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Vorwort.

 

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Bei der Bearbeitung des vorliegenden Buches bin ich erstlich durch eine Anzahl eigenhändiger Briefe an und von Wekhrlin nebst andern Papieren desselben, literarischen Inhalts, begünstigt worden. Wichtiger aber war die Erlangung des ziemlich vollständigen Handexemplars seiner periodischen Schriften, ohne welches die Vornahme einer Auswahl derselben sehr unzuverlässig hätte ausfallen müssen. Denn während unser Autor in den sogenannten »Chronologen« und besonders im »Grauen Ungeheuer« die eigenen und fremden Beiträge kennzeichnete, hat er dies in den »Hyperboreischen Briefen« und »Paragraphen« gänzlich unterlassen, so daß selbst die mühsamsten Untersuchungen nicht zu völlig zweifelloser und erschöpfender Scheidung geführt haben würden, zumal gewisse seiner Stileigenthümlichkeiten in den beiden letztgenannten Veröffentlichungen höchst selten zu Tage treten. Und so ist es jedenfalls auch zu erklären, daß das von Johannes von Müller zuerst geäußerte Verlangen nach einer kritischen Auswahl seiner Werke zwar fort und fort von Andern wiederholt, indeß von Niemand befriedigt worden ist. Es ist vielleicht nicht ganz überflüssig zu bemerken, daß Karl Julius Weber im Jahre 1822 unter dem Namen »Wekhrlin der Jüngere« ein Büchelchen mit dem Titel »Wekhrlins Geist« veröffentlichte. Bald nach seinem Erscheinen von mehreren Seiten her derb gezüchtigt ist es in der That eine der allerelendesten und schamlosesten Sudeleien, welche sich jemals auf den Markt gewagt haben. Denn was Wekhrlin's Leben betrifft, so bekam man hierin nichts als eine Wiederkäuung dessen, was in den betreffenden Artikeln bei Schlichtegroll, Baur, Jördens und Andern vor ihm enthalten; und was W's Geist genannt ward, bestand nicht etwa in einer kritischen Auswahl der Schriften desselben, sondern in einer kleinen Sammlung bunt durcheinander gewürfelter, zusammenhangsloser und obenein willkürlich zugestutzter Bruchstücke, deren Werthlosigkeit sich dadurch vollendete, daß Weber nicht den mindesten Anhalt zur Unterscheidung dessen besaß, was aus Wekhrlin's, was aus seiner Mitarbeiter Feder hervorgegangen. Ja, er trug kein Bedenken, selbst aus solchen Abschnitten Fetzen herauszuschneiden, welche nicht blos augenscheinlich, sondern auch ausdrücklich als fremden Ursprungs bezeichnet sind. Mit Recht ist daher diese Mache vom großen Publikum vergessen und von allen Literarhistorikern ignorirt worden. In seinem Handexemplare dagegen hat Wekhrlin jeden eigenen Aufsatz am Schlusse durch die Randbemerkung: »Mein« von den ihm zugesandten unterschieden. Doch verfuhr er selbst hier noch mit so großer Discretion, daß er jedwede Angabe der Urheberschaft fremder Beiträge mied; und es würde ohne die mir zur Einsicht verstatteten Briefe und anderweitigen handschriftlichen Vermerkungen unmöglich gewesen sein, so viele Anonymitäten zu lüften, wie im Folgenden geschehen. Nun aber stellte sich auch heraus, daß einige wenige Artikel, die als Beiträge Ungenannter figuriren, Wekhrlin's Autorschaft zufallen: ein sicher unabsichtliches Irreleiten seiner Leser, das nicht ihm, sondern der immensen Schluderei der typographischen Herstellung angerechnet werden muß. Diese wird völlig ersichtlich, wenn man die Menge der vom Herausgeber nachträglich aufgestochenen Druckfehler überblickt. Nicht als Irreleitung, sondern als leicht merkbarer Scherz ist es ferner aufzufassen, daß er sich als Autor des »Jesuitenspiegels« einen Leser der »Chronologen« nannte.

Das für uns Wesentlichste des Handexemplars aber waren die vielen Umarbeitungen: Verbesserungen, Kürzungen und Zusätze, denen Wekhrlin seine Artikel darin unterworfen. Er selber wollte auf Anregung der Felseckerschen Buchhandlung in Nürnberg gelegentlich eine Auslese seiner Arbeiten veranstalten; und ersehen wir nicht, was er dazu bestimmt haben würde, was überdies nach Ablauf von sieben Jahrzehnten nicht mehr maßgebend sein könnte, so erfahren wir doch, welche Aenderungen dabei benutzt werden sollten. Und wenn vornehmlich auf die Chronologen Herder's Wunsch über die Moserschen Schriften Anwendung finden konnte, daß ein Anderer ihre vortrefflichen Gedanken in eine schöne Form bringen möchte, so überhob er selbst uns einer Mühe, deren Resultate ewig mißlich bleiben, weil sich über die zur Integrität des Verfassers nothwendige Grenze immer rechten läßt. Fehlten uns einige Hefte der hyperboreischen Briefe und einige Bogen der Paragraphen, so war es bei dem gegebenen Anhalte durch die übrigen sorgfältigen Vergleiche, dessen ich mich rühmen darf, doch nicht mehr ungewiß, welche Abschnitte darin Wekhrlinschen Ursprungs und welche Feile daran zu legen. Alle seine Aenderungen konnten freilich nicht als Besserungen begrüßt werden; die Stilistik forderte manche Nachhilfe zur Herstellung einer Einheit; die Orthographie accomodirte ich durchgängig der jetzt üblichen, denn die mehr oder weniger verwilderte Schreibung des 16. bis 18. Jahrhunderts ist aus so unzähligen Druckwerken bekannt, daß jede Getreuheit in diesem Punkte als Pedanterie erscheint. Ebenso bedurften die ursprünglich als Briefe publicirten Stücke ihrer gegenwärtigen Formumbildung, und für einige Piecen wählte ich andere, hoffentlich entsprechendere Überschriften. So kündigte Wekhrlin Nr. XI mit dem nichtssagenden: »Aus Paris« an, weil er sich dort gerade aufhielt; Nr. XVII heißt bei ihm: »Nichts als Voltaire;« XXXIX: »Mein Urtheil davon;« Nr. XLIII: »Kantism;« Nr. LV: »Nicht Metaphysik und doch was Sublimes« u. dgl. m. Nr. LXXXIX ist für Anekdoten ohne Ueberschriften von uns angenommen worden.

Wekhrlin's Werke umfassen beinahe 900 Bogen. Die Schmächtigkeit unserer Auswahl könnte daher befremden. Allein es muß das Antheil der Mitarbeiter in Anrechnung kommen und in Anschlag gebracht werden, daß die meisten Artikel sich auf Fragen, Vorgänge und Begebenheiten des Tages und Zustände der Zeit beziehen, woran die Gegenwart entweder gar kein oder nur sehr unerhebliches Interesse hat, und lediglich das Interesse der Gegenwart durfte unser Kriterion sein. Allerdings enthalten sie fast ohne Ausnahme sehr lehrreiche Gedanken; doch die Abneigung unserer Tage vor der Lectüre abgezogener Sentenzen, gerechtfertigt durch unverantwortliche Heimsuchung mit solchen, rieth mir eine Sammlung derselben ab. Ich erachtete die Verwendung der wesentlichsten als Material zur Charakteristik ihres Urhebers für zweckmäßiger, und so ergänzt der erste Theil dieses Buchs den zweiten, wie dieser zur Vervollständigung des schriftstellerischen Charakters unseres Fragmentisten dient.

Neben dem Veralteten erscheint dann als unvermeidliche Folge der beispiellosen Schnelligkeit, mit welcher Wekhrlin arbeitete, manches schwache Product, das ebenfalls der Vergessenheit anheimfallen mußte. Möglich, daß Dieser oder Jener auch die Abhandlung »zur Dämonologie« als wenigstens theilweise veraltet abweisen möchte; allein was Wilhelm von Humboldt selbst von den Gebildetsten seiner Zeit behauptete, daß der Glaube an Geister unter ihnen weit verbreiteter wäre als man ahne, und man nur Scheu trage es laut zu bekennen, gilt noch in unsern Tagen: Erstaunliche Dinge, sogar aus Gelehrtenkreisen, könnten darüber berichtet werden. Und beschwert man nicht noch jetzt die Literatur mit wissenschaftlichen Versuchen zur Begründung eines solchen Glaubens, die freilich höchst unwissenschaftlich sind? So wäre denn die Aufnahme jener Abhandlung durchweg zeitgemäß.

Verschiedenes der Werke unseres Rhaphodisten, wie er sich gern nannte, entzog sich ferner schon bei seinem Erscheinen dem allgemeinen Verständniß. So möchten wol nur Wenige errathen haben, daß – was wir aus seinen Notizen erfahren – der im 21. Stücke des I. Bandes der hyperboreischen Briefe erwähnte Sultan der Landgraf Ludwig IX. von Hessen und sein Vezir ein General von Schlieffen ist, wenn ich diesen Namen recht lese; daß zum andern »Memnon«, der Held des 15-17. Stückes im 4. Bande derselben Briefe der Freiherr von Moser sein soll, dessen Feinde in spöttischer Weise gründlich abgefertigt werden. Inzwischen gehen uns die Aufhellungen über die darin angezogenen Details ab.

Weiter däuchte mir wünschenswerth, Alles bei Seite zu lassen, was sich als blose Uebersetzung erwies. So ist z. B. die Charakteristik Friedrich Wilhelm I. von Preußen den » Souvenirs d'un citoyen« entnommen, und eine große Zahl der aus Linguet's Leben mitgetheilten Züge theils aus dessen Schriften, französischen und englischen Journalen entlehnt. Ich beschränkte mich daher auf diejenigen, welche Wekhrlin aus unmittelbarer Kenntniß wiedergeben konnte. Ueberhaupt ist die Menge des Uebersetzten bedeutend.

Endlich treffen wir unsern Autor auf manchen Wiederholungen. Beispielsweise wird die hier unter LXXXIX aufgenommene Anekdote über Frau von Cavanac an zwei verschiedenen Orten in kürzerer und längerer Fassung erzählt. Ich zog die erstere mit Einfügung einiger Zusätze der andern vor. Ebenso ist der Artikel »Voltaire« zweimal vorhanden. Ich wählte den kürzern, weil der längere nichts Beachtenswerthes enthält.

Gar keine Ausbeute aber gewähren der Gegenwart die Zeitungsanfänge: »Das Felleisen« und »Anspachsche Blätter«, und der 1796 zu Altona erschienene sogenannte »Nachlaß, herausgegeben von seinem Erben« ist schon damals als unächt befunden worden.

Dies schien mir die Rechenschaft zu sein, welche ich dem Leser hinsichtlich der Veranstaltung einer Schriftenauswahl vorherschuldete, die sich zweifelsohne als fesselnde Lectüre erweisen wird, wenn es mir auch nicht gelungen wäre, zur Beleuchtung eines der größten Culturförderer Deutschlands beigetragen zu haben, zur Würdigung eines Säemanns für zwei Jahrhunderte, den einige literarischen Todtengräber der Gegenwart im dunkeln Hintergrunde ihrer baufälligen Katakomben beizusetzen beliebten.

Friedrich W. Ebeling.

 


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