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Drittes Kapitel

Abend. Der Himmel war starr niedergebreitet, die waldige Erde von schwarz rauschenden Wolken überströmt.

Nahar und das Brudertier, von Blindheit umgeben, verschränkten ineinander die winzigen Glieder, flochten ineinander die Ringe, die ihren Leib umspannten, goldflaumig und schwarz. Nahars Kopf hatte sich tief eingelagert in die warmen Flanken des Bruders, Nahars Kopf wurde gehoben und gesenkt mit den Atemschlägen des Bruders.

Kühler Regenwind öffnete das dichte Gezweig der Weide.

Durch das Tor schritt mit schwebendem Gang das Vatertier, Jagdbeute schleppte es nach, raschelte durch Traum und Schlaf.

In Dunkelheit erwachte Nahar, das Tier. Der salzige Geruch des frischen Fleisches weckte es mit bebender Freude, hoch horchte es hin nach dem Fallen der Blutstropfen, die niedertropften in das regengeschützte Versteck. Über ihre emporgewölbte kleine Stirn streifte ein zertrümmerter Knochen, Körnchen von blutigem, fettem Mark glitten über des Tieres Lefzen, die noch ins Leere saugten, und feuchte Luft erhaschten statt Speise.

Scharrend wie Stroh züngelte die Mutter über das tote Wild, mit den Zähnen faßte sie Fetzen, die sich schwer lösten vom krachenden Knochen.

Noch lagerte die Mutter in dem warmen Winkel der Geburt, noch träufelte das Blut der Eröffnung um ihren gewaltigen Hinterleib, als sie Nahar sacht emporhob in die Höhlung ihres gekrümmten Bauches. Sie war gesättigt. Die Kinder zu sättigen, erfaßte sie mit der aufgerollten Zunge eine ihrer starrenden Zitzen und drückte sie Nahar in den zahnlosen, mit hohen Kiefern schnappenden Mund.

Selig sog das Junge die heiß sprudelnde Süßigkeit, in schwarzem, warmem Frieden breitete es sich rings um den Euter, den breiten, runden Heimatherd, es atmete und trank in tiefen Augen, bewußtlos von Wonne wie ein Baum:

Neue Nahrung, Regen ohne Ende floß ihm zu.

Längst versunkener Mensch, längst begrabenes Grab.

Freudenvolle Wollust des Seins.

Der große Mond, weiß in der Mitte des Himmels, durchbrach das Regengewölk.

Matt schimmerte er durch Nahars Augenrund, das noch mit dünnem Gehäuse verschlossen war. Zart wallendes Licht.

Der Wind, sehr feucht vom Regen, begann zu fauchen, zu zittern in der Krone des Baumes, unter dem vier Tiere ruhten.

Aus der Fülle des Traumes, von dem Teppich ihres Bettes, von dem schützenden Dach, vom warmen Heimatherd sang Nahar eintönigen Gesang. Ohne Mühe entquoll es aus ihrer Brust, dehnte alles aus in ruhevollem Laut, in tief summendem Schwirren, hügelan gehoben mit der atmenden Brust, hügelab verseufzend in Stille.

Den Kopf hob Nahar fort von dem warmen Hügel der Mutterbrust. Sie fühlte sich leben, das selig umdunkelte Tier. Mit winziger Zunge leckte sie sich die eckige Schulter, das magere Gebein ihrer Achsel, das dünn behaarte.

Die Mutter regte sich, aus dem gewaltigen Schlund kam dröhnendes Gähnen. In den weitaufgerissenen Rachen der Mutter tappte Nahar ihre ersten Schritte: sie klammerte sich an das Gesicht der Alten, verbarg sich ganz in der Grotte des Maules, frierend in der Nacht. Aber schon glitt sie hinab, den Quellen der Brüste nach.

In großer Beseligung preßte sie sich in das Gewühl des strotzenden Fleisches, sie lagerte sich der milchtropfenden gesegneten Nähe: gesättigt, genährt an freudevollen Düften, sich selbst nahe, alle Glieder näher an sich heran schlingend, in stillstarker Umarmung schlummerte sie ein.

Wehender Monsun der ozeanischen Gestade. Der Mond war grau umhüllt. Graues Schimmern durch Nahars Augenlider.

Groß öffneten sich die Mutteraugen. Grünes Funkeln, grüner Blitz in graues Gewölk. So wanderten die Augen um den Schlaf der Jungen. Schützende Gestirne.

Regen rauschte von neuem, umstreichelte die engverschlungenen Zweige des Baumes. Das Vatertier schritt draußen im Regen, leise zwischen kriechendem Gebüsch. Der Vater zerriß die seilartig gestrafften Schlingpflanzen, sein mächtiges Haupt, aufspürend den Waldgang der jagdbaren Tiere, folgte nicht der lockenden Spur. Um das Lager des Weibes und der schlafenden Jungen wanderte er, in niedrig federnden langen Schritten, immer den gleichen Weg, ein treuer Wächter, der niemals entschläft.

Auch die Mutter schlief nicht: hingelehnt auf dem Abhang ihres Leibes, alle Glieder gelöst, ruhte ihre Brut. Ruhig war sie selbst, nur ihr Schweif schlug nervig die Steine des Gebärlagers, die von dem dunstigen Hauch der vereinigten Tiere sanft erwärmt waren. Er erschütterte die letzten Ausläufer der Zweige des schützenden Heimatbaumes:

bebend erschüttert, weinte der Baum warme Tränen nieder auf die paradiesischen Tiere.

 


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