erschien ein zweiter Besuch: ein anständig gekleideter, wohlgesitteter Mann trat herein, um, wie er berichtete, dem Herrn der Stube den Krankenbesuch zu machen: »aber,« sezte er hinzu, »ich thu es aus großer Freundschaft; denn ich bin selbst keine Minute vor dem Tode sicher.« – Herrmann mußte sich um so viel mehr darüber verwundern, da der Mann so frisch und gesund aussah, daß er dem Tode wohl noch zwanzig Jahre Trotz bieten zu 304 können schien. Man erkundigte sich nach der Krankheit, die ihn mit einem so nahen Tode bedrohte. »Gestern,« antwortete er, »hab ich mir mit dem Federmesser eine so tödtliche Wunde gemacht, daß ich wegen der gefährlichen Folgen keinen Augenblick ruhig seyn kan. Der Schnitt schmerzte mich entsezlich: es wollte nicht bluten, und das ist immer eine schlimme Anzeige. Wenn nun gar eine Entzündung dazu schlüge, und aus der Entzündung würde der kalte Brand und der kalte Brand träfe die Eingeweide: da wär' ich ja den Augenblick ohne alle Umstände todt.« – Weil Herrmanns Freund mit der Gewohnheit des Verwundeten, seine körperlichen Leiden zu vergrößern, bekannt war, drang er in ihn, seine Wunde zu zeigen: der Mann gieng außerordentlich schwer daran und wickelte nach vielen schmerzlichen Bewegungen und langen Zurüstungen ein großes Stück Leinwand von dem Finger: die ganze Gesellschaft untersuchte ihn an allen Seiten und konte ohne Mikroskop schlechterdings keine Wunde entdecken. Der Verwundete, der mit beständigem 305 Zittern fürchtete, daß man sie zu stark berühren werde, bezeugte eine sonderbare Verlegenheit, als man nirgends eine Wunde entdecken wollte: endlich besann er sich, daß es der Zeigefinger war, an welchem man auch einen kleinen unbedeutenden Schnitt fand: der gute Mann hatte sich den unrechten Finger verbunden, und sich den unrechten Finger schmerzen lassen.

»Kleinigkeit!« rief der Herr von der Stube: »die ganze vorige Woche hab' ich meine linke Hand nicht brauchen können: ich fürchtete mich, sie nur zu berühren.«

»Und warum?« fragte Jemand.

»Sie war in Einer Nacht so weich geworden, daß ich alle Augenblicke glaubte, sie würde zerfließen: wie eine Gallerte! und so leicht, daß ich kaum fühlte, ob ich eine Hand hatte.« –

»Und wie ist sie denn wieder hart geworden?« –

»Von sich selbst in Einer Nacht! Da ich des Morgens aufstehe, ist meine Hand wieder so fest und brauchbar, wie die Rechte.«

»Possen!« fiel ihm der Mann mit der 306 Federmesserwunde ins Wort. »Das ist Einbildung gewesen: aber lassen Sie sich einmal eine Historie von mir erzählen, wobey Ihnen die Haare zu Berge stehn sollen! Am dritten heiligen Osterfeiertage vor dem Jahre – was meinen Sie wohl? – da sitz' ich unter den Linden – es war gerade ein gar allerliebster Tag – da sitz' ich unter den Linden und – was meinen Sie wohl? – da fällt mir etwas von dem Baume über mir gerade in den Mund hinein, und eh' ich michs versehe, ist es hinuntergeschluckt. Nun stellen Sie sich einmal die Angst vor! was das alles gewesen seyn konte! vielleicht ein Stückchen Holz voll von giftigem Thau, wie er in dieser Jahrszeit häufig fällt? Es konte auch ein Stückchen Glas seyn, das mir die Eingeweide zerschnitt; oder wohl gar der Unrath eines Vogels, der mir Säfte und Blut mit Fäulniß ansteckte; oder auch ein Samenkorn, das in mir keimte und aufgieng, woran ich hätte elendiglich ersticken müssen: was meinen Sie wohl, daß es war? – Ich zittre noch an allen Gliedern – eine Spinne!« –

307 »Woher wissen Sie denn das?« –

»Woher?« antwortete er, durch die Frage beleidigt. »Weil ichs gefühlt habe! Ich habe mich ja mit der verdammten Spinne über zwey Monate geplagt: dem Arzte machte sie auch nicht wenig zu schaffen: er hat mir Arzeney über Arzeney eingeschüttet, um sie zu tödten: ich bat ihn um Gottes willen, daß er das nicht thun sollten denn es fiel mir immer aus Pantoppidans Naturgeschichte ein, daß einmal eine junge Seekrabbe – die doch nach seiner Beschreibung auch eine Art Spinnen seyn müssen – in einem Kanale verfault ist und beinahe eine ganze Stadt angesteckt hat: was meinen Sie wohl, daß aus mir geworden wäre, wenn sie der Doktor wirklich umgebracht hätte? – Elendiglich wär' ich gestorben.«

Herrmann. Und wie wurden Sie denn das Ungeheuer los? –

»Mein Arzt gab mir einen Schlaftrunk ein und körnte sie am Munde so lange mit einer Fliege, bis sie sich zu der Lockspeise herausspann: er zeigte sie mir, als ich erwachte, nebst einem 308 großen Bündel von ihrem Gewebe. Nun war mir nur wegen des übrigen Gewebes bange; aber mein Arzt hat mir glücklich davon geholfen. Er purgirte mich so stark und ließ mir so lange zur Ader, bis ich weder Saft noch Kraft mehr im Körper hatte: das hat mich vom Tode errettet. Lieber Gott! wie der Mensch doch so leicht elendiglich umkommen kan!«

»Wie können Sie nur so ein Kindermährchen glauben?« fieng Herrmanns Freund an. »Sie haben sich das närrische Zeug eingebildet, und der Doktor machte Ihnen etwas weiß.«

»Ich? mir das eingebildet?« rief Jener und brannte vor Aerger.

»Nicht anders! eingebildet!« unterbrach ihn der Andre eben so hitzig. »So ein kluger Mann, wie Sie, und läßt sich solche tolle Einbildungen aufheften! Das sind alles Schwachheiten: Aber ich will Ihnen einmal einen Vorfall erzählen, der ganz anders aussieht: Sie werden sich wundern, allein ich kan Ihnen einen körperlichen Eid schwören, daß es die reine lautere Wahrheit ist. Vor drey Jahren in dem 309 grimmig kalten Winter – Sie werden das allerseits noch wissen – stund ich an dem kältesten Tage bey dem Ofen und fror, daß mir die Zähne klapperten, obgleich der Ofen vor Hitze springen wollte. Die Fenster hatte eine dicke Eisrinde überzogen, die etliche Tage her gar nicht aufgethaut war: ich sehe immer nach den vereisten Fenstern hin: auf einmal fang' ich von unten an, zu erfrieren: die Beine waren schon bis an die Knie todt, so steif, daß ich mich auf einen nahen Stuhl werfen mußte. Ich fühlte ganz deutlich, wie der Tod immer weiter nach dem Herze heraufstieg: ich wurde so starr, daß ich mich nicht rühren konte, das Herz stund – weg war ich!«

Herrmann. Wie sind Sie denn wieder aufgethaut? –

»Das weis Gott. Meine Aufwärterin, da sie mich findet, macht gleich Lärm und holt Leute, die mich zu Bette schaffen. Wer weis, was sie nun mit mir vorgenommen haben: Sie sagen alle, daß ich von selbst wieder zu mir gekommen wäre; aber ein Narr, ders glaubt! 310 Sie wollen mir nur nicht gestehen, was für entsezliche Mittel sie gebraucht haben. – Was sagen Sie dazu?« –

»Daß es Einbildungen gewesen sind!« riefen die andern beiden Hypochondristen.

»Einbildungen, wenn man alles so gewiß fühlt, als ich hier vor Ihnen stehe? – Wenn man sich mit dem Federmesser rizt und den unrechten Finger verbindet, und dann sich vorstellt, daß man in der Minute daran sterben wird, das sieht einer Einbildung eher ähnlich: oder wenn man sich vom Arzte überreden läßt, daß er mit einer Fliege eine Spinne aus dem Leibe gelockt hat, das ist eine Einbildung; oder wenn man sich gar vorstellt, daß die Hand zu Gallerte geworden ist – man möchte toll werden, sich so eine handgreifliche Unmöglichkeit einzubilden!« –

»Ey! sagen Sie mir doch,« rief der Mann, dem der lezte Stich galt, »ist denn Ihr Erfrieren von unten aus nicht eine viel größere Unmöglichkeit? Sie sind von der großen Ofenhitze, die Ihren Kopf von hinten traf, in Ohnmacht 311 gefallen, und weil Ihnen die kalte Luft vom Fenster auf die Füße strich, bildeten Sie sich ein, daß Sie von unten aus erfrören.« –

»Schwachheiten!« rief der Widerlegte erboßt; »ich hab' es aber gefühlt.«

»Wir auch!« antworteten die Andern beide: »auch wir haben gefühlt.« –

»Das ist nicht wahr: Ihr habt nicht gefühlt, sondern Euch nur das Gefühl eingebildet.« –

»Und Sie haben etwas gefühlt und sich eine falsche Ursache eingebildet,« erwiederte der Herr von der Stube.

»Das ist albern geredt,« sprach der Erfrorne, »daß Sie es nur wissen! als wenn ich nicht causam et effectum unterscheiden könte!«

»Das können Sie auch nicht!« rief Jener.

»Das hab' ich gekont, eh an Sie gedacht wurde: ich habe distinguirt, da ich noch ohne Hosen herumlief.« –

»Und wenn Sie in Mutterleibe schon distinguirt hätten, so sind Sie doch ein Narr, wenn 312 Sie sagen, daß ich mir meinen Zufall mit der Hand nur eingebildet habe.« –

»Ein Erznarr,« stimmte sein Konsorte mit ihm ein, »wenn ich mir nur eingebildet haben soll, daß ich eine Spinne im Leibe hatte.«

»Meine Herren,« fieng Herrmann sehr bescheiden an, »wenn Sie nun alle drey Recht hätten? Sie bildeten sich alle etwas ein.« – Armer Herrmann! nun gieng der ganze Krieg auf den Zweifler los, der allen zugleich, und keinem allein Recht gab: zu seinem großen Glücke stellte sich ein neuer Besuch ein. Herr Logophagus trat äußerst verwildert herein: die Streitenden riefen ihn zum Richter aus, allein er lehnte die Ehre mit der höflichen Bitte von sich ab, daß man ihn ungeschoren lassen sollte, weil er wichtigere Sachen im Kopfe hätte. Man fragte ihn, welche, und er begann also:

»Da bin ich mit einem Ignoranten, einem Narren, der den schönen Geist macht, zusammen gewesen: der Hasenfuß that so dicke und hielt sich so viel über mich auf, daß ich böse wurde und mich recht tüchtig mit ihm zankte. 313 Ach! es ist aus in der Welt: alle wahre ächte Gelehrsamkeit hat ein Ende: seitdem so viele schöne Geister unter uns geworden sind, rücken die Wissenschaften und Gelehrsamkeit dem Untergange mit jeder Minute näher. Da lernen die Leute ein bischen Geschmack, und nun sind sie schöne Geister und verachten einen Mann, der das seinige redlich und rechtschaffen in litteris gethan hat.«

Herrmann. Machen denn vielleicht die schönen Geister eine besondre Innung bey Ihnen aus? Sie sprechen davon, wie von einem Handwerke, das man lernt. »Er ist ein schöner Geist« – kömmt mir nicht anders vor als wenn man von Jemandem sagte, er ist ein gutes GedächtnißHerrmanns unentwickelter Gedanke ist sehr richtig. Schöner Geist, bel esprit, ist eine Eigenschaft des Kopfs, das Vermögen, den Gedanken eine angenehme gefallende Wendung und einen einnehmenden Ausdruck zu geben, – l'art de faire parôitre les choses plus ingenieuses qu'elles ne sont - l'art de donner à une pensée sommune un tour sententieux, wie ihn Maupertuis ein wenig einseitig beschreibt. Wie sehr dieser schöne Geist bey uns herrscht, überlasse ich den Lesern selbst zu bestimmen: er ist in diesem Sinne gar nicht die herrschende Eigenschaft des teutschen Kopfs. Das Publikum ist so gefällig und nennt jeden leeren Kopf, der Reime liest und macht, einen schönen Geist;: dadurch ist der Name verächtlich geworden, während daß wir gern ein wenig mehr von der Sache halten möchten. So geht es uns mit den Wörtern Genie und Witz; und wenn einmal der Verstand bey uns Mode wird, dann sagt man vermuthlich auch: da gehen zwey Verstande – wie man itzo sagt: da gehn ein Paar schöne Geister.. Ein französischer Gelehrte 314 sagte mir einmal: die Teutschen haben viel schöne Geister, aber wenig schönen Geist.

»Es ist auch nicht viel daran gelegen,« antwortete der Wirth. »Das sind Einbildungen des Herrn Lithophagus. Er denkt, weil seine Sylbenstechereyen, seine kritische und humanistische Wortkrämerey nicht mehr im Gange ist, deswegen wird es gleich mit aller Gelehrsamkeit aus werden. Desto besser, daß wir uns nicht mehr um das heidnische abergläubische Zeug bekümmern! Ich will Ihnen besser sagen, was das Schöngeistern unter uns für Schaden anrichtet: es verdirbt die Religion, führt Freygeisterey und Unglauben ein, und Gottesfurcht 315 und Frömmigkeit nehmen alle Tage mehr ab, seitdem das verhenkerte Schöngeistern bey uns eingerissen ist. Nichts wird geschrieben und gelesen als Witz: ein bischen Witz ist bald hingeschmiert, und wer ihn liest, dem thut der Kopf auch nicht weh: darum saugen die Menschen so gern Witz ein, und Witz und Unglauben sind Brüder.«academic dull ale - drinkers
Pronounce all men of Wit freethinkers
, sagt Swift.

»Da haben Sie völlig recht,« fiel ihm der Mann mit der Federmesserwunde ins Wort. »Aber das Uebel erstreckt sich viel weiter. Wissen Sie, warum das Menschengeschlecht so elend, so kraftlos, klein und schwach ist, daß sechs Menschen izt nicht so viel heben und tragen können als einer zu unsrer Väter Zeiten? Sonst gab man dem The und Kaffe die Schuld: grundfalsch! der Witz hat uns zu solchen krüpelichten Zwergen gemacht; und wenn der verdammte Witz so fortfährt, unter uns einzureißen, so werden unsre Kinder so matt werden, wie die Fliegen: wenn sie ein rauhes Lüftchen trift, werden sie umfallen und sterben.«

316 »Ach, Sie haben immer etwas mit dem Sterben zu thun!« unterbrach ihn Herrmanns Freund. »Ich weis besser, woran unser Jahrhundert krank liegt – an der Menge von Genies. Die Genies haben die Sitten verderbt, alle Wissenschaften in Verachtung gebracht und sind die Ursachen unsrer itzigen Unwissenheit in der Philosophie. Hätten wir nichts vom Genie in Teutschland gehört und gesehn, so würde auch die Philosophie noch so viel gelten wie vormals.«

A. Ach, mit Ihrer Philosophie! Diese könten wir wohl entbehren: aber wo Kritik und Philologie nicht mehr in Werthe sind, da sind die Menschen der Barbarey nahe.

B. Die Philologie und Kritik? – Was Sie sich einbilden! Die Wortklaubereyen hätten immerhin niemals aus der Welt seyn mögen: aber die Theologie! das ist der Brunnquell aller Künste und Wissenschaften: wenn diese in Verfall geräth, dann werden aus den Menschen bruta.

C. Ey, gehorsamer Diener! Ich dächte, 317 auf die Jurisprudenz käme wohl mehr an als auf die liebe Theologie: wo die ächte elegante römische Jurisprudenz keine Liebhaber mehr findet, da ist alles vorbey; und nach ihr setze ich die Medicin; denn sie errettet vom Tode.

D. Ja, wenn man Spinnen verschluckt hat! Ihr seyd alle nicht auf dem rechten Flecke. Der übrige Plunder alle kan zu Grunde gehn: aber wenn die Philosophie sinkt, dann entsteht allgemeine Finsterniß. Außer der Philosophie ist alles Schnurrpfeiferey.

»Das sagt ein Narr!« riefen die andern drey in Einem Tempo.

»Woher wüßte denn die Philosophie so viele Sachen, wenn ihr meine Wissenschaft nicht hülfe?« sprach der Theolog. »Sie weis nichts von guten und bösen Geistern« –

Auf dies Wort fielen die andern drey mit vereinten Kräften der Lunge über ihn her. Der Philolog bewies aus griechischen Redensarten, daß diese beiden Benennungen nur Namen und keine Wesen wären: der Jurist läugnete ihre Existenz schlecht weg ohne Gründe, und der 318 Philosoph höhnte den Theologen, als einen abergläubischen Schwachkopf, mit seinen bösen Geistern aus: alle redten zugleich mit wüstem Geschrey, daß Gläser und Fenster klangen, und der arme kleine Theolog, da er von drey so beißigen Disputanten zugleich angebellt wurde, wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er alle seine Gegner in den Bann that. »Ich möchte,« schrie er mit lauter Stimme, »daß den Augenblick der Teufel käme und euch alle holte: alsdann würdet Ihr wohl an ihn glauben.« – Nicht lange nach dieser Appellation an den Herrn selber, den der Streit betraf, geschah plözlich vor der Thür ein entsezliches Getöse, als wenn ein Stück Mauer einstürzte: schnell verstummte die Disputation, alle zitterten und bebten und stunden eingewurzelt da, ohne einen Schritt von der Stelle zu wagen. Daß einer die Ursache des Schreckens hätte untersuchen sollen, war gar nicht zu erwarten: der Lärm geschahe zum zweitenmale, und es schlug sogar etwas heftig an die Thür an: als wenn der Erzfeind mit Schwanz und Klauen leibhaftig schon in der Stube stünde, 319 purzelten alle vier mit übereilter Hastigkeit in die Kammer hinein und schlossen sie fest zu. Herrmann, ob er gleich nie eine Akademie besucht hatte, öfnete die Stubenthür und entdeckte bey dem ersten Blicke die Ursache des Schreckens: der Thür gegenüber ruhte auf zween Balken, ein Paar Ellen über den Fußboden erhaben, ein Holzschrank, in welchem der kleine übelgethürmte Haufen eingestürzt und zum Theil an die Stubenthür herübergerollt war. Er theilte den vier verschloßnen Flüchtlingen seine Entdeckung mit und konte sie mit großer Mühe bewegen, das Holz selbst in Augenschein zu nehmen: sie kamen dicht hinter einander heraus, ein jeder hielt des Andern Rockzipfel – alle gestunden das Phänomen zu: Aber die Ursache? – Herrmann gab eine sehr natürliche an, daß das Holz schlecht gelegt gewesen sey; und der Jurist und Philolog pflichteten ihm insofern bey, weil sie es überhaupt nicht für nöthig hielten, sich um die Ursache eines Dinges zu bekümmern. »An solchen Unfällen ist nichts als die Ignoranz Schuld,« sezte der Philolog hinzu: »hätten die 320 Holzhauer griechisch gelernt so wüßten sie, daß die Figur eines großen Delta (Δ) die vollkommenste zum Holzlegen ist.« – So leicht sich diese beiden beruhigten, so schwer konten es die übrigen Beiden: der Theolog ahndete gewisse ausdrückliche Veranstaltungen der Vorsicht, um seine rechtgläubige Meinung durch ein Zeichen zu bestätigen, und der Philosoph, da er mit der Zentralkraft nichts ausrichtete, war nicht ungeneigt, eine eigne holzbewegende Kraft zu erschaffen. Sie disputirten unendlich lange und mit vieler Heftigkeit: jeder widerlegte den Andern, ohne daß er ihn seine Meinung völlig vortragen ließ: fast mit jedem Worte kamen sie weiter vom Ziel ab und thaten so starke Märsche durch alle Nebenwege und Schleifpfade, daß sie in einer Viertelstunde von der holzbewegenden Kraft schon bey dem Leben nach dem Tode waren. Sie kamen beide (die erste Uebereinstimmung während der ganzen Unterredung!) in den Klagen über die Mühseligkeiten dieses Jammerthals überein, und der Philosoph wußte keine bessere Kur dawider, als sich durch einen herzhaften Tod den 321 Weg daraus zu öfnen: hier schied sich sein Gegner plözlich von ihm und bestritt seine gewagte Meinung mit allen möglichen theologischen Gründen; doch jener, ohne seine Einwürfe zu achten, fuhr ungehindert fort und untersuchte schon, welches die bequemste Art des Todes sey, um sich von der Last des Lebens zu befreyen, und war für das Kehlenabschneiden ungemein eingenommen. »Was ist es denn?« sprach er und zog ein Messer aus der Tasche. »Ein herzhafter Schnitt! und man ist weg.« – Der Andre bat ihn zitternd, das mörderische Gewehr einzustecken; und da er, aller Warnungen ungeachtet, in der Hitze, womit er die Leichtigkeit eines solchen Todes verfocht, die blinkende Klinge sehr oft der Kehle näherte – welches aber bey ihm nur eine Gestikulation war – so glaubte der Andre in seiner hypochondrischen Einbildung, daß er sich im Ernste entleiben wollte, schrie auf, warf sich in Herrmanns Arme und bat ihn inständigst, die Unthat zu verhindern, daß sie nicht auf seiner Stube geschehe. Der Philosoph lachte seiner und der zwey Andern, die furchtsam aus 322 dem Winkel nach ihm anschielten und jeden Augenblick den tätlichen Streich erwarteten: er steckte das gefährliche Werkzeug wieder ein, die Flüchtigen versammelten sich um den Tisch, und jeder machte die weise Anmerkung, daß man mit dergleichen abscheulichen Dingen nicht scherzen müsse. Der Vertheidiger des Selbstmords, der vielleicht nicht das Herz gehabt hätte, einem Sperlinge das Leben zu nehmen, war in diese Materie so verliebt, daß er sie sogleich wieder fortsezte: ein jeder wußte ein Histörchen von einem Selbstmorde; man erzählte nach der Reihe herum, je schauderhafter, je lieber: die Dämmerung nahte sich, und die ganze Gesellschaft hatte sich ihre Einbildung mit so schreckenden Bildern erfüllt, daß sie alle, wie fest gemacht, am Tische saßen: keiner wagte einen Blick hinter sich in die finstre Stube: die Furcht band endlich auch die Zungen: Licht zu bestellen, wäre keinem einzigen möglich gewesen, und Herrmann wollte sich eigenmächtig nicht dazu erbieten, weil er die Gelegenheiten des Hauses nicht kante. Sie schnaubten kaum, machten 323 die Augen zu und schliefen alle viere ein, daß sie schnarchten. Herrmann, dem die schnarchende Musik lästig wurde, schlich sich leise zur Thür hinaus und gieng nach Hause.

Den folgenden Tag erfuhr er, daß die Gesellschaft bis gegen zehn Uhr zusammen geschlafen hatte. Als einer nach dem Andern erwachte, fürchtete sich ein Jeder vor den Augen der Uebrigen, die ihm in der Dunkelheit zu brennen schienen: der Philosoph ermannte sich zuerst und suchte ein altes Feuerzeug, schlug an: er lief mit dem brennenden Schwefel in der Hand herum, um den Leuchter zu suchen, und da er von ungefähr nach dem Tische blickte und die drey Gesichter seiner Freunde sahe, auf welche das blaue Schwefellicht einen blassen todtenähnlichen Schein warf, daß sie in der Dunkelheit drey Leichen zu seyn schienen, warf er vor Schrecken den Schwefel auf die Erde, flüchtete in die nahe Kammer, legte sich wohlbedächtig auf das Bette und schlief sehr bequem, während daß der Wirth mit den 324 übrigen beiden Gästen am Tische übernachtete.

 


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