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Erste Abtheilung.
Zur Geschichte und Literatur.

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I.

Julian.

»Perfidus ille Deo, sed non est
   perfidus orbi.«

Prudentius .

Rom beseufzte das Zeitalter der Auguste, der Titus, der Trajane, jenes goldene Zeitalter, wo die Götter hernieder gestiegen zu sein schienen, ihr Amt auf der Erde zu verwalten. Eine zusammenhängende Reihe von Taugenichtsen und Barbaren, bei denen zu verweilen die Geschichte sich selber schämt, führte seit zweihundert Jahren das Scepter der Welt. Das menschliche Elend kennt keine betrübtere Epoche. Endlich erbarmte sich die Vorsehung: sie rief den Schüler Maxim's auf den Thron.

Zwei und dreißig Jahre zählte Julian, als ihm der Tod des Constantius die Kaiserkrone darbot. Ein erhabenes, vom Unglück geläutertes Herz, eine lichte, philosophische, durch Forschen gefestete Seele, ein Geist von ungemeinem Umfange, das sind die Grundzüge im Charakter dieses Fürsten. Sie sind es, aus denen sich einer der vollkommensten Herrscher, Helden und Völkerväter bildete.

Die Leitschnur, welche man sich wählen muß, in der von der Kritik unendlich angefochtenen Geschichte dieses Kaisers den Eckstein zu finden, ist, daß man zwischen den übertriebenen Verleumdungen und unmäßigen Lobreden seiner Zeitgenossen die Mitte hält, und ihn bei seinem eigenen Schatten erfaßt, das heißt in seinen Schriften aufsucht.

Hier findet man einen Fürsten, der gerecht, mäßig und vorurtheilsfrei ist, der seine Würde ohne Hochmuth zu behaupten weiß, und in den feurigsten Jahren der Jugend die ganze Reife eines in Geschäften ergrauten Mannes zeigt; man findet einen Monarchen, der mit gleicher Wärme die Aufgabe des Herrschers, des Feldherrn, des Philosophen und des Menschen durchführt:

                   

» – – Ductor fortissimus armis
Conditor et legum celeberrimus: ore manuque
Consultor patriae: sed non consultor habendae
Religionis: amans tercentum millia divum
Perfidus ille Deo, sed non est perfidus orbi

Dies ist das Geständniß, das Julian selbst seinen Feinden abnöthigte.

Der schönste Theil seines Lebens war für die Welt bereits verloren. Heimliche Kränkungen, innerer Verdruß, selbst begründete Besorgniß vor Meuchelmördern umwölkten seine Jugend. Es ist wahr, der schlaue Constantius ließ ihn scheinbar an der Regierung theilnehmen, indem er ihn zum Cäsar erklärte und ihm die Statthalterschaft in Gallien übertrug. Allein dies hieß ihn geradezu von Regierungsgeschäften entfernen. Man suchte ihn zu occupiren, blos weil man die Muße eines kräftigen Geistes mehr fürchtete als dessen Arbeit.

In der That, man ist betrogen, wenn man der Geschichte blindlings folgt. Sie behauptet, alle Welt hätte den Cäsar für einen Pinsel gehalten. Es ist möglich, daß die Menge, welche immer falsch schließt, den Prinzen so betrachtete; aber ist es wahrscheinlich, daß Constantius und seine Minister ihn nicht etwas besser zu beurtheilen verstanden? Diesem eben so feinen als argwöhnischen Fürsten lag ja Alles daran, den Charakter seines Neffen genau zu erkennen. Dies bestätigen die Begebenheiten.

Thatsache ist, daß Julian, einen herrschsüchtigen und grausamen Herrn auf der einen Seite, auf der andern einen Hof von Schelmen, sich selbst aber von Spionen umringt sehend sich in sich selbst zu verbergen beschloß. So blieb er während seiner Mindermächtigkeit undurchdringlich und erschien ungefährlich. Kaum einige Funken des Feuers, von welchem seine Seele erglühte, brachen während seiner Statthalterschaft in Gallien hervor. Er verminderte die Steuern und führte eine neue Disciplin in die Armee ein. Allein diese Maßregeln waren von so großer Behutsamkeit begleitet, daß sich deutlich gewahren läßt, wie sehr er sich vor einem verrätherischen und gefährlichen Hofe zu hüten suchte. Seine erster Feldzug war eine blose Schulübung, die ihm Ehre machte.

Inzwischen wurden dieselben Umstände, die ihm äußerlich so viel Zurückhaltung auferlegten, andererseits der Welt zum Glück. Ihnen ist es zuzuschreiben, daß sich sein Geist in sich selbst kehrte, sich schärfte und zu großen Ideen reif ward. Diese Umstände sind es, die ihn jener Philosophie zuwendete, welche nachmals herrschte und ihn selbst an die Seite der berühmtesten Weltweisen versetzte. Sie sind es vielleicht auch, welche ihm Zeit und Stoff gaben jene nützlichen Entwürfe auszusinnen, welche er bei seinem Regierungsantritte in's Werk brachte. Eine sehr gerechtfertigte Muthmaßung, wenn man erwägt, daß seine neunzehnmonatige Regierung thatenreicher ist als Jahrhunderte anderer Kaiser.

Kaum ergreift Julian die Krone, die ihm mitten im Lager vor Aquileja entgegen kam, so verändert Alles seine Fläche. Es scheint, der junge Philosoph erinnerte sich in diesem Augenblicke eines Spruches seines Lehrers Plato: »Die von den Göttern berufen sind, die Schicksale der Völker zu leiten, müssen alles Irdische von sich ablegen.« Niemals nahmen mehr Tugenden auf dem Throne Sitz. Ein Geist voll schöner Regungen, ein gemäßigtes Temperament, eine Keuschheit, welche alle Heilige seiner Zeit beschämte, die ganze Weisheit Antonin's, alle Güte Trajan's, Cäsar's Heldenmuth, Cato's Ernst, die Tapferkeit Alexander's und Scipio's Enthaltsamkeit geleiteten Julian auf den Sitz der Auguste.

Ueberzeugt, daß wahre Größe nicht im äußern Prunk beruhe, war er ungemein bescheiden in seinem Auftreten. Nie sah man den kaiserlichen Purpur an ihm als bei feierlichen Gelegenheiten. Zu allen übrigen Tagen kleidete er sich sehr einfach; seine Stoffe gehörten einer sehr geringen Gattung an, und meistentheils trug er die Uniform der Armee.

Niemand konnte mäßiger sein in Speise und Trank. Sein Mittagsmahl bestand in Gemüse und Obst, sein Nachtmahl war noch frugaler, und Wasser sein einziges Getränk.

Sein Lager bestand in einer Matte auf ebener Erde, im Felde aus einer Löwenhaut. Beispiele, daß er sich den Reizen der Wollust hingegeben, kennt man keine. Außer einer Ehe, welche mehr aus Politik als Neigung geschlossen, weiß man nichts von Geschlechtsverhältnissen. Seine Tugend war in diesem Punkte über alle Vorwürfe erhaben, und verdient um so mehr Anerkennung, als sie nicht in einem Temperamentsfehler, sondern auf Grundsätzen beruhte. Befragt, warum er nicht ein Weib nähme, das dem Reiche einen würdigen Erben schenke, antwortete er: Deshalb nicht, weil es sich treffen möchte, daß dieser Erbe ein unwürdiger wäre.

Julian's großes Herz hing weder an Reichthümern noch an Vergnügungen, es schlug nur für den Staat. Er kannte keine andere Zerstreuung als welche der Wechsel der Geschäfte bot. Er erhob sich stets vor Anbruch des Tages, verrichtete sein Gebet zum Mercur und begab sich dann an die Arbeit oder zur Audienz. Das Theater besuchte er dem Volke zu Gefallen, und er verweilte darin mit der Ungeduld eines Weisen, der jeden Augenblick für verloren hält, den er nicht dem allgemeinen Wohle und der Cultur seines Geistes widmet. Er sah dem Spiele nur einige Minuten zu und eilte dann wieder in sein Cabinet.

So war denn das Leben dieses seltenen Monarchen zwischen seinen Obliegenheiten und dem Umgange mit erfahrenen Männern getheilt. Dies hatte natürlich etwas Ernstes in seinem ganzen Benehmen zur Folge, doch ist die Strenge seiner Verfügungen nicht das Resultat übler Laune, sondern das Ergebniß der Ueberlegung und Staatsklugheit.

Man weiß, daß er gleichwol bisweilen sehr heiter und scherzhaft sein konnte. Verschiedene Bonmots, welche die Geschichte aufbewahrt hat, überzeugen davon. Hier zwei Beispiele. Die Valentinianer und Arianer hielten die Behörden durch ihre fortwährenden Streitigkeiten in unaufhörlicher Bewegung; sie trieben die gegenseitige Wütherei bis zum Blutvergießen. Um dieser Plage ein Ende zu machen, erübrigte kein anderes Mittel, als die Kirche, welche den Zankapfel bildete, zu confisciren. Bei dieser Gelegenheit schrieb Julian an den betreffenden Statthalter, ihm dringend die Fernhaltung aller Gewaltthätigkeiten anempfehlend: »Da das unvergleichliche Gesetz des Evangeliums ihnen befiehlt, sich von den Besitzthümern der Erde los zu machen, um desto eher des Himmels Reichthümer zu erwerben, so wollen wir, so viel an uns liegt, ihnen den Weg dazu erleichtern.« Man muß gestehen, daß man bei einem solchen Anlaß sich weder milder noch witziger ausdrücken konnte. Als ihm seine Vertrauten vorstellten, daß Alexander, dem er die Statthalterschaft in Syrien übertrug, ein heftiger und zu Grausamkeiten geneigter Mann sei, versetzte er: »Ich weiß, daß Alexander keine Statthalterschaft verdient; aber Antiochia verdient Ihn.«

Das Erste, womit Julian sein Regiment begann, war die Einschränkung seines Hofstaats und gesammten Haushaltes. »Die Reform,« sagte er, »welche ich mit dem Staate vornehmen will, muß bei mir selbst anfangen.« Die Menge der Hofbeamten unter den vorigen Kaisern hatte beinahe mehr Aufwand erfordert als die Erhaltung der Legionen. Es waren fast durchgängig durchlauchtige Bettler, geschäftige Müßiggänger, Menschen ohne Verdienst und Ehre, welche wie die Schweißmücken an des Regenten Tafel hingen. Ihre Bittschriften strotzten von Armuth, ihre Häuser von Luxus. Es war jene Gattung von Menschen, von welcher ein berühmter Schriftsteller sagt: Die Luftspringer und Windbeutel sprechen, daß sie zu leben wissen; die Klugen und Ehrlichen aber, daß sie nicht zu sterben wissen. Von diesen Auswüchsen also reinigte Julian den Hof. Ohne Gnade ertheilte er einigen tausend Verschnittenen den Laufpaß. Die Zahl der kaiserlichen Agenten, Schreiber, Lieferanten, Controleure u. dgl. setzte er von 10,000 auf 17 herab. Im Küchenwesen fand er über zwölfhundert Personen. Er schickte sie alle bis auf ein paar mit der Bemerkung fort, bei ihm würden sie nur ihre Kunst verlernen. Einst ließ er einen Barbier rufen. Ein prächtig gekleideter Mann trat ein. »Wer seid Ihr?« »Euer Majestät Sclave, der Hofbarbier Fadius.« »Packt Euch! Ich habe einen Barbier verlangt, aber keinen Cavalier.« Wie sehr erstaunte Julian, als er vernahm, daß dieser Mensch ein größeres Einkommen beziehe, als eine Abtheilung Reiter, und daß er gerade noch 999 seines Gleichen hatte. Der Kaiser behielt nur eine geringe Anzahl auserlesener und zuverlässiger Personen zu seiner Bedienung. Diese lohnte er edel.

Vom Hofe aus verpflanzte sich die Reform in die Magistraturen. Diese befanden sich in der That in der trübseligsten Verfassung. Es gab Senatoren, welche ihre Muttersprache nicht verstanden; Finanzbeamte, die nicht rechnen konnten; Kriegsräthe, welche in ihrem Leben nicht im Felde gewesen; Advocaten, die kein Wort Latein zu reden wußten. Der Staat glich einem Spital, in welchem sich alle Krankheiten angesammelt hatten. Das Podagra, das Chiragra, die Hämorrhoiden, die Kolik und alle übrigen Früchte der Gefräßigkeit und der Faulheit saßen auf den Polstern der Regierung, der Rentkammer und des Kriegsraths. Die untergeordneten Kanzleien füllte eine unermeßliche Menge unreifer Burschen, Pflastertreter, Stutzer und Flachköpfe, deren ganzes Verdienst in Familienempfehlung bestand, und deren ganzes Tagewerk Bemalen gestempelten Papieres hieß.

Dieser Wirtschaft zufolge lag der Staat gleichsam in tiefem Schlafe, ohne Gesetze, ohne Gesichtspunkte, ohne Consistenz. Einsichtige seufzten, wenn sie bedachten, was die römische Krone sein konnte. Statt die Rolle des Gesetzgebers über ganz Europa zu spielen, wozu sie der Reichthum ihrer Länder und der Rang ihres Monarchen einlud, war sie so sehr herabgekommen, daß sie zuweilen Gesetze von andern annehmen mußte. Das war die Wirkung der Untüchtigkeit ihrer Staatsdiener und der Fehler der Verwaltung.

Julian's Regierung rief gewissermaßen einen todten Klotz in's Leben. Die Justiz, das Finanzwesen, die Polizei, der Handel und Verkehr, nichts blieb übrig, das nicht seinen umschaffenden und weisen Einfluß empfand. Mit Erstaunen sah die Welt den römischen Koloß erwachen und seine Arme über beide Halbkugeln der Erde ausbreiten.

Die Handhabung der Gerechtigkeit lag dem Imperator besonders am Herzen. In seiner eigenen Aufführung, sagt einer seiner Biographen, befleißigte er sich der strengsten Gesetzlichkeit, und in seinen öffentlichen Aussprüchen entfernte er sich niemals von ihr. Streng, ohne grausam zu sein, bediente er sich weit öfter der Drohungen als der Strafen.

In den Gesetzen und Gebräuchen des Staats wohl unterrichtet, wog er die Rechte der Parteien ohne Begünstigung und ohne Parteilichkeit ab. Der Erste seiner Hofbeamten hatte vor dem geringsten seiner Unterthanen keinen Vorzug. Er verkürzte die Prozesse, die er schleichende Fieber nannte, welche Recht und Gerechtigkeit untergrüben und verzehrten. Eine ihm zur Kenntniß gelangte Ungerechtigkeit dünkte ihn eine selbstbegangene, so lange er sie nicht beseitigt hatte. Wir haben die deutlichsten Vorschriften von ihm zur Beschleunigung der richterlichen Entscheidungen, zur Erleichterung der Appellationen und zur Sicherung des Erfolgs derselben.

Nur die Ungerechtigkeit murrte über die Härte einer Regierung, bei welcher sich weder ihr Interesse noch ihr Glück versprechen durften ungestraft durchzukommen. Was sie namentlich untröstlich machte war, daß Jeder ohne Mühe Zutritt zum Kaiser erlangen konnte. Nichts war leichter als ihn zu sprechen, da er sich täglich öffentlich zeigte, seine Hände nach Bittschriften ausgestreckt, welche er ohne Ausnahme las. Weder Religion noch andere Erwägungen beeinflußten seinen Willen. Aber er wußte, daß er ein Mensch war, und dankte es daher Jedem, der ihn vor einem Irrthum warnte. Daher stammt der Vorwurf, den ihm Gregor von Nazianz und andere Scribenten machen, daß er in seinen Aussprüchen sehr zurückhaltend alle Sachen, statt sofort selbst zu erledigen, wie es seine Vorfahren gewohnt gewesen, erst an seine Kanzleien verwiesen hätte. Zum Theil lag dies Verfahren aber auch in seinem Widerwillen gegen Angeber, ein Natterngeschlecht, das sich unter der vorigen Regierung ungemein vermehrt hatte und sein abscheuliches Gewerbe unter Julian fortzusetzen suchte. Das Glück Derer, welche mit der Schwachheit des vorigen Kaisers Mißbrauch getrieben, sollte ihn nicht überleben. Gleich im Anfange errichtete er zu Chalcedon einen Justizhof, der alle unter den früheren Regierungen begangenen Mißbräuche untersuchen und eine neue Gerichtsordnung aufstellen mußte. Und den bisherigen Senat, der sich weder seinen Absichten schnell genug unterzog noch tüchtig genug befunden wurde, löste er auf, um ihn nach andern Grundzügen neuzubilden. Vermöge der neuen Gerichtsordnung aber wurden nicht blos die Prozesse verkürzt und vereinfacht, sondern auch gebildetere Richter geschaffen, strenge Disciplin unter den Advocaten eingeführt und zwischen den einzelnen Tribunalen das nothwendige Ineinandergreifen hergestellt.

Bei aller Strenge gegen die Beamten ließ Julian doch immer die großmüthigste Gesinnung walten. Als einer der ersten Staatsdiener, wegen begangener Erpressungen flüchtig geworden, in seinem Versteck aufgefunden und dies dem Kaiser verrathen werden sollte, wehrte er es mit den Worten ab: »Ich will es nicht wissen, denn es liegt mir nichts daran die Freistatt eines Elenden zu kennen, der durch die Furcht vor meiner Ungnade schon genugsam bestraft ist.« Als gegen einen seiner Räthe Namens Numerius eine Untersuchung eingeleitet wurde, welche bei Mangel an gesetzmäßigen Beweisen zu keiner Verurtheilung führen konnte, rief sein Ankläger Delphidius heftig: »Nun, Cäsar, wer wird fernerhin noch strafbar sein, wenn man, um frei auszugehen, die That nur leugnen darf?« Julian entgegnete gelassen: »Und wer wird fernerhin noch unschuldig sein, wenn man, um verurtheilt zu werden, nur einen Ankläger braucht?«

Welche Gerechtigkeit! – –

»Sie mögen sich ruhig zu ihren Obern begeben; sie mögen beten, sich unterrichten lassen und dem Gottesdienst obliegen, dem sie ergeben sind. Wir erlauben es ihnen von nun an. Nur daß sie sich vor allen aufrührerischen Planen hüten! Denn wenn ihre Versammlungen ein Deckmantel der Meuterei sein sollten, so geschieht es auf ihre Gefahr hin: ich warne sie davor. Lebt alle ruhig, ihr Ungläubigen! Und ihr, die ihr treu geblieben seid der Religion eures Landes und den Göttern eurer Väter, verfolgt nicht Diejenigen eurer Nebenmenschen und Mitbürger, die wegen ihrer Irrthümer mehr zu bedauern als wegen ihrer Verhärtung zu tadeln sind. Mit Vernunft, nicht mit Gewalt, muß man die Menschen zur Wahrheit bringen. Wir fordern daher alle unsere getreue Unterthanen auf, die Galiläer in Ruhe zu lassen.«

In diesem Tone spricht das Edict, womit Julian's Toleranzsystem anhebt.

Welcher Ton! Welche Empfindung! Welch' ein Monarch!

In der That sollte es nicht länger gestattet sein, diesem Kaiser jenen Beinamen zu geben, den Bosheit erfand und Dummheit fortpflanzte. Wir wissen, daß wenn der erlauchte Julian einer irrigen Religion huldigte, er doch nimmer des Abfalls vom Christenthum schuldig gewesen. Nirgend findet man selbst die geringste Spur, daß er sich je in seinem Leben zur Religion des Evangeliums bekannt hätte. Vielmehr ist offenkundig, daß er seine Jugend in verschiedenen Schulen und unter verschiedenen Lehrern zubrachte, und daß die ihm aufgezwungenen christlichen Unterweisungen in seinem Herzen nie Wurzel schlugen, sondern nur die tiefste Abneigung gegen das Wesen des damaligen Christenthums erzeugten. In reifen Jahren fiel er dann auf die unglückliche Wahl, daß er sich für die Religion seiner Vorfahren und die Götter seines Landes erklärte.

Und was war dies für eine Religion? Das System der Vernunft auf das Gesetz der Natur gegründet; der einfachste und unschuldigste Religionsbegriff von der Welt! Es war jenes Bekenntniß, welches Julian die Grundsätze der Gerechtigkeit, der Mäßigkeit, der Menschenliebe, der Weisheit einflößte, die ihn zum liebenswürdigsten und tugendhaftesten Sterblichen seiner Zeit machten.

Statt also sein Andenken mit einem Schimpf zu beladen, sollte ihm die Nachwelt dieselbe Gerechtigkeit zu Theil werden lassen, deren er sich selber gegen Jedermann befleißigte; statt ihm den schmachvollen Beinamen »der Abtrünnige« zu geben, den die Geschichte zu ihrer eigenen Schande aufbewahrt hat, sollte man seine Irrthümer mit ehrfurchtsvollem Schweigen übergehen.

Allein Julian's Toleranzsystem brachte dieselbe Wirkung hervor, welche es in der christlichen Kirche beständig hatte. Weil sie nicht herrschen konnte, schrie sie sich als unterdrückte aus. Der Fanatismus stieß in sein gebräuchliches Horn: man klagte über Gottesverrath, Verfolgung und Martyrthum.

Von Alledem lag nicht das Mindeste im Plane des Kaisers. Er war einer der Koryphäen der Eklektik. Er hatte Schwäche für dies System. Mittelst einer Verschmelzung des Heidenthums und der evangelischen Moral hoffte er eine Religion durch die andere zu läutern. Dies ist die kürzeste und richtigste Anschauung seines Planes, der aus allen Maßnahmen hervorleuchtet. Hätte Julian etwas Anderes gesucht, so würde er nicht mit der Toleranz angefangen haben, sondern mittelst des Henkers.

Gleichwol ist behauptet worden, der Kaiser hätte einen Schwur gethan, wenn er aus seinem Kriege gegen die Perser zurückkehre, wolle er das Christenthum ausrotten. Wie aber ist es möglich, einem Julian solch' einen Vertrag mit den Göttern nachzureden! Er beschützte im Gegentheil das Christenthum; seine Verdienste um dasselbe sind so klar am Tage, daß man entweder im höchsten Grade boshaft oder bis zur Bestialität blödsinnig sein muß, um sie zu leugnen. Er rief zum Beispiel alle unter den vorigen Regierungen in's Elend getriebenen Christen durch ein Generaledict zurück, ließ die Bischöfe von ihren verlassenen Kirchen wieder Besitz nehmen, und vertheidigte die christliche Gemeinschaft wider deren erbittertste Gegner, die Arianer. Darf man anders dem Zeugniß eines Heiligen Glauben schenken, so konnte sich selbst der heil. Gregor nicht entbrechen, Julian gerecht zu werden, indem er von der Weisheit und Mäßigung seiner Statthalter, insbesondere des Candian, mit Lob spricht.

Julian wollte den Dienst der Götter in seiner ursprünglichen Einfachheit und Natürlichkeit wiederherstellen. Daß er als Kaiser und Philosoph dies nicht für unmöglich erachtete, muß man ihm verzeihen. Wenn er aber diesen einfachen und natürlichen Gottesdienst nicht in der damaligen christlichen Kirche suchte, so sei man ehrlich und gestehe, daß die traurige Verfassung derselben ihm wahrlich keinen Anlaß dazu bot.

Nichts war der Wuth zu vergleichen, womit sich die verschiedenen Secten des Christenthums untereinander verfolgten und aufrieben, noch dem Unsinn und der Bitterkeit, welche in ihren Schulen und Versammlungen ihr Spiel trieben.

Sie jagten einander von den Altären, bemächtigten sich der Kirchen und Güter, legten Brände an, zerstörten die geweihten Gefäße, ermordeten die Priester, schändeten die Klosterjungfrauen, rissen diejenigen, die sich mit ihnen in Wortwechsel einließen, in Stücke, tödteten Mütter und Kinder, entheiligten alles Heilige: und Alles da im Namen Jesu Christi, den sie bei ihren Verbrechen beständig im Munde führten.

Der Geist des Aufruhrs und der Spaltung war so mächtig, daß ihre Bischöfe einen Geruch der Heiligkeit darin suchten, das Volk in unaufhörlicher Bewegung zu erhalten, und das Aergerniß so ungeheuer, daß man nicht mehr bei dem Namen Gottes, sondern bei dem ihrigen schwur.

Von diesen Scenen war nun Julian persönlicher Zeuge gewesen. Er wußte, wie er an einer Stelle seiner Schriften sagt, daß es Christen giebt, welche Abweichungen im Glauben einander nicht verzeihen können, und diese allein hinreichend sind, alle Bande der Natur und Menschlichkeit zu zerstören.

Julian den Philosophen mußten solche Zustände anwidern, und Julian der Kaiser zu viel Einsicht besitzen, um nicht die verderblichen Folgen für die politische Ordnung des Staats zu fürchten, und zu viel Vaterlandsliebe, um einem der allgemeinen Wohlfahrt so verderblichen Unwesen nicht zu steuren. Mit allem Eifer des Menschen wie des Herrschers suchte er also ein Mittel wider diese Staatskrankheit, und er glaubte es in der Toleranz zu finden. »Weder Schwert noch Feuer,« sagt er in einem Briefe an Basilius, »sind vermögend in dem Glauben der Menschen Aenderung hervorzubringen. Das Herz widerspricht immer der Hand, welche Furcht zu opfern zwingt, und die Leibesstrafen machen nur Heuchler, welche im Leben ungetreu und im Tode Märtyrer sind. Laßt uns sie also zu gewinnen suchen.«

In Folge dieser Ueberzeugung alle Secten duldend, schenkte er damit zugleich dem Staate zwei bis drei Millionen Menschen, welche in ihr Vaterland zurückkehrten.

In einem andern Edicte, das ewig ein Meisterstück von Menschenverstand und Regententugend bleibt, ermahnt er Alle zur Eintracht und zum Frieden. Jedermann eröffnet er freie Ausübung seines Gottesdienstes, und den Statthaltern schärft er in den nachdrücklichsten Befehlen ein, Niemand in seinem Glauben zu kränken, alle Secten ohne Unterschied mit Güte und Nachsicht zu behandeln.

»Nicht,« setzte der Monarch hinzu, »als ob ich es für unrecht hielte, sie als Unsinnige wider ihren Willen zu heilen, sondern weil ich denen krank zu sein erlaube, die es durchaus sein wollen. Meine Meinung ist, daß Unwissende zu unterrichten aber nicht zu strafen sind.«

So war Julian der Götterfreund. Allein vergebens singt man den Tauben.

Undank und Aufruhr war der Lohn, den ihm die Christen dafür zollten.

Zanksucht, Verfolgungswuth, Geiz und alle Verbrechen, welche der Kirche von jeher anhingen, nahmen unter den Bekennern des Evangeliums kein Ende. Die Pfaffen, jene Sorte von Menschen, in welche das Laster alles Gift ausgeströmt hat, hetzten den Pöbel unermüdlich gegen den wohlmeinendsten Landesvater auf. Der heil. Gregor nennt den Beherrscher der Welt nach ächter Heiligenpolitesse öffentlich einen Affen.

Gewiß, es wäre Julian nicht zu verargen gewesen, wenn er die Christen gründlich verachtet hätte. Man bemühte sich nicht im Mindesten, sich seiner Gnade würdig zu zeigen. Man beachte zum Beispiel folgenden Vorfall.

Der Kaiser hielt einen feierlichen Einzug in Fortuna's Tempel, das ist zu einem der Heiligthümer seiner Religion. Die römischen Priester, welche im Vorhofe pontificirten, besprengten den Monarchen und seine Begleitung mit geweihtem Wasser. Ein Tropfen traf dabei die Uniform Valentian's, eines Christen, der als Commandant der Leibwache hinter dem Kaiser marschirte. Wüthend springt er sofort auf den Priester los, schlägt ihn mit dem Schwert und wirft die Uniform, die er sich vom Leibe reißt, dem Kaiser vor die Füße.

Ungeachtet er nun wegen dieser Vermessenheit den Tod verdient hätte, begnügte sich Julian doch mit einem blosen Verweise, indem er sagt, daß er nicht Willens sei, das Verbrechen, wohl aber den Christen zu schonen.

Zwei Tollkühne zerstörten den Altar der Cybele zu Pessinus in Phrygien. Julian ließ sie vor sich bringen. »Gesteht,« redete er sie an, »daß ihr gefehlt habt; ihr waret vielleicht trunken, oder die thörichte Einbildung, daß ihr euch damit bei eurer Gottheit ein Verdienst erwerbet, verblendete euch.« Was erwiederten die Christen? Sie lästerten dem Monarchen in's Angesicht; sie spotteten seiner Worte und drohten ihm mit der Rache ihrer Priester. Da verdammte sie Julian zum Tode, nicht, wie er sagte, weil sie Christen wären, sondern als Störer der öffentlichen Ruhe.

Die Geschichte ist voll von Verbrechen gegen den Kaiser. Und warum auch nicht? Ist's nicht die Geschichte des Christenthums?

In der That, die Greuel, welche einst in der christlichen Gemeinschaft herrschten, waren so groß, daß man nicht ohne den tiefsten Abscheu daran denken darf. Das Priesterthum hatte bereits einen unermeßlichen Stolz angenommen. Die Beleidigungen unruhiger und übermüthiger Pfaffen gegen die weltlichen Herrscher verstiegen sich zum Aeußersten.

Im Jahre 353 versammelte man sich in der kaiserlichen Residenz zu einem Nationalconcil. Alle Bischöfe gingen nach Hofe, um dem Kaiser Constantius und seiner Gemahlin Eusebia ihre Ehrerbietungen darzubringen. Nur Leontius, Bischof von Tripolis verweigerte sein Erscheinen bei Hofe, erklärend, daß er sich nie so weit erniedrigen würde, vor einem Monarchen seine Knie zu beugen. Eusebia schickte, für dies Betragen von dem Zorne des Kaisers Alles fürchtend, eilends zu dem Prälaten, ertheilte ihm einen milden Verweis, und forderte ihn auf, sein Versehen zu bessern so lange es noch Zeit wäre. Und da sie dieses Mannes rohe Unbeugsamkeit kannte, verhieß sie ihm Neubau und reichste Ausstattung einer großen Kirche, wofern er sogleich am Hofe erschiene.

»Sagt ihr,« antwortete der Pfaffe den Boten der römischen Kaiserin, »wenn sie auch Alles hielte, was sie versprochen, so würde sie damit bei mir noch nichts ausrichten. Thut sie etwas für die Kirche, so geschieht's zum Heile ihrer eigenen Seele. Begehrt sie meinen Besuch, so muß sie etwas für mich thun, das heißt, sie muß mich mit der einem Bischofe schuldigen Achtung aufnehmen. Sie muß, sobald ich in den Saal trete, sich von ihrem Sitze erheben, mir entgegen kommen und sich verbeugen, um meinen Segen zu empfangen. Wenn ich mich alsdann niederlasse, muß sie demüthig so lange vor mir stehen bleiben, bis ich ihr erlaube, sich gleichfalls zu setzen. Auf diese Bedingung hin wird ihr der Bischof Leontius seinen Besuch schenken. Ohne diese aber ist sie weder mächtig noch reich genug, mich zur Verleugnung meiner Würde zu verleiten.«

Unverschämter konnte weder ein Prälat noch Laie sein. Und wie soll man sich ob des Hochmuths der Geistlichen späterer Zeiten wundern, wenn sie solche herrliche Muster in den Jahrbüchern ihres Ordens lasen?

Ein so neues und so übermüthig verlangtes Ceremoniell, sagt die Geschichte, mißfiel dem Hofe sehr. Die Kaiserin forderte von ihrem Gemahl Genugthuung für die Frechheit jenes Pfaffen. Allein die Intriguen des Priesterthums hatten bereits so viel Einfluß gewonnen, daß sich die Kaiser selbst fürchteten. Constantius, der zu einer andern Zeit seiner Gemahlin mit dem Kopfe des Rebellen ein Geschenk gemacht haben würde, witzelte diesmal: er nannte die Vermessenheit des Bischofs apostolische Freiheit. Wie viel Schwäche er damit kund that, sollte er bald selber fühlen. Als er in einer der Sitzungen des Concils einige kirchliche Anordnungen in Vorschlag brachte, welche den Beifall der Bischöfe erlangten, erhob sich Leontius und sagte dem Kaiser trotzig: »Es ist sehr zum Verwundern, daß Ihr, der sich nur mit den Angelegenheiten seines Hofs und der bürgerlichen Regierung des Staats beschäftigen sollte, Euch unterfangt, den Bischöfen Vorschriften in Dingen machen zu wollen, welche lediglich in ihrem Belieben beruhen.«

Bei Julian hatten dergleichen Vorgänge die Wirkung, die sie verdienten und in einem erleuchteten und entschlossenen Monarchen nothwendig hervorrufen mußten. Er ergriff das Rauchfaß selber und proclamirte sich zum Pontifex Maximus in seinen Staaten. Eine solche Verbindung war durchaus nicht neu. In der einen Hand die Opferschale, in der andern das Schwert, beherrschten die alten Könige Egyptens, Asiens und Roms die Welt in ungetrübter Ruhe; und diese Verbindung ist's, warum uns die Geschichte aus jenen Zeiten kein einziges Beispiel eines Religionskrieges nachzuweisen vermag.

Durch diesen Schritt also hieb der Kaiser zuerst der Kabale den Kopf ab. Darnach ward es ihm leichter den Plan in's Werk zu setzen, den er für die Aufklärung und Ruhe seines Reichs entworfen.

Er hob die bisherigen Schulen auf, weil sie die Quelle aller Religionszänkereien, die Schlupfwinkel der Dummheit und Faulheit und die Tummelplätze aller Unsinnigkeiten waren; er setzte an ihre Stelle neue, ohne Unterschied des Bekenntnisses brauchbare, gemeinnützige Anstalten. In allen Städten setzte er Katecheten, Prediger und Lehrer ein, denen er faßliche und übereinstimmende Lehrbücher vorschrieb.

Für jede Provinz bestellte er einen Oberpriester. Diesen räumte er, ohne vom Erzbischof zu Alexandria abzuhängen, völlige Gewalt über die Sitten und Pflichten der Geistlichen des Bezirks ein. Nichts ist vortrefflicher als sein bei dieser Veranlassung ergangener Hirtenbrief: »Bescheidenheit, Weisheit und Demuth sei eure Regel. Wer hoffärtig an die Stufen des Altars tritt, verdient Verachtung. Erinnert euch, daß ihr der Gottheit Sendlinge an die Menschen, die Mittler zwischen uns und den Unsterblichen seid. Diese Vorstellung muß aus allen euren Handlungen zu erkennen sein, und die Fernhaltung von weltlichen Dingen euer Kennzug.«

Julian verlangte von Jedem, der im öffentlichen Dienste des gemeinen Wesens stand, Liebe zur Gottheit und zu den Menschen. »Besitzt der Candidat diese zwei Wesentlichkeiten«, schrieb er an den Senat zu Constantinopel, »so kommt im Uebrigen nichts darauf an, ob er reich oder arm, von vornehmer oder geringer Herkunft ist.«

Er selbst bewies den reinsten und feurigsten Eifer für den Dienst der Götter. Er strebte mit allen Kräften darnach, den Gottesdienst erhabener zu gestalten, indem er Alles hineintrug, was der Religion würdig war und alles Entgegengesetzte daraus entfernte. Er hatte, sagt Mammertinus, eben so einfache als andachtsvolle Gebete entworfen, welche die Litaneyen verdrängen sollten; auch führte er Chorgesänge ein, wie sie in der Kirche zu Antiochien im Gebrauche standen.

Sein Spruch war: »Die Religion hat eine Sittenlehre, die Priester aber haben keine.« In dieser Erkenntniß zog er mehrere Stiftungen ein, welche der andächtigen Verschwendung Constantin's und seiner Nachfolger abgelistet worden, und gab damit dem Staate sein Eigenthum, der Menschheit dagegen eine Menge unnützer Bürger zur Erziehung zurück. Dafür baute er der Gottheit neue Tempel, und den Donatisten, Novazianern und andern Secten, welche sich zum Glauben an den einigen Gott bekannten und blos über Trivialitäten uneins waren, stellte er die verlorenen wieder zu.

Wäre es möglich gewesen, daß solche Reformen nicht Unwillen und Murren erregt hätten? Die christlichen Mönche, düstere Schwärmer und verhärtete Träumer holten ja ihren letzten Athemzug! Man schimpfte in der Stille und öffentlich, man hetzte den Pöbel in erbitterten Predigten auf, man nannte den tugendhaftesten Herrscher der Welt Ketzer, Abtrünniger, Feind Gottes. Die Bosheit vergaß sich so sehr, dem Kaiser vorzuwerfen, das Blut der Christen sei ihm zu verächtlich, blos weil er, um der Raserei der Märtyrersucht ein Ende zu machen, auf's Strengste befahl, keinerlei Gewalt gegen widerspenstige Christen anzuwenden.

Viel wäre noch zu sagen übrig. Wir begnügen uns noch zu vermerken, daß Julian im Kriege gegen die Perser von einem seiner eigenen Krieger, einem Christen, mittelst eines Lanzenstiches getroffen wurde. »Du hast gesiegt, Galiläer!« rief er vom Pferde sinkend. Der Fanatismus legte diesen Worten eine andere Bedeutung bei.

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II.

Justinian.

Zur Kritik der Geschichte des Corpus Juris.

Rom neigte sich seinem Falle. Die Zeiten, wo die Kaiser zu Gericht saßen, um die bürgerlichen Angelegenheiten in Person zu entscheiden, die Zeiten der Auguste, der Titus, Vespasian, Trajan, der Marc-Aurele waren vorbei. Julian ist der letzte der römischen Monarchen, der jene eben so künstliche als heilsame Gewohnheit beobachtete. Mit ihm endigten sich, wie man weiß, die schönen Zeiten der Menschlichkeit.

Nun folgte eine Reihe Barbaren auf dem Throne Cäsar's, deren Regierung durch nichts als Grausamkeit und Unwissenheit bezeichnet wird.

Anastasius, einer der rohesten dieser Barbaren, hinterläßt das Scepter einem slavonischen Bauer, der bei der Armee Leo's des Thraciers gemeine Soldatendienste genommen und sich bis zum Obersten der Leibwache aufgeschwungen hatte: Justin war so unerzogen, daß er weder schreiben noch lesen konnte.

Seiner Unwissenheit zu Hülfe zu kommen, weil es die Staatsraison gleichwol nothwendig machte, daß der Kaiser gewisse Edicte eigenhändig unterzeichnete, erfanden seine Günstlinge eine Maschine. Sie bestand in einer bleiernen Form mit verschiedenen Einschnitten, welche des Kaisers Chiffre darstellten. Steckte man die Feder in diese Einschnitte, konnte nothdürftig ein Name gezeichnet werden. Zudem führte der Quästor Proclus dem schwachköpfigen Justin dabei die Hand.

Seine Thron- und Bettgenossin war eine geborne Sclavin aus Thracien. Noch als gemeiner Soldat hatte sie Justin bei einer Fouragirung einem Kameraden abgekauft. Lange gebrauchte er sie blos als Beischläferin; als er aber den Thron bestieg, anerkannte er Lupicinia unter dem Namen Euphemia als Gemahlin.

Aus dieser erlauchten Familie entsproß Justinian, der Held dieses Aufsatzes. Man kann sich denken, wie seine Erziehung beschaffen gewesen.

Justin selbst war weder Gutes noch Böses zu stiften im Stande. Sein Alter, seine Unwissenheit, seine Geistesschwäche und Tölpelhaftigkeit machten ihn völlig unfähig zum Handeln. Er hatte die Regierungsgeschäfte einigen seiner Vertrauten und seinem Neffen Justinian abgetreten.

Dieser, ein Sohn des slavonischen Bauernpaares Istock und Biglenice, bestieg den Thron nach seines Oheims Tode im 527. Jahre christlicher Zeitrechnung. Von mittlerem Wuchse empfahl er sich durch gefälliges Aeußere, geschmeidige und sanfte Manieren. Sein Temperament war so vortrefflich, daß er nach mehrtägigem Fasten noch lebhaft erschien. Auch drückte sein Anstand etwas Hohes aus. Geistig von der Natur höchst stiefmütterlich bedacht, brachte er es durch Uebung doch zu einem solchen Grade von List und Verstellung, daß er darin seinen Meister suchte. So war denn sein Charakter ein seltsames Gemengsel von Verstand und Albernheit. Er konnte Jedermann betrügen, und Jedermann vermochte ihn zu betrügen. Niemals wußte Jemand seine Leidenschaften besser zu verheimlichen, Niemand beherrschte seine innern Bewegungen mehr als er. Er war der frechste Eidbrecher auf der ganzen Welt, und Niemand liebte eifriger die Schwüre. Sein Haß war unversöhnlich, und Niemand schien in der Freundschaft ausdauernder zu sein. Er besaß die Gabe der Verschlossenheit im höchsten Maße, und an Niemand glaubte man mehr Freimüthigkeit und Offenherzigkeit zu gewahren. Er war geizig bis zum Unsinn und immer arm bis zum Darben. Man hielt ihn für die Sanftmuth und Menschenliebe selbst, und gleichwol ist, wenn man die Geschichte einsichtig prüft, unter keinem Kaiser mehr Blut vergossen worden als unter Justinian.

Er war falsch, niederträchtig, geizig und grausam: dies ist in Kürze der Charakter, den die Geschichte von ihm zieht. Sein Lächeln glich niemals einem Ausdruck der Freude, seine Thränen verkündeten keine Trauer. Er brach seine Zusagen wie ein Sclave, der aus Furcht meineidig wird, nicht wie ein Fürst, den die Politik bestimmt. Er gierte nach Gold, um es vergeuden zu können; dann machten ihn seine Laster wiederum geizig, und der Geiz ungerecht und grausam.

Daß er nach der herrschenden Mode seines Jahrhunderts seine Jugend in Ausschweifungen verlebte, ist begreiflich. Man würde es zu glauben geneigt sein, auch wenn es die Geschichte nicht bestätigte. Das Verderbniß der römischen Sitten, die elende Erziehung, die er erhielt, der Charakter der Vertrauten, welche ihn umgaben, sind hinlängliche Gründe, das Zeugniß der Schriftsteller zu verbürgen, die ihn den allerlüderlichsten und ausschweifendsten Jüngling seines Zeitalters nennen.

Hier ist ein Zug aus seiner Jugend.

Ein Aufseher der Thiere des Amphitheaters zu Constantinopel, mit Namen Acacius, hinterließ drei Töchter: Comitone, Theodora und Anastasia, welche er für das Theater erzogen hatte. Die erstere blies die Flöte, Anastasia tanzte, Theodora aber, die verbuhlteste, trug ihren Schwestern als Kammermädchen den Sessel nach, bis sie sich zu einer Gesellschaft von Possenspielern begab, wo sie die Rolle einer Colombine mit großem Beifall darstellte. Wenn sie beide Wangen aufblies, sagt ihr Biograph, und Ohrfeigen darauf bekam, riß ihr Spiel das ganze Theater hin.

Es ist nicht unsere Sache den Lebenslauf der Töchter des Acacius zu untersuchen. Die Galanterien der Schauspielerin Theodora insbesondere stehen in keiner Beziehung zu den unterscheidenden Kennzeichen Justinian's, des Gesetzverfassers. Wenn man jedoch den zeitgenössischen Geschichtsschreibern glauben will, so trieb letztere es so arg, daß ihr ehrbare Leute aus dem Wege gingen, um sich durch ihre Berührung nicht zu verunreinigen. Man hielt es für eine üble Vorbedeutung auf den ganzen Tag, sagt ihr Biograph, wenn man sie am Morgen erblickte.

So viel ist Thatsache – und so viel gehört zu unserm Zweck, daß sie sich von einem jungen Libertin Namens Hecebolus, der aus einer vornehmen und reichen Familie zu Tyrus gebürtig war und sich bei Hofe aufhielt um die Statthalterschaft zu Pentapolis zu erlangen, entführen ließ. Sie folgte ihm in die Provinz als Maitresse.

Eifersüchtelei trennte das Paar, und Theodora lebte darauf einige Zeit zu Alexandria, dem galantesten Orte der damaligen Welt, dann zu Antiochia, beständig von der Gunst ihrer Liebhaber. Dann unternahm sie eine Reise fast durch den ganzen Orient, um zuletzt nach Constantinopel zurück zu kommen.

Ungeachtet sie sich bis dahin in einen Ruf gesetzt hatte, der sie bei uns in's Zuchthaus geführt haben würde, wusste sie Constantinopel doch zu bezaubern. Und dies ist keins der geringsten Merkmale von dem grundtiefen Verfall der Sitten. Man stritt sich förmlich um ihre Gunst, die schönsten und angesehensten Herren vom Hofe machten ihr den Hof. Endlich trug sie, wie billig, der kaiserliche Neffe davon. Und dies ist die » reverendissima Justiniani a Deo data coniux!« ( Novell, VIII. Tit. I.)

So lange die Kaiserin Euphemia, seine Tante lebte, durfte er sein Vorhaben nicht entdecken. Ungeachtet sie die beschränkteste Frau von der Welt war, bar aller Einsicht in Welthändel, hatte sie doch sittlichen Instinct genug, sich einer Verheirathung des jungen Prinzen mit Theodora zu widersetzen. Sie, welche dem Justinian nie etwas abschlug, verweigerte ihm die Zustimmung zu einer solchen Verbindung. Sobald aber die Kaiserin verschieden, legte er die Maske der Fügsamkeit ab.

Nichts stellt den Inbegriff seines Charakters in ein grelleres Licht: Er, der sich auf dem erhabensten und schimmerndsten Throne der Welt sah, dem die Wahl unter fünfzig Nationen frei stand, der sich das edelste, schönste, tugendhafteste Weib auf der ganzen bekannten Erde wählen durfte, zog den größten Schandfleck des menschlichen Geschlechts hervor, um ihn zu seiner Gemahlin zu erheben und die Ehre des römischen Thrones mit ihm zu theilen!

Wie viel Einfluß diese Wahl auf die öffentlichen Angelegenheiten ausübte, werden wir finden.

Als Theodora von ihrem berühmten Weltzuge zurückkam, nahm sie ein Miethzimmer in einem jener kleinen privilegirten Häuser der Vorstadt, welche wir nicht näher zu bezeichnen brauchen. Hier lernte sie Justinian kennen. Anfänglich hielt er sie in der Stille auf dem Fuße einer Maitresse. Endlich interessirte er sich ganz offen für sie, und er war unverschämt genug, sie dem römischen Senate zur Erhebung in den Adelsstand vorzuschlagen.

Nichts beweist die Schwäche dieser Senatoren mehr, als daß er es durchsetzte, daß Theodora zur Patricierin erklärt ward. Und von nun an hatte sie Theil an den Staatsgeschäften, welche Justinian im Namen seines Oheims versah.

Justin's Leiche war kaum erkaltet, als Justinian einen Streich vollführte, der zum Signal dienen sollte, was man von seiner Regierung zu erwarten hätte.

Er berief Vitalian, den Feldmarschall der Armee (Magister Militae et Consul), und den Oberstkämmerer Amantius nach Hof. Um sie nicht zu beunruhigen, ging er mit ihnen vorerst zur Kirche und empfing mit ihnen das Abendmahl. Dann begaben sie sich zum Souper. Kaum aber haben sie sich niedergelassen, so stößt Justinian dem ihm zur Seite befindlichen Vitalian den Dolch in die Lende, Theodora ihrem Nachbar Amantius. Wachen stürzen in demselben Augenblicke über die Opfer her und machen ihnen vollends das Garaus. Andern Tags wurden noch ungefähr dreihundert Personen am Hofe und vom Patriziat durch den Henker in das Jenseits geschickt.

So legte man den Grundstein des neuen Regiments.

Nun ging es über Alle her, die sich dem Justinian und viel mehr noch der Theodora vormals verhaßt gemacht hatten. Es wären Bände anzufüllen, wollte man die Liste der Gewaltthaten, Criminalprozesse, der Ermordungen, welche die Hofchronik Justinian's liefert, von Glied zu Glied berühren. Blos um der historischen Gerechtigkeit willen führen wir einige an, die uns zunächst vor Augen sind und hinreichen, sich einen Begriff vom Ganzen zu machen.

Zeno, ein Enkel des occidentalischen Kaisers Anthemius, lebte als Privatmann zu Constantinopel im Besitze enormer Reichthümer. Diese reizten das kaiserliche Ehepaar, und man klügelte, wie man sich derselben auf gute Manier bemächtigen könne. Endlich fand man einige seiner Bekannten, welche ihn überredeten um die Statthalterei in Egypten nachzusuchen. Sie ward ihm mit der Weisung ertheilt sich schleunigst dorthin zu begeben, da seine Anwesenheit dringend nothwendig sei. Er schickte also einige Schiffe mit seinen besten Reichthümern voraus, da ihn seine Angelegenheiten selber noch zurückhielten. Kaum jedoch landeten jene in Egypten, als er in Constantinopel an einer – Hämorrhoidalkolik starb. Nun nahm der kaiserliche Kammerfiscal zu Alexandria die Schiffe in aller Förmlichkeit in Beschlag, indem er bei der Admiralität ein Testament vorwies, in welchem Zeno den Justinian zum Universalerben eingesetzt haben sollte.

Theodotus und Proclus. Einst lag Justinian an einer Diarrhee, welche er vom Genusse frühzeitiger Melonen sich zugezogen, auf den Tod darnieder. Inzwischen erging sich der Pöbel zu Constantinopel in den tollsten Ausschweifungen. Ein ehrlicher, in allgemeiner Achtung stehender Mann, Hypatius, wurde am hellen lichten Tage in der Sophienkirche ermordet und sein Haus geplündert. Der Statthalter ( Praefectus urbis), Theodotus Concurbitinus, gebrauchte sein Amt: er ließ verschiedene der hauptsächlichsten Rädelsführer ergreifen und aufknüpfen. Unglücklicherweise traf dies Loos auch einen oder zwei Banditen der Theodora, und dies zog dem Statthalter den unversöhnlichen Haß der kaiserlichen Verbrecherin zu. Sobald Justinian wieder genesen, erhielt der Senat den Befehl, den Statthalter zu verhaften und ihm als der Zauberei verdächtig den Prozeß zu machen. Der Senat erbebte; Niemand aber ermuthigte sich der Ungerechtigkeit Widerstand zu leisten; man begnügte sich, das Unglück des Präfecten heimlich zu beseufzen. Der Quästor Proclus allein hatte das Herz zu erklären, der Angeklagte sei unschuldig. Dies rettete ihn aber nicht, er wurde zum Tode verurtheilt und seine Güter confiscirt. Der Quästor hingegen ward nach Jerusalem verwiesen, wo er sich genöthigt sah den Rest seines Lebens in der Kirche in einer Art Borgwinkel zuzubringen, aus Furcht vor den ihm von Constantinopel aus nachgeschickten Meuchelmördern.

Basian, ein junger Mann aus gutem Hause, bediente sich unbesonnenerweise eines zweideutigen Ausdrucks über Theodora, als in einer geschlossenen Gesellschaft auf sie die Rede kam. Ein falscher Freund trug den Ausdruck an den Hof, ein wahrer trug Basian einen Warnungswink zu. Er flüchtete alsbald in die Michaelskirche. Theodora aber kundschaftete ihn aus, ließ ihn durch den Prätor vom Altare wegreißen, den er umklammert hatte, in Fesseln legen und als Knabenschänder den Prozeß machen. Seit undenklichen Zeiten ist es die Gewohnheit der Tyrannen, mittelst eines vorgeschobenen Verbrechens ihre Selbstrache zu verhüllen. Das Volk glaubte nicht an die Schuld, deren Basian bezichtigt ward; es erfüllte die Luft mit seinem Geschrei und bat um Begnadigung des jungen Mannes. Man tödtete ihn denn auch nicht, aber auf Theodora's Befehl wurden ihm die Schamglieder abgerissen und seine Güter confiscirt.

Amalesuntha, Tochter des ostgothischen Königs Theodorich von Verona und Wittwe des westgothischen Prinzen Euterich, hatte sich in Folge von Zwistigkeiten mit ihrem Oheim Theodat, dem sie zum italienischen Thron verholfen, bewogen gefunden, Italien zu verlassen und sich unter den Schutz Justinian's nach Constantinopel zu begeben. Ihre hohe Herkunft, ihr scharfer Verstand und ihre ungemeine Schönheit setzten Theodora, welche die Schwächen ihres Gemahls kannte und seiner Treue wenig traute, in Unruhe. Sie beschloß also, sich eines so gefährlichen Gastes zu entledigen. Zu diesem Zwecke überredete sie ihren Pinsel von Kaiser, seinen Hofmarschall der Fürstin zur Bewillkommnung entgegen zu schicken, der bereits die nöthigen Winke besah, sie um jeden Preis aus dem Wege zu schaffen. Mittelst forcirter Posten kam er ihr auch zuvor, ehe Amalesuntha den austrasischen Hof verlassen hatte, und er mischte die Karten so geschickt, daß sie Theodat verhaften und hinrichten ließ. Zur Belohnung dieser vortrefflichen Anordnung wurde er nach seiner Zurückkunft Obersthofmeister, und Justinian nannte ihn in dem darüber ausgefertigten Diplom: » Petrum gloriosissimum divinorum officiorum Magistrum

Keiner der ruhmwürdigsten Sterblichen war Belisar. Zeither viel zu eingenommen von seinem Unglück hat die Welt seinen wahren Platz noch zu bestimmen. Sie wird seine Verdienste um den Staat von seinen persönlichen Fehlern unterscheiden; sie wird seinen Thaten Gerechtigkeit leisten, aber den innern Grund derselben untersuchen; und indem sie seine Größe und seine Widerwärtigkeiten bewundert, wird sie seinen filzigen Geiz und insbesondere seine blinde Ergebenheit gegen seine Gattin Antonina, welche Theodoren in Lastern nicht viel nachstand, tadeln.

Belisar besaß große Reichthümer. Natürlich reizten sie die Lüsternheit Theodora's und Justinian's, denen kein Eigenthum, weder des Verdienstes noch der Tugend, heilig war. Sie schienen sich in der That diesmal weniger Behutsamkeit schuldig zu sein als in andern Fällen, weil Belisar's unermeßliche Güter den Nerven des Staats, zuweilen zu dessen offenbarem Schaden entzogen worden. Inzwischen beliebte man doch eins der gewöhnlichen listigen Verfahren. Man wünschte Belisar's einzige Erbin und Tochter zur Gemahlin des kaiserlichen Enkels, und wohl wissend, daß man dabei auf Bedenklichkeiten, um den Antrag fruchtlos zu machen, stoßen würde, veranstaltete es die höfische Verschlagenheit, daß die jungen Leute auf einem Lager beisammen gefunden wurden. Sofort setzte man die Eltern davon in Kenntniß, und um alle etwaige weitere Ausflüchte abzuschneiden, ging noch am selbigen Tage aus der Justinianischen Gesetzfabrik ein Kanon hervor, kraft dessen Ehen, welche vor erfolgter Trauung einfach durch den Beischlaf vollzogen wären, für unauflöslich galten.

In den Kreis der wenigen Ruhmwürdigen, welche Justinian's Hof illustrirten, gehört mit Recht Phocius, ein edler Grieche, General der Armee und vertrauter Freund Belisar's. Seine Anhänglichkeit an letzteren aber wie seine Rechtlichkeit hatten ihn der Antonina verhaßt gemacht, und da sie über ihren Gatten Alles vermochte, wußte sie es auch zu bewirken, daß er gegen Phocius erkaltete. Kaum entdeckte dies der alles erspähende Blick Theodora's, so bedeutete sie es dem Kaiser als eine Gelegenheit, Belisar wegen des verübten Tochterraubs zu versöhnen, indem man den ehemaligen Freund zum Opfer brächte. Man bezichtigte also Phocius des geheimen Einverständnisses mit dem Feinde, arretirte ihn sammt einigen seiner ergebensten Offiziere, und geißelte sie angesichts der Armee. Es gelang ihm seiner Haft zu entkommen und sich in der Kirche der Mutter Gottes zu verbergen. Von den Spionen des Hofs entdeckt, warf man ihn dann in eins der unterirdischen Gefängnisse, welche der Kaiser ausschließlich für Staatsverbrecher hatte erbauen lassen. Zum zweitenmale aber gelang es ihm sich in Freiheit zu setzen und in der Taufkapelle der Sophienkirche, welche im Volke für heilig und unantastbar galt, ein Asyl zu finden. Doch Justinian war nichts heilig, auch diese Freistatt büßte Phocius ein. Endlich gelang es ihm nach dreijährigem Kerker nach Jerusalem zu flüchten, wo er sich den nachgeschickten Meuchelmördern dadurch entzog, daß er sich in die Mönchskutte warf.

Theodora war nie gleichgiltig gegen männliche Schönheit. Einst hatte der Scythe Areobinth auf sie starken Eindruck gemacht, und sie ernannte ihn flugs zu ihrem Kammerpagen. Als sie ihn aber in den Armen einer ihrer Kammerdienerinnen überraschte, rettete ihn nichts vor dem leidigsten Schicksale. Unter dem Vorwande eines begangenen Diebstahls wurde er zwei Tage hintereinander auf offenem Markte ausgepeitscht und dann mit verbundenen Augen und geknebelten Armen in einem ledigen Nachen den Wellen des Hellesponts überlassen.

Diesen besonderen Thatfällen füge man noch ungefähr fünfzig ähnliche zu; man zähle 20,000 Bürger, welche infolge der Ausschweifungen der von Justinian und Theodora beschützten sogenannten blauen Partei ihr Leben einbüßten; der Kreuzzug gegen die Arianer, der an 200,000 Seelen hinopferte; an 12,000 Personen, welche durch das von Justinian errichtete Ketzergericht den Flammen überwiesen wurden, und eine Million Menschen, welche von den unter seiner Regierung geführten unnützen Kriegen hinweggerafft worden sind.

Ist es die Geschichte eines Cannibalen, eines Indischen Tigers, wohin diese Züge gehören? Nein, Völker der Welt, es ist die Geschichte eures Gesetzgebers!

Unter dem Zusammenflusse einer solchen Menge Tyranneien, Ungerechtigkeiten, Verbrechen und Laster – wie ist's möglich, daß dieser Mensch auf den Gedanken an einen Codex der Gerechtigkeit gerathen konnte?

Diese Frage ist nunmehr unser Gegenstand.

Zu den charakteristischen Temperamentszügen Justinian's gehört insbesondere das Ennui. Dies quälte ihn sichtbar. Sei es nun, daß er in der Zerstreuung das natürliche Arzneimittel gegen diese Krankheit suchte, oder daß er, wie es mit dem von ihm gegebenen Bilde übereinstimmt, die Verstellung so weit trieb, seine schreiende Tyrannei vor den Augen der Welt durch ein feierliches Denkmal der Gerechtigkeit bedecken zu wollen, genug, unter seiner Regierung entstand das Corpus Juris; und es ist entschieden, daß er selbst den ersten Gedanken hiezu gebar.

Ohne Zweifel befand sich die Gerichtsverfassung bei seiner Thronbesteigung in einer entsetzlichen Verwirrung. Das Reich lag in den letzten Zügen. Ohnmacht und Unordnung herrschten in allen seinen Theilen.

So viele Wüthriche, die unter dem Namen Imperator den Thron unter sich wechselten, und von denen sich jeder in seinen besondern Lastern wälzte, mußten natürlich die alten Gesetze verwirren und in die selbstgemachten Widersprüche einführen. So viele barbarische Nationen, welche das Reich anfielen und von Zeit zu Zeit mit Beibehaltung ihrer Landesgebräuche bewohnten, mußte die Sammlung der Gesetze vervielfachen.

In dieser finsteren Krisis erwuchsen Rechtsgelehrte, welche sich mit der Auslegung der Gesetze befaßten, das will sagen, von dunkeln Stellen unverständliche Erklärungen entwarfen, wodurch nothwendigerweise das Chaos noch verstärkt ward.

Das Glücklichste, worauf Justinian hätte fallen können, wäre die Aufsuchung, Sammlung und Verbindung aller Gesetze und ihrer Erläuterungen gewesen, nicht um sie zu publiciren, sondern – in's Feuer zu werfen und für alle Ewigkeit zu vertilgen. Dies wäre der ersprießlichste, der heilsame Dienst gewesen, den er der Menschheit geleistet und wodurch er seine Regierung hochpreislich gemacht hätte. Dies ist's, was Adrian that, zu einer Zeit, wo die Welt einer solchen Wohlthat noch nicht so sehr bedürftig war.

Alsdann mußte Justinian ein ganz neues, deutliches, einfaches und gedrängtes Gesetzbuch verfassen, oder, wofern er sich hiezu unfähig fühlte, diese Arbeit der Nachwelt überlassen.

Allein es scheint, er habe dieselbe Empfindung gehabt, welche wir heutigen Tags in manchen Staaten wahrnehmen: daß es leichter sei, alte Gesetze zu deraisonniren, als selbst gute zu machen. Schwach, unfähig, von Natur zum Unrecht hinneigend, von einem lasterhaften Weibe abhängig, von seinen Unterthanen gehaßt und diesen – was hieraus folgt – wiederum feind, was konnte anders entstehen, als das vollkommenste Ungeheuer von einem Gesetzwerke?

Rechtsgelehrte, nicht das Corpus Juris sollte euer Spiegel sein, sondern Justinian's Leben!

Schaut hinein. Hier seht ihr einen der untüchtigsten und heillosesten Herrscher dem seichtesten Flachkopf von der Welt den Auftrag ertheilen, das Gesetzbuch der Erde zu entwerfen. Ihr seht, wie der kriechendste und niederträchtigste unter allen Schmeichlern das Modell dazu von dem unwürdigsten aller Tyrannen empfängt!

So liegt es. Was soll man von dem Geiste eines Mannes schließen, dessen Kopf so schwach und dessen Seele so verderbt ist, daß er in Justinian's Gegenwart ausruft: »Ihr Götter, was fürchte ich! Möchtet ihr diesen frommen Fürsten seiner Tugenden halber einst plötzlich der Erde entziehen und lebend in den Himmel versetzen?«

So sprach Tribonian, als er den Auftrag zur Abfassung eines Codex vom Kaiser erhielt, in öffentlicher Audienz.

Drei Jahre brachte dieser Maurergeselle über die Arbeit zu. Endlich lieferte er jenes berufene Gesetzbuch, von welchem Horaz geweissagt hatte:

                   

Humano capiti cervicem pictor equinam
Jungere si velit et varias inducere plumas,
Undique collatis membris, ut turpiter atrum
Desinat in piscem mulier formosa superne,
Credite Pisones isti tabulae fore librum
Persimilem, cuius, velut aegri somnia, vanae
Fingentur species, ut nec pes nec caput uni
Reddatur formae.

In der That konnte der Gesetzpfuscher die Arbeit innerhalb sechs Monaten vollenden, wenn man die Handlanger vermehrte. Denn da er durchaus Nichts von seiner eigenen Grütze hinzuthat, hätte eine verdoppelte Anzahl Abschreiber den Zweck erfüllt.

Ich will jetzt nicht von dem inneren Unwerth der Justinianischen Gesetze, von ihren psychologischen und moralischen Unvollkommenheiten, von ihrem Abstich von den Regierungsverfassungen und Sitten unserer Zeit reden, wozu ein besonderes Werk erforderlich wäre, – ich will nur auf Folgendes noch aufmerksam machen.

Der Codex trägt zwei äußerlich sichtbare Merkmale seiner Verdammniß auf der Stirn. Erstlich, daß er sich römisch nennt, da er doch seinen Ursprung von einer Zeit her hat, wo die Kaiser nach Rom keinen Fuß mehr setzten; und das zweite Merkmal, daß er in einer Sprache geschrieben worden, welche man schon zu den Zeiten Justinian's nicht mehr verstand.

Dies berühmte Orakel fängt also mit einer Lüge an und endigt mit einer Thorheit.

Von dem innern Unwerth seines Geschäfts scheint übrigens Justinian selbst überzeugt gewesen zu sein. Denn weit entfernt, sich nach den bekannt gemachten Rechtsgrundsätzen zu richten, weit entfernt die Ordnung zur Regel der Gerechtigkeitspflege zu nehmen, zeigte er im Gegentheil die sichtbarste Verachtung seines eigenen Gesetzbuchs.

Ungeachtet er durch die 8. Novelle ein feierliches Verbot auf den Aemterkauf legte, ungeachtet er dies Gesetz durch den heiligsten und schrecklichsten Eidschwur bekräftigen ließ, verkaufte Peter, sein Schatzmeister, die Bedienungen ganz öffentlich.

Nicht genug, er verpachtete sogar die Aemter, ganz besonders die Justizstellen, an den Meistbietenden. Hierdurch wurde selbstverständlich die Gerechtigkeit, welche der Kaiser scharf eingegrenzt zu haben vorgab, eine feile Dirne. Da die Lasterhaften und Unwissenden gemeiniglich sich am meisten zu Aemtern drängen und am höchsten bieten, so verloren die Gesetze alle Kraft, ihre Regel alle Wirkung.

Die Justizpflege blieb bis an das Ende der Regierung Justinian's ein System der Willkür, des Eigennutzes, der Mißbräuche und der Tyrannei. Man konnte sich, zum Beispiel, von allen Strafen loskaufen. Man verkaufte bei unsichern Civilprozessen sein Recht dem Richter. Es gab besondere Mäkler, welche im Namen der Gerichtsstühle mit Prozessen handelten. Die Advocaten beschäftigten sich weniger mit Rechtsgründen, als mit Clienten-Handel. Sie ließen sich die Forderungen gegen eine geringere Entschädigung abtreten, fertigten darüber einen Contract aus, und theilten dann den Profit mit dem Richter.

Die Prozeßverhandlung selbst erfolgte mit Hintansetzung aller Formen der Gerechtigkeit. Man beachtete weder Documente noch Zeugen. Oefter war nicht einmal ein Kläger vorhanden, das Gericht, oder vielmehr der Fiscus, constituirte sich selbst zum Kläger. Man bestrafte Verbrechen, welche bereits vierzig oder fünfzig Jahre vorher begangen worden, und sehr häufig solche, die gar nicht existirten. Für diesen Fall hielt man bestochene Zeugen in Bereitschaft. Ja man bediente sich zur Zeugenschaft solcher Personen, denen die römischen Gesetze ausdrücklich jede Fähigkeit dazu versagten, als: Sclaven, Weiber, Unmündige, Narren u. s. w. Kam es bis zum Spruche, so durfte ihn oftmals nicht die betreffende Stelle erkennen, sondern Justinian selber, oder der Finanzminister, oder der Justizpräsident, oder wer sich sonst am Hofe dabei zu interessiren gedachte, drehte das Urtheil in seinem Cabinet zurecht, ohne Akten einzusehen, ohne sich referiren zu lassen, ohne mit einem Advocaten oder der Partei unmittelbar zu reden.

So ist das Bild, das uns die Geschichte vom Zustande der Justiz unter der Regierung Justinian's des Gesetzgebers liefert.

Und wie konnte es anders sein? Die Verwaltung der Gesetze war in den elendesten Händen. Zwei Männer unter dem Titel Praetor Plebis und Inquisitor theilten das Präsidium der Justiz unter sich. Der Eine sollte den bürgerlichen Fällen, der Andere den peinlichen vorstehen. Allein was Justinian von ihrem Amte hielt, oder vielmehr was seine Absicht mit ihnen war, verräth folgende Anekdote. Einst kam ein zweideutiger Fall zur Sprache. Die beiden Kanzler befragten den Kaiser, an welchen von ihnen er gehöre. »An den«, versetzte der Herrscher, »der dem andern zuvorkommen wird.«

Um sich einen Begriff vom Systeme des Justinianeischen Tribunals zu machen, wollen wir eine Audienz beschreiben.

Justinian sitzt im Innern seines Palastes. Zu seiner Rechten ruht Theodora auf einer Ottomane; zur Linken steht der Reichskanzler Tribonian. Vor der Thüre wimmelt ein Haufe Verschnittner, der zur Thronwache und zum Vorführen der Klagenden dient.

Während die genannten Drei geheime Ausführungen verabreden, Machtsprüche und Haftbefehle fabriciren, verhandeln die Verschnittenen mit der außen schmachtenden Menge. Man wuchert, man handelt, man verschachert Protectionen. Die Vorzimmer des Kaisers gleichen völlig der Leipziger Messe. Von Allem aber, was geschieht, werden Theodora und Tribonian durch eine geheime Pforte benachrichtigt. Plötzlich öffnen sich die Flügel des Thronsaales. Alles stürzt auf die Knie. Die Verschnittenen aber rufen diejenigen Parteien auf, welche der Kaiser anhören will: es sind jene, welche sich mit den Verschnittenen geeinigt haben.

Man erhebt sich dann vom Boden und nähert sich dem Throne, um der Kaiserin zu Füßen zu fallen und den Saum ihres Gewandes zu küssen. Darnach trägt der Kanzler im Namen des Klägers beiden Majestäten das Anliegen vor. Der Client selbst darf bei Todesstrafe während der ganzen Audienz den Mund nicht aufthun. Hat der Kanzler geendigt, so ergreift der Kaiser ein Blatt, schreibt den Bescheid darauf, und reicht ihn stillschweigend dem Kläger. Dieser küßt dann die Füße des Monarchen, drückt das Blatt an seine Brust, und entfernt sich so aus dem Saal durch die Vorzimmer zum Richter.

Diese Harlekinade wäre zureichend, uns vom Kopfe Justinian's und vom Geiste der Geschäfte an seinem Hofe zu unterrichten. Allein das Bild ist noch nicht vollendet.

Diejenigen, welche bei der kaiserlichen Audienz nicht aufgerufen wurden, durften sich am Schlusse derselben eine Cabinets-Audienz bei der Kaiserin ausbitten. Hier nun hatten sie volle Freiheit zu reden. Andererseits aber mußten sie sich, falls Theodora bei guter Laune war, alle Ungezogenheiten derselben gefallen lassen.

Hier eine Scene nach dem Leben.

Marcus Septimius, ein alter und verdienstvoller Patricier und Senator zu Constantinopel, sieht sich genöthigt, das erste und einzige Mal eine Audienz bei Theodora zu nehmen. Er hatte einem ihrer Verwandten eine Summe geliehen, und als er sie zurückbegehrte, verhöhnte ihn der saubere Herr. Septimius entschloß sich die Kaiserin um Rechtsschutz zu bitten, und aus Politik bewilligte sie die Audienz.

Sobald er angemeldet worden, theilt sie an ihre Verschnittenen die Rollen aus. Der alte Herr tritt ein, wirft sich vorschriftsmäßig auf die Knie und hebt an:

Hart, allerdurchlauchtigste Frau, ist es für einen Mann von Stand, wenn er Geld fordern muß –

Kaiserin: Illustrissimo Signore

Septimius: Die Dürftigkeit, welche jedem andern Mitleid erwirbt, zieht ihm nur Verachtung zu. Darf ich's sagen, erhabenste Frau! ich bin schuldig, Andere hingegen sind mir ebenfalls schuldig –

Chor der Verschnittenen (singend): Che commanda vostra Excellenza.

Septimius: Meine Würde verpflichtet mich meine Schulden zu bezahlen; aber meine Schuldner machen Ausflüchte –

Kaiserin: Caro mio Patrizio.

Septimius: Sie verlassen sich auf die Ehre der Verwandtschaft, in welcher sie mit Ihrer Majestät stehen, auf ihre Aemter am Hofe –

Chor der Verschnittenen: Avete una scorticatura.

Septimius: Kurz, man sucht mich zu betrügen –

Kaiserin: Stimattissimo Signore.

Septimius: In tiefster Ehrfurcht wage ich es also den Schutz der allererhabensten Kaiserin Theodora anzuflehen, und sie um Gerechtigkeit gegen einen meiner Schuldner zu bitten.

Chor der Verschnittenen: Voi si ette un gran folle.

Die Kaiserin lächelt, pfeift und bricht durch einen Wink die Audienz ab. Die Verschnittenen nehmen den beschämten Patricier am Arm und führen ihn zum Gemach hinaus.

Man würde an der Möglichkeit dieser Scene zweifeln müssen, wenn sie nicht von der Geschichte allzu sehr bestätigt wäre; wenn man nicht wüßte, daß Theodora eine Schauspielerin von Geburt her war, nicht ihre Herrschaft über ihren Gemahl, nicht die Verderbniß des Justinianeischen Hofs kennte.

In der That läßt sich nicht begreifen, wie man den Einfall, ein Lehrgebäude der Gerechtigkeit zu errichten, mit dergleichen Thatsachen zusammen reimen soll. Man bleibt ungewiß, ob man diesen Einfall den von uns bereits angegebenen Ursachen oder noch lasterhaftern zuzuschreiben hat. Denn es ist gewiß, daß die höchste und sinnreichste Tyrannei diejenige ist, welche unter der Larve der Gerechtigkeit begangen wird.

Darin wenigstens ist die Nachwelt außer allem Zweifel, daß sich Justinian über seine Rolle als Gesetzschöpfer selbst moquirte. Folgende Anekdote hat uns die Geschichte zum Beweis aufbehalten.

Anatolius, einer der vornehmsten Bürger zu Ascalon, vererbte sein ganzes Vermögen an seine einzige Tochter, welche mit Mamilianus, einem angesehenen Manne in Cäsarien, verehelicht war.

Nach dem gewöhnlichen Rechte sollte von der Hinterlassenschaft eines ohne männliche Erben verstorbenen Senators der vierte Theil dem Senat zufallen, die übrigen drei Theile den Erben verbleiben. Justinian dictirte bekanntermaßen ein Erbfolgegesetz, in welchem sich ganz entgegengesetzte Bestimmungen vorfinden. Er befahl, daß den Erben nur der vierte Theil des hinterlassenen Vermögens verbleiben, zwei Theile aber der kaiserlichen Schatzkammer und einer dem Senat verfallen sollten.

Kurz nach dieser neuen Verordnung starb Anatolius, und seine Tochter mußte drei Theile des Vermögens an den Fiscus abliefern.

Nun stirbt Mamilianus ebenfalls und hinterläßt auch eine Tochter, welche in dem Augenblicke mit Tode abgeht, da man des erstern Vermögen zu theilen beginnt.

Was thut nun Justinian? Er zieht die gesammte Erbschaft ein, und zwar aus dem Grunde, »als es nicht billig sei, daß die schon bejahrte Tochter eines griechischen Bürgers sich durch das doppelte Vermögen vom Vater und Manne bereichere.« Er warf ihr eine elende Pension aus mit dem Zusatz: »Wir verwilligen ihr diese Summe aus Gottseligkeit, zumal wir gewohnt sind, diese in allen unsern Handlungen als Richtschnur walten zu lassen.«

Kann der Codex der Justinianischen Rechte eine lebhaftere Satire erfahren?

Es ist nur allzu gewiß, daß dieser Codex seinen Ursprung dem heillosesten und untüchtigsten aller Tyrannen verdankt; daß es niemals seine Bestimmung war, der Nachwelt zur Richtschnur der Gerechtigkeit zu dienen, sondern daß sein eigentlicher Zweck der gewesen, einer der gewaltthätigsten und schnödesten Regierungen den gleisnerischen Anstrich von Tugend und Rechtssinn zu verleihen.

Das Schicksal schien selber beschlossen zu haben, diese Wahrheit zu besiegeln, indem es an Justinian's juristischen Hauptgehilfen ein Merkzeichen stiftete. Nach Tribonian's Tode ließ ihm der Kaiser als einem » Praevaricator« den Prozeß machen und sein unermeßliches Vermögen vollständig confisciren.

Um unserer Skizze vom Charakter Justinian's und seines Hofs den letzten Strich zu geben, endigen wir sie durch einen Abriß seines Ministeriums.

Wir kommen zuerst auf den wiederholt erwähnten Petrus Barsames. Er war ein Syrier von Geburt und anfänglich Geldwechsler. Dann kam er als Offizier zu der kaiserlichen Leibwache. Nach dem Sturze Theodot's erhielt er dessen Stelle als Statthalter zu Constantinopel. Darauf wurde er kaiserlicher Hofmarschall, und durch die Beseitigung Amalesuntha's Obersthofmeister. Später fiel er in Ungnade und blieb einige Zeit ohne Amt. Da er sich jedoch Theodora's Gunst zu erwerben verstand, zog man ihn wieder heran und zum Posten eines Oberschatzmeisters. In dieser Beamtung starb er, als Günstling seines Herrn im Heräum, dem kaiserlichen Sommerpalaste am Bosporus, beigesetzt. Er war einer der schmutzigsten und lasterhaftesten Menschen seines Zeitalters. Schon als simpler Bürger, da er noch eine Wechselbank hielt, erfreute er sich des Rufes eines Erzwucherers und Beutelschneiders. Wenn er Geld zählte, verstand er die Finger mit einer Geschwindigkeit zu bewegen, daß man sehr schwer die Unterschlagung eines Goldstücks gewahrte. Wurde er zufällig ertappt, so schwur er Stein und Bein, es sei ein Versehen. Er entschuldigte die Dieberei seiner Hand durch die Frechheit seiner Zunge. Bei der Leibwache glänzte er durch die Ausführung der geheimen Aufträge der Kaiserin. Er war ihr eigentlicher Cabinets-Bandit. Kaum hatte er sich zum Hauptmann aufgeschwungen, bemächtigte er sich auch der Regimentskasse. Er beschnitt die Löhnung der Soldaten und handelte mit den Offizieren. Als Chef des Finanzwesens aber erst gerieth er in sein eigentliches Element. Nun verkaufte er Aemter und Dienste, schmiedete falsche Testamente zum Nutzen des kaiserlichen Schatzes, erdichtete Verbrechen, schuf Criminalprozesse, bewerkstelligte Vermögensconfiscationen und verkümmerte den Sold der Armee, den Gehalt der Beamten wie die Forderungen der Handwerker bei dem kaiserlichen Bauwesen. Nicht genug, er führte, was in der Monarchie zeither unerhört, eine Generalpacht ein, welcher er das Monopol des Handels, die gesammten festen Einkünfte des Reichs und das Münzregale verkaufte. Da in das erstere der Getreidehandel mitbegriffen war, wurde das Publicum unbarmherzig gedrückt; da den einzelnen Pächtern zugestanden wurden, die Steuern unter Anwendung aller Mittel einzutreiben, so geißelten und nothzüchtigten sie das Reich grauenvoll; und da man sich in Betreff des Münzwesens ausbedungen, das Geld nach Belieben prägen zu dürfen, so wurde die Monarchie in kurzer Frist von einer Sündflut falscher Münzen überschwemmt, die allen Handel, alles Gewerbe in Stockung versetzte. Eben war Barsames Willens, sein Spiel durch einen Generalbankerot des Staats zu krönen, als ihm der Tod zuvorkam.

Betrachten wir die Häupter des Justizwesens, so haben wir vorauf Leo, den Cilicier, den ersten Kanzler in Justinian's Regierung, zu nennen. Er ist es, der den Handel mit Prozessen erfand. Er war gleichmäßig der schmutzigste Geizhals und der hündischste Schmeichler. Gedachte Jemand durch Ersinnung eines unbegründeten Rechtsstreites zu gewinnen, so ging er zu Leo, versprach ihm und dem Kaiser einen Theil der streitigen Summe, und sein Anschlag gelang. Die Giltigkeit der Verträge richtete sich nicht nach den gesetzlichen Bestimmungen, Urkunden, Eiden und Handlungen, sondern nach dem Betrage der Summe, welche mit dem Kanzler vereinbart worden. Hatte ihn aber auch eine Partei bestochen, war sie gleichwol des Erfolgs noch nicht sicher, denn Leo nahm bisweilen von beiden Parteien, und eine mußte deshalb betrogen werden.

Auf ihn folgte Tribonian, ein Mann von einigem Talente, in der Hauptsache jedoch ein leerer Zungendrescher. Ebenso habsüchtig als sein Vorgänger, aber noch weit mehr niederträchtiger Schmeichler setzte er das vorgefundene System getreulich fort.

Nach ihm kam Junilus, der Afrikaner, ein Mensch ohne die geringste Einsicht in die Gesetze, ja ohne alle Weltkenntnis und von der gröbsten Unwissenheit behaftet, welche er durch Brutalität zu verdecken suchte. Seine Habsucht äußerte sich in so niedriger Plumpheit, daß er sogar die kaiserlichen Rescripte verkaufte. Unter seinem Kanzleramt vollendete sich die Anarchie der Gesetze.

Justinian's letzter Kanzler war Constantius, von allen derjenige, den er am meisten schätzte, übrigens ein junger Mann nicht ohne Fähigkeiten und Verdienst. Seine hervorstechendste Eigenschaft aber war der Hochmuth. Ihn zu sprechen gelang keinem Sterblichen, und weit leichter nahte man sich dem Kaiser als ihm. Im Uebrigen trieb er mit der Gerechtigkeit und seinen amtlichen Functionen so gut Wucher als die Vorigen. Doch Alles in Allem betrachtet war er, wenn nicht der tüchtigste so doch der feinste der Minister Justinian's.

In der Verwaltung des Finanzwesens ging Johannes von Cappadocien dem Petrus Barsames voran. Obgleich ohne Bildung besaß er doch einen vortrefflichen natürlichen Verstand und Geschick zu allen Dingen. Daß er sich erkühnte Theodora stürzen zu wollen, kostete ihm Stellung und Freiheit. Er hatte sein Amt vom Kaiser gegen Entrichtung einer jährlichen Pacht von tausend Pfund Goldes erhalten. Es wird aber versichert, daß er jährlich über sechstausend Pfund vom Reiche zog, und daraus lassen sich die Bedrückungen, Gewaltthätigkeiten und Mißbräuche folgern, welche dazu gehörten.

Phokas und Bassus waren ehrliche Männer; deshalb aber behauptete sich ersterer blos sechs, der andere neun Monate.

Nun folgte Priscus, schon als Advocat zu Emisa sehr berühmt, nämlich durch die Kunstfertigkeit anderer Leute Handschrift nachzuahmen. Als Justinian eines Tages Geld bedurfte, erhielt er den Auftrag ein Verzeichniß der reichsten Familien der Stadt an Theodora einzusenden. Priscus ließ es dabei nicht bewenden. Er forschte die Genealogien der bedeutendsten Häuser aus und verfertigte falsche Scheine unter dem Namen Verstorbener, wonach sie einem fingirten Mammianus große Summen entliehen und nicht zurückgezahlt hätten. Dann machte er auch im Namen dieses Mammianus ein Testament, worin er alle außenstehenden Forderungen der Kirche zu Emisa vermachte, welche zum Schein dem Kaiser die Einziehung übertrug. Durch diesen Streich setzte sich Priscus bei Justinian in solche Beliebtheit, daß er ihn nach der Entlassung des Bassus an die Spitze des Finanzwesens berief.

» Historia quoquo modo scripta bene repraesentatur

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III.

Ueber die Päpstin Johanna.

Wäre die Anekdote von der Päpstin Johanna wahr, so würde sie der Kirche eher zur Ehre als zu etwas Anderem gereichen; auf jeden Fall wäre eine Päpstin kein merkwürdigeres Ungeheuer, als eine Czarin, eine Kaiserin und jede Königin. War diese Johanna ferner so klug, so gelehrt, so großmüthig, wie man erzählt, so würde sie mit vollem Recht neben den Elisabethen, Christinen und Katharinen stehen.

Allein sie ist durchaus falsch, was bereits neunhundert neun und neunzigmal gesagt worden; gleichwol nehme ich mir die Freiheit, dies zum tausendstenmal zu thun.

Papst Johann VIII. verrieth beim vierten Concil zu Constantinopel, wo es sich um Verdammung der Ketzereien des Photius handelte, so viel Feigheit, daß ihn die Kardinäle ein Weib nannten. Dieser Anekdote bemächtigte sich die gemeine Sage.

Zweihundert Jahre später fiel sie einem Bücherstoppler auf: Marianus Scotus. Ihre eigentliche Bedeutung hatte sich schon ganz verloren; dem Manne ging blos das Weib darin durch den Kopf, das heißt, er hörte läuten und wußte nicht von welchem Thurme. Er fügte also mit schüchternem Griffel einem Exemplare der Chronik des Anastasius die Bemerkung bei: » Anno 853 folgte Leo IV. ein Weib, Johanna, zwei Jahre fünf Monate und vier Tage hindurch.«

Diese unglückliche Bemerkung genügte alle Klätscher aufzujagen. Mit Heißhunger fielen sie darüber her, und innerhalb eines Jahrhunderts war sie so schön erweitert, verbrämt und vervielfältigt, daß sie zum Thema historischer und theologischer Klopffechtereien taugte.

Nun stieg der Credit der Anekdote bei jedem Schritte, mit welchem die Erbitterung der Religionen, das ist, die Barbarei einriß; er wuchs so, daß ein gewisser Martin Polanus, der 1270 lebte, in die Welt hinein schreiben durfte:

»Johann VIII., den man den Engländer nennt, regierte im Jahre 853. Was sein Amt betrifft, so war er allerdings Papst; aber was sein Geschlecht betrifft, so war er ein Weib, und zwar eine Deutsche, Namens Gilberte, gebürtig aus Mainz.

Ihrem Liebhaber, einem Mönche der Abtei Fulda, zu Gefallen nahm sie Mannskleider an und zog mit ihm nach Athen. Hier studirte sie unter seiner Leitung. Die Meisterlichkeit, welche sie in den Wissenschaften erreichte, bewog sie dann die Verkleidung beizubehalten und nach Rom zu gehen. Hier brachte sie es noch weiter. Sie disputirte öffentlich mit immer siegreichem Erfolge. Ihr Scharfsinn, ihre Gelehrsamkeit und bescheidenes Betragen machten ihr bald alle Welt geneigt. Genug, sie erwarb sich solchen Ruhm, daß sie nach Leo's Tode zum Papst erwählt wurde.

Johanna übte alle Functionen ihres heiligen Amtes aus: sie bestätigte Orden, weihte Bischöfe und Diakone, salbte Priester und Altäre, spendete Sakramente, ließ sich die Füße küssen und ertheilte den dreifachen Segen.

Inmittelst errieth ein Cardinal ihr Geschlecht: er verliebte sich in sie – und was geschah nun? Einst hielt der Papst eine Prozession, während derselben überfällt ihn Unwohlsein, er beginnt zu kreisen, und setzt einen jungen St. Peter in die Welt. Dies Spectakel erfolgte in Gegenwart des ganzen römischen Volkes auf offener Straße. Natürlich wurde das Weib auf der Stelle seiner päpstlichen Würde beraubt, und als sie an den Folgen der Entbindung starb, ohne alle Form in einem vergessenen Winkel beerdigt.

Damit aber die Kirche nicht wieder in solches Aergerniß gerathe, beschlossen die Cardinäle, daß in Zukunft ein Diakon mit Hilfe eines durchbrochenen Stuhls das Geschlecht des neuerwählten Papstes zu prüfen habe. Daher rührt der Brauch bei der Krönung desselben auszurufen: »Er hat Einen! Er hat Einen!«

Eine derartige Anekdote war zu piquant um nicht zu interessiren. Alle Welt jauchzte ihr Beifall zu. Die Gegner des Papstthums griffen mit beiden Händen darnach. Lange Zeit blieb sie das Pamphlet des Publicums.

Zum Glück erschien ein Weltweiser auf dem Kirchenthron. Nach so viel Roués, die ihm vorangingen, war er gleichsam ein Geschenk der Vorsehung. Er ist's, der die Geschichte von der Päpstin zuerst angriff. Aeneas Sylvius wagte es, an der Lauterkeit der Anekdote zu zweifeln: er brach der Kritik hierüber die Bahn.

Nun klärte sich die Sache nach und nach auf. Nach einem der langwierigsten und schärfsten Gefechte, worin die berühmtesten Klopffechter einiger Jahrhunderte auftraten, zog sich die Partei Johanna's zurück, ihren Gegnern den Sieg einräumend. Und das war äußerst klug. Denn dieser Krieg nahm die Beschaffenheit der meisten Fehden an: nachdem Ströme gelehrten Blutes vergossen, Welt und Kirche in Flamme gesetzt waren, und es nun zum Frieden kam, da sah man ein, daß man um eine Seifenblase gestritten hatte.

In der That, der ganze Rumor entstand aus dem Irrthume einer gelehrten Motte. Blondel fand den Codex des Marianus unter den Büchern des Königs von Frankreich auf. Durch den Reiz der Neuheit verblendet blies er Lärm. Man folgte der Regel vieler Kriege, indem man an nichts weniger dachte als den Gegenstand vorher genau zu betrachten. Nach geschlossenem Waffenstillstande erst hielt man das Buch an's Licht, und nun stellte sich bei kälterem Blute heraus, daß jene Stelle apokryph war. Sie befand sich nicht im Texte selbst, eine, wie Schriftkenner fanden, Jahrhunderte jüngere Hand hatte sie an den Rand angeflickt.

Jetzt schämte man sich der Sottise. Die heißblütigsten Champions der Johanna, ein Blondel, ein Cooke, ein Dekcher u. a. traten hurtig zurück und widerriefen ihre Meinungen. Und die Geschichte vom weiblichen Papste blieb eine Fabel von dort an bis auf den heutigen Tag.

Sollte sie mehr zu sein verdienen? Wie! um das Geschlecht des Papstes zu bestätigen, wäre ein Gesetz nöthig gewesen, wonach ein Diakon Hebammendienst verrichten müsse? Waren etwa die Freudenmädchen und die Bastarde, welche nach damaliger Sitte die Cardinäle umringten, nicht Zeugen genug?

Was ich bewundere, ist nicht das, daß man sich um die Wahrheit eines historischen Falles kampelte, sondern daß man sich gegen die Annahme einer Päpstin stemmte. Warum soll denn der Kirchenstaat nicht so gut auf die Spindel fallen können als die Monarchien von Rußland, Oesterreich, Schweden oder Portugal? Warum soll denn der heilige Geist das schöne Geschlecht von seiner Sendung ausschließen? Kaum läßt sich das ohne Blasphemie denken.

Johanna macht in jeder Hinsicht noch eine erträglichere Figur in der Kirchengeschichte, als ein Paul II., ein Alexander VI. und so viele andere Giftmischer, Sodomiten und Simoniaken, welche uns der heilige Geist zu bescheeren die Gewogenheit hatte.

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IV.

Kaiser Karl VI. Tod.

Eine Indigestion war es, sagt die Geschichte, entstanden durch den Genuß einer Champignonpastete, woran Karl VI. starb.

Nichts ist möglicher, nichts natürlicher. Die Schwämme sind in der Botanik als eine wo nicht verdächtige doch sehr harte Speise verrufen, und der Kaiser hatte etwas starken Appetit von der Jagd zu Hollabrunn heimgebracht.

Inzwischen war das allgemeine Gerede, es wäre nicht recht natürlich mit dem Kaiser zugegangen. Dies entsprach nun einmal dem Vorurtheile der Zeit: kein Monarch konnte eines natürlichen Todes sterben. Und dies Vorurtheil vielleicht ist's, welches Voltaire verleitete in der Abhandlung »über die gedruckten Lügen« die flüchtige Stelle einfließen zu lassen: »Alle Welt weiß, daß Kaiser Karl VI. an der Aquatossana starb. Sein Liebling, ein spanischer Edelknabe, brachte sie ihm bei. Die Regierung zu Mailand, welcher er kurz vor seinem Tode das Geständniß übergab und die das Protokoll darüber nach Wien sandte, könnte uns sagen, wer der Anstifter gewesen.«

»Ich erinnere mich,« setzte ein Freund, der mich unlängst mit seinem gelehrten Briefwechsel beehrte, hinzu, »ich erinnere mich eines gewissen Fremden, der 1737 am Hofe zu Blankenburg erschien. Er nannte sich Duval, gab sich für einen dänischen Admiral aus, und hatte seine Gemahlin, eine amazonenmäßig gebaute Dame, bei sich. Sie kamen nach ihrer Angabe aus Egypten, wie denn der Mann wirklich orientalische Kleidung trug und in solcher an der herzoglichen Tafel speiste. Unter andern Einfällen, womit Frau von Duval die Gesellschaft unterhielt, war auch der, daß sie behauptete, der regierende Kaiser würde das nächste Frühjahr nicht überleben. Die Herzogin Louise, des Kaisers Schwiegermutter, erschrak heftig, und es ist ein bedenklicher Umstand, daß, wie die Zeitungen meldeten, jenes Ehepaar, um dieselbe Zeit als Kaiser Karl VI. verschied, in Wien gefänglich eingezogen wurde!«

Stellen wir hierüber eine Betrachtung an.

Das Alter des Kaisers versprach ihm einen noch geraumen Lebenslauf. Er hatte sich stets einer gleichen Gesundheit erfreut, und Niemand war weniger der Schwelgerei, dem damaligen allgemeinen Laster der Höfe, zugethan. Wahr ist's, im Herbst 1740 empfand er eine gewisse Ahnung, welche er dem päpstlichen Nuntius anvertraute: »Dies ist,« sagte er am ersten des Weinmonats, »jedenfalls der letzte Geburtstag, den ich erlebe.« Allein man vergaß das wieder.

Am 12. des Weinmonats kam er von der Jagd zu Hollabrunn sehr ermüdet heim. Er verlangte sofort sein Leibgericht, eine Champignonpastete, und aß übermäßig davon. Doch legte er sich wohlgemuth zu Bette. Allein in der Nacht stellte sich die Kolik, die ordentliche Zeugin der Indigestion, ein, welche ihm Erbrechen verursachte. Damit verband sich am Morgen ein Fieber, und gleichzeitig rührte sich das Podagra, womit der Kaiser behaftet war. Binnen sieben Tagen lag er dann als Leiche ausgestreckt.

Alles ist hier also natürlicher Gang. Des Kaisers Tod ist die vollkommenste Krankengeschichte eines überladenen Magens. Sein Uebel schleicht nicht, wie es der Charakter der Aquatossana ist, sondern arbeitet sichtbar, steigt mit Gewalt.

Gleichwol ist es bedenklich, wenn es sich bewahrheitet, daß der sterbende Kaiser ausdrücklich die Oeffnung und Untersuchung seines Körpers sofort nach erfolgtem Absterben verlangt habe. Allein nach Andern, gut Unterrichteten, war dies Verlangen blos eines der Bonmots, unter welchen der Monarch starb. Als er nämlich, er, den die Gegenwart des Geistes bis zum letzten Hauche nicht verließ, einen Blick auf die vielen Aerzte, die sein Lager umstanden, warf, sagte er jenen Berichten zufolge: »Wohlan, weil ihr denn alle Ignoranten seid, die sich weder auf die Ursache noch den Grad meiner Krankheit verstehen, so trage ich euch auf, meine Leiche zu öffnen und mir den Bericht, was ihr gefunden, in jene Welt zu bringen!«

Nichts spricht gegen des Kaisers natürlichen Tod. Duval war allem Anscheine nach ein Abenteurer, und seine Frau eine wichtigthuerische Phantastin. Daß sie in Wien arretirt wurden, geschah jedenfalls in Folge einer verdächtigenden Mittheilung durch die Herzogin von Braunschweig.

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V.

Van Swieten.

Lineamente aus dem Bilde eines großen Mannes.

Gerhard van Swieten starb zu Schönbrunn am 18. des Brachmonats 1772.

Er war einer der größten Naturforscher und Weltweisen seines Jahrhunderts, der berühmteste Schüler Boerhave's, Erfinder und Stifter.

Dies sind die wesentlichen und selbständigen Charaktere seiner Person. Die äußern Titel, die ihm die Welt beilegte, sind: Erster Leibarzt ihrer K. K. Majestät Maria Theresia's; Commandeur des Ritterordens vom heil. Stephan; Vorsteher der Hofbibliothek zu Wien; beständiger Präsident der medicinischen Facultät; Director aller medicinischen Angelegenheiten in den österreichschen Staaten; auswärtiges Mitglied der königl. Akademie der Wissenschaften zu Paris, der kais. Akademie der Wissenschaften zu Petersburg, der naturforschenden Gesellschaft, des Instituts zu Bologna, der medicinischen Gesellschaft zu Edinburgh, der Societät zu Harlem, der botanischen Gesellschaft zu Florenz, der Gesellschaften zu Roveredo, Jena u. s. w. und Freiherr.

Man wird müde Titel zu wiederholen, welche die Welt an einen berühmten Mann verschwendet. Diese vergänglichen und kleinfügigen Dinge bedeuten in den Augen eines Philosophen nichts. Inzwischen sind sie äußere Kennzeichen, welche die Welt an das Verdienst heftet, wodurch sie die Hochachtung auszudrücken glaubt, die sie ihren Verdiensten schuldet. Sie haben den Zweck der Münzen. Der Stoff, das Metall wird durch das Gepräge um nichts verändert, aber der Pöbel würde doch nicht glauben was es werth sei, wenn nicht ein Cäsar oder ein Papst darauf stünde.

Van Swieten war einer der zwei Commentatoren Boerhave's. Ihm ist die Welt die Erfindung vom innern Gebrauche des Quecksilbers schuldig. Seine Werke sind beinahe in alle lebende Sprachen übersetzt, und sein Bild ist im Hörsaale der Aerzte bei der Universität zu Wien in Marmor verewigt.

Eine Vergleichung zwischen ihm und Haller ist eins der vornehmsten Stücke, welche die Literatur dem Witz unserer Zeit noch vorbehalten hat. Beide waren Söhne der Freiheit, wurden wenigstens unter republikanischem Himmel geboren; beide weihten sich dem Altare Aesculap's, beide lebten in der Schule des unsterblichen Boerhave, beide wurden die Erben und Erhalter seines Ruhms. Der Eine übernahm die Auslegung des pathologischen Theiles der Lehrsätze ihres großen Meisters, der andere den physiologischen Theil; beide wurden die Bewunderung und der Ruhm ihres Jahrhunderts. Beide strebten mit gleicher Kraft in gleicher Bahn nach gleichem Ziele, ohne Nebenbuhler zu sein und ohne einander zu hindern. Beide waren Erfinder. Beide hatten das seltne Glück, ihren Ruhm und ihre Werke weder vom Neide noch von der Tadelsucht angefochten zu sehen. Beide genossen ihre Größe ungekränkt und ernteten die Früchte ihres Ruhms noch bei ihrem Leben ein. Lange wird die Nachwelt im Zweifel bleiben, welchem von beiden sie den Vorzug geben soll. Beide waren übrigens Arzneigelehrte ohne Aerzte zu sein.

Man weiß, was der Demokrit des achtzehnten Jahrhunderts bei dem Tode des Freiherrn von Haller für eine Bemerkung machte. Es ärgert mich, sagte er, das affectirte und uninteressante Epitheton Baron vor seinem Namen zu sehen. Diese verächtlichen gothischen Zierrathen sollte man, dünkt mich, an diejenigen abtreten, welche keine Hoffnung haben, ihren Namen durch andere Verdienste zu erhöhen. Aber ein Haller verdient nicht so herabgewürdigt zu werden. Wie lustig müßte es sein ein Buch zu erhalten, dessen Titel die Iliade des Herzogs von Homer oder die Aeneis des Marquis Virgil ankündigte.

Den Freiherrn van Swieten trifft dieser Spott nur halb, denn er stammt aus einem alten, edeln nordholländischen Geschlechte. Adrian van Swieten entriß einen Theil der vereinigten Niederlande der spanischen Botmäßigkeit und theilte sein Geschlecht in zwei Linien, in die römischkatholische, die in den zurückgebliebenen Provinzen ausharrte, und die protestantische, welche den Bundesgenossen zufiel. Der Freiherr Gerhard van Swieten war von der ersten. Lange vor ihm blüht sein Geschlecht in Urkunden. Seine Ahnen hatten hohe Staats- und Hofämter inne.

Ich weiß nicht, ob Haller von seinem Barontitel einiges Fait machte; van Swieten ist nichts gewisser, als daß er darauf ganz und gar keinen Werth legte.

Van Swieten ist unstreitig einer der berühmtesten Männer des achtzehnten Jahrhunderts. Er würde die Ehre aller Jahrhunderte bleiben, wenn die Arzneikunst sich Dauer versprechen könnte. Allein es ist höchst wahrscheinlich, daß diese zweifelhafte Kunst, von welcher Swieten selber sagte, daß sie weiter nichts Gutes an sich habe als daß sie mit der Chemie verwandt sei, nach und nach der Vergessenheit heimfallen, daß sich die Natur ihrer ursprünglichen Einfalt, auf dem ihr von den Tissot's gebahnten Wege, nähern dürfte.

Swieten besaß ein unermeßliches Genie, eine tiefe Gelehrsamkeit und einen Geist, der sich über alle Zweige der Literatur erstreckte, alle Linien der Wissenschaft umfaßte. Sein Geist hob sich mit Leichtigkeit vom Schwunge eines algebraischen Problems zu komischen Erzählungen herab. Mit der abstractesten Vernunft verband er die zartesten Empfindungen und den feinsten Geschmack. Seine Seele war durchaus Licht. Er urtheilte ohne die geringste Schwierigkeit und mit gleicher Richtigkeit über eine Frage in der Theologie wie in der Mathematik, in der Staatswissenschaft wie von einer Fabel des Dorat oder einem Verse Voltaire's. Die belles lettres und schönen Künste gehörten sogar zu seinen liebsten Unterhaltungen. Es ist bekannt, daß Gonthier einer der bevorzugtesten Schützlinge und Gesellschafter van Swieten's war.

Man sagt, daß er besonders in den letzten Lebensjahren der Kaiserin Maria Theresia der Omnis homo derselben gewesen sei. Kann man sich bei dem außerordentlichen Genie dieses merkwürdigen Mannes darüber wundern? So viel ist gewiß, daß die Monarchin sehr oft in den wichtigsten Staatsangelegenheiten bei van Swieten Rath erholte. Man hat seinen Einfluß bei Friedensschlüssen, bei Heiraten und andern interessanten Familienangelegenheiten des österreichischen Hofes zu erkennen geglaubt. Er war, wie in Wien behauptet worden, stets die letzte Instanz, an welche sich die Kaiserin in besonderen Fällen wendete, und nicht selten sahen sich die Beschlüsse des Ministeriums durch seinen Ausspruch umgestürzt.

Seltener Umfang von Einsichten, unerschütterlicher Gerechtigkeitssinn, Wahrheit und Offenherzigkeit, gerades Gemüth und bewährteste Treue waren die Verdienste, welche ihn zu dem unbegrenzten Vertrauen der Kaiserin berechtigten. Sie waren allzu hervortretend, als daß sie der aufgeklärtesten Fürstin des Jahrhunderts entgehen konnten.

Eine vollkommene Geschichte seines Privatlebens könnte nur das Werk Gonthier's sein. Sein intimer Umgang mit dem großen Manne und die Reize seiner Feder würden das Publicum zu einem vortrefflichen Werke berechtigen.

Im Jahre 1744 wohnte van Swieten der Versammlung der Aerzte bei, welche über die tödtliche Krankheit der Erzherzogin Maria Anna zu Brüssel zu berathen hatte. Dies ist die Veranlassung zu seiner Berufung als Leibarzt am kaiserlichen Hofe. Fünf Punkte, wird behauptet, soll er sich ausbedungen haben, bevor er der Berufung Folge leistete. Erstlich, daß man ihn bei seiner Gewohnheit sich zu kleiden und zu leben ungestört lasse. Zeitgenossen wollen ihn in seinem natürlichen, ungekräuselten Haar, ohne Manchetten und Degen gesehen haben. Der Hof besaß vermuthlich einen Augenblick die Vorurtheilsfreiheit, dieser Caprice nachzugeben. Endlich aber ließ van Swieten seinen holländischen Eigensinn doch fallen; er trug eine Perüke, Manchetten und Degen, wie andere hoffähige Christen. Nichts ist indeß gewisser, als daß er in Ewigkeit seine holländische Toilette nicht abgelegt haben würde, wenn dies der Hof ausdrücklich gefordert hätte. Starrheit der Entschlüsse, Zähigkeit des Willens waren unterscheidende Merkmale seines Wesens. Es heißt, die Kaiserin habe ihm selbstgefertigte Manchetten zum Geschenk überreicht, um ihn indirect zur Hoftracht zu bewegen. Er war als Arzt nicht rücksichtsvoll genug, dem Wunsche der Kaiserin zuvor zu kommen, aber als Holländer doch galant genug, das Geschenk anzunehmen und zu gebrauchen.

Ein ungleich wichtigerer Punkt jener Vorherbedingungen war: unbedingte Machtvollkommenheit über die medicinische Facultät, und niemals hat der trotzigste Despot sie entschlossener ausgeübt. Er regierte im Reiche der Heilwissenschaft von einem Pole der kaiserlich-königlichen Erblande bis zum andern ohne Duldung selbst des kleinsten Widerspruchs. Sein Thron, von welchem wie aus dem Olymp beständig Blitze herabfuhren, stand mitten in der Universität Wien. Zu seinen Füßen lagen die Dummheit, der Aberglaube und die Charlatanerie in Fesseln geschmiedet. Ehern war das Scepter, das er schwang. Unhintertreiblich wie die Fügungen des Schicksals waren seine Befehle, verbreitet gleichsam auf Flügeln der Winde.

So herrschte van Swieten unter den Medicingelehrten. Und es ist wahr, Medicin und Chirurgie in Oesterreich verdanken allein ihm ihren spätern Ruhm, sie sind zu sprechen verbunden: Si vivo et valeo suum est. Van Swieten ist der Schöpfer ihres nachmaligen Systems, er ist's, unter dessen bildender Hand ein Störck, ein Kranz, die Collins, Guerins, Jacquins, die Plenk, die Marhere und Leber hervorgingen. Theuer genug freilich ist ihnen dieser Ruhm zu stehen gekommen. Die Männer der Heilwissenschaft in Oesterreich standen in gleicher Linie mit den Russen unter Peter I.: sie waren große Barbaren, sie wurden zu einer ruhmvollen Höhe der Erleuchtung gebracht, aber der Rücken blutete ihnen unter der Cur.

Einer der interessantesten Momente im Leben Swieten's und in der Geschichte seines Ruhms ist ohnstreitig die Heilung der Kaiserin im Jahre 1770. Man muß damals in Wien Zeuge der allgemeinen Bestürzung gewesen sein, um die Wichtigkeit jenes Krankheitsfalles zu beurtheilen. Maria Theresia stand bereits im drei und fünfzigsten Lebensjahre, hatte durch eine Reihe kleiner Leiden eine schon empfindliche Abnahme ihrer Kräfte erfahren und ward nun von den Blattern überfallen. Ihre Wiederherstellung galt als eine der wichtigsten Nationalangelegenheiten. Man sah länger als acht Tage alle Straßen zu Wien, Prag, Mailand und Innsbruck mit Prozessionen angefüllt und alle Altäre von Flehenden umlagert. Die Gewerke standen still, die Belustigungen waren zu Ende gegangen, das Publicum hatte für nichts mehr Sinn als zum Gebet. Und während die Nation ihre Stimme um die Erhaltung der Kaiserin zum Himmel erhob, schaute Europa auf die Verrichtungen ihres Leibarztes. Die Wiederherstellung der Monarchin galt in Anbetracht aller Umstände als ein vom Himmel begünstigtes Meisterstück der Arzneikunst und wird in der Geschichte Oesterreichs wol unvergeßlich bleiben.

Swieten pflog nur mit einer geringen Anzahl auserlesener Männer Umgang. Der Kreis seiner Freunde bestand aus dem Professor Haen, der einer der berühmtesten Arzneigelehrten seiner Zeit gewesen sein würde, wenn ihn nicht, wie aus seinen Schriften ersichtlich, die Schwachheit der Dämonologie ergriffen hätte; dem Freiherrn von Störck, Swieten's Nachfolger als erster Leibarzt; dem Professor Leber und Gonthier.

Es ist bemerkt worden, daß Swieten bei jeder Gelegenheit eine außerordentliche Achtung für Haller zu erkennen gab. Ihm allein schreibt man es zu, daß des letztern Gedichte der Strenge der Wiener Büchercensur entgingen. Gewiß ist, daß wahrhafte Größe keinen Neid hegt.

Lange Zeit widersetzte sich van Swieten der Inoculation; er hielt es für Charlatanerie, die Gesundheit der Menschen und den Gang der Natur arithmetisch bestimmen zu wollen. Als er in einer Unterredung mit Lord Stormont auf diesen Gegenstand kam, sagte er: »In den Prozessen der Medicin ist nicht immer 2 + 2 = 4.« Um so eifriger beförderte er die Einführung einer andern Erfindung in Osterreich: der Toleranz. Wenn er seine Ansichten über die Impfung nachmals zurückzog – welche in der That noch bei seinem Leben durch Inghouyßen eingeführt ward – so beharrte er um so entschiedener in seinen Meinungen über Toleranz. Was von Aufklärung über die Monarchie kam, verdankt sie hauptsächlich seinem Einfluß. Er ist's, der den Extravaganzen der Censur einen Damm setzte und 1747 das große Werk der Schulreinigung unternahm. Ihm verdankt die Nation die Kell's, die Dalham, Macko, Fulgens u. A. Van Swieten war für Oesterreich was Bacon für Europa.

Freilich verfuhr er mit der Verbesserung der Literatur ebenso wie mit der Medicin. Er begann damit, daß er etliche tausend Bände der kaiserlichen Hofbibliothek ohne Barmherzigkeit verbrennen ließ, darunter die Werke der Raimunds, Alberts, Theophraste, eines Jacob Böhme und anderer Schwärmer aller Gebiete. Darauf schritt er zur Säuberung der Universitätsbibliothek: Alles was die Färbung der Sophisterei trug, von Alchymie, Geisterwissenschaft, Astrologie und andern Charlatanerien handelte, wurde ohne Gnade dem Feuer übergeben. Man schätzt die Zahl der unter seinem strengen Regiment ausgerotteten Bücher und Handschriften über zwanzigtausend. Umsonst schrie man von dem unermeßlichen Werthe derselben, vergebens heulte der verletzte Aberglaube, vergebens füllte die Dummheit alle Winkel mit Klagen und Seufzern an, vergebens fielen die Charlatane in Verzweiflung, nicht hielt es ihn auf, daß sich einige Alchymisten und Jesuiten erhingen. Van Swieten verfolgte die Unwissenheit als geschworner Feind ohne Ermüden. Er machte Jagd auf alle Goldverfertiger, Schatzgräber und Quacksalber: er zerstörte ihre Oefen, vernichtete ihre Schriften und trieb sie selber aus dem Lande. Hekatomben von Druckwerken wurden der Vernunft geopfert. Niemals hat die Literatur der Dummheit eine ärgere Schreckenszeit erfahren als in Oesterreich.

Bisweilen liebte van Swieten den Witz, und er selber besaß viel von dieser Schönheit des Verstandes. Ihm gehört folgender viel benutzte und verbreitete Einfall bei Gelegenheit einer Unterredung mit dem Herzog von Braganza über das neue Natursystem des Grafen Buffon: »Wenn Adam«, bemerkte van Swieten, »jedes Ding bei seiner wahren Natur zu benennen wußte, wie doch die Schrift spricht, so war es höchst überflüssig, daß er die Frucht vom Baume des Erkenntnisses begehrte; denn er wußte dann bereits mehr, als heute die Akademien der Wissenschaften zu Paris, Petersburg und London.«

Groß ist die Zahl der Gelehrten, die dem Freiherrn van Swieten ihr Glück zu danken, ihre Beförderung aus seiner Hand empfangen haben. Man weiß seinem Herzen keinen Vorwurf zu machen als den einzigen, der das traurige Schicksal des Herrn von Laugier nach sich zog.

Ein einziger Zug ist oft hinreichend das Bild eines absonderlichen Mannes zu entwerfen. Herr X., ein junger Arzt in Wien, hatte sich wiederholt bei van Swieten um ein Amt gemeldet: »Ich werde Sie rufen lassen«, versetzte er das letztemal, »wenn der Staat Ihrer bedarf.« Nach dieser kurzen und barschen Abfertigung wagte es der junge Mann nicht wieder sich zu zeigen. Er beklagte in der Stille sein Schicksal. Sechs Jahre verflossen darüber, als ihn das Oberhaupt der Mediciner plötzlich zu sich beschied. »Gestern«, redete ihn van Swieten sogleich bei seinem Eintritt an, »ist der Ordinarius des .... Spitals gestorben; die Kaiserin übergiebt Ihnen seine Stelle. Gehen Sie hin und treten Sie Ihr Amt an!« Herr X. ist überrascht. »Die Gnade der Kaiserin«, erwiederte er bescheiden, »rührt mich tief; inzwischen aber bin ich überzeugt, daß dieser Dienst bereits einem Andern überwiesen worden; Doctor B. hat heute früh das Decret aus der Hand der Majestät selbst erhalten.« »Scias, tu eris! Abi!« fuhr der Allgewaltige erzürnt auf. In sich gekehrt ging der schüchterne junge Mann nach Haus, und ohne sich um das Amt weiter zu kümmern oder vergebliche Hoffnungen zu nähren, setzte er seine bisherige Beschäftigung fort. Kaum sind aber vier und zwanzig Stunden verflossen, als er neuerdings zu van Swieten gerufen wird. »Warum, Rebell«, redet ihn dieser in lateinischer Sprache an, »warum begiebst Du Dich meinem Befehle gemäß nicht in das Amt, wozu Dich die Monarchin ausersehen hat? Zur Strafe wirst Du zwei Tage in Arrest wandern! Uebermorgen aber ist Dir bei der Ungnade des Hofs anbefohlen den Dir verliehenen Dienst sofort anzutreten!«

In der That war dem Dr. B. das Decret zu jener Stelle wieder abgenommen und Herr X. wider alles Vermuthen in eins der gesuchtesten Aemter eingesetzt worden.

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VI.

Necker's Fall.

Wekhrlin konnte nicht ahnen, daß Necker noch einmal an's Staatsruder berufen werden würde. Aber er prophezeite, als es geschah, doch richtig, daß er sich keine drei Jahre zu behaupten vermöchte, denn man weiß, daß er am 11. Juli 1789 wieder entlassen wurde.

Könnte uns, heißt es bei einem französischen Schriftsteller, die Geschichte überall von den geheimen Triebfedern der Begebenheiten unterrichten; dürfte sie uns sagen, was hier einen Mann zum Minister erhoben, dort als solchen gestürzt hat: so würden wir uns von einer tiefen Beschämung nimmer erholen. Eine Bevorzugung, ein versäumtes Rendezvous, ein verlornes Billet, eine verschmähte Liebe, eine weiße Hand, ein Bonmot, eine tiefe Verbeugung: dies sind sehr oft die Triebräder jener Streiche gewesen, denen die Schriftsteller den Namen Staatsraison ertheilen.

Der Fall Necker's, eines der interessantesten Männer des 18. Jahrhunderts, gehört nun zwar nicht in jene Liste; nichtsdestoweniger wird die Nachwelt erstaunen, wenn sie den Knoten zu seinem Sturze gewahrt.

Ich unternehme es, einige Fäden davon zu berühren: nicht in der Hoffnung etwas Neues vorzubringen, sondern zu unterhalten.

Ich schicke zunächst das Wort des Marschalls Richelieu voraus, der bei dieser Gelegenheit sagte: »Seit siebzig Jahren, die ich in der Hofsphäre lebe, habe ich nie so viel Tücke, so viel Kabale, solches Ränkespiel und so viel Interessen in Bewegung gesehen.«

Nur allzulange warteten schon Höflinge, Obervögte, Hofkammerräthe, Generalpächter und die ganze unermeßliche Kette ihrer Creaturen, Schreiber, Lakayen und Maitressen auf eine Mausefalle, den General-Finanz-Director zu knickfußen.

Den Einen war seine trockne Physiognomie verhaßt, und überdies hatte er ihnen ihre überflüssigen Pensionen genommen und mit einer Reform des Besoldungswesens gedroht.

Die Andern, gewohnt Unter-Minister zu spielen, waren mit der von ihm eingeführten Subordination unzufrieden.

Die Dritten, die sich als den natürlichen Arm des Ministers betrachteten, fühlten sich durch die Entfernung, worin er sie hielt, beleidigt.

Die Vierten verabscheuten seinen durchdringenden Blick, seinen systematischen Geist und seine Liebe zur Ordnung.

Selbst das Parlament intriguirte gegen ihn, da er es durch seinen berühmten Vorschlag, Provinzial-Collegien zu errichten, wodurch ersterem aller politische Einfluß entzogen und es rein auf das Justizwesen beschränkt wurde, gegen sich aufgebracht hatte.

Kurz, die Verschwörung, welche sein überlegenes Genie, sein gerader und unternehmender Geist, die Festigkeit seines Charakters und die Entschlossenheit seiner Entwürfe veranlaßte, war vollkommen reif. Man wartete nur auf die Gelegenheit zum Ausbruch.

Diese bot das » Compte rendu«, jenes unglückliche Erzeugniß der Muse Neckers, von der Welt so sehr bewundert, und seinem Urheber doch so gefährlich!

Inzwischen wagte man es nicht en corps loszubrechen. Die Batterien, welche Necker am Hofe hatte, waren zu furchtbar. Man brauchte Schnapphähne, verlorene Husaren, um mit dem Feinde anzubinden, ihn zu necken. Sie fanden sich.

Madame Cassini, die Schwester des glücklichen Marquis du Pezai, den wir aus dem Verse kennen:

                   

Ce jeune homme a beaucoup acquis,
Beaucoup acquis, je vous assure:
En deux ans malgré la nature
Il se fait Poëte et Marquis –

dieses Weib also war die öffentliche Gebieterin des Grafen von Mallebois, und als Maitresse und Schwester eines Schöngeists ganz selbstverständlich die Beherrscherin eines Bureau d'esprit. Nun präsidirte aber auch Madame Necker einer Schöngeisterversammlung, und da man die erstere das Bureau des Persifleurs nannte, die andere dagegen das Bureau des gens à raison, so lagen beide Häuser in einer subtilen Fehde.

Dies war in ganz Paris bekannt. Man wußte aber noch mehr, nämlich daß Necker sich durch den Canal des Marquis du Pezai, der vorübergehend Ludwig XVI. Günstling und nebst Beaumarchais der Spaßmacher des Grafen von Maurepas gewesen, auf seinen Posten geschwungen hatte.

Nun wurde im Büreau der Madame Cassini, wo man dem » Compte rendu« bereits den Namen » Conte bleu« gegeben, ein geheimes Comité gebildet, welchem beizutreten Herr von Sainte-Foy eingeladen war, weil man wußte, daß er einen Pik auf Necker hatte und durch seinen Einfluß bei dem Grafen von Artois sich etwas hoffen ließ.

Sainte-Foy, ein Roué dessen Frechheit nur von seinen eigenen Lastern überboten wurde, beschwerte sich öffentlich: während er in der Staatskanzlei angestellt gewesen, hätte er dem General-Finanz-Director Nachrichten anvertraut, aus welchen dieser 1,800,000 Livres für sich gewonnen, ohne ihm davon einen Antheil zu verabfolgen.

Darauf hin baute das Comité einige seiner nächsten Manoeuvres. Um der Form zu genügen, mußte die Cassini dem Minister eine Herausforderung zugehen lassen, und sie that es, indem sie ihm schrieb, daß wenn er ihr nicht alsbald eine Pension von 30,000 Livres verschaffe, sie eine gewisse Correspondenz zwischen ihm und ihrem verstorbenen Bruder veröffentlichen werde.

Man kannte Necker zu genau, um zu erwarten, daß er in die Falle gehen würde; man sah eine verächtliche Verwerfung des gestellten Ansinnens voraus.

Und so geschah es auch.

Nun war man in der Bahn. Der General-Finanz-Director konnte nun nicht mehr verlangen, daß man Rücksichten gegen ihn beobachte.

Die Verschwornen, zu denen sich Bourboulon, unter Terray Hofrath bei der General-Controle der Finanzen, dann aber von Turgot fortgejagt und von Necker nicht wieder angenommen, gesellt hatte, rückten jetzt mit ihrer famosen Persiflage: » Lettre d'un ami à Monsieur Necker« heraus, worin gezeigt werden sollte, daß das » Compte rendu« nichts als ein mattes Nachbild ähnlicher Producte in der Manier Demaret's und des Abbé Terray sei.

Das Treffen war formirt. Auf der einen Seite bestand es aus allen Hohlköpfen im Parlament, bei dem Finanzministerium, am Hofe, aus allen Pflastertretern zu Paris und Versailles unter der Anführung der Herren Sainte-Foy, Bourboulon, le Clerc und Beaumarchais.

Die Geschosse, welche sie schleuderten, waren Flugblätter, Pamphlete, Kupferstiche, Gassenhauer, z. B. » Les Comment«; » Extrait des papiers de l'Anticharlatan«; » Dialogue entre Madame Necker, Monsieur de Lessart et Monsieur le Marquis de Peray«; » Lettre d'un bon françois« u. s. w. u. s. w.

Auf der andern Seite erschien die Schlachtordnung des General-Finanz-Directors:

Das leichte Corps bildete ein Haufe Enthusiasten, Fuchsschwänzer und Schmarotzer.

Ihnen schloß sich der Vortrab an, der aus den Mitinteressenten, Associirten und Untergebenen bestand, unter dem goldenen Panier der Bank.

Hierauf folgte der rechte Flügel: die Geistlichkeit und die Protestanten, diesmal zuerst vereint, die erstere als Jedem ergeben, der ihr schmeichelt, die andern in der starken Hoffnung ihrer Wiederanerkennung.

Auf dem linken Flügel die Freunde am Hofe, sich nach jedem Winde drehend, als die Noailles und alle Schranzen, geborne Sklaven des jedesmaligen Mannes am Bret.

Dann das Corps de Bataille, nämlich die große Gesellschaft dummer Bewunderer, der Düpirten, der Benebelten, alle mit offenem Maul und starren Augen hinter ihrer Heeresfahne, dem » Compte rendu« dahintrabend, auf welcher in erhabenen Zügen die Worte prangten: Reform, Freiheit, Erleichterung, Menschenliebe. Dieses Treffen folgte blindlings der Musik seiner Regimentsbande, der Gelehrten, Journalisten, Ekonomisten, wobei der Abbé Raynal die Heerpauke führte.

Die Reserve bestand in den Alliirten nach ihren verschiedenen besondern Geschwadern, als:

Das Geschwader des Erzbischofs von Toulouse, um einen Platz im Ministerium buhlend;

der Herzog von Choiseul, vom Finanzminister überredet, daß er ihm beim Könige das Wort führe;

der Herzog von Chatelet, in der Hoffnung durch den General-Finanz-Director und seine Partei an's Ruder zu kommen, sei es beim Kriegswesen oder im Cabinet; und

der Prinz von Beauveau, nach der Departements-Direction von Paris oder wenigstens einer Stelle im Conseil schmachtend.

Endlich der Nachzug der Freiwilligen, des schönsten Theiles des Treffens, da er aus lauter Damen bestand, und zwar aus

der Compagnie der Hochfliegenden und Gebieterischen mit dem Capitain: Herzogin von Grammont;

der Compagnie der Stolzen mit dem Capitain: Gräfin von Brienne;

der Compagnie der Spitzfindigen mit dem Capitain: Prinzessin von Beauveau;

der Compagnie der Verführerischen mit dem Capitain: Gräfin von Montesson;

der Compagnie der Gezierten mit dem Capitain: Gräfin von Blot;

der Compagnie der Begeisterten mit dem Capitain: Gräfin von Tessée;

der Compagnie der Vergötterten mit dem Capitain: Gräfin von Chalons, und dem Adjutanten Herzog von Coigny, ihrem Liebhaber;

der Compagnie der Wunderwirkenden mit dem Capitain: Prinzessin von Henin;

der Compagnie der Schlanken mit dem Capitain: Gräfin von Simiani;

der Compagnie der Piquanten mit dem Capitain: Marquise von Coigny;

der Compagnie der Sanften mit dem Capitain: Prinzessin von Poix; und aus

der Compagnie der Königin mit dem Capitain: Herzogin von Polignac.

So schildert eines, und zwar das bissigste der Pamphlete, die über Necker erschienen, das famose » Lettre de Monsieur le Marquis de Carraccioli à Monsieur d'Alembert«, dessen Geist und Galle Beaumarchais nicht verkennen lassen, die Neckersche Partei.

Beinahe drei Monate währte die Schlacht, und man kämpfte von beiden Seiten allerdings mit ungleichen Waffen – denn Necker setzte seinen Feinden Bastille, Fort l'Eveque, Lettres de Cachet u. s. w. entgegen – jedoch mit gleicher Kraft.

Es schien, als ob die Neckersche Partei nach allen Richtungen hin siegen würde. Sie fand im Beichtvater der Königin, dem Abbé Vermont, im Prinzen von PoiX und Marquis Castres erhabene Stützen. Letzterer war so enthusiasmirt, daß er ausrief: »Der König kann mich und alle seine Räthe fortschicken, er wird immer Andere finden; einen Necker aber findet er nur einmal!«

Die Königin selbst war durch den Herzog von Choiseul so ganz für diese Partei gestimmt, daß, als sie einst durch die Säle zu Marly ging und einige Spötter bei der Lectüre des » Compte rendu« fand, sie laut sagte: »Dies ist das Werk eines dem Könige sehr nützlichen und dem Staate sehr wohlgesinnten Mannes!«

Die Verschwornen aber verstärkten ihre Truppen nicht minder. Bourboulon wußte den Grafen von Artois so einzunehmen, daß sich dieser öffentlich für ihn erklärte. Als Necker bei Erscheinen des » Lettre d'un ami« mit einem Verhaftbrief drohte, sagte ihm dieser Prinz, er würde niemals zugeben, daß man einem seiner Hausbeamten etwas anhabe in einer Sache, welche von dem Minister selber provocirt worden wäre.

In der mißlichsten Lage befand sich bei diesem Kampfe der König. Sein gesunder Menschenverstand überzeugte ihn von Necker's Verdiensten, und sein gutes Herz widerstrebte der Zumuthung, den Staat eines so nützlichen Mannes zu berauben. Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte Necker den Sieg davon getragen, wäre es ihm möglich gewesen Mäßigung mit Geduld zu verbinden und seine Eigenliebe auf einige Zeit zu unterdrücken. Aber dies wollte sein trotziger Genius nicht. So wie er selbst das Signal zum Ausbruche des Kampfes gegeben, so sollte ihn seine falsche Politik verleiten, durch einen einzigen unzeitigen Coup die Entscheidung herbeizuführen.

In der That, es ist unbegreiflich, welcher verkehrte Geist ihm jenes Memoire eingab, worin er dem Hofe drei Forderungen stellte, von deren Bewilligung er sein Verbleiben im Amte ausdrücklich abhängig machte, nämlich: 1) Sitz und Stimme im geheimen Rathe; 2) ein Lit de Justice zur Durchsetzung seiner Plane; 3) die Bestrafung seiner Feinde, vornehmlich des Intendanten zu Moulins, Gueaux de Reverseau, der sich allen seinen Veranstaltungen ohne Scheu widersetzte.

Das war zu viel. Man redete der Königin ein, daß von einem so stolzen und gebieterischen Manne Alles für die Ruhe des Königs zu fürchten sei, indem es nur zu klar am Tage wäre, daß er den Tyrannen spielen wolle, und daß es eine Verletzung der Würde des französischen Scepters sei, von einem hoffärtigen Fremdling sich Gesetze vorschreiben zu lassen. Diese Bemerkung schien der König selbst als treffend zu fühlen. Das Zünglein des Streits fing an zu schwanken. Marquis Adhemar kam hinzu, um der Königin durch die Herzogin von Polignac den Mann zu zeigen, der Necker ersetzen könne. Nun neigte sich die Schale.

Als der General-Finanz-Director nach Marly fuhr, um sich die Antwort auf sein Memoire zu holen, war er vermuthlich auf nichts weniger vorbereitet, als daß es möglich sei ihn zu entbehren. Allein wie sehr hatte sich das Firmament verändert.

Der König war nicht zu sprechen: übles Vorzeichen!

Necker geht zum Grafen Maurepas: das Podagra muß zum Vorwand dienen ihn nicht vorzulassen!

Voll Aerger fährt er nach Paris zurück. Hier findet er ein Billet von Maurepas auf seinem Schreibtisch. Es lautet: »Mein Herr, ich bringe Ihnen meinen Glückwunsch dar, denn der König gewährt Ihre Bitte und nimmt Ihre Entlassung an. Bezeigen Sie der Madame Necker meine Ergebenheit und meine Theilnahme an ihren Vergnügungen.«

Dies war ein Donnerschlag, der unsern Helden außer Fassung brachte. Er stürzte sich wieder in den Wagen und verschloß sich in seinem Landhause zu St. Ouen.

Mußte jedoch Necker seinen Feinden den Sieg lassen, so entschädigte ihn die öffentliche Theilnahme. Diese verherrlichte seinen Sturz. Niemals erwies sich das Publikum gerechter, nie verrieth es seinen Unwillen stärker als bei dieser Gelegenheit.

Man gab an demselben Tage im Theater »die Jagdlust Heinrich IV.« Bei der Stelle, wo der König, erbittert über die Verleumder des Sully, ausruft: »Die Elenden, sie haben mich betrogen!« gerieth das Parterre in stürmische Wallung. Von allen Seiten tönte es: »Leider, ja, ja!«

Gleiche Scenen ereigneten sich bei der Vorstellung des »Misanthropen«, den man einige Tage darauf gab, und die Polizei verbot beide Stücke.

Nichts ist schöner als der Einfall des Herrn von Marmontel bei dieser Veranlassung. Er war gerade im Schlosse zu Versailles, als die Neuigkeit von der Verabschiedung Necker's anlangte. Nun, fragte ihn triumphirend der Herzog von Antin, der aus einer Reihe von Höflingen auf ihn zutrat, wie gefällt Ihnen diese Wendung der Dinge? »Ich stelle mir«, antwortete der Weltweise, »eine Bande Räuber und Strauchdiebe im Gehölz von Bondy vor, denen man die Nachricht bringt, daß der Großprofos abgedankt sei.«

Unter den Epigrammen, die wie zu erwarten auf diesen Vorgang erschienen, gelangten folgende drei zu allgemeiner Beliebtheit:

                   

North et Necker dans leurs puissantes mains
De leur Etat soutenoient les destins:
             Voilà la ressemblance.
North triomphant éleve les Anglois:
Necker tombant entraine les François:
             Voilà la difference.
                      *                    *
Les vertus, le génie exilés de la cour;
Ce malheur trop commun n'a rien qui me surprenne:
Que leur regne ait duré cinq ans dans ce Séjour
C'est que l'avenir ne croira qu'avec peine.
                      *                    *
        Monstre qui n'a que trop vieilli,
        Triomphe! L'Anglois va nous battre.
        On juge au renvoi de Sully
        Que nous n'avons plus d'Henri-Quatre.

So bedenklich war die Bewegung im Volke über Necker's Entlassung, daß man eine Revolte befürchtete. Allein die Polizei ließ eine ihrer gewöhnlichen Minen springen; sie veranstaltete eine Trauerfeierlichkeit für Maria Theresia. Nun eilte ganz Paris nach Notre-Dame, und vergessen war Necker.

Der König bewilligte ihm selber noch seine eventuell begehrte Demission: »J'accepte votre démission: j'estime vos talens, mais votre esprit ne pouvoit me plaire.«

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VII.

Friedrich der Große und der Breslauer Frieden.

Verschiedenartig werden die Gründe angegeben, welche Friedrich den Großen bewogen seinen Bund mit Frankreich zu brechen und unvermuthet den Breslauer Frieden abzuschließen. Der wahrscheinlichste dürfte folgender sein:

Der König besuchte den bei Chotusic verwundeten und gefangen genommenen General Palland. »Ew. Majestät Gnade rührt mich«, sagte der Leidende. »Gern würde ich sterben, könnte ich zuvor die Genugthuung haben, Ew. Majestät mit meiner Königin ausgesöhnt zu sehen. Darf ich mich erkühnen, Sire, so warne ich Sie vor Ihren Bundesgenossen. Man geht damit um, Ew. Majestät zum Düpe zu machen.«

Der König zeigte sich ganz ungläubig; er schien vom Gegentheil überzeugt zu sein, und forderte den General auf ihn eines Andern zu überführen. »Je nun«, versetzte dieser, »wenn es Ew. Majestät verlangen! Ich bitte mir nicht mehr als sechs Tage dazu aus, und ich will Ihnen die deutlichsten Beweise vor Augen legen.« Der König war damit einverstanden und gab dem General sein Wort, bis dahin alle Maßnahmen zu unterlassen.

Nun schickte Palland seinen Adjutanten mit Courierpferden nach Wien. Binnen vier Tagen machte er seine Tour hin und zurück. Darauf ließ sich der General des Königs Besuch ausbitten.

»Geruhen Sie zu lesen, Sire«, sagte er ihm, indem er ihm ein Papier überreichte. Friedrich las und entfärbte sich. » Le Cardinal me prend pour un sot«, rief er aus, indem er mit dem Fuße stampfte, » il veut me tromper, mais j'y mettrai ordre!«

Es war ein Handbillet, das der Cardinal Fleury an Maria Theresia geschrieben, worin er ihr sehr artig antrug, Schlesien und Mähren zu behalten, aber dem Kurfürsten von Baiern einen Theil von Oberösterreich und Böhmen abzutreten.

Der König befragte den General, ob er das Billet auf einige Tage behalten dürfe. »Es steht zu Ew. Majestät Disposition«, erwiederte dieser.

Sobald Friedrich in sein Quartier zurück war, ließ er den Minister von Podewils zu sich bescheiden, um ihm den Auftrag zu ertheilen, daß er sich mit Lord Hindfort ohne Rückhalt in Unterhandlungen einlassen solle. Und so schloß sich der Breslauer Frieden ganz unvermuthet.

Marschall Belleisle empfing Wind davon. Wie Gottes Blitz stürzte er in's preußische Lager. »Sire«, rief er athemlos, »es verlautet, daß ein Vergleich zwischen Ihnen und der Königin von Ungarn im Werke wäre. Sollten Sie den würdigsten Ihrer Bundesgenossen aufgeben und einen so großen Monarchen betrügen können, als mein König ist?«

Auf diese unverschämte Apostrophe antwortete Friedrich II. mit Nichts als einem majestätischen und verächtlichen Blick, und begnügte sich, dem Marschall das Billet des Cardinals vorzulegen.

Belleisle liest, staunt, geräth in Wuth, wirft zornig seine Perücke zur Erde und knirscht ingrimmig: » Le F... prêtre!« Dann bittet er den König um die Freiheit sich entfernen zu dürfen.

» Fallacem fallere non est fallacia«, ruft ihm der König nach.

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VIII.

Zur Geschichte des Protestantismus in Frankreich.

Aus Originalurkunden.

Lange Zeit schon empfand man die Nachtheile der fanatischen Politik Ludwig XIV. Aufgeklärte Köpfe beseufzten in der Stille die Widerrufung des Edicts von Nantes. Endlich erwachte die Stimme der öffentlichen Vernunft und der Nation. Der Patriarch des Tolerantismus gab das Zeichen, und nun brach er in den Schriften der Mirabeau, der Helvez, Jean Jacques, der Marmontel und Mercier hell hervor. Duldung war das Feldgeschrei der Encyklopädisten, der Ekonomisten und aller Koryphäen der Tagesphilosophie.

Aber was half es! Die Wünsche der Philosophen und der Nation zu verwirklichen war der politische Arm nothwendig und keine Regierung dazu weniger geeignet als die des fünfzehnten Ludwig. Auf der einen Seite bedurfte der Hof fortwährend den Geldbeutel des Clerus, auf der andern war das Parlament in beständiger Kollision mit dem Ministerium, das heißt mit dem Despotismus, also in Ohnmacht.

Ludwig XVI. erschien, seine Regierung besserte jedoch die Aussichten nicht. Man hatte es mit einem jungen Herrscher zu thun, der das edelste und wohlwollendste Herz besaß und der Aufklärung nicht unzugänglich zu sein schien, der aber unter einer bigoten und kleingeistigen Erziehung aufgewachsen war, dessen natürlicher Charakter Furchtsamkeit zu sein, und dem jene Energie völlig zu fehlen schien, welche zu großen Schlägen erforderlich ist.

Jetzt trat der Schutzengel der Nation herbei und that ein Wunder. Er umstellte des jungen Königs Thron mit einigen Geistern ersten Ranges und wahrer Tugendhaftigkeit. Maurepas, St. Germain, Turgot, Malesherbes und Necker bildeten einen Kranz philosophischer und patriotisch großer Minister, wie ihn die Geschichte von Jahrhunderten nicht aufweist. Diese Männer schienen von der Vorsehung berufen zu sein das durch den religiösen Idiotismus seiner Erzieher umnebelte Gemüth des Königs zu lichten und seine Vernunft in ihre Rechte einzusetzen.

Bereits zwanzig Jahre zuvor hatten die Protestanten die Bahn eröffnet, indem sie den Fiscal der Provinz, wo sie am zahlreichsten wohnten, den Herrn von Monclar, Generalprocurator zu Aix, einen thätigen und einsichtsvollen Mann, bewogen, sich ihrer von amtswegen anzunehmen. Monclar setzte eine Schutzschrift für sie auf ( »Mémoire théologique et politique sur les mariages des Protestants«), voll Wärme, voll Gründlichkeit, voll Freimüthigkeit, die aber den Fehler der Weitläufigkeit trug.

Ein unverzeihlicher Fehler für eine Volkslectüre, vornehmlich in Frankreich! Auch zog er die Folge nach sich, daß die Schrift ungelesen blieb, ungeachtet sie in eine Zeit fiel, wo Voltaire den Justizmord des Johann Calas zu Toulouse vor den Richterstuhl von ganz Europa brachte.

Inzwischen brach der Krieg von 1756 aus. Einige schüchterne Köpfe gestatteten sich die Bemerkung, daß drei Millionen mißvergnügter Unterthanen zur Zeit einer öffentlichen Verlegenheit sehr gefährlich werden könnten, wenn sie sich empören sollten, und daß die Regierung nicht genug eilen könne die Protestanten zu naturalisiren.

Das Ministerium theilte jene Befürchtungen nicht, empfand aber dennoch Gründe diese Idee zu begünstigen. Unter Verhältnissen, wo dem Staate Bevölkerung, Vermehrung der öffentlichen Abgaben, Hilfsquellen aller Art mehr denn je nöthig waren, schien es ein Cabinetsstreich zu sein Einwohner in's Land zu ziehen, seinem Gegner deren zu entführen und den Nationalreichthum zu erhöhen. Hiezu erweckte die Wiederherstellung des Protestantismus, welche alle in England, Holland und Deutschland aufhältliche Refügiés in Bewegung setzen mußte, allerdings Hoffnung.

Man gab also den Protestanten unter die Hand, einen zweiten Schritt zu thun, und zwar diesmal unmittelbar an den König. Dazu disponirte der Herzog von Choiseul einen der berühmtesten Advocaten Frankreichs, Herrn Legouvée. Um jedoch dem Hofe keine zu starken Bedenklichkeiten einzuflößen, sollte man einstweilen blos um die Ehebewilligung anhalten, und alsdann erwarten, daß sich alles Uebrige von selbst finden würde. Denn obwol die Reformirten, das will sagen der sechste Theil der Gesammtbevölkerung Frankreichs, alle Bürgerpflichten zu erfüllen hatten, galten ihre Ehen nicht als legal geschlossen, ihre Kinder nicht als eheliche Kinder, und waren mithin vom Erbrecht ausgeschlossen. Ein calvinistischer Geistlicher verwirkte nach den Landesgesetzen das Leben, wenn er eine Copulation verrichtete, und den protestantischen Brautleuten blieb daher nichts weiter übrig, als sich entweder außer Landes trauen zu lassen oder einen falschen Beichtschein von einem katholischen Geistlichen zu erkaufen. Niemand ward ohne Vorweisung eines Beichtscheines ehelich verbunden, aber mit einem solchen durften Hunde und Katzen zusammen heiraten.

Wenn ein Choiseul etwas einfädelte, war es gewiß der Seide werth. Allein die Protestanten glaubten oder erkannten dies nicht. Sie verdarben seinen Plan, indem sie sich weigerten darauf einzugehen. Ein Anbringen, das sich auf die Ehebewilligung beschränke, erschien ihnen unzulänglich, ja sogar verfänglich. Als Legouvée einen Ausschuß von sechszig der angesehensten Glieder ihrer Kirche zusammenberief, um die Eingabe an den König zu berathen und zu unterzeichnen, erklärte derselbe, daß man entweder Alles oder Nichts wolle. »Vollkommenes Leiden oder vollkommenes Recht!« rief der Arzt Tronchin, einer der vornehmsten Sprecher.

Choiseul ließ sich damit noch nicht aus dem Felde schlagen. Er hatte zwar die einflußreichsten und schlauesten Prälaten auf seiner Seite, die Erzbischöfe von Narbonne und Toulouse. Ersterer hegte keinen andern Fanatismus als den sich bei Hofe beliebt zu machen und an's Bret zu bringen, kannte kein anderes Gesetz als die Gnade seines königlichen Herrn und keinen andern Gott als Ludwig XV. Der zweite, in seinen Grundsätzen fester, trug vom Pfaffen nichts an sich als den Rock, und brannte vor Begierde sich durch einen patriotischen Heldenzug auszuzeichnen. Uebrigens war er das Factotum des geistlichen Parlaments.

Tausend Umstände boten alle Aussichten, daß Choiseul's Plan gelingen würde.

Allein die Protestanten begingen eminente, ganz unheilbare Thorheiten. Statt, wie ihnen das Ministerium vorschlug, offenen Visirs und mit männlicher Mäßigung vorzugehen, wählte man ein Libell ( »Dialogues entre un évéeque et un curé sur les mariages des protestants«). Dies Ding sollte die Geister vorbereiten, sie stimmen, und zu dem Ende colportirte man es heimlich. Weit gefehlt indeß, daß es seinen Zweck erreichte, versalzte es im Gegentheil die Brühe. Denn die katholische Geistlichkeit wurde darin mit einem Muthwillen behandelt, der sie schlechterdings empören mußte, wäre sie auch nur halb so empfindlich gewesen, als sie von Natur zu sein pflegt.

Die Flugschrift zerfällt in zwei Dialoge. Im ersten legt ein Pfarrer, von Humanität und selbst Religionseifer durchdrungen, seinem Bischofe einen Antrag zu Gunsten der Protestanten mit der Zumuthung vor, ihn vor eine Versammlung des Clerus zu bringen. Dieser weigert sich dessen, weil er eben im Begriff stehe einen Gegenantrag zu machen, obschon er bekennen müsse, daß er sich über die nicht wenigen Protestanten seines Sprengels keineswegs beklagen könne. Da indeß weder mit Bitten noch Drohen noch Streiten bei diesem verstockten Haufen etwas auszurichten sei, bliebe nichts übrig als die Hand von ihnen abzuziehen. Das Aeußerste, was man für sie thun könne, wäre, sie ungekränkt ihrem Schicksale zu überlassen. Dieser Meinung schließt sich der milde Pfarrer nicht an. Er behauptet, die Widerhaarigkeit dieser Leute gründe sich weniger auf ihr Glaubenssystem, von dessen Hinfälligkeit und Nichtigkeit sie selber nur allzusehr überzeugt wären, als auf gerechten Abscheu gegen ein Priesterthum, das die Feuerbrände der Verfolgung wider sie schüre. Es liege demnach der Geistlichkeit ob, diesen Vorwurf zu beseitigen, indem sie sich selber dafür verwende, daß den Protestanten alle bürgerliche Rechte eingeräumt würden. Nun mustert er die Gründe, welche Religion und Kirche entgegensetzen möchten, und beweist, daß der angerathene Schritt weder die eine noch die andere beeinträchtige. Hierauf erhebt der Bischof alle vom Fanatismus nur irgend ersinnbaren Einwände, die aber der Pfarrer so zerstäubt, daß der Bischof verstummen muß. Im zweiten Dialoge theilt der letztere, der gerade aus der Versammlung des hohen Clerus kommt, dem andern mit, daß man sich seinem Ansinnen widersetze, weil es 1) die bischöflichen Rechte untergraben würde; weil es 2) zum allgemeinen Aergerniß gereichen müsse, wenn diejenigen, auf welche der Bestand des Staats gestützt wäre, einer demselben höchst gefährlichen und bereits allzuzahlreichen Secte eine legale Consistenz verschaffen wollten; »die Jesuiten,« spricht er, »sind so eben abgeschafft, und wir sollten Ketzer dafür einsetzen?« 3) weil es dem Unglauben Thür und Thor öffne und die wahre Heerde der schlimmsten Versuchung aussetze; 4) weil bei der Menge der Protestanten zu befürchten sei, sie könnten bald die Oberhand gewinnen und aus Geduldeten Unterdrücker werden. Hierauf versetzt der Pfarrer: der erste Einwand sei nichtig, denn es handele sich nicht um den Gottesdienst, sondern um bürgerliche Rechte; der Vergleich mit den Jesuiten sei ein schiefer, denn diese wären als Aufrührer, Königsmörder, Giftmischer, Betrüger u. dgl. weder zu theologischen noch bürgerlichen Rechten fähig. Noch unbedeutender sei das dritte Bedenken, denn die Ketzerei der Calvinisten sei ungefährlich, nehme täglich in sich selbst ab; fern davon dogmatisirend zu sein, stelle diese Secte die politische Tugend über die religiöse; es wäre zu wetten, daß wenn man ihren Glauben frei gebe, in zwei Jahrhunderten kein Calvinist mehr auf der ganzen Erde existire; bei den jetzigen Fortschritten der Philosophie könne sich neben dem Katholicismus kein einziges Glaubensbekenntniß erhalten. Mit einem Worte: die Calvinisten scheuten mehr die Hierarchie als das Dogma, mehr die Pfaffen als den Glauben. Er endigt seine Argumente mit dem Hinweis, politische wie menschliche Gerechtigkeit erheischten die Einräumung eines gesetzmäßigen Daseins für die Protestanten, Zulassung derselben zum Genuß aller bürgerlichen Rechte.

Doch noch mehr. Sobald das Gerücht von der bevorstehenden Unterhandlung in die Provinzen drang, übernahmen sich die Protestanten aller Orten. Freudetrunken jubelten sie wie Sclaven beim Rufe der Freiheit laut auf, und es entstand eine Gährung unter ihnen, welche alle rechtgläubige Frömmler und Schwachköpfe in Angst setzte.

Natürlich benutzten die Feinde der guten Sache den Umstand, dem Hofe und dem Clerus Argwohn einzuflößen. Nun sieht man, riefen sie, welche Folgen daraus erwachsen müssen, wie wenig sich diese Leute in den Schranken zu halten vermögen!

Der verfrühte Jubel wurde den Protestanten zum Verbrechen gemacht, und sofort standen einige theologische Klopffechter auf, unter andern der eben so gelehrte als glaubenswüthige Abbé Thierry, um im rechten Augenblicke der schwankenden Wage in der Versammlung der französischen Prälaten den erwünschten Druck zu geben. Sie verstanden es die Kirchenväter bei ihren schwächsten Seiten zu erfassen, und einstimmig lehnten sie jede Handleistung in der Angelegenheit der Protestanten ab. Ja, einer der erbittertsten Gegner, der Erzbischof von Vienne, verfasste eine zornsprühende Diatribe, worin er seine Amtsbrüder zu gemeinsamem Vorgehen aufforderte; denn weit entfernt, daß die Zeitumstände Mäßigung anriethen, heischten Religion und Politik im Gegentheile das Joch der Protestanten zu erschweren, sie jedweder bürgerlichen Existenz zu berauben, ihnen ihre Kinder zu entreißen, ihre Testamente zu vernichten, alle gegen sie ergangene Edicte wüthen zu lassen, und überhaupt Alles zur Vertilgung dieser meuterischen Race aufzubieten.

Kaum vermochten es ihre Gönner, daß diese Schrift nicht in das Zimmer des Königs gelange und die Kraft eines Actenstücks erhalte.

Die Sache des Protestantismus schien völlig verloren zu sein. Einige Schritte bei dem allvermögenden Maurepas fanden kein anderes Resultat als: »man müsse sich lediglich auf des Königs Weisheit verlassen.«

Inzwischen führte das Schicksal einen neuen Krieg herbei (1778). Der Krieg schien den Protestanten in Frankreich immer gewogen zu sein. Zum zweitenmal interessirte man sich für sie im Staatsrath.

Diesmal war es ein Quäker, dem sie ihr Heil zu danken haben sollten. Franklin löste den Herzog von Choiseul in der Anwaltschaft für sie ab. Er insinuirte dem Ministerium, bei obwaltenden Umständen, wo Amerika, verbunden mit Frankreich, seine Unabhängigkeit durchzusetzen suche, könne dieser neue Staat leicht ein Asyl für unterdrückte Religionen werden und eine Auswanderung veranlassen, welche, indem sie die zum Nachdruck der Operationen nöthigen Bevölkerungs- und Geldkräfte schwächte, beiden vereinigten Staaten verdrüßlich werden dürfte.

Diese Ansicht unterstützte Necker, ein geborner Beschützer des Protestantismus, mit aller Energie des Staatsmannes und Menschenfreundes. Er machte dem Hof begreiflich, daß durch fortgesetzte Unterjochung der Hugenotten das Reich seine Entvölkerungsquelle selber grabe. Er lenkte den Blick des Staatsrats auf die Geldmasse, welche die Protestanten im Umlauf erhielten, auf die von ihnen betriebenen Manufakturen und Handelsgeschäfte, auf die Intriguen des britischen Parlaments, sie zur Flucht zu bewegen und ihnen, auf diese oder jene Kosten, Besitzstände anzuweisen: Hindeutungen, die allzu einleuchtend und allzu prägnant waren, um sich ihnen zu verschließen.

Das Cabinet setzte das Parlament in Bewegung. Zwei Räthe, Herr von Epremesnil und Dionys Dusejour, der eine ein ebenso beliebter Mann als hinreißender Redner, der andere ein kühler aber scharfsinniger Kopf, beide ehrgeizige Patrioten, wurden unter der Hand gestimmt, die Motion von der Nothwendigkeit der Wiederherstellung der Protestanten vor den öffentlichen Nationalsenat zu bringen. Nebenbei ermangelten die Betreffenden nicht, einige ihrer gewöhnlichen Raketen steigen zu lassen. In zwei Flugschriften ( »Dialogue sur l'état civil des Protestants en France« und »Reflexions d'un citoyen catholique sur les lois de France relatives aux protestants«), welche heimlich circulirten, suchten sie das Publicum für sich zu erwärmen und seine Stimme zu gewinnen.

Beide, dermalen sehr selten, sind Meisterstücke in ihrer Art. Die erstere vornehmlich verdient einen gewissen Auszug. Die darin Redenden sind ein katholischer Pfarrer, ein Parlamentspräsident und ein Mitglied des Conseils. Der Pfarrer nimmt Partei für die Protestanten, der Präsident widerspricht ihm, der Staatsrath vergleicht beider Meinungen und entscheidet. Diese feine Anlage ist ebenso trefflich durchgeführt. Der Pfarrer behauptet, die Duldung der Protestanten beeinträchtige nicht nur weder Staat noch Kirche, erwerbe dem ersteren vielmehr Ruhm und materiellen Nutzen. Dies vermeintliche Paradoxon empört den Präsidenten. Jeden Franzosen, sagt er, der sein Vaterland liebe und dessen Geschichte kenne, müsse eine so absonderliche Ansicht mit Abscheu erfüllen. Eine ketzerische Secte vertheidigen sei im Munde eines Bürgers Ignoranz, im Munde eines Priesters Blasphemie. Die Sicherheit des Staates könne mit ihr nimmer bestehen. Diese Maximen legt dann der Staatsrath auf den Probirstein der gesunden Vernunft, und vereinigt sie durch eine simple Unterscheidung. Es handele sich nicht mehr um die Protestanten des 15. und 16. Jahrhunderts, sondern um die heutigen. Was einst ein Staatsgebrechen gewesen sein könnte, dürfte sich gegenwärtig als heilsame Veranstaltung erweisen. Zu den vorzüglichsten Stellen der Brochüre gehort folgende: »Lange ward Frankreich von dem wahnwitzigen Grundsatz, über die Gewissen herrschen zu wollen, tyrannisirt. Die reinste aller Religionen, deren Symbol Duldung und Friede ist, besudelte sich durch Blutgerichte. Das schönste aller Länder sah man von Galgen, Rad und Scheiterhaufen übersäet. Welcher Franzose vermag ohne Abscheu einen Blick auf jenes ununterbrochene Gemetzel, von dem Aufruhre zu Amboise an bis zur Belagerung von Rochelle, werfen, auf jene bluttriefenden Jahrhunderte vom ersten Massacre bei Merindol an bis auf jene in den Sevennen; auf jene empörenden Henkergrausamkeiten von der Hinrichtung Anne du Bourg's an bis auf die des Predigers Chamier; auf jene Menge Meuchelmorde, welche, während eines kurzen Waffenstillstandes, die Regierung nöthigten über viertausend Pardonscheine auszufertigen! In einem Zeitraum von nicht mehr als zwanzig Jahren verlor Frankreich zwei Könige durch den Dolch des Fanatismus! Heinrich der Große ward das Opfer desselben mitten unter den Anstrengungen, sein Volk auf den Gipfel des Glücks zu heben. Keine Stadt giebt es in Frankreich, welche nicht die Brandmale ihrer Intoleranz aufzeigen könnte, keine Straße darin, die nicht von Bürgerblut überrieselte, kein Haus, das nicht einen Märtyrer in seinem Stammbaum hätte. Freilich haben wir solche Scenen nimmer zu befürchten, Dank der Erleuchtung unseres Zeitalters! Die Schandthaten, womit der Jesuitismus die Regierung des schwachen Ludwig XIV. bezeichnete, werden sich nimmer erneuern. Noch aber schmachten die Protestanten unter dem Drucke der Unduldsamkeit; immer noch werden die Erben der Hugenotten von denselben grausamen Gesetzen verfolgt, welche jene Mordbrände einem Monarchen einflüsterten, der besserer Rathgeber würdig schien. Wie lange soll es dauern? Werden wir uns noch gegen das Beispiel sträuben, das eine ihrer Frömmigkeit und ihres Religionseifers halber berühmte Regentin (Maria Theresia) uns giebt? Werden wir unsre Obrigkeiten selber über die Pflicht, grausame und sinnlose Gesetze durchführen zu müssen, ewig seufzen lassen? Werden wir der Stimme der Patrioten wie Derjenigen, welche ihre Brüder in ihre Mitte und zum Genuß natürlicher und bürgerlicher Rechte zurückbegehren, nie Gehör gewähren? Soll die Hefe des Jesuitismus mehr vermögen als die Nation? Sollen ehrenwerthe Bürger unter der Regierung Ludwig XVI. weder Väter noch Ehemänner sein können, weil der Jesuit Lainez bei dem unter Karl IX. zu Poissy stattgefundenen Colloquium behauptet hat, die Ketzer seien Wölfe und Füchse? Mit einem Worte, soll die Wunde, welche die Jesuiten der Nation schlugen, sich nach ihrem Falle verewigen?« Nun tritt der Autor, oder vielmehr der Pfarrer, den er reden läßt, näher an seinen Stoff. Die Verordnung Ludwig XV. vom 14. Mai 1724, die Religion betreffend (so ist sie rubricirt), hat man zum Ausgangspunkte in diesem Zweige der französischen Rechtspflege genommen. Diese Verordnung aber, heißt es weiter, ist nichts als die aufgewärmte Sammlung und Zusammenstellung aller seit Ludwig XIV. gegen die Protestanten erlassenen Gesetze, und das ganze System dieser odiösen Gesetzgebung fällt mithin auf die beiden Jesuiten La Chaise und Le Tellier. Zuerst verbietet sie alle Versammlungen der Reformisten bei lebenslänglicher Galeerenstrafe für die Männer, bei lebenslänglichem Zuchthause für die Frauen, für Diejenigen aber, welche bewaffnet dabei betroffen würden, bei Todesstrafe durch den Strang. Hier bemerkt der Präsident, daß die Regierung zu diesen violenten Mitteln durch die Vorsicht genöthigt worden sei, Aufrührern, welche von dem Gelde und den Flotten der Engländer und Holländer unterstützt gefährlich werden konnten, den Muth zu benehmen. Der Pfarrer indeß versetzt, daß diese Umstände 1724 nicht mehr vorhanden waren, und es mithin unverantwortlich gewesen sei, einen solchen Paragraphen in die neue Verordnung hinüberzunehmen, friedliche Bürger nach einer sechszigjährigen Probe des Gehorsams und der Unterthanentreue noch legaliter für dieselben anzusehen, die ihre Voreltern waren, unverantwortliche Grausamkeit, einen Adel, der sein Blut für's Vaterland täglich verspritze, Bürger, die ihm ihr Geld und ihren Gewerbefleiß darbrächten, um eines Phantoms willen zu verfolgen. Zum zweiten verdammt jene Verordnung alle protestantische Geistliche zum Tode, Diejenigen aber, die ihnen zur Flucht behilflich sind oder Aufenthalt gewähren, zur Schanzarbeit. Unmöglich, sagt der Pfarrer, kann irgend ein verständiger Katholik jenen fremden Priester als Verbrecher betrachten, der seiner Gemeine die Lehren ihrer Secte vorträgt. Allein man soll ihm Waid und Wasser aufkünden, man soll die Thüren vor ihm verschließen. Lasst uns in den Familien unsers alten biderben Adels, jener Paladine umfragen, denen die Rechte der Gastfreundschaft und des angerufenen Beistandes hochheilig waren, ob einer ihrer Ahnherren ein solches Gesetz respectirt haben würde; lasst uns sie fragen, ob einer von ihnen sein ritterliches Blut so sehr zu verleugnen wüßte, um einen Menschen, der unter seinem Dache Zuflucht suchen sollte, der Behörde auszuliefern! Welch' ruchlose Wuth, einen Menschen, der sich mit Lebensgefahr bemüht, seine Brüder zu unterrichten, auf das Schaffot zu schleppen! Ein Krebs in der Gesetzgebung, gefräßiger als irgend einer, ist's, Diejenigen mit Infamie zu belegen, welche sich die öffentliche Achtung erwerben. Ein Anhang zu diesem Paragraphen befiehlt, daß ein sterbender Protestant, der sich öffentlich zu seinem Glauben bekennt und darauf sterben will, demselben Gesetze unterworfen werde. Stirbt er, so soll ihm der Prozeß nach dem Tode gemacht werden; gesundet er, soll er lebenslänglich auf die Galeere. Weiter, man muß es bekennen, kann sich wol der Unsinn nicht versteigen. Denn was versteht man unter dem Prozesse nach dem Tode anders als Einziehung seines Nachlasses und Verweigerung ehrlichen Begräbnisses? Unverschuldete, vielleicht noch ungeborne Kinder sollen also für den Irrthum ihres Erzeugers büßen? Und was die Entehrung des Leichnams betrifft, so ist sie noch alberner als grausam, denn jede legale Infamie erhält ihre Wirkung erst durch die Zustimmung des Volks. Drei fernere Paragraphen auferlegen den Protestanten, ihre Kinder in katholische Schulanstalten zu schicken. Das Gesetz will sie also der natürlichen Pflicht berauben, ihre Kinder zu erziehen! Was folgt daraus? Die unglücklichen Väter scheuen die Unwissenheit und Bigoterie der Erzieher. Sie haben Beispiele, daß die Herzen der Kinder verderbt, ja gegen ihre Eltern empört wurden, daß eins der ersten Gesetze der Natur und christlichen Moral: Ehret Eure Eltern! in ihnen ausgelöscht worden. Sie kennen Fälle, wo eine unschuldige Tochter als Opfer eines hochwürdigen Priaps fiel, und andere, wo tugendhafte Mädchen, die sich dem Laster widersetzten, heimlich aufgehoben und in ein Kloster gesteckt wurden. Kurz, sie sehen Verbrechen aller Art unter der Larve der Heuchelei und des Fanatismus herrschen. Sie ergreifen daher lieber das einzige Mittel, das ihnen übrig geblieben: sie entfernen ihre Kinder, ein Mittel, das dem Staate wie der Kirche gleich nachtheilig ist, indem es ihnen ein Glied entzieht. Die Ehen der Protestanten berührt der achte Paragraph. Nach solchem sind sie civiliter null. Protestanten können nicht anders giltig getraut werden, als vor einem katholischen Altar. Sie haben also blos die Wahl zwischen zwei Dingen, entweder nach ihrem Begriffe ein Sacrilegium zu begehen, oder außereheliche Kinder zu erzeugen, denn Sprossen einer in deserto entstandenen Ehe gelten als Bastarde und sind mithin der Kundschaft unfähig, das heißt erblos. Ausgeschlossen von allen bürgerlichen und Staatsämtern sind die Protestanten laut § 12, ja sogar vom Betriebe einer Anzahl Künste und Handwerke. Protestantische Offiziere dürfen nie einen Orden tragen. Studirende dieses Glaubens können weder einen Grad in einer Facultät erwerben, noch Wundärzte, Apotheker oder Geburtshelfer werden. Man darf weder Buchdrucker noch Buchhändler in Frankreich sein ohne das Oremus zu kennen. Alle erdenkliche Notare, Advocaten, Procuratoren, das ganze unermeßliche Heer der Schreiber muß zur Messe gehen, wenn es die Feder ungestraft in französische Tinte tauchen will. Mit einem Wort, jedes Privilegium, jeder öffentliche Genuß, Alles, was Geld oder Ehre bringt, ist den Söhnen Calvin's versagt. – Je mehr die Religion verfolgt wird, desto mehr muß sie abnehmen. Ketzerei aber und Unreligion leiden dabei nichts, sie ziehen sich nur immer mehr in's Verborgene zurück. Dort, wo die Inquisition thront, existiren die meisten Gottesleugner und Sodomiten. Ueberall, wo keine Freiheit des Cultus ist, nimmt der Deismus überhand: im Lande der Duldung giebt's blos Christen. Wollt ihr durchaus bekehren, so verbessert eure Lehrsätze, ändert das Leben der Priester, theilt Almosen gleichmäßig aus, unterrichtet ohne Zwang und Bitterkeit, einzig durch Ueberzeugung und Beispiel. So wird sich die Bekehrung von selbst ergeben, ja sie wird reißende Fortschritte machen. Andererseits, was wagt der Staat bei der Anerkennung der Protestanten? Sie sind nicht mehr die Protestanten bei Jarnac und Montcontour, ebensowenig als wir noch die Franzosen der Bartholomäusnacht und der Ligue sind. Friedliche, emsige, aufgeklärte Bürger, die ein halbhundertjähriges Zeugniß ihrer Tugend und ihres Gehorsams besitzen, das sind die Protestanten. Räumt die Guillaume-Rose, die Cardinäle von Lothringen, die von Tournon, die Montgaillards, die Bourgoins und Guignards aus dem Wege, so werdet ihr auch keine Colignys und keine Cavaliers mehr haben. Gesetzt indessen, die Protestanten des achtzehnten Jahrhunderts könnten jemals in den Geist ihrer Ahnherren zurückverfallen, so würde das dennoch, bei der veränderten Polizei des Staats, bei der von innen und außen verstärkten Sicherheit und Festigkeit des Throns, immer höchst ungefährlich sein. Zuletzt führt der Anwalt der Hugenotten noch einen evidenten Beweis ihrer Vaterlandsliebe an, nämlich die Beharrlichkeit, womit sie seit Jahrhunderten auch in der Fremde an ihrer Muttersprache festgehalten hätten.

Wie kam es nun, daß die vom Cabinet eingesetzte Feder versagte?

Der Zunftgeist ist ebenso störrisch, so intolerant als der Clerus. Man kann billigdenkend und aufgeklärt sein, wenn man selbständig ist; sobald man aber inmitten einer Körperschaft zu Rathe sitzt, hört das Selbstgefühl auf, man ist an ein Symbol gebunden. So wie sich die Menschen in Zünfte begeben, verengt sich ihr Geist, sagt Montesquieu, der es wissen mußte. Dies Symbol will, daß ein Mann, der von der Begründung einer Sache für sich überzeugt ist, gegen dieselbe stimmen muß, weil er weiß, daß es Herkommens ist. Vermöge dieses Herkommens wird der schönste Entwurf rückgängig, denn die Verbindung erfordert, jede abweichende Wahrheit zu bestreiten oder mit Schweigen zu übergehen, jede Wahrheit, welche dem collegialischen Interesse entgegen steht, das heißt dem Schlendrian.

Jenes Ungeheuer, der esprit de corps tyrannisirte vornehmlich die französische Magistratur. Er war's, der jede Neuerung haßte, jede Verbesserung scheel betrachtete. Ohne Ueberlegung, ohne Gnade verwarf er Alles, was wahr, auszeichnend, ungewöhnlich. In ihm fanden Herkommen und Mißbräuche einen gebornen Vertheidiger.

Sobald daher die Angelegenheit der Protestanten im Parlamente zum Vortrag kam, erwachte die Chikane, das Steckenpferd der Schlendriansknechte. Sie erklärte durch ihr Organ, den Generaladvocaten: nachdem das Parlament noch nie über lediglich geistliche Fragen von der Regierung zu Rathe gezogen worden und es wider dessen Observanz laufe, sich mit dergleichen Vorwürfen zu befassen, wäre es jetzt gerade, wo der Gerichtshof ohnehin mit der Krone über den Umfang seiner Jurisdiction überworfen sei, mithin Alles vermieden werden müsse, das Parlament zu compromittiren, um so unthunlicher sich in die beregte Sache zu mischen.

Dieser Merkschuß reichte hin die geistlichen Räthe des Parlaments zu ermuthigen. Es wäre doch auch gar zu grausam, fügten diese hinzu, dem französischen Clerus, dessen Verdienste man nicht leugnen könne, einen Herzstoß durch den Sieg seiner unversöhnlichsten Feinde zu versetzen, zumal in einem Augenblicke, wo er gerade in der Absicht versammelt wäre dem Staate beizuspringen und seine Schätze ihm zu opfern.

Mehr bedurfte es nicht. Einstimmig ward der Antrag für die Protestanten aus formellen Gründen abgelehnt.

Das Ministerium hingegen war doch zu fein, um sich zum Dupe eines Corps Perücken machen zu lassen. Wie es die Wendung der Protestantenfrage merkte, eilte es der Unannehmlichkeit sich compromittirt zu sehen zuvorzukommen. Der König beschied den ersten Präsidenten des Parlaments zu sich und eröffnete ihm: Da er vernommen, daß sich das Parlament mit einer Berathung über die Wiederherstellung der Protestanten beschäftige, erachte er es für dienlich ihm wissen zu lassen, daß er, so sehr es auch in seinem persönlichen Wunsche liege, die günstige Stunde zur Ausführung jenes Vorhabens noch nicht gekommen sehe, weshalb sich das Parlament bedeuten lassen wolle, alle weiteren Verhandlungen darüber abzubrechen.

Diesen königlichen Willen verkündete der erste Präsident dem Collegium am 15. Dezember 1778. Einer von den Räthen, dessen Herz eben so groß war als sein Kopf erleuchtet, Herr von Bretignieires, erhob sich zwar, um einen Protest voll Pathos gegen die unaufhörliche Vertagung einer der allerdringlichsten und tiefsteinschneidenden Fragen zu erheben, aber mitten in seinen Ergießungen schnitt ihm der erste Präsident das Wort ab, und die Stimmenmehrheit entschied: das Parlament sei dermalen nicht in der Lage, die Sache der Protestanten zu seinem Erkenntniß zu ziehen, sondern wäre lediglich der Weisheit des Königs anheimzustellen. So entwickelte sich die zweite Katastrophe in der neuern Geschichte des Protestantismus in Frankreich.

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IX.

Zur Geschichte des französischen Finanzministeriums.

Wenn ich an die Convulsionen Frankreichs denke, finde ich einen Theil der erklärenden Ursachen in den Biographien seiner Finanzminister.

Man sehe, ob ich recht habe. Hier der Extract, den ich daraus entworfen.

Heinrich IV. fand bei seiner Thronbesteigung keinen rothen Heller im Schatz. Er hatte einen Krieg gegen Spanien vor sich, aber dazu fehlte ihm Alles außer ihm selber. In dieser kritischen Lage wäre der Staat verloren gewesen, wenn sich der Adel nicht abgeschätzt hätte um den König zu unterstützen. Groß und Klein lief herbei seine Börsen auszuschütten.

Heinrich starb nach einer Regierung von kaum 21 Jahren und hinterließ: Für 12 Millionen neue Domainen; 800,650,000 Livres eingelöste Staatsobligationen; 6 neuangelegte Festungen; angefüllte Arsenale, Magazine und Paläste, den Anfang zu einer Flotte, einen Kronschmuck, ein reiches Tafelservice und 20 Millionen baares Geld in den Kisten der Bastille. Das geschah unter dem Ministerium Sully's, des Mannes, von welchem Heinrich sagte: »Vormals verwalteten Fachmänner den Schatz, und doch war er leer; ich setzte einen Ignoranten darüber, und er gedieh.«

Auf Sully folgte Richelieu, der Alleinmann. Unter dessen Regentschaft strömte mehr Geld zusammen, als seit dem Ursprunge der französischen Monarchie insgesammt. In einem einzigen Jahre, 1620, betrug die Staatseinnahme 120 Millionen. Allein Richelieu war ein Tyrann im vollendetsten Sinne. Er nahm wo er wollte, und gab wohin es ihm beliebte. Um Alles, in und außer dem Reiche zu corrumpiren, trieb er die Verschwendung in's Unsinnige. Bei seinem Tode, 1642, sah man den Schatz Heinrich IV., 3600 Millionen Einkünfte durchgebracht, und den Staat mit 280 Millionen Schulden belastet. Der Ruhm dieses Ministers kostete also Frankreich in 32 Jahren nicht weniger denn ungefähr 10,000 Millionen Livres.

Nach ihm kam sein Schüler Emery. Sein Sprüchwort lautete: Frankreich über Alles! Demgemäß setzte er das Schinden, Leihen und Durchbringen fort. Die Königin-Mutter hatte sich Creaturen zu machen, die Prinzen von Geblüt hatten sich welche zu machen, und der Finanzminister hatte auch die seinigen. Das Geld hatte also tausend Mauselöcher.

Mazarin übernahm den Seckel und spielte Aesop's Fleischerhund. Da er sah, daß die Königin-Mutter, die Prinzen von Orleans und Condé wie die Räubereien der Beamten unersättlich waren, setzte er den Korb nieder und nahm flugs sein Theil an der Beute. Nun geht's so toll zu, daß sich das Volk zum drittenmal empört, der König aus Mangel genöthigt ist mit der Königin die Residenz zu verlassen und auf's Land zu ziehen. Im Kriege mit den Spaniern läuft die Armee nackt und lebt blos vom Almosen des Feindes.

Am besten treibt es Fouquet. Er sieht das französische Reich als seine Domaine an, den König aber als seinen Pensionair.

Nun erweckt der Genius Frankreichs Colbert. Dieser Wundermann stellt Alles wieder her, schafft eine neue geregelte Finanzwirthschaft, erhebt Ludwig XIV. zum reichsten Monarchen und Frankreich zum Gesetzgeber Europa's. Vermöge seines Systems zog der Schatz während der 72jährigen Regierung dieses Königs Achtzehn Milliarden. Rechnet man hiezu die Schulden, welche sich bei seinem Tode vorfanden (2062,138,000 Livres), so vergeudete Ludwig XIV. eine Summe, welche Niemand abredig machen wird, daß er ein unnachahmlicher Herrscher war.

Zur Charakteristik Pelletier I. ist es genug sich zu erinnern, daß unter sein Ministerium der schöne Finanzstreich der Widerrufung des Edicts von Nantes gehört.

Pont-Chartrain, ein großer Rechtsgelehrter, aber unfähig zu einem richtigen Calcul, versetzte dem Colbertschen Systeme den ersten Stoß durch die Stempeltaxe, welche er auf die Manufacturen legte.

Chamillard ward gegen seine Neigung Finanzminister, und er rechtfertigte denn auch die Meinung, gar keinen Beruf dazu zu haben, durch vollständige Lässigkeit und Unordnung.

Desmarets, der gescheidteste Kopf nach Colbert, übernahm das Finanzwesen, als es den bejammernswerthesten Zustand erreicht hatte. Ihm gelang jedoch ein Meisterstreich durch Einführung sogenannter Schatzkammerbillets. Wirklich gewann der schwindsüchtige Staatskörper auf einen Augenblick neues Leben. Die Lobrede dieses Ministers, eines wahren Finanzgenies, concentrirt sich in dem Einen Zuge: er verwaltete das Finanzwesen am Ende der Lebenszeit Ludwig XIV., folglich in einer der größten Krisen, worin der Staat jemals schwebte.

Orleans, der Regent, trat in die unheilbarste Situation ein. Drei Mittel schienen sich ihm darzubieten, die Monarchie aus der Verzweiflung zu befreien: eine Generalliquidation aller Schulden, um einen Nachlaß zu bewirken; eine General-Revision aller Beamten, um durch Strafen, Ersatzleistungen, Confiscationen u. dgl. etwas aufzubringen; und der Universal-Staatsbankrott. Das Verhängniß hatte aber beschlossen, daß keines dieser Mittel etwas taugen, der Staat vielmehr von einem elenden Projecte zum andern taumeln sollte. Die General-Revision begann, allein die Kosten derselben betrugen weit mehr als der Gewinn. Die Liquidation begann, aber in demselben Augenblicke kamen noch mehr Schulden zum Vorschein, als man kannte und ahnte; es war hohe Zeit sie ohne Weiteres abzubrechen.

Jetzt erschien Law mit seinem Mississippihandel, ein Mensch, dessen Leben nichts als ein Räthsel war. Nicht so sein Kopf. Es ist unleugbar, daß er eines der größten und speculativsten Genie's der Handelspolitik gewesen, welche die Erde jemals getragen, und daß er bei einer gewissen Beschränkung seiner Projecte, wozu freilich weder der Geist des Regenten noch die Lebhaftigkeit des französischen Nationalcharakters angethan waren, vielleicht wahre Wunder bewirkt hätte. Aber man trieb die Speculation auf die unsinnigste Höhe, und so entstand eine Verwirrung, welche den Staat wo möglich noch tiefer in's Elend stürzte.

Desforts sollte dem Patienten helfen, starb jedoch zu seinem Glücke selbst darüber.

Pelletier II., sein Nachfolger, griff sich über Vermögen an, bewirkte aber nichts.

Von Dodun weiß man nur einen einzigen Zug, denn er starb zu früh, dieser Zug sagt jedoch Alles: er rieth dem Regenten als einziges Heil Law's Zurückberufung an. In der That, ein erleuchteter, ein grandioser Gedanke! Warum genossen Holland, Genua und England so sichtbare, so glänzende Früchte seines Systems? Weil man es geregelt betrieb. Nur eine Verkettung fremder Einflüsse und politischer Fehler, die beide ganz leicht zu vermeiden waren, verdarb Law's System in Frankreich.

Pelletier III. »lebte, nahm ein Weib und starb.«

Orry kann als Nachbild Sully's gelten, das heißt, er besaß genau die zu seinem Berufe erforderlichen Eigenschaften: Redlichkeit, Uneigennützigkeit, Sparsamkeit, Unbeugsamkeit, eisernen Fleiß und Volksliebe. Er war auf dem Punkte seine Sache an der rechten Stelle anzufassen, bei der Verminderung der Steuern und einer neuen Organisation der Beamtenarmee, als der Krieg mit Deutschland (1733) Alles unterbrach. Orry war der rechte Arzt, dem Kranken zu helfen, ein der Nation gleichsam vom Himmel entsandter Engel, aber eben deswegen durfte ihm nichts gelingen. Neid, Chikane, Kabale, mit einem Worte der Dämon des französischen Hofs erschwerte ihm das Leben genug, um seinen Dienst niederzulegen. Er verlangte seinen Abschied mit Würde und erhielt ihn mit Eifer.

Machault that sich durch drei Stücke hervor, erstlich durch eine neue Operation die Geistlichkeit zu schröpfen, zweitens durch die Errichtung der Ecole militaire, drittens durch einen Steuernachlaß für unvermögende Restanten. Das Erstere war aber nichts als die Abkochung eines Fisches in einer andern Brühe; das Zweite ein Act der Selbstliebe und Eitelkeit des Ministers; das Dritte ein opus operatum, denn bei insolventen Schuldnern ergiebt sich der Nachlaß von selbst. Mild beurtheilt war Machault ein glücklicher Charlatan.

Seychelles, der ihm folgte, eröffnete seine Laufbahn mit einem Meisterstück, indem er den Getreidehandel frei gab. Aber er starb allzufrüh.

Von Moras weiß die Geschichte nichts, als daß er Generalcontroleur der Finanzen war.

Silhouette amtirte nur zwei Monate und fiel lediglich durch Kabale. Er war ein Mann von hervorragendem Talent, großartigen Plänen, genau unterrichtet von allen Theilen des Finanzwesens und vom schärfsten Einblick in alle bisher begangenen Fehler.

Bertin handelte als Geschöpf und Sclave der königlichen Maitresse.

L'Averdy war ein Dummkopf im ganzen Umfange des Worts.

Invau der beiden vorigen würdiger Nachfolger.

Terray aber! C'en est trop!

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X.

Zur Geschichte der französischen Marine.

Man irrt sich, wenn man glaubt, Ludwig XIV. habe sich entschlossen Frankreich eine Marine zu geben, um seinem Ehrgeize ein neues Relief zuzufügen. Noch weniger, um vor Genua Parade zu machen oder einen Ritterschaftsstreich an den Algierern zu zeigen.

Die Errichtung eines Seewesens in Frankreich war die alleinige Folge eines politischen Bedürfnisses und einer der durchdachtesten und größten Züge im Plane Colbert's.

Kaum hatte dieser große Staatsmann erkannt, daß zur Unterstützung der Eroberungen Ludwig XIV. zu Lande und zur Erreichung der Absichten, mit denen er sich im Interesse des Handels trug, eine Seemacht erforderlich wäre, empfand er auch alle mit einem so wichtigen Entwurfe verknüpften Schwierigkeiten. Er sah ein, daß die Ausführung desselben nicht ohne besondere Mittel möglich sei, und es allzuschwer fallen dürfte, neben den großen Landarmeen eine Flotte zu schaffen, wofern nicht eine außerordentliche Regel der Oekonomie zu Grunde gelegt würde.

Er hatte die englischen, holländischen und spanischen Flotten vor Augen; diese aber waren nicht die Muster, welche er gebrauchen konnte. Indem er namentlich auch das Blut des französischen Adels berücksichtigte, dessen Regungen Ehrgeiz, kriegerischer Ruhm und Thatendurst waren, begriff er, wie wenig derselbe zum Nebendepartement des Seewesens, zum Schiffsbau, Magazinverwaltung, Proviantwesen u. dgl., kurz zu jenen stillen und friedlichen Details zu bewegen sein würde, welche den innern Theil im Seedienst und die wichtigste Hälfte desselben ausmachen, aber ein speculatives und ruhiges Naturell erfordern.

Zufolge dieser Berücksichtigung brachte er in sein System zwei Abtheilungen: die militairische und das Kanzleifach, oder wie man sie kurzweg nannte: » L'Epeé et la Plume«. Die erste bestimmte er blos zu den Unternehmungen zur See, die andere blos der Oekonomie. Und um den Aufwand dieser Einrichtung mit der möglichsten Sparsamkeit zu verbinden, setzte er die Besoldungen ziemlich niedrig an, führte dagegen aber mancherlei äußere Auszeichnungen ein, welche, wie er die Franzosen kannte, in vielen Fällen von gleicher Wirkung waren als Geld, z. B. die Ertheilung des hohen St. Ludwigsorden, die Gründung einer besondern Akademie u. s. f.

Je mehr Schwierigkeiten ihm nun die Besetzung des Departements der »Feder« machte, und je mehr er überzeugt war, daß dies die Seele des Marinewesens sei, um so mehr nahm er darauf Bedacht, es zu bevorzugen. Er setzte es deshalb nicht blos in vollständige Unabhängigkeit von der militairischen Abtheilung, sondern führte auch die gleichen äußern Auszeichnungen und dieselben Vorschriften des Avancements ein.

Das Departement der »Feder« zerfiel in sieben Büreaus: 1) Anfänger ( Elèves), welche erst unter dem Ministerium Maurepas (1746) zu einer Besoldung gelangten, während sie unter Colbert bis zum Aufrücken in die nächste Klasse aus eigenen Mitteln dienen mußten; 2) Officianten ( Ecrivains); 3) Oberbeamte ( Ecrivains principaux); 4) Commissare ( Commissaires ordinaires); 5) Obercommissare ( Commissaires generaux); 6) Oberverwalter ( Intendans) und 7) Minister ( Conseiller d'Etat). Man war verbunden in der ersten Klasse zu beginnen, hatte aber die Aussicht selbst zum Minister aufzusteigen.

Diese Rangleiter stand in Uebereinstimmung mit der militairischen: der Eleve hatte den Grad eines Marinegardisten; der Officiant den des Fähndrichs; der Oberbeamte den des Schiffslieutenants; der Commissar den des Capitains; der Obercommissar den des Geschwader-Chefs; der Intendant den eines Generallieutenants. Der »Feder« waren auch alle militairischen Ehren zu erweisen, bei Leichenbegängnissen aus dem ersten und zweiten Grade Infanteriebegleitung, aus den übrigen Graden Infanterie- und Artilleriebegleitung angeordnet. In der Berathung einiger Angelegenheiten, z. B. in allen Coloniesachen, führte das Departement der »Feder« den Vorsitz. Zu seinem Ressort gehörten die einheimischen Bedürfnisse der Flotte, Ankauf, Bauwesen, Ausrüstung, Rechnungswesen, Beaufsichtigung in den Häfen, kurz alle Angelegenheiten bis zum Auslaufen eines Schiffes. Das Militairdepartement hingegen hatte die Expedition, den Seedienst, die Beaufsichtigung und Direction, so lange sich ein Schiff auf dem Cours befand, außerdem aber die Controle über Führung und Rechnung des ihm zuertheilten Beamten von der Feder.

Es schien also, als ob das Militairdepartement in einer Hinsicht Vorrang genösse, und es konnte nicht fehlen, daß deshalb Uneinigkeiten und Eifersüchteleien entstanden. Sie wurden aber immer durch die Klugheit der Minister und vornehmlich jenen Geist der Ehrliebe, des Diensteifers und des Patriotismus, der den französischen Seehelden der alten Zeit eigenthümlich war, ausgeglichen oder unterdrückt.

Dieses Gleichgewicht erhielt sich bis zu dem Augenblicke, wo de Rouille an die Spitze des Marineministeriums trat, ein thätiger und einsichtsvoller Mann, welcher sich's sofort angelegen sein ließ, das unter dem mondsüchtigen Regimente des Cardinals Fleury fast ganz entschlummerte Seewesen neu zu beleben. Und er griff die Sache um so energischer an, je näher ein der Krone Frankreich drohender Krieg stand.

Hier giebt die Geschichte Veranlassung, noch einen Blick auf die Epoche Colbert's zu werfen.

Ludwig XIV. war ein Genie, das nicht blos große Unternehmungen zu ersinnen, sondern auch die rechten Männer zur Ausführung zu finden verstand. Von demselben Geiste beseelt, der alle Handlungen seiner Regierung verewigt, wuchs die Marine mit Riesenschritten zur Vollkommenheit empor. Man braucht nur die Jahrbücher zu lesen, um die Erfolge seiner Flotte zu bewundern. Seine Zeit war es, welche die Du Guay, Jean Barth, die Chateau-Renaud und so viele andere Seehelden hervorbrachte. Als er starb, hinterließ er eine Macht von hundert Kriegsschiffen, auf denen Offiziere commandirten, welche jedem Gegner den Ruhm streitig machen durften.

Unendlich entgegengesetzt war der Zustand, worin de Rouille die französische Marine antraf. Die Zahl der Schiffe hatte sich verringert; alle faulten in den Häfen; die Arsenale waren geleert, die Flotte von Offizieren entblößt; alle Bedürfnisse unbefriedigt, kurz der Zustand des Seewesens ein durchaus hinfälliger. Die Früchte des ersten Feldzugs fielen so aus, daß sie die französische Flotte mit Schimpf bedeckten, denn Marschall Conflans floh 1756 vor dem kleinern Geschwader des Admirals Hawke bis unter die Batterien von Brest.

Jener Anblick brachte de Rouille auf den Gedanken, daß er auf das Departement der Feder sein Hauptaugenmerk richten, von ihm die hauptsächlichste Hilfe erwarten müsse. Hierin unterstützten ihn die Talente des damaligen Obercommissars Le Normant. In der That stellte er die Marine in beneidenswerther Weise wieder her.

Allein diese glückliche Umgestaltung schien nur bewerkstelligt zu sein, um unter de Rouille's Nachfolgern, Moras, Massiat und Berryer, um so tiefer zu verfallen.

Der »Degen« hatte die Auszeichnungen der »Feder« längst mit Neid betrachtet und sowol unter de Rouille als de Mauchault verschiedene Versuche gemacht, das System dieser Minister zu untergraben und das Uebergewicht auf seine Seite zu bringen. Allein die unerschütterliche Festigkeit der genannten beiden Chefs vereitelte seine Anstrengungen und wies die kühnen Uebergriffe des Militairdepartements zurück.

Nun brach der unselige Krieg von 1756 aus, und dies war der Moment, wo der Degen, unterstützt von der Schwäche des Ministeriums, das Uebergewicht an sich riß. Der Seestaat fiel in eine Anarchie, welche dem Systeme Colbert's gänzlichen Untergang drohte, wofern nicht die häufigen Fehler, die in diesem Kriege begangen wurden und die Menge der das Reich treffenden Unglücksfälle die Nothwendigkeit des Departements der Feder augenscheinlich bewiesen hätten. Die Vermessenheiten des Militairdepartements stiegen auf einen Grad, daß sie selbst den blödherzigen Minister Berryer empörten. Die Feigheit und Unfähigkeit des Marschall Conflans, welche die Verachtung von ganz Europa auf sich lenkten, öffneten dem Minister die Augen und retteten die Feder. Man erkannte die Bedeutung dieses Corps, und fühlte den ganzen Unwerth einer Abtheilung, welche in zwei Stunden die Arbeit eines halben Jahrhunderts schändete.

Auf Berryer folgte am Ruder des Seewesens der Herzog von Choiseul. Man weiß, daß unter diesem erleuchteten und berühmten Staatsmanne jedes Departement ein glänzenderes Ansehn erlangte. Er folgte dem Grundsatze Colbert's und de Rouille's, daß zwischen dem Degen und der Feder strenges Gleichgewicht aufrecht erhalten werden müsse. Und da sein durchdringender Blick erkannte, wie die widrigen Zufälle, welche den Staat im letzten Kriege durch die üble Aufführung der Flotte getroffen, in dem Geiste der Insubordination, der Unwissenheit und Brutalität, der in das Departement des Degens eingeschlichen, ihren Ursprung hatten, beschloß er eine gründliche Umgestaltung des letztern.

Aber so fein auch sein Geist und so groß seine Geltung waren, scheiterte er dennoch an den Intriguen der Marine-Militairabtheilung, so daß er endlich ermüdet seine Stellung freiwillig an den Herzog von Praslin abtrat. Wenig bekannt indeß mit den ihm untergebenen Ressorts und von zu nachgiebigem Charakter, schien dieser nicht der Mann zu einer dringend nothwendigen Umgestaltung zu sein. Gleichwol war es ihm vorbehalten, sie, obgleich in entgegengesetzter Richtung, durch einen einzigen unbekannten Menschen Namens Rodier, ersten Hilfsbeamten im Staatssecretariat des Herzogs, durchzusetzen, durch einen Mann, der in den Annalen des französischen Seewesens eben so unvergeßlich geworden als der Name eines Bernard Renaud, des Erfinders der Bombardiergallioten, obschon er niemals den Seedienst kennen gelernt hatte.

Rodier war an und für sich kein wirkendes Genie. Er beschäftigte sich mit nichts als mit seiner Eigenliebe und den Flatterien, welche ihm das Corps der Marine darbrachte. Er wurde aber von einem Vetter, dem Capitain Marchis von der Handelsflotte, einem geschäftigen, feinen und planreichen Kopf, maschinenmäßig besessen. Dessen Anschläge nun waren es, welche Rodier dem Herzog von Praslin mittheilte und der Feder den ersten tödtlichen Stoß versetzten, das System Colbert's in seinen Grundsäulen erschütterten. Freilich wären seine Erfolge sehr zu bezweifeln gewesen, wenn die Schwäche des Kanzleicorps ihn nicht unwillkürlich selbst unterstützt hätte. Niemals hatte diese Abtheilung so untüchtige Chefs als gerade jetzt, und so erklärt sich, daß ihr Henker aus ihrer eigenen Mitte hervorging, denn Marchis war eben im Hafen von Brest angestellt worden.

Unter dem Ministerium de Boynes entschied sich die Wage für den Degen völlig; das Reglement vom 18. Februar 1772 hob den Namen des Departements der Feder für immer auf, statt dessen die Abtheilung für Verwaltung ( Administration) einsetzend, welche in allen ihren Abzweigungen dem Militair-Departement untergeordnet ward.

Die Früchte dieser unklugen Beseitigung des von Colbert einst in weiser Prüfung eingeführten Gleichgewichts sind nicht ausgeblieben.

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XI.

Foulon.

Zur Geschichte der ersten französischen Revolution. Geschrieben 1789 in Paris.

Man seufzt über die Mordsucht der Franzosen. Wann war es aber anders mit dem Pöbel? Er war überall Pöbel, das heißt grausam, rachgierig und blutdürstig, besonders im Zustande der Empörung. Oder war er irgendwo vernünftiger? Werfen wir nur einen Blick in die Geschichte von England, Neapel, der Niederlande, und man wird der Mäßigung der Pariser Gerechtigkeit widerfahren lassen. Mitten in ihrem Zorne schien die Nation noch den großen Grundsatz der Politik zu empfinden: Das Beispiel treffe Wenige, die Warnung Alle.

Man muß die Charaktere kennen, um zwischen Recht und Unrecht zu entscheiden.

                   

Quand on saura leur crime, on ne
les plaindra pas.

Mancher, der vom Pöbel zerrissen wurde, dürfte vor der ordentlichen Justiz nicht besser davon gekommen sein. Vergleichen wir den Tod eines Damien mit dem eines Foulon, und gestehen wir, daß ein Volksopfer ein noch erträglicherer Anblick ist als ein Justizopfer.

Waren wir von den Gesetzen etwa mehr Billigkeit gewohnt? Hätten sie weniger Gräuel begangen? Denken wir blos an Sokrates und Sidney, Karl I. und Montmorency, Baron Horn und Graf Lally! Nein, die Prozeßart des französischen Volks verdient noch Bewunderung.

Es war justus dolor, wie die Rechtsgelehrten es nennen: Foulon, dieser unglückliche, aber keineswegs schuldlose Mann, verdiente sein Loos. Das Volk mißkennt seine Leute selten. Zu einer andern Zeit würde er ein Narciß, ein Tristan, ein Terray gewesen sein, nichts fehlte ihm dazu als ein Nero, ein Ludwig XI. oder ein Phalaris.

Mit einem Hemde auf dem Leibe und ohne Fußbekleidung kam dieser Mann nach Paris. Und kurz vor seinem Tode besaß er eine halbe Million Livres jährlicher Rente. Schon dieser Umstand hätte ihn für eine Inquisition reif machen müssen. Denn man wird selten ohne Verbrechen so unsinnig reich. Aber wer hätte sich auf die Justiz verlassen dürfen, welches Gericht wäre kühn genug gewesen, sich an einen Plutus von diesem Range zu wagen? Für einen Süß, der zum Düpe seiner Schliche wird, schlüpfen zwanzig Hastings durch.

Sohn eines Beamten in der Provence, legte sich Foulon anfänglich auf die Rechtspraxis. Allein das Leben in der Provinz förderte ihn nicht, und so ging er auf Abenteuer nach Paris. Hier trat er das Pflaster und fertigte für ein Mittagsessen Epitaphe.

Endlich gelang es ihm in die Schreibstube eines Notars zu kommen, und hier erhielt er Gelegenheit sein Finanzgenie zu entwickeln. Mit Hilfe einiger Intriguen machte er sich dem Marschall Belleisle bekannt. Nun war sein Glück fertig. Bald konnte er sich ein Kriegscommissariat kaufen. Im siebenjährigen Kriege war er bekanntlich General-Kriegs-Intendant.

Foulon besaß ohne Zweifel Talent, denn mit Dummheit erwirbt man selten so viel als er. Allein er war auch ein Unmensch. Deutschland wird seinen Namen, den er ihm mit Brandfackeln auf die Stirn zeichnete, seine Schindereien und Bosheiten niemals vergessen. Eine rohe Seele, ein Henkerherz, Verachtung aller sittlichen Grundsätze, wilder Geiz und rasende Selbstliebe – das zusammen war Foulon, der zweite Theil zu einem Terray.

Der Herzog von Choiseul, ein Freund der Schurken sobald er es für gut fand sie zu gebrauchen, konnte gleichwol diesen niemals ausstehen. Das hinderte aber Foulon nicht, ein Landgut nach dem andern kaufen zu können, seiner Tochter, der Frau von Bertier, eine Million baares Geld und die Aussteuer einer Infantin zu geben, und nach der Ministerstelle zu trachten.

Er war der rechte Arm des Abbé Terray. Von ihm rühren einige der heillosesten Projecte her, welche den Staat unter dem Ministerium jenes Wütherichs zu erwürgen drohten. Unablässig buhlte er um die General-Finanz-Controle, alle seine Ränke zielten auf diesen Endpunkt, bei jeder Vacanz stand er vor der Thüre, er zumeist ist es, der die Boynes, die Fleury u. A. stürzte. Terray, Calonne und Foulon – welch ein Kleeblatt! Man weiß, daß der Lieblingsplan des letztern in einem Generalbankrott bestand, und wäre es ihm gelungen sich der Oberfinanzstelle zu bemächtigen, so wäre den Franzosen nichts übrig geblieben als ihre Häuser zu verschließen und das Land zu verlassen.

Dieser in Menschenschweiß aufgeschwollene Schwamm war nicht nur der größte, sondern auch der unbarmherzigste Räuber, den die Jahrbücher Frankreichs aufzählen. Sein Motto lautete: Das Volk muß mit eiserner Ruthe regiert werden. Feuer und Schwert, Kerker und Galgen waren ihm äußerst gleichgiltige Mittel bei Verfolgung seiner Plane. Alles dies lag in seinem Systeme.

Einst sprach man an seiner Tafel von dem Neronismus des Abbé Terray. Er ergriff das Wort, um die Fabel von den Fröschen und der Sonne zu declamiren. Bei den Worten

– – pourroient bien s'en repentir

machte er eine emphatische Pause, und überließ die Gäste ihrem Nachdenken. Diesen Zug vergaßen ihm die Pariser, welche die Hofpartei, wie man weiß, die Frösche nannte, niemals, und er mußte ihn noch unter seinem Galgen vernehmen.

Foulon stand in dem hohen Alter von 75 Jahren und besaß, wie bemerkt, ein unermeßliches Vermögen. Außer der Herrschaft Tournelles, der Baronie Gouffier, der Herrschaft Morangis u. s. w. u. s. w. hatte er in Paris selber drei Paläste, und von allen möglichen Banken und Kassen war er die Seele. Sobald ihn die Kabale zum Finanzminister gemacht hätte, gedachte er die Bank zu sprengen und dann wo möglich sämmtliche königliche Obligationen unter der Hand mit 99 Procent Rabatt anzukaufen, welche bei der Liquidation natürlich die Priorität genossen hätten oder auf das neue Finanzsystem übertragen worden wären. Das Facit dieses Spiels liegt auf der Hand. Ehre und Glück der Nation erloschen alsdann und das Königreich fiel Foulon anheim.

Aber Galliens Schutzengel streckte seine Hand aus den Wolken und berührte den Sünder.

Beim Ausbruch des Revolutionsgewitters war er einer der Ersten, welche sich zu retten suchten. Zeugt dies nicht für die Gerechtigkeit seiner Strafe? Warum lief er davon, was peitschte ihn? Sein Gewissen, innere Vorwürfe? Unfehlbar. Und wer flieht, der giebt sich schuldig.

Foulon verlor indeß nicht ganz den Kopf. Es blieb ihm noch so viel Verschlagenheit übrig, um sich todt erklären zu lassen, während er auf seiner Herrschaft Morangis, die ihm die Herzogin Mazarin für zwei Millionen Livres verkauft hatte, sich verschloß. Allein seine Unterthanen daselbst, deren Geißel er gewesen, witterten ihn aus. Nun schlich er bei Nacht und Nebel durch ein Hinterpförtchen nach Viry zu dem ihm befreundeten Herrn von Sartine.

Hier beging er aber die Unvorsichtigkeit, am hellen Tage im Park spazieren zu gehen, und plötzlich von Bauern überfallen, transportirte man ihn vor das Vehmgericht zu Paris. In der Frühe des Tags, um fünf Uhr, sah man ihn barfuß, mit einem Strohkranz um den Hals und einem Bündel Heu auf dem Rücken durch die Judengasse hereinbringen. So hatte der Pöbel, nichts vergessend, sein Opfer aufgeputzt. Denn man muß wissen, daß es ein Schlagwort des Delinquenten zu dem nothleidenden Volke gewesen: »Freßt Heu, wenn ihr kein Brod habt!«, und das Volk verstand sich also auf's Costüm. Ein andermal hatte Foulon gesagt: »Essig gehört für die Canaille, aber nicht Wein!« Und auch dies Bonmot ging nicht verloren. Denn als er seine Führer unterwegs um einen Trunk Wasser bat, goß man ihm Essig in den Hals.

Auf der Stelle verlangte das Volk das Todesurtheil von den Herren zu Paris. Umsonst widersetzten sich Bailly, La Fayette und Andere, umsonst bemühten sie sich, der Menge Vernunft zu predigen. »An den Galgen mit dem Schurken!« donnerte es von allen Seiten.

La Fayette erklärte, es sei gegen die Achtung, welche man dem Könige und der Nationalversammlung schulde, wenn man einen Mord begehe, er bürge für das Schlachtopfer, das man einstweilen nach der sogenannten Abtei bringen und diese zum Nationalgefängniß proclamiren möge. Er hielt eine Rede für Taube. Es war bereits Nachmittags zwei Uhr über die Unterhandlungen, den Gefangenen der ordentlichen Justiz zu überweisen, herangeworden. Jetzt endete die Geduld des Volks. »Man weiß nur zu genau«, rief eine Stimme, »daß es in Frankreich kein Beispiel giebt, daß die Justiz einen Menschen mit einer halben Million Rente für einen Verbrecher angesehen hätte!« Diese Bemerkung war gleichsam das Signal zum Sturme. Man warf die Fenster im Rathssaale ein, man erbrach alle Thüren, ein Haufen Rasender ergriff den Gefangenen und schleppte ihn herab um ihn am nächsten Laternenpfahl aufzuknüpfen.

Foulon war ein schwerer, starkbeleibter Mann: der Strick riß, und wie wahnsinnig stürzte der Todescandidat zehn bis zwölf Schritte davon. Der Versuch zu entkommen konnte aber unmöglich gelingen. Man packte ihn abermals und hing ihn von Neuem auf: der Strick riß wiederum. Nun knüpfte man ihn zum drittenmale auf, und damit die Schlinge ihn augenblicks erdrossele, hingen sich einige aus dem Pöbel an seine Beine. Wuthtrunken hackte man dann dem Leichnam den Kopf ab und pflanzte ihn auf eine Pike; Einige tanzten auf dem Bauche des Gerichteten herum. Ein Cannibalenballet!

Wenn jedoch ein mißhandeltes, zu Boden getretenes, in Verzweiflung gesetztes Volk bei dem Siege über seine Tyrannen in Ausschweifungen verfällt; wenn sich im Wirrwarr eines Aufstandes Gewaltstreiche zutragen, so giebt es dafür ohne Zweifel noch eine Entschuldigung. Wenn hingegen ein erhabener, auf seine Urtheilssprüche stolzer Gerichtshof mit aller Kälte des Bluts Henkerstücke begeht, worüber die Gonta und Pugatschef schamroth geworden wären, dann muß man dem Betragen des Pariser Pöbels wider Willen noch Achtung widerfahren lassen.

Vernehmen wir die Schilderung, welche der Parlamentsadvocat Sallee von der Hinrichtung Damien's hinterlassen hat.

»Ich war Augenzeuge von dem Justizacte über den Verbrecher, den das Pariser Parlament verdammte; ich war Thor genug für den Platz einen Louisd'or zu bezahlen, von wo aus ich Alles nach Wunsch beobachten konnte.

Der arme Sünder kam Mittags nach drei Uhr auf dem Richtplatze an, nachdem er vor der Kirche Notredame mit der Kerze in der Hand die gewöhnliche Buße gethan, und ihm von der Criminalcommission der Stab gebrochen worden. Nun entkleidet, streckte man ihn auf das Schafot aus. Zwei eiserne Klammern, von denen eine über die Brust, die andere über den Unterleib ging, befestigten den Körper und brachten ihn in die für den Scharfrichter erwünschte Lage. Die andern Glieder wurden mit Stricken gefesselt, so daß sich der Verurtheilte auch nicht im Mindesten rühren konnte.

Nun kam ein Henkersbube mit einem in Oel getränkten Strohgeflecht und brannte dem armen Sünder die Hände ab. Ein anderer kniff ihn mit glühenden Zangen in die Arme und Schenkel, Waden und Brüste, kurz überall, wo der Leib irgendwie empfindlich ist. Ein dritter aber goß mit einem eisernen Löffel geschmolzenes Pech, Schwefel und Blei in die Wunden.

Trotz des Muthes, mit welchem ich mich gewaffnet hatte, überwand mich bei diesem Anblick das Menschengefühl. Ich konnte es nicht aushalten, ich mußte meinen Platz auf einige Minuten verlassen. Bei meiner Rückkehr sah ich den Henker beschäftigt, den Körper loszubinden. Man brachte aber neue Seile, womit man den Unglücklichen wie ein Faß umschnürte, was dem Opfer die entsetzlichsten Seufzer auspreßte.

Darauf führte man Pferde herbei, welche an die vier Extremitäten gespannt anfänglich kleine Schneller thun mußten. Der Oberscharfrichter, beständig mit der Parlamentsordre in der Hand, worin ihm die ganze Operation vorgeschrieben war, rief Halt, und nun folgte eine Pause von fünf Minuten. Dann ließ er das grausame Spiel wiederholen. Neue Pause von fünf Minuten. Jetzt aber ließ man den Pferden vollen Zügel und peitschte sie zur äußersten Kraftanstrengung.

Welch' ein Schauspiel!.. Die Muskeln und Glieder des Bejammernswerthen hielten indeß so fest, daß die Arbeit der Pferde über eine Stunde währte, und dennoch war der Körper, zwar verrenkt, verdreht, entstellt, aber unzerstückt. Dieser Anblick langweilte die anwesenden Richter, und der Parlamentspräsident winkte daher dem Henker, der Procedur ein Ende zu machen. Also holte man Beile herbei und zerknickte die Glieder; dann gelang es den Pferden sie zu zerreißen.

So starb Damien, nach einer Execution von Sieben Viertelstunden!« Bekennen wir, hätte man Kosacken oder Irokesen zu Parlamentsräthen berufen, sie hätten weder eine tigerhaftere Scene ausdenken noch dem Henker eine raffinirtere Vorschrift ertheilen können.

Und nun komme noch Jemand und wage es die Richter Foulon's, das Pariser Volk zu tadeln!

Es zeigte noch einen seltenen Edelmuth und eine Reinheit des Willens, welche ihm alle Ehre macht. Denn kein Einziger begehrte von den vierzig Louisd'or und zwei goldenen Uhren, welche dem Uebelthäter aus den Taschen fielen, etwas an sich zu nehmen. Als der Platz sich leerte, ward es aufgehoben und auf das Rathhaus getragen, und zwar von Menschen, welche völlig zerlumpt gingen und kein Hemd auf dem Leibe hatten.

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XII.

Die Mauth in nuce.

Versuch über die Geschichte derselben.

Ein englischer Geistlicher behauptete, die Mauth wäre vom Satan erfunden worden. Als Christus ungebeten zur Hölle gekommen, um eine Menge Seelen zu entführen, sei der höllische Divan auf den Einfall gerathen, alle Ein- und Ausfuhr zu tariffen.

Diese Behauptung ist in jeder Hinsicht falsch, und schon darum, weil die Erfindung der Zölle älter ist. Es scheint gewiß, daß Salomo schon eine Art Mauth am Isthmus unterhielt. Gleichzeitig hielt ein gibeonitischer Scheich den Weihrauchhandel im Bann.

Die Römer hatten, wie wir wissen, ein jus vectigalia creandi, augendi, multiplicandi u. s. w. Diese Finanz verfolgte einen löblichen Zweck: sie sollte, wie Polybius sagt, zur Unterhaltung der Küstenbewahrer auf dem rothen Meere dienen, um den Handel zwischen Egypten, Arabien und Ostindien gegen die Seeräuber zu sichern, die ihn störten.

So lange Rom frei war, war auch die Mauth billig. Aber sie artete aus, so wie sie, schon unter August, den stolzen Namen jus regni annahm. Aus der barbarischen Strafe, welche unter Sever auf dem Schleichhandel stand, läßt sich bemessen, wie hoch die Mauth geschraubt worden. Der Zolleinnehmer, der einen Artikel übersah, hatte das Leben verwirkt; der Statthalter, wo sich der Fall ereignete, mußte dreißig Pfund Gold dafür erlegen.

Die Athenienser errichteten ein Mauthamt am Hellespont; ihre Nachfolger, die Byzantiner, fügten ein anderes am schwarzen Meere hinzu.

Im elften Jahrhundert mußten die Weine, welche aus Italien und Griechenland nach dem Norden gingen, so wie die, welche aus Frankreich oder Spanien zurückkamen, Transitozölle zahlen. Die Hauptlegestätten waren Cordinum und Valchalone.

Kurzum, alle Nationen wetteiferten um den Vorzug, der Menschheit die Genüsse des Lebens zu erschweren.

Noch stand es aber sehr einfach um die Mauth. Colbert, ein wahrer Finanzheld, verlieh ihr Equipage; er versah sie mit Stempeln, Suchnadeln, Strickreitern und Halseisen.

Bald fühlte man das Nachtheilige dieses Systems. Der Handel flieht gleich den Künsten den Zwang; er entfernt sich von den Küsten, wo man ihn an Ketten legen will und sucht die freie Luft.

Der Handel benachbarter Länder läßt sich ungestraft schwächen, necken, ableiten; unterdrücken aber nie. So wie das Band zwischen fleißigen Nationen zerrissen wird, hört die Ausfuhr eben so gut auf als die Einfuhr. Nur Barbaren können ohne die Erzeugnisse des Luxus bestehen; für gesittete Völker ist er Bedürfniß.

Das fühlte man, wie bemerkt, früh genug. Allein da alle Welt mit dem Handelszwang wucherte, war Niemand beherzt genug ihn abzuschaffen. Man traute seinen eigenen Einsichten nicht. Der Irrthum machte die Bahn um die Erde.

Es trifft sich sehr selten, daß man zugleich Beherrscher und Factor der Welt ist. »Jener Handelszweig gehörte bisher jener Nation, was hindert uns ihn an uns zu ziehen, Andere davon auszuschließen? Können wir ihn nicht eben so gut brauchen?« Das ist bald gesagt, doch es auszuführen erfordert Häfen, Banken, Fabriken, Briefwechsel, Credit, vernünftige Handelsgesetze, vornehmlich aber eine gewisse Staatsform. Was in England und der Schweiz sehr wohlgethan, kann in Frankreich, Dänemark oder Ãsterreich eine Dummheit sein.

Einem einzigen Staate in Europa war es vorbehalten, diese Maxime einzusehen. Mitten unter dem Wettrennen der Mauthen fiel es den Medicis ein, den Handel im Florentinischen frei zu geben. Vermuthlich machten sie die Reflexion: Mauth ist nichts als Monopol, Monopol aber ist eine Staatskrankheit, denn der Körper kann nicht gesund sein, wenn auch nur ein einziges Glied leidet. Je mehr der Handel anderwärts gedrückt ist, desto mehr muß er dem Lande der Freiheit zueilen.

Diese Betrachtung war vollkommen richtig. Man errichtete also dem Handel ein Asyl, und die Messe zu Livorno ward die blühendste von der Welt. Es schien die Morgenröthe des Tages zu sein, der die Wolken der Dummheit und der Vorurtheile im Handelswesen zertheilen sollte. Niemand aber gerieth darüber zur Besinnung. So arg war die Verblendung der Zeiten.

Seit mehr als sechs Jahrhunderten stand in Frankreich auf die Ausfuhr alles verarbeiteten Goldes und Silbers eine Taxe von sechs Procent. Nun gehören, wie alle Welt weiß, diese Producte zu denen, woran die Arbeit mehr beträgt als der Stoff. Doch erst 1733 ward man gewahr, daß man sich betrog, und nun ward die Mauth auf zwei Procent herabgesetzt, das heißt, man näherte sich bis auf ein Drittheil dem Wege zu vortheilhafter Erkenntniß.

So verhielt sich's überall. Wo man hinblickte, sah man Canäle des Handels verstopft, Canäle, die für den Staatskörper so nöthig sind als der unbehinderte Blutumlauf im menschlichen Körper; überall hielt man Knebel und Daumschrauben für das Geheimniß des Handelswesens und des Nationalreichthums. Man überlegte nicht, daß die Natur des Handels die Natur des Quecksilbers ist; man dachte nicht an den Kanon im Gesellschaftssysteme der Menschen: do ut des, fac ut faciam.

Das Tollste war vollends, daß man in den meisten Staaten die Ausfuhr des Geldes verbot. Während von den Lehrstühlen der Staatswissenschaften verkündigt ward: das Geld ist nichts als ein Handelsartikel, belegten die Regierungen denselben mit Absperrung. Das hieß doch den Mechanismus des Verkehrs jämmerlich verstehen. Auf den Messen zu Lima, Carthagena und Veracruz betrachtete man das Geld nur als Waare, und die verachtetste unter allen Handelsnationen beschämte somit in diesem Punkte die eingebildetsten.

Meister in der Wahl ihrer Mauthbeamten waren die Römer. Man findet im Leben des Apollon von Thyana, daß bei dem Besuche einer Stadt in Mesopotamien der Zöllner vor ihm und seinen Gefährten den Schlagbaum niederließ und sie nach den Gegenständen befragte, welche sie bei sich führten. Jeder nannte sie. Als die Reihe an Apollon kam, antwortete er: »Ich führe die Ehrlichkeit, die Mäßigkeit, die Menschenliebe, die Gerechtigkeit, die Geduld und Lernbegierde bei mir.« »Also sechs Sclavinnen,« sprach der Zöllner, indem er in seinem Buche schrieb. »Halt!« rief der Philosoph, »nicht Sclavinnen sind's, sondern Gebieterinnen.«

So schlau jener Zöllner war, haben wir ihn dennoch von einem seiner Brüder zu London übertreffen sehen. Die berühmte Bastardella trug einen silbernen Steiß. Dies wurde dem Mauthner verrathen. Als nun die Primadonna vor den Thoren Londons anlangt, wohin sie für die königliche Oper verschrieben worden, muß sie ihren Steiß verzollen, »denn,« sagt ihr der Beamte, »die freie Einfuhr silberner Gefäße ist in England nicht gestattet.«

Es ist keine Kunst zu begreifen, daß das Publicum von der Handelsfreiheit im Ganzen nur gewinnen kann, mögen auch einige Dutzend Producenten darüber zu Grunde gehen. Aber ein Meisterstück wäre es darzuthun, was der allgemeinen Wohlfahrt durch Mauth und Monopol entzogen worden.

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XIII.

Charlatanerien.

So manchen Marktschreier lernte ich in meinem Leben kennen. Ich sah St. Germain, Cagliostro, Gaßner, Mesmer und Frère Elie, oder Einen der sich für diesen ausgab.

St. Germain war kein Hohlkopf. Er hatte viel gelesen und gesehen. Aber er war der kühnste Windbeutel seines Jahrhunderts.

Cagliostro war eine wahre bête. Nur der Vortheil, noch größere bêtes zu finden als er selbst war, machte sein Glück. Die Welt verlor lediglich nichts an ihm als einen Betrüger.

Gaßner betrog nur sich selbst. Er ist der einzige unter diesen Brüdern, der in Einfalt des Glaubens quacksalberte. Ein flacher Fanatiker glaubte er zuerst und am eifrigsten an seinen Theriak.

Anders verhielt es sich mit Mesmer, dem gewandtesten von Allen. Es ist ganz gewiß, daß er von der Falschheit seines Spiels überzeugt gewesen, allein ich glaube, es hing mit seinem Berufe zusammen. Mesmer war so zu sagen von Geburt ein Arzt, und die Gaukelei mithin bei ihm Religion.

Keiner von all' diesen Wundermännern zog jemals meine Achtung auf sich. Aber ich dachte zu honnet, um sie öffentlich zu tadeln. Es schien mir gegen die Billigkeit mich dem Haufen anzuschließen, der so sehr über die Schwärmerei der Zeit schreit.

Wie? sprach ich zu mir selbst, diese Menschen glauben an alle erdenkliche metaphysische Wunder, und an chemikalische zu glauben ist ihnen lächerlich? Die Menschheit anerkennt einen Adeptismus in der Moral, in der Politik, in der Religion, aber der Adeptismus der Physik wäre ungeheuerlich? Mit einem Wort: Leute, die mehr glauben als ein Hottentott vertragen könnte, dürfen über die Mesmer und Gaßner spotten? So dachte ich und schwieg.

Die Geschichte der Menschheit enthält unendlich mehr und unendlich gröbere Marktschreier als Jene waren. Wir hängen zum Theil an Sätzen, worüber die St. Germain und Cagliostro sich schämen würden. Ich will nichts andeuten, aber wann wird man einmal gerecht sein! Alles ist Illusion. Das ganze Weltsystem selbst ist vielleicht nichts als eine große Illusion. Wir aber spotten über Diejenigen, welche uns damit bedienen?

Blos das Recht des Stärkeren verurtheilte Cagliostro zur Festung: das Recht der Vernunft würde ihn in ein Lazareth verwiesen haben. Der Handwerksneid war immer unversöhnlich. Er verleumdete seine Opfer von den Propheten an bis auf die Illuminaten und so weiter.

Die römische Curie ist uns den Prozeß des Cagliostro schuldig geblieben. War er der Bösewicht, wofür sie ihn ausgab, der Staats- und Menschenverräther, so haben Alle ein Interesse daran. Sein Prozeß forderte Oeffentlichkeit, weil er die Sitte, die Gesellschaft, die öffentliche Sicherheit betraf. Das Spiel mit der Freimaurergarderobe und mit dem Feuer war eine Kinderei. So amüsirt man blos Knaben. Akten und Protocolle gebe man heraus, wenn wir wissen sollen, wie die Gefahr beschaffen war, in der wir schwebten.

Uebrigens gehörte Cagliostro zu den dürftigsten Wichten. Er konnte kaum schreiben und lesen, wenigstens sah ich unter mehreren Briefen keinen einzigen correkten von ihm. Dessenungeachtet beschwor er mich einmal, ihm die famose Weimarsche Bibel aufzutreiben. Ich lächelte. Doch der Graf P*, einer seiner leidenschaftlichsten Anhänger, versicherte mir hoch und theuer, daß er die Geister gesprochen hätte, mit denen Cagliostro umzugehen pflege, und daß er sogar bei einer Persierin, die ihm ein Geist auf Cagliostro's Befehl herbeigeholt, geschlafen hätte. Ich lächelte wiederum. » Comment, Monsieur, osériez vous prendre mon ami pour fourbe?« »Nein, Graf, wir sind es, die betrogen sein wollen, und Ihr berühmter Freund läßt uns nur Recht widerfahren.«

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XIV.

Jesuitenspiegel.

Vergebens bemüht sich die Schule Lojola's, die Grundsätze, wodurch sie Götter und Menschen empört hat, abzustreiten: sie beruhen auf den unleugbarsten Autoritäten.

Daß der Jesuitismus jederzeit die Intoleranz wollte, die Verfolgung vorschrieb, Henkersschwert, Scheiterhaufen, Gift, Verschwörung und Aufruhr zu seinen Rüstzeugen hatte, daß folgender bekannte Aphorismus:

    »Adlaborandum Pontificiis itaque, ut omnes haereticos, illorumque Fautores ac Tutores, nec non Politicos illos catholicos, qui potius pacem servare quam auxilia ad haereticorum oppressionem conferre malunt, igne, ferro, veneno, pulvere, tormentario, bellis et aliis machinationibus exterminentur« –

im Codex desselben enthalten, bezeugen

Ribadeneira, de Principe. lib. I. c. 18 p. 117 und
        c. 26 p. 172 sq.

Chirlandus, de Haereticis, qu. 3 n. 2.

Simancha, Institut. cathol. c. 46 n. 45 sq.

Actio Henrici Garneti, per tot.

Creswel (unter dem Namen Andreas Philopater)
contra Edictum Regin. Angl. sect 2 n. 157: »Principem qui a catholica religione flexit, excidere statim omni potestate, argumento eius quod Paulus I. Corinth. 7 dicit: Si Infidelis discedat etc.«(Ein Fürst, der von der katholischen Religion abweicht, ist sofort aller Macht zu berauben, wie der Apostel Paulus 1. Corinth. 7 vorschreibt: So aber der Ungläubige sich scheidet, so scheidet euch auch von ihm.)

desgleichen n. 162: »Subditi huiusmodi principes suos non tantum legitime possunt deturbare, sed etiam ad hoc praecepto divino, et conscientiae vinculo arctissimo, ac extremo animarum suarum periculo tenentur.« (Die Unterthanen solcher Fürsten sind nicht nur berechtigt letztere zu vertreiben, sie sind sogar vermöge göttlichen Befehls und des strengsten Gewissensdranges bei der äußersten Gefahr ihrer Seele dazu verbunden.)

ferner p. 109: »Si Imperator vel Rex haereticum favore prosequatur, ipse factum regnum amittet.« (Wofern ein Kaiser oder König die Ketzer begünstigt, macht er sich ohne Weiteres seiner Krone verlustig.)

und dann p. 194: »Debent illum tanquam Christi hostem ex hominum christianorum dominatu ejicere: quae est virorum doctissimorum indubitata sententia, doctrinae apostolicae conformis.« (Er muß als ein Feind Christi aus der Gemeinschaft der Christen gestoßen werden: dies ist im Einklang mit der apostolischen Lehre die unbezweifelte Meinung der gelehrtesten Männer.)

Brunus, Conradus, de Haereticis l. 3. c. ult.

Windeck, Joh. Paul., de Extirpat. Haereticor. Antidot. 10 p. 104: »Lutheranos morti supplicio exterminandos, interficiendos, propulsandos, reprimendos, delendos, ustionibus et sectionibus, excindendos, tollendos, explodendos, viriliter, extirpandos, trucicandos, internecione delendos.« (Die Lutheraner muß man mit Feuer und Schwert verfolgen, sie niedermachen, verjagen, unterdrücken, vertilgen, spießen, kreuzigen, hängen, castriren, vergiften, martern, kurz mit Stumpf und Stil ausrotten.)

Baronius in Epistola contra Venetos: »Duplex est ministerium Petri: pascere et occidere: juxta illud: pasce oves meas, et juxta illud: occide et manduca. Quando enim pontifici negotium est cum refractariis et adversantibus tum jubetur Petrus, eos mactare et occidere, atque in viscera sua recondere.« (Zwiefach ist das Amt Petri: weiden und vertilgen, nach den Worten der h. Schrift: weide meine Schafe, und andererseits: tödte und verzehre sie. Wenn also der Papst mit Abtrünnigen und Widersachern zu thun hat, so will der h. Petrus, sie sollen niedergemacht und in seinen Eingeweiden verborgen werden.)

Ebenderselbe in der Paraenesis ad Venetos p. 9: »Restat pater ut exseratis in maleficos gladium Petri, quem ad hoc constituit super regnet et gentes christus.« (Alsdann ist der Beruf des h. Vaters das Schwert Petri über die Missethäter zu zücken, zu welchem Zwecke ihn Christus über die Reiche und Völker eingesetzt hat.)

Deliberatio de haeres. Extirpat. (durch obigen Paul Windeck) p. 412 sq.: »Ad sectarios profligandos Liga et Conspiratio requiritur –« p. 415: »Nec negligenda est occasio, quando videlicet Protestantes pecuniis exhausti sunt – – – Idque a Carolo V. Imperatore magno suo observatum emolumento.« (Zur Ausrottung der Sectirer ist ein Bündniß, eine Verschwörung erforderlich. Und hier achte man der Gelegenheit, wo es den protestantischen Mächten an Geld fehlt. Dies hat Kaiser Karl V. zu seiner großen Genugthuung befolgt.)

Bellarminus , de Roman. Pontif. l. V. c. 6. 7. 8: »Non licet christianis tolerare regem haereticum, si conetur pertrahere subditos ad suam haeresin.« (Es ist Christen nicht erlaubt einen ketzerhaften Regenten zu dulden, der sein Volk mit in seine Irrthümer hineinziehen könnte.)

Daß der Jesuitismus den Königsmord und die Entthronung lehre, daß folgende abscheuliche These seiner Schule authentisch sei:

      »Quando subditi Romano-Catholici Imperatorem, Regem, sive Principem suum pro Tyranno habendum in conciliis suis statuerunt, tum illum abdicare et se ipsos omni obligationis nexu solvere possunt. Si vero comitia habere prohibeantur, tum cuivis subdito, modo Jesuitarum aut aliorum huiusmodi Theologorum usus sit consilio, permissum imo laude dignum et meritorium erit, huiusmodi regem vel principem occidere. Proindeque recte fecisse monachum Jacobum Clementem, quod Henricum III. Regem Galliae cultro venenato interfecerit. Recte etiam facturum qui et illius successorem Henricum IV. interimet.«

das weiß man aus folgenden Zeugnissen:

Mariana, de Rege l. I. c. 6 Edit. Mogunt. p. 75: »A populis sive subditis volentibus regem principatu spoliare posse – – – Princeps etiam privata auctoritate ferro perimendum.« (Auf gemeinschaftlichen Volksbeschluß kann ein König nicht nur entsetzt – – – sondern er kann auch auf ein einseitiges Unterfangen hin getödtet werden.)

Ebenderselbe p. 60: »Ac nisi publica vox populi adsit, quae regem pro tyranno habeat, adhibenti sunt in consilium viri eruditi et graves – –«

Dem der Jesuit Hoyeda, de Facultate imprimendi, hinzufügt: »– – ex ordine nostro.« (Und wo die allgemeine Stimme fehlt, um ihn für einen Tyrannen zu erklären, muß man seine Zuflucht zu dem Rathe angesehener und gelehrter Männer nehmen – – und zwar aus unserm Orden.)

Sodann der ganze Tractat de Abdicatione Henrici III. (Lugduni apud Joannem Pillehotte, sanctae unionis gallicanae Bibliopolam. Ex praeceptu superiorum et cum Insignibus Jesuitarum.) Besonders die Vorrede.

Apologia Joannis Castelli, Jesuitici discipuli, – per totam. Vornehmlich im zweiten Theil.

Creswel, adversus Edicta etc. p. 145: »Potestas regia est iuris civilis. Ergo in arbitrio populi Rex quis sit an non.« (Die königliche Würde ist bürgerlichen Rechts. Folglich beruht es in der Entscheidung des Volks, ob der König sei oder nicht.)

P. Louis d'Orleans: »Hericum IV. culinarum canem, pogonatum Julianum, bipedum nequissimum, apostatam foetidum satanae stercus – –« (Heinrich IV. ist ein Küchenhund, ein schäbiger Julian, ein zweibeiniger Spitzbube, ein stinkender, Satans Mist entsprungener Ketzer.)

De justa Abdicatione p. 36: »Majestas regni est in populo, potius quam in persona regis.« (Die Hoheit des Staats steht beim Volke und nicht in der Person des Königs.)

Dydimus p. 261: »Non populus in principum gratiam factus; sed principes in populi commoda creati.« (Das Volk ist nicht für den König geschaffen, aber die Könige für die Gemächlichkeit des Volks.)

De justa Autoritate p. 8: »Rex humana creatura est, qui ab omnibus hominibus constituta.« (Der König ist nichts als ein menschliches Geschöpf, König nur durch den allgemeinen Willen der andern.)

Die Defensio Jesuitarum (S. Mémoires de la Ligue T. IV. p. 281) beruft sich nach den Beispielen der h. Schrift auf verschiedene Stellen folgender Doctoren der Theologie:

Bannesius in Tho. 2. 2 quaest. 12. art. 2: »Etiamsi pontifex toleraret regem apostatam tamen respublica christiana possit illum pellere e regno; quoniam pontifex sine ratione permittit illum impunitum.« (Wenn auch der Papst einen abtrünnigen Monarchen dulden wollte, so kann ihn doch der Staat davon jagen, weil es ohne Grund geschieht, daß ihn das Kirchenoberhaupt ungestraft läßt.)

Simancha, Institut. Cathol. c. 23 sect. 12: »Imo graviori poena digni sunt principes quam privati homines, iure igitur et merito Scythae regem suum Scylen occiderunt, proprer externos ritus quia in Bacchanalibus sacris initiatus erat.« (Ja die Fürsten machen sich noch strafbarer als Privatpersonen. Mit Recht geschah es daher und eine verdienstliche That war es, daß die Scythen einst ihren König Skylen blos äußerer Gebräuche halber tödteten, nämlich weil er sich in die Bacchanalischen Geheimnisse einweihen ließ.)

Gregorius Valentin. T. III. p. 6. Disp. 1. qu. 11. pur. 2: »Vita privari possint, tum multo magis omnibus aliis donis, atque adeo etiam praelatione in alios.« (Kann man sie des Lebens berauben, um wie viel mehr anderer Güter?)

De justa abdicat. Henrici III. p. 262: »Tyrannum occidere honestum est, quod cuivis impune facere permittitur.« (Einen Tyrannen tödten ist ehrbar, Jeder kann es mit gutem Gewissen thun.)

Bellarminus, de Rom. Pontif. l. V. c. 6. 7. §. 4: »Quod si Christiani olim non deposuerunt Diocletianum, Julianum, Valentem, id suit quia deerant vires temporales.« (Daß die Christen einst einen Diocletian, Julian, Valens nicht absetzten, dazu fehlte es blos an weltlichen Kräften.)

In der Rede, welche Papst Sixtus V. bei der Nachricht von der Ermordung Heinrich III. im Consistorium zu Rom den 2. September 1589 hielt, zeichnen sich folgende Stellen aus:

»– mortuus est Rex Francorum per manus monachi! – – – rarum, insigne, memorabile sacinus – – – occidit monachus regem non pictum aut fictum in charta aut pariete, sed regem Francorum in medio exercitus – – hiv vero religiosus aggressus est, et confecit rem longe majorem, non sine dei concursu.« (Gestorben ist der König von Frankreich unter der Hand eines Mönchs – – – eine seltene, vortreffliche, denkwürdige That – – – ein Mönch tödtet einen König, nicht einen erfundenen und auf Papier oder an die Wand gemalten, sondern den König von Frankreich inmitten seiner Truppen – – – nicht ohne Zuthun der Gottheit.)

Daß endlich Gewissensrüge und Gift, als die zwei besten Argumente Könige zu überzeugen, im Lehrbuche der Jesuiten-Logik enthalten, davon liegen die Beweise im Consilio des Cardinals Phelväus, das der Gesandte Heinrich III. in Spanien auffing und von Wort zu Wort in den Mémoires de la Ligue steht.

Der famose Mariana sagt (de Rege l. I. c. 7 p, 65-67): »Ouid interest, ferro an veneno perimas? veneno quod fit, minori periculo et majori spe impunitatis fit. Hoc tamen temperamento me auctore veneno uti licebit. Si non ipse qui perimitur, venenum haurire cogitur, quo concepto pereat, sed exterius ab alio adhibeatur, nihil adjuvante eo, qui perimendus est: nimirum cum veneni tanta vis est, ut sella eo, aut veste delibuta vim intersiciendi habeat.« (Was liegt daran, ob einer an Dolch oder Gift stirbt? Beim Gift ist allerdings weniger Gefahr und mehr Sicherheit für den Thäter. Hierbei ist zu beobachten, daß wenn man es Jemand füglich nicht von innen beibringen kann, es Mittel giebt, das Gift von außen her wirken zu lassen. Denn die Kräfte desselben sind so außerordentlich, daß man Sessel, Kleider u. s. w. damit zu inficiren vermag.) –

Welch' ein Quodlibet von Blasphemien, Lastern und Verbrechen! Inzwischen sind Züge darunter, welche eines Weisen würdig wären, sofern sie nicht dem Geiste des Hochmuths, der Herrschsucht, des Aufruhrs, des Atheismus entstammten. Aber, dürfte man vielleicht einwenden, dies sind ja nur personelle oder höchstens nationelle Grundsätze, sie sind nicht Eigenthum eines ganzen Körpers. Hierauf erlaube ich mir mit den Worten des Herrn von Chalotais zu antworten: »Es giebt weder französische, noch welsche, noch irländische, noch deutsche Jesuiten; sondern es giebt nur Jesuiten

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XV.

Voltaire.

Wenn man in Preußen, in Oesterreich und anderwärts die Tortur entweder aufgehoben oder modificirt hat, so ist's Voltaire, der es zuerst der Welt anrieth.

Wenn in Preußen, in Rußland und in Oesterreich die Todesstrafe abgeschafft ist und die Verbrecher statt dessen nützlicher zu öffentlichen Arbeiten gebraucht werden, so hat man es den Reflexionen Voltaire's zu danken.

Wenn in Preußen, in Böhmen und Ungarn die Leibeigenschaft aufgehoben ist und der Menschlichkeit ihre Rechte wiedergegeben sind, so lernte man es von Voltaire. Wenn die Toleranz das Symbol der Erde zu werden anfängt, so gab, wie man weiß, Voltaire den Ton dazu an.

Wenn Rußland, Preußen und Oesterreich so glücklich waren ihr eigenes Nationalgesetzbuch zu erhalten, so war's der Fingerzeig Voltaire's.

Wenn in Preußen, Schweden und Oesterreich die gesegnete Preßfreiheit zu blühen beginnt, so danken es die Musen Voltairen.

Wenn die Philosophie Newton's, die Blatternimpfung, die politische Arithmetik und so viele andere Erfindungen seines Zeitalters, welche die Ehre des menschlichen Geistes und das Glück der Nationen ausmachen, emporgedrungen und über die Chikane gesiegt haben, so schreiben wir es Voltaire zu.

Wenn sich ein Licht über Europa ausbreitet, dessen Einfluß alle Geschäfte der Politik, des Handlungswesens, der Künste und Wissenschaften empfinden, so ist die Urheberschaft auf Voltaire zurückzuführen.

Wenn die Furie des Fanatismus und der Pfafferei zu Boden liegen und die Mastställe der Religion in Deutschland abgeschafft werden, so soll man eingestehen, daß Voltaire die Anregung dazu gab.

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XVI.

Ueber Voltaire's Tod.

Voltaire war, wenn man will, kein minderer Selbstmörder als Rousseau. Daß er, wie es heißt, unter Lorbeeren erstickte, ist eine Albernheit; denn obgleich Niemand bestreiten kann, daß die Freude eben so gefährlich zu werden vermag als die Traurigkeit, und daß die Erschütterung einer 84jährigen Seele auf die eine oder andere Weise einen verderblichen Stoß herbeiführen muß, so bezeugt nichtsdestoweniger das Visum der Aerzte, welche seinen Leichnam öffneten, die edlern Theile, nämlich Hirn und Herz wären so gesund und kräftig gewesen, daß er der Ordnung der Natur nach noch zehn Jahre hätte leben können.

Folgender eben so denkwürdiger als durchaus beglaubigter Zug erklärt Alles.

Der Marschall von Richelieu, Voltaire's Idol, besuchte ihn alsbald nach seiner Ankunft in Paris. Nachdem er ihn umarmt hatte, fragte er den Weltweisen, wie er sich befände. »Schlecht, elend, ich schlafe keine Nacht. Und Sie?« »O vortrefflich!« »Ja, ich bin bezaubert über Ihr gutes Aussehen. Wir stehen in Einem Alter; ich sehe Freund Hain gleich, Sie dagegen einem Bacchus. Sagen Sie mir wenigstens, Marschall, wie fangen Sie es an, daß Sie gut schlafen?« »Sehr einfach: mit Hilfe eines Elixirs.« Nun beschwor Voltaire den Marschall, ihm von seinem Arcanum zukommen zu lassen. Dieser schickte ihm ein Flacon mit genauester Gebrauchsanweisung. Voltaire hingegen, der stets an allen Sachen etwas zu verbessern hatte und dem man selten recht thun konnte, nahm eine dreifache Portion davon.

Sofort verfiel er in einen Schlummer, der 36 Stunden währte, und von nun an begann er ersichtlich aber schmerzlos abzulöschen. Binnen drei Tagen war er eine Leiche. Eins seiner letzten Worte lautete: »Grüßt mir meinen Bruder Kain, den Marschall!«

Gleichwol meldeten fanatische Blätter, Voltaire sei unter schrecklichen Convulsionen und in einer Art von Raserei gestorben, wobei er in seinen Nachtstuhl gegriffen und von seinem eigenen Kothe verschluckt hätte.

Diese Unwahrheit ist auf folgende Thatsache zurückzuführen: Als der Pfarrer von St. Sulpice erfuhr, daß Voltaire in den letzten Zügen liege, eilte er herbei, um wo möglich sein Seelsorgeramt geltend zu machen. Voltaire aber, der bereits nicht mehr sprechen konnte, ergriff sein Nachtgeschirr, um es dem Geistlichen an den Kopf zu werfen. Ehe er dies jedoch auszuführen vermochte, nahm es ihm sein Neffe, der Abbe Mignot, der an seinem Lager stand und ihm die Augen zudrückte, aus der Hand, wobei sich ein wenig auf die Bettdecke verzettelte, das von des Sterbenden Fingern zufälligerweise berührt wurde.

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XVII.

Beisetzung der Asche Voltaire's.

Das französische Volk hatte beschlossen Voltaire's Asche zu verewigen und sie im National-Pantheon beizusetzen. Sein Leichnam wurde also von Sellieres, wo er vor den Verfolgungen des Fanatismus verborgen lag, abgeholt.

Es war am 10. Juli 1791, demselben Tage, wo der »Mahomed« das erstemal auf der Bühne erschienen, als des Dichters Asche vor dem Schlagbaume zu Paris ankam. Der Stadtrath in Pontificalibus empfing den Sarg und hob ihn vom Wagen. Er wurde dann auf einen im römischen Stile erbauten Triumphwagen gesetzt und, umgeben von der Nationalgarde, auf den ehemaligen Bastilleplatz geführt, der mit Festons geschmückt war. Auf der Mitte desselben erhob sich ein Piedestal, erbaut aus Trümmern der Bastille, mit der Inschrift: »Hier, wo Dich der Despotismus einst gefesselt hielt, erwarte, o Voltaire, die Ehren, welche Dir das dankbare Vaterland weiht!«

Dort ruhte Voltaire's Leiche drei Tage lang auf dem Paradelager.

Am 13. begann die feierliche Beisetzung. Der Donner von dreihundert Kanonen kündigte sie an. Darauf folgte das Geläute aller Glocken der Stadt und nächster Umgegend: eine erhabene Symphonie!

Nun begab sich der Stadtrath in 52 Trauerwagen nach dem Bastilleplatz, von wo aus sich der Zug wie folgt in Bewegung setzte:

  1. National-Cavalerie.
  2. Eine Abtheilung National-Schanzgräber.
  3. Die Kriegsjugend mit ihrer Fahne und Musik.
  4. Die Clubs nach ihrem Alter und mit ihren Panieren.
  5. Das Bastille-Viertel ( la section des plantes), bestehend aus Maurern, Zimmerleuten, Dachdeckern und allen den Handwerkern, welche bei der Niederreißung der Bastille betheiligt gewesen.
  6. Die Bürgerschaft der Vorstadt St. Antoine, in deren Bezirk die Bastille lag.
  7. Eine Amazone mit einer Axt in der Hand, auf deren Eisen man las: » ultima ratio Populi
  8. Ein Sessel, getragen von 4 Römern, auf welchem die Vaterlandskrone ruhte.
  9. Sämmtliche Maires der umliegenden Dorfschaften und Gemeinden.
  10. Ein Sessel, getragen von 4 Syrakusanern, auf dem das Protocoll über die Erstürmung der Bastille vom 14. Juli 1789 lag.
  11. Dussaulx, der erste Ersteiger des Bastille-Walls, nebst den Männern, welche ihn dabei unterstützten.
  12. Eine Bahre, getragen von 4 Spartanern, mit den eroberten Waffen der Bastille.
  13. Eine zweite Amazone.
  14. Ein Sessel mit der Figur der Bastille, getragen von der Fraternität »zum Freiheitshut.«
  15. Mirabeau's Brustbild, umgeben von 4 Medaillons mit den Bildnissen Franklin's, Rousseau's, Desille's und Montesquieu's.
  16. Die sogenannte Waffenbrüderschaft.
  17. Die Schweizergarde.
  18. Die » Cent-Suisses«.
  19. Die National-Waffen-Reiterei (Gendarmerie).
  20. Die Fraternität der »Constitutionsfreunde.«
  21. Die Electeurs.
  22. Die Viertelsvorsteher.
  23. Die Schauspieler.
  24. Voltaire's Bildsäule, umgeben von den Zöglingen der Maler-Akademien, sämmtlich in antikem Costüm und jeder mit einem Medaillon in der Hand, das den Titel eines der Werke des Unsterblichen enthielt.
  25. Die Literatur, als Voltaire's Familie, in Trauerfloren.
  26. Zwei Genien, welche in einem vergoldeten Schrank, auf dem eine Leyer und ein Lorbeer ruhte, eine prachtvoll gebundene Gesammtausgabe der Werke Voltaire's trugen.
  27. Ein Trauer-Musikcorps in antikem Costüm, dessen Tonstücke zu dieser Feierlichkeit besonders componirt waren.
  28. Die Musen in ihrem mythologischen Costüm und mit Trauerflören.
  29. Der Sarkophag in einem von 12 schneeweißen Rossen gezogenen antiken Trauerwagen. Im Sarge ruhte der Leichnam unverdeckt, das Antlitz gen Himmel gekehrt, zu seinem Haupte vom Ruhme umschwebt, der eine Krone über ihm hielt. Auf der einen Seite des Sarkophags die Inschrift in Gold: »Er rächte Calas, La Barre, Sirven und Montbailly«; auf der andern: »Er ist es, der unsere Freiheit vorbereitet hat.«
  30. Der Syndicus der Stadt Paris.
  31. Sämmtliche Stadträthe mit Bailly, dem Maire, an der Spitze.
  32. Eine Deputation der Nationalversammlung.
  33. Die städtischen Beamten.
  34. Die ländlichen Beamten.
  35. Das Veteranen-Corps.

In dieser Ordnung ging der prachtvolle Zug den Boulevards entlang gegen den Pontneuf zu. In der Nähe des Opernhauses wurde Halt gemacht. Unter den Säulen desselben stand die gesammte Oper im Costüm des »Samson«, welche einen Hymnus aufführte und damit zu der ergreifenden Feierlichkeit wesentlich beitrug. Dies geschah in der Nähe des Hauses der Pflegetochter Voltaire's, der Frau von Villette, das an diesem Tage ganz besonders geschmückt worden. Eine grünende Halle, an deren Deckenwerk eine Bürgerkrone in Guirlanden hing, bildete den Eingang. Inmitten derselben gruppirte sich auf einem Amphitheater ein Kreis von Nymphen in weißen Gewändern, mit Rosenkränzen auf der Stirn und himmelfarbenen Schärpen um den Leib, und unter ihnen Frau von Villette in tiefster Trauer, das Haupt gesenkt und mit weißen Rosen umwunden, eine Schnur von eben solchen über Schultern und Hüften und ein weißes Tuch in der Hand. Daneben ihre Tochter in gleichem Costüm zwischen den beiden Töchtern des unglücklichen und unvergeßlichen Calas: ein äußerst fesselndes Bild.

Im Uebrigen war die Halle so angelegt, daß sie der Leichenzug nothwendig passiren mußte. Als nun Voltaire's Bildsäule, von Houdon's Meisel gefertigt, sich nahte, stieg Frau von Villette mit Würde vom Amphitheater herab, näherte sich ihr in sichtbarer Erregung, neigte ihr Haupt an deren Brust und schien einige Minuten ganz stillem Schmerz hingegeben. Dann ergriff sie die Bürgerkrone und bedeckte damit die Statue. In diesem Moment brachen die Empfindungen aller Anwesenden in lauten Strömen aus. Es war eine der erhabensten Scenen von der Welt.

Nachdem sie dann ihre Tochter umarmt und ihr das Bild des unsterblichen Mannes zu küssen gegeben, sie somit gleichsam öffentlich der Tugend, der Vernunft und Freiheit geweiht hatte, schloß sie sich sammt dem Nymphenchor dem Trauerzuge an.

Auf dem Pontneuf machte er zum drittenmale Halt. Hier war es, wo fast eine Million Menschen sich ergoß, um ganz den Ueberblick und die Ordnung des Ganzen zu genießen und seinen Beifall erkennen zu geben. Ein schlichter Bauersmann seufzte naiv: »Eh bien! le voilà donc celui qui nous a désembêtes!«

Allein hier zeigte sich auch einer der schönsten Züge in dem Drama. Eine Ode, von Chesnier gedichtet und von Gossec in Musik gesetzt, kam zur Aufführung: ein Meisterstück des Genies in beiden Künsten, denn nicht nur drückten die Verse den Ruhm Voltaire's als Wohlthäters der Menschheit in den erhabensten Worten aus, sondern die Musik bestand auch aus lauter antiken Instrumenten, welche man nach den Mustern gefertigt hatte, welche die Figuren an der Bildsäule Trajans aufwiesen, und worauf die Musiker ein besonderes Studium verwendet hatten. Diese Idee war nicht blos neu, sondern auch von erschütternder Wirkung.

Nun bahnte sich der Zug unter dem Gedränge einer unübersehbaren Volksmenge, welche immer voraufeilte und die Straßen mit Blumen bestreute, seinen Weg am alten Theater vorüber, dessen Giebel zwei Genien darstellte, welche die Büste Voltaire's mit einem Eichenkranze krönen; darunter die Worte: »Im siebzehnten Jahre seines Alters dichtete er den Oedipus.«

Erst in der Dämmerung erreichte man das Nationaltheater, wo eine Colonnade, geziert mit Guirlanden und Festons im feinsten Geschmacke, erbaut worden, deren einzelne Säulen in einem Medaillon den Titel je eines der dramatischen Werke des Verewigten entgegenstrahlten, und über alle die Inschrift: »Im drei und achtzigsten Jahre seines Alters schrieb er Irene.« Musik trug den Freiheitschor aus dem Samson vor, und endlich segnete man die Leiche ein und senkte sie in die Gruft des Pantheon neben die Urne Mirabeau's.

Eine solche Feier des Genie's, hier nur schwach angedeutet, liefert weder die alte noch die neue Geschichte. Die Legenden der Heiligen erblassen davor, und die Philosophie bezeugt in tiefstem Schauer, daß ein solcher Triumph allein den Helden der Freiheit und Humanität gebührt. Nie, seit die Welt um die Sonne läuft, widerfuhr einem Sterblichen Gleiches. Doch man gestehe auch, daß eine Nation, welche solche Ideen zu erfassen und auszuführen vermag, sehr groß und sehr erleuchtet sein müsse.

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XVIII.

Dorat.

Dorat, ein geborner Pariser, wird immer unter den Schriftstellern genannt werden müssen, welche der französischen Literatur zur Ehre gereichen. Die Natur hatte ihn zum Poeten berufen. Sie gab ihm außerordentliche Leichtigkeit des Ausdrucks, Sinn für wahre Schönheit und blühende Phantasie. Alle seine Werke haben ein gewisses liebliches Colorit und einen Reichthum von Tönen, welche dafür sprechen, daß er ein geborner Dichter war.

Es ist fast unmöglich leichtere und zierlichere Verse zu machen als folgende:

                   

De quels poids on est soulagé
Lorsque l'on perd une maitresse!
Enfin, amis le charme cesse;
Je suis heureux, j'ai mon congé.
Tout m'amuse, et rien ne me lie;
Il faut pourtant en convenir:
Laïs est jeune, elle est jolie;
C'est pour cela que je l'oublie.
On risque à s'en ressouvenir.
Que je hais ce front ou respire
L'interessante volupté.
Cet art de tromper de seduire,
Si semblable à la vérité,
Et sa folie et sa gaité.
Et le charme de son sourire.
Que je dedaigne, que je hais
Cette flottante chevelure,
Qui sert de voile à ses attraits,
Ou bien qui leur sert de parure.
Ce sein qu'amour sait embellir,
Qui s'enfle, s'élève ou s'abaisse
Au moindre souffle du desir,
Ou la'rose semble fleurir
Sous la bouche qui la caresse,
Ses Caprices qui sont des loix,
Ce feu dont son oeil étincelle
Et les sons touchans de sa voix,
Qui jure une ardeur éternelle
A cinquante Amans à la fois.
Je la deteste, je l'abhorre!
Mais... c'est trop m'entretenir,
Car à force de la hair
Je pourrois bien l'aimer encore.

Congé à Madame P*.

Dorat stammt aus guter Familie. Wie alle junge Franzosen von Stand wählte er in seiner Jugend die Waffen und diente bei den sogenannten grauen Mousquetaires. Entschiedener Hang zur Dichtkunst aber verbunden mit dem Ehrgeize, zu einem Sitz in der französischen Akademie zu gelangen, bewog ihn seine Charge zu verkaufen und das Schwert mit der Feder zu vertauschen.

Die Zahl seiner Schriften ist groß. Alle tragen den Unterscheidungszug an sich, daß sie dem schönen Geschlecht geweiht sind. Er ist der Jacobi der Franzosen.

Eine seiner hauptsächlichsten in dieser Art ist das Journal des Dames, die Iris der Franzosen. Frau von Maisonneuve, Dorat's Schülerin, hatte es begonnen; der Mangel jedoch, an welchem sie ihren Meister leiden sah, bewog sie ihr Privilegium an ihn abzutreten. Dies Journal war die Beschäftigung seiner letzten Jahre und der Stützpunkt seines Lebensunterhaltes bis an seinen Tod.

Seine anderweitigen literarischen Erzeugnisse bestehen in Gedichten, Lustspielen, Tragödien, Erzählungen u. s. w. Er versuchte sich in allen Fächern der Dichtkunst, und größtentheils nicht ohne Erfolg.

Dorat war in den feinsten Gesellschaften von Paris ein gern gesehener Gast. Er besuchte die vornehmsten Häuser und stand auf der Liste der ordentlichen Mitglieder jener beneidenswerthen wöchentlichen Zusammenkünfte in den Salons der Damen Cassini, Marchais, Necker und Mademoiselle de l'Espinasse. Ebenso sah man ihn in den geistreichen Versammlungen der Frau Geoffrin, der Frau Favart und des Herrn von Beaumarchais. Die hervorragendsten jungen Adeligen bildeten seinen Schülerkreis. Mit dem Marquis von Pezai, dem Ritter Bouflers, mit Guibert und andern Schöngeistern des Hofs stand er in engster Verbindung.

Gleichwol starb er voll Lebensüberdrusses und vom drückendsten Mangel heimgesucht auf der Hälfte seines Wegs: er war noch nicht älter als 46 Jahre, als ihn der Tod auf einem Bette, das ihm die Schauspielerin Faunier mitleidig geliehen, umarmte.

Lebensüberdruß und Mangel jedoch hatte er vornehmlich übertriebener Empfindlichkeit und allzugeringem Geschick für haushälterische Ordnung zuzuschreiben.

Alle seine Schriften sind von den schmerzhaftesten Klagen über Unglücksfälle und Verfolgungen, die ihm das Leben verbitterten, durchwoben. Noch in den letzten Tagen schrieb er: »Als ich die schriftstellerische Laufbahn betrat, trafen mich sofort alle möglichen Wirbelstürme der herrschenden Secte. Sie hoben mich aus meinem Ruhepunkte und rissen mich in einen Abgrund fort.

Ich befand mich in dem glücklichen Alter, wo man nur zu lachen nöthig hat. Von diesem Rechte wollte ich Gebrauch machen und scherzte daher über die Gleißnerei unserer Philosophie und Wissenschaften.

Wie weit war ich entfernt vorauszusehen, was mir bevorstand! Schon in meinen ersten Schritten wurde ich gehemmt. Man wies mir die Schranken an, worin ich zu beharren hätte. Ich wagte es aber über sie hinwegzusetzen. Spott, Verfolgung, Unterdrückung sind die Folgen, die ich bis jetzt davon trug. Alles vereinigte sich, meine Existenz zu vernichten.«

Indeß ist doch anzunehmen, daß sein Leben minder dornenvoll gewesen wäre, wofern er nicht geflissentlich den Haß der damaligen Tonangeber in der Literatur gegen sich erweckt und seinen Aufwand mehr eingeschränkt hätte.

Nur aus Unwissenheit und Böswilligkeit konnte ein Pariser Blatt die Benachrichtigung von seinem Heimgange mit der Bemerkung schließen: »Dorat ist ein neuer Beweis, daß es das Schicksal der Philosophen ist im größten Elende zu sterben, daß die Philosophie nicht einmal Beerdigungskosten zu beschaffen vermag.«

Dorat's Schicksal beruhte zum Theil gerade darauf, daß er ein Antipode der Philosophie und ein Gegner ihrer Orakel war.

Er selber schrieb ja:

»Was mir am nachtheiligsten ward, ist, daß ich den großen Propheten unseres Jahrhunderts, diesen berühmten Wiederherstellern der Moral und Gesetzgebung, diesen Mächtigen Beherrschern des Tons, in den Weg rannte.

In Wahrheit, ich hoffte bei ihnen Duldsamkeit, Verträglichkeit, Weisheit, mit einem Worte alle jene hohen Tugenden anzutreffen, welche sie mit so vielem Geräusch predigten. Ich wähnte in meiner Harmlosigkeit, daß pedantischer Prunk mit dem stillen Studium der Weisheit unverträglich wäre.

Statt dessen fand ich nichts als affectirte Schulfüchse, metaphysische Schwätzer, kahle Schwärmer.« Man urtheile, ob Dorat nun zur philosophischen Clique gerechnet werden durfte.

An einer andern Stelle spricht er:

»Ich wußte nicht, daß man in unsern Tagen keine Verzeihung erlangt, wenn man gute Grundsätze hegt. Ich kannte die Systeme der berühmten Brüderschaft nicht, welche Philosophie lehrt ohne weise zu leben, sich tolerant nennt, weil sie schöne Phrasen über Toleranz macht, sich der Welt nützlich zu sein dünkt, weil sie diejenigen verfolgt, welche anders denken als sie selbst.« Es ist also sicher, daß der Dichter der » Cantiques spirituels sur les points principaux de la religion« nicht armselig lebte, weil er zu den Philosophen gezählt worden, sondern weil er gar zu wenig von Philosophie verstand. Seine Uneinigkeit mit den Philosophen gerade hielt ihn von einer Stellung an der französischen Akademie, die er sehnsüchtig begehrte, fern, denn von jenen hing die Ertheilung ab; und eben so von den Gnadenspenden des Hofs, worauf ihn die Musterhaftigkeit seiner Sitten, seine Verdienste um die Literatur, und selbst seine Armuth ein Anrecht zu verleihen schienen.

In der That, die Philosophie war so wenig Willens ihre Jünger der Armuth zu überlassen, daß sie diese im Gegentheil mit allzureichem Segen bedachte. Die reichen Verlassenschaften eines Fontenelle und Voltaire, und die so glücklichen Verhältnisse eines Alembert, Marmontel, Helvetius und Raynal waren überzeugende Beweise ihrer Freigebigkeit.

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XIX.

Aus Linguet's Leben.

Der Ursprung der famosen Neckereien Linguet's mit der französischen Akademie und Herrn La Harpe ist folgender. Am 25. des Erntemonats 1766 entschied die Akademie herkömmlicher Weise über die eingegangenen Concurrenz-Arbeiten. Linguet's Abhandlung: » Epitre aux Rois conquérans« erhielt nur ein Accessit, La Harpe dagegen wurde der große Preis zuerkannt. Von dem Augenblicke an schwor Ersterer den Beiden unversöhnliche Fehde.

Einst wohnte ich einem Hauptspaße bei, der mir unvergeßlich ist. Die Pariser Akademie hielt eine Aufnahme, wenn ich nicht irre die des Marschalls Herzogs von Duras. Eine Menge Nymphen garnirte die Scene. Der Vordergrund war vom höchsten Adel und den brillantesten Geistern der Literatur besetzt. Hier flimmerte und schimmerte Alles.

Um nun dies Fest nicht von der Canaille entweihen zu lassen – so drückte sich der Secretair der Akademie sehr bescheiden über die andern, im Vorsaal harrenden Schriftsteller aus – schloß man die Thüre ab und pflanzte zwei handfeste Appenzeller davor.

Dies erregte allgemeines Mißvergnügen unter der Versammlung, unter welcher ich mich zu befinden die Ehre hatte. Man machte laute und zum Theil sehr spöttische Bemerkungen über diese neue Polizei. Endlich fing einer der Anwesenden, ich glaube es war Linguet, an: Wozu sollen wir uns ärgern, meine Herren! Können wir nicht so gut Akademie spielen wie die Andern? Der Ort ladet uns dazu ein. Ich verpflichte mich, Sie zu entlangweilen, wenn Sie mir die Erlaubniß dazu ertheilen.

Nun stieg er auf einen Stuhl und hielt aus dem Stegreife eine Lobrede auf das Pferd des Caligula. Nie wurde in einem Raume so viel gelacht: man vernahm ein Meisterstück von Sarkasmen, die pikanteste Parodie auf den Act im Innern.

Das unaufhörliche Klatschen und Jubeln drang bis in den Saal und störte natürlich die Handlung der Illustren. Entrüstet trat der Secretair heraus, um sich unnütz zu machen. Man lachte ihn aus. Er drohte mit der Wache; man lachte noch mehr. Jetzt spie er ein paar Flüche über unsere Köpfe und zog sich zurück.

Unsere Akademie ließ sich nicht beirren; mit ununterbrochenem Gelächter und Bravorufen setzte sie sich in der besten Form fort. Ein klügeres Mitglied innerhalb des großen Versammlungssaals ertheilte den Rath, ihn zu öffnen und uns einzulassen, damit wir schwiegen. Es war aber zu spät, Niemand wünschte nun noch einzutreten.

So oft ich las, daß der Jacobinerclub genau nach der Form der Nationalversammlung arbeite, seinen Präsidenten, seine Tribüne, seinen Sprecher und seine Tagesordnung habe, fiel mir beständig unsere nachäffende Akademie ein.

 

*            *

 

Linguet war bereits aus verschiedenen von ihm geführten Prozeßfällen als einer der geschicktesten Parlaments-Advocaten, als feuriger Redner und siegreicher Vertheidiger bekannt, als im Weinmonat 1769 der berühmte Prozeß ausbrach, welchen die Pariser Buchhändler gegen Luneau de Boisjermain anstrengten. Dieser, ein geschätzter Schriftsteller, vornehmlich durch seinen Commentaire sur Racine bekannt, ließ seine Werke auf seine eigenen Kosten drucken und verbreiten. Darüber empörten sich die Buchhändler und klagten als über eine Beeinträchtigung ihrer Rechte. Boisjermain vertrat also die ganze Gelehrtenwelt, und führte denn auch, unterstützt von Linguet, der sich dabei den Namen des neuen Demosthenes erwarb, deren Sache mit aller Kraft. Heftig griff namentlich Linguet die Buchhändler an, ihre Beschwerden in Nichts auflösend. »Ich beklage mein Vaterland«, sagte er unter Anderem, »wenn seine Schriftsteller nur die Tagelöhner der Buchhändler sein, das Feld der Wissenschaften gleichsam als Sclaven bearbeiten sollen, während jene, eingelullt von ihrer Unverschämtheit und Unwissenheit, einen herrischen Luxus treiben.« Er verglich den Ertrag der französischen Schriftsteller mit dem der englischen, dabei anführend, daß Robertson für das Manuscript zu seiner Geschichte Karl V. 4000 Guineen empfangen habe, wogegen die Encyklopädie, »ce vaste depot de toutes les connoissances humains, ce monument qui forme une bibliotheque entiere«, welche den Verlegern zwei Millionen Livres eingetragen, ihrem Unternehmer Diderot »et surtout seul architecte de cet immortel édifice«, mit vieler Mühe kaum hundert Louis'dor jährlicher Rente erworben. Schließlich läutete er die Sturmglocke über die gesammte Buchhändlerwelt, rief alle Schriftsteller auf, sich gegen die Tyrannei der Verleger, »dieser Blutegel und Henkersknechte der Autoren«, zu vereinigen.

Unter den Schriften, welche dieser Rechtshandel hervorrief, machte besonders das »Avis aux gens de lettres« Aufsehen, worin der Einwurf der Buchhändler, daß ihre Handthierung nicht unter den allgemeinen Handelsbegriff zu bringen sei und sie in ihrer Beschäftigung mit blos geistigen Producten über dem Kaufmann stünden, siegreich bestritten und nachgewiesen wird, wie ihr Gewerbe ein blos mechanisches und durchschnittlich nur auf klingenden Gewinn berechnetes wäre.

Am 30. Januar 1770 erfolgte der Ausspruch des Chatelet. Das Betragen der Buchhändler wurde darin entschieden gemißbilligt, ihr Anbringen ein für allemal abgewiesen, und außerdem hatten sie alle Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

 

*            *

Als 1767 im Pariser Parlamente die Frage entstand, ob man den Juden bürgerliche Gewerbefreiheit einräumen solle, und die Bejahung Mißmuth im Volke erregte, erschien von Linguet folgendes Epigramm:

                   

Jésus! pardonne l'infamie
De ces Pharisiens nouveaux,
S'ils ont chassé ta compagnie
C'est pour adopter tes bourreaux!

*            *

Unter den kleinen Piecen, welche sich unter Linguets Papieren vorgefunden und nicht durch die Journale bekannt geworden, sind folgende bemerkenswerth:

Quatrain, als Normand d'Etioles, der ehemalige Gemahl der Marquise Pompadour, die Demoiselle Rem, eine Opernnymphe heiratete, mit welcher er längst heimlich gelebt hatte:

                   

Pour reparer miseriam
Que Pompadour laisse à France
Son mari plein de conscience
Vient l'epouser Rem publicam.

Auf Robee, einen seiner Collegen, der ein Gedicht auf die Passion schrieb:

                   

Tu croyois ô divin Sauveur
Avoir bu jusques à la lie,
Le calice de ta douleur
Il manquoit à ton infamie
D'avoir Robé pour Défenseur.

Auf Ludwig XVI. Hof:

                   

Ami notre jeune Monarque
En veritable Télémaque
A pris le bon sens pour Mentor
Et pour conseil l'expérience,
La probité, la prévoyance,
L'économie, est son trésor,
Il a pour femme la tendresse
Tous les sujets pour ses enfans
Et la vérité pour maitresse.
Que deviendront les courtisans?
S'il est possible, honnêtes gens.

Auf Moreau, den Leibarzt des Erzbischofs von Paris und seinen Fistelschnitt am Hintertheil der Eminenz!

                   

Moreau! quelle est ta gloire et ta vocation!
Le Ciel t'a réservé pour cette occasion:
Il anime ton zèle et ton patriotisme;
Par toi s'operera ce grand événement,
Ton bras sappera sourdement
Le fondement du fanatisme.

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XX.

Freron.

Nekrolog eines literarischen Scheusals.

Freron ward im Jahre 1719 geboren. Er hatte die Narrheit sich einen Edelmann zu nennen. Inzwischen gestand man ihm blos zu, daß er aus ehrlicher Familie stamme. Durch seine Mutter war er in einem gewissen Grade mit Malherbe verwandt, was für einen Schriftsteller ohne Zweifel schätzbarer als ein Adelsbrief.

Quimper in der Bretagne ist sein Geburtsort. So oft Freron in seinen Blättern diesen Ort erwähnte, sprach er »meine Provinz«, wie ein großer Herr von seinen Herrschaften spricht.

Er war sehr früh in den Orden der Jesuiten getreten, blieb aber nur einige Monate darin. Es ist eine oft gemachte Beobachtung, welche diesem Orden eben so zum Ruhme gereicht als seinen Schülern, daß diese ihm immer Anhänglichkeit bewahrten. Bei Freron war es hinreichend Jesuit zu sein, um ein Anrecht auf seine Lobsprüche zu erhalten. Doch ist's möglich, daß die Speculation hieran eben so viel Antheil hatte als die Dankbarkeit.

Unter der beträchtlichen Zahl Derer, die diesen Orden verließen, sind wenige Beispiele bekannt, daß sie die düstere Einfachheit seiner Tracht plötzlich mit dem grellen Putz eitler Weltlinge vertauscht hätten. Gemeiniglich pflegten sie noch einige Zeit die Abbékleidung zu tragen und sich erst nach und nach die Airs der großen Welt anzueignen. So erschien denn auch unser Autor zunächst unter dem Titel eines Abbés in Paris.

Hier attachirte er sich an den berühmten Desfontaines, gleichfalls Exjesuit und Herausgeber eines Journals. Bei diesem machte er seine Lehrjahre, nach deren Endigung er mit der brillanten Ankündigung auftrat: Lettres de Madame la Comtesse de ** sur queques écrits modernes (1746).

Von nun an legte er das Abbékrägelchen ab und nannte sich Chevalier Freron. Er kam jedoch bald zur Vernunft und blieb bescheiden Monsieur Freron oder vielmehr blos Freron; denn da er die Gewohnheit hatte alle Menschen allzugern zu duzen, mußte er sich auch gefallen lassen, daß man ohne Umstände mit ihm verfuhr. Die Familiarität war einer seiner hervorstechendsten Fehler.

Kaum erschien obiges Werk, ein Journal, erntete er auch die Erstlinge der unangenehmen Früchte, welche den Journalisten aufbewahrt sind. Dies bewog ihn nach einem Protector und einem Rückhalt zu spähen. Beides fand er in Stanislaus und dessen durchlauchtigster Tochter, der Königin. Alsbald veränderte er den Titel seines Journals in: Lettres sur queques écrits de ce tems (1749). Natürlich erforderte der Schritt, sich unter den Schutz der Königin zu begeben, die Pflicht, sich dieser Gnade niemals unwürdig zu zeigen. Und daraus ging wieder hervor, daß er sich nicht blos von der damals schon um sich greifenden freigeistigen philosophischen Schule fern hielt, sondern sie auch aus allen Kräften bekämpfte.

Verschiedene Personalien mußten ihn namentlich Voltaire von vornherein verhaßt machen: Er war ein Jesuitenzögling, hatte seine ersten Fechterkünste unter dessen giftigstem Feinde erlernt, kündigte sich als Widersacher der Philosophen an und heuchelte Strenggläubigkeit. Unterdessen bleibt es doch schwer zu entscheiden, wer zuerst zum Angriff überging. Fast möchte man wetten, daß es Freron nicht war, denn in seinen ersten Blättern weht der Geist einer ungemeinen Verehrung jenes großen Genies, und es scheint, daß ihm Voltaire trotzdem auch nicht die kleinste Rüge ungeahndet hingehen lassen wollte. So viel man aus einer Menge wirrer Erzählungen beurtheilen kann, war es der Letztere, der die Feindseligkeiten eröffnete. Das ist aber Thatsache, daß nach einmal ausgebrochenem Kriege Freron nicht das mindeste mehr von einem Vergleiche oder einer Aussöhnung wissen wollte. Er befolgte den bekannten Lehrsatz der Politik, daß wenn ein Unterthan den Degen gegen seinen Souverain gezogen, er ihn nicht wieder in die Scheide stecken dürfe.

Wirklich erfuhr der Kunstrichter sehr bald, welche Uebermacht er herausgefordert hatte. Auf Voltaire's Betrieb wurde sein Journal verboten.

Den Hergang erzählt man so.

Im ersten Briefe des sechsten Bandes (1752) befindet sich folgende Stelle: »Wenn es einen Schriftsteller unter uns gäbe, der von einer rasenden Ruhmbegierde beseelt wäre, sich aber in Anwendung der Mittel sie zu befriedigen betröge; einen Schriftsteller, der in seinen Schriften bisweilen erhaben, in seinem Betragen jedoch immer niedrig ist, der manchmal große Leidenschaften schildert, für seine eigene Person hingegen blos kleinliche offenbart; der ohne Unterlaß Einigkeit und Gleichheit im Reiche der Gelehrten predigt, und dennoch Alleinherrschaft auf dem Parnaß mit dem despotischen Hochmuthe eines Sultans verlangt; dessen Feder nichts als Reinheit und Tugend ausströmt, dessen Geist aber beständig den rechten Glauben untergräbt; der seine Meinungen nach Ort und Zeit ändert, zu London ein Independent ist, Katholik zu Paris, Andächtler zu Wien, tolerant in Rußland; wenn, sage ich, das Vaterland einen Schriftsteller von solcher Beschaffenheit geboren hätte: so bin ich versichert, wir würden den Verdiensten seines Talents die Ausschweifungen seiner Vernunft und die Laster seiner Seele verzeihen.«

Voltaire ist hier also mit keiner Silbe genannt noch persönlich gezeichnet; alle Welt flüsterte sich indeß zu, daß nur er darunter gemeint sein solle, und er selber fühlte dies, ohne daß man es ihm sagte. Er trug seiner Nichte in Paris, der Mademoiselle Denis, auf, in seinem Namen die nöthigen Schritte bei der Censur zu thun, welche das Journal sogleich verbot.

Freilich mußte Voltaire für diese Genugthuung büßen, denn es erschien das Spottgedicht auf ihn:

                   

La larme à l'oeil, la nièce d'Arouët,
Se complaignoit au surveillant Malsherbes
Que l'écrivain, neveu du grand Malherbe
Sur notre épique osât lever le fouet
Souffrirez-vous, disoit elle à l'édile,
Que chaque mois ce critique enragé
Sur mon pauvre oncle à tous propos distile
Le fiel piquant dont son coeur est gorgé?
Mais, dit le chef de notre librairie,
Notre Aristarque a peint de fantaisie
Ce monstre en l'air que vous réalisez...
Ce monstre en l'air! Votre erreur est extrême.
Reprend la nièce: Eh! Monseigneur, lisez
Ce monstre là, c'est mon oncle lui-même!

Sechs Monate später bekam Freron die Erlaubniß sein Journal wieder fortzusetzen. Zwar behauptete er feierlichst, daß er diese Erlaubniß niemand anders als dem Könige von Polen verdanke, allein eine bei dieser Gelegenheit veröffentlichte und vom Publicum mit allgemeinstem Beifall aufgenommene Brochure: » Le contrepoison des feuilles« machte bekannt, daß Voltaire selbst um die Wiederherstellung jenes Journals gebeten, da dessen Herausgeber keinen andern Lebensunterhalt habe. Kaum war dies in die Oeffentlichkeit gedrungen, verlästerte ihn Freron neuerdings; Voltaire versetzte aber nur die Worte: » Que me veut donc le ver sorti du cadavre de L'Abbé Desfontaines!«

Freron's persönliche Freiheit wurde sehr häufig unterbrochen. Er machte nach und nach mit sämmtlichen Gefängnissen von Paris Bekanntschaft Außerdem lag er in unaufhörlichem Federkriege mit andern Schriftstellern. Es existirte Niemand im Gefolge der Muse, den er nicht gegen sich gereizt hätte, selbst bis zur Mademoiselle Clairon. Diese glaubte sich in der zweiten Nummer seines Journals vom Jahre 1765 verhöhnt zu sehen, und auf ihre Anzeige hin sperrte man ihn in's Fort l'Eveque. Umsonst suchte ihn die Königin davor zu bewahren; die Schauspielerin drohte mit ihrem sofortigen Abgange, wenn man ihr nicht Genugthuung verschaffe.

Ein fliegendes Blatt: » Eloge prononcé par la folie« (1760) hatte ihn zum erstenmal in das Fort l'Eveque gebracht. Es war eine Art Leichenrede auf den eben verstorbenen Marquis Bacqueville, der als Sonderling berühmt war, wie er denn auch infolge des thörichten Eigensinnes starb, daß er durchaus nicht sein Haus verlassen wollte, obschon es von allen Seiten in Flammen stand. Er war keineswegs in jener Leichenrede genannt und aus vermeintlicher Vorsicht hatte der Verfasser über den Sohn Lob im Ueberfluß ausgeschüttet; dennoch ließ sich dieser damit nicht düpiren, sondern ruhte nicht eher, als bis man Freron auf die Festung geschickt hatte.

Noch schlimmer erging es ihm im Jahre 1763. Er erhielt nämlich als einen Beitrag für sein Blatt die Schilderung eines Beispiels von Großmuth, bei deren Lectüre ihm die Thränen aus den Augen stürzten. Er beeilte sich diesen Aufsatz seinem Journale einzuverleiben, ohne auf den Gedanken zu gerathen, daß er eine der feinsten Satiren auf den verunglückten Plan des ersten Ministers, des Herzogs von Choiseul wäre, Guiana zu bevölkern. Diesem erschien die Schilderung in ihrem wahren Lichte, und Freron wanderte aller Vorstellungen ungeachtet in die Bastille.

Wenn man dergleichen Züge liest, so glaubt man über den Despotismus der Regierungen, über das willkürliche Schalten mit der persönlichen Freiheit der Bürger seufzen zu müssen; aber man muß noch ungleich mehr Verachtung empfinden gegen die Unwürdigkeit eines Schriftstellers, der sich beständig zum Spiele der Ungerechtigkeit, der Gewalt, der Privatrache macht. Hätte Freron die Würde seines Berufes gefühlt, würde er den dürftigsten Zustand solchen Beschimpfungen vorgezogen haben; und wenn er sich zu schwach fühlte dem Drange zur Kritik und Satire zu widerstehen, hätte ihm die Klugheit den Rath eingeben sollen sich in ein bevorzugteres Land zu begeben, wie es andere Schriftsteller thaten, welche ebenso Freunde der Wahrheit als ihrer Ruhe waren.

Sollte man bei diesen Umständen zweifeln, daß Freron in den Fall kam, sich mit den Gefängnissen zu familiarisiren? In der That, sie wurden ihm so zur Gewohnheit, daß er über den Verlust seiner Freiheit jedesmal lachte. Sein Betragen in Verhaft bewies, daß er weder Größe des Gemüths noch Zartgefühl besaß. Er ergab sich dem Trunke, um jeden Anfall von Unmuth zu ersticken. An dem Tage, wo man ihn zum Gefängniß abführte, betrank er sich schon Morgens wie ein Karrenschieber.

Ein solcher Charakter mußte nothwendig zu allen Niederträchtigkeiten befähigen. Freron machte aus der Kritik ein feiles Handwerk, Lob und Tadel verkaufte er in öffentlicher Bude. Jeder, der gut bezahlte, war willkommen. Freron lieferte häufig die verlangte Lobpreisung ohne die Schrift zu lesen, ja selbst nur anzusehen, um die es sich handelte. Natürlich wurden seine Urtheile dadurch verdächtig, natürlich verachtete man ein so mißbrauchtes Talent und ließ ihn unbarmherzig die Geißel der Satire empfinden. Man hat Beispiele, daß dieser elende Wochenblattsfabrikant in einem Athem einen und denselben Autor rühmte und beschimpfte. Das Lob einverleibte er seinem eigenen Journale, den Schimpf brachte er heimlich in ein anderes, so daß Beides an einem Tage zugleich in die Oeffentlichkeit trat. Wenn er sich indeß einmal die Mühe gab eine Beurtheilung gewissenhaft und selbst abzufassen, denn das Meiste ließ er von Fremden arbeiten, da er Faulheit und Wollust nur schwer überwand, so konnte sie bewunderungswürdig ausfallen. In der Regel war aber Jeder betrogen, der seiner Kritik folgte, ohne das betreffende Werk zur Hand zu haben. Uebrigens wußte er mit einem so seltenen Scharfblick die Seite eines Schriftstellers ausfindig zu machen, woran er Lob oder Tadel knüpfte, daß er den aufmerksamsten Leser überraschte. So sehr dies seinem Kopfe zur Ehre gereichte, befleckte es doch weit mehr seinen Charakter, offenbarte es weit mehr seine niederträchtige und feile Gesinnung.

Wenige Autoren wurden übrigens so gut honorirt als Freron. Duchesne, der Verleger seines Journals in erster Gestalt, bezahlte ihm für den Bogen zehn Louisd'or, und wöchentlich erschienen zwei. Lambert, der Verleger seines Journals in zweiter Gestalt, honorirte jeden Bogen sogar mit fünfzehn Louisd'or. Nach und nach sank es jedoch so, daß es auf dem Punkte war einzugehen.

Da fiel er auf ein anderes Schelmstück. Es erschien nämlich die Ankündigung einer neuen periodischen Unternehmung unter dem Titel: » Année littéraire.« Freron versicherte sofort, daß er nicht in der geringsten Beziehung dazu stehe. Kaum aber hatte dies Journal festen Fuß gefaßt, erfolgte das Avertissement: Au sujet du nouvel ouvrage périodique intitulé l'Année littéraire par Mr. Freron, Membre des Académies d'Angres, de Montauban et de Nancy, Avis au Public.

Dieses Blatt nun ist's, womit er sich bis an seinen Tod beschäftigte, das vornehmlich den Schatz aller Sottisen, Niederträchtigkeiten und Unverschämtheiten enthält, welche aus der fruchtbaren Feder Freron's flossen und seinen Namen als infamen Scribenten in ewiger Erinnerung erhalten werden.

In Verbindung außerdem mit der Direction des Journal étranger, dessen erster Leiter der Abbé Prevot war, bezog er eine Zeit lang ein Einkommen von vierzigtausend Livres auf das Jahr. Trägheit und Ueppigkeit aber verhinderten ihn an der klugen Benutzung einer so gesegneten Ernte, seinem Berufe ordentlich obzuliegen und die Blätter pünktlich zu liefern. Sehr bald verlor er den Directionsantheil am Journal étranger und sein eigenes Journal nahm ebenfalls an Abonnenten ab. Da er gleichwol seinen Aufwand nicht mäßigte, fiel er in einen Abgrund von Schulden.

Von Natur zur Verschwendung geneigt, lebte er mit einem Luxus, zu dessen Bestreitung kaum das größte Vermögen ausgereicht hätte. Seine Wohnung kostete blos an Vergoldungen dreißigtausend Livres, die Spiegel, die persischen Fußteppiche und das prachtvolle Porzellan ungerechnet. Die Herstellung und Ausschmückung des Kamins allein erforderte zwanzigtausend Franken. Außerdem hielt er Equipage und ein Landhaus in der Vorstadt St. Germain, wo man die delicatesten Soupers fand. Bei ihm war beständig offene Tafel, wie sie ein Generalpachter nicht splendider geben konnte. An dieser versammelten sich seine Anhänger, seine Schmeichler, der ganze stinkende Schwarm der Insecten, welche sich aus den Excrementen des Journalismus erzeugen.

Folgende Anekdote mag zeigen, wie weit die Erniedrigung der Schmarotzer, andererseits die Herrschaft und Sittenlosigkeit des Mäcenas ging.

Ein junger Mann Namens Poinsinet, der sich der Dichtkunst befleißigte, wünschte mit brennender Begierde am Hofe Freron's zugelassen zu werden. Dies, glaubte er, würde ein Mittel sein, sein Talent zu vervollkommnen und ihn in der öffentlichen Meinung empor zu bringen. Er wandte sich deshalb an den Schriftsteller Palissot, den Ceremonienmeister in den Gesellschaften Freron's, der ihm auch die Ehre des Zutrittes zu verschaffen versprach, und dann einen Tag zu seiner Einführung bestimmte.

Der junge Dichter erscheint. An der Thür sagt man ihm, der Herr vom Hause sei sehr unpäßlich und liege im Bette, nichtsdestoweniger würde man soupiren. Man setzt sich in der That zur Tafel. Die ganze Gesellschaft spricht von nichts, als wie begierig der Aristarch wäre die Bekanntschaft des neuen Gastes zu machen, wie sehr er von dessen Versen und Verdiensten bereits eingenommen. Er hat mir erst vor einigen Augenblicken versichert, setzte Palissot hinzu, daß er, falls er stürbe, sein literarisches Scepter keinen würdigern Händen zu übergeben wüßte, und daß er entschlossen sei, nach beendigtem Souper Alle vor sein Bett zu berufen, um Herrn Poinsinet feierlichst zu seinem Nachfolger auf dem Throne der Musen einzusetzen.

Man sieht, daß ein sehr einfältiger und in der Welt noch sehr unerfahrener Mensch dazu gehörte, um sich von solchen Albernheiten einnehmen zu lassen. Ein solcher Gimpel war unser Dichter. Er hielt alles für baare Münze, zeigte sich über die Complimente ungemein entzückt, und konnte seine Ungeduld, Freron zu sehen, kaum mäßigen.

Schnell hob Palissot die Tafel auf, die ganze Gesellschaft in des Gastgebers Krankenzimmer führend. Ein düsterer Schimmer herrschte hier, wie es in solchen Räumen gewöhnlich ist. Die dichten Fenstervorhänge waren niedergelassen. Zu Kopf saß La Coste, der Verfasser einer Geschichte von Spanien, und wegen seiner tollen Schwänke bekannt, jetzt die Rolle eines Arztes spielend. Er sagt, daß der Kranke wahrscheinlich im Sterben liege und nur den Wunsch habe, daß sich seine Freunde ihm noch einmal nähern möchten.

Bei diesen Worten nimmt Palissot den jungen Dichter, der über die ihm zu Theil werdende Ehre und den kranken Zustand des großmüthigen Freron's zu Thränen erschüttert ist, bei der Hand und führt ihn an das Lager, wo er nichts weiter zu erblicken vermag als eine in Laken eingewickelte Masse Menschenfleisch. »Heilige Hygea!« ruft der begeisterte Poinsinet, »würdige die Welt der Erhaltung dieses großen Mannes!« In der That, versetzte der Bouffon von Arzt, der über die Bornirtheit des Dichters kaum das Lachen unterdrücken konnte, es ist hier eine der seltsamsten und bedenklichsten Krankheiten vorhanden. Man müßte sie eigentlich eine Hämorrhoidal-Erysipelas nennen, doch ist sie mit wunderbar abweichenden Symptomen begleitet. Augen und Nase sind nämlich völlig verschwunden, und die Zunge ist so erlahmt, daß der Kranke nur noch einige durchaus unverständliche, eigenthümlich hohle Töne hervorbringen kann.

Hier stieß der Patient eine Art Seufzer aus, die einen säuselnden und still wehenden Klang hatten. Alle hielten die Taschentücher vor's Gesicht; Poinsinet aber, meinend man wolle seine Thränen verbergen, ließ die seinigen unbehindert fließen.

Nun trat der merkwürdigste Akt der Komödie ein. La Coste lüftete den Bettvorhang und sagte, der Kranke habe so eben den jungen Dichter zu umarmen begehrt. Durch seinen Kuß, setzte Palissot hinzu, will er vor uns bezeugen, daß er Sie zu seinem Nachfolger erklärt. Eilen Sie, ihm diesen Wunsch zu erfüllen.

Der junge Mann nähert sich. »Unsterblicher Genius!« ruft er aus, »möchte ich das Amt, das Du mir vermachst, würdig verwalten! Möchte ich des Beifalls dieser erlauchten Versammlung für immer versichert sein! Möchte der Hauch, den Du ausathmest, in mich fahren und mich neubeleben!«

Bei diesen Worten verschwand die Dunkelheit. Wie bei Theaterscenen wich die Finsterniß einer plötzlich von allen Seiten einströmenden Tageshelle. Die Bettvorhänge und Laken wichen völlig zurück, und präsentirten der Gesellschaft – den entblößten fetten Hintern Freron's, wie ihn der junge Musensohn eben inbrünstig küßte.

Lassen wir unsererseits den Vorhang über diese Unfläterei fallen. Sie ist ein Beweisstück für den schmutzigen Sinn ihres Veranstalters, und ein trauriges Zeugniß von der Niederträchtigkeit, Büberei und Ungezogenheit, welche leider öfter in den Coterien sogar sogenannter schöner Geister sich in einem Grade breit machen, wie er beim sittenlosesten Pöbel nicht anzutreffen ist. Absenker dieses famosen Literators, der sich zum Richter des Geschmacks, der Sitten und der Religion aufwarf, während er selber auf's Gröblichste dagegen verstieß, sind aller Orten vorhanden.

»Nun ist's genug,« rief Freron, indem er lachend und gesund aus dem Bett sprang. »Verzeihen Sie den Scherz, mein Freund, nun gehören Sie zu uns. Auf diese Art werden alle eingeweiht, die in unsern Kreis treten wollen, damit ist unsre Freundschaft geknüpft. Lassen Sie sich den Mund reinigen und setzen wir uns Alle wiederum zu Tisch.«

Eigenthümlich, bei Lebzeiten Freron's und noch einige Zeit nach seinem Tode, vermochte sich von den vielen Journalen, welche sich herauswagten, kein einziges neben dem seinigen zu behaupten. Man war an die Polissonerien und die kecken Anzüglichkeiten dieses berühmten Gemeinschreibers ganz und gar gewöhnt. Der Observateur littéraire von Le Brun, der Censeur hebdomadaire des Herrn von Aquin, la Renommée littéraire, les Observations sur la littérature des Abbés de la Port, der Avant-Coureur des Herrn de la Dixmerie – sie versuchten vergebens ihr Glück zu machen. Trotz aller Anstrengungen wurden sie von dem herrschenden Gestirn verschlungen.

Nach seinem Tode geschah es beinahe, wie im Reiche Alexander's. Die Generale des Freron, seine hauptsächlichsten Mitarbeiter am Année littéraire: der Abbé du Port du Tertre, Palissot, der Abbe de la Port, Gastel Dudoyer und Dorat, suchten einen Raub daran zu machen; Jeder bemächtigte sich einer Provinz.

Sonst hat man noch ein besonderes Werk: Opuscules par Monsieur Freron, worin einige sehr glückliche Gedichte, viel Erfindung, reiche Phantasie und glänzende Sprache angetroffen werden.

Uebrigens arbeitete er mühevoll, was er einem Fehler seiner körperlichen Organisation zuschrieb. Er erzählte auch, daß sich sein Geist sehr spät entwickelt, und eigentlich ein lustiger Vorgang die Ursache wäre, daß er überhaupt etwas gelernt habe. In Verzweiflung über seine immense Dummheit nämlich wären seine Eltern eines Tags auf den Einfall gerathen, ihn auf einen im Vorhofe erbauten Thron zu setzen, und eine Spießruthe in die Hand zu drücken, um damit die dorthin getriebenen Ferkel und Gänse zu beherrschen. Von da ab hätte ihn Jedermann den Schweineprinzen genannt, was seine Eigenliebe so sehr verwundet hätte, daß er von den Büchern nicht mehr wegzubringen gewesen wäre.

In Schulden bis zum Ersticken versenkt, von seinen Gläubigern auf's Aeußerste getrieben, mit der gesammten literarischen und moralischen Welt entzweit, erbarmte sich endlich der Tod seiner. Es war am 13. März 1776 und Freron nach einer seiner lucullischen Mahlzeiten eben in der Komödie, als ihm die Nachricht gebracht wurde, der Chef der Censurbehörden, Herr von Malesherbes, habe so eben den Befehl zu gänzlicher Unterdrückung seines Journals ertheilt. Da sank er vom Schlage getroffen todt zu Boden.

Man fertigte ihm die Grabschrift, die aber nicht auf seinen Leichenstein gesetzt wurde:

                   

Ci git Freron, et le Diable en enrage
Il ne veut pas qu'il y soit d'avantage.

Er hinterließ eine zahlreiche Familie. Seine Frau, deren Mitgift von zwanzigtausend Livres er binnen drei Jahren an Maitressen vergeudet hatte, erlangte es durch einen Fußfall in Versailles, daß der Abbé Grosier das Journal des Verstorbenen im Interesse der hinterbleibenden Minorennen fortführen durfte. Allein weder dieser noch der Abbé Royau, der Bruder der Wittwe, vermochten es am Leben zu erhalten.

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XXI.

Juristerei der Minnesinger.

Daß in den Liedern und Fabeln der Minnesinger Nahrung für den Geist eines Juristen gefunden wird, mögen folgende Pröbchen erweisen.

Zuerst aus dem Lehnrecht.

Man weiß, daß es von Alters her gebräuchlich gewesen, bei Reichslehnempfängnissen den dargereichten Degenknopf zu küssen; daß im Neapolitanischen die Vasallen bei ihrer Belehnung dem König die Daumen zu küssen pflegten (S. Peter Müller's Abhandlung vom heiligen Kuß); daß Damen cum osculo oris belehnt wurden. So verlieh Kaiser Ludwig der Baier seiner Gemahlin die Herrschaften Hennegau, Holland u. m. »mit dem Kuß seines Mundes und mit dem Reichsscepter« ( Osculo oris et sceptro imperiali adhibitis – – infeodavimus et investimus etc. S. Heumann, Comment. de re dipl. Imperatric. 304 §. 161).

In einem Liede des Königs Wenzel von Böheim findet sich ein solches Kußlehn:

                   

Er kuste ir roten munt ir klaren vvangen
Das vvar der minne leken.

Wie ist's aber mit den Liebesbelehnungen überhaupt zugegangen und welche Feierlichkeiten mußten dabei beobachtet werden?

Burkhardt von Hohenvels soll es beantworten.

Dieser galante junge Ritter macht sein Herz zu einem feudum oblatum. Er trägt's seiner Gebieterin auf, mit der Bitte, es ihm wieder zu Lehn zu verleihen: alles nach dem Brauche der damaligen Zeit, alles nach rechtlicher Ordnung:

                   

Ich vvil die vil guoten vlehen
Umb ein Ding das ich doch han
In gevvalt und in gevver
Daz si lihe mir ze lehen.

Oder nach unserer Mundart:

                   

Ich will die viel Gute flehen
Um ein Ding, das ich doch hab'
In Gewalt und in Besitz,
Daß sie's leihe mir zu Lehen.

Er, der Eigenthümer des Allodialgutes, zweifelt zum Voraus nicht daran, daß sein Lehnsauftrag von seiner Herrin werde angenommen werden, weil es ihr ja keinen Schaden bringen könne. Er überläßt es auch ihrer freien Verfügung, zu welcher Art von Lehn sie es ihm wieder verleihen wolle, z. B. zu einem Zinslehn. In diesem Falle gelobt er, daß er ihr sein Herz, mit Liebe statt des Zinses beladen, jederzeit darbringen werde. Ueberdies wolle er auch, wie es einem getreuen Vasallen eigne und gebühre, seiner Lehnsfrau Ehre eifrigst befördern und sie als Schönste und Beste allenthalben rühmen und preisen von Rechtswegen.

Hier der Antrag:

                   

Sine mag mirs nicht verzihen
Wird min red von ir vernomen
Wan es ist ir ane schaden
Will si mirs ze zinse lihen
So sol ir min herze komen
Mit libe vür zins geladen
Sprich urovve es ist der vville min
Kanstu mich mit vvorten gesten
Vür die schoensten und die besten
Lob ich dich das ist min recht dii ere is din.

Nur dies bedingt er sich noch dabei aus, daß seine Lehnsfrau ihm das Lehn nicht senden, d. i. durch schriftliche Urkunden und Briefe ihm übertragen möchte. Andere Vasallen pflegen sich das gerade umgekehrt als besondere Gnade auszubitten. Unser Ritter aber will es persönlich empfangen, meinend, dies würde ihnen Beiden wohl behagen.

Und nun frägt er die Pares Curiae um ein gemein Urtheil, wie er es anfangen und vollenden solle, daß Alles in rechtlicher Ordnung geschehe und er die Lehnshuld seiner Dominae directae erwerbe.

Er leistet ihr den Eid der Treue und verspricht ihr Mannrecht zu thun. Er faltet seine Hände vor ihr. Keinen Verzug, kein Lehnsindult will er. Auf der Stelle begehrt er es. Mit der Schleppe ihres Kleides, das er berührt, soll sie es ihm selbst verleihen.

                   

Doch entsolt du mirs nicht senden
Ich vvil selbe zuo dir dar
Da vvird es uns beiden sleht
Ratent vvie sol ichs vol enden
Daz ich in ir hulden var
Wil si ich tuon ir mannesrecht
Mine hende valde ich ir
Rouchet sis so sol ich gahen
Und soll es mit kusse emphahen
Mit ir geren sol sis selbe lihen mir.

Nicht eine einzige Feierlichkeit hat der im Lehnsrecht erfahrene Ritter vergessen, und sein Liedchen ist gewiß so viel werth, als mancher dickleibige Tractat über die Investiturmaterie. Es ist ein Enchiridion juris feudalis germanici. Kann man mehr verlangen?

Soviel vom Lehn. Will man ein gerichtliches Verfahren in Sachen des männlichen wider das weibliche Geschlecht vernehmen, so höre man den spruchreichen Walther von der Vogelweide:

                   

Die herren iehent man sul dan frovven
Wissen daz dii vvelt so ste
Si sehent niht froelich uf als e
Si vvellent alse nider schovven
Ich habe ouch di rede gehoeret
Si sprechent daz ir froeide stoeret
Si sin me danne halbe verzaget
Beidii libes und guotes
Nu man helfe in hohes muotes
Wer sol rihten hie ist geklaget.

Die Männer klagten nämlich gegen die Damen, daß sie nicht mehr so fröhlich, so munter aussähen denn ehemals. Sie schauten Niemand mehr recht in's Gesicht, sondern immer unter sich. Sie baten deshalb, man solle gegen das schöne Geschlecht eine ernste Weisung, allenfalls ein Strafbot ohne Clausel erkennen, und sie, die Männer, in ihren wohlhergebrachten Besitz, vel quasi von einem Paar schöner Augen angesehen zu werden, handhaben.

Die Frauen erhoben aber die exceptio peremtoria, daß die Männer kein Vergnügen mehr gewährten und ihren frühem hohen, fröhlichen Muth selbst unterdrückt hätten. Es käme nur auf eine gefälligere, muntere und vernünftige Aufführung der Mannen an, so würden auch sie sich sofort ändern.

Die Sache selbst blieb also unentschieden.

Zum Personenrecht gehört folgende Stelle aus den goldenen Sprüchen Reimar's von Zweter. Sie erläutert die im Mittelalter übliche Eintheilung der Personen in freie Herren, Dienstmannen, Ritter, Knechte und eigene Leute vortrefflich.

                   

Ein herre von geburte vri
Daz der ein dienest man ein ritter und ein kneht doch si
Darzuo ein eigen man vvie das geschehe des vvundert man noch vvib
Ein vri geburt nicht geirren kan
Ein herre der ensi doch vvol der eren dienest man
Ein rittere siner tat der milte ein kneht der zühte ein eigen lip
Ein herre der sus under snitten vvere
Der dühte mich ein hofcher vvunderere
Hie vri da dienestman dort eigen
Uf dies ein ritter uf das ein kneht
Were er zuo disen fünfen reht
Ein kunigin solt im ir houbet neigen.

Ich wage davon folgende wörtliche Uebersetzung:

                   

Ein Herr von Geburt frei,
Daß er Dienstmann, Ritter und Knecht doch sei,
Dazu ein eigen Mann: wie das geschehe,
Des wundert Mann und Weib.
Eine freie Geburt nicht hindern kann,
Daß ein Herr doch wohl sei der Ehre Dienstmann,
Ein Ritter seiner That, der Milde ein Knecht, der Zucht ein eigner Leib!
Ein Herr, der so geartet wäre,
Der dünkte mich ein hoher Ehren- und Wundermann.
Hier frei, da Dienstmann, dort eigen,
Darauf ein Ritter, alsdann ein Knecht:
Wär' er zu diesen Fünfen recht,
Eine Königin sollte ihm ihr Haupt neigen!

Will man etwas aus dem kanonischen Rechte, so vergleiche man die Träumereien des Schwabenspiegels über die zwei Schwerter Petri, das weltliche und geistliche, mit der betreffenden Stelle des eben gedachten Reimars, der diese Schwerter ganz anders austheilt.

Ueberhaupt sind die damaligen Minnesänger keine Anhänger der Päpste gewesen, aus leicht begreiflichen Ursachen. Ihre Herren und Meister und Zunftrichter, die schwäbischen Kaiser, hatten von den Päpsten allzuviel Ungemach erlitten. Das zur Probe aus den Minnesängern. Auch in den bekannten Fabeln dieser Dichter trifft man hie und da Spuren von Juristerei an.

Die Materie von offenen Häusern, Gewährschaften, Eiden, Pfandschaften, von Mord, Raub und Brand; von der Ministerialität, der Vogtei- und Schirmgerechtigkeit; von Ritterspornen und goldnen Schellen; von Austrägen und der Genossenschaft; von der Verjährung, vom Kampfrechte, vom Geleite, von Controversen und Seeldingen; von der im Mittelalter so ungemein beliebt gewesenen Schwarz- oder vielmehr Todtenkunst u. s. w. kann durch gar viele Stellen erläutert werden, welche ich mir aber hier erspare, weil ich nicht gesonnen bin, eine förmliche Minnejurisprudenz zu schreiben.

———————

XXII.

Ueber Virgil's »Silen«.

Unter den reizenden Dichtereien des Alterthums hat Virgil's sechste Ekloge, Silen, in meinen Augen immer einen vorzüglichen Werth gehabt. Ich stelle mir den alten Silen vor, wie er in einer von Weinstöcken umschatteten Grotte ruht und ein glücklicher Traum des Schläfers Stirn zu umgaukeln scheint.

Eine Nymphe, Aegle, der Najaden Schönste, und zwei Satyrknaben belauschen seinen Schlummer. Aus Kränzen flechten sie Fesseln für ihn, und mit dem Safte rother Beeren färben sie des schon halberwachten Schläfe. So gestalten sie ihn, nach der ältesten Sitte die Götterbildnisse mit Zinnober zu röthen, dem Ideal der Feldgötter ähnlich.

Verlegen wir diese Scene auf die Insel Kreta oder in's thessalische Tempe, oder in das dem Hirten- und Landleben so günstige Sicilien; verlegen wir es wohin wir wollen, nur nicht in den unsanften, jede Illusion vernichtenden Erdstrich, den wir bewohnen.

Lange hatte der alte Silen den Knaben Gesang verheißen; lange hatte er ihre Hoffnung getäuscht; nun aber will er singen, wenn sie ihn der Fesseln entledigen.

Er singt.

Wunderbar, aber in jenen Zeiten der Mirakel, der Heroen, der Conversation der Götter und Halbgötter mit den Sterblichen nicht ungewöhnlich war die Wirkung des Gesanges. Muthwillige Faunen, welche die Büsche dem Vergnügen der Nymphen so zuträglich und ihrer Tugend so gefährlich machten, mischten sich in die Reihentänze wilder Thiere. Selbst die starren Eichen schüttelten ihre hohen Wipfel.

Silen sang den Streit der Elemente und wie die Samen der Dinge im großen Leeren zusammenrannen. Er malte das Chaos, den Aeltesten der Götter, nach Hesiod's Bezeichnung. Die Härtung des bisher schlammigen Bodens, die Eingrenzung des Meeres in bestimmte Ufer: Alles gehörte zum Thema seines Sanges.

»Nun staunte die Erde das Licht der uralten Sonne an, das durch die Dünste der feuchten und dicken Atmosphäre noch nie so rein und glänzend hindurch geschimmert. Wälder sah man aus dem lebensschwangern Schoße der Allgebärerin aufsteigen. Noch nie gesehene Thiere irrten in den ihnen unbekannten Gebirgen umher. Aus den Steinen der Pyrrha wurden Menschen. Saturn regierte.«

So sang sich Silen durch die Mythologie hindurch. Der Raub des Prometheus, die Leiden Pasiphae's, welche in einen jungen Ochsen verliebt war –

ah! virgo infelix, quae te dementia cepit!

das Schicksal der Schwestern Phaeton's, die mit einer mosigen Rinde umgeben und in Erlenbäume verwandelt wurden. Das Alles berührte der singende Halbgott.

                   

Aux sublimes accens de l'immortel Siléne
Les vents au loin chassés ne troubloient point la plaine;
Les ruiseaux s'arrêtoient et n'osoient s'agiter,
Les Echos admiroient et n'osoient répéter.
Les Nymphes, les Silvains, formant d'aimables danses,
Suivoient d'un pas leger ces brillantes cadences.
Le rivage d'Amphrise et les bois d'Helicon
Furent souvent charmês par le chant d'Apollon.
Le sombre roi du Stix, aux tendres airs propice,
Fut touché des accords de l'époux d'Euridice.
Mais la voix du vieillard, cher au dieu des raisins,
Charma bien plus encor les rivages voisins.

Gresset .

Oh! wer ruhte nicht gern von den Sorgen und Arbeiten dieses faden Lebens in jenen bezaubernden Gegenden aus, deren Bild noch aus den unsterblichen Werken der glückseligen Alten uns entgegen lächelt!

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XXIII.

Ueber Cato's » de re rustica«.

Es ist doch wol ein sonderbares Buch, das Werkchen des Cato von der Landwirthschaft. Ich bin dem biedern, ehrlichen und etwas geizigen Alten herzlich gut. Bisweilen aber muß ich über ihn recht lachen.

Daß er kein System schrieb, ist ihm zu verzeihen. Er konnte es ebensowenig als Vater Hesiod, der uns auch eine kleine Anzahl guter Haushaltungs- und Bauernregeln hinterlassen hat. Aber an Ordnung und schicklicher Zusammenstellung fehlt es in der Schrift unseres ältesten römischen Autors von der Oekonomie gar sehr.

Nachdem er urintreibenden und den Nieren heilsamen Wein machen gelehrt hat, ruft er plötzlich aus: »Die Hunde müssen am Tage eingesperrt werden, damit sie des Nachts desto munterer und wachsamer sind.« Und nachdem er den Hundejungen diese Instruction ertheilt hat, fährt er sogleich fort von Bereitung des Myrthenweins und der Arznei gegen Würmer Unterricht zu geben.

Gott bewahre unsern Gaumen vor den Kuchen, welche er aus Käse und Honig backen lehrt! Uebrigens ist er ein sehr frommer Mann. Man sieht es aber deutlich, daß seine Religiosität sich auf Eigennutz gründete, wie es gewöhnlich der Fall ist. Wenn er zum Beispiel vorschreibt, daß man das Gesinde nicht hungern und frieren lassen soll, so floß diese Vorschrift nicht aus seiner Menschenliebe, sondern aus seinem Geiz. Er wollte die Sclaven gut gefüttert und gehalten wissen, weil sie alsdann mehr Kraft zur Arbeit hätten und überhaupt besser zu benutzen wären.

Daß ich nicht verleumde, nicht den Vorwurf auf mich ziehe, den man dem Tacitus gemacht hat, ich erklärt die Handlungen der Menschen gern aus den schlimmsten Beweggründen, so lasse ich jeden Billigdenkenden urtheilen, ob Cato der Gerechte nicht zeigt, daß er seine alten, steifgewordenen Knechte ungern zu Tode füttere: er giebt den filzigen Rath sie abzuschaffen oder an Altreiße ( veteramentarii) zu vermäkeln.

Cato ist der Sanct Habermann der Römer, wenn man ihn nach dem Reichthume seiner Opferregeln und Gebetformeln betrachtet. Das Erste was ihm zufolge ein Hausvater beim Aufstehen zu thun hat ist, sich vor dem Lar verbeugen. Man weiß, daß dies ein Hausgötze, der auf dem Feuerheerde zwischen dem Bratenwender und dem Kohltopfe seinen Altar hatte.

Darauf, ehe man im Lenz zu pflügen beginnt, muß man erst dem Jupiter dapalis räuchern. Damit die Ochsen frisch und gut bei Leibe bleiben, gelobe man dem Mars sylvanus auf jeden Kopf eine Hand voll Aehren, ein Stück Speck und eine Schale Wein. Es ist jedoch nicht nöthig dies Opfer aufzuschütten, wenn der Gott nur den guten Willen sieht, alsdann kann man es selbst genießen: thut gut gegen die bösen Nebel.

Ehe man sich zur Ernte anschickt opfert man ein Spanferkel dem Janus, Jupiter und der Ceres Matzkuchen. Cato will ausdrücklich, daß man dieser Dame auch etwas von den Kaldaunen vorsetzen soll. Das Fleisch muß geröstet, der geweihte Wein aber darüber gegossen werden.

Eigennutz und Selbstsucht erklären uns alle Phänomene seiner Frömmigkeit. Es war ihm so sehr an einer guten Ernte und am glücklichen Ausfall seiner Haushaltungsrechnungen gelegen, daß er es mit den Himmlischen, welche so viel dabei mitzureden haben, nicht verderben wollte.

Man darf voraussetzen, daß ein so wirthschaftlicher Mann, der gegen alle unnütze Ausgaben so sehr protestirte, weder Korn noch Weihrauch für ideale Wesen verschwendet haben würde, wenn er von Epikur's Philosophie gewesen wäre, nach welcher die Götter weder lieben noch hasten und wir von ihnen weder zu hoffen noch zu fürchten haben.

Beim Ausholzen heiliger Haine, ebenso wenn man graben will, sind nach der Theorie des alten Landwirths Sühnopfer nöthig.

Sein medicinisches System hat viel Sonderbares, ist aber doch wol nicht in allen Punkten verwerflich. Seine Apotheke war sehr traglich, und dabei befand er sich eben so wohl, als ob ein Decan der medicinischen Facultät über sie gewacht hätte. Fast Alles curirte er mit Kohl. »Kohl ist das beste aller Küchengewächse. Iß ihn roh oder gekocht, so befördert er die Verdauung. Auch treibt er Urin.« Verrenkungen heilte Cato bald durch Zauberworte, bald durch eine Arie, bald durch ein bloses Quiproquo. Zum Beispiel: »Singe im Dreivierteltakt: In Alio S. F. Motas Vata Daries Dardaries Astadaries Dissunapiter.« Ueberfallen uns die Hämorrhoiden oder die Würmer, so schlagen wir Cato's Büchelchen von der Landwirthschaft auf, und wir werden eine Formel darin finden. Diese spricht man insgeheim aus. Es ist wahr, sie hat keinen Sinn, aber findet man in den Formeln unserer Medicin oft mehr?

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XXIV.

Die vier Facultäten

zu Ende des 18. Jahrhunderts.

1. Die Theologie.

Am Ende des achtzehnten Jahrhunderts ist sie nimmer, was sie im Anfange desselben gewesen. Ihre Priester tragen nicht mehr lange Mäntel, breite Halskragen und Knebelbärte, sie sind chaussirt, gehen in ihren eigenen Haaren und tragen Halbmäntel von Serge de Zephir. Sie streiten nicht mehr über schwere Thesen: sie disputiren über kleine Nichtse und nichtige Etwas.

In der That, die Theologen haben ihren wahren Standpunkt erkennen lernen. Sie spielen nicht mehr die Bigoten und Niemand ist mehr von der Gründlichkeit der modernen Philosophie überzeugt als sie. Aber sie kennen auch des Pöbels Leidenschaften. Diejenige Partei, welche die wenigsten Vorurtheile hat, je mehr sie solche affectirt, sind sie.

Weise genug, um den Fortschritt der Begriffe nicht wahrzunehmen, und zu empfinden, daß sie immer schwächer wird gegen den Strom zu schwimmen, zieht die Theologie die Segel ein, so viel ihr der äußere Wohlstand erlaubt, und schwimmt in aller Stille mit. Bemüht euch nicht mehr, ihr Freigeister, ihre Lehrsätze anzufallen; sie wird zu fein euch zu antworten. Wenn sie ihren Anhängern noch den kleinen Krieg gestattet, so geschieht es blos um das Ritual zu beobachten. Die Plackereien überläßt sie jetzt den Klopffechtern ihres Corps': sie selbst schweigt.

Von der Notwendigkeit überzeugt sich bei den Souverainen beliebt zu machen, verlassen die Theologen ihren Schlendrian und mischen sich in das Staatsleben. Sie schreiben über Alles, über die Künste, den Gewerbfleiß, über Patriotismus und öffentliche Sitten. So sehr sie auch vom Katheder, in Hirtenbriefen und Consistorialdecreten den Eiferer spielt, so ist doch Niemand, der ihre Miliz mehr verachtet und den Umschwung der Meinungen klarer einsieht, als die Theologie selber. Nie wird man sie wieder an der Spitze von Dragonern sehen, noch um Verhaftsbriefe gegen die Ketzer bitten hören.

Sie weiß, daß ihre eigentlichen Feinde nicht die Gegner der Offenbarung sind, sondern am Ruder der Regierungen, in den Kammern, in öffentlichen Aemtern sitzen. Mit einem Worte, die Theologie ist auf dem Punkt angelangt zu bekennen, daß es sich nicht mehr um die Erhaltung der Religion handelt, sondern vielmehr um ihre eigene Existenz.

 

2. Die Medicin.

So nennt sie sich eigentlich nicht mehr, sondern Krankenlehre, Heilkunst, Arzneiwissenschaft. Ihre Koryphäen sehen nicht mehr einem Unkepunz ähnlich, sie sind Elegants. Sie besuchen ihre Kranken nicht mehr auf Mauleseln, sie fahren in vergoldeten Berlingots zu ihnen. Man schreckt mit ihrem Namen nicht mehr die ungezogenen Kinder, man meldet ihn den Damen am Nachttisch mit Ethusiasmus.

Wenn jetzt ein Arzt einem Patienten den Puls fühlt, so geschieht's in einem sammetnen Gewande, mit Fingern, an welchen Brillanten funkeln, in einer Krause von Brüssler Spitzen, die Wohlgerüche verbreitet, und er fühlt mit Grazie. Niemals ist man bei ihm krank, er findet nichts als Gesundheit. Er unterhält die Anwesenden mit den süßesten Worten, Jedermann bis zum Stubenmädchen ist von ihm bezaubert.

Weit entfernt, wie sein Großvater mit dem Kranken über die Befolgung seiner Verordnungen zu zanken, erzählt' er ihm Tagesneuigkeiten, singt ihm eine Arie aus der Oper vom gestrigen Abend vor, und wirft sich dann mit Anstand auf das Sopha nieder, um etwas aus der Apotheke zu verschreiben.

Seine Recepte bestehen nicht mehr aus einer Mischung von Guajak, Bezoar und Assa foetida, sie bestehen in Rosenessenz, Syrupus capillaris, oder höchstens einer geringen Dosis China. Niemals eröffnet er dem Kranken, daß er mit dem Tode ringe: bei ihm ist nichts als Besserung. Die unverschämtesten Lügner des Tages sind die Bülletins, welche ehemals nur bei den Großen üblich waren, nun aber auch bei Räthen, Schreibern und Mäklern eingeführt sind.

Von der These beruhigt, daß der Tod in die Reihe der unumgänglichen Wirkungen der Natur gehöre, vernimmt er den Bericht von dem widrigen Ausgange seiner Kur mit Gleichmüthigkeit. Warum auch nicht! Hat man jemals gehört, daß ihm deshalb von dem Todten oder dessen Erben der Prozeß gemacht worden wäre? Er reibt sich die Hände und mit einem Entrechat ist er am Bette eines andern Kranken.

Kurz, die Aerzte am Ende des achtzehnten Jahrhunderts scheinen ihr Gewerbe nur darum noch beizubehalten, weil es eins der bequemsten, der einträglichsten und annehmlichsten ist. Denn im Uebrigen hat sich die Heilkunst so verändert, daß sie sich selbst verleugnet.

Sie hat sich von den Menschen entfernt und zum Vieh begeben. Die veterinäre Arzneilehre, ein neues Studium, wird mit mehr Aufmerksamkeit und Erfolg cultivirt als die Medicin.

 

3. Die Juristerei.

Sie ist noch immer das, was sie von Alters her war, als: noch immer eine erklärte Feindin der gesunden Vernunft. Sie verabscheut die Philosophen, weil diese auf den Grund jeder Sache dringen, überall Licht haben wollen, alle Fragen so sehr als möglich zu vereinfachen suchen; vornehmlich aber, weil sie die Autorität verwerfen, mithin den ganzen Schwall der Meinungen alter Rechtsgelehrter dem Menschenverstande aufopfern.

Betrachtet einen Doctor der Rechte dieses Jahrhunderts! Es ist ein Wesen, das den Kopf mit einem unermeßlichen Mischmasch von Gesetzen, Glossen, Commentarien und Paragraphen angefüllt hat. Jeder wohlorganisirte Kopf würde davon zerplatzen. Aber der Kopf eines Rechtsgelehrten faßt den ungeheuren Wust unter dem Namen des Codex, der Digesten, der Consilien, der Kanons, und wie der ganze Plunder veralteter Jahrhunderte sich nennt, der der Lehrbegriff der heutigen Jurisprudenz ist, ohne alle Gefahr.

Die Rechtskünstler theilen sich in zwei Stämme, in Advocaten und Richter.

Ersterer ist ein Mensch, den die Menge seiner Kenntnisse zum wahren Zweifler über den Geist der Gesetze gemacht hat; gleichwol übernimmt er jede Sache. Er findet eine Menge Schwierigkeiten in eurem Anliegen, er stockt, er sinnt nach, schwankt: nichtsdestoweniger ist er bereit euch zu dienen. Er trägt eure Sache vor. Vergebens antwortet ihm euer Gegner mit eben so einfachen als einleuchtenden Gründen. Eine Flut verworrener Phrasen ergießt sich aus dem Munde eures Advocaten und betäubt die Einwürfe des letztern.

Niemals hat ein Advocat darauf gesonnen, einem Aufsatz allgemeines Interesse zu erwecken; er begnügt sich, den unbeholfensten und abgeschmacktesten Stil von der Welt zu führen, und in diesem Stile auf weißes Papier eine Anzahl Wörter zu häufen, die sich mit einem Räthsel aus dem Cujaz, Mävius oder Carpzov endigen.

Dieses Räthsel nimmt der Richter als ein Sentiment hin.

Seht, euer Prozeß, der von heute herrührt, wird von einem Menschen entschieden, der im dreizehnten Jahrhundert lebte.

 

4. Die Philosophie.

Vorbei ist die Periode der Schulfüchse, der Ergotisten, der Pedanten: beinahe ist sie vorbei. Diese Race ist glücklich ausgerottet. Nur ein kleiner Charlatanismus tüncht noch die Philosophen dieses Jahrhunderts, jene Dosis, welche von der Natur der Schriften unzertrennlich ist.

Wahr ist es freilich, mit den Springfedern, welche uns die Socrates, Bacon, Newton, die Lambert hinterlassen, sollte das Jahrhundert viel weiter sein als es wirklich ist. Mit solchen Mustern, nach solchen Vorgängern sollte das System der menschlichen Weisheit, dünkt mich, im Gipfelpunkte stehen.

Aber ist es nicht genug eingesehen zu haben, daß unser bisheriges Wissen gleich nichts war? Diesem glücklichen Leitsatze sind wir den Umschwung der Geister schuldig. An die Stelle der Systeme sind Memoiren getreten; an die Stelle der akademischen Sprache – die Persiflage; an die Stelle der Thesen – Paradoxa; an die Stelle der Syllogismen – Epigramme; an die Stelle der Perüken – englische Rundhüte.

Eh bien! Die Philosophie hat ihren steifen lateinischen Rock ausgezogen, sie kleidet sich französisch, deutsch, in allen Nationaltrachten. Sie hat ihre griesgrämige Miene geglättet, sie familiarisirt sich mit der Poesie, der Kunst, sie setzt sich an den Spieltisch, herrscht im Concert, auf dem Ball, im Volksgarten.

Aus dieser Buhlerei sind dann fünf eheliche Kinder und ein Bastard entstanden: Die politische Oekonomie, welche den Alten ganz und gar unbekannt war und eine Originalerfindung des achtzehnten Jahrhunderts ist; die Experimentalphysik; die Chemie; die Naturkunde, welche zum guten Tone des Tages gehört, und die allgemeine Menschengeschichte, welche eines Tages eine besondere Facultät werden wird. Was den Bastard betrifft, so kennt man ihn am Namen seiner Mutter. Es ist jene Philosophie, welche Religion geworden.

Diese Familie ist nunmehr die herrschende. Sie hat sich an die Tafel gesetzt, woran sie das Erbe der Metaphysik, der Ontologie, der Dialektik, der Magie und Adeptie verspeist, und statt der Doctoren von Marquis', Vicomtes, Lords, Schauspielern, Candidaten, Abbés und Genies, bedient wird.

                   

O quanta Inanitas hominum!
    o quantum in rebus
Inane! – – – –

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