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Viertes Kapitel

Da es den Eingeborenen verboten war, Rinder und andere warmblütige Tiere zu schlachten, und sie sich selbst nur mit Frucht und Fisch ernährten, fand man kein Futter für das gefangene Tier, als einen eben verreckten Hund. Man zwängte ihn zwischen die Stäbe, den länglichen Kopf mit den weißen Zähnen voran. Sein Bauch, hoch aufgetrieben, füllte das kleine Gelaß mit grauenhaftem, kalt aufgeblasenem Fleisch und tödlich vergifteter Luft.

Trotz seines Hungers berührte das Tier nicht das Aas.

Eine Schüssel mit Wasser stellte man vor Nahar hin, doch fand sie nicht Platz in dem schon ausgefüllten Käfig; wohl glitt Nahars Zunge durch die Stäbe, aber an ihnen klebte noch altes Blut und Unrat von früheren Gästen. Viele Tiere hatten in dem Käfig gefangen gelebt, viele waren in ihm gefangen gestorben.

Nahar erreichte die silbern glimmernde Kühlung, in die Schaufel der Zunge faßte sie die herrlichste Labung. Aber in ihren gedörrten Schlund kam nur der Geschmack des alten Blutes, des gestorbenen Unrates.

So trank Nahar kein Wasser, sie aß keine Speise, hielt die Notdurft an sich. Sie lebte in Reinheit, Flanke an Flanke mit dem toten Hunde. Ihr Herz war vereist. Ihr Leben verrann in Ohnmacht, bis man das Aas entfernte.

Noch schwebte sie im Traum, Nahar, das Tier.

Blau spannte es sich vor ihr, das gleitende Gezelt. Der Strom flutete mild, eine Heimathöhle von Labung, die Kühlung war ohne Ende. Mit der Schaufel ihrer langen Zunge schöpfte sie sich Wasser in den Mund, gurgelte es in der kleinen Kehle, die sie unter dem weißen Flaus des Halsfelles zittern sah. Der Durst war gelöscht. Den runden Kopf schmiegte sie ins Wasser, die Augen schloß sie ohne Angst, tief in den grenzenlosen Strom tauchte die Grenzenlose das ruhende Haupt. In zeitlosem Ziehen rauschte an ihr Ohr die Welle. Sanftes Streicheln. Zwitschernder Flug. Finsternis, Ruhe. Dienend ihr zu Füßen der Strom.

Noch zwitscherten die Freudenmädchen, blinkend aus den engen Fenstern der Freudengasse, jenseits des Käfighauses, weit fort geweht vom eisenfarbenen schmalen Gelaß.

Die Welt war befreit. Das Aas aus der Nähe entfernt, an seiner Statt ein großes ehernes Becken mit klarem Wasser.

In einer Ecke hatte man ein Loch in den Käfigboden gebohrt, dort durfte sie ihren Unrat verscharren, auch mit den stumpfen Krallen konnte sie ein Loch graben, tief in die lockere Erde der Tenne.

Hin und her wandeln konnte sie nicht, das Gefängnis war sehr eng. Aber sie drehte sich, wandte sich langsam im Kreise, der Sonne zu. Das fahle Gelb des Fells blitzte in goldenen Stacheln. Im Schatten dunkelte das schwarze Haar, in breiten Ketten um ihren edlen Hals gewunden, wie mit grauer Asche leicht bestreut.

Meer und Berge und Wald, Himmel Azur, rot durchhauchte Blüte, tief dunkelnder Wald, grüner grenzenloser Schatten an einem Ende der Welt.

Freudengasse, lückenlos dicht von Menschen durchgaukelt, Pauken, Trompeten und Zymbeln, Fahnen, weiß und gelb gewimpelt, wehende Schleier über den nackt starrenden Mädchen im Rahmen der Fenster, am anderen Ende der Welt.

In der Mitte die Sonne, durch das Dach der Tenne herab in goldenem Strahl, auf dem Kopfe des gefangenen Tieres in flammender Säule gesammelt.

Schmerzen fühlte Nahar nicht. Sie schwebte zwischen den Tieren, wanderte inmitten der Kreise.

Schon schlotterte weit der Mantel des Felles über ihr entfleischtes Gebein, das nur am Hinterleib noch blühend geschwellt war. In großen Höhlen versunken ruhten die Augen, noch blühend und blitzend in unzerstörbarer Glut.

Damit Nahar nicht verende, damit sie ausharre bis zum Schauspiel, dem gefährlichen Zweikampf, gab man ihr neue Nahrung. Knochen von Kaninchen, die von einer verachteten Kaste fast ganz abgenagt waren, wurden aus schmutzigen Tüchern von oben über den Tiger geworfen. Aus schlüpfriger Holzmulde ließ man herabregnen kleine Fische in großer Zahl. Frisch blutete das Fleisch, in der Mitte zerschnitten. Mit süßem Wasser war es kühl getränkt. Aber so viel Nahar auch zubiß, wie hungrig sie mit hackendem Kopf nach den Fischleibern schnappte, um noch einmal den Wollustzauber der seligen Jagd zu empfinden, immer noch zuckte schlangenglatt das eisige Fleisch. Zwischen den würgenden Pranken sprang es wieder hervor, unerwürgt. Zwischen den malmenden Zähnen schnellte es fort, ungetötet, ein ewig laufender Bissen, ein ohnmächtiges Spiel dem verspotteten Königstier.

Nahar aber fühlte nicht Spott, nicht Hunger, Dürsten und Gefangensein.

 


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