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Wie wir einst in grenzenlosem Lieben ...

Vater und Sohn

Wie wir einst in grenzenlosem Lieben
Späße der Unendlichkeit getrieben
Zu der Seligen Lust –
Uranos erschloß des Busens Bläue,
Und vereint in lustiger Kindertreue
Schaukelten wir da durch seine Brust.

Aber weh! Der Äther ging verloren,
Welt erbraust und Körper ward geboren,
Nun sind wir entzweit.
Düster von erbosten Mittagsmählern
Treffen sich die Blicke stählern,
Feindlich und bereit.

Und in seinem schwarzen Mantelschwunge
Trägt der Alte wie der Junge
Eisen hassenswert.
Die sie reden, Worte, sind von kalter
Feindschaft der geschiedenen Lebensalter,
Fahl und aufgezehrt.

Und der Sohn harrt, daß der Alte sterbe,
Und der Greis verhöhnt mich jauchzend: Erbe!
Daß der Orkus widerhallt.
Und schon klirrt in unsern wilden Händen
Jener Waffen – kaum noch abzuwenden –
Höllische Gewalt.

Doch auch uns sind Abende beschieden
An des Tisches hauserhabenem Frieden,
Wo das Wirre schweigt,
Wo wir's nicht verwehren trauten Mutes,
Daß, gedrängt von Wallung gleichen Blutes,
Träne auf- und niedersteigt.

Wie wir einst in grenzenlosem Lieben
Späße der Unendlichkeit getrieben,
Ahnen wir im Traum.
Und die leichte Hand zuckt nach der greisen,
Und in einer wunderbaren, leisen
Rührung stürzt der Raum.

 

Die Witwe am Bette ihres Sohnes

Mit meinem verflackernden Lichte
Besuche ich, Kind, deinen Traum.
Im Schlaf erstaunt dein Gesichte,
Doch faltet dein Atem sich kaum.

Daß du mich gestern verstießest,
Hat nimmer dich bitter gemacht,
Daß du mich alleine ließest
Die ängstliche Mitternacht.

Und doch! Ich will dich bewegen
Zu Leben und nächtlichem Mut,
Dein mächtiges Treiben und Regen
Durchläuft meinen Schatten mit Blut.

O Sohn! Dein Zechen und Speisen
Nährt deine Mutter, ich weiß.
Dein Lärmen und Becherkreisen
Bewegt meinen Lebenskreis.

Und wenn ich sitze und sticke,
Dies Leben ist in dich entrückt,
Aus meinem vergehenden Blicke
In deine Augen gezückt.

Wie ich dich bebend getragen
Im heilig erkannten Schoß,
Du wuchsest an bildenden Tagen
Und schmerztest und wurdest groß,

Und wie du aus mir gemündet,
In Himmel und Welt und Haus,
Und wie du in mir dich entzündet,
So lösche ich in dir aus.

Mein Leben ist ein Sichergießen
In dein gerundetes Licht,
Im leidenden Überfließen
Erfüll ich die weltliche Pflicht.

Bald bin ich nichts als dein Lachen,
Nichts als deines Mundes Gebot.
Laß mich deinen Schlaf bewachen,
Mein Kind, mein Dasein, mein Tod!

 

Der Entschwindende

1

Zu der Tafel gastlichen Geschenken
Weiß er unsere Zagheit hinzulenken.
Sanft gebeugt zu Erdensinn und Taten,
Lobt er dieses Bier und lobt den Braten.

Hält sein Wort auch Irdisches umschlungen,
Schon ist's Rückkehr zu Erinnerungen,
Klar und nah und dennoch aufgebunden,
Daß wir staunen, wie es hergefunden.

 

2

Und die Stunde schwellt das Herz in Güte,
Heiter schmerzlich wölbt sich das Gemüte.
Wie wir hier in Gartenstühlen lehnen,
Füllt sich Aug' um Aug' mit Daseinstränen.

Aber seins, vom kleinen Blick verlassen,
Scheint schon allen Raum in sich zu fassen,
Ätherblindheit, dumpfe Sternenweiten
Und ein Wiesenlicht zu grünen Zeiten.

 

3

Nun wir schaun um seines Schädels Felsen
Maßvoll wogend goldenen Tanz von Gelsen,
Faßt uns rasend übermächtig Sehnen,
Uns auf Grünem maßlos auszudehnen!

Auf des Waldrands laubbestürzter Schwelle,
Anbequemt erwachter Sternenwelle,
Uns aus Alm und nachtzersunkenen Hütten
Atmend ins Unendliche zu schütten!

 

Greis mit Kaiserbart
auf einer Terrasse vorübergehend

Alter Mann mit weißem Kaiserbart,
Sprich, aus welchem Treppengrund
Stiegst du auf zu mir mit deinem Hund?

      Mir ist jetzt so zart.

Eingesunkene Verlegenheit,
Angst und Atem steht vor deinem Mund.
Und auch ich bin deines Leids bereit.

      An der Leine zerrt der Hund.

Wie ein später Schwimmer drehst du dich
Nochmals her, und sprichst mir nicht das Wort.
Und auch ich verschweige mich.

      Sterbend grüßt du – und bist fort.

Und in einem Hofe, oder gar im Wald
Schlägt dein Leben mir entfernt und kalt.
Wenn die Kerze deinen Husten schaut,
Bin ich unter den Klavieren laut.

Tausend Himmel fliegen und die Uhr
Über unsrer Stunde Bruderspur.

 

Ballade vom Tode der Kinderfrau

War dem Wein und dem Gelächter,
War dem bunten Haus entflohn.
Straßen abwärts hört er seine Schritte kommen.
In dem Raum der Nacht, in dem öden Raum ein wilder Ton.
Und er ist beklommen.
An der Ecke keine Droschke, auf dem Platz kein Wanderer und Wächter.

Schon steht er vor seinem Tore,
Bis der Schlüssel innen spricht.
Stufen steigt er, wohlbekannte Stufen ...
Überhell brennt das Minutenlicht
Und erlischt. – In seinem Korridore
Tastet er sich vorwärts – und er möchte rufen –

Rufen einen Namen leise,
Ach, er fühlt sich wie ein Kind ...
Bis ein altes Pepičku vom weiten
Ihm erwidernd, aus dem Schlaf erwidernd ihm beginnt,
So wie immer in den alten Zeiten.
Und schon ruft er ängstlich nach gewohnter Weise.

Ängstlich ruft er viele Male,
Bis er in der Küche steht.
In der Küche, wie in eines Hofes Mitten,
Ohne Fenster und Gerät ...
Nur vom Uhrenwächtergang beschritten.
Ruft er ängstlich, dann erregt, (wie ahnte er), und sucht nach einem Feuerstrahle.

Mit der Kerze in das kleine
Zimmer tritt er zitternd ein.
Jene Alte sieht er schlafen, schlafen in dem Bergland ihrer Kissen.
Und er kann nicht schrein,
Glaubt zu träumen, stampft und will nichts wissen.
Aber alles ruht und nur ein Schatten tanzt im Kerzenscheine:

(Tote haben allerorten
– Kleine Kinder, alte Fraun –
Weit sich über uns erhoben, ja erhoben, liegen sie dahingestreckt.
Niemand wagt es, hinzuschaun.
Und vor Toten hast du mehr Respekt,
Als einst vor dem dunkeln Lehrer mit den bösen Worten.)

Und er wurde so verlegen,
Und er war so ungeschickt.
Sollte er ihr Herz behorchen, Leute wecken?
Doch er hat nicht hingeblickt,
Schamvoll wollt er fliehn und sich verstecken,
Denn er dachte: War ich krank, wie wußte sie zu pflegen!

Seine Augen hat er zugemacht,
Und die Hand lag auf dem Wasserkrug.
Erster Traum, Dominospiel und kleine Eisenbahn wuchs nun ins Grauen.
Die ihn einst zu Bett gebracht,
Die seinen jungen Schlafgeruch noch an sich trug,
Hart und weise lag sie da und kaum mehr anzuschauen.

Manches konnte sie bereiten,
Ging die schöne Mutter abends aus.
Sommerfrische und Spaziergang, alle Dinge, die vergangen, ja vergangen, sind mit ihr nun weitentrückt,
Wandelnd im durchsichtig und entlegenen Haus,
Und so leis an sie gedrückt,
Wie an einem blauen Tage Kinder ihre Mutter wohl begleiten.

Doch der Jüngling weinte nimmer.
Der begrabenen Gefühle voll
Machte er sich auf, die Nachbarn, die verschlafenen Nachbarn herzuholen.
Aber ehe jener Lärm erscholl,
Hängte um den Spiegel er ein Tuch verstohlen,
Und verließ fast immer noch im Traum das Sterbezimmer.

 

An eine alte Frau, die beim Diner servierte

1

Wie feindlich sind die Gerichte,
Der Duft, der den Weinen entweht!
Hat nicht in jedem Gesichte
Sich Stolz und Verachtung gebläht?

Die Fraun in leichten Roben,
Die zeigen Bein' und Füße.
Doch tückisch ist die Süße.
Sie sind so hoch erhoben.
Wer brächte ihnen Grüße,
Wer wagte sie zu loben?
Sie stürzen mich in altes Leid,
In meine weite Einsamkeit.

Die Herren in den Fräcken,
Gewillt mich hinzustrecken,
Sind höflich und geschliffen,
Zerreißen mich mit Kniffen.

Die Diener, die da lauern,
Sie bringen mich zum Trauern.
In Blicken, die mich trafen,
Heißt's: Hund, wir möchten schlafen!

 

2

Da tratst du ein, Alte, lächelnd, mit der Schüssel!
Neigtest dich traut auch zu mir, Beseligende.
Warst um mich, Erscheinung,
Und ich fühlte viel in Tränen,
Was da war, als du weiltest.
Der Wind vor herbstlichem Haus in Stoppeln,
Wenn du die Buben schiltst.
Das Öl,
Womit du die Brust des Kranken einreibst.
Dein Wachen an kleinen Betten
Und die verbrannten Hände.
Dein Schlafengehn,
Wenn das Küchengas stirbt.
Dein Baldaufstehn,
Wenn durch die störrische Frühe
Die Laternen und Glocken der frischen Milchwagen schaukeln.

Dein Sonntagnachmittag,
Wenn draußen die tausend traurigen Schritte
Sind, und niederfallen die braunen
Blätter des Himmels,
Und du die Lampe rüstest.

 

Eine alte Frau geht

Eine alte Frau geht wie ein runder Turm
Durch die alte Hauptallee im Blättersturm,
Schwindet schon, indem sie keucht,
Wo um Ecken schwarze Nebel wehen.
Wird nun bald in einem Torgang stehen,
Laute Stufen langsam aufwärts gehen,
Die vom trägen Treppenlichte feucht.

Niemand hilft, wie sie ins Zimmer tritt,
Ihr beim Ausziehn ihrer Jacke mit.
Ach, sie zittert bald an Händ' und Bein'.
Schickt sich an mit schwerem Flügelschlagen,
Aufgehobene Kost von alten Tagen
Auf des Kochherds armes Rot zu tragen.
Bleibt mit ihrem Leib und sich allein.

Und sie weiß nicht, wie sie schluckt und kaut,
Daß in ihr sich Söhne aufgebaut.
(Nun, sie freut sich ihrer Abendschuh'.)
Was aus ihr kam steht in andern Toren,
Sie vergaß den Schrei, wenn sie geboren,
Manchmal nur im Straßendrang verloren,
Nickt ein Mann ihr freundlich »Mutter« zu.

Aber, Mensch, gedenke du in ihr,
Ungeheuer auf der Welt sind wir,
Da wir brachen in die Zeiten ein!
Wie wir in dem Unbekannten hängen,
Wallen Schatten mit gewaltigen Fängen,
Die ins letzte uns zusammendrängen.
Diese Welt ist nicht die Welt allein.

Wenn die Greisin durch die Stube schleift,
Ach, vielleicht geschieht's, daß sie begreift.
Es vergeht ihr brüchiges Gesicht.
Ja, sie fühlt sich wachsender in allem,
Und beginnt auf ihre Knie zu fallen,
Wenn aus einem kleinen Lampenwallen,
Ungeheuer Gottes Antlitz bricht.

 

Eine alte Vorstadtdirne

Wo des letzten Bahnhofs Schienen schwellend in das Fahle führten,
Und der Frost von eisernen Gerüsten klang,
Wo in den geahnten Wassern unter Brücken sich die Lichter rührten
Und der Menschenschatten Überschwang,
Kamst du mir mit schlechtem Wink entgegen
Und ich folgte dir den hohlen Kai entlang.

Jene Kammer und die Wärme, die uns scheußlich faßte,
War erfüllt von widrigem Geröll und Polsterfall.
Nur ein Kinderbildchen, das an einem Spiegel blaßte,
War wie Seele zart und überall.
Und du lachtest, und mein Lachen
Klang wie ausgewitzter Widerhall.

Was du sprachst? – Nichts, als die so gewöhnlichen Geschicke,
Daß du Kinder hast und einmal sitzen bliebst.
Sprachst vom Kaiserschnitt – und auch von jenem Augenblicke,
Als das erstemal du dich durch Straßen triebst.
Daß du fünfundzwanzig, und ein Jahr erst beim Geschäft bist,
Und noch immer jenen Schurken liebst.

Und wie ich erschrak, als du die Brüste zeigtest,
Batest um Verzeihung du mich gar.
Und der eingestürzte Körper, den du neigtest,
War von Demut aufgeglänzt und klar.
Welt fühlt' ich in dieser Stunde,
Doch du weintest, als ich höflich war.

Jener dacht' ich, ach, in dieser Stunde,
Die sich leicht wie Regenfall durch Zimmer weht,
Mütterlichen Lachens, ach, gedacht' ich aus entrücktem Munde,
Und des Kleids vom Sturm der leisen Brust gebläht,
Jene Dame sah ich da und dieses Leibs Verquollenheit,
Und ich taumelte vor Gottes Einheit spät.

Eine unbekannte Kälte (neu belobte)
Wuchs mir groß, als ich wegging von hier.
Wie mein Schritt auf dumpfer Treppe tobte,
War ich Mitmensch, – Mensch, von dir und dir.
Und ich fühlte uferlose Weltlichkeit
Und die Sterne über mir.


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