Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Geschwisterliebe war einst

Das erkaltende Herz

Geschwisterliebe war einst.
Ich lief mit dem Mädi über die Wege,
Und die Himmel, die vielen, waren rege,
Die unergründlichen Berge standen weit –
Und im Zimmer die stündliche Zeit.

     Die Wagen und Reisen,
     Vergangene Speisen,
     Die Schmerzen und Strafen,
     Am Abend das Licht,
     Und unser Gesicht
     War ganz von Seele verschlafen.

Und tiefe Furcht war da, daß man einander stürbe,
Und manchmal weinte man wild in die Finsternis,
Bis treu der andre Atem kam.
Da war man so gewiß,
Daß Gott sei und man niemals lahm,
Und niemals anders würde.

Das waren Tränen und Brisen der Treue ...
Geschwisterliebe war einst.

Jetzt lieg ich oft auf meinem Kanapee.
Am Abend werden die Fenster groß,
Da läßt mich mein Atem los,
Und der Tod ist ganz in der Näh'.

Und muß ich vor meinem Spiegel stehn,
Da hat sich etwas gerächt.
Ich weiß, wie mir die Haare ausgehn –
Und die Zähne sind worden schlecht.

Und der Mund, der nichts ließ,
Jetzt kann er euch alle lassen,
Und das Herz kann nicht fassen,
Wie es einst hieß!

Und wo hängen in den erstarrten Zimmern,
Hinter welkendem Glas,
Die ewigen Photographien?

 

Als es fünf geschlagen

Als es fünf geschlagen,
Wußt' ich nichts von dieser trüben Zeit.
Meine Augen lagen
Noch im Dunkel geist- und traumbereit.

Ach, nach kurzer Weile
Weckt mich flüsternd ja die Stimme alt.
Aufzustehn in Eile,
Mahnt die treu sich nähernde Gestalt.

Feuer unterdessen
Schlüpft im Ofen schattenhaft entfacht.
Flammenschein gemessen
Hat sich's überall bequem gemacht.

Und im Schattenzimmer,
Weiß ich, steht das Frühstück unberührt.
Guter Lampenschimmer
Kniet auf Büchern, kindlich zugeschnürt.

Als es fünf geschlagen
Wuchs im Traum die alte Wohnung auf,
Und vorbei wie Wagen
Zogen Möbel im gedämpften Lauf.

Und es währt nicht lange,
Als ein helles Kind ans Lager schlich,
Und zu Mund und Wange
Feucht sich neigte, lachte und entwich.

Wie von Furcht getrieben
Und voll Zärtlichkeit erhob ich mich.
Atmen meine Lieben
In den Zimmern hören wollte ich.

Doch hervorgetreten
Stand ein Fenster auf, noch nie erschaut.
Turm und Wipfel drehten
Sich im Finstern, feindlich angestaut.

Sah, wie mit Entsetzen
Sturm die Nacht zerriß in schwerem Flug,
Und zerfranste Fetzen
Um dies Haus, ein fernes fremdes, schlug.

 

Das interurbane Gespräch

Alles kam. Die Wohnung dehnte sich aus den Fugen,
Vergangene Worte sprangen auf, erloschne Gelächter schlugen:
Versunkene Stimmen von Dienstmädchen und Kohlenmännern kamen,
Und ganz verwehte Violinstunden nannten mich schüchtern beim Namen.
Die oftbetretene Treppe tappte treuherzig heran,
Und alle Türen ächzten im Zauberbann.
Auch die Reden der Mutter, der Schwestern waren nicht weit,
Und wandelten doch in der lange verlorenen Zeit.
Wie Mägde, eh' sie ins Zimmer treten, die Hand in die Schürze wischen,
Verbeugten sich alte Gerüche in allen Ecken und Nischen.
Geruch verrauschter Gastmähler und die Gerüche
Der Schulfrühstücke entliefen der lieben Küche.
Auch ein vergessenes Regenwetter stand am Apparat,
Das den verlorenen Sohn um Erinnerung bat. –
Die Zeiten und Weiten brachen aus Uhr und Stein.
Und wie schon jauchzend alles zusammenschäumte,
Riß der Gott der Ferne, der wild sich bäumte,
Uns auseinander und ließ mein Weinen allein.

 

Der göttliche Portier

Da ich an dir vorüberlief als Knabe,
Wuchst du ins Tor unendlich aufgehoben.
Dein Dreispitz rührte Wappensterne oben.
Allmächtig sank dein Bart, Mann mit dem Stabe!

Wie ich mich kindlich auch vergangen habe,
Gestickter Greis, du tratst herein zu loben,
Warst sänftlich grausem Kindertraum verwoben,
Wo ich mich gelb einstürzen sah im Grabe.

Nun wieder, Bibelgott, erscheint dein Bild!
Aus Kindernächten wallt dein breitgelockter
Erzväterbart, der goldne Brust umquillt.

Die winterlichen Tressen klingeln mild,
Und tief beruhigt mich dein weißbeflockter
Allgütiger Pelz, der durch die Sphäre schwillt.

 

Ein Gesang von Einschlafenden

Der Mörder

Vorüber ist die Wut!
Du liegst in deinem Blut.
Und die dich überwand,
Erloschen ist meine Hand.
Warum denk' ich daran,
Was deine Mutter Lieb's an dir getan?!

Sie zog dir Schuh und Strümpfe ab
Und legte dich in dein weißes Grab.

Einschlafen will auch ich
Und leg mich neben dich.

Wer tut die beiden Lichter aus?
Überm Hof das eine und im Haus.

Dachboden ist so kalt,
Viel kommt hereingewallt.

Fürcht ich mich?
Schlaf macht uns brüderlich,
Schließt uns gut zu.

Liebling, du atmest nicht,
Doch dräng' ich mich an dein Gesicht,
Halt dein' Bruderhand gern ...

Morgen kommen die Eisenherrn,
Brechen in meine Ruh – – –

Morgen ist ein andrer Stern.

 

Der Bankier

Rimesse und Akzept,
Ihr habt mich fortgeschleppt!
Doch jetzt im Badezimmer hier
Kommt alt verflattert Ewiges nahe mir.

Geruch des Seifenschaums,
Hitze des kleinen Raums,
Wie sie dich aus dem Wasser nahm,
Weißt du es noch, die Frau, und dich frottierte ohne Scham?

Was listig auch geschieht,
Es ist ein böses Lied.
Doch ewig, ewig ist uns Bett und Licht,
Und jene hohe Treue, die aus unserm Abendherzen bricht.

 

Das Wunderkind

Noch einmal hinaus
In den Applaus
Und dann nach Haus ins Hotel!
Man packt mir die Geige ein.
Und dann sitz' ich beim Essen allein
Mit dem Alten und er sagt! Well.

Man sorgt für mich, doch das ist Verrat,
Denn jeder hat was im Auge parat,
Das macht mich schwer.
Ich will auch heute nicht essen mehr,
Daß er Angst hat, der Alte! Grad!

Was ist denn morgen? Sag!
Der Fingerübungen langer Tag.
Doch die gute Nacht ist ein großes Meer.
Da denke ich lang
Die Frau mir her,
Die gestern die Gräfin im Figaro sang.

Die Dichterin

Du warst der Gott,
Den sein Mantel trug,
Wenn du durch die Wolken fuhrst.

Du warst der glücklich verweinte Himmel,
Das Schweben überm Gras,
Des Schnees langsame Unendlichkeit.

Von den Bergen kam ich
Und trat in dein Wandern,
In einem goldenen Donner will ich schlafen gehn.

Unser aller Kinderfrau

Ist es noch Zeit?
Oder hört man Milchwagen schon schellen?
Uhren weit und breit,
Die sich ins Dunkel stellen.

Alle schlafen.
Wohin wachen die Kinder auf?
Wind im Lauf
Rafft Laub auf im Garten.

Ich will sitzen beim Licht
In meiner Küchen.
Wer soll denn das Süppchen kochen,
Wenn der kalte Morgenstern kommt?


 << zurück weiter >>