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Zweite Abtheilung.
Zur Theologie, Philosophie und Kosmologie.

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XXV.

Versuch über die Geschichte der Intoleranz.

Was mag des Menschen erste Empfindung gewesen sein? Ohne Zweifel Furcht. Man stelle sich sein Erwachen vor. Eine unermeßliche Scene, erfüllt von tausenderlei Gestalten, umringt ihn: jede Größe erweckt Schauer, Alle seine Sinne sind zugleich bestürmt: das Auge verliert sich in unendbare Perspectiven; rauschende Flüsse mit dem Tosen der Winde und dem Brüllen der Thiere vermischt, treffen sein Ohr; die Sonne brennt ihn auf der Stirn. Unmöglich konnte er anders als zittern.

Nun kommt die Nacht. Mit ihr vereinigt sich ein Gewitter. Die ganze Natur ist in Aufruhr. Der Mensch stürzt sich zu Boden und sucht sich zu verbergen, denn die Vorstellung von irgend einem mächtigen, unsichtbaren Wesen fällt wie ein Wetterstrahl in seine Seele.

Sobald er wieder zu sich kommt ist seine erste Regung natürlicherweise, diesen Geist zu versöhnen. Er fällt auf die Knie und faltet die Hände. Dies ist die erste Form der Religion.

Die allgemeine Regung aller denkenden Geschöpfe des ersten Weltalters war die Furcht vor einem unsichtbaren Wesen, und der Wunsch es zu versöhnen die allgemeine Religion. Dies streitet also gegen die Orthodoxie, welche des Menschen erste Regung in Dankbarkeit gegen den Schöpfer setzt. Die Furcht, als eine natürliche und simple Regung, liegt aber dem menschlichen Geiste näher als Dankbarkeit, welche schon ein Werk der Reflexion und eine relative Empfindung ist. Und aufrichtig zu sein, was hätte denn den Menschen zu einem so sublimen Drange bewegen können? Betrachtet nur das Bild, das uns Voltaire sehr treffend von unsern Ureltern liefert!

Wasserfluten, Hagelschläge, Feuersbrünste, Krankheiten stellen sich ein. Dies bestärkt das Vorurtheil von einem großen Geiste noch mehr, und Ersinnung von Mitteln ihn zu gewinnen wird nunmehr das öffentliche Interesse der Menschheit. Hier ist der Ursprung zur Theologie gelegt.

Die Geschichte der Götterlehre ähnelt der Geschichte der Arzneikunst: beide erfand die Noth, beide waren in ihrem Ursprunge ehrwürdig, aber in beiden fanden sich Quacksalber ein. Man kann als gewiß annehmen, daß die Einheit der Gottheit lange Zeit der Glaubenssatz der Welt gewesen. Die rohe Natur bietet uns viel leichter den Begriff einer einfachen als einer zusammengesetzten Gottheit dar; diese ist schon ein Product der künstelnden Vernunft. Ja, es scheint, daß man im Patriarchat, welches doch, wie es heißt, der älteste Gesellschaftszustand war, unmöglich Mehrheit der Götter und der Regierungen zulassen konnte. Der Polytheismus stellte sich also erst mit den Charlatanen ein. Wir sind folglich den unschätzbaren Begriff von der Einheit nicht einer spätern Offenbarung schuldig, er ist uns anerschaffen. Er kam mit uns auf die Welt und hielt sich, wie wir aus der Völkergeschichte wissen, immer unter bestimmten Himmelsstrichen auf, bis er aus Egypten durch den Gesetzgeber der Hebräer nach Syrien, und durch seine Nachfolger von dort nach Europa kam. Es ist wahr, bei dieser Vorstellung leidet das Verdienst unserer Religionsstifter: Gott und die menschliche Natur aber gewinnen dadurch. Die Natur der Gesetze richtet sich nach der Natur ihrer Urheber. Die Menschen sind nur in der Wiege unschuldig. Jetzt erwachten der Brotneid, die Verfolgung, die Verketzerung und alle Keime der Intoleranz.

Es läßt sich begreifen, daß das Priesterthum sehr früh ein einträgliches Handwerk ward: was geben einfältige Menschen nicht gern für den Frieden mit den Göttern! Es entstand ein Jahrmarkt. Jeder Krämer pries seine Waare an. Daher die phönizischen, indischen, persischen, egyptischen und so viele andere Mythologien der Urwelt, die in Nebendingen alle mit einander uneins sind, in der Hauptsache aber zusammentreffen.

Mit Einem Wort, der Gedanke, daß man den Göttern schmeicheln müsse – vielleicht der schlechteste in einem Religionssysteme aufgeklärter Menschen – welcher der Grundsatz aller Volksreligionen, von den Adamiten bis auf die Griechen und Römer war, ward zur unerschöpflichen Quelle der Pfaffenkunst.

Dieser Grundsatz gab nicht nur zur Erfindung neuer Begriffe, sondern auch zur Vervielfältigung derselben in's Unendliche Stoff. Hieraus entsprang der Schluß, das Priesterthum sei nothwendig.

Sobald dieser Schluß einmal angenommen worden, ergab sich daraus, daß es eine eigene Klasse von Pflichten gegen die Gottheit gäbe. Und damit war dem Fanatismus, dem Gewissenszwang, den Ceremonien, der Theologie und allen Auswüchsen der Religion freie Bahn gemacht.

Einer der ersten Züge dieser Religion bestand in der Einbildung, der Dienst, den man der Gottheit leiste, sei derselben angenehm. Mit dieser Einbildung verband sich sehr bald – weil er ihr zunächst liegt – der Wahn, daß unser Gottesdienst der beste unter allen, der einzig wahre sei. Hieraus entstand das natürliche Bestreben ihn zu verbreiten, Andere zu dessen Annahme zu bewegen. Dies Bestreben pries die Geistlichkeit anfänglich als ein Verdienst, dann machte sie es zur Pflicht. Nun war die Springfeder der Intoleranz befestigt.

Sie wirkte sehr bald. Moses' Fragmente liefern uns einen traurigen Belag dafür. Zwei Patriarchen, Kain und Abel, Söhne Adam's, verliebten sich zugleich in ihre Schwester, die schöne Azrun. Dies erzeugte Eifersucht. Adam schlug ihnen ein Opfer vor, welches entscheiden möchte, wem Gott die Braut zugedacht hätte. Bei der Zurüstung des Opfers kamen sie in Wortwechsel. Kain, ein starker Geist, behauptete, daß es weder Gott, Teufel noch Unsterblichkeit gäbe. Dem widersprach Abel. Nun erklärte sich scheinbar der Himmel: ein Donnerwetter brach los, der Blitz fuhr auf Abel's Altar und entzündete das Opfer. Siehe da! rief Abel triumphirend, siehe den Ausspruch der Gottheit! Sie bestätigt meinen Glauben, indem sie ihr Dasein beweist. Jetzt wurde der Streit heftig. Kain beendigte ihn durch ein argumentum ad hominem, er schlug seinen Gegner vor die Stirn, daß er auf ewig verstummte. »Ein netter Anfang«, sagt ein bekannter Philosoph, »es sind ihrer nur drei bis vier in der Welt, und einer schlägt den andern todt!«

      Nam fuit ante Helenam cunnus teterrima belli

      Caussa...

setzte ein anderer Philosoph hinzu.
Sollte es anders sein? Wir sind infolge unserer Selbstliebe oder der Schwäche unserer Vernunft stets geneigt, unsere Meinungen für die besten und Jeden, der ihnen abgeneigt ist, für einen Verräther zu halten.

Von nun an gestaltete sich die Götterlehre zur Marktschreierkunst. Die Priester versteckten sich hinter Vorhänge; ihre Lehren holten sie aus unabsehlichen Weiten, aus dunkeln Fernen her. Sie der vor den Augen der Menschen ausgebreiteten Natur zu entnehmen würde nicht profitabel gewesen sein. Man blendete den Pöbel lieber mit so manchem Staube, zum Beispiel mit »Offenbarung«, »Opfer«, »Heiligthum«, »göttliche Wahrheit«, »Heidenthum« und andern Bravourredensarten, die zu nichts taugen als die Einfältigen zu entzücken, die Klugen aber gähnen zu machen. Was soll Offenbarung, was göttliche Wahrheit, was Heiligthum sein! Als ob nicht alle Wahrheit von Gott käme! Oder ist er minder die Quelle der Wahrheiten in der Heilkunst, in der Gesetzkunst, in der Naturlehre? Sind die Grundsätze der Geometrie, der Justiz, der Moral weniger sein Werk, weniger seines Ursprungs als die der Theologie? Hat die Gottheit etwa ihre abgesonderte Haushaltung, ist nicht die ganze Natur ihr Tempel? Bezieht sich nicht all' unser Thun auf sie, und steht nicht jedes der Menschheit nützliche Amt mit der Gottheit in Verhältnis, so gut wie die Kirche? Die einzige Wahrheit, die wir anbeten sollen, ist die, daß Gott – Gott ist; und die größte Offenbarung, die wir besitzen, ist das Buch der Natur.

Der Pöbel, das ist der große Haufe welcher lebt ohne zu denken, handelt ohne zu überlegen, eine Seele hat ohne sich's bewußt zu sein, ging blind in's Netz. Er bewunderte die Priester, räumte ihnen einen über die Gesellschaft erhabenen Standpunkt ein. Nun schraubten diese ihren Sitz so nahe an die Götter hinauf als nur möglich. Die simpelsten Begriffe, die unsinnigsten Einfälle wurden zu Orakeln. Siehe den Exodus, Leviticus, Numerus, den Ye-Kim und die Sittengesetze aller Nationen. Ferner die Beweise im Beda, Zendavesta, Koran, Talmud, in der griechischen und in andern Mythologien. Und um den Menschen ihre Hilfe nothwendig zu machen, steckten sie deren Geist mit Schreckbildern an, mit Hölle, Teufeln, Fegefeuer und Wundern. Man scheuche diese Phantome hinweg, und die Hälfte der Religion ist überflüssig.

Vergebens leugnen die Religionsstifter, daß sie nicht Selbsterfinder wären; so viele sich ewig untereinander widersprechende Offenbarungen sind ein nur allzulichter Beweis ihres verdächtigen Ursprungs. Nicht genug, die Vernunft, dieses göttliche dem Menschen eingeprägte Etwas widerspricht ihnen. Gestehen sie nicht alle, von Brama an bis zu den allerneuesten Zeloten, daß die Gottheit ein unbekanntes, unzugängliches, geheimnißvolles Wesen außerhalb der Naturgrenzen? Wie kann man sich nun mit einem Dinge unterreden, wovon uns der ausreichende Begriff fehlt? Wie soll ein Einfluß zwischen zwei entgegengesetzten Naturen herrschen? Durch welche Organe wirkt ein Gott in den Sterblichen? So sehr streitet eine vermeintliche Offenbarung gegen alle Gesetze der Natur und Vernunft.

Oder beschäftigt sich etwa die Vorsehung mit unnützen Dingen? Die Wahrheit von Gott liegt ganz im natürlichen Erkenntnißkreise des Menschen. Sollten wir in der That so dumm, so träge, so bedauernswürdig, so unfähig zu aller Erkenntniß und Tugend sein, daß wir ohne das Gängelband der Theologen und Offenbarungen Atheisten sein müßten? Woher nahmen denn die Barbaren und Wilden ihren Gott? Denn Niemand kann nachweisen, daß es ein Volk auf der Erde gebe, wo der Begriff von einer Gottheit nicht existire, wie man andererseits bewiesen hat, daß kein Mensch ohne eine gewisse Religion lebe. Nichts ist gewisser, als daß der Schöpfer von aller Ewigkeit her für unsere Köpfe und Herzen gesorgt hat, und daß in unsrer Seele ein gewisses unvergleichliches Triebwerk vorhanden, welches uns an ihn zieht ohne eine Offenbarung zu benöthigen.

Allein so wollte es die Geistlichkeit nicht. Sie behauptete, daß die Gottheit der Mäkler bedürftig wäre und daß sie ihr den ausschließlichen Handel mit den Gewissen übertragen hätte. Da ihr die Ueberzeugung zu dieser Lüge keinen Beistand lieh, so wendete sie sich zur Gewalt. Weil ihr hinwiederum die Tugend ihre Waffen versagte, so verband sie sich mit dem Laster, das ist, mit dem Aberglauben, der Faulheit und der Unwissenheit, den Götzen des Pöbels.

Nun fühlte sie sich stark genug das Recht des Mächtigem auszuüben; sie pflanzte Glauben mit dem Schwert, und düngte ihn mit Blut. Der Vorwurf, die Philosophie sei ebenso unverträglich gewesen, ist erlogen. Weder Bayle, noch Voltaire, noch Spinoza, noch Rousseau, noch Hume, kein Philosoph, er nenne sich Deist, Socinianer oder Atheist, kein Philosoph unter der Sonne hat jemals auf Tortur, Scheiterhaufen und Galeere angetragen. Sie begnügten sich die Sottisen ihrer Gegner lächerlich zu machen. Die Calvine, die Beza, die le Tellier und ihres Gleichen sind es, welche den abscheulichen Satz predigten, daß man die Ketzer mit Rad und Galgen verfolgen müsse. Die Philosophie unserer Zeitverwandten anerkennt den theologischen Gott nicht als den ihrigen, aber sie duldet ihn; sie lehrt Reform, Abschaffung der Vorurtheile, aber sie räth den Fürsten nicht, das Schwert zu ergreifen.

Heilige Nächte! kommt mir zu Hilfe und leiht mir einen Flor, um ihn über die Geschichte der Religion zu werfen. Von Syrien bis nach Peru steht die Erde in Flammen; Ungeheuer in menschlicher Gestalt, die Mordfackel in der einen, den Dolch in der andern Hand, rasen durch die blutströmenden Gassen und kreischen: Bete an oder stirb!

Die Geschichte der weltlichen Furie, der Staaten, der Kriege und Empörungen, hat Nichts, was sie mit der Einnahme von Canaan, mit dem Massacre über die Manichäer, mit der Reformation Mohamed's, mit den Kreuzzügen, mit dem Trauerspiel in Amerika, mit den Prozessen der Inquisition und einer Bartholomäusnacht vergleichen könnte.

Und womit beschönigt man diese Verbrechen? Mit dem Befehle Gottes, mit dem Heile der Ketzer, mit der Ruhe des Staats.

Unglückselige Menschen, wie wunderlich ist euer Schicksal! Aus Faulheit und Dummheit überweist ihr den Dienst für die Gottheit ihren Henkern, und aus Grausamkeit unterstützt ihr diese wider euch selbst! Wie! ein Gott der Liebe sollte Menschenopfer verlangen! Nicht oft genug kann man den Zug wiederholen, den Montesquieu aus dem Diodor anführt. Sabaccon, ein Hirtenkönig, hatte einst eine Vision. Der thebanische Gott erschien ihm im Traume und befahl ihm, alle egyptische Priester zu ermorden. Sabaccon folgerte daraus, seine Regierung müsse den Göttern mißfallen, da sie ihm eine ihrer Natur so widersprechende Handlung auftrügen; er verließ daher den Thron und ward Einsiedler. der Richter der Wahrheit sollte einerlei Leidenschaft für untereinander widersprüchliche Lehrgebäude haben! Moses massacrirte für das hebräische, die Kaiserin Theodora für das griechische, Mohamed für das türkische, der heilige Bernhard für das katholische, das englische Parlament für's protestantische Symbol, und, was das Tollste ist, die Inquisition für alle.

        O superstition! tes rigeurs inflexibiles
        Privoient d'humanité les coeurs les plus sensibles
.
Das Urbild des Lichts und der Gerechtigkeit sollte sich an der unschuldigen Menschheit rächen, weil sie entweder zu früh oder zu spät kam?

So erniedrigt man den Menschenverstand unter dem Drucke der Religionen, daß er der Gottheit alle seine Laster aneignete, hauptsächlich aber den Ketzerhaß.

Was ist ein Ketzer? Befragt die Weltweisen, so werden sie euch antworten: euer Nächster, der nicht aus denselben Augen sieht wie ihr, weil sein Kopf auf andern Schultern steht; ein Verwegener, welcher behauptet, daß viermal eins vier gäbe, wogegen ihr sagt, es müßte zweimal zwei sein. Fragt die Pfaffen, so ist's ein Mensch, der vom Grunde verderbt, zu keiner Tugend fähig ist, ein gefährliches Subject, vor welchem der Staat nicht sicher ist, der weder Bürger, noch Vater, noch Freund, noch Nachbar ist, aber Meuchelmörder, Giftmischer, Mordbrenner werden kann.

Dies ist die Tonne, die man dem Pöbel vorwarf, anstatt ihm zu sagen, daß jeder Mensch vermöge seines angebornen Naturells dem andern unähnlich ist; daß es ebensowenig zwei gleiche Seelen gäbe als zwei gleiche Nasen; daß der Mensch, als selbstständiges Wesen betrachtet, eine Denkkraft für sich habe und daß diese ein eben so ehrwürdiges und heiliges Eigenthum sei wie jedes andere; daß nur Gott Richter über das Innere sei, und uns mit Fleiß verschiedene Einsichten ertheilt habe, damit wir die Tugend der Verträglichkeit üben können.

In der That, was ist deutlicher als daß die Gewissensfreiheit zu den angebornen, ewigen und heiligen Rechten der Natur gehört, insofern Jeder unter uns ein Individuum ist, das seine besondern Geistes- und Naturkräfte besitzt; und daß es Unsinn ist zu verlangen, mein Auge solle sehen was es nicht zu erreichen vermag, mein Ohr hören, wozu es nicht gebildet worden, mein Geist empfinden, was außer ihm liegt.

Vergebliche Logik für den Verfolgungsgeist! Unendlich bequemer ist ein Schlagwort wobei man nichts denken darf; womit man alle Einwürfe widerlegen kann, das alle Handlungen überschleiert. Zu diesem Schlagwort stempelte man den Glauben. Er mußte die abscheulichsten Verbrechen entschuldigen. Im Namen Gottes mordete man, und Thatstreiche, welche in jeder gesitteten Staatseinrichtung Rad oder Galeere nach sich zogen, wurden zu heiligen, zu sublimen Verdiensten.

                   

Ces monstres furieux de carnage altères
Excitèz par la voix des Prêtres sanguinaires
Invoquoient le seigneur en égorgeant leurs freres.
Et le bras tout souillé du sang des innocens
Osoient offrir à dieu cet exécrable encens
.

Brechen wir die Scandalchronik der Religion ab! Es scheint, daß wir an dem Zeitpunkte stehen, wo die Vernunft und Menschlichkeit wieder in ihre Rechte treten werden. Eine laute Stimme, die von Peking bis Lissabon gehört wird, ruft: Lasset ab einander zu verfolgen, ihr seid alle Blinde! Oeffnet das Buch der Natur, jede Nation findet ihr Blatt darin, die eine im Klima, die andere in ihrer Regierungs-, die dritte in ihrer Sittenverfassung, und mit allen diesen Hebeln gelangt man zur Tugend, das ist zur Wahrheit! »Die Beziehungen der Dinge,« sagt Garve, »unsere Verhältnisse zu andern Menschen, die Verbindungen der bürgerlichen Gesellschaft ändern sich nicht, die Welt mag vom Zufall oder von einem verständigen Wesen herrühren. Da nun unsere Pflichten nur Folgen dieser Beziehungen sind, so bleiben sie nicht nur in beiden Systemen dieselben, sondern sie können auch in beiden auf gleiche Weise eingesehen werden. In so fern sind also die Sitten von der Religion unabhängig.... Denn da sich unsere Handlungen auf den sichtbaren und durch die Erfahrung bekannten Zustand der Dinge beziehen, so müssen sie eben denselben Regeln unterworfen sein, unsre Meinung von Gott sei welche sie wolle.«

Nichts ist gründlicher. Das Gesetz der Offenbarung, d. i. das Gesetz der Natur, ist für uns Alle. Da wir Alle, so viele unsrer auf der Erde ausgestreut sind, einerlei Sinneswerkzeuge haben, und diese die einzigen Canäle der Erkenntniß sind, so müssen wir, obgleich auf verschiedenen Wegen, Alle in einerlei Punkt zusammentreffen. Dieser Punkt ist die Tugend, und die Wege sind das Klima, die politische Verfassung, die Volkssitten u. s. f. Sie sind's, welche den Cultus bestimmen sollten, denn das Uebrige bestimmt der Gott in unserm Gemüth.

Diese ist die Religion, welche die Gottheit von euch fordert. Die Lehrmeinungen sind nur da, um die natürliche Anlage zur Tugend im Menschen zu beleben, zu heben. Sie selber geben nichts, sie befördern blos, was schon in euch liegt. Erkennt den Werth eurer Natur, welche fähig genug ist, euch unabhängig von Lehrmeinungen lediglich durch ihre eigenen Kräfte glücklich zu machen, indem sie euch sagt, daß entweder keine einzige Handlung ein Gottesdienst ist, oder daß es alle gute Handlungen sein müssen.

Gewiß, die bewundernswürdige Kette der Verhältnisse, Empfindungen, Gesetze, Triebe, Begriffe und Leidenschaften, die wir in der menschlichen Gesellschaft erblicken, muß uns überzeugen, daß wir Alle zu einerlei Zweck geschaffen sind. Dieser kann nun freilich nicht die Religion der Theologen sein, weil sie sich weder gleich noch überall ist: wohl aber die Tugend.

Sie ist's, die unter allen Himmelsstrichen und bei allen Nationen sich ähnelt. Von den Eskimos bis zu den Guebern rufen die Menschen einander zu: Ehret die Götter und liebet den Nächsten!

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XXVI.

Der Tod Moses'.

Eine Exegese.

Wie man in einem Alter von 120 Jahren auf dem Berge Nebo noch das ganze Land Gilead bis gen Dan, und das ganze Land Juda bis an's äußerste Meer überschauen kann, wäre der Nebo auch so hoch wie die Cordilleras oder der Teneriffa, das ist merkwürdig. Inzwischen sagt's die Schrift.

Aber wie leid muß es Einem sein, wenn man kurz auf diesen schönen Prospect sterben muß. Dies widerfuhr aber Moses, dem berühmten Helden. Und was das Schlimmste ist, so weiß Niemand, wo er hingekommen. »Und der Herr begrub ihn in den Thälern Moab's bei dem Tempel Peor's.« Das ist Alles, was uns die Schrift von dem Ende eines der größten Männer wissen läßt.

Sogar bei dem Streite, den der Erzengel Michael nach der Hand mit dem Teufel, oder nach heutigem Begriffe mit einem Kritiker, über diese Stelle hatte, wurde nichts entschieden. Die Disputation endigte sich nach der Manier aller gelehrten Zänkereien – mit Schimpfen.

Mir scheint, der Erzengel wäre leicht zu widerlegen gewesen. Er behauptete, daß Moses' Todesart unbegreiflich sei. Man durfte ihm nur die Episode des Romulus vorhalten. Eine ist der andern so ähnlich, daß man glauben möchte, diese hätte jene copirt, wüßte man nicht, daß die Geschichte der Juden ein ewiges Original ist.

Romulus theilt das eroberte Land aus, geht hierauf in den Tempel und verschwindet. Man weiß nicht wie es zugegangen, aber kurze Zeit darauf sieht man seinen Geist in den Wolken schweben: er wurde zur Gottheit.

So erzählte man die Sache auf dem Krautmarkte zu Rom, bei den Prozessionen und in den Vesperpredigten. Bei den Soupés zu Caprea und in den Gesellschaften der Julia behauptete man, die Senatoren, unzufrieden mit dem Theilungsplane des Richters, hätten ihn beim Opfer in Stücke zerrissen und, um den Pöbel zu beruhigen, hernach die Farce mit der Vergötterung gespielt.

Moses, von der Eifersucht Josua und der andern Emirs ermüdet, macht ein Staatstestament, geht auf's Gebirge Nebo und verschwindet. Man sieht nichts mehr von ihm. Er wird nicht zum Gott, denn dies hätte gegen das Nationaldogma gestritten, welches nur Einen Gott zuließ: aber er wird Alles, was nach diesem noch möglich ist, Prophet, Heiliger, Halbgott.

Wir, die wir so glücklich sind rechtgläubig zu sein, wissen, daß es Gott ist, der den Geist Moses' sammelte, daß es ein Wunder seiner Weisheit, einer von den großen Zügen ist, wodurch er sein Lieblingsvolk unterschied.

Wie sehr muß man sich aber wundern, wenn man sieht, daß die Philosophen es wagen, den Fall natürlich zu erklären.

»Man weiß,« sagen sie, »daß Moses auf eine Stimme, die für das Organ des Publicums zu fein war, einst alle Emirs dem Herrn an die Sonne hängen ließ. Dies mußte natürlich Mißvergnügen erwecken. Es kam zu einem Aufruhr, worüber, wenn man der Arithmetik des Deuteronomium glauben darf, 24000 Mann massacrirt wurden.

Dieser Streich war so schreiend, daß er dem Volke die Erkenntniß brachte, es wäre Zeit den Tyrannen hinzuopfern. Um aber dem Ungewitter, das Moses heranziehen sah, zu entweichen, retirirte er auf den Berg Nebo oder Pisga, vermuthlich in der Hoffnung, eine seiner Künste in Bewegung zu setzen, die ihm so oft Dienste geleistet hatte, sobald er das Volk in Furcht und Schrecken jagen wollte.

Diesmal jedoch schlug es ihm fehl. Josua und die übrigen Verschwornen überfielen ihn bei seinem Schmelzofen und machten ihn nieder.«

Alle Achtung vor dieser Philosophie. Sollte aber nicht eine noch simplere Erklärung möglich sein, eine Erklärung, die den gesunden Menschenverstand befriedigt ohne dem Respect vor dem geschriebenen Bibelworte zu nahe zu treten?

Sie sei gewagt.

Aeußerst wahrscheinlich ist, daß Moses dem benachbarten Moab noch verhaßter war als den Israeliten. Er hatte dieser Nation den Untergang geschworen und sie mit unablässiger Wuth bekriegt. Kurz, die Moabiten hatten tausend Gründe, ihm eine unversöhnliche Rache zu widmen.

Um seinen Kriegsplan zu erreichen und seine Eroberungen über den Jordan fortzusetzen, mußte er die Stellung der Armee verändern. Zu dem Ende recognoscirte er das Gebirge Pisga. Bei dieser Gelegenheit aber fiel er in einen Hinterhalt der Moabiten in der Gegend ihres dem Gotte Peor geweihten Tempels.

Die Mörder schleppten natürlich den Körper als Siegeszeichen, wie es damals Brauch war, in ihr Lager oder in einen ihrer Tempel.

So ist der Text vollkommen gerettet.

Man sieht indeß, daß das Schicksal der Helden sich beinahe immer gleicht: im Leben bewundert, nach dem Tode vergöttert. Moses starb wie Marcellus, der Eroberer von Syrakus, wie der zweite Stifter des römischen Reichs, wie der Gesetzgeber Lacedämon's; und er würde vermuthlich auch wie jene auf den Altären geprunkt haben, wenn er selbst nicht das große Geheimniß der Egypter von der Einheit Gottes zur Volksreligion gemacht hätte.

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XXVII.

Gott.

Es ist ein Gott! Ewige, unleugbare Wahrheit. Zwei mal zwei ist nicht gewisser Vier.

Muß man aber diese Wahrheit beständig mit falschen Gründen beweisen? Jüngst las ich in einem Buche, das seinen Meister gern verewigen möchte: »Ein schönes treffendes Gemälde vom Aufgang der Sonne, ein reizendes Nachtstück wird Niemand als ein Thor für ein Werk halten, das sich selbst gemacht habe oder durch einen Zufall entstanden sei. Wie vielmehr muß denn das Original ein intelligentes Wesen zum Urheber haben?« Diesen Schluß entnahm der Verfasser dem bekannten Einfalle eines gewissen französischen Schwätzers: » Quoi le monde formé prouve moins une intelligence, que le monde explique?« Newton mußte Verstand haben, um das Weltsystem zu erklären. Muß aber der Urheber des Weltsystems Verstand haben, weil er es hervorbrachte?

Ich denke Nein.

Werke der Natur sind nicht Machwerke. Natur muß älter sein als Kunst, sonst hieße diese nicht eine Tochter und Nachahmerin der Natur.

Jene Folgerung ist also nicht nothwendig. Wenn der Künstler eigentlich Nichts erschafft, wenn er nur einzelne Züge, die er in der Natur zerstreut findet, nach solchen Verhältnissen zusammenbringt, wovon ihn die Erfahrung lehrte, daß sie unsere Sinne auf die angenehmste Weise berühren; wenn nicht geleugnet werden kann, daß der Künstler die Urbilder, die ersten Modelle zu seinen Kunstwerken aus der Natur schöpfen mußte: so ist die Aehnlichkeit zwischen den Werken der Natur und den Werken der Kunst erklärt, so kann man nicht so gerade auf eine Aehnlichkeit ihres Ursprungs schließen.

Zum Nachahmen – und was thut die Kunst anders? – gehört Verstand; nicht aber zum Hervorbringen. Zwei Thiere begatten sich, sie zeugen ein drittes, ihnen ähnliches. Wissen sie was sie machen?

Mechanisch, aus Instinct, bringen sie gewisse Bewegungen hervor, deren Resultat ihnen unbekannt ist. Ohne Ueberzeugung, ohne durchdachte Theorie und Absicht bilden sie aus ihren Säften und Bestandtheilen etwas Zufälliges.

Dies ist der Nisus formativus der Natur: Bestrebung der Materie sich in Formen zu bilden. Ein blindes Gesetz. Der Baum bringt ohne Kenntniß und Willen aus seinem Samen seinesgleichen hervor.

Wo findet sich die Vernunft außer bei dem Menschthier? Ueberall hingegen, in todten und lebenden Körpern findet sich die Schöpfung. Mit Einem Worte, der Verstand bringt weder Pferde noch Doctoren hervor. Seine Producte sind – Schlüsse.

Wozu also eure Miseren?

                   

»Gott ist kein Mensch. Ha, wähne nicht
Da ß er sei Fleisch wie Du!
Du kennst ihn nicht. Bald zeigt er sich als Feuer,
Die unbekannte Kraft als Wasser bald,
Und bald als Dunkelheit.«

Aeschylos.

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XXVIII.

Gottes Dasein.

Der stärkste, faßlichste Beweis für die Grundlehre des Deismus, der Beweis, den Niemand entkräften konnte, ist der, welchen Haller dem gelehrten Björnstal vortrug. Setzen wir ihn ein wenig auseinander.

Nach Leibniz, Buffon und Andern war unser Globus einmal ein brennender Körper, eine glühende Masse. Damals konnten ihn Thiere wenigstens sicher nicht bewohnen. Wie lassen sich nun anfangslose, ewige Reihen von Zeugungen im thierischen, das heißt, im menschlichen Geschlecht annehmen?

Dieser Schwierigkeit abzuhelfen, setzte man ewige Sameneier voraus, aus denen Alles was ist entstand. Und diese Sameneier hielten die Glut aus? Sie zersprangen nicht? Legt ein Hühnerei in einen glühenden Ofen und habt Acht, ob ein junges Huhn heraushüpft.

Allein die Leibnize, die Buffon können sich irren. Vielleicht war der Globus weit eher eine Wasserblase. Diese Hypothese hilft aber den Eiern auch nicht fort, denn im Wasser hält sich ein Ei ebensowenig als im Feuer. Nichts ist der Fäulniß so leicht unterworfen.

Wir können nicht leugnen, daß die Erde einst unter Wasser stand. Tausend Ueberbleibsel zeugen davon. Wir nennen dieses Phänomen schlechthin Sündflut, ja es gab wahrscheinlich mehrere. Damals konnte sich also nichts mehr erhalten als die Heringe, die Hechte und die Seekrebse. Wie entstanden nun die übrigen Thiere wieder und besonders der Mensch? Neue Schwierigkeit.

Die Gipfel blieben trocken. Das Wasser erreichte die Spitzen der höchsten Berge, der Cordilleren u. a. nicht, denn man findet keine Spur von Seekörpern, von Versteinerungen auf ihnen.

Umsonst. Die Gipfel dieser und aller Berge, die wir kennen, sind steile, unzugängliche, nackte Felsen, wo der ewige Winter seinen Thron aufgeschlagen und auf unlöslichem Eise herrscht. Nichts wächst dort; die Natur ist todt. Womit sollten sich Thiere und Menschen erhalten?

Zugegeben, antworten die Eierhändler, daß die thierische Natur auf einen Augenblick ersäuft war. Zum Glück gab es ewige Eier; aus diesen kroch sie wieder hervor, nachdem die Wasser sich verlaufen hatten.

Besinnt euch doch, was ihr sprecht! Gab es jemals ewige Eier, so muß es deren noch geben. Warum entstehen nun keine Menschen, Elephanten oder Füchse dermalen aus Eiern? Warum haben sich sogar gewisse Thiergeschlechter aus der Natur völlig verloren?

Wenn wir denn nicht leugnen können, daß, weil die Erde irgend einmal für Menschen und Landthiere unbewohnbar gewesen, die Reihe der Zeugungen im animalischen Reiche nothwendig einen Anfang gehabt haben müsse, und wenn das Eiersystem eine Thorheit ist, so fragt sich billig, woher kamen die Menschen, wenn sie nicht von Salamandern oder Fröschen abstammen? Sind sie wie die Schwämme aus der Erde hervorgesprungen, oder wie die Sternschnuppen aus der Luft herabgefallen?

Ich komme noch einmal auf den Ausspruch eines berühmten Forschers: »Der Erdball ist nichts als ein ungeheurer Klumpen von Mineralien; alle verschiedenen Theilchen mineralischer Körper, welcher Art sie immer sein mögen, sind todt; nur die organisirten Körper des vegetabilischen und animalischen Reichs sind lebensfähig. Grabesstille, Unfruchtbarkeit und Schrecken der Verwüstung herrschen, wo nur Mineralien nackt und unbekleidet liegen.«

Wie mag nun durch zufällige Anhäufung oder mechanische Zusammenfügung roher Erdtheile ein organisirter, lebendiger Körper, ein Pferd, ein Ochse, ein Löwe, ein Mensch entstehen? Der Globus war vor seiner Entwickelung eine wüste Insel in einem Feuer- oder Wasserocean. Dies ist angenommen. Wie bevölkerte sich nun diese wüste Insel? Durch sich selbst? Aber warum geschieht dies heute nimmer, warum bevölkert sich keine der öden Inseln im Südmeere selber? Warum baut sich kein Garten, kein Acker selbst mit Pflugochsen und Ackersleuten an? Kann die Natur ihre Fruchtbarkeit, die Erde ihre zeugende Kraft verlieren?

Kindisch ist der Gedanke, die Erde sei veraltet, ihre Geburtskräfte erschöpft. Wie kann die sich immer gleiche, ewige, unveränderliche Natur alt werden!

Columella dachte vernünftiger: Quas ego caussas procul a veritate abesse certum habeo. Quod neque fas existimare, humi naturam, quam primus ille mundi genitor perpetua foecunditate donavit, quasi quodam morbo, sterilitate affectam, neque prudentis credere, tellurem, quae divinam et aeternam juventam sortita, velut hominem consenuisse. So wenig als das Meer seine Wallfische, die Luft Adler hervorbringen kann, so wenig kann die Erde die ersten Menschen aus sich selbst producirt haben.

Thiere anderer Art oder Pflanzen können ebensowenig die Urheber unserer Gattung gewesen sein. Jedes Thier zeugt nur seinesgleichen, jede Pflanze bringt aus ihrem Samen nur ähnliche Pflanzen hervor. Es giebt auf der Erde kein sichtbares Wesen, dem wir die Bildung der ersten Menschen, der ersten Thiere jeder Art zuschreiben könnten.

Um den Ursprung unseres Geschlechts zu erklären, muß man also zu Hypothesen flüchten, die so wahrscheinlich sind als die Orakel der Derwische oder Ovid's Metamorphosen?

Ist's irgendwo erlaubt ein Wunder zu glauben, so ist's, dünkt mich, hier. Ein Globus, der entweder vom Feuer durchglüht oder vom Wasser durchfeuchtet ist, kann ohne Wunder wol keine menschlichen Wesen hervorbringen. Diese Wirkung übersteigt das Vermögen einer leblosen Körperwelt.

Alles also dringt uns hier die unbegreifliche Einwirkung eines überirdischen, übermenschlichen, überthierischen Agens auf.

Was oder wer mag es sein? Es könnte, sagt man, ein Geist, ein Wesen sein, das ohne Gott zu sein überirdische Kräfte besäße, ein seraphischer Vaucanson zum Beispiel.

Laßt uns die Möglichkeit nicht leugnen; benimmt diese Hypothese der Sache etwas? War dieser bildende Geist ewig, erstreckte sich seine Macht über die ganze Natur, so war er – Gott. War er nicht ewig, so muß er einen Vater gehabt haben. Er war also eingeschränkt. Eingeschränkte Wesen können nicht ohne Organ wirken. Woher nahm er es nun?

Man drehe sich wie man wolle: ein Gott umringt uns. Niemand kann ihm ausweichen, Niemand weiß ohne ihn da zu sein, selbst der »bildende Genius« hat ihn, wie man sieht, nöthig.

Nicht genug: Giebt es Vaucansons im Empyreum, warum zeigen sie sich nimmer? Es scheint doch, daß noch Ein und Anderes in der Welt zu thun übrig geblieben wäre. Gestehen wir zu, daß es ein seraphischer Vaucanson war, der die Welt machte, denn es heißt ja, sie wäre nichts als eine ihrem Künstler mißrathene Maschine; allein der den Vaucanson machte? Fürwahr, der muß über ihm gewesen sein!

Kurzum, setzen die eingeschränkten, in so viel individuelle Einheiten vertheilten Kräfte nicht einen ewigen, unermeßlichen Quell aller Kraft, alles Lebens voraus? In der Wirkung kann nicht mehr enthalten sein als in der Ursache. Das Leb- und Verstandlose kann nicht Ursache von Verstand und Leben sein. Wir wissen, daß Maschinen durch den Verstand hervorgebracht werden können; wurde aber jemals der Verstand durch eine Maschine hervorgebracht?

Nehmen wir den Fall an, alle jetzt lebenden Menschen stürben plötzlich, dürfen wir uns einbilden, daß die Erde durch irgend eine Anstrengung ihrer angebornen Kraft, durch irgend eine treibende und plastische Eigenschaft eine neue Geburt verrichten und das Menschengeschlecht wiederherstellen könne? Wer im Ernst zu glauben vermag, die Stammeltern des Menschengeschlechts wären ein blos mechanisches Product der Erde oder irgend eines bildenden Genius, der kann, dünkt mich, unmöglich Ovid's Metamorphosen oder das Reich der Feen fernerhin bezweifeln.

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XXIX.

Herder's »Gott«.

»Gott! Einige Gespräche.« Gotha 1787. 2. Ausg. ebd. 1800.

Herder hat die Quadratur des Cirkels, oder, was beinahe dasselbe ist, die Vereinigung des Spinozismus mit der Religion erfunden! Man lese seinen »Gott«.

Den Spinoza entspinozen, Grundbegriffe seines Systems eigenmächtig abändern, oder ihnen andere, die er nie für die seinigen erkannt, unterschieben, und dann aus diesen eigenmächtig geänderten oder unterschobenen Grundbegriffen Folgerungen ziehen, welche die Grundlehren der Religion sind – heißt das den Geist jener abstrusen Philosophie darstellen, den selbst die Leibniz, Wolf, Sulzer, Mendelssohn, Condillac für ganz etwas Anderes genommen haben? Was sage ich! – den jeder unbefangene Denker nicht mit Dem für Einerlei halten kann, welcher diesen Superintendenten-Spinozismus belebt.

Gott bewahre uns doch vor halber Theologie und halber Philosophie, vor unnatürlichen Accommodationen rigoroser, scharfbestimmter Systeme!

Ehemals wollten gewisse Leute Descartes, der Gottes Dasein geometrisch bewiesen zu haben glaubte, zum Atheisten stempeln. Hier dreht sich das Blatt, man macht Spinoza, dessen Gott offenbar weder der einpersönliche Gott der Juden noch der dreipersönliche Gott der Christen, zum Religiösesten!

»Sprechen doch die Leute von Spinoza wie von einem todten Hunde«, sagte Lessing zu Jacobi.

Wie anders Herder! Welche Verbeugungen vor seinem Spinoza! Wie klar wird es bei ihm, daß man Spinozist und gläubiger Christ zugleich sein kann! Das Wesen Gottes ist nach diesem Spinozismus nothwendig Güte und Weisheit. Diese setzen doch einzelne Begriffe, Verstand voraus? Nun aber schlage man den 31. Satz im ersten Theile der Ethik auf, und dort liest man: »Der wirkliche Verstand und der Wille gehören zu der entsprungenen Natur, nicht zur ursprünglichen

Scheint nicht Spinoza den Nachsatz hinzugefügt zu haben, um seinem Ausspruche alle mögliche Klarheit und Bestimmtheit zu geben?

Wenn also wirklicher Verstand und Wille in der Urnatur nicht sind, nicht sein können, so konnte es Spinoza unmöglich einfallen, Weisheit, Güte, Liebe, wie Herder's Zungendrescherei will, als Eigenschaften der Urnatur, die mit seinem Systeme vereinbar wären, vorzustellen.

Diesen Widerspruch nicht zu bemerken dazu war Spinoza wahrlich nicht Flachkopf genug: Er, der es wol zwanzigmal in seinen Werken ausdrücklich sagt, daß Gott keinen Willen habe, nicht nach Plan und Absichten wirke, Niemand liebe und Niemand hasse. Ist aber Güte ohne Willen denkbar, Weisheit ohne Plan, ohne Absicht begreiflich, ist Liebe nicht ein Affect? Und lehrt nicht jede Metaphysik, Gott sei gar keiner Affekte unterworfen?

Es ist nicht nöthig Spinoza's System zu dem seinigen zu machen; aber unerträglich ist es, daß man den Cirkel zum Viereck gestalten will. Gebt uns jeden Autor wie er ist, und nicht wie ihn gewisse Leute gern haben möchten!

Das System eines Philosophen, der Absichten, Wunder, übernatürliche Eingebung, so deutlich als irgend möglich leugnet, mit den Lehren der christlichen Offenbarung vereinbaren wollen – O, delirae hominum mentes!

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XXX.

Ueber den Koran.

Laßt den Koran eine noch so einfache Moral enthalten, dies beweist nicht, daß es ein göttliches Buch sei. Haben die Menschen ohne Inspiration die Algebra erfunden, warum konnten sie nicht die an sich so einfache Moral erfinden?

Hat der Prophet nicht mirakelt, so hat er seine Mission vom Himmel mit Nichts bewiesen. Aber er soll, wie die Traditionen und Gottesgelehrten sagen, einige Wunder gewirkt haben. Gott verzeihe ihm! Märchen sind noch keine Evangelien.

Ich kann Mirakel nur dann glauben, wenn ich sie entweder selbst gesehen, und auch in diesem Falle sogar könnte ich eher noch eine Täuschung meiner Sinne oder meiner Einbildungskraft vermuthen als ein Mirakel glauben; oder wenn ein untrüglicher, inspirirter Geschichtschreiber die Sache erzählt. Aber da gestehe ich, daß es verteufelt schwer ist, sich von der Inspiration eines Autors zu überzeugen, denn sein eigenes Vorgeben ist kein Beweis. Das Urtheil Anderer kann hier nicht als Zeugniß gelten, weil es eine Sache betrifft, die nicht in die äußern Sinne fällt, nicht als selbsterfahren bezeugt zu werden vermag. Wie kann ich in den Hirnkasten eines Andern schauen und den außernatürlichen Ursprung seiner Ideen durch eine Wahrnehmung bewähren? Endlich bin ich bereit Mirakel anzunehmen, sobald Gott es mir offenbart, daß hier oder dort ein Wunder geschehen sei. Aber einer solchen Kundmachung hat mich der Ewige nie gewürdigt.

Wer einmal über den Pferch einer gewissen engkreisigen Orthodoxie, wie Remus über Roms Mauern – multum latrante Lycisca – gesprungen ist, der zweifelt an der Untrüglichkeit eines mohamedanischen Annalisten so gut wie an der eines chinesischen. Wenn ich auf eine alte bestaubte Urkunde Charaktere gemalt sehe; die ich für Menschenwerk erkennen muß, so ist's für mich entschieden, daß irgend eine Hand und irgend eine Feder sie geschrieben hat.

Doch woher könnte mir's klar werden, daß diese Hand, der ich die Fähigkeit sich auf dem Papier oder Pergament fortzubewegen nicht absprechen kann, noch von einem andern außer ihrem Eigenthümer geführt worden ist?

Es ist wahr, der Stil des Koran ist blumig und erhaben. Den Stil des Himmels kennen wir aber gar nicht. Den des Korans müssen wir also mit dem Stil der Erde vergleichen. Von diesem wissen wir, daß er des Bombasts fähig ist, daß er oft mit großer Pracht und Majestät Armseligkeiten sagt. Wenn man das viele Kindische und Alberne im Koran mit der Majestät seines Stils vergleicht, sollte man dann nicht auf den Gedanken fallen, daß einem bewunderungswürdigen Eigensinn des Schicksals zufolge Gott die Worte dictirt und die Menschen die Ideen dazu hergegeben haben?

Unser Paradies ist ein Schlaraffenland, von der Einbildungskraft, dieser mächtigen Zauberin, geschaffen, welche die Apokalypse dictirte, den heil. Tertullian eine Seele sehen ließ, Swedenborg's Geister beschwor, und den Wagen Phaeton's anspannte. Ueberlassen wir die Fabel vom Orkus den Dichtern oder Märchensammlern, welche privilegirte Lügner sind.

Ohne auf den Besitz einer wunderbaren Lampe zu hoffen, wollen wir edel, gut und gerecht sein, den Gesetzen gehorchen, und den Menschen, obschon sie es kaum werth sind, Wohlthaten erzeigen. Wenn es Götter giebt, so können sie nur den lieben, der an Weisheit und Güte ihnen ähnlich zu werden strebt.

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XXXI.

Mysterien.

Wahrlich, Abdallah, es ist keine Kleinigkeit die Mirakel unseres Propheten zu glauben. Aber darüber zu spotten, sollten die Giaurn dazu berechtigt sein?

Unsern Mirakeln gegenüber stehen ihre Mysterien. Es ist billig diese anzubeten, wenn man ein Giaur ist. Aber zufolge des Vergeltungsrechts wird ein Moslemim sie doch auspfeifen dürfen?

Ich ehre das Geheimniß von der Natur jenes großen Wesens, dessen Dasein Himmel und Erde verkündigen. Ich fühle die Gegenwart des unsichtbaren Genius der Natur, wenn ich in noch unverlornen Paradiesen frei und schuldlos lustwandele.

Aber in den Staub sich niederwerfen ist die Handlung eines Sclaven, um dem Stolze eines Sultans zu schmeicheln. Ja, Abdallah, es ist nur zu gewiß, daß die meisten Sterblichen sich das Urwesen als einen Sultan vorstellen, dessen Macht und Eigensinn gleich unbegrenzt sind.

Die Theologie der Giaurn hat eine besondere Arithmetik: Drei sind Eins und Eins ist Drei.

Drei Personen sind Ein Geist. Dieser Geist ist wie alle Geister einfach und doch, wer sollte es denken, zugleich dreifach.

Noch wunderlicher: Eine von diesen Personen hat die andere gezeugt. Und trotz des Daseins dieser erzeugten Person behauptet man dennoch, der ganze Gott, der seiner Natur nach unmöglich theilbar sein kann, sei ein unerzeugtes, selbstständiges Wesen.

Ich bin kein Metaphysiker, Abdallah. Und wie hätte ich dies auch an den Ufern des Nils werden können? Aber das sagt mir meine Vernunft sehr deutlich, daß etwas Erzeugtes nicht selbstständig und das Selbstständige von einem Andern abhängig, mit einem Worte, daß Gott nicht Sohn, und kein Sohn Gott sein kann.

Laß es uns immer gestehen, mein Trauter: wir haben keinen andern Begriff von Gott, als daß er das ewige, unerzeugte, unabhängige Urwesen, ohne Vater, ohne Gleiches, der Erzeuger von Allem sei. Was von ihm erzeugt worden gehört zu den Wirkungen seiner unbegrenzten Kraft. Allein die Wirkung muß von ihrer zeugenden Ursache unterschieden und ihr wesentlich untergeordnet sein.

Zudem begreife ich nichts vom Einfachen, wovon die Lehrstühle des Occidents ertönen. Vorausgesetzt, es sei Etwas, wie läßt sich jene angenommene Einfachheit des Urwesens mit der Pluralität der Personen vereinigen, welche im Urwesen coexistiren? Ein einfaches Ding kann nicht aus mehreren zusammengesetzt, die Einheit kann nicht zugleich Zahl sein.

Eine ihrer Secten lehrt, ein körperliches Ding könne an mehreren Orten zugleich sein, auf den Altären zu Krakau, Lissabon und Mexiko coexistiren. Scheint Dir dies begreiflich, mein verständiger Abdallah?

Ein Blättchen Mehlteig soll den Leib eines Gottes – der ohne Zweifel zu klug war so etwas zu lehren, in sich schließen. Und höre: Diesen Leib ißt man, verdaut man, setzt ihn an einen gewissen Ort ab, ohne daß er sich verändert!

Wer nun solches Blättchen verschluckt, wenn zuvor ein Priester eine Zauberformel darüber gesprochen, der genießt den Leib dieses Stifters, der vor 1800 Jahren lebte. Ein Anderer, der fünfhundert Meilen weiterhin ein ähnliches bezaubertes Blättchen ißt, verzehrt eben diesen Leib. So ein Dritter auf tausend, ein Vierter auf fünfzehnhundert Meilen. Er wird des Tages ungefähr achtundvierzig Millionen mal an zwanzig Millionen Orten und überall ganz genossen. Begreifst Du dies, mein Abdallah, mit Deinen fünf Sinnen?

Freilich, diese verlangt man auch nicht dazu; denn, was das Sonderbarste ist, dieser Leib läßt sich weder sehen noch fühlen noch schmecken.

Abdallah, bangt Dir nicht vor dem Menschenverstande? Solltest Du wol glauben, daß man über diese Speise zahllose Bände geschrieben, daß man über die Art und Wirkung derselben sich verfolgt, beschimpft, geschlagen und die Hälse gebrochen hat?

Und doch nennt man diese Zeiten im Occident die Zeiten der Aufklärung!

Gott behüte Dich und mich vor jeder alleinseligmachenden Religion und führe mich bald aus den Ländern der Giaurn an die Ufer des Nils zurück, wo ich im Schatten duftender Orangenhaine an Deiner Seite ohne die Controversen der Unvernunft meinen Tschibuk schmauchen kann.

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XXXII.

Priesterlicher Wunderbeweis.

Nehmen wir an, der wunderthätige Salech, der einen großen Stein in ein lebendes Kameel verwandelte, wie die Dogmatik der Derwische behauptet, habe auch ein Evangelium geschrieben, welches ihm der Engel Gabriel dictirte. Wie würden die Derwische das beweisen?

»Das Buch ist da, hier liegt es!«

Gut, wir sehen es; aber das sehen wir nicht daran, daß der Verfasser inspirirt gewesen.

»Wie, Zweifler, Giaur! Du willst nur nicht sehen. Zum Beweise seiner Inspiration hat der unsterbliche Salech einen Quaderstein in ein Trampelthier verwandelt.«

Das wäre! Und der Beweis?

»Er, Elender, Er selbst versichert es, Er der nicht lügen kann.«

Nicht lügen kann? Hm, da liegt der Hase im Kraut.

»Verwegener! Wer aus einem Stein ein Postkameel machen kann, dem muß man glauben was er sagt!« –

Wie findet man diese Art zu dogmatisiren? Bei Gott! mir gefällt die Katechetik jener jungen Dame unendlich besser, welche deren Gemahl in den Armen eines Galans antraf. Ah, Treuloser, rief sie, indem sie ihm die That geradezu ableugnete, nun sehe ich, daß Du mich nicht liebst, weil Du mehr glaubst, was Deine Augen sehen, als was ich Dir sage.

Diese Glaubenslehre ist bei weitem naiver und feiner, als die der Derwische.

Ein Stein in ein Dromedar verwandelt ist kein kleineres Wunder, als die Umwandlung eines Dromedars in einen Stein. Was möchte wol dazu gehören? Gewiß müßte jedes der verwandelten Dinge auch seine Natur verändern; der Stein müßte traben, das Dromedar müßte auf sich schmieden lassen.

Setzen wir nun das Argument fort. Nehmen wir an, der h. Xaver verwandle einen Capuciner in einen Truthahn. Müßte der Capuciner nicht kollern? Wenn er aber kollerte, was bedürfte es noch des Zeugnisses des Heiligen? Müßten Diejenigen, welche ihn zuvor predigen und chorsingen hörten und nun kollern sehen, nicht an die Hahnwerdung glauben ohne ein Mirakel zu fordern?

Warum bedarf es eines Orakels, wenn wir andere Orakel glauben sollen!

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XXXIII.

Beweis von der Unmöglichkeit der Wunder.

Die Welt ist eine nothwendige Wirkung einer absolut nothwendigen Ursache. Die Gesetze, nach welchen die Veränderungen in der Natur erfolgen, sind also zuletzt und ursprünglich in dem Wesen der nothwendigen Weltursache gegründet.

Nicht in dem freien Willen dieser Ursache. Wollen ist das Attribut nur beschränkter Wesen, welche Mangel, Bedürfniß fühlen, etwas als gut, als Mittel ihrer Vervollkommnung ansehen und es daher begehren; oder etwas als böse, als ihnen nachtheilig sich vorstellen, und daher es verabscheuen.

Also im Wesen der unendlichen Substanz haben die Naturgesetze ihren letzten, bestimmenden Grund. Dies Wesen ist absolut nothwendig und unwandelbar. Mit ihm und durch dasselbe wird der Grund der Naturgesetze zugleich gesetzt. Also sind diese Gesetze geometrisch nothwendig.

Wunder nun sollen Aufhebung, Abänderung oder Suspension irgend eines Naturgesetzes sein; mithin sind solche widersprüchlich, unmöglich – ein viereckiger Cirkel. Jeder den Naturgesetzen gemäße Erfolg ist kein Wunder. Ist aber eine Begebenheit blos dem Scheine nach den Naturgesetzen entgegen, so ist sie nur ein Scheinwunder.

Ein anderes Argument.

Jede Begebenheit in der Zeit und im Raume, die wir sinnlich wahrzunehmen vermögen, ist etwas Endliches. Das Axiom sagt: Die Wirkung muß ihrer Ursache proportionirt sein, und umgekehrt. Zwischen dem Endlichen und Unendlichen ist aber keine Proportion. Also kann und muß jede endliche Wirkung aus einer ihr proportionirten, das heißt endlichen Ursache abgeleitet werden. Diese endliche Ursache jedoch kann keine Wunder verrichten, denn sie kann, da Gesetze nur ihrer bestimmten Natur gemäß wirken, keinen Effect jemals hervorbringen, der das Maaß seiner Kräfte überstiege. Sonst wäre ja ein Theil der Wirkung ohne Ursache.

So liegt z. B. das Gesetz, daß jeder Mensch stirbt und kein Todter lebendig wird, in der Natur des Menschen, in den Sätzen, daß es gar kein Perpetuum mobile giebt, und daß kein Ding mit Beibehaltung seiner Identität zweimal existiren kann: ein Gesetz, das keine Intelligenz, weder im Himmel noch auf Erden, abzuändern vermag, das inmittelst doch nicht gegen die Wahrheit von einem künftigen Leben streitet.

Mit Einem Worte: Wunder laufen gegen die Sätze des Widerspruchs und des zureichenden Grundes, sind also für Philosophen Undinge.

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XXXIV.

Hoffnungen oder Träume.

Man weiß, daß Vater Malebranche, der den Vortheil hatte, Alles in Gott zu sehen, die Auferstehung aus den Raupen bewies, welche zu Schmetterlingen würden. Dieser Beweis, versetzte man ihm, ist so leicht wie die Flügel des Subjects, dem er entnommen worden.

Gewisse Philosophen, welche die Manie haben Alles zu berechnen, sagen, da die Quantität der organischen Materie weder zu- noch abnähme, so könne man nicht wohl umhin zu denken, daß die gegenwärtigen Menschen aus der Substanz ihrer Voreltern bestünden. Der aufgelöste Körper eines Mannes zum Beispiel, von dem ein Theil der Partikel als Dunst in die Luft gehe, käme als Regen oder Thau wieder herab, um jenen Theil zu befruchten, der Staub bliebe. Hieraus nun entstünden Champignons, Kohl, Zwiebeln, Salat. So hätte Kain vielleicht ein Stück Adam's, Henoch die Seele Kain's gespeist; Jeder von uns äße seine Ureltern, trinke sie, und ziehe sie mit der Luft, die er athme, ein.

Gewiß, diese Hypothese ist äußerst sinnreich! Es ist angenehm sich einzubilden, daß man mit einem Vater, den man schätzt, einer Gattin, die man liebte, einem großen Manne, den man bewundert, sich vereinige. Die Idee, daß wir bei unsern Festins Helden und Philosophen auftragen, ist bezaubernd. Wenn man sich vollends vorstellt, daß diese oder jene Massacres nur geschehen, damit die Söhne der dabei Umgekommenen desto mehr Lebensstärke gewännen, so kann man die Regierung der Welt nicht genug bewundern.

Calmet machte es besser als der oben genannte College. Er beweist das Mirakel der Auferstehung aus den Vampyrn. »Man hat niemals,« sagt er, »einen todten Vampyr angetroffen; Todte können Lebenden das Blut nicht aussaugen; die Vampyre leben, ergo sind sie auferstanden.«

Bei den Griechen war es sehr schwierig, ein Vampyr zu werden. Die Flamme des Holzstoßes verzehrte den Körper bis zur Zunge und den Zähnen. Von Allem blieb etwa ein Pfund Asche übrig, die noch überdies mit der Asche des Holzes und des Räucherwerks stark vermischt war. Dies Klümpchen Asche reichte nicht hin, einen Vampyr zu reproduciren.

Allein was ist den Göttern nicht möglich! Pelops war schon in ein Ragout verwandelt, Ceres hatte schon eine Schulter von ihm gespeist, da erbarmten sich die Götter seiner und riefen ihn zurück.

Ah, so käme denn die Reihe auch an mich, von meinen Enkeln gefressen zu werden? Wohl bekommen ihnen meine Reste! Aber wenn ich als Ebenderselbe wieder auferstehen soll, wie mein Pastor verlangt, wie werden sie mir dann mein Theil zurückgeben? Traun, da finde ich doch Verlegenheiten! Sollte ich's geschehen lassen, daß sie um meinetwillen etwas von ihrem Embonpoint verlören?

Die Egyptier waren eigentlich schlaue Köpfe. Um dieser Verlegenheit abzuhelfen, verwandelten sie ihre Todten in Mumien. Aber in einem Stücke versahen sie es doch: da sie dem Leichnam das Gehirn sorgfältig ausnahmen, so weiß ich wirklich nicht, wie die Mumien bei der Auferstehung denken wollen.

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XXXV.

Ueber den Phädonismus.

Das Schicksal der Unsterblichkeitslehre war fast immer das, entweder mit unzureichenden Beweisen behauptet oder durch unzulängliche Gründe bestritten zu werden. Christen, welche dem Lichte folgen, das ihnen der Glaube bietet, halten jene Lehre, welche den Menschen von dem allgemeinen Gesetze der Vergänglichkeit ausnimmt, für das Resultat himmlischer Orakel über unsere Bestimmung.

Diese göttlichen Stimmen, deren Nachklang noch über den Aschenhaufen langer Jahrhunderte zu uns tönt, schienen unter den Declamationen der Stoa und des Porticus und dem Geräusche der Logik, die aus den Gärten Epikur's und dem Lehrgedichte des Lucrez in die Schriften unserer Philosophen übergegangen, verschwinden zu wollen. Aber die Weisheit eines erhabenen Königs und die Gottesfurcht seines Ministers setzten sie wieder in jene alten Rechte ein, welche sie seit Jahrtausenden und sogar in den finstersten Zeiten über den menschlichen Verstand behaupteten.

Ich bin weit entfernt, der Panegyrist dieser über populaires Lob erhabenen Politik zu werden. Ebensowenig gedenke ich Denen vorzugreifen, welche von Amts- und Berufs wegen diese wichtige und trostvolle Lehre von der Kanzel predigen. Das Geschäft eines Philosophen beschränkt sich darauf, die Zöglinge der Wahrheit an die Schwelle ihres majestätischen Tempels zu geleiten. Hier empfängt sie der Missionar oder der Geistliche und führt sie an seiner Hand zum Altar.

Die christliche Religion erzeigt ihren Bekennern eine große Wohlthat, wenn sie mit der Hoffnung einer künftigen Auferstehung zu einem neuen und sogar immerwährenden Leben tröstet, und unsern aus dem Staube des Todes wiederhergestellten Körpern Unvergänglichkeit, ewige Dauer verspricht. Dieser neue, aus dem Schoße der Verwesung lebend hervorgehende Leib würde dann in einem sichtbaren Beispiele die Lösung des Problems vom Perpetuum mobile aus der Hand des ewigen Werkmeisters darstellen.

So weit wagt sich freilich die Profan-Philosophie mit ihren kühnsten Vermuthungen nicht, weil sie sich auf dem bezauberten Felde dieser glänzenden Erwartungen weder auf den Stab der Erfahrung stützen noch sich der Analogie bedienen kann. Ihr scheint es, daß kein Wesen mit Beibehaltung seiner Identität zweimal entweder an zwei Orten zugleich oder in zwei Perioden

cum semel interjecta est vitae pausa (Lucret.)

existiren könne; daß unsere numerische und persönliche Identität in verschiedenen Momenten unseres Lebens auf die Fortsetzung einer und ebenderselben stetigen Reihe von Empfindungen und Perceptionen gegründet sei, welche vom ersten dunkeln Anfange des Bewußtseins bis zum Ende des menschlichen Seins unser Leben ausmacht; daß wir alle unsere Kräfte nur durch ihren Gebrauch und also durch Erfahrung kennen; daß aber keine darunter von der Organisation unabhängig und, so viel wir wahrzunehmen vermögen, so beschaffen ist, um ihre Unsterblichkeit als wahrscheinlich zu erachten.

Vergebens räumt eine ganze Schule von Metaphysikern dem Denken einen so großen Vorzug ein, der es über alle andere Fähigkeiten des lebenden Menschen erhebt, und jenes unbekannte Etwas, dem man alle Functionen desselben zuschreibt, in eine götterähnliche und unsterbliche Substanz verwandele. Ohne hier der erheblichen Einwendungen zu gedenken, welche einige Philosophen dem Mendelssohnschen, im Phädon entwickelten Beweise entgegengesetzt haben, so verweisen die Lehrer der neuesten Philosophie einfach auf Kant's Prüfung des psychologischen Paralogismus, welche in der »Kritik der reinen Vernunft« angestellt worden, und fügen einige von dessen Grundsätzen unabhängige Betrachtungen hinzu.

Wenn man, sagen sie, über den Ursprung unserer Begriffe aus unsern Empfindungen und über die Art und Weise nachdenkt, wie wir durch das Medium der Sinne zu Ideen gelangen, so scheint es dem Beobachter menschlicher Dinge sehr schwer, wo nicht gar unmöglich zu sein, aus unserer Natur die persönliche Fortdauer nach dem Tode zu folgern. Hätten wir die mit dem Körper so wesentlich verbundenen Sinne des Gesichts und des Gefühls nicht, so würden wir die Begriffe von solider Ausdehnung und Bewegung nicht haben, auf welche Eigenschaften sich unsere ganze Kenntniß der Materie reduciren läßt. Wenn wir also jener Sinne beraubt sein werden, mittelst deren wir diese Begriffe erlangen, und wenn unser Gedächtniß mit dem Hirn verfliegt, so scheint die Materie und die ganze Körperwelt für uns verschwinden zu müssen, da sie sich ohne Ausdehnung, Solidität und Bewegung gar nicht denken läßt.

Was für Ideen, sagen die Bestreiter der Unsterblichkeit, sollten uns nach dem Tode übrig bleiben, der doch eine Beraubung aller Sinne ist und den Untergang des Gedächtnisses und der Einbildungskraft mit sich führt? Die Ideen der Materie und ihrer Formen, die sich auf die gegenwärtige Art unserer Sinnlichkeit beziehen, fallen weg, sobald diese Art der Sinnlichkeit aufgehoben wird. Die Idee des Immateriellen ist blos negativ und setzt den positiven Begriff der materiellen Beschaffenheiten voraus. Wie kann ich das verneinen, wovon ich gar keine Vorstellung mehr habe?

So wichtig nun diese Gründe sind, so vermögen sie doch keineswegs eine Hoffnung zu vernichten, welche auf göttliche Orakel und die Ueberzeugung von der unendbaren Güte der Vorsehung gestützt ist. Umsonst sucht die Skepsis jene Orakel in blose Menschenstimmen zu verwandeln und jene unendbare Güte durch farbenreiche Schilderungen des menschlichen Elends und der zahllosen Uebel in der Welt zweideutig zu machen. Unsere Theodiceen bringen sie zum Schweigen.

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XXXVI.

Palingenesie.

Wie, Demokrit sollte geglaubt haben, daß er nach seinem Tode wieder aufleben würde, wenn man seinen Körper in Honig einmache? Wer in aller Welt würde sich wünschen zweimal in Abdera zu leben!

Man weiß, daß wir den Glauben an die Auferstehung der Todten nur der Offenbarung verdanken. Die Vernunft erkennt nichts davon, sie hat sogar Gründe darwider.

Heute besteht unser Leib aus ganz andern Partikeln als vor dreißig Jahren, da wir noch der Kindheit angehörten. Ein Greis in den Neunzigen hat in seinem Leben mindestens drei nagelneue Leiber nach und nach gehabt: mit welchem soll er nun auferstehen?

– Vermuthlich mit dem letzten.

Aber die Theile dieses letzten hatten schon, ehe sie seine Theile wurden, vielleicht tausend Wesen zugehört, die alle mit ihm gleiches Recht besitzen, diese Theile als ihr ehemaliges Eigenthum zu beanspruchen.

– Die Götter werden für jede Seele einen neuen Leib bilden.

Was jedoch berechtigt uns zu dieser Erwartung? Meine Seele in einen andern Leib versetzt, mit andern, nagelneuen Sinnen begabt, wäre sie denn noch meine Seele? Ihrer ehemaligen Sinne beraubt, wäre sie dann noch fähig sich der Eindrücke zu erinnern, welche sie mittelst der Sinne während ihrer Verbindung mit dem frühern Körper erlangte?

Vielleicht bin ich schon tausendmal hier gewesen, nur unter andern Gestalten und nicht als ebendasselbe Ich, was ich jetzt bin. Jedesmal trat ich auf die Bühne des Lebens ohne Kenntniß, Erinnerung, Bewußtsein meines vorangegangenen Zustandes.

Ich erinnere mich nicht ein Hahn oder der Panthoide Euphorbus gewesen zu sein. Ich würde von den Begebenheiten der Vorwelt nicht das Allergeringste durch platonische Reminiscenz wissen, wenn ich die Geschichte nicht gelesen hätte. Erinnerung des Vergangenen setzt Fähigkeit zu solchen Sensationen voraus, die den ehemaligen ähnlich sind. Hiezu bedarf man der vorigen Sinne, diese aber raubt uns der Tod.

Das Ding, Seele genannt, mit einem ganz neuen Körper nach Jahrmyriaden vereinigt, giebt eine neue, von der vorigen verschiedene Creatur. Diese Creatur ist nicht Ich, und ich bin nicht sie. Sie hat mit mir nicht mehr Verbindung als ich mit Alexander dem Großen besitze, weil etwa ein Theil meines dermaligen Wesens ehemals die Individualität des seinigen constituiren half.

So mußte Demokrit als Demokrit raisonniren. Wie wir, die wir in die Geheimnisse des Glaubens eingeweiht sind, von diesen Dingen denken müssen, das wissen wir, den Göttern sei Dank!

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XXXVII.

Ueber einen Vers des Horaz oder das Gebet.

                   

– – – – – praesentia numina sentit
Coelestes implorat aquas docta prece blandus
Avertit morbos metuenda pericula pellit
Impetrat et pacem et locupletem frugibus annum
Carmine Dii superi placantur carmine Manes
.

Was ich mir bei diesem Verse denke, werde ich gefragt. Daß ich die Magie nicht liebe ist bekannt. Ich glaube durchaus nicht, daß der Himmel durch Formeln und Zauberworte, mögen sie gedacht oder auch gesprochen sein, zu bewegen ist.

Und daran hat er Recht. Wissen wir doch meistens selbst nicht, was uns frommt oder schadet: und wir wollten es die Götter lehren? Beten und Erhörung erwarten ist nicht weniger als Mirakel fordern.

Nach unsern Wünschen, nach unsern kleinen Bedürfnissen soll sich der Himmel beugen; die Natur soll den ewig vorentworfenen Lauf ihrer Bestimmung ändern. Jupiter soll dasitzen wie ein Amtsschulze, um auf unsere Klagen zu warten und uns Recht zu pflegen.

Das Gebet ist dann das Sportelgeld, womit wir ihn bestechen. Wird es ihn fett machen? Hui, die Kapaunen und Schinken, welche wir unserm Amtmann in's Haus tragen sehen, haben etwas Solides; aber die Seufzer eines Hungrigen?

So mag Horaz gedacht haben. Laßt uns nicht von den Göttern erschmeicheln wollen, es bedeutet an ihrer Güte zweifeln. Und jener Philosoph, welcher behauptete, daß jedes Gebet in sich eine Blasphemie enthalte, hatte nicht ganz Unrecht. Sie geben uns gewiß, was wir vertragen können und mit der Regierung des Ganzen übereinkommt, unerinnert.

Keine gute Polizei duldet Bettler. Des Himmels Polizei will, daß wir arbeiten und nicht schwärmen. Jede Minute, die wir der Andacht widmen, sagt Demokrit, ist ein Diebstahl an dem Gesetze der Thätigkeit, welche der Himmel von uns fordert.

Und in der That, haben die Unsterblichen uns ohne unser Zuthun in die Welt gesetzt, so sind sie den simpelsten Begriffen von Gerechtigkeit nach auch schuldig dafür zu sorgen, daß wir uns erhalten können. Ihre Ehre ist dabei interessirt. Einem das Dasein geben und die Mittel es zu fristen versagen wäre schreiend. Der Wille Unglückliche zu machen wäre Grausamkeit.

Können wir das ohne Lästerung von den Göttern denken? Nein, ihre Natur schon auferlegt ihnen das Gesetz der Wohlthätigkeit. Unsere Bittvorstellungen ennuyren sie.

Mögen sie es nun machen wie sie wollen, der Faden meiner Schicksale ist einmal in ihren Händen. Ich erwarte keine anderen Erfolge als solche, welche mit ihrem vorher bestimmten Plan und der ewigen Harmonie der Natur übereinstimmen.

Dank allein, den müssen sie mir gestatten. Dies Gefühl ist so süß, so angenehm, es unterhält die Seele so gern, daß es unumgänglich von den Göttern herstammen muß.

Mit einem Worte: lassen wir uns nicht in den Stolz verfallen, als reizten unsere armseligen Phrasen das Ohr der Himmlischen. Menschen mag Poesie rühren, Musik entzücken; aber unsere Ehrfurcht vor der Gottheit erheischt zu glauben, daß Jupiter eben so frei von unsern besten Empfindungen wie von unsern Mängeln ist.

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XXXVIII.

Ueber die Moral.

In die Moral eine mathematische Gewißheit einführen! Ich habe nichts dagegen einzuwenden, daß ihre wenigen Wahrheiten des strengsten Erweises fähig sind. Denn man sondere Alles ab, was Theologie und Juristerei hineingetragen, und dies müßte bei einem mathematischen Prozesse geschehen, was würde übrig bleiben? Etwas unstreitig. Aber wie wenig! Zeither theilte man ihre Vorschriften in drei Rubriken ein: in Pflichten gegen Gott, Pflichten gegen den Nächsten, Pflichten gegen sich selbst.

Die erste Nummer würde der Verfasser des Systême de la nature ohne Weiteres streichen. Sollten denn Götter etwas bedürfen? Wie? Dem Allbesitzer sollte etwas abgehen? Bettler wagen es, dem Reichen Almosen aufzudringen? Welche Begriffsverwirrung! Oder würde der Lauf der Welt seinen ewigen Gang weniger gehen, wenn wir ihm entweder unsern Beifall entziehen, oder unsere Sottisen, welche selbst ein Stück des Naturlaufs sind, abbitten? Sie ist es, die Gottheit, welche mit gleicher Hand Glück und Unglück austheilt. Wäre der Mensch ihr für das Erstere Dank schuldig, so müßten wir sie für das Zweite angrinzen!

Was die zwei übrigen Nummern betrifft, so halte ich es mit dem Lehrsatze des Dictionnaire philosophique: »Die Natur konnte nicht anders als durch die Chimäre des Guten und durch die Wirklichkeit des Bösen wirken. Sie hatte keinen andern Grund zu ihrem System, als daß sie Dasjenige durch Laster zu erreichen suchte, was sie durch Tugenden verfehlt hatte. Daher ist die Selbstliebe – dies den Göttern entwendete Laster – das höchste und vielleicht das einzige Gut in der Gesellschaft.«

Wie wahr, wie gründlich! Jeder unter uns arbeitet an seinem Einzelwohl; aber das System der Natur bringt es mit sich, daß er es nicht thun kann ohne zugleich das allgemeine Wohl zu befördern.

Seht hier den Punkt der Mathematik in der Moral der Natur!

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XXXIX.

Ueber die uneigennützige Liebe.

Die christliche Moral lehrt, man solle Gott über Alles und seinen Nächsten wie Sich Selbst lieben. Ach! laßt uns gestehen, daß nur eine wunderthätige Wirkung der Gnade unsere Natur so sehr umschaffen und ein Object außer uns in der Rangordnung der Liebe über uns erheben könnte.

Sich selbst zu lieben, sich mehr als alles Andere zu lieben scheint eines jener ewigen Grundgesetze zu sein, von welchen die Natur nie abweicht.

Wenn der Urquell der Dinge, wie fast jedes System lehrt, ein Wesen ohne Unvergleichlichkeit ist, das weder durch die Sinne empfunden noch durch die Vernunft begriffen werden kann; wenn dies Wesen gar kein Object möglicher Anschauung ist, wie soll man es lieben können?

Liebt man in diesem Falle nicht blos seine Idee vom Urwesen? Macht diese Idee nicht, so lange wir uns damit beschäftigen, eine Art des Seins, eine Modification unserer eigenen Existenz aus, und zwar eine solche, die uns angenehm ist?

All' unser Vergnügen läßt sich auf Empfindung und Idee zurückführen. Ich liebe gewisse Ideen, weil sie mir angenehm sind. Ist das nicht Eigenliebe? Sehnsucht nach Genuß?

Ich liebe meinen Freund. Aber er ist ein Object für meine Sinne, oder, abwesend, doch für meine Einbildungskraft. Er ist, als Mensch, mir ähnlich. In ihm erblicke ich ein anderes Ich.

Nicht so mit dem unbegreiflichen Urwesen. Es ist kein Gegenstand für die Sinne, keiner für die Einbildungskraft. Die Bilder, welche diese entwirft, sind nicht das Urwesen, gleichen ihm nicht, stellen nur vor, was körperlich ist.

Keine Aehnlichkeit, auch nicht die kleinste, zwischen dem Unendlichen und Mir Endlichem! Wie kann ich also das lieben, was ich weder empfinden, noch einbilden, noch begreifen kann?

Offenbar ist es, daß auch bei jener vorgegebenen uneigennützigen Liebe des Urwesens dunkle Erwartung künftiger unermeßlicher Wohlthaten, welche es uns zu erzeigen durch seinen Charakter geneigt gemacht wird, zu Grunde liegt. Ein Gott, von dem wir gar nichts zu hoffen hätten, könnte kein Object unserer Liebe sein.

Liebe setzt Bedürfniß, Bedürfniß aber Beschränkung voraus.

Sollte selbst die Frömmigkeit den Gesetzen des Temperaments folgen? Wer kann es leugnen!

Diderot hat sehr treffend bemerkt: Der Einfluß des Temperaments zeigt sich nur allzuklar bei einem und demselben Andächtler. Je nach der Disposition seiner innern Organisation sieht seine Einbildungskraft bald einen rächenden, bald einen mitleidigen Gott, bald den geöffneten Himmel, bald die rauchende Hölle. Er zittert vor Angst, er brennt vor Liebe. Die Andacht ist ein Fieber, das heiße und kalte Paroxysmen hat.

Au reste, ma fille – heißt es in den Briefen der Frau von Sevigné –, une des mes grandes envies ces seroit d'être devote: je ne suis ni à dieu, ni au diable. Cet êtat m'ennuye, quoiqu'entre nous j le trouve le plus naturel du monde.

Sie hat Recht: dieser Zustand, wo man Keinem als sich selbst angehört, von Keinem als sich selbst abhängt, ist unserer Natur, wenn alles Uebrige ebenmäßig ist, am behaglichsten.

Abhängigkeit, wirkliche oder erträumte von einem andern Object, erfordert beständige Aufmerksamkeit auf das, was diesem angenehm oder mißfällig ist, und auf das, was es von uns verlangt oder zur Bedingung seiner Gunstbezeigungen gemacht hat.

Trotz alledem aber muß namentlich das Herz einer Frau immer etwas lieben, was ihm Beschäftigung giebt.

Die Idee eines himmlischen Bräutigams, den sie sich unter dem Bilde eines schönen Jünglings denkt, welche Gewalt muß sie über das Gemüth eines Weibes haben, zumal wenn die Entbehrung sinnlicher Befriedigung sie auf mehr als Einem Wege imaginative Befriedigung suchen lehrt!

Ebenso ohngefähr wirkt auf die Seele des frommen Katholiken das Bild der Himmelskönigin mit einem allerliebsten kleinen Knaben auf dem Arm. Man weiß sehr gut, was eine hübsche Jungfrau ist. Aber ein außer- und übersinnliches Wesen, ohne jedwedes der Sinnenwelt entlehnte Bild sich zu denken, das ist's, was über unsern Horizont geht. Die Menschen, durch Sinnlichkeit an diesen Wirbel gefesselt, sind nicht für die Metaphysik geschaffen.

Jede Liebe ist Sehnsucht nach Genuß, also eigennützig. Es ist mir nicht möglich meine Urgroßmutter zu lieben. Sie mag eine brave Frau gewesen sein, aber ich habe sie nie gekannt, nie gesehen; ich weiß nur, daß sie zu den Bedingungen meiner Existenz gehörte.

Mancher Mensch, denn so groß ist der Selbstbetrug, glaubt Gott zu lieben, und kniet nur vor seinem Phantom.

Auf der einen Seite erklärt der Psalmist mit Recht Diejenigen für Thoren, welche sprechen: es ist kein Gott; auf der andern ist's, jener Unumstößlichkeit unbeschadet, gewiß, daß die allermeisten Menschen nur selbstgemachte Idole verehren.

                   

L'homme a dit: faisons dieu! qu'il soit à notre image!
Dieu sût, et l'ouvrier adora son ouvrage!

Der Eine in überfeine Abstractionen verirrt, vergöttert einen relativen Begriff; der Andere betet zu einem Phantasiebilde, der Dritte räuchert einem Objecte der äußern Sinne.

Keine Dogmen, keine Mirakel, keine Ceremonien! Was heißt dies auf deutsch? Keine Ungereimtheiten, keine Lügen, kein Hokuspokus!

Laßt uns den Gesetzen folgen, welche der Urheber der Wesen in unsere Natur gelegt hat.

So wie Ehrlichkeit die beste Politik ist, so ist Gerechtigkeit und Wohlthun die beste Gottesverehrung.

                   

Nihil facimus, non sponte Dei, nec vocibus ullis
Numen eget – – – – –
Estne Dei sedes nisi terra et pontus et aër
Et coelum et virtus? Superos quid quaerimus ultra!

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XL.

Der Antichrist.

In den Werken eines englischen Theologen las ich, die Apokalypse sei per inspirationem suggestionis, das heißt, durch die höchste und vollständigste Art göttlicher Eingebung geschrieben worden. Diese Art der Inspiration schließt nach der Erklärung des britischen Gelehrten nicht blos die übernatürliche Bekanntmachung gewisser Wahrheiten, sondern auch das Dictiren der Worte in sich.

Andere ziehen nicht blos die Inspiration, sondern, was mich recht kränkt, sogar die Apokalypse in Zweifel. Sie sagen, Justin der Märtyrer, den man nicht mit Justin dem Epitomator des Trogus Pompejus verwechseln muß, sei der Erste, der um 270 unserer Aera von diesem sonderbaren Buche gesprochen habe. Dieser schreibt es dem heil. Johannes zu.

Manche Kritiker finden Justin's Zeugniß ein wenig verdächtig, weil er in den nehmlichen Dialogen mit dem Juden Tryphon sagt, daß der Erzählung der Apostel zufolge, Christus, als er in den Jordan gestiegen, das Wasser dieses Flusses erhitzte und kochen machte, wovon wenigstens unsere apostolischen Schriften doch kein Wort vermelden.

Eben dieser Justin citirt – ohne, so viel man gewahr werden kann, roth zu werden – mit vieler Zuversicht die Orakel der Sibyllen. Er behauptet die Reste der Tollhäuser gesehen zu haben, worin die 72 Dolmetscher oder Dragomane zu Herodes Zeiten eingesperrt waren.

St. Irenäus, der nach Justin bezeugte, er habe von einem alten Manne sagen hören, der heil. Johannes sei der Autor der Apokalypse, behauptet, es könne nur 4 Evangelien geben, weil es nur 4 Weltgegenden, nur 4 Hauptwinde gebe, Ezechiel nur 4 Thiere gesehen u. s. f.!

Clemens von Alexandrien kennt blos Eine Apokalypse Sanct Peter's. Er macht viel Aufhebens davon. Leider aber hat sie der gefräßige Zahn der Zeit verschlungen.

Tertullian, ein gewaltiger Freund des tausendjährigen Reichs, belichtet, Johannes der Heilige hätte zu Hersalaim die nahe Ankunft dieses Reichs geweissagt. Ferner bezeugt er, dasselbe fange schon an sich in der Luft zu bilden, und alle Christen von Palästina, ja sogar einige Heiden hätten es vierzehn Tage lang gegen das Ende der Nacht gesehen. Zum Unglück verschwand diese luftige Stadt immer, sobald es Tag ward.

Origenes citirt in seiner Vorrede zum Evangelium Johannes so wie in seinen Homilien die Orakel der Apokalypse; aber er stellt neben ihnen auch die sibyllinischen Bücher auf.

St. Dionys von Alexandria, der gegen die Mitte des dritten Jahrhunderts schrieb, sagt in einem Fragment, das Eusebius erhalten, daß fast alle Lehrer die Apokalypse als ein unvernünftiges Buch verwürfen, und daß der heil. Johannes sie nicht geschrieben habe, sondern Corinth sei der Schöpfer dieser Träume.

Das Concil von Laodicea, welches 360 gehalten worden, zählte die Apokalypse nicht zu den canonischen Büchern. Sonderbar freilich, daß die Kirche zu Laodicea, an welche die Apokalypse gerichtet war, diesen ihr geweihten Schatz nicht annehmen wollte! Gleichwohl entschied sie ex post, daß dieses Werk ein Nachlaß St. Johannis wäre.

Was nun der Verfasser dieser Begeisterungen sah, übertrifft wo möglich noch die Caricaturen des Prinzen von Palagonia im Brydone. Unter andern stößt man auf ein Thier, das 7 Köpfe, 10 Hörner, eine Leopardenhaut, Bärenfüße, einen Löwenrachen und einen Mauleselschweif hat.

Dieser Unkepunz hat den Auslegern und ihrer Heerde, den Lammesbrüdern, viel zu schaffen gemacht. Bossuet bewies, daß es der Kaiser Diocletian sei; Grotius erkannte daran Trajan; die Sorbonne war überzeugt, daß es Julian sein müsse; Jurieu demonstrirte, wie es Niemand anders als Bayle wäre, was der Erzbischof von Paris leugnete, da es nur Voltaire sein könne. Pfälzische Theologen wollten Ludwig XIV. darin erkennen, ein Puritaner den Papst, die Holländer dagegen das Haus Oranien.

Ich überlasse dem Leser, aus der garstigen Bestie zu machen was er will; bis man sich einmal vollständig darüber geeinigt haben wird, kann man auch annehmen, daß es Niemand anders ist als – »Blaubart«.

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XLI.

Aus Nichts Etwas.

Aus Nichts Etwas! Der ungeheuerste und doch nichtigste, undenkbarste Begriff! Begriff? Nein, gar kein Begriff, bloses Wortspiel, ohne Sinn und ohne Ausdruck. Nicht nur Demokrit, auch Epikur und sein Herold Lucrez, ja alle Schulen der Alten, dieser ehrwürdigen Lehrmeister der Philosophie, verwerfen einmüthig jenen Satz. Aus Nichts wird Nichts: Dies Axiom stand an der Spitze ihrer Theorien.

Auch die Allmacht kann nicht aus Nichts Etwas machen. Das Nichts kann kein Gegenstand der göttlichen Ideen sein, welche entweder Etwas vorstellen oder keine Ideen mehr sind. Was der Allmächtige sich nicht denkt, das kann er auch nicht machen, nicht verwandeln.

Wie kann er auf das Nichts wirken und ihm gebieten Etwas zu werden? Wie kann das Nichts seine Stimme vernehmen und seinem Befehle gehorchen? Jede Kraft wirkt entweder auf sich selbst, wenn sie allein ist, oder auf ein anderes Object. Also wirkt sie immer auf Etwas, nie auf Nichts.

Wirkt sie nicht, außer sich, auf andere Dinge, so modificirt sie sich selbst, wirkt, als Substanz, ihre eigenen Accidenzen. Aber aus Nichts Etwas machen, heißt auf das Nichts wirken, das Nichts in Etwas verwandeln. Wie kann man aber auf ein Ding wirken, welches nicht ist.

Aus Nichts Etwas machen ist das größte aller Wunder, oder, was dasselbe ist, die allergrößte, die allerwidersprüchlichste Unmöglichkeit. Doch sind wir, die wir die Schöpfung in diesem Sinne leugnen, nicht Atheisten. Auch die Theologen des Alterthums predigten die Gottheit mit Nachdruck und Würde.

Plato glaubte, kein vernünftiger Mensch konne die Existenz des ewigen Verstandes leugnen, Xenophon, Cicero, Sokrates, Seneca, Aristoteles, Alle erkannten einen unkörperlichen ersten Beweger. Der höchste Gott, sagt Porphyrius, ist unkörperlich und untheilbar. Auch Aristoteles beweist, daß der erste Beweger ewig, unveränderlich, immateriell und ohne Theile sei.

Plato, Plotin, Porphyrius, Jamblichus, Aristoteles lehren die Einheit Gottes. Proclus und Philolaus hielten die Unveränderlichkeit für eine nothwendige Eigenschaft Gottes. Die Ewigkeit Gottes kann nach der Meinung des Proclus nicht bezweifelt werden.

Je nun, wissen die heutigen Denker mehr vom Urwesen als Sokrates, Plato, Aristoteles, Cicero, Porphyr, Plotin und Proclus? Und ist dieses etwaige Mehr zuverlässig?

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XLII.

Bemerkungen zu Spinoza.

Spinoza ist der Erste, der den Atheismus in ein System gebracht und aus der Gottesleugnung ein geometrisches Lehrgebäude gemacht hat. Er ist aber nicht der Erste, der diesen Irrthum erfand. Vor ihm glaubte man längst, daß Gott und die Welt identisch wären, und es scheint, daß dies einst die Religion der Welt war. Von den Stratonikern wissen wir, daß ihre Philosophie keinen andern Gott anerkannte als die Natur. Und der Grundsatz der Stoiker von der Weltseele ist bei Lichte betrachtet nichts anderes als Spinozismus.

 

*            *

 

Giebt es einen Gott?

Meine Vernunft lehrt mir nichts davon, aber meine Empfindung überzeugt mich dessen. Dies ist genug. Gefühl übertrifft alle Vernunft. Es ist wenigstens nichts unmöglicher als daß Alles was ist durch eine Bewegung der Materie entstanden und sich durch eben diese Kraft hält, als durch den Hauch eines unsichtbaren Wesens. Die Natur liefert in der That keinen Beweis von dem Dasein eines Gottes für den Denker; aber alle Beweise für den Menschen. Es ist mithin gewiß, daß er ist. Zwei Gründe streiten sehr für die bejahende Vermuthung: die Zeit und die Ewigkeit. Von beiden hat die Vernunft eben so wenig Begriff als von Gott, und gleichwol ist ihr Dasein unleugbar. Diese Begriffe werden ewig die Metaphysiker in Verzweiflung setzen, weil sie uns durchaus keine klare Einsicht davon zu geben vermögen. Nichtsdestoweniger, fühlen wir ihre Wahrheit. Wie reimt sich Zeit zur Ewigkeit? Wie soll man diese mit einem Anfang vereinen? Undurchdringliche Räthsel! Ging etwa eine andere Welt der gegenwärtigen voran, oder war das höchste Wesen eine Zeit lang gleichsam König ohne Reich? Hierauf zielt das System des Spinoza.

 

*            *

 

Die Menge der Dinge, wovon wir eine physische Ueberzeugung haben, ohne uns einen vernünftigen Begriff davon machen zu können, muß den kühnsten Atheisten überwinden, wenigstens die Möglichkeit einer Gottheit zuzulassen. Hier ist also zum mindesten eine Wahl frei. Laßt uns nun hinzusetzen, daß der Glaube an Gott immer ein ungefährlicherer Irrthum ist als der Atheismus: wie kann man sich dann noch besinnen auf der Seite des Götterdienstes zu sein?

 

*            *

 

Ich weiß nicht, ob ich dem Sterblichen das Glück absprechen soll, einst in das Geheimniß der Natur Gottes zu dringen. Diese Entdeckung hängt vielleicht, wie so viele andere, die uns in Erstaunen gesetzt haben, blos an einem gewissen Faden. Man hat ungefähr sechstausend Jahre das Feuer betrachtet, bevor man seine Natur eingesehen, bevor man es zu zerlegen, zu messen und aufzulösen gelernt hat. Ebenso viele Jahre hielt man es vielleicht für nichts als ein zerstörendes Wesen, bis man entdeckte, daß es der Grundstoff des Lebens, der Erhaltung, der Bewegung ist.

 

*            *

 

Spinoza untersuchte das Dasein Gottes als Vernunftkünstler, nicht als Christ. Als solcher zweifelte er billig daran. Unsere Theologen vermischen die Dinge aber gar sehr, wenn sie behaupten, der Verstand überzeuge uns von dieser Wahrheit. Nicht dieser, sondern das Gefühl thut's.

 

*            *

 

Die Gegeneinanderstellung der Charaktere eines Aristid, Epiktet, eines Marc-Aurel, eines Saladin, eines Helvetius, eines Spinoza u. a. mit denen eines Cromwell, eines Alexander VI., eines Calvin, eines Terray u. s. f. muß doch die Klätscher, welche ewig rufen, daß der Unglaube die Seele des Lasters und der Verbrechen sei, mächtig verwirren.

 

*            *

 

Ich will mich nicht in die Spitzfindigkeiten der Metaphysik mischen: sie gehören nur für jenen Stand, dessen glückliches Vorrecht es ist, Sich Selbst nicht zu verstehen. Aber ich bin fest überzeugt, daß es weit weniger gottlos ist gar keinen Gott zu glauben, als einen theologischen, das ist einen leidenschaftlichen, einen schwachen, einen Mörder der Schöpfung – kurz, einen Gott, der dem Menschen sehr ähnlich ist. Hier ist mein Dogma. Was kümmert mich Spinoza, was kümmert mich der heilige Augustin! Ich bete in der Stille an. Soll ich an einen Gott glauben, der nur Heuchler oder heilige Verbrecher macht? Mein Gott ist der Gott Aristid's, der Gott Sokrates', der Gott Jesus Christs und seines würdigsten Jüngers Ganganelli. Ob ich weiß wie er aussieht, wo er wohnt, was er denkt, das gehört nicht zu meiner Religion. Die Theologen mögen es immerhin wissen. Genug ist für mein Glück, daß er weder wohnt, noch denkt, noch aussieht wie ich und meine Brüder.

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XLIII.

Ewige Existenz.

Zeit, Raum, Dauer, Leben, ihr seid doch weder mehr noch weniger als platte Einbildungswesen. Und du, Urquell der Dinge, dir beliebte es ohne Zweifel mit uns zu scherzen, indem du uns jene glänzende und eitle Täuschung, die wir Leben nennen, als etwas Wirkliches gabst.

In der That, Leben! was ist das? Empfindung, Gedanke! was will man damit sagen? Existenz überhaupt! von welcher Natur bist du? Begriffe! wo seid ihr?

Ach, nirgends als in unserm schwachen Hirn und in unserm thörichten Hange über Alles zu kannegießern, von Allem Raison geben zu wollen. Licht, Finsterniß; Verstand, Dummheit; Leben, Tod – ihr seid, ihr waret nie etwas Anderes als blose Beraubung.

Laßt uns die Augen zudrücken; laßt uns von den Vorurtheilen, die unsere unglückliche Vernunft umnebelten, losreißen; laßt uns, wenn es möglich ist, die traurigen Begriffe, welche uns die Tyrannei unserer Jugend einprägte, verbannen und dafür jenes Naturlicht ergreifen, das mitten unter dem Schulwust in unserer Seele glimmt: was finden wir an uns? Einen Mittelpunkt der verschiedenen Eindrücke, Wirkungen, Bewegung unbekannter uns umringender Dinge, wovon uns unsere Sinne zwar eine Empfindung zu geben scheinen, unser Verstand aber lediglich Nichts aufzuschließen weiß. Blos aus der ewigen Wirkung und Gegenwirkung zwischen diesen Dingen und uns schließen wir auf unser Dasein.

Ich sehe, höre, fühle; mir scheint, es umringe mich eine unendliche Menge Punkte, Körper, Wesen verschiedener Gattung. Das nun nennt sich Leben. Allein es ist blos Täuschung, Schauspiel; denn bevor ich mich auf dem Punkte befand, wo ich jetzt stehe, existirte nichts für mich; und sobald ich wieder verschwinden werde, es sei in Staub, in eine Pflanze, in Dunst etc., so hört die Natur auf für mich da zu sein.

Nicht ganz. Denn bin ich einmal aus dem Nichts hervorgerufen, so können mich selbst die Götter nimmer dahin zurücksenden. Die Welt, wollte ich also sagen, hört nur auf in der gegenwärtigen Art in mir zu wirken. Eine neue Reihe von Dingen nimmt mich auf, wenn mich meine Ahnung nicht täuscht. Vielleicht verdient mein alsdanniger Zustand den Namen Leben.

Bis dahin verhalte ich mich, in das Amphitheater dieser Welt gestellt, bald als Zuschauer, bald als Spieler. Meiner Rolle mir eigentlich unbewußt, folge ich dem Stoße der mich umringenden Wesen. Ich sehe Geschöpfe in dem Elemente, das man Erde nennt, herumschwimmen, eine gewisse Anzahl Augenblicke obenschweben und dann untertauchen. Ich sehe, wie sie in dies Spiel, das sie Leben nennen, sterblich verliebt sind, wie sie es anbeten und nur gezwungen aufgeben.

Aber von andern Betrachtungen geleitet als sie, ahme ich ihre Thorheit nicht nach. Ich suche den kleinen Zwischenraum, den ich auf einen Moment fülle, zu benutzen, indem ich meinen Geist von jener Täuschung zu einer höhern erhebe, zur Betrachtung der Natur. Da liegt sie vor mir, wie der Vorhang zur Scene, auf welchem ich einen Maler – freilich mit Meisterhänden – arbeiten sehe.

Von so viel tausend Wesen, die ich von meinem Standorte aus erblickte, ist nichts mehr übrig. Sie verschwanden. Andere kamen dafür – und verschwanden auch. Nennt sich dies etwa Tod?

Nicht doch. Auch der Tod ist blos Täuschung. Ich habe kein Wesen, selbst das siedende Wasser nicht, ganz verschwinden sehen: es verwandelte sich in Dünste.

Es giebt also weder Leben noch Tod – frappante Wahrheit! Aber es giebt eine ewige Existenz. Alles Uebrige ist blos Uebergang, Illusion. Die immerwährende Reproduction der Dinge, die wir vor unsern Augen gewahren, bewegt mich auch an jene zu glauben, die wir nicht sehen.

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XLIV.

Ueber das Ganze.

Das Ganze sollte einen Zweck haben? Welcher Widerspruch! Sobald das Ganze einen Zweck hat, so ist es nicht mehr das Ganze, nicht mehr das All der Dinge.

Man sehe, wie ich das beweise. Jener Zweck wäre entweder im Ganzen oder außer ihm, das heißt: das Ganze wäre entweder um Sein Selbst willen oder um eines andern Dinges willen da.

Beides ist Unsinn.

Ist im ersten Falle das Ganze um Sein Selbst willen da, so müßte es sich selbst gemacht, selbst mit Absicht zum Sein determinirt haben.

Hat das Ganze im zweiten Falle seinen Zweck außer sich, ist es um eines Andern willen, zum Nutzen oder Vergnügen eines Andern da, so müßte Jemand, der außer dem Ganzen ist, das Ganze gemacht, das heißt es zu irgend einem Endzweck geschaffen haben. Aber wenn etwas außer dem Ganzen ist, dem es wie ein Mittel dem Zweck untergeordnet worden, so ist eben das Ganze nicht mehr das Ganze, nicht mehr der Inbegriff alles Wirklichen.

Unter dem Ganzen verstehe ich die unendliche Collection aller Individuen. Jedes ist ein durchgängig Bestimmtes, also endliches Ding, jedes rückwärts auflösbar in eine unendliche Reihe von Ursachen, vorwärts in eine endlose Reihe von Wirkungen. Ein unendliches Individuum, eine unendliche Person ist ein completer Widerspruch. Persönlichkeit schließt Individualität, diese aber durchgängige Bestimmung, Endlichkeit in sich.

Uns ist es ewig unmöglich, irgend eines Dinges zureichenden Grund ganz und durchaus zu kennen. Wir würden ihn in den unendlichen, innigst verknüpften Reihen aller successiven und simultanen Dinge, in dem untrennbaren Zusammenhang aller Wesen finden, deren jedes Ursache und Wirkung zugleich ist, jedes auf nähere oder entferntere Art den zureichenden Grund eines jeden Erfolgs bilden, ergänzen hilft.

Auch Ich bin, sofern ich wirke, ein Theilchen vom zureichenden Grund der Weltbegebenheiten. Und insofern ich leide, von andern Dingen gezeugt, genährt, erhalten werde, eine Folge meines zureichenden Grundes.

Absicht können nur endliche Dinge haben. Wer eine Absicht hegt und sie zu erreichen strebt, der stellt sich irgend ein Gut vor und begehrt es. Es muß ihm also fehlen, er muß Mängel, Bedürfnisse haben, das heißt eingeschränkt sein.

Oder, er stellt sich ein Uebel vor, und bemüht sich ihm zu entgehen, einen ihm nachtheiligen Erfolg zu verhindern. Er muß sich also doch vor etwas fürchten, muß seine Eingeschränktheit, seine Abhängigkeit von Außendingen fühlen.

Wie reimt sich das zum Begriff eines vollkommenen Urwesens, über dessen Dasein ich nicht streite?

Wer sich der Mühe unterzieht, alle diese Sätze zu überdenken, wird mir Beifall geben. Nur muß man die Kette meiner Schlüsse nicht verstümmeln, kein Glied überspringen, das zur Schlußfolge mitwirkt

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XLV.

Analysis principiorum.

Wenn wir die natürlichen Körper in ihre einfachsten Bestandtheile zerlegen – insoweit dies nämlich durch die Kunst möglich ist – so finden wir für's Erste, daß diese einfachen Theile von ursprünglich verschiedener Art sind, daß es also ursprünglich verschiedene Geschlechter von Materie giebt, und zweitens, daß diese durch Kunst abgesonderten Elementartheile vermöge eigner Kraft und eignen Triebes sich nähern und miteinander verbinden.

Diese Verbindung geschieht mit einer gewissen Wahl. Ein gewisses Geschlecht von Materie verbindet sich lieber mit diesem als mit jenem Geschlecht. Und so oft es eine Verbindung blos aus Mangel einer ihm angenehmern eingegangen hat, läßt es bei nächster Gelegenheit solche wieder fahren und wählt die ihm behagende.

Alles das beweisen hunderte von Versuchen der Chemie, und kein geübter Scheidekünstler wird es jemals leugnen.

Also bewegen sich die einfachsten Grundtheile aus innerer, eigener Kraft; sie suchen mit Begierde Verbindung, sie haben mit Einem Worte ewige Triebe.

Sie ziehen eine Verbindung der andern vor, folglich haben sie Neigung. Triebe und Neigung lassen sich aber ohne Gefühl oder Empfindung nicht denken, und also hat die Materie Empfindung.

Was sich jedoch aus eigener Kraft bewegen kann, Triebe, Neigung und Empfindung hat, das lebt. Die Materie lebt also, und das Leben ist eine wesentliche Eigenschaft der Materie.

Diese a posteriori gefundene Eigenschaft der Materie hätte sich auch a prori finden lassen; denn wir sehen, daß Pflanzen und Thiere leben, die aus materiellen Theilen zusammengesetzt sind. Und wie kann eine Kraft aus der Zusammensetzung resultiren, welche nicht schon in den Theilen liegt?

Bei den Pflanzen, beim Thier sehen wir also blos Summe des Lebens, der Urpartikel, die natürlich größer, in die Augen fallender sein muß, als das Leben eines Einzelnen. Wenn sich nämlich Elemente ihren Trieben gemäß vereinigen, ineinander zu einem gemeinschaftlichen Zweck wirken, so sehen wir ein Ganzes, dessen Leben wir nunmehr bemerken können: eine Pflanze, ein Thier. Sind hingegen die Grundtheile blos verbunden – nicht zu gemeinsamem Zweck, sondern zufällig, so nennen wir diese Verbindung leblos. Wir bemerken das Leben der einzelnen Theile nicht.

Man kann sich ein Element am besten unter dem Bilde eines einzelnen Bürgers, die Pflanze und das Thier aber unter jenem eines Staates vorstellen. Hier ist die Kraft ohnstreitig größer, wirksamer, augenscheinlicher als dort.

Ob indeß diejenigen Grundtheile, welche, wie ungefähr der Regent im Staate, die andern gewissermaßen beherrschen, ursprünglich edlerer Art sind als die übrigen, oder ob es hier wie in der bürgerlichen Gesellschaft hergeht, daß häufig der Schlechtere zum Regiment gelangt, so weit bin ich in meinen Erfahrungen über die Chemie der Seelen noch nicht gekommen.

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XLVI.

Die Elemente.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß es, wie Gassendi, Newton, Boerhave, Diderot u. A. lehren, ursprüngliche, unzerstörbare Atome oder unveränderliche Elemente der Körper giebt, die keiner Auflösung weiter unterworfen sind.

D'Alembert sagt im Eloge de Bernoulli, wie soll man sich einen Begriff von der Materie machen, wofern man den Grundtheilen, woraus sie zusammengesetzt ist, keine ursprüngliche und angeborne Dichtheit einräumt?

Man kennt auch Maupertuis' Behauptung im Essai de Cosmologie: die ersten, die einfachen Körper, welche die Elemente aller andern sind, müssen hart, unbeugsam, unveränderlich sein.

Aus reinem Gold konnte man nie etwas Anderes als Gold herausbringen. Reines Quecksilber gab nie etwas Anderes als Quecksilber. Reiner Sand, reines Wasser konnten nie in eine andere Art von Wesen verwandelt werden. Pflanzen und Thiere, sagt ein Chemiker, sind aus primitiven Elementen zusammengesetzt, die sich nie auflösen.

Diese unveränderlichen Wesen sind die Grundtheile der Körper. Jedes Element hat seine eigene, inalterable Natur. Um das Gegentheil behaupten zu können, müßten wir Transmutationen gesehen haben. Ist es im gegenwärtigen Zustande dieser einmal geordneten Welt möglicher Küchensalz in Schwefel, Wasser in Erde, Luft in Feuer, als Tintenpulver in Gold zu verwandeln?

Wenn die Menschen Verwandlungen zu sehen glaubten, wurden sie da nicht vom Sinnenschein getäuscht wie Diejenigen, denen die Sonne um die Erde zu laufen schien?

Voltaire bemerkt, eine Metamorphose im strengsten Sinne sei ein Widerspruch. Sollten die primitiven Theile des Salzes in Elemente des Goldes verwandelt werden, so müßte man die Salztheilchen zernichten und an ihrer Stelle Goldpartikel erschaffen. Das wäre denn ein doppeltes Wunder.

                   

Tout genre est limité, setzte Friedrich II. hinzu, dans son petit circuit,
D'un pepin de pommier l'arbre se réproduit;
Mais jamais ce pepin ne produira des roses:
Les éffets sont toujours les esclaves des causes.

Sollen die Grundtheile unverändert bleiben, so müssen sie vollkommen solid sein. Folglich behalten sie immer einerlei Figur. Also können sie nicht andere Elemente werden, weil sie sonst andere Figuren annehmen müßten. Mithin ist es in der gegenwärtigen Verfassung der physischen Welt unmöglich, daß das zur Bildung des Salzes dienende Element in ein Element des Mercurs verwandelt wird.

Wäre, sagt ein Erläuterer Newton's, das Gold in seinen Grundtheilen vom Eisen nicht wesentlich verschieden, noch die Pappel von der Eiche, so würde die Verwandlung der Dinge unschwer sein. Aber das würde die Alteration der Arten und die Zerstörung der Welt nach sich ziehen.

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XLVII.

Ueber den Ursprung der Natur.

Zuvörderst erkläre ich, daß es mir noch nie eingefallen ist, die Existenz einer ewigen, unabhängigen Grundursache der Welt, eines durch die ganze Natur sich äußernden Verstandes zu leugnen.

Allerdings finden wir in der Natur eine Ordnung und Uebereinstimmung unter manchen, wie es aber scheint doch nicht aus absoluter innerer Nothwendigkeit zusammenhängenden Dingen, welche den Werken eines nach Plan und Absicht wirkenden Verstandes so ähnlich, daß man einen Verstand als ihre Ursache anzunehmen genöthigt ist.

Mein Angriff ist nur gegen den Anthropomorphismus in der Theologie und gegen die nichtserklärende, an sich selbst eben so unerweisliche als unbegreifliche Lehre von der Schöpfung aus Nichts gerichtet. Ich habe übrigens nichts dagegen einzuwenden, daß man aus dem Bau der Pflanzen, Thiere u. s. w., wo uns gewisse absichtliche Beziehungen und Zwecke einzuleuchten scheinen, das Dasein nicht blos einer bildenden Kraft, sondern auch eines ordnenden Verstandes zu beweisen sucht.

Was die Wunder hingegen betrifft, so scheinen mir diejenigen, welche der höchsten Grundursache der Naturgesetze zugeschrieben werden, nichts Geringeres als ein Widerspruch zu sein. Ein im strengen Sinne genommenes Wunder kann ich mir für nichts Anderes als eine Störung irgend eines als beständig erkannten Naturgesetzes und also für nicht weniger als Umkehrung der ganzen Ordnung der Dinge denken.

Aber eben nur für diese Ordnung und dieses regelmäßige System von Gesetzen und Kräften suchen wir eine Ursache auf. Und wie sollte diese Ursache jene in ihr zuletzt gegründete Ordnung selbst stören, das heißt ihrer eigenen Natur entgegenwirken können? Solche Ordnung ist entweder die einzigmögliche oder die bestmögliche. Im ersten Falle ist keine Aenderung möglich, Alles ist nothwendig. Im zweiten Falle kann diese Ordnung abermals keinen Zusatz, keine Abänderung, keine Verbesserung erhalten. Jedes Wunder setzt entweder ein neues Glied in die Kette der Dinge, oder nimmt ein Glied heraus. Das Erste findet nicht statt, weil die Kette nirgends unterbrochen ist, nirgends Lücken hat, und also keiner Ergänzung bedarf. Das Andere ist ebensowenig denkbar. Es würde die Kette zerreißen, den allgemeinen Zusammenhang trennen, ohne welchen die Welt kein Ganzes wäre.

Wenn Gott sich Dinge in ewigen Urbildern denkt, so denkt er sich B als die Folge von A nie ohne A, den Grund von B nie ohne B. Denn er kann sich den Grund nicht ohne seine Folge, die Folge nicht ohne ihren Grund vorstellen. Also bringt er auch B nie ohne das ihm vorhergängige A, das heißt nie außer der Verknüpfung hervor, worin die Urbilder von A und B in seinem unwandelbaren Verstande stehen. Hier giebt es keine isolirte Wahrheit, Alles ist inniger Zusammenhang, Ein allumfassender Gedanke. –

» Je vous proteste devant Dieu, que ni moi, ni les theologiens sachent la moindre chose de l'origine de la nature.« So spreche ich mit dem redlichen Philosophen, der dies sagte.

»Weil, wie die Erfahrung lehrt, vernünftige Wesen nur von ihres Gleichen, nämlich von andern vernünftigen Wesen hervorgebracht werden, so muß der erste Urheber aller vernünftigen Wesen selbst ein vernünftiges Wesen sein.«

Dies seichte Geschwätz ist das große Argument bannal unserer Gotteslehrer.

Eben die Erfahrung, welche beweist, daß in der Welt vernünftige Wesen nur von andern vernünftigen Wesen gezeugt, nicht geschaffen werden, lehrt auch, daß unvernünftige Thiere ihr Dasein nicht den vernünftigen Wesen, sondern andern eben so unvernünftigen Thieren zu danken haben; daß Pflanzen, als empfindungslose Körper, aus dem Samen anderer Pflanzen, welche ebensowenig Empfindung und Bewußtsein haben, entstehen.

Der Ursprung aller vernünftigen Individuen von einem einzigen vernünftigen Individuum herzuleiten ist bei weitem so natürlich nicht als die Annahme einer anfangslosen unendlichen Reihe von Zeugungen in jedem Geschlecht. Denn erstlich müßte jedes vernünftige Individuum, welches andere hervorgebracht hat, ewig, ohne Anfang, selbst nie entstanden sein, was gegen den Begriff eines Individuums streitet, den wir aus allen unsern Wahrnehmungen in der wirklichen Welt abziehen können; und zweitens würden wir hier keine Zeugung, welche allezeit Eier, Samen oder Abgabe gleichartiger Theile fordert, sondern Schöpfung annehmen müssen, wovon es einmal in der Erfahrung kein einziges Beispiel giebt, und wovon wir uns zum andern gar keinen Begriff, woraus die Möglichkeit der Sache erhellt, machen können. Wer also eigentliche Schöpfung annimmt, der erdichtet eine Hypothese, deren Möglichkeit unbegreiflich, und die man also auch zum Erklären und Verstehen des Weltdaseins gerade so wenig als das Wort Abracadabra brauchen kann: eine Hypothese, die keine Erfahrung unterstützt, kein analoger Fall wahrscheinlich macht.

»Weil zur Erklärung des Weltsystems Verstand gehört, so muß er auch bei der Hervorbringung desselben gewaltet haben.«

Ist je ein Paralogismus handgreiflich, so ist es dieser.

Etwas erklären setzt voraus, daß man von der zu erklärenden Sache einen Begriff hat. Erklären ist ein Act des Verstandes. Das kann nicht vom Hervorbringen behauptet werden. Wir haben sogar in der Natur, soweit menschliche Erfahrung reicht, unendlich mehr Beispiele von Hervorbringungen durch mechanische, absichtslos wirkende Kräfte, als Productionen, welche Entwurf und Absicht voraussetzen.

Die Production der unzähligen Körper des Mineralreichs hängt von der Bewegung, Addition, Attraction und Cohäsion solcher Stoffe ab, die sich weder ihres Daseins noch der Resultate ihrer Zusammensetzung bewußt sind. Man begebe sich in das Pflanzenreich: was wir bildende oder hervorbringende Kraft nennen, kommt den Pflanzen unstreitig zu. Aber sie werden dieser Kraft beraubt, wenn man gewisse Theile derselben verstümmelt. Also muß jene hervorbringende Kraft im Organismus der Pflanzen ihren Grund haben, nicht jedoch in einem besondern geistigen, die Pflanze belebenden Wesen. Indem die Pflanze aber ihres Gleichen hervorbringt, ist sie sich dieser Wirkung nicht bewußt, sie kennt die Natur und Beschaffenheit ihrer Säfte nicht. Diese Säfte und Bestandtheile bilden, indem sie ihrer Natur gemäß wirken, eine neue Form, die der ursprünglichen Form der Mutterpflanze darum ähnelt, weil ähnliche Stoffe, die sich nach einerlei Regel und auf einerlei Art bewegen, nothwendig auch ähnliche Resultate oder Producte geben müssen.

Darin ist nichts Wunderbares, nichts Unbegreifliches.

Gewisse Leute sehen indeß überall in der Natur Wunder, welche lediglich in ihrer durch die theologischen Romane erhitzten Einbildungskraft existiren, blos um diese vermeintlichen Wunder einem unsichtbaren und unbegreiflichen Geiste zuschreiben zu können. Ein solcher ist ihren platonischen Träumen zufolge der Beweger des ganzen Weltalls.

So schreibt der rohe Wilde die Bewegung einer Uhr, weil er ihren Mechanismus nicht kennt, einem ihr beiwohnenden Geiste zu. Muß das Thier, indem es seines Gleichen hervorbringt, die Regeln vom Bau eines animalischen Körpers und die Theorie der Zeugung verstehen? Es übt eine lediglich physische Handlung aus, deren Erfolg es nicht vorhersieht.

Der Pescheräh macht ein Kind, ohne von der Structur des menschlichen Körpers und von der Art, wie ein Mensch gebildet wird, nur die mindeste Kenntniß zu besitzen. Offenbar ist's, daß die Vernunft an der Bildung der organischen und unorganischen Wesen keinen Antheil hat.

Nur an der Entstehung der Kunstwerke hat sie ihn. Kunst ist aber eine Nachahmung der Natur, und der Nachahmer, der Künstler, muß von dem Original, das er in der Nachbildung zu erreichen oder zu übertreffen sucht, eine Idee haben. Gleichwol würde die Vernunft eines Michel Angelo, eines Claude Lorrain, Salvator Rosa oder eines Correggio weder eine Bildsäule noch ein Gemälde hervorbringen, wenn die Künstler nicht zugleich Hände, Meisel oder Pinsel gehabt und mithin bei der Hervorbringung ihrer unsterblichen Werke körperliche Kräfte angewendet hätten.

Den Gedanken vor das Gedachte setzen, Begriffe den Dingen vorhergehen lassen, ist eine Marotte unserer Deisten. Der Geist muß ihrer Ansicht zufolge älter sein als die Materie, das Denken älter als Ausdehnung und Bewegung. Giebt es aber ein Denken ohne Ausdehnung? eine Seele ohne Körper? Sind Perceptionen ohne Bewegung noch etwas? Kann es ein Denken ohne Succession der Begriffe, Vernunft ohne Gedächtniß, ein Gedächtniß ohne Körper geben?

Spinoza leugnete es ausdrücklich. Und wer tief genug nachdachte, muß ihm wenigstens darin Recht ertheilen.

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XLVIII.

Mein kleiner Katechismus.

Die bewegende Kraft in der Natur, die Seele der Welt, kann nicht geleugnet werden. Man nenne sie Gott – und er ist da; man nenne sie Natur, insofern solche thätig ist – und es ist nichts verloren. Dort vereinigen wir uns mit der Sprache der Theologen, hier mit der der Philosophen.

Es ist Etwas – unwiderstehbare Wahrheit! Es muß von Ewigkeit her Etwas gewesen sein (vom Nichts zum Etwas giebt's keinen Uebergang) – unaufhaltbarer Schluß!

Aber Was ist's? Hier liegt der Sperrbaum, vor welchem die Simonide und Helvetius' still stehen.

Du denkst, Mensch: – aber erst seit Kurzem. Warst Du nun nicht immer ein denkendes Wesen, wo ist nun der Beweis, daß Du es immer bleiben wirst? In Deiner Perfectibilität? Aber man setzt ja unserer Organisation Grenzen. In der Analogie der Natur? Aber wir kennen ja kein einziges Wesen, welches den einmal erreichten Grad seiner Vollkommenheit nicht verlöre: aus dem Embryo wird ein Kind, aus dem Kind ein Jüngling, aus dem Jüngling ein Mann, aus dem Mann ein Gelehrter oder ein Narr, aus beiden wieder ein Kind. Die träge häßliche Raupe verwandelt sich in einen Schmetterling, den Stutzer im Insectengeschlecht, nie aber in einen Adler.

Wie? Der Sprung ginge also rückwärts? So ist es! Der Schmetterling kehrt, wenn er einige Zeit den Kohl oder die Blume umflattert hat, wieder zu den Elementen zurück (das heißt in den Staub), woraus er entstand.

Seht da das Räthsel. Alles dreht sich im Kreise, Nichts aufwärts. Ueberall ist nur Metamorphose. Das unbekannte Etwas allein ist erhaben, selbstständig, unveränderlich.

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XLIX.

Ueber den Ursprung des Menschengeschlechts.

Die Philosophie, diese Aeußerung der Vernunftfähigkeit, welche den Menschen von den übrigen Thieren unterscheidet, beschränkt sich nicht auf das Gegenwärtige, sie wirft auch einen spähenden Blick in die Vergangenheit, und wagt mehr oder minder wahrscheinliche Muthmaßungen über die Zukunft. Diese Muthmaßungen nun sind um so glücklicher, je besser sie die Gegenwart versteht. Mit einem Worte: Die Philosophie erklärt und weissagt.

Aber so wie sie sich mit der Erforschung beschäftigt, was die Dinge in dem uns allein erkennbaren Verhältnisse zu uns sind, kann sie sich der so natürlichen Neugierde nicht erwehren auch zu fragen, woher sie sind. Nur wenig ist uns hievon zu wissen vergönnt. Dieses Wenige jedoch zu erforschen ist eine der interessantesten Arbeiten, womit der Philosoph, das heißt, der Beobachter der Natur und der Menschen, sich beschäftigen muß.

Woher das menschliche Geschlecht? Bewohnte es von allen Ewigkeiten her diesen fast kugelrunden Klumpen von Mineralien? Oder hat sein Dasein irgend einmal angefangen? In diesem Fall: war das Ei älter oder die Henne? Dunkler Abgrund, in dessen Tiefe der Philosoph schwindelnd sieht!

Was mich bewegt, gegen die Ewigkeit des menschlichen Geschlechts zu sein, will ich hier eröffnen. Erstens scheint es mir, daß wenn Menschen von Ewigkeit her diesen Globus bewohnt hätten, so müßte die Zahl der schon Verstorbenen unendlich sein. Dies aber dünkt mich ein Widerspruch. Diese Zahl wächst noch täglich an, ist jetzt um viele tausend Einheiten größer als sie vor einem Jahrtausend war, und wird nach Jahrtausenden noch größer sein als sie jetzt ist.

Mir kommt also vielmehr vor, sie müsse trotz ihrem unaufhörlichen Zuwachse immer schon unendlich gewesen sein. Denn wäre sie je endlich gewesen, so hätte sie durch keinen endlichen Zusatz von Einheiten, den sie von einem gegebenen Zeitpunkte an bis auf den heutigen Tag erhalten hätte, unendlich werden können. Eine Zahl aber, die immer schon unendlich war und doch immer vermehrt wird, scheint kein geringerer Widerspruch zu sein als der Satz der Theologen: 3 = 1.

Ist nun die Zahl der Menschen, welche vor uns gelebt haben, endlich, so kann man nicht umhin sich in der Reihe der successiven Zeugungen im menschlichen Geschlecht einen Anfang zu denken. Dieser Satz, der bisher aus Zahlenbegriffen erwiesen ist, erhält eine neue Bestätigung dadurch, daß das Wasser irgend einmal die Oberfläche des Globus bedeckt hat, und daß die Fische ihn eher als Menschen bewohnt haben. Den Beweis giebt die Naturgeschichte der Erde.

Gewiß ist dieser Planet Jahrtausende hindurch eine Wassersphäre gewesen. Die Zeit, welche Alles verwandelt, und Bataver in Sümpfe setzt, wo ehemals Frösche lebten, erhob einen Theil der Oberfläche dieser Kugel über den Allozean und trocknete ihn zum Wohnplatz der Menschen und Ameisen.

Man sieht also, daß die Erde nicht immer geeignet war Landthiere zu beherbergen. Unsere Urväter können nie wie Krabben und Krebse im Meere gelebt haben; ebensowenig auf den kahlen Alpenspitzen, welche der Fluch der Natur mit allen Schrecken der Unfruchtbarkeit und eines ewigen Winters drückt. Diese Klippen können nicht das Asyl der Elephanten und Nashörner gewesen sein, welche der kalte Hauch der Luft auf Alpen und Cordilleren tödten würde.

Woher nun jene Urmenschen, welche selbst keine Eltern hatten? Epikur's Physik ist falsch und Lucrezens schöne Verse können sie nicht retten. Aus dem ungefähren Zusammenstoß lebloser Atome den Ursprung organisirter und empfindender Wesen erklären wollen ist Unsinn.

Unsere Stammeltern sind ebensowenig wie Schwämme aus der Erde hervorgewachsen. Wären Menschen aus Deukalion's Steinen entstanden, so müßte dies alte Wunder auch jetzt noch erneuert werden. Denn wenn die Welt ewig, nothwendig und unveränderlich ist, so ist dies ihre Natur auch, und sie hätte jene zeugende und bildende Kraft nie verlieren können, wenn sie je dieselbe wirklich besessen.

So wenig es aber der gesunden Physik gemäß ist zu glauben, daß mitten im Ocean eine wilde Insel sich selbst mit Menschen bevölkern könne, so wenig darf der Philosoph annehmen, daß der Globus – der sicherlich einmal eine wüste Insel mitten im ungeheuren Luftocean gewesen – seine ersten zweibeinigen Bewohner aus seinem Schoße gleich Pilzen hervorgetrieben habe.

Ein berühmter Forscher sagt: »Alle verschiedenen Theilchen mineralischer Körper, welcher Art sie immer sein mögen, sind todt; Unfruchtbarkeit und Grabesstille herrscht, wo nur Mineralien nackt und unbekleidet liegen.« Wie wenig geschickt war also die Erdmasse, die Zeugerin und Mutter der ersten Lebendigen zu sein.

Laßt auch sogar durch ungefähre Bewegung und Zusammensetzung gewisser Theile des Erdballs eine menschenähnliche Statue gebildet werden. Noch immer ist es kein Mensch, nur seine Figur. Prometheus muß Feuer vom Himmel holen und diesen Thon beseelen, wenn er zu Leben und Selbstgefühl erwachen soll.

Keine Physik, kein Mechanismus erklärt uns also den Ursprung der ersten Lebendigen. Für uns bleibt deren Entstehung immer ein Wunder, obgleich Wunder in dem einmal geordneten Lauf der Natur zuzugeben Unphilosophie und Mißkennung jener unwandelbaren Gesetze sein würde, nach welchen Jupiter seine Welt regiert.

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L.

Unsere Urahnen.

Wahrlich, das ist doch sonderbar, daß man immer noch dem alten Moses nachbetet, zwei Menschen hätten das ganze Geschlecht hervorgebracht!

Er selber rühmt sich nicht, Gott habe ihm dies Geheimniß geoffenbart. Und wenn er es sagte, sind wir Christen einem alten hebräischen Gesetzgeber blinden Glauben schuldig? Ist seine Versicherung allein schon Beweises genug selbst für Dinge, welche miraculös oder außer der Natur sind?

O Armseligkeit, ewig an jüdischen, das heißt absurden Begriffen und Vorstellungsarten hängen zu bleiben! Dank denen, welche das Vorurtheil vom Ursprunge des Menschengeschlechts aus einem einzigen Paare zu zernichten streben!

Statt die Gründe für die Mehrheit primitiver Menschenracen zu wiederholen, wollen wir in Kürze ein Argument prüfen, welches man aus dem Gesetze der Sparsamkeit für den Satz hergeleitet hat, daß nur ein Menschenpaar ursprünglich geschaffen worden wäre.

Man sagt, es sei der Gottheit unangemessen, Mirakel zu vervielfältigen. Mehrere Menschenpaare an verschiedenen Orten erschaffen bedeute mehrere Wunder thun.

Nicht doch! Die simultane Schöpfung von tausend Menschenpaaren, welche theils in Afrika, theils in der großen Tartarey entstehen, ist nur Ein Wunder, nur Ein Act des allmächtigen göttlichen Willens. Wenn Gott will, könnte ein Deist sagen, daß hunderttausend Menschen entstehen sollen, so entstehen sie. Dies ist nur Eine Handlung der Allmacht.

Aber, wendet man ein, was durch Weniger geschehen kann, muß nicht durch Mehr geschehen. Alle Menschen konnten von einem einzigen Paare stammen, mehrere Paare von Urmenschen waren mithin überflüssig.

Dies sollte ich jedoch gerade nicht meinen. Denn welche unzählige Gefahren bedrohten nicht die unsichere Existenz eines einzigen Menschenpaares, das mit so vielen Raubthieren zugleich die Erde bewohnte! Die Erhaltung dieses einzigen Paares wäre ein neues Wunder gewesen.

Weit sicherer erreichte die Gottheit ihren Zweck, wenn sie viele Menschen zugleich schuf. Gingen dann durch den natürlichen Lauf der Dinge auch verschiedene unter, so blieb doch immer noch Etwas davon am Leben, und die Bevölkerung der Erde – ohne Zweifel eine der göttlichsten Absichten – ging geschwinder und sicherer von statten.

Aber, sagt man, was helfen alle Gründe a priori? Streitet doch das Zeugniß der Geschichte für den Satz: Alle Menschen sind Urenkel Eines Mannes und Einer Frau.

Welch' ein Zeugniß! Blos das der hebräischen Traditionen, womit die Leichtgläubigen noch immer die Weltgeschichte anfangen! Man weiß ja, daß in den Annalen aller Völker stets das erste Capitel fabelhaft ist. Konnten denn nicht mehrere Menschenhaufen in weiter Ortsentfernung und anfänglich ohne alle Verbindung mit einander leben, also daß der eine nie von der Existenz des andern wußte?

Somit hielt sich jedes Menschenhäuflein für das einzige.

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LI.

Zur Dämonologie.

»Nego, spiritus miracula posse patrare, id est,
quae fieri per leges naturae, corporumque vires
nequeunt, efficere, cum simplex eorum natura
non sit corporibus movendis idonea.«

Geister sind der Erklärung des Cartesius zufolge, der besten die wir haben, einfache, unkörperliche, denkende Wesen: einfach – denn wären sie zusammengesetzt, das heißt, hätten sie Theile außer Theilen ( partes extra partes), so würden sie ausgedehnt sein; sie hätten also mit den Körpern eine wesentliche Eigenschaft gemein; mithin hätten sie das Wesen der Körper, also wären sie selbst Körper. Aber von den Körpern eben will man sie unterscheiden. Sie in körperliche Wesen verwandeln heißt sie gänzlich leugnen. Unkörperlich müßten sie sein, wenn sie sind, das heißt auch von den Elementen der Materie verschieden, insofern man letztere sich zwar in einem gewissen Sinne als einfach, aber doch nicht ohne alle Ausdehnung und Figur und Schwere vorstellt. Ferner denkend – denn ein ideenloses Ding wird man, es sei auch sonst was es wolle, doch nie einen Geist nennen. Denken und Wollen machen sogar für uns die ganze Natur eines Geistes aus, da es uns stets unmöglich sein wird, in unserer Seele, von welcher wir den Begriff des Geistes zuerst abstrahirt haben, außer den Gedanken und Begierden etwas wahrzunehmen. Denn was die dunkeln Vorstellungen betrifft, das heißt Vorstellungen, welche man hat ohne sich ihrer im mindesten bewußt zu sein, so eignet man diese auch den Seelen der für unvernünftig gehaltenen Thiere und sogar den Leibnizschen Elementen der Körper zu, welche doch Niemand zu den Geistern zählt. Vermögen zu deutlichen Begriffen und wirkliches Selbstbewußtsein bleibt immer der unterscheidende Charakter eines Geistes.

Laßt uns nun zusehen, ob aus diesen in obiger Erklärung ausgedrückten Eigenschaften des Geistes – Einfachheit, Unkörperlichkeit, Denken und Wollen – etwa die Möglichkeit, daß er Körper bewegen, das ist, Veränderungen in der materiellen Welt hervorbringen könne, begriffen werden kann.

Zuerst wollen wir den Begriff der Einfachheit vornehmen, die man als wesentliche Eigenschaft eines Geistes anzusehen pflegt.

Obgleich das Wort einfach etwas Positives anzuzeigen scheint, so ergiebt sich doch bei näherer Erwägung gar bald, daß diese Einfachheit, weit entfernt eine positive, den Dingen an und für sich zukommende und an ihnen wahrnehmbare Beschaffenheit zu sein, nichts als Verneinung aller Zusammensetzung, und nur ein negativer Begriff in unserm Verstande, oder ein Wort ist, das nur die Abwesenheit der Theile und körperlichen Beschaffenheit ausdrückt, ohne denselben etwas Positives und für uns Vorstellbares zu substituiren. Man sieht also auch ein, daß dieser negative Begriff keine Kraft, oder kein besonderes Vermögen anzeigt, welches dem als einfach gedachten Dinge, das heißt dem Dinge, von dem alle Zusammensetzung verneint wird, zukäme. Vielmehr ist es klar, daß mit allen körperlichen Theilen und Beschaffenheiten zugleich körperliche Kraft, das heißt vis motrix, verneint wird. Denn diese Kraft entspringt aus dem Wesen der Körper, und diese lassen sich so wenig ohne alle Bewegung als ohne Ausdehnung denken. Es ist ein auf trüglichen Sinnenschein und unrichtige Beobachtung gegründeter Wahn, daß die Materie sich gegen Ruhe und Bewegung gleichartig verhalte, daß eine äußere, das heißt von aller Materie verschiedene Ursache sie ihrem natürlichen Stande der Trägheit und Unwirksamkeit entreißen und in Bewegung setzen müsse. In allen Körpern, selbst den leblosen, die unter unsere Beobachtung fallen, entdecken wir durch anhaltende exacte Observationen eine Tendenz zur Bewegung, die nie ohne allen Effect sein kann. Man räume die Hindernisse, die von der Gegenwirkung anderer Körper entstehen, aus dem Wege, und der Stein, den bisher ein anderer fester Körper unterstützte oder trug, wird fallen, mithin sich bewegen. Kein Theilchen des Weltgebäudes ist auch nur einen Augenblick in absoluter Ruhe. Eine so allgemeine, durch das ganze Weltgebäude sich äußernde, seit unzähligen Jahrtausenden her dauernde Bewegung – deren Gegentheil man nirgends und niemals wahrgenommen hat und nie wahrnehmen kann – sollte man nicht als den natürlichen Zustand der Materie, als etwas betrachten dürfen, das von ihrer Existenz unzertrennlich ist? Man kann bewegte Körper betrachten, insofern andere Körper durch den Stoß, dessen nur Körper fähig sind, in sie wirken, oder insofern sie von Kräften getrieben werden, deren Ursachen uns unsichtbar sind, obgleich die größten Philosophen mit Recht dafür halten, daß es ebenfalls subtile, stoßende Materien wären. Ein Billardball, der den andern forttreibt, ist ein Beispiel der ersten Art, und ein fallender Stein, den die Schwere mit accelerirter Bewegung nach der Erde zu stürzt, ein Beispiel der zweiten Art. In keinem Falle aber hat ein einfaches Wesen – in derjenigen Bedeutung des Worts, die es in der modernen Metaphysik zu haben pflegt – zu Massen, sie mögen groß oder klein sein, das mindeste Verhältniß. Stoßen, Drücken, Ziehen u. dgl. kann nur Körpern und Atomen, nicht einfachen Dingen, die weder Ausdehnung noch Größe, noch Figur, noch Ort, noch Gewicht u. dgl. haben, prädicirt werden.

Eben das gilt, wenn wir statt des Begriffes des Einfachen den des Unkörperlichen setzen. Aristoteles suchte die Ursache der Bewegung in einem unkörperlichen und unbeweglichen Ersten Beweger, wofür ihm Maupertuis im » Essai de Cosmologie« den begründeten Vorwurf machte, es sei dies von ihm nur deshalb geschehen, weil er nicht gewußt habe, wo er die Ursachen der Bewegung hinthun solle.

Da wir also aus denjenigen Eigenschaften des Geistes, die wir Einfachheit und Unkörperlichkeit nennen, seine Fähigkeit die Materie zu bewegen und in der Körperwelt Veränderungen hervorzubringen nicht ableiten konnten, indem jene Wörter blos negative Begriffe, welche keine Kraft oder besonderes Vermögen enthalten, bezeichnen, so wollen wir zusehen, ob wir die bewegende Kraft, die von Einigen dem Geiste – entweder einem oder mehreren – zugeschrieben worden, in dem Denken und Wollen, als die einzigen positiven Eigenschaften des Geistes entdecken können.

Zuerst ist es gewiß, daß wir den Begriff des Denkens blos aus der Wahrnehmung unserer eigenen Gedanken abstrahirt und auf vorausgesetzte unkörperliche Wesen, die man doch nicht ohne alle positive Bestimmungen lassen konnte, übertragen haben. Dächten wir selbst nicht, so wäre es uns unmöglich, vom Denken einen Begriff zu gewinnen oder zu wissen, was dies Wort bedeutet. Aus dem nämlichen Grunde urtheilen wir, daß jedes Denken dem unsrigen ähnlich sein muß, und wir würden eine Eigenschaft oder Handlung, die unserm Denken gar nicht ähnlich wäre, nie für wirkliches Denken halten können.

Diese Sätze scheinen keinem vernünftigen Zweifel ausgesetzt zu sein. Sie berechtigen uns aber auch, sobald man sie als wahr zugiebt, noch einen Schritt weiter zu gehen und zu behaupten: daß eine Kraft oder ein Vermögen, wovon wir in unserem eigenen Denken nicht die geringste Spur oder Anzeige wahrnehmen, dem Denken überhaupt nicht wesentlich sein oder inhäriren, und keinem denkenden Wesen – insofern es denkend ist – beiwohnen könne.

Nun aber lehrt uns die Erfahrung zur Genüge, daß wir durch bloses Denken an irgend einen Gegenstand weder ihn selbst, wofern er noch nicht existirt, hervorbringen, noch ihn, wofern er da ist, im Geringsten verändern können. Keiner meiner Gedanken vermag, wofern nicht eine körperliche Kraft, zum Beispiel ein Stoß oder Druck hinzukommt, auch nur ein Sandkorn von der Stelle zu bewegen. Könnte er das, so ist nicht abzusehen, warum er nicht, mit einer Art Allmacht begabt, eben so leicht Berge zu versetzen, den Lauf der Planeten zu hemmen und das Wasser in der Flasche eines Säufers in Aquavit zu verwandeln vermöchte. Auf das Verhältniß und die Differenz der Massen, Gewichte u. dgl. kommt es gar nicht an, wenn von der Wirkung eines geistigen, durch bloses Denken wirkenden Wesens die Rede ist.

Wir werden also einem Geiste, dessen Natur im Denken besteht, das im Denken nicht enthaltene und mit ihm auch nicht von außen zu vereinigende Vermögen, Körper zu bewegen, nicht beilegen können. Folglich bleibt uns nichts übrig als noch zu untersuchen, ob etwa das Wollen, das ebenfalls eine den Geistern beigelegte positive Eigenschaft ist, die wirkende Ursache der Bewegung sein dürfte. Alles trägt in dieser Hinsicht dazu bei, uns zu täuschen. Die Scheinerfahrung von der Herrschaft des Willens über einige Glieder und Bewegungen unseres Leibes überredet uns, daß der Wille irgend eines andern Wesens gar wol der letzte oder höchste Grund aller Bewegung in der materiellen Welt sein möchte, und dies ist der Nerv des Beweises, dessen sich Rousseau bediente, die Existenz eines Ersten, intelligenten, freien Bewegers der ganzen Natur darzuthun.

Dieser Beweis scheint indeß, genau erwogen, ein bloser Paralogismus zu sein. Der Mensch, welcher zuverlässig keine Insel in der Welt, kein unabhängiges, selbstständiges und durchaus sich selbst bestimmendes Wesen, sondern ein Theil der Natur und ihren allgemeinen Gesetzen unterworfen ist, hat wie jedes andere einzelne Ding eine Tendenz, gewisse Bewegungen hervorzubringen. Dieser Tendenz ist er sich bewußt. Aber jene Bewegungen collidiren oft mit denen der Außendinge und werden durch diese modificirt oder abgeändert. Insofern diese Bewegungen mit seinem Triebe, sich in seinem Sein und Stande zu erhalten, übereinstimmen, billigt er sie, und urtheilt, daß sie gut, das heißt seinem Willen, seiner Tendenz oder seinem Wesen gemäß wären. Oft jedoch erfolgen in und außer seinem Körper Bewegungen, die ihm nachtheilig und unangenehm, also seinem Willen gänzlich zuwider sind, die folglich er durch seinen Willen nimmer producirt haben würde, welche er indeß auch eben so wenig durch sein Nichtwollen verhindern kann.

Wäre unser Wollen wirklich die wirkende Ursache der Bewegung unseres Armes oder unserer Muskeln, so läßt sich nicht begreifen, warum wir nicht mit gleicher Leichtigkeit eine Masse von tausend Centnern durch bloses Wollen bewegen könnten. Der Wille bewegt meinen Arm, wenn nichts dieser Bewegung sich widersetzt. Er kann ihn nicht mehr bewegen, wenn dieser Arm mit einer allzugroßen Last beladen wird. Da hätten wir also eine materielle Masse, welche den Eindruck einer geistigen Ursache vernichtet, die gleichwol keine Analogie mit der Materie besitzt und nicht mehr Schwierigkeiten finden müßte, eine ganze Welt zu bewegen, als ein Atom aus der Stelle zu rücken. Auch ändert der Wille seine Natur nicht, er mag sich in diesem oder jenem Subjecte befinden. Wir sind daher nicht berechtigt, eine Kraft, von der wir in unserm eigenen Willen nicht die geringste Spur entdecken, dem Willen irgend eines andern vorausgesetzten Wesens zuzuschreiben.

Die Seele kann eben so wenig durch Wollen als durch Denken den Körper zur Bewegung bestimmen. Mit Recht heißt es bei Spinoza: Wenn die Menschen sagen, diese oder jene That, das ist Bewegung des Körpers, rühre von der Seele her, deren Willen über ihn die Herrschaft führe, so wissen sie selbst nicht, was sie sprechen, und thun im Grunde nichts, als daß sie gestehen, die wahre Ursache der Veränderungen sei ihnen verborgen.

Man kann auch nicht mit Grund sagen: obgleich die Vorstellung eines Willens, der in einem unkörperlichen Wesen residire und in körperliche Massen wirke, um sie zu bewegen, a priori große Schwierigkeiten habe, so lehre uns doch die Erfahrung hinreichend, daß Geister fähig sind Körper zu bewegen. Denn sind nicht unsere Seelen Geister? und bewegen sie nicht ihre Körper?

Ich antworte: Wenn die Erfahrung uns von der Einwirkung des Geistes auf die Materie belehren sollte, so müßte sie uns zugleich auch lehren, daß unser Denken und Wollen Eigenschaft eines Geistes, daß also unser Gemüth ( mens, anima) ein Geist in der oben festgesetzten Bedeutung des Wortes sei. Allein ich weiß nur aus Erfahrung, daß ich denke und will, aber ich bin mir der Einfachheit und Geistigkeit meiner Seelensubstanz so wenig unmittelbar bewußt, daß ich mich kaum durch eine lange Reihe von Schlüssen – die mir noch dazu in mehr als einer Hinsicht mangelhaft und unsicher scheinen – mühsam von einer so versteckten und von vielen Denkern bestrittenen Wahrheit überzeugen kann. Da aber die Erfahrung uns nicht von dem Satze überführt, die Seele sei eine geistige Substanz, sondern vielmehr die Frage zum Nachtheil der Spiritualisten entscheiden würde, so können wir uns auch nicht auf die vorgeblich an uns selbst gemachte Erfahrung von der Einwirkung des Geistes auf die Materie berufen.

So wie es uns denn aus Begriffen a priori unmöglich und ungereimt scheinen muß, daß ein Geist, d. i. ein einfaches, unkörperliches Wesen, dessen Natur im Denken und Wollen besteht, auf körperliche Massen wirken sollte und sie bewegen können, ohne die mindeste Analogie oder Verhältniß mit solchen zu haben, so giebt es auch keine einzige wirkliche Erfahrung, welche den Satz von der Einwirkung eines oder mehrerer Geister auf die Materie bestätigte. Eine solche Erfahrung müßten wir aber doch an uns selber machen können, um berechtigt zu sein andern Geistern, außer den menschlichen Seelen, das Vermögen der Hervorbringung von Veränderungen in der Körperwelt beizulegen. Der Graf von Gabalis sagt daher, ganz im Sinne der cartesianischen Philosophie: L'ame, les anges, les diables, ne scauroient agir contre un corps, parce qu'étant des esprits, il ne peuvent que penser et connoitre. Or, penser et connoitre ne sont aucune impression, et ne peuvent produire aucun mouvement dans la chose matérielle. – Ne voyex-vous point, que de cette proposition si raisonnable, qu'un Esprit ne peut que penser et connoitre, et qu'il est contre sa nature, de produire aucun mouvement local, il s'ensuit asséz naturellement, que plus un Esprit est pur, plus il est eloigné de la matière, et moins il est propre à la mouvoir.

Wir finden also erstlich weder in der Einfachheit noch in der Unkörperlichkeit des Geistes – welches negative, keine besondere Kraft oder Vermögen ausdrückende Begriffe sind – noch im Denken und Wollen, worin Alles dem Geiste als Geist zukommende Positive besteht, eine Möglichkeit, daß Geister Körper bewegen und verändern können. Zweitens: Keine einzige wirkliche Erfahrung beweist, daß Geister, das ist einfache, unräumliche, denkende Wesen, die eigentlich keinen Ort einnehmen und also auch ihren Ort nicht verändern können, auf die Materie wirken und sie bewegen.

Wir haben also gar keinen Grund, den Geistern – ihre Existenz immer hier vorausgesetzt – eine bewegende Kraft ( vis motrix) beizumessen, und es kann diese in den Geistern angenommene, aber mit ihrem Begriffe in unserem Verstande unvereinbare Kraft, nicht einmal als Hypothese gelten, da sie nichts erklärt, und etwas noch Unbegreiflicheres, als der Ursprung der Bewegung aus der ursprünglichen Tendenz der Körper und die daraus entspringenden Collisionen zu sein scheinen, voraussetzt.

Da man nun das den Geistern beigelegte Vermögen, Körper in Bewegung zu setzen, oder, wenn sie einmal in Bewegung sind, ihre Richtung zu ändern, weder in der den Geistern prädicirten Einfachheit und Incorporcität – welche Wörter nur die Abwesenheit körperlicher Beschaffenheiten und Kräfte anzeigen – noch im Denken und Wollen, worauf sich alles Positive und Erkennbare der geistigen Wesen reduciren läßt, entdecken kann, so bleibt denen, welche die Kraft, Körper zu bewegen und Veränderungen in der materiellen Welt hervorzubringen, den Geistern vindiciren wollen, nichts übrig, als den Ursprung der Bewegung aus occulten Qualitäten der Geister, das heißt aus sinnleeren Wörtern, die nie der Grund der Veränderungen in der Natur zu sein vermögen, herzuleiten. Allein nicht einmal zu gedenken, daß man die occulten Qualitäten längst mit glücklichem Erfolge aus der Naturlehre verbannt hat, würden doch die Liebhaber sinnleerer Wörter in der That viel kürzer abkommen, wenn sie, statt diesen oder jenen Geist zu bemühen, den Ursprung der Bewegung sogleich aus einer verborgenen Eigenschaft der Materie selbst herleiten wollten.

Die letzte Ausflucht, welche den Partisanen der Geisterlehre zur Verfügung steht, ist die noch immer hie und da beliebte Hypothese, daß alle Geister, die endlichen wenigstens, mittelst feiner Körperchen, womit sie vereinigt wären, auf die gröbern Körper wirkten. Allein wenn Geister ganz unkörperliche Wesen sind, so können sie mit Körpern, das heißt mit Dingen ganz entgegengesetzter Natur, noch weit weniger als Eis mit Feuer vereinigt werden. Vereinigung setzt immer eine Analogie, ein Verhältniß oder Gleichartigkeit unter den zu vereinigenden Dingen voraus. Zwischen Geist und Materie hingegen findet nicht blos Diversität, sondern auch Opposition der Eigenschaften statt.

Ueberdies sind grob und fein nur relative Begriffe. Man wird der Unbegreiflichkeit des Einflusses einer geistigen Substanz durch Erdichtung eines subtilen Corpuskels nicht abhelfen. Die Einwirkung, welche, wie wir sahen, immer durch Denken oder Wollen geschehen müßte, bleibt bei den Körperchen den nämlichen Schwierigkeiten unterworfen als bei dem Körper. Beide können blos durch die Anzahl der Bestandtheile und die Art der Zusammensetzung verschieden sein, gesetzt auch, man dächte sich ein Körperchen das noch feiner wäre als die Quintessenz des Nervensafts. Welchen Nachweis hat man von dem feinen Corpuskel, womit zum Beispiel unsere Seele vereinigt sein, und der im größern Körper wie eine Nürnberger Schachtel in der andern verborgen stecken soll?

Chimäre ist es, was man von dem subtilen Körper sagt, der unsichtbarer Weise in dem sichtbaren hocken und ein vollkommener Abdruck unserer äußern Gestalt sein soll. Man müßte gar keine Kenntniß von dem Gewebe unsers Körpers haben, wenn man den äußern Körper von den Muskeln, Adern, Nerven, Nervenfasern und deren feinsten Theilchen trennen und ihn mit den zwei- oder dreifach übereinander liegenden Häuten eines Insects oder einer Zwiebel vergleichen wollte. Jeder Anatom findet die Hypothese vom subtilen Corpuskel lächerlich, und sie ist es in der That. Könnte der Geist seinen Corpuskel, oder ein Lufttheilchen, oder ein Erdstäubchen, durch einen Gedanken oder durch Wollen bewegen, so brauchte er zur Bewegung des gröbern Körpers seinen Adjutanten den subtilen Corpuskel nicht. Er müßte, da Bewegung ihm nichts als einen Gedanken oder ein Wollen – Fiat! – kostete, mit gleicher Leichtigkeit einen Elephanten in die Luft führen können. Man sieht also ein, daß den Geistern die Kraft, Bewegungen oder Veränderungen in der Körperwelt hervorzubringen, nicht beiwohnt. Folglich können sie auch in der Körperwelt keine Wunder verrichten, das heißt keine den regulis motus zuwider laufende Bewegungen in derselben erzeugen. Alle Veränderungen in der materiellen Welt lassen sich auf Bewegung zurückführen. Ein in der Körperwelt bewirktes Wunder müßte also, da es in dieser etwas verändert, Bewegung verursachen, und diese Bewegung müßte den ordentlichen Regeln der Bewegung entgegen sein, weil eine Veränderung, die den Veränderungsgesetzen gemäß ist und also wol auch aus denselben erfolgen konnte, nie als über- oder außernatürlich angesehen werden darf. Hat nun ein Geist gar keine Kraft zur Körperbewegung, so kann er in der Körperwelt gar keine Veränderungen hervorrufen, also darin keine Wunder thun.

Man möchte vielleicht einwenden, obgleich den Geistern von Natur die vis motrix nicht zukomme, so könne sie doch Gott denselben besonderer Absichten halber in gewissen Fällen mittheilen. Allein diese Mittheilung der Eigenschaften wäre eine sehr ungereimte Annahme. Denn so wie der Allmächtige keinem Dinge eine seiner wesentlichen Eigenschaften, ohne welche es nicht vorhanden, zu entziehen vermag, so wie Er – seiner Allmacht unbeschadet – nicht machen kann, daß ein Körper ohne alle Ausdehnung und Figur existirt, so kann er auch einem Dinge keine Eigenschaft mittheilen, die diesem Dinge seiner Natur nach nicht zukommt. Denn in diesem Falle würde so gut als in jenem das Wesen der Dinge, das keiner Wahl oder Willkür unterworfen ist, geändert. Ist die vis motrix eine körperliche Kraft – und wirklich äußert sie sich nur in der Materie, und die Begriffe von ihr hören auf, sobald man sich alle Materie, das ist alles Bewegliche im Raume als vernichtet denkt – so kann Gott diese Kraft so wenig einem Geiste mittheilen, als er die Materie in einen Geist zu verwandeln im Stande ist.

Endlich dürfte man noch vorschützen, es sei doch wenigstens unmöglich Gott die Kraft, Körper zu bewegen, abzusprechen. Gott aber sei auch ein Geist und man erkenne also überhaupt, daß die Bewegung von geistiger Ursache herrühren könne.

Dieser Einwurf würde indeß kein Meisterstück von Gründlichkeit sein. Gespenster und menschliche Seelen – selbst Seelen der Einfältigen und Wahnsinnigen – sind, wie man sagt, Geister, und Gott, das ewige, unendliche, unbegreifliche Wesen, von allen Creaturen nicht blos dem Grade, sondern auch der Art oder dem Wesen nach nothwendig verschieden, dieses einzige unvergleichbare Wesen, welches mit dem Endlichen absolut keine Eigenschaft gemein haben kann, sollte auch ein Geist sein? Es läßt sich unumstößlich beweisen, daß diesem unendlichen Wesen kein eigentliches Denken, Wollen, Lieben, Hassen, Mißfallen u. dgl. zugeschrieben werden kann. Andere haben diesen Beweis, der mit der äußersten Schärfe geführt werden könnte, wenigstens in seinen Grundstrichen abgelegt. Und er erhärtete zugleich, daß die letzte oder höchste bewegende Ursache der ganzen Natur kein Geist, der dem unsrigen ähnlich wäre, und mithin überhaupt kein Geist ist. Denken und Wollen sind wesentliche Eigenschaften eines Geistes; wo diese nicht angetroffen werden, da ist kein Geist in der ordentlichen Bedeutung des Wortes vorhanden.

Man kann also von dem Vermögen Gottes, das heißt der unbegreiflichen Grundursache der Ordnung und Bewegung in der Welt, nicht auf die Facultäten eines sogenannten Geistes, das ist eines einfachen, unkörperlichen Wesens, schließen, dem außer dem Denken und Wollen weiter nichts Positives zukommt.

Aus diesen bisher vorgetragenen Sätzen läßt sich nun mit Gewißheit folgern, erstlich: daß Geister, da sie keine körperliche Kraft besitzen, auch keine Massen bewegen und in der materiellen Welt keine Veränderungen hervorbringen, folglich in derselben keine Wunder verrichten können, da alle Veränderungen in der Körperwelt sich auf Bewegung zurückführen lassen, und ein in der Körperwelt gewirktes Wunder also eine den beständigen Gesetzen der Bewegung zuwiderlaufende Veränderung sein, mithin bewegende Kraft unterstellen würde, die einem einfachen unkörperlichen Wesen fehlt. Zweitens: daß folglich auch Geistererscheinungen unmöglich, und alle davon vorhandenen Erzählungen fabelhaft und ungereimt sind.

Bei letzterm Satze wollen wir noch einen Augenblick verweilen.

Ein Geist ist wesentlich unsichtbar, unhörbar, unfühlbar. Der Mensch kann nur Körper sehen und fühlen, und was er hört, den Schall, wird von körperlichen Ursachen erregt und findet ohne zitternde Bewegung der Luft und Erschütterung seiner Gehörorgane nicht statt. Ein Geist vermag sich nicht sichtbar, hörbar, fühlbar zu machen, weil er sonst Beschaffenheiten annehmen müßte, die nur Körpern zukommen und seinem Wesen widersprechen. Das menschliche Auge kann ein Geist auch nicht bewegen, sonst müßte er Körper bewegen können, was ihm, wie wir gesehen haben, unmöglich ist. Wie möchte er aber je uns sichtbar werden, ohne eine Veränderung, das ist, eine Bewegung in unserm Auge hervorzubringen? Ebensowenig kann er uns seine Gegenwart durch Eindrücke auf unsern Gehörssinn manifestiren, weil er außer Stande ist Körper in der Luft zu bewegen. Was gefühlt wird muß solide Ausdehnung haben. Diese ist Eigenschaft der Materie. Was also gefühlt wird, ist körperlich. Da nun Geister weder gesehen noch gehört noch gefühlt oder berührt werden können, so können sie uns – die wir vom Dasein oder der Gegenwart der Außendinge lediglich durch die sinnlichen Eindrücke, die wir erhalten, benachrichtigt werden – nie erscheinen, das heißt, sinnlich wahrnehmbar werden. Alle Mittheilungen über citirte oder freierdings erschienene Geister sind also schlechterdings als Täuschungen von der Hand zu weisen.

Geister können sich auch nicht zum Behufe einer momentanen Erscheinung selbst Körper bilden. Dazu wäre erforderlich, daß entweder der Geist sich neue Materie aus Nichts erschaffe, was ein Unsinn ist, oder daß er die zur Körperbildung tauglichen Partikel aus der Natur zusammentriebe und sie mit einander vereinige. Dann aber müßte er Körper bewegen können, was er, wie wir erkannten, nicht vermag.

Sollten endlich die körperlichen Gestalten, welche man zu sehen sich einbildet, wenn man einen Geist zu erblicken glaubt, blose Scheinkörper oder Schatten sein, so würde, wenn wir diese Scheinkörper von wirklichen Körpern nicht zu unterscheiden vermöchten, alle sinnliche Gewißheit aufgehoben. Wir wären einer beständigen Täuschung ausgesetzt, und was wir sehen, hören, fühlen und mit größter Ueberzeugung für etwas Wirkliches halten, wäre Alles vielleicht nur durch die Petulanz gewisser unsichtbar wirkenden Geister hervorgebrachtes Blendwerk.

Ein Geist sollte in seiner Erscheinung einem Schatten gleichen? Nette Chimäre! Wo Schatten ist muß ein Körper sein, der ihn veranlaßt. Auf und um der Erde giebt es keinen andern Schatten als den, den ein Körper wirft.

Wir hätten also jene Phantastereien des Aberglaubens glücklich in ihr Nichts verwiesen, die unter den Namen Magie, Theurgie, Kabbala, Thaumaturgie, Thaumatologie u. dgl. m. das menschliche Geschlecht so lange zu seinem größten Schaden tyrannisirt haben, aber, wir müssen es leider gestehen, wol so bald nicht für immer aus der Welt verschwinden werden.

Unsere Beweisführung läßt sich aber folgendermaßen concentrirt darstellen:

1. Geister will man von aller Materie unterscheiden. Sie sollen also einfache, unkörperliche, denkende Wesen sein. Keines dieser Merkmale darf in der Erklärung fehlen. Wollte man ihnen das Denken absprechen, so entzöge man ihnen alles Positive, und sie ließen sich von blosen geometrischen Punkten nicht unterscheiden, die auch einfach, unausgedehnt, untheilbar, ohne Figur u. s. f. sein sollen, von denen man aber ebenfalls gesteht, daß sie keine reelle Existenz außer dem Verstande haben können. Wollte man ihnen das Denken lassen, aber Einfachheit und Unkörperlichkeit ihnen absprechen, so verwandelt man sie in denkende Materie, reducirt Alles auf diese, und leugnet die Existenz der Geister.

2. Einfachheit und Unkörperlichkeit – welche man gewissen Dingen durch künstlich zugespitzte Beweise zu vindiciren sucht – sind keine positive, irgend eine Kraft oder besonderes Vermögen in sich fassende Beschaffenheiten, nur negative Begriffe, Wörter, welche die Abwesenheit aller körperlichen Beschaffenheiten und Kräfte anzeigen. Man kann daher nicht sagen, daß der Geist durch seine Einfachheit und Incorporcität Materie zu bewegen im Stande sei. Man würde also den Grund, warum er Körper zu bewegen vermag, in dem dem Geiste zukommenden Positiven suchen müssen.

3. Dies Positive ist nichts anderes als sein Denken und Wollen, Eigenschaften, welche, wie man gesteht, den Geist eben zum Geiste machen.

4. Der Begriff des Denkens enthält keineswegs den Begriff einer ihm wesentlichen bewegenden Kraft. Auch sind wir uns in unsern einzelnen Gedanken, von welchen wir den Begriff des Denkens überhaupt abstrahirt haben, keiner solchen Kraft bewußt. Ich mag mir einen vor Augen liegenden Stein noch so lebhaft vorstellen, ich kann dadurch nicht die kleinste Bewegung dieses Steins veranlassen. Ja ich kann durch bloses Denken so wenig ein Sandkorn als den Chimborasso von der Stelle bewegen.

5. Eben das gilt vom Wollen. Das Wollen ist nach dem Denken, denn es setzt das Selbstgefühl voraus. Es ist nach dem Begriffe, weil es das Gefühl einer Beziehung erfordert. Es ist also nicht unmittelbar mit der Substanz noch selbst mit dem Denken verknüpft. Es ist nichts als eine entfernte, aus Verhältnissen resultirende Wirkung, und kann nie ein Princip des Handelns, eine reine Ursache der Bestimmungen – zumal eines andern und noch dazu körperlichen Wesens sein. Ich handele blos meinem Willen gemäß, so oft es geschieht daß meine Handlungen ihm entsprechen. Aber es ist nicht mein Wille, was mich handeln macht oder in Bewegung setzt. Kein Thier kann irgend etwas unmittelbar bewegen, außer den Gliedern seines eigenen Körpers. Der Grund dieser Bewegungen liegt nicht im Willen des Thieres, sondern im nothwendigen mechanischen Spiel, das ist in der steten Action und Reaction determinirter Naturkräfte, welche der Organisation des lebenden Thieres eigen sind und sich untereinander modificiren. Durch bloses Wollen kann ich das kleinste Stäubchen so wenig bewegen, als aus Nichts erschaffen. Um es zu bewegen muß ein Stoß, Druck u. dgl. hinzukommen. Auch der Hauch des Mundes ist ein Stoß, wodurch die den Mund nächstumgebende Luft in Bewegung gesetzt wird. Wille bleibt indeß Wille, ändert seine Natur nicht, er mag sich in diesem oder jenem Subjecte, im Menschen oder in einem vorausgesetzten Geiste befinden. Eine Kraft, deren sich kein Mensch in seinem eigenen Willen bewußt ist, dürfen wir nicht in den Willen eines andern Wesens verlegen. Denn jeder Wille muß dem unsrigen ähnlich sein, und eine dem Willen wesentlich eigene Kraft müßte in unserm Willen so gut als in dem Willen eines Engels Gabriel und anderer Fictionen anzutreffen sein. Auch ist das Wollen ein Etwas, das keine Grade, kein Mehr oder Minder zuläßt. Was ich will, das will ich eben so ernstlich, eben so vollkommen als der Engel Gabriel wollen könnte was er wolle.

6. Weil nun ein unkörperliches Wesen durch bloses Denken oder Wollen keine Körper bewegen kann, so ist in dem Positiven und Erkennbaren, das der Natur eines Geistes zukommt, kein Grund irgend einer Veränderung in der Körperwelt anzutreffen.

7. Wir müßten demnach, wollten wir die Bewegung für Wirkung geistiger Ursachen erklären, den Ursprung der Bewegung aus occulten Qualitäten der Geister herleiten.

8. Occulte Qualitäten sind sinnleere Wörter, die nicht den Grund der Erscheinungen in der Natur enthalten können. Wollte man dergleichen dennoch annehmen, so dürften wir nur den Grund der Bewegung in occulten Qualitäten des Beweglichen selbst, das heißt der Materie, annehmen. Entia non sunt praeter necessitatem multiplicanda.

9. Subtile Körper, womit man die Geister bekleidet, erklären nichts, helfen der Schwierigkeit nicht ab. Sie mögen noch so subtil sein, so sind sie doch ausgedehnt, theilbar, beweglich u. dgl. Sie sind also Materie. Die Materie kann der Geist, der gar nichts mit ihr gemein und zu ihr kein Verhältniß hat, nicht bewegen. Er kann folglich auch nicht mittelst des feinern Körpers auf die gröbern wirken. Denn könnte er zum Beispiel durch sein Wollen den Körper A nach Gefallen bewegen, so müßte er den Körper B ohne sich des A als eines Instruments oder Hebels zu bedienen eben so leicht durch einen Befehl seines Willens in Bewegung setzen können. Die Begriffe des groben und feinen sind überdies nur relativ. Der subtile Körper, und wäre er feiner als quintessenzirter Nervensaft, ist noch immer in Vergleich zu einer punktähnlichen Monade eine ungeheure Masse.

10. Geister können keine neue Materie aus Nichts erschaffen. Von Dingen, die gar nichts miteinander gemein haben oder ganz entgegengesetzter Natur sind, kann eins nicht die Ursache oder der Erklärungsgrund des andern sein.

11. Geister können sich auch aus schon vorhandener Materie nicht selbst Körper bilden, weil dazu bewegende Kraft erfordert würde, die ihnen fehlt.

12. Eigenschaften, welche dem Wesen der Geister nicht gemäß sind, kann ihnen auch die Allmacht, die nach beständigen, unabänderlichen Regeln, aber nie gegen diese Regeln wirkt, nicht mittheilen. Allmacht kann einem Geiste mithin keine körperliche Kraft ( vis motrix, potentia activa corporis) einverleiben.

13. Man kann sich nicht auf die Erfahrung berufen, wonach unsere Seele unsern Körper bewege. Die Seele kann, wie Spinoza richtig lehrt, den Leib weder zur Bewegung noch zur Ruhe bestimmen. Auch kann in Ewigkeit nicht erwiesen werden, daß unser Denken und Wollen Eigenschaft eines in unserm Körper wohnenden Geistes, das ist, eines einfachen, unkörperlichen Wesens sei.

Aus allen diesen unleugbaren Sätzen ergiebt sich mit der größten Gewißheit das Resultat: Geister können in der Körperwelt keine Veränderungen – mithin auch keine solche, welche den beständigen Gesetzen der Bewegung zuwider sind und Wunder heißen könnten – hervorbringen.

Es leuchtet daher ein, daß wir von diesen Wesen, wofern sie existirten, auch weder zu hoffen noch zu fürchten haben. Ihr wirkliches Dasein außer dem Verstande kann von uns weder sinnlich wahrgenommen noch – da es so wenig als der Begriff irgend eines andern einzelnen Dinges Nothwendigkeit mit sich führt – unabhängig von der Erfahrung, durch abstracte Schlüsse bewiesen werden.

Allein selbst bei der Voraussetzung des Daseins der Geister bleibt es dennoch, zufolge der ihnen beigelegten Natur, ohne welche sie sich in der That nicht denken lassen, unmöglich, daß sie uns erscheinen, das heißt sinnlich wahrnehmbar werden könnten. Da sie weder Ausdehnung noch Figur noch Farbe haben, und keine Bewegung oder Veränderung in unserem Auge hervorbringen können, so vermögen sie uns so wenig als ein geometrischer Punkt je sichtbar zu werden. Auf's Gefühl können sie ebenfalls nicht wirken, denn dazu gehört Berührung der Nervenspitzen. Was aber berührt oder berührt wird, ist Körper. Hören kann man nichts als den Schall, der wiederum von körperlichen Ursachen entsteht.

Alle Geistererscheinungen und Geisterlehren sind also entweder absichtliche Erdichtungen oder Wirkungen irre geleiteter und ausschweifender Imaginationen. Zeugnisse von Thatsachen für das Gegentheil oder auch eigene vermeintliche Erfahrungen würden mich eher zum Narren machen als mir eine andere Ueberzeugung aufdringen. Zeugnisse können nicht mehr glaubwürdig sein, wenn sie Facta erhärten sollen, welche mit der Natur der Dinge, so weit sie deutlich von uns erkannt wird, im Widerspruche stehen. Giebt es Grundgesetze in der Natur und sind wir einige derselben zu erkennen fähig, so müssen wir durchaus annehmen, daß diese Grundgesetze im Wesen der Dinge selbst ihren bestimmten Grund haben und also nichts weniger als zufällig und einer Abänderung unterworfen sind. Sind es blos Grundgesetze unseres Empfindens und Denkens, das heißt unserer Erkenntnißform, so muß doch alle Erfahrung nothwendig diesen Grundgesetzen gemäß sein, und es ist nicht abzusehen, wie wir jemals etwas wahrnehmen sollten, was als Ausnahme von denselben oder als Verletzung jener Grundgesetze betrachtet werden könnte.

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LII.

Ueber Causalreihen.

Warum sollte die Reihe der Erfolge rückwärts nicht sowohl unendlich sein können als vorwärts? Es giebt keine letzte Wirkung, warum sollte es eine erste Ursache geben? Eine absolute äußerste Grenze der Dauer ist so undenkbar als äußerste Endpunkte des Raums.

Von welcher Seite wir blicken mögen, überall umgiebt, verschlingt uns die grenzenlose Unendlichkeit der Natur. Wir mögen das Wesen, welches existirt, unsere Gedanken zeugt, unsern Arm bewegt, die Sphären treibt, nennen wie wir wollen: Urkraft, Materie. Totalität, Weltgeist, Allnatur, Tien u. s. w., es ist klar, daß es ohne Anfang existirt haben muß, so wie es ohne Ende fortwirkt.

Man setze, wenn man will, eine Ursache für die erste, eine Wirkung für die erste. Die Ursache wird erst dadurch, daß sie wirkt, zur Ursache. Vor ihrem ersten Akte wäre sie also unthätig, todt gewesen.

Was konnte nun die Schlafende zur Thätigkeit erwecken? Nicht ihr Wille, nicht ihre Natur. Denn diese hatte sie schon zuvor, und dennoch wirkte sie nicht. Nicht der Impuls einer äußern Ursache, denn sonst würde Etwas schon vor der ersten Wirkung wirkend gewesen sein, was der Supposition entgegen ist.

Nichts in ihr, nichts außer ihr hätte ihren ersten Akt bestimmen können. Wie konnte auf den trägen, thatenlosen Schlaf einer Ewigkeit ein urplötzliches Erwachen folgen?

Ungeheurer Sprung, der der Natur der Dinge widerspricht! Gab es aber keine erste Handlung, so ist Bewegung und Thätigkeit kein vorübergehender, sondern ein bleibender Zustand der Materie. Existenz, der Urgrund aller Möglichkeiten, ist ohne Kraftäußerung nicht denkbar.

Der Widerspruch, den man im Begriff der rückwärts unendlichen Causalreihen zu finden wähnt, gründet sich auf die thörichte Frage, ob die Hälfte einer unendlichen Zahl endlich oder unendlich sei; ob sich eine solche Zahl in gleiche oder ungleiche Theile bringen lasse.

Von einer Hälfte des Unendlichen sprechen ist gerade so widersinnig, als wenn man nach den Schranken des Schrankenlosen fragen wollte.

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LIII.

Die Philosophie.

Wahrlich, Fontenelle, der glückliche Fontenelle hatte seiner Marquise keinen unrechten Begriff von der Philosophie gegeben! Sie gründet sich blos auf zwei Dinge: auf einen neugierigen Geist und ein schwaches Gesicht. Man will mehr wissen als man sieht, und ein rastloser Trieb zieht uns zur Erforschung eines gewissen zweideutigen Dinges hin, das wir Wahrheit nennen.

Statt der Juno einen Schatten, eine Wolke umarmen, einem Phantom mit verliebtem Eifer nachjagen, das, stets fliehend, unsere Hoffnung täuscht, dies scheint das Loos aller Demonstrirmaschinen und Systemfabrikanten zu sein.

Die Philosophie ist nur dann eine Führerin auf dem Wege des Lebens, eine Arznei der Seele, wenn sie ihre hohen Anmaßungen herabstimmt, die unbekannten Gegenden jenseits der Sinnenwelt den Träumern und Narren preisgiebt, und sich bescheiden auf die Beobachtung menschlicher Dinge, das Studium der Gesetze und Wirkungen der Natur, und jene heilsame sokratische Moral einschränkt, welche ich für ihr Meisterstück halte.

Die Moral, der edelste Theil der Philosophie, weil er der nützlichste ist, soll billig nichts als eine auf Erfahrung und Vernunft gegründete Anweisung zum weisen Genuß des gegenwärtigen Lebens sein. Nur das Gegenwärtige ist einigermaßen in unserer Gewalt. Das Vergangene ist nur noch ein angenehmer oder unangenehmer Traum, den wir nicht einmal nach Belieben festhalten, zurückrufen oder modificiren können. Die Zukunft ist für uns Nichts als ein von gewissen verschönernden oder verhäßlichenden Spiegeln zurückgeworfenes Bild des Gegenwärtigen.

So denkt sich jedes Volk seinen Zustand jenseits des Styx seinem jetzigen Leben analog. Man jagt, fischt, mordet, säuft, liebt, singt Psalmen, geht in schattigen Hainen und blumigen Gefilden spazieren, oder sieht nach den Sternen und hüpft mittelst eines zum Springen und Fliegen eingerichteten Körpers von einem Planeten zum andern, um überall seine Neugier befriedigen, und über Dinge staunen zu können, wovon unsere kurzsichtige Unwissenheit nichts begreift.

Jeder hofft gerade das Vergnügen nach dem Ende seiner Existenz zu genießen, welches er aus gegenwärtigen Empfindungen kennt und am meisten schätzt. Der Astronom denkt sich einen Kometen als das Fahrzeug, worin er dereinst an den Küsten unzähliger Welten vorbeisegeln und überall neue Entdeckungen machen wird; der Araber, von seinem Klima träge und wollüstig gemacht, zweifelt nicht, am schwülen Mittag unter ewig grünenden Bäumen seine Pfeife rauchen und die schönen Weiber des Paradieses liebkosen zu können. Ein Lavater wird einen Lichtkörper von so erstaunlicher Schnellkraft und Beweglichkeit haben, daß der beste Schnellläufer im Vergleich zu einem so schnellfüßigen Heiligen nur eine Schnecke ist.

                   

»Ich werde Millionen Meilen
In Einem Augenblick durcheilen,
Wenn ich aus Licht gebildet bin.
Ich überschreite die Planeten,
Geh' von Kometen zu Kometen,
Von Sonnen schnell zu Sonnen hin.
Mir flieh'n zehnmal zehntausend Sterne
Zurück, gewohnten Funken gleich;
Seid, Freunde, mir undenklich ferne:
Ich will! – und bin bei euch.«

(Lavater.)

Dem Indier, der nur nach Schatten und Ruhe sich sehnt, würde mit einer so ungeheuren Galopade schlecht gedient sein. Seine Neugierde plagt ihn nicht andere Erden außer der unsrigen sehen zu wollen.

Die Gründe aller dieser verschiedenen Erwartungen haben auf der Wage der Hoffnung einiges Gewicht. Unsere positiven Begriffe über gewisse Dinge reichen nicht weiter als unsere Erfahrungen von diesen Dingen. Wo diese ein Ende haben, da sollte auch billig unser Klügeln Halt machen, um nicht fieberhaftes Faseln und Radotage zu werden.

Der enge Gesichtskreis, welchen die Natur selbst unserer Philosophie angewiesen zu haben scheint, ist indeß reich genug an mannigfaltigen Scenen, welche die Betrachtung des fühlenden und denkenden Sohnes der Natur verdienen. Begnügsam mit dem Gegenwärtigen, weil er die Schranken und das Schicksal seiner Organisation kennt, empfänglich für das Vergnügen, dessen Reiz durch die ganze sensible Natur wirkt, aber auch fähig seine Begierden zu zähmen, zu entbehren was er nach den unbeugsamen Gesetzen des Verhängnisses nicht haben kann, nähert er sich, sorgenfrei und schuldlos, dem Rande des Abgrunds, der mit Blumen für ihn bedeckt ist.

Keines Phantoms bedarf er, nur in sich selbst zurückgezogen, zu seinem Troste. Kein Phantom schreckt ihn. Sein friedliches Leben entehrte keine unedle That. In diesem Bewußtsein lächelt er seiner letzten Scene entgegen. Es ist der Abend eines schönen Tags.

                   

Ainsi l'astre du jour au bout de sa carrière
Repand sur l'horizon une douce lumière,
Et ses derniers rayons, qu'il darde dans les airs,
Sont les derniers soupirs, qu'il donne à l'univers.

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LIV.

Unser Ich.

Die Welt ist körperlich, die Eigenschaften der Länge, Breite, Tiefe und Höhe, welche sie an sich hat, beweisen es. Ohne diese läßt sie sich nicht begreifen.

Sie ist kein geometrischer Punkt, denn sie fällt in die Sinne. Sie ist kein Phänomen, denn sie hat Dauer. Sie ist also wirklich, und was wirklich ist, ist Körper.

Die Theile verhalten sich zum Ganzen gerade so wie das Ganze zu den Theilen; jeder Theil der Welt ist mithin körperlich.

Nun ist aber die Welt das All. Oder gäbe es außer derselben noch Etwas? Der Inbegriff aller existirenden, coexistirenden und successiven Wesen – dies ist die Welt.

Was folgt hieraus? Was nicht in der Welt ist, das ist nirgendwo. Wie? Ja, das Unkörperliche nimmt keinen Raum ein, denn es hat keine Ausdehnung. Was keinen Raum einnimmt, das steht in keiner Beziehung zur Existenz der Dinge. Was nicht existirt, das kann nicht gedacht werden. Was nicht denkbar ist, das ist Nichts. Alles ist Raum, und außerhalb desselben ist Nichts. Wäre nun das Unkörperliche innerhalb des Raumes, so müßte es mit ihm in Verbindung stehen, folglich wäre es körperlich. Wäre es außerhalb des Raumes, so könnte es nicht existiren.

Unverkennbarer Ring von Wahrheiten!

Ich bin, hinfolglich bin ich Körper, folglich bin ich ein Theil der Welt. Allein woraus bin ich gemacht? Das ist die große Frage. Es giebt unzerstörbare Elemente, wie Philosophie und Naturforschung beweisen. Aus solchen bin ich ohne Zweifel zusammengesetzt.

Von diesen Elementen aber ist nur Eins mein Ich oder der Sitz der denkenden Kraft, welcher ich mir als meiner eigenen bewußt bin, denn ich bin nur Ein Ich, nur Ein denkendes Wesen. Dieses ist kein Aggregat von Elementen, obgleich die Verhältnisse der übrigen, mit ihm vereinigten – ihm gleichartigen – Grundstoffe zu dem Element, welches mein Ich constituirt, das Object meiner Gedanken und Wahrnehmungen, die Art und den Grad meiner jedesmaligen Empfindungen bestimmen.

Jedes Element wäre unzerstörbar – und ich selbst sollte es nicht sein? Dies mein Ich sei – nehmen wir für einen Augenblick an – aus zwei Elementen (realen physischen Einheiten) zusammengesetzt: ich setze hier nur zwei, denn wenn die Annahme eines aus zwei Elementen gebildeten Denkwesens schon Widerspruch enthält, wie viel weniger läßt sich eine Zusammensetzung aus tausenden begreifen!

Von diesen zwei Elementen nun ist entweder jedes sich seines Selbst bewußt, oder nur Eines oder gar keins.

Erster Fall: Jedes der zwei Elemente, woraus mein Ich besteht, denkt; also besäße ich zwei Seelen? Zwei Seelen! Aber nur Eine kann mein Ich, das heißt ich Selbst sein. Ich kann nicht doppelt existiren. Es läßt sich an der numerischen Einheit meines Ich durchaus nicht zweifeln.

Zweiter Fall: Nur Eins der beiden Elemente ist sich Seiner bewußt. So ist auch nur dieses meine Seele, mein Ich. Das andere ist außer mir vorhanden, und was außer mir ist, das ist kein wesentlicher Theil von mir.

Dritter Fall: Keins der beiden Urwesen, aus denen ich zusammengesetzt bin, ist sich Seiner bewußt. Dann weiß keins etwas vom andern. Woher soll nun das Bewußtsein des Ganzen kommen? Da das Ganze nicht außer seinen Theilen vorhanden ist, so müßte die Denkkraft in solchen zuvor liegen, bevor sie sich vereinfachen könnte.

Ob alle Elemente sich ihrer bewußt sein können, das untersuche ich nicht. Genug, daß es unter ihnen welche giebt, denen diese Kraft zukommt. Kann die einem Urstoff wesentlich einfache Bewegungskraft durch die ganze Natur nicht aufgehoben werden, wie sollte derselbe durch irgend etwas seiner Vorstellungskraft, die ebensowenig das Resultat zufälliger Zusammensetzung ist, beraubt werden können?

Kurz, zwei undenkende Elemente vermögen nie Ein denkendes Wesen auszumachen. Denkt aber von mehreren Elementen Jedes, so giebt es zwar mehrere denkende Einheiten, hierunter jedoch kann blos Eine diejenigen Begriffe enthalten, deren ich mir bewußt bin.

Und dies nenne ich Seele.

Der Ursprung der Wesen aber ist ein unauflösbares Problem für unsere Physik. Die Metaphysik ist außer Stande, uns über diesen Punkt auf befriedigende Art zu belehren. Wenn sie vernünftig sein will, so beschränkt sie sich auf die Theorie von der Erzeugung unserer allgemeinen Begriffe.

Es ist Etwas. Diesen Kanon scheint Jedermann einräumen zu müssen. Also muß auch Etwas von Ewigkeit her gewesen sein. Was aber von Ewigkeit her gewesen ist, das ist absolut nothwendig, oder es müßte sein und nichtsein können, das heißt, der Satz des Widerspruchs müßte falsch sein.

Ist jedoch das Ewige, dessen nothwendiges, unvertilgbares Dasein wir erkennen, nur Ein Wesen oder sind es mehrere? Spinoza entschied sich bekanntlich für die Einheit, Epikur und die Atomisten nach ihm für eine unzählbare Menge. Ihnen sind alle Atome, das heißt alle Punkte der Schöpfung, unzerstörbar. Und da sie nicht vergehen oder in Nichts verwandelt werden kann, so muß ihr Dasein ebensowenig einen Anfang haben als es ein natürliches Ende hat.

Die Elemente der neuern Philosophie hingegen sind unausgedehnt und undurchdringlich. Sie sind nicht die des Demokrit und Epikur, aber sie haben mehr Beweis für sich als jene, welche Lukrez besang. Ihre Kräfte sind ihr Wesen. Sollte also zu solchem nicht auch Dasein gehören? Kräfte, was sind diese anders als Wahrzeichen, Erklärungen des Seins!

Mögen diese Elemente immerhin aus einer uns unbekannten Urquelle entsprungen sein; war dies Grundwesen selbst nicht entstanden, hat es demnach nur erst irgend einmal angefangen zu wirken, so ist auch seine Wirkung ewig, so haben auch die Elemente der Materie immer existirt.

Und glücklich, daß sich mitten unter ihnen auch mein Ich befindet! Dies Element kann sich nach der Auflösung unserer Maschine in tausend neuen Zusammensetzungen, Verbindungen und Lagen finden. Es kann aufhören sich seines vergangenen Zustandes bewußt zu sein; es kann vergessen, was zu den besonderen Bestimmungen und Auftritten des vorigen Lebens gehörte; aber – sterben kann es nicht.

Vermag es sich jetzt des Zustandes noch zu erinnern, in welchem es sich vor seinem Eintritte in dies ephemere Leben Jahrtausende hindurch befand? Mit nichten: es hat nicht die mindeste Vorstellung davon. Es erkennt sein früheres Dasein durch Schlüsse, nicht durch Rückerinnerung. Und doch, sollte es so ausgemacht sein, daß der Schluß vom Vergangenen auf's Zukünftige, über die Grenzen dieses Lebens hinaus und bis auf einen gewissen Zustand erstreckt werden kann, von dem kein Mensch diesseits des Grabes je Erfahrung gewinnen konnte? Es könnte sein, daß wir uns irgend einmal des Vergangenen wieder erinnerten, daß es in der Natur – worin Nichts vernichtet wird – eine uns jetzt noch verborgene Einrichtung gäbe, derzufolge die Bilder oder Vorstellungen des früheren Zustandes in unserem Ich reproducirt würden.

In der Natur existirt kein Uebergang von Nichts zu Etwas oder umgekehrt. So wie unsere Grundbegriffe, zum Beispiel die nothwendigen Wahrheiten der Mathematik, ewig und unveränderlich sind, so wie diese nie falsch sein oder werden können, so können auch die Objecte jener Grundbegriffe, die von der Natur denkender Wesen unzertrennlich sind, nie zu Nichts werden.

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LV.

Unsere Bestimmung.

Sein oder Nichtsein! Was ist besser? Ist es besser bei einem reichlichen Abendessen zwischen Nymphen und Champagner zu sitzen, nach der Tafel zu tanzen, und nach dem Tanz mit einer Schönen das Lager zu theilen, oder ist es besser in ewiger Nacht zu sitzen, weder Tanz noch Langeweile zu kennen, und das Ei zu hüten, worauf Mutter Rhea brütet?

Ich kenne Niemand unter den Sterblichen, der darauf besser antworten könnte, als Dionys, der Schulmeister zu Syrakus. Er war weiland ein König, und besaß Alles, was zu einer angenehmen Existenz gehört: Tafeln, Equipagen, Jagden, eine Oper und ein Serail. Das Glück stürzte ihn in die Nacht zurück, das heißt, es machte ihn zum Schulmeister in einer Reichsstadt.

Der Augenblick, worin wir sind, ist schon nicht mehr da. Dies ist die Devise des menschlichen Lebens. Drei bis vier Millionen Minuten! Kann man sagen, daß das gelebt war? In der That, die Zeit ist so flüchtig, daß sie kaum eine Linie zwischen Leben und Tod zieht. Ehe wir uns auf's Genießen verstehen, leben wir nicht; und wenn die Zeit zum Genießen gekommen, müssen wir fort. Hui! Unser Auge ist noch eher fähig irgend einen der Gegenstände, die das rasche Rad der Zeit an uns vorüber führt, zu fesseln, als es vielleicht dem Auge eines unsterblichen Wesens möglich sein würde uns selbst zu fixiren. So schnell ist unser Flug.

Was soll man also mit diesem Leben anfangen? Was ist demnach des Menschen Bestimmung? Wichtige Frage! Sie hat schon manche Perücke verwirrt, manchen Doctor zum Kannegießer gemacht.

Unserer sind ungefähr tausend Millionen Insecten, welche auf dem Hügelchen, das wir Erde nennen, täglich herumkrabbeln. Ein Drittel davon lebt beständig in der tiefsten Dummheit, das andere Drittel in der äußersten Gleichgültigkeit. Wie können demnach Diejenigen Recht haben, welche behaupten, unsere Bestimmung wäre uns zu vervollkommnen und für eine höhere Stufe vorzubereiten?

Oder hätten vielleicht Jene Recht, welche sagen, wir lebten um die Natur, des Himmels Geschenke zu genießen, mit Einem Worte: uns zu freuen? Aber über die Hälfte der Menschen schmachtet ja in Armuth und Elend!

Sollen wir glauben, was eine gewisse Philosophie lehrt, daß der Mensch bestimmt sei zu essen, zu trinken und dann die Erde zu düngen, um einer bessern Race Platz zu machen?

Sind wir vielleicht nur Marionetten in der optischen Kammer, welche sich die Götter zum Zeitvertreib geschaffen haben?

Ach, umsonst lauschen wir und gucken hinter den Vorhang: noch ehe die Ouvertüre geendigt ist fällt er nieder, und wir sitzen zu Pluto's Füßen, der uns vom eisernen Throne herab die Nebelkappe über die Augen wirft!

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LVI.

Ueber die Kunst zu leben.

Sarrasa hat über die Kunst stets fröhlich zu sein geschrieben. Ovid und sein Rival le gentil Bernard brachten die Kunst zu leben in ein System und verschönerten sie mit allen Reizen der Poesie. Ich weiß nicht, ob Jemand eine Kunst zu leben, die diesen Namen verdient, verfaßte.

Die Kunst stets fröhlich zu sein ist ein Hirngespinnst. Warum? weil ich mit meinem Liebling, dem Autor des goldenen Büchleins de l'esprit glaube: que l'homme n'est rien continuellement. Man kann nicht immer fröhlich sein, so wie man nicht immer zu lachen oder zu weinen vermag.

Aber die Kunst zu leben? Sokrates lehrte sie. Vielleicht hatte ihm Aspasia mehr davon beigebracht als sein Hausgeist. Einige Schöngeister trieben sie in der beneidenswerthen Schule des trefflichsten Mädchens ihrer Zeit, der Ninon de Lenclos.

Wahrlich, die Philosophie ist nichts als die Kunst zu leben. Ich weiß allerdings, daß sie Einige für die Kunst zu sterben halten. Allein dieser Gesichtspunkt ist mir zu sublim.

Weit entfernt mit Hobbes und Rochefoucault den Tod für das größte Uebel zu halten unterschreibe ich in articulo mortis die sanfte Anschauungsweise des Montaigne und seines Schülers Charron. Oder ich nenne, wenn man einen Dichter haben will – nicht den melancholischen Young, der seine überspannten nächtlichen Accente in jene der Uhu und der Käuzchen mischte – sondern den zärtlichen, schuldlosen, sorgenfreien Chaulieu.

Was ist der Tod!

Wie weit sind wir doch in diesem Punkte hinter der Philosophie der edlen Alten zurück! Wenn uns Täuschungen unentbehrlich sind, warum wählen wir denn nicht stets die reizendsten?

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LVII.

Ueber die Pathologie der Thiere.

So wie die Natur den Thieren ihr Recht gelehrt hat – ius naturae est quod natura omnia animalia docuit, sagt der Salbader Justinian – so hat sie diese auch durch den Instinct in der Arzneikunst unterrichtet.

Wenigstens dachte das Alterthum so, und man muß ganz dieser Meinung sein. Lesen wir zum Beispiel das 8. und 21. Buch des Plinius und vergleichen wir damit das 3. Buch des »Meierhofs« von Vaniere.

Von einem Wiesel lernte einst ein Landmann die Raute als ein Gegengift keimen. Dies Thierchen biß sich mit einer Schlange herum, und so oft es sich verwundet fühlte lief es zu einem Rautenstrauch hin, fraß, und kehrte dann muthig zu seinem Feinde zurück. Der Bauer beobachtete dies und riß den Rautenstrauch aus. Nun rannte das arme Thier hin und her, suchte eine andere Rautenstaude, und da es auf dem ganzen Felde keine fand, so starb es.

Die Alten, welche den Nutzen und die Heilkraft der Kräuter vielleicht besser kannten als wir, lobten die Raute gar sehr. Man lese auch im » Tabernaemontanus«, dem Werke eines pfälzischen Arztes, der im sechszehnten Jahrhundert lebte.

Die Machaonen sind keineswegs die Erfinder der Arzneikunst. Der Storch brachte uns auf die Theorie der Klystiere. Dem Hirsch haben wir die Kenntniß von der Wirkung des wilden Poley zu danken. Die Schwalben curiren seit Jahrtausenden die Augen ihrer Jungen mit Schellwurz. Die Schildkröte braucht gegen den Schlangenbiß den Saturey. Das wilde Schwein ist sein eigener Arzt, es purgirt mittelst des Epheu oder der Seekrebse. Der Bär verzehrt Ameisen, wenn er sich durch die Mandragorawurzel vergiftet hat. Das Reh liebt die Artischocken, die wir so gern mit grünen Erbsen speisen. Ringeltauben, Amseln, Elstern und Rebhühner verlieren bisweilen den Appetit, und dann wenden sie sich an Apollo's geheiligten Baum und genießen dessen magenstärkende Beeren.

Vergebens spotten wir der Leichtgläubigkeit der Alten. Buffon vertheidigt sie mit Recht. Allerdings, wir finden unterweilen Fabeln bei ihnen, aber sind denn die Theorien unserer Zeitgenossen frei davon? Fragen wir unsere Chirurgen wer den Aderlaß erfand. Er wohnt in den großen Flüssen Afrika's, im Nil, Senegal, der Zaire u. a. und heißt – Hippopotamus.

                   

– – – Hippopotamus junco sibi primus acuto
Incidit nimio salientem sanguine venam.

Plinius nennt die Magie die betrüglichste aller Künste. »Ihre Mutter«, sagt er, »war die Medicin; die Tochter aber maßte sich des Vorrangs über die Mutter an.« Aus dem Geize der Sterblichen läßt sich erklären, wie diese heillose Kunst, die sich einerseits mit der Arzneiwissenschaft, andererseits mit der Astrologie begattete, zu hohem Credite gelangen konnte.

Ebenso aufgeklärt dachte Plinius über die Währwölfe. »Daß sich Menschen in Wölfe verwandeln und hernach ihre frühere Gestalt wieder bekommen, das müssen wir entweder zuversichtlich leugnen oder müssen Alles glauben, was wir seit so vielen Jahrhunderten als fabelhaft befunden haben. Keine Lüge ist so impertinent, daß sie nicht einen Zeugen sollte aufweisen können.«

Warum mußte dieser erleuchtete Mann sich gerade über den wichtigsten Punkt der Naturlehre, über das Wesen der menschlichen Seele im Irrthum befinden! Warum mußte er, der so viele Wahrheiten erkannte, just die größte und evidenteste unter allen, die Unsterblichkeit des Menschen leugnen!

So ist unser Schicksal. Wo wir die Vernunft am nöthigsten brauchen, wo sie unseren Erkenntnissen zum Sieg verhelfen sollte, da verläßt sie uns. Und das ist keiner der verächtlichsten Vorzüge, welche wir den Thieren vor uns einräumen müssen. Denn ist es nicht glücklicher durch blosen Instinct das Nützliche zu finden, als bei Vernunft im Finstern tappen?

Ich möchte zum Beispiel lieber eine Rohrdommel sein, als folgende Stelle niedergeschrieben haben.

»Nach dem Tode schreibt man dem überlebenden Theil bald diesen bald jenen Aufenthalt zu. Es ist aber bei uns Allen nach dem letzten Tage Dasselbe, was es vor dem ersten war. Und nach dem Tode haben Leib und Seele eben so wenig Gefühl als vor der Zeugung. Aber die menschliche Eitelkeit verlängert unser Wesen und lügt uns Leben selbst im Grabe vor. Man giebt der Seele bald Unsterblichkeit, bald eine Umbildung, bald Denen unter der Erde Empfindung. Man ehrt was übrig bleibt und macht den zu einem Gott, der Mensch zu sein aufgehört hat.«

Wie sehr hätten wir Ursache die Thiere zu beneiden, hätte uns nicht eine höhere Philosophie als die des gelehrten Heiden belehrt, daß wir von unvergänglicherem Stoffe sind als sie.

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LVIII.

Vom Himmel gefallene Dinge.

Man weiß, daß ehemals viele Dinge theils vom Himmel gefallen, theils vom Himmel zu uns gebracht worden sind. Wer kennt nicht die Oriflamme; das Fläschchen, woraus man die allerchristlichsten Könige salbt; die heiligen Schilde der Römer; den Koran, der capitelweise aus den Wolken fiel; das Kreuz, welches dem heiligen Ulrich vom Himmel gebracht wurde und dem Kaiser Otto II. den Sieg wider die Ungarn vorbedeutete; den großen Stein, der 255 Pfund wog und am 7. Dezember 1492 bei Ensisheim vom Firmament herabstürzte? Alle diese Dinge sind äußerst gewiß, denn sie sind von glaubhaften Zeugen attestirt und gründen auf canonische Schriften!

Bisweilen aber sind Dinge vom Himmel gefallen, welche der Erde sehr viel Schaden zugefügt haben müßten. Ich berufe mich auf St. Johannes den Apokalyptiker und die chinesischen Annalen, welche, wie Jeder weiß, nie lügen. St. Johannes sagt im 8. Capitel seiner Visionen, es sei ein Stern Namens Wermuth vom Himmel gefallen. Fontenelle erzählt am Schluß seiner Entretiens sur la pluralité des mondes, er habe in einer übersetzten chinesischen Chronik gelesen, es wären zehntausend Sterne auf einmal in's Meer herabgeprasselt und zerschmolzen. Vermuthlich war es bei der Insel Formosa, wo der Fisch Oannes sich aufhält, der alle Jahre einmal an's Land kommt, um den Fischern eine Predigt zu halten.

Wenn das wahr wäre, so müßte unsere Astronomie noch sehr im Dunkeln tappen. Wir kennen keinen Stern, der erheblich kleiner wäre als die Erde, wohl aber sehr viele, die außer allem Vergleich größer sind. Wie konnten nun diese zehntausend Sterne sich gerade unsere Erde, ein Bällchen aussuchen, das im unermeßlichen Raume nur ein Pünktchen ist?

War zweitens nicht schon Einer hinreichend, diesen Globus, der nur aus einer Masse Glas und Schwefel zusammengesetzt sein soll, zu zertrümmern? Hätte man darnach noch Annales à la chinoise und Apokalypsen schreiben können?

Zwischen der Erde und andern Totalkörpern ist durch anziehende und abstoßende Kraft eine große Kluft befestigt. So wie nichts aus dem Monde oder Saturn auf die Erde fallen kann, so kann auch nichts von der Erde in den Mond fallen. Alles, was von der Oberfläche des Globus sich in die Luft erhebt, behält auch dort mit allen Erdkörpern ebendieselben Eindrücke und gemeinschaftliche Richtung der Bewegung, welche die Erde selbst hat. Eine Bombe fliegt daher nicht allein in einer krummen Linie durch die Luft fort, sondern nimmt auch während des Fluges an beiden Bewegungen des Globus Theil. Die Kraft, womit sie steigt, mag noch so groß sein, zuletzt wird sie doch von der Schwere der Bombe und der anziehenden Kraft des Globus überwältigt. Die Bombe eilt, sich wieder nach der Oberfläche der Erde zu senken.

Daher sind alle Himmelfahrten, das heißt Luftreisen von einem Planeten zum andern unmöglich. Die ewig unabänderlichen Gesetze der Schwere erlauben keinem Menschenkörper über die Höhe unserer Atmosphäre hinaus in die Höhe zu fahren. Auch ist, wie die Physik lehrt, der Himmel kein besonderes Firmament, wohin man fahren könnte. Alle Weltkörper schweben im Himmel, folglich auch die Erde.

Außerhalb unseres Luftkreises müßte es einem Aeronauten unmöglich sein zu athmen, zu leben. Er würde ersticken und von der Anziehungskraft eines andern Totalkörpers ergriffen entseelt auf dessen Oberfläche niederstürzen.

Kein Mensch könnte eine solche Himmelfahrt giltig bezeugen; denn wie weit reicht unser Blick in die Tiefe des Aethers? Würden wir ein so winziges Ding, als ein Mensch ist, noch sehen können, nachdem es sich über die Grenzen unserer Atmosphäre erhoben hätte?

Was man also bezeugen könnte, wäre nur das Steigen eines Körpers in unserer Atmosphäre, nicht seinen Flug nach Welten, die Millionen weit von uns entfernt sind. Wo immer bliebe der Beweis, daß der Reisende dort glücklich ankam? daß er sein Leben und Wesen dort noch fortsetzt?

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