Paul Wertheimer
Respektlose Geschichten
Paul Wertheimer

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Der verzauberte König

In der altberühmten Stadt Toledo, die an dem schroffen Granitberg wie ein Geier an einem schwarzen Felsen hängt, herrschte gedämpfter Jubel. Alfonso, der Eisenharte, hatte sich eben zu seinen Vätern versammelt, und Alfonso, der Huldreiche, der Sonnenliebling, wie das Volk ihn sogleich nannte, unterzog sich bereits der Mühe, mit Grandezza den ererbten Thron zu besteigen. Er saß im innersten gold- und perlengeschmückten Gemach des Alkazar zwischen kühlplätschernden Fontänen und blickte bald auf das künstliche Linienspiel der Mosaiken, bald auf die mit Tulpenstickereien bedeckte Wand und auf die weichen, maurischen Teppiche, in denen jedes freche Geräusch des Tages demütig erstarb. Zuweilen murmelte er Gebete, zuweilen aß er eine Orange. Einmal dachte er, wie hübsch es wäre, wenn er den Empfang der Granden und die Thronrede, die im Nebengemach sein Beichtvater, der Großinquisitor Don Pedro, verfaßte, erst hinter sich hätte. Dann dachte er gar nichts, sondern saß nur mehr da, erhaben und schweigsam. Da ward von unsichtbarer Hand der schwarzsamtene Vorhang, bestickt mit Sonne und Sternen, den Abzeichen Kastiliens, zur Seite geschoben, und Don Pedro im scharlachenen Mantel betrat die jedem verwehrte Schwelle.

26 »Worüber sinnst du, o König?« begann der Inquisitor, nachdem er die vorgeschriebenen dreiundeinhalb Schritte nach vorn und dreiundeinhalb nach rückwärts erledigt hatte. »Du hast dich« – und er blickte auf die Orangenschale – »durch Gebete für deine entsagungsschwere Sendung gestärkt. Nun bedenkst du wohl, wie du dein Volk alsogleich beglücken wirst. Es erwartet viel von dir und hat dich schon den Huldreichen genannt. Darum muß ohne Verzug ein Werk geschehen, das die um Alfonso, den Eisenharten, trauernden Gemüter erfrischt und aufrichtet.« »Wie war' es, Pedro«, meinte der Huldreiche und ein heiterer Schimmer überflog seine gespannten Züge, »wenn wir dreihundert Hexen verbrennen ließen?« »Damit hat dein Großvater seine fünfundzwanzigjährige, weithin gepriesene Herrschaft eröffnet. Darum heben wir lieber diese Kurzweil für deinen Geburtstag auf. Heute weiß ich Besseres, Ergötzlicheres – die Juden.« »Die Juden. Nicht übel. Das lenkt immer ab.« Und der König lächelte sonderbar. »Welche Ergötzlichkeit bereitest du also vor, Pedro: Willst du sie in die Synagoge zusammentreiben und diese anzünden lassen? Fürwahr, nicht übel. Besonders wenn man Freiheit gibt, inzwischen ihre Häuser zu plündern.« »Das natürlich, aber Blut würd' ich widerraten. Wir schwächen sonst die Wirkung des großen Stiergefechtes. Wie wäre dies – wenn du sie aus deinem gottgesegneten Reich noch in dieser Stunde weisen ließest? Heute, am Fest des 27 ungesäuerten Brotes, sollten sie durch das Stadttor wandern, die Söhne Abrahams mit ihren langen Bärten und Locken, ihren Schaufäden, Gebetriemen und Thorarollen.« »Und wie ergötzlich ist ihre Sprache und ihr Gehaben, wenn sie aufgeregt sind« – bemerkte der König; es lächerte ihn schon die Vorstellung. »Deine Untertanen würden hinter ihnen Purzelbäume schlagen vor Vergnügen, und Alfonso, der Sonnenliebling, wäre auf allen Lippen. Vernimm des Volkes Jubel selbst« – und er wies ihn an das Fenster zwischen krausem maurischen Rankenwerk.

Ein ungeheures Jauchzen ward, immer heller aufsteigend, über dem Hof mit den in der Sommerhitze glühenden Granatäpfeln vernehmbar. »Hast du denn, Pedro, dem Volk bereits –? Du wagst viel, Priester!« »Ich habe noch mehr gewagt, um Alfonso, eh' er vor die Großen seines Reiches tritt, zuvor mit einem munteren Spiel zu erheitern. Ein Rabbi, Zauberer und Wundertäter, über dessen Gebärden und Reden du wieder die Gnade haben wirst zu lächeln, o König, will sich dir vor die Füße werfen, um Schonung zu erbitten für seine – Juden. Dort vor dem Tor, wende dein Angesicht hin – er will in den Alkazar – er stößt die Trabanten fort – aber sie sticheln seinen Bart mit den Lanzen – –.« »Man bringe ihn her, den Mauschel«, gebot der Sonnenliebling.

Zwei Pagen in Schwarz und Gold flogen durch die Arkaden, alsbald stand Rabbi Baruch Zaimon 28 vor dem Herrn der beiden Kastilien, vielmehr lag er vor ihm auf dem Marmor, die Fliesen mit den Spitzen des ehrwürdigen Prophetenbartes fegend. »Ich habe bereits von dir vernommen, Rabbi. Du verrichtest seltsame Wunder- und Zauberwerke, dich preist dein Volk.« »Um meines Volkes, um des geknechteten Israel willen bin ich gekommen, zu erflehen dich allein –.« Der Inquisitor verschwand auf ein Zeichen, und Alfonso betrachtete den Rabbi, unbewegt, doch immer eindringlicher belustigt. Denn Zaimon sprach jetzt, da er in Eifer geraten war, mit den Händen, weißen, wohlgebildeten Händen, die sich von den schwarzflackernden Augen und dem blassen Antlitz fast geisterhaft abhoben. Dazu ging die Rede bald in einen eigentümlichen, wiegenden, breiten Sing-Sang über, bald sank sie tief, bald stieg sie hoch und immer höher. Sie schien sich zu kräuseln gleich dem Gelock des Rabbi; eine drollige Gewohnheit der Gesten und des Sprechens, die er sich angeeignet, lustwandelnd im Talmud, in den blühenden Gefilden der Haggada und dem Gedankengestrüpp der Halacha.

Den König kitzelte dieses leidenschaftliche Redegekräusel wie mit Pfauenfedern. »Welche Sprache«, dachte er, »ich sterbe vor Vergnügen, das sollten meine Granden hören.« »Rette, rette«, steigerte sich der Rabbi. »Ist dir nicht gegeben von Gott die Macht zu retten, daß du sollst retten? In deinem Reich, Gott soll es lassen blüh'n tausend Jahr, haben wir gefunden Frieden. Nun sollen wir wieder 29 ziehen, zieh'n sollen wir und warum?« klagte und sang Zaimon immer beweglicher.

Alfonso lächelte nicht mehr, er konnte nicht länger widerstehen, sein Lachen brach plötzlich aus. Da erzürnte sich der Rabbi: »Ich weiß, warum du geruhst zu lachen, großer König. Weil ich nicht spreche kastilianisch rein. Wer ist aber in Schuld? Ihr! Weil wir sind abgeschieden gewesen unter uns so lange. Weinen sollt' man, nicht lachen. Sind wir nicht gewesen unter euch ein treues Volk, haben wir nicht gezinset für euch, geblutet für euch?« Der Rabbi fuchtelte immer lebhafter, und der König ward sichtlich immer vergnügter. »Du willst also nicht widerrufen deinen Befehl? Wir müssen zieh'n?« »Eure Sprache und Gebärden sind uns und unserem Volk ein Ärgernis«, und Alfonso winkte ihm gelangweilt hochmütig ab. »So soll es mir doch vergönnt sein, dich zu segnen, großer König« – jetzt lächelte der Rabbi unbemerkt – »daß Gott soll dir geben alle Weisheit Salomos, daß du sollst meiden das Böse und lieben das Gute« – er wiegte den Kopf hin und her – und der Huldreiche neigte zu ihm das frisch gesalbte Haupt, über dessen Stirn jetzt der Rabbi dreimal mit gleichförmiger Bewegung und merkwürdigen Zeichen strich.

Den König schläferte es mit einemmal. »Das sollte die Infantin –« murmelte er noch und war bereits eingeschlafen. Der Rabbi aber, ihn emsig streichend, sprach beschwörend also: »Alfonso, du großer König, wenn du wieder aufstehst und 30 wandelst, sollst du reden wie ich, über den du hast so gelacht, bis man wird mich zurückrufen, zu lösen von dir den Bann. Wann werd' ich ihn lösen? Bis du wirst sein ein gerechter König.« Sprach's und verschwand, die blassen Hände noch einmal hochhebend, hinter einer Reihe kichernder Damen mit weitgebauschten, perlenübersäten Ärmeln und Kavalieren mit breitgefiederten Hüten und flatternden Mänteln, die jetzt, um die Thronrede zu vernehmen, den Saal füllten.

Der König war inzwischen erwacht und schaute betroffen um sich, als sehe er noch die Gestalten eines verschwindenden Traums: heimatlose Männer, von Haus und Herd gewiesen, Frauen, die Kinder demütig um sich geschart, ein grauer, gebückter Zug, der sich klagend das Felsenbett des Tajo entlang zur beschneiten und zerklüfteten Sierra hinauf bewegte. Nun erstieg Alfonso entschlossen die Stufen des Throns – schaute zu dem Himmel aus Goldstoff empor und begann: »Meine Völker! Wir, Alfonso, durch Gottes Gnaden Herr der beiden Kastilien, versichern euch unserer väterlichen Huld.« Die Damen knixten steif, und die Toledanerklingen schwirrten mit Macht aus den Scheiden. Aber plötzlich – das hatte der Alkazar noch nicht erlebt – schlug die Stimme des huldreichen Alfonso um. Sie kräuselte sich, sang und stieg hinauf, immer höher, bis sie völlig der des Rabbi Zaimon glich, ja, sie übertraf diese hundertfach durch den furchtbar deutlichen Tonfall. »Ihr seid 31 gekommen zu mir«, sagte der König, »mit vertrauendem Gemüt. Nun, was soll ich euch sagen? Ihr werdet zahlen eure Steuern und ich werd' euch geben Treue dafür und alle miteinander werden wir leben und werden gesund sein.« Und er sang im Reden und redete im Singen, und er sprach mit dem gesalbten Kopf und, obwohl er das Szepter hielt, mit den edelsteingeschmückten Händen. Ja, der Herr der beiden Kastilien, vor dem drei Weltteile bebten, verübte vom Thron herab einen Jargon, wie er kaum in den finstersten Gäßchen des Toledaner Ghettos erhört war.

Das hatte ihm Rabbi Zaimon schnöde suggeriert, wie man jetzt sagen würde. Er übte, einer der frühwissenden spanischen Ärzte des Mittelalters, bereits die Kunst, den eigenen »Willen einem fremden zu übertragen. Als diese Laute, immer melodischer anschwellend und immer fürchterlicher zugleich, in dem Saal mit den strengen maurischen Bögen widerhallten, klirrten die Klingen der Granden erschrocken nieder, die Hofdamen fielen in Ohnmacht und Alfonso, der Eisenharte, drehte sich mit einem Ruck entschlossen im Grab um.

»«Wir danken der Majestät«, erwiderte jetzt mit mühsam aufrecht erhaltener Etikette der Älteste der Granden, Don Manuel de Gonzaga. Da schnaubte ihn der König an: »Was heißt? Wieso? –! Kannst du nicht reden mehr kastilisch? Du auch, Pedro, wie kommst du mir vor?« Er ward immer erboster. Nun begann er zu wettern. »Der 32 König wird nicht einberufen den Rat, bevor ihr alle werdet reden, wie sich's gehört, so wahr ich soll leben und gesund sein.«

Da geschah etwas Ungeheures. Don Manuel vermochte die in ihm aufspringende Heiterkeit nicht länger zu bezwingen. Er lachte, daß es ihn nur so schüttelte. Der Hof erstarrte. Den Frevler aber traf sogleich ein Blitz aus königlichen Brauen, und zornig funkelte die Majestät sogleich in die hintersten Gemächer zurück. Manuel aber seufzte tief auf und zerdrückte eine Träne. »Das werd' ich nie lernen« – er versuchte vergebens, den Tonfall zu üben – »so wahr ich will leben und gesund sein. Die Sonne Alfonsos scheint mir nicht mehr, ich bin verbannt in Finsternis.« »Señor, man muß nicht gleich verzweifeln«, tröstete ihn der Kirchenhirte. »Vielleicht finden wir noch den Rabbi Zaimon, der uns in diesem verwünschten Dialekt unterrichtet.« Freudig stimmten die Granden bei, und da es inzwischen Nacht geworden war, durchsuchten sie mit Fackeln die Schluchten des Tajo, um des Rabbi Zaimon oder eines anderen jargontüchtigen Mannes habhaft zu werden. Aber die waren alle wie vom Erdboden verschwunden. »Das sind wieder nur diese Juden imstande«, schalt Don Pedro. »Wenn man sie braucht, sind sie natürlich nicht da.« Bedrückten Herzens zogen sie heim und bedrückte Tage erwarteten sie in Toledo. Der König sprach, weil er die andern nicht verstand, nur mehr mit sich selbst, im hintersten Gemach, dessen Fliesen 33 sich jetzt auf seinen Befehl mit krausen Büchern und Schriftwerken bedeckten, und in Toledo gab es keine Juden mehr.

Anfangs war des Jubels darüber kein Ende, aber allgemach wurde das Leben langweilig, so schrecklich langweilig, nicht zu sagen. Handel und Wandel waren ohne Bewegung, selbst den Künsten und Wissenschaften fehlte die richtige Würze. Über wen sollte man, da die Juden fehlten, noch Witze reißen, und wer vermochte die komischen Wortverdrehungen zu erfinden, über die man sonst in Toledo krähte? »Oh, die Juden, ach die Juden, wären sie nur schon wieder da«, seufzte man den ganzen Tag. Und wenn, wie solches vorzukommen pflegt, ein edelblütiger Toledaner mit einer besonders verwegen gekrümmten oder geschwungenen Nase begabt war, die dem Gesichtsvorsprung der Enkel Isaaks in merkwürdigem Naturspiel verblüffend ähnelte, so trug er diese gar stattlich zur Schau, denn er hoffte, für einen von ihnen gehalten zu werden.

In Spanien war es nicht, wie zu gleicher Zeit im Deutschen Reich und bei den Zügen in das Morgenland, wo man wegen eines solchen Nasenvorsprunges peinlich geneckt und am Ende gespießt und gebrannt wurde. In Toledo galt es damals für eine Ehre, zu dem erwählten Volk zu gehören – in jenen glücklichen Tagen, da der König selbst im Reden sang und im Singen redete.

»Guter Gott, gib uns doch die lieben, netten 34 Juden zurück«, war bald in Toledo das Morgen- und Abendgebet. Sogar der Inquisitor versäumte nicht, die Bitte um deren baldige Rückkehr den öffentlichen Gebeten anzuschließen.

Und da der liebe Gott Gebete erhört, besonders wenn sie von der hochheiligen Inquisition selbst befürwortet werden, waren auch die innig entbehrten Juden plötzlich wieder zur Stelle. Einer hatte das spitze Köpfchen aus einer Höhle, in der er sich verborgen hielt, vorsichtig hervorgestreckt. Don Manuel, der eben bekümmert des Weges ging, erkannte ihn sogleich. Hervorgelockt, beteuerte dieser, die Juden seien alle fort, nur ein paar wären noch da, seine Verwandten. »Dann sind alle da«, jubelte Pedro, »denn alle sind miteinander verwandt.«

Und sie waren richtig beisammen und wurden im Triumph wie siegreiche Stierkämpfer in die beflaggte, von tausend Lichtern glänzende Hauptstadt heimgeführt. Es war ein unermeßlicher Jubel, Freudenfeuer wurden entzündet, und selbst wildfremde Menschen sollen einander, wie die Chronik erzählt, schluchzend in die Arme gefallen sein, weil man endlich die Juden wieder da hatte.

Rabbi Baruch Zaimon ward sogleich mit stattlichem Gepränge zu Hof gebracht, in den Palast mit den kühlen Gärten um die plätschernden Springbrunnen und den Steinsäulen mit den geflügelten Drachen.

Hier sollte er alsbald die Granden in der hochansehnlichen, bisher viel zu wenig gewürdigten 35 Kunst, im Reden zu singen und dazu mit den Händen den Takt zu schlagen, unterweisen. Rabbi Zaimon war ein geduldiger Lehrer, und da seine Zöglinge, der ganze Hofstaat, an der Spitze der Großinquisitor, Don Manuel, der oberste Würdenträger, und Rodrigo, der Minister für Kultus und öffentlichen Unterricht, gar lernbeflissen waren, konnte man sie bald nicht mehr von ihrem Meister unterscheiden. Bald sang im Reden und taktierte mit den Händen der hohe Adel, die Bischöfe, die Blüte der Ritterschaft.

»Jetzt wird uns doch wieder leuchten das Gestirn königlicher Gnade«, jubelte Don Manuel. »Meldet uns bei Alfonso, Euer Ehrwürden.« »Erst müßt Ihr mich aber lassen mit ihm allein«, wehrte der Meister ab. Da der König in seiner Gedankeneinsamkeit vernahm, Rabbi Zaimon wäre hier, beschied er diesen sogleich in das innerste, von Weihrauch und Myrrhen duftende Gemach. Er hatte sich merkwürdig verändert. Eine Falte des Grams hatte sich durch die dünnbeäderte Stirn gefurcht, auch die Lippen waren nicht mehr so gelangweilt hochmütig gezogen.

»Warum seid Ihr gekommen so spät«, begrüßte er freundlich den Rabbi. »Ich habe gelesen in euren Schriften und viel gedacht . . . Und ich habe gelesen, es ist euch geschehen in der Welt viel Unrecht.« »Viel Leid«, sagte ernst der Rabbi, »Bäche, Ströme von Tränen.« »Wieso Leid? Unrecht!« beharrte eigensinnig der König. »Man hat gelacht 36 über mich, weil sie mich haben nicht verstanden. Da habe ich verstanden euch – über die man hat gelacht so viel. Man soll nicht haben Spott über einen, weil das ist unrecht.« »Und das wollt Ihr abschaffen aus Eurem Reich?« Alfonso nickte. »Dann sollt Ihr werden gelöst von meinem Bann.«

Und ehe sich der erstaunt aufblickende König recht besonnen hatte, war er wieder in magischen Schlaf gesunken, und der Rabbi strich ihm, leis entwirrend, beinahe zärtlich über die Stirn. »«Wenn du wirst sein aufgewacht, sollst du reden wie früher, kastilisch rein.«

»Gott grüß' euch, Rabbi«, schmetterte alsogleich der König, den Schlaf abschüttelnd, Baruch Zaimon frohgemut entgegen. Es war, als habe er alles, was inzwischen geschehen war, vergessen. »Wo sind meine Granden, die Stützen meines Thrones, ich habe sie schon lange entbehrt.« »Wo sollen sie sein? Im Thronsaal. Majestät, geruhen sie anzuhören.« Und schon klang es dem König entgegen, in Lauten, die ihm sonderbar fremd und doch wie aus einem fernen Traum vertraut erschienen. Der Inquisitor, die Minister des Unterrichts und der Finanzen, der Schatzkanzler, sie sprachen und deuteten alle wie Rabbi Zaimon. Verwundert stand der König. »So habt Ihr gesprochen auch, Majestät, bis ich Euch hab' entzaubert«, raunte ihm Zaimon zu. Der König lächelte ungläubig und doch betroffen. »So entzaubere auch diese.« »Das kann ich nicht, denn Ihr habt es getan unter meinem Willen, aber diese 37 haben es gelernt aus eigenem Willen.« »Was ist da zu tun?« lächelte jetzt Alfonso in seltsamem Sinnen milder, als man es jemals bei ihm gesehen. »Wo hab' ich nur diese Laute vernommen, sie sind mir fern und doch so nahe.« Aber sein Lächeln wurde mit einemmal ernst.

Aus den Gärten hob sich jetzt auf den Wink des Zauberers schwermütiger Gesang, immer mächtiger ansteigend, wie von Ewigkeiten herüber. Gesänge, Weinen und Jubel zugleich, alle Sehnsucht und alles Weh waren in diesen Psalmen, darin die Zedern des Libanon rauschten. In schweren Gedanken horchte der König. »Das ist die Sprache, die gesprochen hat Eure Seele, wie Ihr seid gewesen allein mit unseren Schriften.« »Dir ist Macht gegeben über die Seelen, Rabbi. Du sollst meinem Rat nahe bleiben.« »Dann rate ich jetzt –.« »Was rätst du, Zaimon«, sprach der König weicher. »Gelobe mir vorerst, o großer König« – und er wich behutsam zurück – »daß du mich nicht wirst lassen rädern und räuchern.« »Ich gelob' es.« »Dann rat' ich dir dieses« – und er stand frei vor Alfonso wie König David selbst – »nimm sie künftig auf in deinen Rat, die Edelsten und Klügsten meines Volkes, Euch selbst zum Heil! Du sollst geben ein Vorbild, großer König.«

»Wieso? Und ihre Sprach'? Gott soll hüten! So wahr ich will leben und gesund sein!« fuhr jetzt der Großinquisitor dazwischen, fuchtelte mit den Händen und bemühte sich um das reine Kastilisch.

40 Doch der Rabbi erwiderte lächelnd: »Wenn auch die Sprache nicht rein klingt, die Herzen werden klingen reiner.«

»Ihr seid wahrlich ein Zauberer, Rabbi, kühner und klüger als Ihr scheint. Und wenn ich es wirklich versuchen würde –«

»Man wird Euch preisen im Osten und preisen im Westen – Alfonso, du Sonnenliebling!«

»So öffnet die Tore, laßt sie hier denken und raten, die Weisesten und die Klügsten unter euch, und wer da lacht, lacht über den König! Ihn straft dieses Schwert!«

Da brauste herein der Jubel des Volkes, die Degen der Granden klirrten, jauchzende Musik erfüllte die Gärten.

Röter leuchteten die Granatäpfel, der Mond schimmerte rötlich, in lichten Ahnungen plätscherten die Fontänen, heißer sangen die Nachtigallen in den Kastanienalleen, wo Paare lustwandelten – Edelfräulein und Schriftgelehrte, Mädchen, aus deren dunklen Blicken Träume des Ostens glühten, und Ritter, deren Worte mutig wie ihre Degen klirrten.

Da ging ein Licht aus von dieser Nacht, Freude, Wohlstand und Gesittung blühten im Lande, wie es überall geschieht, wenn die Menschen einen alten Haß auslöschen, sich auf ihre wahre Bestimmung besinnen und sich im Geiste verbrüdern.

So ist es geschehen, daß Alfonso alsbald im Volk der Gütige geheißen ward, weil er jeden nach seinem 41 Wert und niemand nach seinem Glauben achtete.

Und von diesem Tag erblühte von Toledo der Judenschaft Adel und breitete sich bald über ganz Spanien aus in edlen, ritterbürtigen Geschlechtern. 42


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