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Zweites Kapitel

Jetzt rauschte es ungeheuer durch die Luft: schon warf es sich nieder und zerkrachte das splitternde Gesträuch. In rasend funkelndem Raketenlicht glühte der große rettende Gott, die Mutter.

Noch federte der riesige Pfeil ihres Leibes vom Sprung.

Die Mutter kniete vor Nahar.

Mächtig kreiste ihr gesegnetes Haupt über dem Kinde. Ein Himmel schwarz und fahl gestreift. Es blitzte aus Urgrundtiefe. Die Tieraugen, die runden Sterne wandelten über ihr. Die Mutter lebte. Sie erkannte ihr Kind. Unzerstörbar leuchtete sie ihm in ihrer Herrlichkeit.

Vereinigung Tier an Tier. Flanke an Flanke geschmiegt, ein Baum in zwei Äste gegliedert.

Mitten im Toben, im weißen Dampfgewölk, im niedrig sausenden Raketenprasseln, im Gewitter ohne Regen, in der atemlosen Flucht: die selige Zuflucht. Mitten in den Netzen, atmeten sie stumm aneinandergepreßt, zu gleicher Höhe getürmt. Die engen Netze durchbrachen sie nicht. Schweigend schritten die Tiger herab, zurück den Weg ihrer Flucht, Schritt für Schritt entgegen den unermüdlich stampfenden Elefantenherden.

Die Mutter öffnete den rotglosenden Rachen. Zunder fiel glimmend vom Himmel, beißender Dunst von Pulver durchwölkte den Hain.

Geblendet schloß Nahar die Augen. Sie verkroch sich in den Schatten der Mutter. Sie blieb hinter ihr, in der milden Finsternis schleppte sie ihren milchtriefenden Bauch.

Wild bäumte die Alte ihren schweren Hals. Sie bleckte die starrenden Zinken ihrer weißen Zähne, aus weitaufgerissenen Augen sprühte sie die heranjagende Meute an, mit immer rascherem Laufe stürmte sie ohne Schrecken mitten ins Gewühl. Groß wie die eisgrauen Berge der ruhenden Elefanten hob sie sich hoch in ihrer grellgetigerten Gestalt. Weit hinter ihr, demütigen Herzens, mit sanft ausatmender Brust zog Nahar dahin.

Braune Menschen schwangen geflammte Messer im Kreise, Mann an Mann, hochragende Gestalten, wehend mit schwarzen Bärten. Feucht und weit schimmerten ihre ernsten Augen neben den kleinen Lichtern der Elefanten, ihre blauen Messer krümmten sich in Bogen neben den gelben Hauern aus Elfenbein. Schwarz waren sie gepanzert, in Erz und Eisen geschmiedet.

Nahars Leib scharrte am Boden, die schwere Last der Kinder drückte sie nieder, preßte sie zur Erde. Ihr Rachen geschlossen. Ihre Kehle, die blutdürstige, besänftigt. Ihre Wollust beim Jagen ermüdet. Ihr Herz lag am Boden. Es trieb sie, noch demütiger zu kriechen, ein unmündiges Kind.

Nahar folgte nicht der kampfbrüllenden, krafttobenden Mutter. Im Schatten der Winkel blieb Nahar, Kind und Mutter in einer Vereinigung. Das Haupt wandte sie weg von der furchtbar verzauberten Welt, von den Reitern und ihrem Feuer. Sie schloß die Augen, hielt den Atem an.

Vor ihr aber, in hochklirrendem Jagdruf, stürmte die Mutter voran. Mitten in die Mauer der ehernen Männer brach sie ein, erfaßte einen Mann. Wirbelnd warf sie ihn umher um ihr ruhig kreisendes Haupt, das unbezwingliche.

Von den eisgrauen Elefanten herab spritzten Schüsse aus dicken schwarzen Gewehren auf das feuerfarbene Muttertier. Aus ihrer breiten, weiß beflaumten Brust riß es Stücke. Blut quoll, die schwarzen Bärte der ehernen Männer zu purpurnen Fahnen zu färben. Im Hechtsprung schnellte die Alte auf, rollte im Aufschrei gellend zusammen, den Kopf an die Pranken geklammert, eine feuerfarbene Kugel durchschwebte die raketenblitzende Luft.

Aber den Menschen befreite sie nicht.

Unsichtbar in ihrer Umarmung, von allen Seiten umgeben vom glühenden Tier, starb er heulend dahin, während die Mutter, wieder festgegründet auf ihren niedrigen Pranken, stumm ihr Blut verrauschte.

Nach dem Kinde hin wandelten langsam ihre Augen, es sanken die runden Sterne. Auf das untere Lid neigten sich die dichten Wimpern, wie von Weizenähren eine schüttere Garbe, geschnitten am Abend. Ohne Laut fiel die Mutter nieder. Unbewegt verging sie im Angesicht des Kindes. Feige Hunde mit lechzenden Zungen, mißtönig schreiend und kläffend, jagten wild an dem Leichnam empor. In dem Blute der Mutter mußten sie ihre Pfoten baden bis zu den dürren Knien, dann sprangen sie weiter, schnüffelten gierig am Boden. An einer Kette gehalten, stürzten sie rasselnd nach vorne, Nahar entgegen, die sich nicht rührte.

Es winkte ihr rettend ein Ausgang. Breit öffnete sich ihr eine Gasse zwischen den eisgrauen Bergen. Die Hunde, zurückgezerrt mit aller Gewalt, bellten zornig und bissen umher, aber Nahar schritt hindurch, die tragende Mutter flüchtete in die einzige Rettung.

Au Füßen der Elefanten schlich sie gebückt. In kreideweißem Licht sah sie die stumpfen Nagel der Riesentiere in geraden Reihen gegliedert. Unerschütterlich, eine Mauer Stein an Stein, ragten ohne Zittern ihre Knie.

Hold wehte der Urwald in tiefem Sausen hinter der Mauer.

Im Schweigen der Jagd tönte der Nachtvögel immer gleiches Geraune.

Nachtschwalben schwirrten niedrig über den Weg.

Ein niedriger Käfig, gezimmert aus eisenfarbenem Holz, stand am Ende der Gasse. Dorthin lief Nahar schnell, in den dunkelsten Winkel schmiegte sie ihren Kopf. Glücklich, zu leben. Selig, blind zu sein. Im Frieden, denn das Pochen der ungeborenen Brut tröstete sie.

Krachend erhob es sich mit ihr durch die aufrauschenden Zweige. Schweigend wurde sie davongetragen. Zum erstenmal durch fremde Kraft bewegt, starrte sie, flach liegend in dem niedrigen Gelasse nach dem Walde, dem regengrünen Tropenhain, dessen Stämme, von den Raketen weiß überflammt, immer tiefer hinter ihr versanken.

 


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