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Redwoods zwei Tage

I

Sowie Caterham wußte, der Moment zum Packen der Nesseln sei gekommen, nahm er das Gesetz in die eigene Hand und schickte aus, um Cossar und Redwood zu verhaften.

Redwood brauchte nur genommen zu werden. Er hatte eine Operation in der Seite durchgemacht, und die Ärzte hatten ihm alles Störende ferngehalten, bis seine Genesung gesichert war. Jetzt hatten sie ihn freigelassen. Er war gerade aus dem Bett und saß in seinem geheizten Zimmer, einen Haufen Zeitungen um sich, und las zum erstenmal von der Aufregung, die das Land in Caterhams Hände gewirbelt hatte, und von dem Ungewitter, das sich über der Prinzessin und seinem Sohn zusammenzog. Es war am Morgen des Tages, an dem der junge Caddles starb, und an dem der Polizist den jungen Redwood auf seinem Wege zur Prinzessin aufzuhalten versuchte. Die letzten Zeitungen, die Redwood hatte, sahen diese drohenden Dinge nur unbestimmt voraus. Er las jene ersten Andeutungen des Unheils mit sinkendem Herzen, las den Schatten des Todes immer merklicher hinein, las, um seinen Geist zu beschäftigen, bis weitere Nachrichten kämen. Als die Beamten hinter dem Dienstboten ins Zimmer traten, blickte er begierig auf.

»Ich dachte, es wäre eine frühe Abendzeitung,« sagte er.

Dann stand er auf, und mit schnellem Wechsel des Wesens: »Was ist dies? ...«

Darauf bekam Redwood zwei Tage lang keinerlei Nachricht.

Sie waren mit einem Wagen gekommen, um ihn fortzuholen, aber als bekannt wurde, daß er krank war, wurde beschlossen, ihn noch einen Tag oder so dazulassen, bis er ohne Gefahr überführt werden konnte, und sein Haus wurde von der Polizei übernommen und in ein zeitweiliges Gefängnis verwandelt. Es war noch dasselbe Haus, in dem Riese Redwood geboren war, und in dem zum erstenmal einem menschlichen Wesen Herakleophorbia gegeben wurde, und Redwood war jetzt seit acht Jahren Witwer und lebte allein darin.

Er war ein eisgrauer Mann geworden, mit einem kleinen, spitzen, grauen Bart und noch lebendigen, braunen Augen. Er war schlank und von sanfter Stimme, wie er stets gewesen war, aber seine Züge zeigten jetzt jenen undefinierbaren Ausdruck, der vom Brüten über gewaltige Dinge kommt. Für den ihn verhaftenden Beamten stand seine Erscheinung im eindrucksvollen Kontrast zu der Ungeheuerlichkeit seiner Vergehungen. »Dieser Kerl da,« sagte der kommandierende Offizier zu seinem nächsten Untergebenen, »hat sein möglichstes getan, um einfach alles in die Luft zu sprengen, und er hat'n Gesicht wie'n ruhiger Landedelmann; und Richter Hangbrow, der alles für alle hübsch und in Ordnung hält, hat'n Gesicht wie'n Schwein. Und ihre Manieren! Der eine ganz Rücksicht, und der andere Knurren und Brummen. Und das zeigt mal wieder, was? daß man nicht nach'm Schein gehen kann, was man sonst auch tut.«

Aber sein Lob über Redwoods Liebenswürdigkeit wurde bald gedämpft. Die Beamten fanden ihn erst lästig, bis sie ihm klar gemacht hatten, daß es ihm nichts nütze, wenn er Fragen stellte oder um Zeitungen bat. Sie nahmen in seinem Studierzimmer sogar eine Art Inspektion vor und beseitigten selbst die Blätter, die er noch hatte. Redwoods Stimme war laut und protestierte. »Aber sehen Sie denn nicht,« sagte er immer und immer wieder, »es ist mein Sohn, mein einziger Sohn, der in dieser Not steckt. Mir liegt nichts an dem Nährstoff, sondern an meinem Sohn.«

»Ich wollte wirklich, ich könnte Ihnen etwas sagen, Herr,« sagte der Beamte. »Aber unsere Befehle sind streng.«

»Wer hat die Befehle gegeben?« rief Redwood.

»Ah, das, Herr – –« sagte der Beamte und ging zur Tür ...

»Er geht in'n Zimmer auf und ab,« sagte der zweite Offizier, als sein Vorgesetzter herunterkam. »Das is' gut. Ich hoff', er wird sich's 'n bißchen ablaufen.«

»Ich hoffe es,« sagte der erste Offizier. »Die Sache ist die, ich hab's bisher noch nicht in dem Licht gesehen, aber der Riese da, der mit der Prinzessin im Gange ist, wissen Sie, ist sein Sohn.« Die beiden sahen sich und den dritten Polizisten eine Zeitlang an.

»Dann is' es 'n bißchen hart gegen ihn«, sagte der dritte Polizist.

Es war klar, Redwood hatte die Tatsache, daß sich zwischen ihn und die Außenwelt ein eiserner Vorhang gesenkt hatte, erst unvollkommen begriffen. Sie hörten, wie er an die Tür trat, den Griff versuchte und am Schloß rüttelte, und dann sagte ihm die Stimme des Beamten, der auf dem Flur Posten stand, das nütze ihm nichts. Später hörten sie ihn an den Fenstern und sahen die Leute draußen heraufblicken. »Das nützt auch nichts,« sagte der zweite Beamte. Dann begann Redwood mit der Schelle. Der rangälteste Offizier ging hinauf und setzte ihm sehr geduldig auseinander, es könne nichts nützen, so zu schellen, und wenn er jetzt unnötig schelle, so werde es später vielleicht nicht beachtet, wenn er etwas nötig habe. »Jede vernünftige Bedienung, Herr«, sagte der Offizier, »aber wenn Sie nur, um zu protestieren, schellen, Herr, sehen wir uns gezwungen, die Leitung zu unterbrechen.«

Das letzte Wort, das der Beamte hörte, war Redwoods Schrei: »Aber Sie können mir wenigstens sagen, ob mein Sohn – –«

II

Von da an verbrachte Redwood den größten Teil seiner Zeit an den Fenstern.

Aber die Fenster boten ihm wenig vom Gang der Ereignisse draußen. Es war stets eine ruhige Straße, und an diesem Tag war sie ungewöhnlich ruhig: kaum eine Droschke, kaum ein Geschäftswagen fuhr am ganzen Morgen vorüber. Hin und wieder gingen Leute vorbei – ohne irgendwelchen für die Ereignisse charakteristischen Ausdruck – hin und wieder eine kleine Gruppe von Kindern, ein Kindermädchen und eine Frau, die Einkäufe machen wollte, und so weiter. Sie kamen von rechts oder von links, gingen die Straße hinauf oder hinab, und zwar mit einer Miene voll erbitternder Gleichgültigkeit gegen alle weitergreifenden Interessen; sie erblickten das Haus mit der Polizeiwache voll Staunen und traten in der entgegengesetzten Richtung ab, dahin wo die großen Dolden von Riesenhortensien über den Fußsteig hingen, und sie starrten zurück oder zeigten mit dem Finger. Hin und wieder kam einer heran und stellte einem der Polizisten eine Frage und erhielt eine kurze Antwort ...

Gegenüber waren die Häuser wie tot. Einmal erschien ein Zimmermädchen an einem Schlafzimmerfenster, und Redwood kam der Gedanke, ihr Zeichen zu machen. Eine Zeitlang beobachtete sie seine Gesten wie mit Interesse und gab eine unbestimmte Antwort darauf, dann blickte sie plötzlich über ihre Schulter zurück, machte kehrt und ging weg. Aus Nummer 37 kam ein alter Mann herausgehinkt, stieg die Stufen herab und ging nach rechts ab, ohne auch nur einmal aufzublicken. Zehn Minuten lang war nur eine Katze auf der Straße ...

In solchen Ereignissen zog sich jener endlose, bedeutungsvolle Morgen hin.

Gegen zwölf drang aus der Nachbarstraße das Geschrei von Zeitungsverkäufern herauf; aber es ging vorüber. Entgegen ihrer Gewohnheit ließen sie Redwoods Straße liegen, und ihm dämmerte ein Argwohn auf, daß die Polizei das Ende der Straße besetzt hielt. Er versuchte das Fenster zu öffnen, aber das brachte alsbald einen Polizisten ins Zimmer ...

Die Uhr der Gemeindekirche schlug zwölf, und nach einem Abgrund an Zeit – eins.

Man verhöhnte ihn mit einem Lunch.

Er nahm einen Mund voll und warf das Essen ein wenig durcheinander, damit man es fortnähme; er trank reichlich Whisky, nahm dann einen Stuhl und ging zum Fenster zurück. Die Minuten dehnten sich zu grauen Unermeßlichkeiten, und eine Weile schlief er vielleicht ...

Er erwachte mit dem unbestimmten Eindruck ferner Erschütterungen. Er bemerkte ein Klirren der Fenster, gleich dem Klirren von einem Erdbeben; es dauerte etwa eine Minute und erstarb dann. Dann kam es nach einer Stille wieder ... Dann erstarb es von neuem. Er dachte sich, es sei vielleicht nur das Vorüberfahren eines schweren Wagens auf der Hauptstraße. Was konnte es sonst sein? ...

Nach einiger Zeit wurde es ihm zweifelhaft, ob er dieses Geräusch gehört hatte.

Er begann unaufhörlich mit sich selbst zu reden. Warum war er eigentlich verhaftet? Caterham war seit zwei Tagen im Amt – gerade lange genug – um seine Nessel zu packen! Seine Nessel zu packen! Seine Riesennessel zu packen! Als der Refrain einmal begonnen hatte, sang er ihm durch den Geist und wollte sich nicht bannen lassen.

Was konnte denn Caterham schließlich tun? Er war ein religiöser Mann. Dadurch war er gewissermaßen gebunden, ohne Ursache keine Gewalttat zu begehen.

Seine Nessel packen! Vielleicht sollte zum Beispiel die Prinzessin verhaftet und ins Ausland geschickt werden. Es mochte Unruhe mit seinem Sohn geben. In dem Fall – –! Aber warum war er arretiert? Warum war es nötig, ihn über so etwas in Unwissenheit halten? Das deutete auf – etwas Ausgedehnteres.

Vielleicht – zum Beispiel – gedachten sie alle Riesen einzustecken! Sie sollten alle zusammen arretiert werden. Darauf war in den Wahlreden angespielt. Und dann?

Ohne Zweifel hatten sie Cossar auch?

Caterham war ein religiöser Mann. Daran klammerte Redwood sich. Der Hintergrund seines Geistes war ein schwarzer Vorhang, und auf diesem Vorhang kam und ging ein Wort – das Wort in Feuerleitern. Er rang beständig gegen dies Wort. Es war immer, als fange es an, in Schrift auf dem Vorhang zu erscheinen, und als werde es nie ausgeschrieben.

Schließlich sah er ihm ins Angesicht. »Blutbad!« Da stand das Wort in seiner ganzen Brutalität.

Nein! Nein! Nein! Es war unmöglich! Caterham war ein religiöser Mann, ein zivilisierter Mann. Und dann nach all den Jahren, nach all den Hoffnungen!

Redwood sprang auf; er ging im Zimmer umher. Er sprach mit sich selber; er schrie.

»Nein!«

Die Menschen konnten nicht so wahnsinnig sein – konnten nicht! Es war unmöglich, es war unglaublich, es konnte nicht sein. Was sollte es nützen, den Riesenmenschen zu töten, wenn jetzt in allen niedrigeren Dingen das Riesenhafte unvermeidlich gekommen war? Sie konnten nicht so wahnsinnig sein!

»Solche Gedanken muß ich fallen lassen,« sagte er laut; »solche Gedanken fallen lassen! Absolut!«

Er blieb stehen. Was war das?

Gewiß, die Fenster hatten geklirrt. Er ging hin, um auf die Straße hinauszublicken. Gegenüber sah er die sofortige Bestätigung seiner Ohren. In einem Schlafzimmer in Nummer 35 stand eine Frau, das Handtuch in der Hand, und am Fenster des Eßzimmers von Nummer 37 war hinter einer großen Vase hypertrophierten Venushaarfarns ein Mann zu sehen, und beide starrten heraus und hinauf, beide beunruhigt und neugierig. Jetzt konnte er auch ganz deutlich sehen, daß auch der Polizist auf dem Fußsteig es gehört hatte. Es war nicht seine Einbildung.

Er wandte sich ins dunkle Zimmer.

»Kanonen,« sagte er.

Er brütete.

»Kanonen?«

Man brachte ihm starken Tee, wie er ihn gewohnt war. Es war klar, daß man seine Haushälterin zu Rate gezogen hatte. Als er getrunken hatte, war er zu rastlos, um noch länger am Fenster sitzen zu bleiben, und er ging im Zimmer auf und ab. Sein Geist wurde zusammenhängenden Denkens fähiger.

Das Zimmer war seit vierundzwanzig Jahren sein Arbeitszimmer gewesen. Es war bei seiner Heirat eingerichtet worden, und die ganze Ausrüstung stammte im wesentlichen von damals: das große, komplizierte Schreibpult, der Drehsessel, der Lehnstuhl am Kamin, der rotierende Bücherständer, die festen Bücherborte, die die weiteren Winkel füllten. Der lebhafte türkische Teppich, die spätviktorianischen Decken und Vorhänge waren jetzt zu reicher Würde des Ausdrucks gereift, und Kupfer und Messing leuchteten warm um das offene Feuer. Elektrisches Licht hatte die Lampen früherer Tage verdrängt; das war die Hauptänderung in der ursprünglichen Ausrüstung. Aber unter all diesen Dingen hatte die Verbindung, in der er mit dem Nährstoff stand, reichliche Spuren zurückgelassen. Die eine Wand entlang lief über dem Simsfries eine enge Reihe schwarzrahmiger Photographien und Photogravüren hin, die seinen Sohn und Cossars Söhne und andere von den Kindern des Nährstoffs zu verschiedenen Altern und unter mancherlei Umgebungen zeigten. Selbst des jungen Caddles ausdrucksloses Gesicht hatte in dieser Sammlung seinen Platz gefunden. In der Ecke stand eine Garbe der Büschel von Riesenweidegras aus Cheasing Eyebright, und auf dem Pult lagen drei leere Mohnköpfe von der Größe von Hüten. Die Portierenstangen waren Grashalme. Und der ungeheure Schädel des großen Schweins von Oakham hing – ein fabelhafter Elfenbeinwandschmuck – mit einer chinesischen Schale in jeder Augenhöhle, die Schnauze nach unten, über dem Kamin ...

Redwood trat zu den Photographien, und im Besonderen zu denen seines Sohnes.

Sie weckten ihm zahllose Erinnerungen an Dinge, die seinem Geist entfallen waren, an die ersten Tage des Nährstoffs, an Bensingtons furchtsame Persönlichkeit, an seine Cousine Jane, an Cossar und die nächtliche Arbeit auf der Experimentalfarm. Diese Dinge traten jetzt sehr klein und hell und deutlich vor ihn hin, wie Dinge, die man an einem sonnigen Tage durchs Teleskop sieht. Und dann sah er die Riesenkindheit, des jungen Riesen erste Versuche, zu reden, seine ersten deutlichen Zeichen der Liebe.

Kanonen?

Es drang auf ihn ein, unwiderstehlich, überwältigend, daß da draußen, außerhalb dieses verfluchten Schweigens und Geheimnisses, sein Sohn und Cossars Söhne und all diese glorreichen Erstlingsfrüchte einer größeren Zeit eben jetzt – im Kampf standen. Im Kampf ums Leben! Eben jetzt konnte sein Sohn in furchtbarer Bedrängnis sein, in die Ecke getrieben, verwundet, überwältigt ...

Er wandte sich von den Bildern fort und ging gestikulierend das Zimmer auf und ab. »Es kann nicht sein. Es kann nicht so enden.«

»Was war das?«

Er blieb starr stehen.

Das Zittern der Fenster hatte von neuem begonnen, und dann war ein Stoß gekommen – eine gewaltige Erschütterung, unter der das Haus erbebte. Die Erschütterung schien eine Ewigkeit zu dauern. Sie mußte sehr nah gewesen sein. Einen Moment war es, als habe über ihm etwas aufs Haus geschlagen – ein ungeheurer Anprall, der in ein Klirren fallenden Glases und dann in eine Stille zerbrach, die schließlich mit dem leise deutlichen Schall laufender Füße auf der Straße unten endete.

Diese Füße lösten ihn aus seiner Starre. Er wandte sich zum Fenster und sah, es war gesternt und zerbrochen.

Ihm pochte das Herz laut vor der Empfindung einer Krisis, eines entscheidenden Geschehens, der Befreiung. Und dann überfiel ihn wie ein Vorhang von neuem die Empfindung ohnmächtiger Gefangenschaft.

Draußen konnte er nichts sehen, als daß die kleine elektrische Laterne gegenüber nicht brannte; nach der ersten Andeutung einer umfassenden Angst konnte er nichts mehr hören. Er konnte nichts hinzufügen, um jenes Geheimnis zu deuten oder zu erweitern, außer, daß gleich darauf am Himmel nach Südosten hin eine rötlich schwankende Helle aufleuchtete.

Dieses Licht wuchs und schwand. Wenn es schwand, zweifelte er, ob es je gewachsen war. Es war sehr allmählich mit dem Dunkel auf ihn eingeschlichen. Es wurde für ihn in seiner langen Nacht der Ungewißheit die herrschende Tatsache. Bisweilen war ihm, als zeige es jenes Zittern, das man mit tanzenden Flammen in Verbindung bringt, zu anderen Malen meinte er, es sei nur der normale Reflex der Abendlichter. Es wuchs und schwand die langen Stunden hindurch, und es verschwand schließlich erst, als es völlig unter die steigende Flut der Dämmerung untertauchte. Bedeutete es –? Was konnte es bedeuten? Fast sicher war es irgendein nahes oder fernes Feuer, aber er konnte nicht einmal sagen, ob es Rauch oder Wolkengetriebe war, was über den Himmel strömte. Aber gegen ein Uhr begannen Scheinwerfer über den roten Tumult zu flackern – ein Flackern, das für den Rest der Nacht andauerte. Auch das konnte vielerlei bedeuten? Was bedeutete es? Er hatte nichts als diesen fleckigen, unruhvollen Himmel und die Andeutung einer riesigen Explosion, womit er seinen Geist beschäftigen konnte. Er hörte keine weiteren Töne, kein weiteres Laufen, nichts als ein Rufen, das auch das ferne Treiben Betrunkener hätte sein können ...

Er drehte sein Licht nicht auf; er stand an seinem zerbrochenen, zugigen Fenster, eine betrübliche, blasse, schwarze Silhouette für den Beamten, der ab und zu ins Zimmer blickte und ihn ermahnte, zu ruhen.

Die ganze Nacht blieb Redwood an seinem Fenster und spähte auf das zweifelhafte Getriebe des Himmels; und erst, als die Dämmerung kam, gehorchte er seiner Müdigkeit und legte sich auf das kleine Bett, das man ihm zwischen seinem Schreibpult und dem sinkenden Feuer im Kamin unter dem großen Schweineschädel bereitet hatte.

III

Sechsunddreißig lange Stunden blieb Redwood gefangen, eingeschlossen und abgesperrt von dem großen Drama der zwei Tage, während das kleine Volk im Sonnenaufgang der Größe gegen die Kinder des Nährstoffs kämpfte. Dann plötzlich hob sich der Eisenvorhang und er fand sich ganz nahe beim Zentrum des Kampfes wieder. Dieser Vorhang hob sich ebenso unerwartet, wie er gefallen war. Am späten Nachmittag wurde er vom Geräusch eines Autos ans Fenster gerufen, das draußen hielt. Ein junger Mann stieg aus und stand in der nächsten Minute in seinem Zimmer vor ihm, ein schlank gebauter junger Mann von vielleicht dreißig, glatt rasiert, gut angezogen, von guten Manieren.

»Mr. Redwood,« begann er, »wären Sie bereit, zu Mr. Caterham zu kommen? Er braucht Ihre Gegenwart sehr dringend.«

»Braucht meine Gegenwart? ...« In Redwoods Geist sprang eine Frage auf, die er einen Moment lang nicht stellen konnte. Er zögerte. Dann fragte er mit brechender Stimme: »Was hat er meinem Sohn getan?« und er wartete atemlos auf die Antwort.

»Ihrem Sohn, Herr? Ihrem Sohn geht es gut. So hören wir wenigstens.«

»Geht es gut?«

»Er wurde gestern verwundet. Haben Sie nicht davon gehört?«

Redwood stieß diese Ausflüchte beiseite. Seine Stimme war nicht mehr von Angst gefärbt, sondern von Wut. »Sie wissen, daß ich nichts davon gehört habe. Sie wissen, daß ich überhaupt nichts gehört habe.«

»Mr. Caterham fürchtete, Herr – – Es war eine Zeit des Aufstands. Jedermann – überrumpelt. Er verhaftete Sie, um Sie vor jedem Mißgeschick zu bewahren, Herr – –«

»Er verhaftete mich, um zu hindern, daß ich meinem Sohn Warnung oder Rat zukommen ließe. Fahren Sie fort. Sagen Sie mir, was geschehen ist. Haben Sie gesiegt? Haben Sie sie alle getötet?«

Der junge Mann tat einen Schritt oder so auf das Fenster zu und machte kehrt.

»Nein, Herr,« sagte er kurz.

»Was haben Sie mir zu erzählen?«

»Es ist unser Beweis, Herr, daß dieser Kampf nicht von uns geplant war. Sie fanden uns ... völlig unvorbereitet.«

»Sie meinen?«

»Ich meine, Herr, die Riesen haben sich – bis zu einem gewissen Grade – behauptet.«

Die Welt verwandelte sich für Redwood. Einen Moment faßte etwas wie Hysterie die Muskeln seines Gesichts und Halses. Dann machte er einem tiefen »Ah« Luft. Das Herz sprang ihm frohlockend. »Die Riesen haben sich behauptet!«

»Es hat einen furchtbaren Kampf gegeben – furchtbare Zerstörung. Das Ganze ist ein scheußliches Mißverständnis ... Im Norden und in den Midlands sind Riesen getötet ... Überall.«

»Sie kämpfen noch?«

»Nein, Herr. Es ist eine Waffenstillstandsflagge aufgezogen.«

»Von ihnen?«

»Nein, Herr. Mr. Caterham hat eine Waffenstillstandsflagge hinausgeschickt. Die ganze Sache ist ein häßliches Mißverständnis. Deshalb möchte er mit Ihnen reden und Ihnen seinen Fall vorlegen. Sie bestehen darauf, Herr, daß Sie vermitteln sollen – –«

Redwood unterbrach. »Wissen Sie, was meinem Sohn passiert ist?« fragte er.

»Er wurde verwundet.«

»Erzählen Sie! Erzählen Sie!«

»Er und die Prinzessin kamen – ehe die – die Bewegung zur Einschließung des Cossarlagers vollendet war – der Cossargrube bei Chiselhurst. Sie kamen plötzlich durch ein enges Dickicht Riesenhafer gebrochen, Herr, und stießen bei River auf eine Kolonne Infanterie ... Die Soldaten waren den ganzen Tag sehr nervös gewesen, und das brachte eine Panik hervor.«

»Sie erschossen ihn?«

»Nein, Herr. Sie liefen davon. Einige schossen auf ihn – wild – gegen die Befehle.«

Redwood machte ein Zeichen des Widerspruchs.

»Es ist wahr, Herr. Nicht wegen Ihres Sohnes, das will ich nicht behaupten, sondern wegen der Prinzessin.«

»Ja. Das ist wahr.«

»Die beiden Riesen liefen schreiend auf die Verschanzung zu. Die Soldaten liefen hierhin und dorthin, und dann begannen ein paar zu feuern. Sie sagen, sie haben ihn taumeln gesehen – –«

»Ah!«

»Ja, Herr. Aber wir wissen, er ist nicht schwer verletzt.«

»Woher?«

»Er hat die Botschaft geschickt, Herr, es gehe ihm gut!«

»Mir?«

»Wem sonst, Herr?«

Redwood stand nahezu eine Minute mit straff gekreuzten Armen da und machte sich das klar. Dann erst fand seine Entrüstung eine Stimme.

»Weil Sie Narren waren, daß Sie die Sache getan haben, weil Sie sich verrechnet und Fehler gemacht haben, möchten Sie, ich soll Sie nicht für Mörder in der Absicht halten. Und außerdem – – der Rest?«

Der junge Mann blickte fragend.

»Die anderen Riesen?«

Der junge Mann tat nicht weiter, als verstehe er nicht. Sein Ton sank. »Dreizehn, Herr, sind tot.«

»Und noch mehr verwundet?«

»Ja, Herr.«

»Und Caterham«, keuchte er, »möchte mich sprechen! ... Wo sind die anderen?«

»Einige kamen während des Kampfes in die Verschanzung, Herr ... Es scheint, sie wußten – –«

»Nun, natürlich wußten sie. Wenn Cossar nicht gewesen wäre – – Cossar ist dort?«

»Ja, Herr. Und alle überlebenden Riesen sind auch da – die, die während des Kampfes nicht in das Lager kamen, sind unter die Waffenstillstandsflagge getreten oder tun es jetzt.«

»Das heißt,« sagte Redwood, »Sie sind geschlagen.«

»Wir sind nicht geschlagen. Nein, Herr. Sie können nicht sagen, daß wir geschlagen sind. Aber Ihre Söhne haben die Kriegsregeln gebrochen. Einmal letzte Nacht und jetzt wieder. Nachdem unser Angriff zurückgezogen war. Heute nachmittag begannen sie London zu beschießen – –«

»Das ist rechtmäßig!«

»Sie haben mit – Gift gefüllten Granaten geschossen.«

»Mit Gift?«

»Ja. Gift. Mit dem Nährstoff – –«

»Mit Herakleophorbia?«

»Ja, Herr. Mr. Caterham, Herr – –«

»Sie sind geschlagen! Natürlich schlägt Sie das! Das ist Cossar! Was können Sie jetzt noch zu tun hoffen? Was nützt es, noch irgend etwas zu tun? Sie werden es mit dem Staub jeder Straße einatmen. Wozu soll noch gekämpft werden? Kriegsrecht, wahrhaftig! Und jetzt will Caterham mich beschwindeln, daß ich ihm schachern helfe. Gütiger Himmel, Mann! Warum sollte ich zu Ihrem explodierten Windsack kommen? Er hat sein Spiel gespielt ... gemordet und gepfuscht. Warum sollte ich?«

Der junge Mann stand mit der Miene wachsamer Achtung da.

»Es ist eine Tatsache, Herr,« unterbrach er, »daß die Riesen darauf bestehen, Sie zu sehen. Sie wollen keinen Gesandten als Sie. Wenn Sie nicht kommen, Herr, fürchte ich, wird es noch mehr Blutvergießen geben.«

»Auf Ihrer Seite, vielleicht.«

»Nein, Herr – auf beiden Seiten. Die Welt ist entschlossen, die Sache soll enden.«

Redwood blickte im Zimmer umher. Seine Augen ruhten einen Moment auf der Photographie seines Sohnes. Er drehte sich um und hörte die Erklärung des jungen Mannes.

»Ja,« sagte er schließlich, »ich will mitkommen.«

IV

Seine Begegnung mit Caterham verlief ganz anders, als er sich gedacht hatte. Er hatte den Mann nur zweimal in seinem Leben gesehen, einmal bei einem Diner, und einmal im Vorsaal des Parlaments, und seine Phantasie war nicht mit dem Mann, sondern mit der Schöpfung der Zeitungen und Karikaturisten beschäftigt gewesen, mit dem legendären Caterham, Jack, dem Riesentöter, Perseus und all den anderen. Das Element einer menschlichen Persönlichkeit sollte all das in Unordnung bringen.

Hier sah er nicht das Gesicht der Karikaturen und Porträts, sondern das Gesicht eines abgearbeiteten, schlaflosen Mannes, lang gezogen und spitz, gelb im Weiß der Augen, um den Mund ein wenig geschwächt. Freilich sah man das schwarze Haar, die rotbraunen Augen, das charakteristische Adlerprofil des großen Demagogen, aber man sah auch noch etwas anderes, was jede überlegte Verachtung oder Rhetorik beiseite schob. Dieser Mann litt; er stand unter ungeheurem Druck. Von Anfang an machte er den Eindruck, als stelle er sich dar. Dann offenbarte er Redwood durch eine einzige Geste, eine winzige Bewegung, daß er sich mit Giften aufrecht erhielt. Er hob einen Daumen zur Westentasche, und dann, nach ein paar Sätzen, warf er die Verstellung beiseite und schob das kleine Plättchen zwischen die Lippen.

Obendrein haftete ihm trotz des Druckes, der auf ihm lastete, trotz der Tatsache, daß er im Unrecht war und um ein Dutzend Jahre jünger als Redwood, jene seltsame Eigenschaft, jenes etwas – in Ermangelung eines besseren Namens mag man es persönlichen Magnetismus nennen – das ihm den Weg zu dieser Höhe des Unglücks gewonnen hatte, immer noch an. Auch damit hatte Redwood zu rechnen vergessen. Von Anfang an führte Caterham, soweit der Verlauf und der Ton ihres Gesprächs in Betracht kam. Die ganze Haltung des ersten Teiles ihrer Begegnung wurde von ihm bestimmt, der ganze Ton und das Verfahren waren sein. Das geschah wie selbstverständlich. Alle Erwartungen Redwoods verschwanden vor seiner Gegenwart. Er gab ihm die Hand, ehe Redwood sich besann, daß er diese Vertraulichkeit zu parieren gedacht hatte; er stimmte den Ton ihrer Besprechung von Anbeginn sicher und klar als den einer Suche nach Rettungsmitteln unter einer gemeinsamen Katastrophe.

Wenn er Fehler machte, so war es, so oft seine Ermüdung seiner unmittelbaren Aufmerksamkeit Herr wurde, und wenn ihn die Gewöhnung an öffentliche Versammlungen fortriß. Dann richtete er sich auf – während ihrer ganzen Unterredung standen beide – blickte von Redwood fort und begann zu fechten und zu rechtfertigen. Einmal sagte er sogar: »Meine Herren!«

Ruhig und immer erweiternd begann er zu reden ...

Es gab Momente, wo Redwood sich nicht einmal mehr als Gesprächspartner empfand, wo er zum bloßen Hörer eines Monologs wurde. Er wurde zum privilegierten Zuschauer eines außerordentlichen Phänomens. Er merkte etwas wie einen fast spezifischen Unterschied zwischen sich und diesem Wesen, dessen wundervolle Stimme ihn einhüllte, und das sprach und sprach. Dieser Geist vor ihm war so gewaltig und so begrenzt. Aus seiner treibenden Energie, seinem persönlichen Gewicht, seiner unbesiegbaren Vergeßlichkeit für gewisse Dinge, entsprang in Redwoods Geist das groteskeste und seltsamste der Bilder. Statt eines Gegners, der ein Mitgeschöpf war, eines Mannes, den man moralisch zur Verantwortung ziehen konnte und an den man mit der Vernunft appellierte, sah er Caterham als etwas, etwas gleich einem monströsen Rhinozeros, gleichsam als ein zivilisiertes Rhinozeros, gezeugt vom Dschungel der demokratischen Geschäfte, ein Ungeheuer von unwiderstehlichem Ansturm und unbesieglicher Widerstandskraft. In all jenen krachenden Konflikten jener Verwirrung war er souverän. Und darüber hinaus? Dieser Mann war ein im höchsten Grade der Aufgabe angepaßtes Wesen, sich durch Menschenmengen einen Weg zu bahnen. Für ihn gab es keinen gleich schwerwiegenden Fehler wie den Selbstwiderspruch, keine gleich bedeutsame Wissenschaft wie die Versöhnung der »Interessen«. Ökonomische Realitäten, topographische Notwendigkeiten, die noch kaum angerührten Minen wissenschaftlicher Hilfsmittel existieren für ihn so wenig wie Eisenbahnen oder Büchsen oder geographische Literatur für seinen tierischen Prototyp existieren. Vorhanden waren Versammlungen, Wahlberatungen und Stimmen – vor allem Stimmen. Er war fleischgewordene Stimmen – Millionen Stimmen.

Und jetzt, in der großen Krisis, wo die Riesen gebrochen aber nicht geschlagen waren, redete dieses Stimmenungeheuer.

Es war so klar, daß er selbst jetzt noch alles zu lernen hatte. Er wußte nicht, daß es physische Gesetze gab und ökonomische Gesetze, Quantitäten und Reaktionen, die die ganze Menschheit durch eine Abstimmung – nemine contradicente – nicht abschaffen kann, und denen man nur um den Preis der Vernichtung nicht gehorchen kann. Er wußte nicht, daß es moralische Gesetze gibt, die sich durch keine Kraft des Blendwerks beugen lassen, oder sich nur beugen lassen, um mit rachsüchtiger Gewalt zurückzuschnellen. Angesichts eines Schrapnells oder des jüngsten Tages, war Redwood klar, hätte dieser Mann hinter einer wunderlich geduckten Stimme des Unterhauses Schutz gesucht.

Was seinen Geist jetzt am meisten beschäftigte, das waren nicht die Mächte, die die Festung dort unten im Süden hielten, sondern die Wirkung dieser Dinge auf seine Majorität, die Kardinalrealität in seinem Leben. Er mußte die Riesen schlagen oder untergehen. Er war keineswegs absolut verzweifelt. In dieser Stunde seines äußersten Unterliegens, mit Blut und Unheil auf seiner Hand, während sich die Riesenschicksale der Welt über ihm emportürmten, war er durch bloßen Stimmaufwand, durch Erklärungen, Darlegungen und Wiederholungen eines Glaubens fähig, er könne seine Macht noch wieder aufrichten. Ohne Zweifel war er in Verlegenheit und Kummer, müde und leidend, aber wenn er sich nur aufrecht halten konnte, wenn er nur weiterreden konnte – –

Im Reden, schien Redwood, rückte er vor und wich zurück, erweiterte er und zog sich zusammen. Redwoods Anteil an dem Gespräch war ganz nebensächlicher Natur, gleichsam plötzlich eingeschobene Keile. »Das ist alles Unsinn.« »Nein.« »Es nützt nichts, so etwas vorzuschlagen.« »Warum haben Sie dann begonnen?«

Es ist zweifelhaft, ob Caterham ihn überhaupt hörte. Um solche Interpolationen floß Caterhams Rede wie ein rascher Strom um einen Felsen. Da stand dieser unglaubliche Mann auf seinem offiziellen Kaminteppich und redete, redete mit ungeheurer Kraft und Gewandtheit, redete, als könnte eine Pause in seiner Rede, seinen Erklärungen, seiner Darstellung von Standpunkten und Beleuchtungen, von Erwägungen und Auswegen irgendeinem gegnerischen Einfluß erlauben, ins Dasein zu springen – in ein vokales Dasein, das einzige Dasein, das er verstehen konnte. Da stand er unter dem leicht verblichenen Glanz jenes offiziellen Zimmers, in dem ein Mann nach dem andern dem Glauben erlegen war, eine gewisse Macht der Vermittlung sei die schöpferische Beherrschung eines Reiches ...

Je mehr er redete, um so gewisser wurde Redwoods Empfindung verblüffender Nichtigkeit. War dieser Mann sich darüber klar, daß während er dastand und redete, die ganze große Welt in Bewegung war, daß die unbewegliche Flut des Wachstums strömte und strömte, daß es noch andere Stunden gab als Parlamentsstunden, oder Waffen in den Händen der Rächer des Blutes? Draußen pochte – das ganze Zimmer verdunkelnd – ein einzelnes Blatt der Virginianischen Riesenschlingpflanzen unbeachtet an die Scheibe.

Redwood sehnte sich danach, diesen erstaunlichen Monolog zu enden, zur Gesundheit und zum Urteil zu entfliehen, in jene belagerte Verschanzung, die Festung der Zukunft, wo am Kernpunkt der Größe die Söhne versammelt waren. Dafür wurde dies Gerede ertragen. Er stand unter dem merkwürdigen Eindruck, wenn dieser Monolog nicht endete, werde er alsbald von ihm fortgerissen werden, er müsse gegen Caterhams Stimme kämpfen, wie man gegen ein Schlafmittel kämpft. Tatsachen hatten sich unter diesem Zauber verändert und veränderten sich immer noch.

Was sagte der Mann eigentlich?

Da Redwood es den Kindern des Nährstoffs zu berichten hatte, so merkte er, war es gewissermaßen wichtig. Er würde zuhören müssen und seinen Sinn für Realitäten, so gut er konnte, bewahren.

Viel über Blutschuld. Das war Beredsamkeit. Das war gleichgültig. Und dann?

Er schlug eine Konvention vor. Er schlug vor, die überlebenden Kinder des Nährstoffs sollten kapitulieren und zur Seite gehen und eine eigene Gemeinde bilden. Dafür, sagte er, gebe es Beispiele. »Wir würden ihnen Gebiet anweisen – –«

»Wo?« warf Redwood ein, indem er sich zu einer Diskussion herbeiließ.

Caterham griff nach dieser Konzession. Er wandte sein Gesicht Redwood zu, und seine Stimme sank zu einer vernünftigen Überredsamkeit. Das konnte bestimmt werden. Das, behauptete er, sei eine ganz sekundäre Frage. Dann fuhr er fort, um zu bedingen: »Und abgesehen von ihnen und ihrem Gebiet müssen wir absolute Gewalt haben, der Nährstoff und alle Früchte des Nährstoffs müssen ausgetreten werden – –«

Redwood ertappte sich beim Handeln: »Die Prinzessin?«

»Die nimmt eine Stelle für sich ein.«

»Nein,« sagte Redwood und rang darum, die alte Stellung wiederzugewinnen. »Das ist absurd.«

»Davon später. Auf jeden Fall sind wir uns einig, daß die Herstellung des Nährstoffs aufhören muß – –«

»Ich habe mich mit nichts einverstanden erklärt. Ich habe nichts gesagt – –«

»Aber auf einem Planeten zwei Menschenrassen zu haben, eine große, eine kleine! Bedenken Sie, was geschehen ist! Bedenken Sie, daß dies erst ein kleiner Vorgeschmack dessen ist, was alsbald geschehen könnte, wenn dieser Nährstoff seinen freien Lauf hat! Bedenken Sie, was Sie schon alles über diese Welt gebracht haben! Wenn eine Riesenrasse entstehen soll, die wächst und sich mehrt – –«

»Nicht ich kann unterhandeln,« sagte Redwood. »Ich muß zu unseren Söhnen gehen. Ich will zu meinem Sohn. Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen. Sagen Sie mir genau, was Sie bieten.«

Caterham hielt eine Rede über seine Bedingungen.

Den Kindern des Nährstoffs wollte man ein großes Gebiet geben – vielleicht in Nordamerika oder Afrika – wo sie ihr Leben auf ihre eigene Art zu Ende leben könnten.

»Aber das ist Unsinn,« sagte Redwood. »Es leben noch andere Riesen im Ausland. In ganz Europa – hier und dort.«

»Man könnte eine internationale Intervention machen. Es ist nicht unmöglich. Man hat sogar schon von etwas der Art gesprochen ... Aber auf diesem Gebiet können sie ihr Leben auf ihre eigene Art zu Ende leben. Sie können tun, was sie wollen; sie können machen, was sie wollen. Wir werden uns freuen, wenn sie etwas für uns machen wollen. Sie können glücklich sein. Denken Sie!«

»Vorausgesetzt, daß keine weiteren Kinder kommen.«

»Ganz recht. Die Kinder sind für uns. Und so, Herr, werden wir die Welt retten, wir werden sie ganz vor den Früchten Ihrer furchtbaren Entdeckung retten. Noch ist es für uns nicht zu spät. Noch sind wir gewillt, die Notwehr durch Erbarmen zu mildern. Schon verbrennen und vernichten wir die Stellen, die gestern ihre Granaten getroffen haben. Wir können der Sache Herr werden. Glauben Sie mir, wir werden ihrer Herr werden. Aber auf diese Art, ohne Grausamkeit, ohne Ungerechtigkeit – –«

»Und wenn die Kinder nicht wollen?«

Zum erstenmal blickte Caterham Redwood voll ins Gesicht.

»Sie müssen!«

»Ich glaube nicht, daß sie es wollen.«

»Warum sollten sie es nicht wollen?« fragte er in reich getöntem Staunen.

»Und wenn sie nicht wollen?«

»Was kann dann folgen als Krieg? Wir können die Sache nicht weitergehen lassen. Wir können nicht, Herr. Haben Sie Wissenschafter gar keine Phantasie? Haben Sie kein Erbarmen? Wir können unsere Welt nicht von einer wachsenden Herde solcher Ungeheuer und ungeheurer Gewächse, wie sie Ihr Nährstoff geschaffen hat, zu Boden treten lassen. Wir können nicht und können nicht! Ich frage Sie, Herr, was kann folgen als Krieg? Und vergessen Sie nicht – was geschehen ist, ist erst ein Anfang! Dies war ein Scharmützel. Eine bloße Polizeiaffäre. Glauben Sie mir, eine bloße Polizeiaffäre. Lassen Sie sich nicht von der Perspektive betrügen, von der unmittelbaren Größe dieser neueren Dinge. Hinter uns steht die Nation – die Menschheit. Hinter den Tausenden, die gestorben sind, stehen Millionen. Wäre nicht die Furcht vor dem Blutvergießen, Herr, so formierten sich schon jetzt hinter unseren ersten Angriffen neue Angriffe. Ob wir diesen Nährstoff töten können oder nicht, sicherlich können wir Ihre Söhne töten! Sie rechnen zu sehr auf die Dinge von gestern, auf die Geschehnisse von bloßen zwanzig Jahren, auf eine einzige Schlacht. Sie haben keinen Sinn für den langsamen Gang der Geschichte. Ich biete diese Konvention um der Sache von Menschenleben willen, nicht, weil sie das unvermeidliche Ende ändern könnte. Wenn Sie meinen, Ihre armen zwei Dutzend Riesen können allen Kräften unseres Volkes und aller fremden Völker, die uns zu Hilfe kommen werden, widerstehen; wenn Sie meinen, Sie können die Menschheit auf einen Schlag verwandeln, in einer einzigen Generation, und die Natur und Statur des Menschen ändern – –«

Er schwang einen Arm. »Gehen Sie jetzt zu ihnen, Herr! Sehen Sie, wie sie für all das Böse, was sie getan haben, unter ihren Verwundeten kauern – –«

Er hielt inne, als habe er zufällig einen Blick auf Redwoods Sohn erhascht.

Es folgt eine Pause.

»Gehen Sie zu ihnen,« sagte er.

»Das wünsche ich zu tun.«

»So gehen Sie jetzt ...«

Er machte kehrt und berührte den Knopf einer Glocke; draußen erfolgte in sofortiger Antwort das Geräusch sich öffnender Türen und eilender Füße. Das Gespräch war zu Ende. Das Schauspiel war vorüber. Unvermittelt schien Caterham zusammenzusinken und zu einem gelbgesichtigen, abgearbeitetem Mann von mittlerer Größe und mittleren Jahren zusammenzuschrumpfen. Er trat vor, als trete er aus einem Bild heraus, und mit der vollendeten Geste jener Freundschaftlichkeit, die hinter allen öffentlichen Konflikten unserer Rasse steht, hielt er Redwood die Hand hin.

Als verstehe es sich von selbst, schüttelte Redwood ihm zum zweitenmal die Hand.


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