Weiß-Ferdl
Es wird besser
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Bei uns in München

So lang der alte Peter, der Petersturm noch steht,
So lang die grüne Isar durch d'Münchner Stadt noch geht,
So lang da drunt' am Platzl noch steht das Hofbräuhaus,
So lang stirbt die Gemütlichkeit beim Münchner niemals aus,
So lang stirbt die Gemütlichkeit beim Münchner niemals aus.

Wie Sie aus dem schönen Lied ersehen, ist bei uns in München die Gemütlichkeit daheim. In was die Gemütlichkeit besteht, das läßt sich mit Worten schlecht ausdrücken. Sie ist eben da! Wenn man viel über die Gemütlichkeit spricht – dann wird es schon ungemütlich. Unser Wahrzeichen, die Frauentürme unterscheiden sich schon von den Türmen anderer Städte. Die haben nichts Scharfes, Spitziges an sich, nein, sie sind oben so schön gemütlich abgerundet. Der richtige Münchner gleicht seinen Türmen, auch er hat nichts Scharfes, nichts Spitziges an sich. Er ist überall schön gemütlich abgerundet, vorn, hinten, oben. Dann unsere liebliche Sprache, so rund, so melodiös. Da klingt alles so nett, so verbindlich. Wenn der Münchner das bekannte Zitat aus »Götz von Berlichingen« gebraucht, so klingt das gar nicht verletzend, eher wie eine Schmeichelei.

Dem Fremden begegnet auf Schritt und Tritt die Münchner Gemütlichkeit. Wenn er einen Einheimischen um Auskunft frägt, sogleich wird ihm dieser in liebenswürdigster Form Auskunft geben. Frägt zum Beispiel 152 der Fremde: »Bitte, wo gibt es hier einen guten Tropfen Bier?« Da leuchten die Augen des guten Münchners auf und freundlich antwortet er: »Gehn S' nur glei mit mir, i mach a so grad Brotzeit!« Wenn aber der Fremde um so ausgefallene Sachen frägt wie »Gemäldegalerien«, »Museum« – dann kann es schon passieren, daß ihm der Einheimische wortlos den Rücken wendet. Nicht aus Unhöflichkeit – sondern weil er es selbst nicht weiß.

Wohl gibt es auch Fremde, die eine aufreizende Art des Fragens haben. Steht da kürzlich einer mit dem Stadtplan von München in der Neuhauserstraße, findet sich anscheinend nicht zurecht und fragt einen Münchner: »Hörn Se mal, wenn ick hier so langjehe, liecht dann hier vorne der Marienplatz?« »Ja«, brummt der Münchner, »der liegt aber aa vorn, wennst du net lang gehst, Hanswurscht eingebildeter!«

In einer Gaststätte, während der Fremdenzeit ist riesiger Betrieb. Die Kellnerinnen kommen kaum mehr durch, immer wieder hört man den Warnungsruf: »Aufgschaut! Soooß!« Alles ist hungrig und will rasch zu seinem Sach kommen. Die Kellnerin stellt einem ungeduldig winkenden Gast einen Teller Suppe hin. Dieser begehrt sofort auf: »Nu, was fällt Ihnen denn ein? Ich hab doch schon Suppe gehabt! Ich gann doch nich egal Suppe essen, ich will doch ooch een Fleischgang! Das is doch eene unerhörte Schlamperei hier in München, zweemal Suppe stellen Sie mir her!« Drauf die Kellnerin: »Jetzt regn S' Eahna nur net wegn der Suppn auf, bei uns geht alls drunter und drüber; aber Sie können noch zfriedn sein – da hint sitzt a Herr, 153 der hat schon dreimal hintereinander an Meerrettich; Sie, der zahnt!«

Unter sich erst sind die Münchner von einer rührenden Gemütlichkeit. Zwei Maurer, die ein bißchen zuviel Bier erwischt, kommen in Streit. Es kommt so weit, daß einer dem andern den Maßkrug auf den Schädl haut. Er trifft ihn so unglücklich, daß dieser ein Auge verliert. Zum Glück haben wir hier gute Kliniken, die haben ihn wieder zusammengeflickt, haben ihm ein schönes Glasaug eingesetzt; ein hellblaues, arisches, der brave Mann war gar nicht so unglücklich. Er bekam eine kleine Rente, brauchte nicht mehr so viel arbeiten und, was die Hauptsache war, das Bier schmeckte ihm genau so gut wie früher. Eines Abends kommt er in die Wirtschaft, in welcher damals die Sache passiert, und sein Arbeitskamerad, der ihm den Maßkrug hinaufhaute, saß auch drinn. Sein ehemaliger Gegner entschuldigte sich: »Grüaß di Gott, Xaverl. Herrschaft, das is damals saudumm nausgangen. Wer hätt denn so was denkt? Bsuffa war ma halt alle zwoa, sonst waar dös 154 net passiert. Geh, Xaverl, sitz di zu mir her, i zahl a paar Maß Bier; san ma wieder die alten Spezi wie früher?« »Meintwegn« sagt der Einäugige, »aber das sag i dir, wennst ma dös Aug aa no raushaust, nacha schau i di nimma o!«

Das ist doch wirklich gemütlich!

Noch so ein nettes Geschichterl. Am Marienplatz beim Fischbrunnen steht ein biederer Münchner Bürger, schaut auf das gegenüberliegende Hausdach hinauf und winkt immer mit der Hand. Im Nu stehen rechts und links von ihm Leute, die voll Neugierde erspähen wollen, was da vorgeht. Der gute Mann spricht kein Wort, er winkt nur immer. Im Zeitraum von fünf Minuten steht der halbe Marienplatz schwarz voll Menschen, alles blickt voll Interesse auf das Hausdach hinauf. Die Autos bleiben stecken, die Trambahnen kommen nicht mehr durch. Der Verkehrsschutzmann ärgert sich, er hat nichts mehr zu tun, geht auf den Münchner zu und fährt ihn an: »Machen Sie, daß Sie weiter kommen, das ist Verkehrsstörung, was habn S' denn da für eine Winkerei?« »Schaun S' amal selber nauf, Herr Wachtmeister, sehn S' dös Spatzerl da drobn auf der Dachrinne? Sehn S', wenn der dumme Kerl bloß a bisserl weiter links nüber ruckn taat, dann sitzat er in der Sonn!«

Wenn man aber den Münchner dumm anredet, kann er trotz seiner Gemütlichkeit auch hinausgeben. Ein alter Münchner, mit einer auffallend großen Nase, über und über mit Warzen bedeckt, auf der Seite kamen schon junge Nasen heraus – scheinbar hatte er eine sehr feuchte Wohnung – saß gemütlich bei seinem Bier und war mit 155 seinem Schicksal und seiner Nase zufrieden. Am Nebentisch saßen einige junge Herren, die machten sich über seine Nase lustig. Der frechste davon kam an seinen Tisch. »Verzeihen Sie, ich bin Mediziner, ich interessiere mich kolossal für Ihre Nase. Sagen Sie, wo haben Sie denn dieses Prachtexemplar von einer Nase her?« Der Nasenbesitzer musterte das junge Herrchen und sagte dann ruhig: »Wo ich die Nasn her hab, wolln Sie wissen? Ja, das kann ich ihnen schon sagen, junger Herr. Nehmen S' Platz, das dauert a bisserl länger. – Also, das war so. Seinerzeit als der liebe Herrgott die Nasen verteilt hat, bin ich ein bisserl zu spät kommen, ich war immer a bisserl langsam; wie ich hinkomm, waren nur mehr zwei Nasen da. Die Meinige und – die Ihrige. Selbstverständlich hätt ich sofort nach der Ihrigen gegriffen, aber der Herrgott sagte: »Nein, die läßt du liegen, das is a Rotznasn!«

Möge uns diese alte Gemütlichkeit, trotz dem Anwachsen des Verkehrs noch recht lange erhalten bleiben. 156

 

Der Münchner und seine U-Bahn

Der Münchner schimpft gerne, die Einheimischen nennen das »Masseln«. Es ist wohl eine Untugend, aber, lieber Himmel, Menschen ganz ohne Fehler sind langweilig.

Daß der Münchner trotzdem ein tiefes Innenleben hat, beweist die Tatsache, daß er mit rührender Liebe an den alten Sachen hängt. Wenn jetzt bei dem anwachsenden Verkehr ab und zu ein altes Haus weichen muß, so trifft das den alten Münchner schwer, wenn das Haus noch so abscheulich und unpraktisch war; es gibt einige Münchner, die behaupten: »Für mich war das Haus die schönste Jugenderinnerung, durch diese Straße geh ich nicht mehr, so lang ich leb!«

Obwohl also der Münchner gegen Neuerungen ziemlich mißtrauisch ist, die U-Bahn war ihm sofort sympathisch. So eine unterirdische Bahn gibt einer Stadt doch ein großzügiges Gepräge. Da wollen die Münchner nicht hintenbleiben.

In der Lindwurmstraße wurde angefangen. Man möchte nicht glauben, wie viel Menschen es in einer großen Stadt gibt, die Zeit haben, sich da stundenlang hinzustellen und den Arbeiten zuzuschauen.

Natürlich wird dabei auch gesprochen. Sehr gescheit wird da geredet.

»In München is natürlich ganz besonders schwer mit der Untergrundbahn!«

»Warum is da bsonders schwer?«

»Weil München viel höher liegt als Berlin, dadurch müssens viel weiter nunter!« 157

»Aha, so ist dös! Dadurch wirds wahrscheinlich auch teurer?«

»Selbstverständlich. Je tiefer sie hinunter müssen, um so höher die Unkosten!«

»Da werden die Gemeindeumlagen auch wieder auffi rumpeln!«

Alles nickt und macht besorgte Gesichter.

Dann fragt einer: »Wo kommt denn die viele Erdn hin?«

»Die wird verkauft! Mir habn ja eine ausgezeichnete Erdn!«

»Na solln sie sich nur guat zahln lassen für unser Erdn. Vielleicht schlagns soviel raus, was die U-Bahn kost, dann brauchens die Gemeindeumlagen nicht erhöhen!« 158

Alles nickt begeistert dem Sprecher zu. Die Gesichter werden wieder fröhlich.

Am meisten interessiert diese Untergrundbahn-Bummler der Dampframmer, von den Münchnern »Dampframmi« genannt. Wehe, wenn der einmal längere Zeit aussetzt, da geht gleich das Masseln an. Man will doch was sehen, wenn man sich schon herstellt.

»Was is denn los, warum arbat da Rammi net?«

»Habts koa Material?«

»Habts d'Maschin net gschmiert?«

»Wenn dös jetzt scho am Anfang net klappt, nacha glaub i's net, daß die U-Bahn amol firti wird!«

Setzt dann der Dampframmer mit Getöse ein, dann jammern sie:

»O mei, o mei, is dös a Spektakl, da werd ma ja ganz deppert!«

Trotzdem bleiben sie aber stehen. Es macht ihnen anscheinend Vergnügen »deppert« zu werden.

Während sie so stundenlang bei der Arbeit zuschauen, entstehen die U-Bahn-Märchen.

»Dö Leut, die wo da wohnen, die gehn alle drauf!«

»Im Krankenhaus haben sie schon eine eigene U-Bahn-Dampframmi-Station.«

»Ja, das glaub i! Dö arma Leut!«

»Da drübn soll eine Frau wohnen, die kriegt jedesmal Schreikrämpfe, wenn der Dampframmi anfangt!«

»O Gott, o Gott, o Gott!«

»Was erst in der chirurgischen Klinik alles passiert. Neulich wollte der Professor einem die Mandeln rausschneidn. In dem Moment, wie der Professor das Messer 159 ansetzen will, haut der Dampframmi nei, und statt die Mandeln hat er an Blinddarm erwischt!«

»Ja, und alles was geflickt und genäht ist, reißt immer wieder, wenn der Dampframmi ofangt. In der Zahnklinik kennen sie sich gar nicht mehr aus. Kaum habns a Einlag drinn, bumms, liegts scho wieder heraußn!«

»Es is höchste Zeit, daß die U-Bahn bald fertig wird!«

So reden die Münchner, wenn sie unter sich sind. Fremden gegenüber sprechen sie ganz anders.

»Unser München wird die schönste und modernste Stadt der ganzen Welt. Wir kriegen Prachtstraßen, eine schöner wie die andere, und unsere U-Bahn, die wir kriegn, eine solchene gibts ja nirgends wie unsa U-Bahn. Da is ja die Berliner U-Bahn a alter Huat gega dö unsa – wenns amal fertig ist!« 163



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