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13

»Tut mir leid, Freunderl«, sagte Hofrat Braun zu Gyldendal. »Das Radiumbromid ist vergeben; Ihr Kollege, Doktor Sänger, hat es. Es liegt uns natürlich viel daran, daß die Quellen in Joachimsthal verwertet werden; da haben die Mediziner das erste Wort. Aber wozu brauchen Sie es überhaupt? Radiumbromid ist heute für Geld zu haben; und Sie haben ja kolossale Gelder, soviel ich weiß. Denken Sie nur an Christoph, der sich in einem elenden Kammerl zehn Jahre lang geplagt hat und xmal um eine Dotation beim Ministerium eingekommen ist, weil er mit den dreihundert Gulden nichts anfangen konnte! Ja, ich lüge nicht, Christoph hatte jährlich dreihundert Gulden, und was für herrliche Arbeiten hat er damit geschaffen! Ihr, die junge Generation, habt es gut. Ihr Papa schreibt Ihnen einen Scheck, und Sie können sich mit den Röntgen- und Radiumstrahlen beschäftigen, soviel Sie wollen.«

»Er schreibt nichts mehr«, sagte Gyldendal lächelnd.

»Was? Hat er sich die Hand gebrochen?« fragte der Hofrat erstaunt.

»Nein, aber ich kann aus bestimmten Gründen nichts mehr von meiner Familie annehmen.«

»So, so. Das ist unangenehm. Das ist sehr peinlich. Wenn wir das gewußt hätten, so wäre Ihnen das Radiumsalz sicher geblieben; wir wissen ja, was von Ihnen zu erwarten ist, Gyldendal. Sie haben uns keine Schande gemacht. Das ist jetzt schlimm. Aber es gilt ja doch nur auf ein Jahr. Arbeiten Sie an etwas anderm, das weniger in die Zehntausende geht. Wissen Sie, was ein Milligramm Radiumbromid kostet?«

»Ich weiß«, sagte Gyldendal.

»Aber machen S' doch kein so verteppertes Gesicht«, sagte der Hofrat. »Die bewußte Professur kriegen Sie; ich werde Sie vorschlagen. Der alte Idiot dort arbeitet eh nichts mehr. Sie gehen erst als Extraordinarius dorthin, das andere werden wir schon richten ... Es hat mir nie jemand mehr leid getan als der arme Christoph mit seinen tausend genialen Ideen und den paar Kreuzern, die er sich überall hat zusammenbetteln müssen. Kennen Sie die Geschichte von der Druckbestimmung in Wassersäulen? Wir haben das mit einer ausrangierten Gasröhre in einem Zinshaus in Favoriten gemacht, die Polizei ist darauf gekommen, beinahe wären wir gestraft worden, weil wir vom löblichen Bauamt keinen Erlaubniszettel hatten. Aber das sind alte Geschichten. Ich werde ein Sammelreferat über diese Röntgengeschichten drüben am Universitätsplatz halten –, vielleicht in drei Wochen. Wenn Sie noch was hereinbringen wollen, schicken Sie es mir. Ihr Phänomen werden wir auch placieren. Gyldendalsches Phänomen, das klingt, was? Also, Sie sind zufrieden? Auf Wiedersehen, Freunderl!« Nie war der alte, sarkastische Braun so liebenswürdig gewesen wie heute. Erik sah seine Arbeiten, – das Dauernde, Beständige an seinen Ideen vor sich, dies Phänomen, das seinen Namen tragen sollte, und fühlte sich glücklich.

Helene war in die Sonnenfelsgasse gegangen. Der Hausmeister, der die Stiege kehrte, grüßte sie nicht. Sie lächelte. Edith war ausgegangen. Die Bedienerin räumte auf; die Wohnung war kühl und verlassen. Sie erschien ihr fremd und doch vertraut, wie jedes Zimmer, das man nach langer Zeit verläßt. Sie packte Kleider und Bücher ein und freute sich auf die Reise.

Dann ging sie zur Bank, mußte endlos warten, bis schließlich die Reihe an sie kam. Zwei Stück Mairente wurden verkauft. Als Helene die vielen Banknoten in ihr Handtäschchen stopfte und überall in den Räumen der Bank Goldstücke klirrten, Papiere knisterten und all die Leute auf dem mit Linoleum bezogenen Fußboden eilig und still daherliefen und flüsterten, wie in tiefem Respekt vor dem Geld, da fühlte auch sie die Macht, die aus diesen Werten strahlte. Aber schon eine Minute später, auf der Straße, die in der Junisonne grelle Lichter und tiefe Schatten hatte, – da war ihr einziger Gedanke der an Erik und der, womit sie ihm eine Freude machen könnte. Sie erinnerte sich, daß er sich einmal einen photographischen Handapparat gewünscht hatte. Sie trat in einen Laden ein und entschied sich trotz leiser Gewissensbisse für ein kleines Kunstwerk, das exakt gearbeitet war wie ein physikalischer Apparat, und dessen großes Voigtländer-Objektiv glänzte wie ein neugieriges Kinderauge. Sie mußte die zweite von den großen Banknoten wechseln. Dann fuhr sie mit der Elektrischen wieder auf die »Hohe Warte«, sammelte alle wichtigen Protokolle und die unentbehrlichsten Bücher.

Sie fühlte sich etwas müde, die Hitze war strahlend, klar und mitleidslos. Dann fuhr sie wieder in die Stadt zurück, kaufte für ihren Freund Gebrauchssachen, einen Strohhut und Seidenhemden bei Rattner, einem kleinen, vornehmen Geschäft auf dem Kohlmarkt, und freute sich darüber, daß sie für ihn denken durfte, daß sie ihm alle kleinen Sorgen abnehmen durfte und das mit ihm teilen, was ihr gehörte. So konnte sie ihm die Mutter, die warme, gebende, sanfte Hand der Mutter ersetzen.

Als sie mit diesen Einkäufen fertig war, schlug die Uhr der Michaelerkirche halb zwölf. Sie mußte nun einen Wagen nehmen, um zur rechten Zeit auf den Westbahnhof zu kommen. Erik wartete, ein wenig deprimiert über das, was ihm Hofrat Braun gesagt hatte, aber auch stolz. Er hatte in all seinen Adern Reisefieber, das er früher bei seinen Reisen nach London und Paris nicht gehabt hatte. Jetzt blieb ihnen gerade noch Zeit für das Mittagsmahl, und dann mußten er und Helene doch endlich besprechen, wohin sie fahren sollten.

Helene wußte von einem kleinen Ort im Gesäuse, Hieflau, dorthin wollte man fahren und von da aus sich weiter entscheiden.

Plötzlich erinnerte sie sich, daß sie ihre Schwester benachrichtigen mußte; auch der Brief an Doktor Sänger mußte geschrieben werden. Sie ließ sich Papier und Feder geben und schrieb draußen auf der Veranda des Westbahnhofrestaurants.

Erik fächelte sie – es war sehr heiß. Jeden Augenblick rollten Fiaker und Autos heran, mit großen, gelben Koffern beladen; die gehörten eleganten Leuten, die in die Bäder fuhren. Im Hintergrund hörte man das Dröhnen der Wagen, das Pfeifen der Lokomotiven, es lag ein Hauch von Romantik und Jugend über der Stunde, – jenes Fluidum, das man Ferien nennt und das eine Anweisung auf Glück ist.

»Meine liebe Edith«, schrieb sie, »ich wollte Dir heute vormittag adieu sagen, aber Du warst nicht zu Hause. Ich will auf ein paar Tage ins Gesäuse fahren. Adresse: Hieflau, Hotel ›Alte Post‹. Schick' mir bitte das Leinenkleid nach, sobald es geputzt ist. Die Wohnungsschlüssel hast Du ja, nicht wahr? Ich freue mich sehr auf die Reise.«

»Von mir schreibst du nichts?« neckte sie Erik.

»Oh, das Wichtigste kommt am Schluß. ›E. G. kommt mit. Helene.‹ Bist du zufrieden?« fragte sie.

»Jetzt den Brief an Doktor Sänger.«

»Doktor Egon Sänger, Wien IX, Grünetorgasse 11. ›Nein. Helene Blütner.‹«

Dann traten beide auf den Bahnsteig hinaus. Der Zug stand schon da, glänzend und elegant, weiße Tafeln an den Waggons. Ein Dienstmann schleppte ihre Sachen heran.

»Ist es dir recht«, fragte sie leise, »wenn wir 2. Klasse fahren; aber wir können die Karten noch umtauschen.«

»Was fallt dir ein, Heli, wie denkst du dir das?«

»Ja, ich weiß, du fährst sonst erster Klasse. Doktor Sänger hat es mir erzählt. Ihr habt so viel Geld, meinte er. Ihm imponiert das Geld, das fremde Leute haben.«

»Aber Liebling«, sagte er, »wenn du wüßtest, wie wenig Ansprüche ich habe! Sicherlich weniger als du, das sehe ich schon an den tausend Kofferln und Packerln, die du hast.« »Oh, das ist nicht zu viel«, meinte sie. »Ich habe einige Kleinigkeiten für dich besorgt, – und die sind dabei.« »Wie lieb du bist, Heli«, sagte er zärtlich und streichelte ihre Wange. Sie wurde rot. Sie war das junge Glück noch nicht gewöhnt. Sie wußte sich gut zu beherrschen, sonst hätte sie geweint.


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