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Nachwort zur ersten Auflage

Nun ich die Korrekturen dieses Buches vor mir habe, faßt mich der furchtbare Schrecken, das in Ordnung und Folge zu sehn, was als Einzelnes mich so oft mit dem Unglück der Abirrung, des Fernseins vom Wesen, dem Unglück der Falschheit aller Realisierung erfüllt hat.

Warum stelle ich denn da das Erscheinen nicht ein und schreibe sogar noch ein Nachwort? K. H. nennt das Ichpolitik. Zugegeben! Aber es sei erlaubt, einige Tröstungen hierherzusetzen.

Wenn Wert irgendeinem menschlichen Werke zugesprochen werden kann, so doch jedenfalls nur dem notwendigen d. h. dem Werke, das nicht unterbleiben konnte, ohne daß die Welt aufgehört hätte, zu bestehen.

Dies Notwendige geschieht in jeder Existenz als Tragik, Schicksal. Im Gang des Menschenlebens zeigt es sich als Mord, Entführung, Schwur und Wohltat, also in allen Taten – (Du mein großer, entrückter Kapellmeister!) – deren es kein Sich-Erwehren gibt. Einzig dem schöpferischen Menschen ist das Bewußtsein des Notwendigen gegeben, denn sein Leben allein spielt sich nicht als äußeres Schicksal ab. Die Katastrophen und Erschütterungen, durch die im normalen Menschen der göttliche, unfaßbare Willen handelt und die diesem gar nicht zum Bewußtsein kommen, im Dichter bestehn sie rund, für sich, als kontrollierbare Wahnsinne, als jenes entformteste und daher wahrhaftigste Außersichsein, um dessentwillen der gnadenlose Philosoph die Dichter aus dem Reiche vertreibt.

Der Dichter weiß, daß er in seinen uferlosen Erhebungen dem Leben am nächsten ist, er hat kein Mißtrauen gegen sie, er weiß mehr, als der Systematiker von der Eitelkeit allen Erkennens, und erreicht bald die verzückteste Weisheit, daß » nichts verstehn« reif sein heißt. Er müßte sich selbst leugnen, wenn er nicht etwa dem alltäglichen Herrn mißtraute, den er im Leben bedeutet, sondern dem Engel seiner gnadenreichen Stunden. Er weiß aber sehr gut, daß die Brandung dieser Stunden allein das Notwendige seines Lebens an den Strand wirft, das, wenn es auch erst in alle Bäder der Eitelkeit und Gemeinheit getaucht wird, um Gedicht zu werden, dennoch gottgewollt ist.

Auch bedrückt die Frage sehr: Kann ein Werk zu Ende sein? Die Vollkommenheit ist natürlich das, was aller Form und allem sich verändernden Leben widerspricht.

Maß einer Menschlichkeit und Kunst ist gewiß der Jammer und die Unzufriedenheit, mit der der Schaffende dem Urbild nahezukommen strebt. Aber dieses liegt im Unendlichen, und so sind auch Faust und die Brüder Karamassow nicht fertig.

Die Vollendung einer Arbeit ist immer Lüge, Erlahmen der Ehrlichkeit, Selbstbetrug und Einschlummern.

Wer ist aber nicht jung und tut das eine vom Herzen, um das andere zu nennen, in der angstvollen Lebenszeit. –

Eins wäre noch zu sagen: Trotzdem diese Gedichte noch tief dort unten stehn, wo die Wahrheit eben erst zu atmen beginnt, scheinen sie mir für die Menschen dennoch wichtig zu sein, weil sie Sendung haben.

Sie reden in mancherlei Gestalten nur von einem. Von dem permanenten Existenzbewußtsein, das ist Frömmigkeit.

Wir, die wir in den Wirrwarr dieser Erdengrenzen, in den Betrieb, und die mindere, durchsichtige Folgerichtigkeit gestoßen sind, vergessen nur allzurasch das unausdenkliche, ungeheure Wort: Wir sind. Ich glaube, daß alles menschlich Hohe, die Güte, die Freude, der Jubel, der Schmerz, die Einsamkeit, das Ideal, bloß aus diesem ewigen undurchdringlichen gewaltigen Existenzbewußtsein sich erheben können.

Der Mensch, der noch niemals vor den Firmamenten zusammenbrach, ist auch noch niemals gut gewesen.

Wenn nur ein von dem fürchterlichsten Fluch Erdenarbeit zerriebenes Herz durch diese Gedichte hindurch sich der Welt näherte, bin ich glücklich.

Leipzig, im Frühjahr 1913.

Der Verfasser


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