Johann Karl Wezel
Herrmann und Ulrike / Band 3
Johann Karl Wezel

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Viertes Kapitel.

Herrmann und Ulrike spielten bey dieser unvermutheten Nähe eine sonderbare Rolle: keins sah das andre an, und die ersten zwo Mahlzeiten, die sie zusammen thun mußten, brachten sie beide ganz stumm hin: bey der dritten wurden schon verstohlne Blicke herüber und hinüber geworfen, wobey man aber die Gelegenheit sorgfältig ausspähte, daß der angeblickte Theil es nicht wahrnahm. Für Vignali war dieses Blickespiel eine herrliche Komödie; und wenn der Zufall einmal die beiden Blicke in Einem Punkte zusammentreffen ließ, wie dann hurtig ein Jedes den seinigen zurückzog und viele Minuten den Kopf nicht wieder aufzuheben wagte! Der Zufall und Vignali veranlaßten sie endlich auch Worte zu wechseln, so sehr es beide anfangs vermieden: aus einzelnen Worten, mit gesenkten Augen gesprochen, wurden allmälich Reden, und nach sechs oder sieben Mahlzeiten war das Gespräch schon wieder leidlich in Gang gebracht: allein beide sprachen mit essigsaurem 212 Ernste zu einander, der desto drollichter gegen die Freundlichkeit abstach, womit ein jedes zu Vignali redte. Der Blick milderte sich, nahm bey Ulriken sogar Güte an, ihr Ton blieb nicht mehr gebrochen und scharf, sondern bekam seine natürliche Sanftheit: obgleich auch Herrmann Miene und Stimme sehr herabstimmte, so erhielt er sich doch in einer beständigen ernsten Entfernung von ihr, und suchte der Vertraulichkeit so sorgfältig zu entgehn, daß er eine übertriebne Politesse gegen sie annahm, die sie dann erwiederte. Dies eiskalte Betragen behielten sie bis zu dem großen Sturme, den Vignali indessen veranstaltete: jedermann erkannte sie für sehr höfliche Freunde, die sich nie liebten und vermutlich auch nie lieben würden.

Was in ihren Herzen vorgieng? – Beide wünschten, sich mit Ehren wieder lieben zu können, beide wünschten, daß sie Zufall oder Zwang dahin führen möchte. Die Liebe schwang in beiden die glimmende Fackel, um sie wieder zur Flamme zu bringen. – »Wenn sich nur Herrmann verzeihen lassen wollte!« dachte Ulrike. – 213 »Wenn du nur Ulriken Unrecht gethan hättest!« dachte Herrmann. Auch stellte sich bey ihr ein gutes Symtom wieder ein – eine ziemlich eifersüchtige Empfindung, wenn Herrmann und Vignali zu freundlich mit einander thaten.

Die Sache war also wieder in dem besten Gleise; aber Vignali! Vignali! – Sie hat zween zu mächtige Gründe – Rache und Selbstvertheidigung – warum sie jenen ruhigen Gang der Sachen entweder anders leiten oder ganz stören muß. Auch hemmte ihre Unternehmung nichts als die Ueberlegung, welches von beiden ihr am zuträglichsten seyn werde. Sie ersann endlich ein Projekt, das alle ihre Verlangen mit einemmale zu befriedigen versprach: der sklavonische Graf, der ohnehin noch einen alten Groll wider Ulriken wegen des unglücklich abgelaufnen Abendbesuchs hatte und bisher mit seiner Rache nicht an sie kommen konte, wurde zum Werkzeuge ihrer Erniedrigung bestimmt: Herrmann sollte durch Vignali's Veranstaltung Augenzeuge davon seyn, und also zu aller Versöhnung auf immer abgeneigt werden: auch er 214 sollte zum Zeugen wider Ulriken bey dem Herrn von Troppau dienen, um ihm seine Liebe zu ihr und den Gedanken an die Verheiratung mit ihr zu benehmen. Herrmanns unbewegliche Seele konte alsdann durch neue Stürme überwunden werden; denn eine angefangene Eroberung unvollendet zu lassen, wäre für ein solche Herzensbändigerin ein ewiger Vorwurf gewesen. Welch' ein treflicher Plan, der mit Einem Hiebe den Knoten zerschnitt! Vignali war nichts als Jubel und Wonne.

Daß der Graf die aufgetragene Rolle mit Dank annahm, versteht sich von selbst. Vignali ließ des Nachmittags die kleine Karoline zu sich herunterrufen und gab ihr mancherlei Spielzeug, womit sie sich izt Stunden lang zu belustigen pflegte, weil ihr die Frau von Dirzau kein solches Vergnügen erlaubt hatte: sie spielte eifrig für sich in Vignali's Zimmer. Gegen die Dämmerung begab sich der Graf zu Ulriken, die über den Besuch nicht wenig erstaunte und Misshandlungen für ihre falsche Einladung fürchtete. Der Graf brannte von Wollust und Rache und schritt sehr bald zu verdächtigen 215 Thätlichkeiten: Ulrike argwohnte böse Absichten, zitterte für den Ausgang, da sie im ganzen zweiten Stockwerk allein war, und faßte allen Muth und alle Kräfte zur Gegenwehr zusammen. Sie machte Vorwürfe, sie bat: nichts rührte den entflammten Grafen, der schon in Gedanken Rache und Begierde befriedigte. Die Gewaltthätigkeiten wurden so unerhört, daß Ulrike zu Faustschlägen ihre Zuflucht nehmen mußte.

Vignali eilte sogleich in Herrmanns Zimmer und schlug ihm einen Besuch bey Ulriken vor. Er weigerte sich, allein ihre Autorität zwang ihn zum Gehorsam. Sie giengen leise die Treppe hinan, um sie zu überraschen, und langten in dem Augenblicke bey der Thür an, als Ulrikens erschöpfte Kräfte der wilden Brutalität des Grafen beinahe unterlagen. Sie horchten, und hörten ein heftiges Keuchen nebst einem rauschenden Getöse, als wenn sich zwey Leute balgten: Vignali triumphirte schon in der Seele. Plözlich erhub sich ein heiseres angestrengtes Geschrey: Ulrikens ersterbende Stimme rief: 216 »Hülfe! Hülfe! Ach! Gott!« – Herrmann, ohne sich von Vignali zurückhalten zu lassen, so derb sie ihn auch faßte, riß die Thür auf und fand Ulriken im ohnmächtigen Kampfe wider den Grafen, der in der Begeisterung weder das gewaltsame Oefnen der Thür noch Herrmanns Hereintritt wahrnahm, sondern die arme Unschuldige mit dem plumpsten Ungestüm nach dem Sofa hintrieb. Herrmann ergriff ihn mit voller Wuth bey dem Zopfe und zog ihn mit solcher Stärke, daß er vor Schmerz seine Beute fahren ließ und schreyend rückwärts auf den Fußboden hinstürzte: er war so erbittert, daß er den hingestreckten, vom Falle betäubten Sklavonier bey den Füßen an die Thür schleppte und nicht eher ruhte als bis er ihn außer dem Zimmer hatte: er kehrte sogleich zurück, schob inwendig den Riegel vor – da stand er und wußte nicht, was er glauben, denken und sagen sollte! Ulrike stand mit eben so freudiger Verlegenheit da, in zerstörten zerrißnen Haaren, bleich, schwerkeuchend, mit entblößtem blutendem Busen, zerfezter Kleidung, über die Hüften herabgezogenen 217 Röcken und blutrünstigen Armen: Vignali las mit tiefem Aerger die ausgerißnen Locken, Blonden und Fragmente der Garnirung vom Schlachtfelde auf.

»Ist es möglich?« rief Herrmann nach der ersten verwunderungsvollen Pause: »bist du es, Ulrike, die so für ihre Unschuld kämpfte? Du, die blutend eine Tugend vertheidigte, die ich schon längst für erstorben hielt? Ich kan meine Wonne nicht fassen.« – Und so stürzte er sich ihr um den arbeitenden Hals und drückte sie so fest in seine Arme, daß sie kaum athmen konte. Jammer, Freude und Dankbarkeit preßten ihr Thränen aus den Augen: sie schmiegte tief schluchzend, weinend und zitternd den Kopf an seine linke Schulter und konte kein Wort reden: indessen schielte Vignali mit scheelem Blicke nach der Umarmung hin und hätte beinahe vor Aerger über ihren mislungenen Plan mitgeweint. Sie konte den Anblick der wiederversöhnten Zärtlichkeit, die sie durch das nämliche Mittel neu belebt hatte, wodurch sie ihr auf immer den Tod geben wollte, unmöglich 218 länger ertragen, sondern trennte die Umarmung und erinnerte Ulriken an den beschämenden Zustand, in welchem eine solche Heldin der Tugend, wie sie, eine Mannsperson nicht umarmen dürfte. Dieser spöttische Verweis ließ sie ihre Entblößung gewahr werden, die sie im ersten Taumel der Ueberraschung ganz übersehen hatte: sie eilte verschämt ins Schlafzimmer, um dem Uebel abzuhelfen.

Herrmann war so berauscht, daß er ungestüm mit seiner Freude in Vignali hineinstürmte, ihr die Hände drückte und küßte, sie zur Theilnehmung an seiner Wonne ermunterte, wozu sie nicht den mindesten Trieb empfand, und einmal über das andre schrie er: »Wie glücklich! nun kan ich Ulriken wieder lieben.« – Vignali hätte zerspringen mögen: sie befahl ihm, sie hinunter zu begleiten: er wollte nicht, aber er mußte. In ihrem Zimmer fanden sie den Grafen vor dem Spiegel aus allen Kräften beschäftigt, seine zerzausten Haare wieder in Ordnung zu bringen.

Vignali. Sie haben ja schreckliche 219 Excesse in meinem Hause begangen, Graf. Was bewegte sie denn zu einem so barbarischen Verfahren?

Der Graf. Die Rache, wie Sie wissen.

Vignali. Wie ich weis? – Ach vermuthlich wegen des Billets, das Ihnen das Mädchen neulich schrieb, als sie Ihnen eine Zusammenkunft anbot und Sie hernach statt ihrer eine alte betrunkne Frau finden ließ? –

»Das ist das unglückliche Billet, das uns entzweyt hat?« unterbrach sie Herrmann. »O so reut michs, daß ich den Bösewicht nicht ärger gemishandelt habe.«

»Wer ist der Bösewicht?« fragte der Graf mit einer Renomistenmiene. »Wenn ich es seyn soll, so wollen wir auf eine andre Art mit einander sprechen.«

Herrmann. Auf welche Sie wollen; und gleich auf der Stelle!

Der Graf. In einer Dame Zimmer wär' es ja unanständig, Händel anzufangen.

Vignali. Ich erlaub' es: ich bin Herrmanns Sekundantin. 220

Der Graf. Nein, so eine Unanständigkeit werd' ich nicht begehn.

Herrmann. Feiger! mit schwachen kraftlosen Mädchen kanst du kämpfen, aber nicht mit Männern.

Der Graf. Beruhigen Sie sich! in einer Dame Zimmer sich zu zanken, wäre ungesittet. Ich räsonnire so –

Vignali. Mein Herr Räsonnirer, Sie werden die Güte haben, nicht weiter an die Sache zu gedenken, da Sie doch kein Herz haben, sie auszufechten. Wir wollen vergeben und vergessen. Bis auf Wiedersehn. –

Er nahm sehr höflichen Abschied, besonders von Herrmann, dem er gnädigst die erste vakante Stelle in seinen Ländern zum Zeichen der Versöhnlichkeit versprach. – »Aus einem schlechten KomödiantenDer Abentheurer war eine kurze Zeit in Lyon Schauspieler gewesen, ehe er sich in den Grafenstand erhob, und jedesmal, wenn er auftrat, richtig ausgepfiffen worden. wird auch ein schlechter Graf,« sprach Vignali, als er weg war. »Der baumstarke Kerl ist nur gegen betrunkne Weiber und 221 furchtsame Knaben tapfer: einem Kinde, das ihn stark anfährt, giebt er nach: gleichwohl thut er gleich als wenn er seine Gegner mit Leib und Seele vernichten wollte; und wenn er nicht auszukommen getraut, dann macht er den Philosophen und fängt an zu räsonniren. Ich will ihn schon wegen seiner heutigen Aufführung züchtigen: sich in mein Haus zu schleichen und solche Unmenschlichkeiten zu begehn!« – In diesem Tone wurde der sogenannte Herr Graf tüchtig ausgefilzt, weil er nicht zugegen war: weder Herrmann noch Ulrike merkten jemals, daß Vignali selbst ihn zu diesen Unmenschlichkeiten angestiftet hatte.

Ulrike, so sehr sie das Bewußtseyn, alles gethan zu haben, was Pflicht und Tugend von ihren Kräften fodern konten, beruhigen mußte, fühlte eine so tiefe Scham über das Vorgegangne, insonderheit über den Zustand, worinne sie Herrmann und Vignali antrafen, daß sie eine Schwächlichkeit vorwandte und auf ihrem Zimmer speiste. Wirklich hatte sie auch die 222 Plumpheit des Satyrs, mit welchem sie um ihre Ehre stritt, die Anstrengung ihres Widerstandes und die Angst, unter dem Kampfe zu erliegen, so sehr angegriffen, daß sie die folgende Nacht Kopfschmerz und Fieber bekam.

So sehr auch Herrmann vor Ungeduld brannte, ihr seinen falschen Verdacht, Groll und übereilten Bruch abzubitten, so ließ sie ihn doch nichts vor sich: Scham und Schüchternheit nöthigten sie, seit jener schrecklichen Begebenheit beständig die Thür verschlossen zu halten, und sie würde auch des Mittags darauf nicht zu Tische gekommen seyn, wenn nicht Vignali sich mit Gewalt bey ihr eingedrängt und sie mit Gewalt heruntergeholt hätte. Sie wünschte ihr spöttisch zum Siege der Tugend Glück und schalt sie, daß sie, wie ein Kind, sich über einen Unfall schämte, wozu sie nichts beygetragen hätte. – »So eine exemplarische Standhaftigkeit macht Ehre,« sagte sie lächelnd: »und was noch mehr ist, Sie haben ja durch diesen heldenmütigen Kampf ihren Liebhaber wieder errungen. Sie sind ein braves Mädchen: wenn Sie sich beständig so 223 herzhaft wehren, werden Sie Ihre Tugend gewiß unversehrt und wohlbehalten mit sich ins Grab nehmen.«

Kaum trat die verschämte Ulrike in Vignali's Zimmer, wo Herrmann auf sie wartete, als er auf sie zuflog und in den reuigsten Ausdrücken um eine Verzeihung bat, die ihm im Herzen schon längst zugestanden war. Er nannte seinen so schnell gefaßten Verdacht ein Verbrechen wider ihre Tugend, und versicherte, daß er sich durch ihn ihrer Liebe unwürdig gemacht habe. – »Nein,« sprach sie gütig: »um dieses Verdachtes willen werd' ich dich desto mehr lieben; denn ich hoffe, daß du selbst so bist, wie du mich verlangst. Wer mich nicht ohne Tugend lieben kan, muß wohl selbst ihr Freund seyn.« – Herrmann merkte in der Fülle der Freude die Bedenklichkeit des Tons nicht, womit sie dies sagte: denn es schien ihr sehr mißlich, daß Herrmann so lange mit Vignali auf Einem Meere gesegelt habe, ohne Schiffbruch zu leiden. Die feine Frau, die eine eigne Spürkraft besaß, sich keinen unmerkbaren Zug in Reden und Betragen entwischen zu 224 lassen, rückte ihr ihren bedenklichen Ton vor und überschüttete den verwunderten Herrmann, der die Veranlassung nicht merkte, mit einem ganzen Regen von Lobsprüchen auf seine Enthaltsamkeit, Standhaftigkeit, Vernunft und Herrschaft über sich selbst. Die Bitterkeit, womit sie ihre Lobrede hielt, benahm Ulriken fast gänzlich ihren Argwohn; denn sie vermuthete zu ihrer Zufriedenheit, daß Vignali ihn versucht und nicht überwunden habe. So wurde unter den Augen der Friedensstörerin der Friede förmlich unterzeichnet und die Liebe wieder erneuert. 225

 


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