Elisabeth Werner
Adlerflug
Elisabeth Werner

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Drittes Kapitel.

Auf der Terrasse des großen Hotels, das den ganzen Luxus und die ganze Unruhe des Fremdenverkehrs in die stille Bergeseinsamkeit verpflanzt hatte, saßen Präsident von Landes und seine Tochter mit ihrem Gast, der verabredetermaßen gestern eingetroffen war. Es war ein alter Herr, der bereits in den Sechzigern stehen mochte, dessen ganze Erscheinung aber eine beinahe noch jugendliche Frische und Lebhaftigkeit zeigte. Das weiße Haar umgab eine hohe, schöne Stirn, ein scharf ausgeprägtes, charakteristisches Gesicht, und die großen, blauen Augen blickten noch klar und feurig, wie die eines Jünglings. Er war im lebhaften Gespräch mit den beiden andern begriffen, augenblicklich jedoch lag eine Wolke auf seiner Stirn, als er rasch und unmutig sagte:

»Ich habe die Sache von Anfang an vorausgesehen. Er hat nicht hören wollen – nun mag er sein Schicksal tragen. Wir beide sind fertig miteinander!«

»Aber was hat Ihnen der junge Holm denn getan, Herr Professor, daß Sie so erbittert auf ihn sind?« fragte Alexandrine von Landes.

»Getan – nichts! Das ist es ja eben, daß er gar nichts getan hat, wo es darauf ankam, etwas zu tun. Zwei Jahre lang habe ich ihn unter Händen gehabt und dachte, etwas aus ihm zu machen, aber gerade da, als er gelernt hatte, was in unserer Kunst überhaupt zu lernen ist, als es darauf ankam, in die Welt hinauszugehen, um mit eignen Augen zu sehen, mit eigner Kraft zu schaffen, fällt es diesem verwünschten Pflegevater ein, ihn nach Wiesenheim zurückzurufen, damit er dort sein Talent ausübe, zu Nutz und Frommen des Herrn Bürgermeisters und seiner werten Familie. Nach Wiesenheim! diesem elenden Neste, das in irgendeinem gottverlassenen Winkel der Erde liegt, und auf keiner Landkarte zu finden ist, wohin nie ein vernünftiger Mensch gerät! Da soll ein junger Künstler existieren, der mehr als jeder andere auf das Leben und seine Erscheinungen angewiesen ist, da soll er etwas zustande bringen! Die Sache wäre einfach lächerlich, wenn sie nicht himmelschreiend wäre. Aber der gehorsame Sohn folgte natürlich dem Rufe.«

»Dem jungen Manne blieb vermutlich keine Wahl«, meinte der Präsident. »Er ist doch wohl gänzlich von seinem Pflegevater abhängig, und wenn dieser seine Hand zurückzog –«

»So war ich da!« fiel der Professor ein. »Ich habe noch keinen meiner Schüler im Stich gelassen, und bei dem hätte ich es nun vollends gar nicht getan. Ich habe mir den Jungen damals vorgenommen und ihm Himmel und Hölle vorgestellt. Ich setzte ihm auseinander, daß er einen künstlerischen Selbstmord beginge, wenn er sich gerade jetzt, am Wendepunkt seines Lebens, den Wiesenheimern auslieferte, daß er überhaupt mit dem ganzen Philistertum brechen müsse, das ihn von frühester Jugend an am Gängelbande geführt. Ich stellte ihm die Mittel zur Verfügung zu einer Studienreise nach Italien, drang sie ihm förmlich auf, aber es war alles vergebens. Er hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, weil man ihn als armen Knaben aufgenommen und erzogen, hätte er die Verpflichtung, sich und seine ganze Zukunft ruinieren zu lassen. Ich verlor schließlich die Geduld und stellte ihm ein Entweder – Oder! Ich sagte ihm rund heraus, daß es zwischen uns beiden aus wäre, wenn er keine Vernunft annähme. Er ging dennoch – und ist denn auch richtig mit seinem ganzen Talent zugrunde gegangen!«

»Hatte er denn wirklich Talent?« fragte Herr von Landes zweifelnd. »Was ich bisher von seinen Arbeiten gesehen habe, schien mir nicht die Mittelmäßigkeit zu überschreiten.«

»Was ich von ihm auf der letzten Ausstellung sah, war noch unter der Mittelmäßigkeit«, grollte der Professor. »Trotzdem kann ich es noch heute nicht verschmerzen, daß mir dieser Schüler verloren ging.«

»Und Sie sind doch ein gestrenger Lehrer!« sagte Alexandrine mit einem halben Seufzer. »Das habe ich erfahren, trotz der langjährigen Freundschaft, die Sie mit meinem Vater verbindet. Sie verschlossen mir erbarmungslos das Allerheiligste des Kunsttempels und verwiesen mich in den Vorhof desselben.«

Der Künstler blickte auf seine schöne Schülerin, und seine Stimme gewann einen tieferen Ernst, als er entgegnete: »Danken Sie es mir, Alexandrine, daß ich Ihnen das nutzlose Ringen um einen Preis ersparte, der Ihnen nun einmal nicht beschieden ist. Sie hätten sich nie mit eitler Selbsttäuschung betrogen, wie so viele andere. Sie hätten früher oder später selbst entdeckt, daß Ihr Talent Sie nur auf den Dilettantismus verweist. Aber mit Siegbert war es etwas anderes, der trug den Funken in sich, der die Flamme im Allerheiligsten entzündet, der konnte empor, und daß trotzdem nichts aus ihm geworden ist – dafür möchte ich diesem Potentaten von Wiesenheim und seiner gesamten Bürgerschaft noch nachträglich den Hals umdrehen!«

Die beiden Zuhörer lachten laut auf bei diesem so nachdrücklich kundgegebenen Wunsche, und der Präsident fragte: »Kennen Sie den Bürgermeister Eggert persönlich?«

»Nein, und ich habe auch nicht die mindeste Lust, seine Bekanntschaft zu machen.«

»Sie wird Ihnen aber schwerlich erspart bleiben. Er hat sicher Ihren Namen erfahren, und eine Berühmtheit wie Sie läßt er sich in keinem Falle entgehen. Der Herr ist etwas zudringlicher Natur; wir haben oft Mühe, uns seiner Gesellschaft und Unterhaltung zu erwehren.«

»Sein Pflegesohn ist um so zurückhaltender«, warf Alexandrine ein. »Wir sehen uns seit drei Wochen täglich, da wir in dem gleichen Hotel wohnen, aber er weicht uns bei jeder Gelegenheit aus, und ich habe kaum die allergewöhnlichsten Höflichkeitsphrasen aus seinem Munde gehört.«

Die Worte klangen unmutig, fast gereizt, und eine leichte Falte, die zwischen den seinen Brauen der jungen Dame lag, ließ auf eine ziemlich ungnädige Stimmung gegen den Betreffenden schließen. Der Professor nickte bestätigend.

»Ja, er war immer ein scheuer, blöder Junge, und in Wiesenheim wird er wohl auch nicht viel Lebensart gelernt haben. Aber lassen wir die Geschichte ruhen, sie hat mir damals, vor vier Jahren, Ärger genug gemacht. – Ich werde den Waldweg aufsuchen, den Sie mir so gerühmt haben, Alexandrine; es ist gerade noch Zeit, vor Tische einen Spaziergang zu machen.«

Dabei stand er auf, verabschiedete sich von den beiden und grüßte im Vorbeigehen Sir Conway, der soeben erschien und sich beeilte, den leer gewordenen Platz neben Fräulein von Landeck einzunehmen, während der Professor seine Schritte nach dem nahen Walde lenkte.


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