Frank Wedekind
Oaha
Frank Wedekind

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Vierter Aufzug

Der Klubsessel ist entfernt. Dr. Kilian sitzt, die Pfeife rauchend, hinter dem vor dem Nebenzimmer stehenden Seitenschreibtisch. Neben ihm sitzt Herr v. Tichatscheck, eine Mappe unter dem Arm. Kuno Konrad Laube sitzt ihnen gegenüber hinter dem anderen Seitenschreibtisch. Sterner sitzt auf dem Drehstuhl am Mittelschreibtisch. Burry steht schlaff und ermüdet im Vordergrund. Er gähnt während des ganzen Auftritts.

Laube (erhebt sich und spricht zu Sterner gewandt): Mein lieber, innigstverehrter Herr Geschäftsinhaber! Herr Dr. Kilian, Herr v. Tichatscheck, der große Burry und meine eigene unsagbar bescheidene Wenigkeit konnten uns die Herzensfreude nicht versagen, Sie um Ihre Teilnahme an dieser Redaktionssitzung zu bitten, da wir Sie mit einer Freudenbotschaft überraschen können, wie Sie beseligender, berauschender noch keine in Ihrem Leben gehört haben.

Sterner (nach der Uhr sehend): Könnten Sie mir Ihre Freudenbotschaft nicht vielleicht etwas rascher mitteilen? Um zwölf Uhr muß ich im Automobilklub sein.

Laube: Wir möchten Sie vorher nur gern die freudige Erwartung gehörig auskosten lassen. – Leider kam der unermeßliche Segen, der aus unserem gemeinsamen Werk, dem »Till Eulenspiegel«, fließt, bis jetzt immer nur Ihnen allein zugute. Bevor wir Ihnen daher die beglückende Freudenbotschaft verraten, möchten wir Sie noch einmal fragen, ob Sie nicht doch vielleicht die Gehälter, die wir als die vier Hauptmitarbeiter des »Till Eulenspiegel« beziehen, um das Fünffache erhöhen könnten.

Sterner: Sie sind verrückt geworden! (Nimmt einen Notizblock und schreibt.) Sofort eine Notiz an die Zeitungen!

Dr. Kilian: Schau, mein Lieber, Bester, du hast nun doch schon ein so treuherziges Gemüt, warum tust du ihm nicht einfach die Zügel schießen lassen?

v. Tichatscheck: Da Sie sich demnächst in den Grafenstand erheben lassen werden, würde für mich, Ihren zukünftigen Standesgenossen, eine ritterliche Denkungsart gegenüber Ihren tapferen Kampfgefährten eine ganz besondere, rein persönliche Genugtuung bedeuten.

Burry (gähnend): Ich drückte mich sicherlich in noch geschwolleneren Redeverstauchungen aus, wenn ich nicht zum Hinschlagen müde wäre.

Laube: Werden Sie sich denn nicht endlich einmal auf Ihr menschenähnlicheres Antlitz setzen?

Burry: Ausgeschlossen!

v. Tichatscheck: Ihr zielloses Hin- und Herwackeln verkorkst uns noch unsere ganze Palastrevolution.

Burry: Schon seit vierzehn Tagen setze ich mich nicht mehr.

Dr. Kilian: Dann tun Sie sich in des Dreiteufels Namen in irgendeinen Winkel kuschen.

Burry: Ausgeschlossen.

v. Tichatscheck: Wenn es Ihnen körperlich eine Genugtuung bereitet, lieber Burry, dann lassen wir für Sie doch ganz einfach unsere türkische Redaktions-Ottomane mit den indischen Wonneklößen hier hereinschaffen.

Burry: Schon seit vierzehn Tagen lege ich mich nicht mehr.

Sterner: Ich will Ihnen was sagen, lieber Laube. Teilen Sie mir zuerst Ihre überraschende Freudenbotschaft mit. Nachher sage ich Ihnen, um wieviel ich Ihre Gehälter erhöhen will.

Laube: Also die Freudenbotschaft. Die satirische Zeitschrift, deren vier Hauptmitarbeiter Sie hier versammelt sehen, befindet sich von heute an nicht mehr in Ihrem Besitz. Der »Till Eulenspiegel« erscheint von heute an unter dem Titel »Oaha«, dem Namen unseres unbezahlbaren schweizerischen Witzboldes, in einem anderen Verlag, und zwar als ausschließliches Eigentum der vier Hauptmitarbeiter, der Herren Dr. Kilian, Freiherr v. Tichatscheck, des großen Burry und meiner eigenen unsagbar bescheidenen Wenigkeit.

Sterner: Nichts anderes als blutige Köpfe trägt Ihnen das ein! Ich besitze Ihre lebenslänglichen Kontrakte!

Laube: Unsere Kontrakte, mein verehrter Herr Oberbefehlshaber, verwenden Sie am besten zu wirtschaftlichen Zwecken. Prozessieren dürfen Sie natürlich. Aber das satirische Blatt, das unsere Arbeiten enthält, gehört von heute an nicht mehr Ihnen, sondern uns.

Sterner: Das kommt alles nur daher, daß Sie den Ertrag des »Till Eulenspiegel« in der wahnsinnigsten Weise überschätzen.

Dr. Kilian: Der Reinertrag des »Till Eulenspiegel«, der tut sich jährlich auf rund Mark zweimalhunderttausend belaufen.

Sterner: Wirtshausgeschwätz!

Dr. Kilian: Aber Liebster, Bester, sei doch gescheit! Du hast mir die Summe doch selbst aus deinen eigenen Privataufzeichnungen nachgewiesen.

Sterner: An den Tag werde ich noch denken, an dem ich mit dir Brüderschaft trank!

Dr. Kilian: Schau, Liebster, ich bin halt ein treuherziger Mensch. Wer Brüderschaft mit mir trinkt, der tut brüderlich teilen. Wozu trinkt man sonst Brüderschaft!

Sterner (geht aufgeregt auf und nieder): Wenn das mein Schwiegervater erfährt! Der springt in der europäischen Presse nicht glimpflich mit Ihnen um.

Dr. Kilian: Jetzt, wo sich deine Frau in Paris scheiden läßt, tut sich dein Herr Schwiegerpapa wohl nicht mehr so warmherzig wie früher um deine Geschäfte bemühen.

Sterner: Das ist eine Lüge, daß meine Frau sich scheiden läßt!

Dr. Kilian: Ich schließe es halt nur aus den Briefen, die du mir gezeigt hast.

Sterner: Ich zeige die Briefe meiner Frau niemandem!

Dr. Kilian: Weil sie dir keine schreiben tut. Ich meine aber die Briefe, die dir der Pariser Rechtsanwalt deiner Frau in der Scheidungsangelegenheit schreibt.

Sterner: Ich habe eine glänzende Idee, meine Herren! Ich mache Ihnen den Vorschlag, mir den »Till Eulenspiegel« abzukaufen. Dann haben Sie erstens keinen neuen Titel und zweitens kein neues Abonnentenpublikum nötig. (Burry auf die Schulter klopfend): Was sagen Sie dazu, lieber Burry?

Burry (aufschreiend): Au! Au! Au! – Dich Hundsknochen, dich schlage ich zu Tartarfleisch zusammen! (Geht auf Sterner los.)

Dr. Kilian (Burry am Arm packend): Tun Sie sich jetzt nicht unverzüglich ruhig verhalten, dann gebe ich Ihnen einen Tritt in den Hintern, daß Sie dreimal um den Äquator fliegen tun!

Burry (wimmernd): Fassen Sie mich nicht an! Fassen Sie mich nirgends an! Ich bin unantastbar. Ich habe im Herbst zuviel Schweinshaxen gegessen. Ich habe überall Eisen am Leib.

Sterner: Dr. Kilian hat Ihnen soeben bestätigt, daß der »Till Eulenspiegel« jährlich zweimalhunderttausend Mark abwirft. Wenn Sie mich als gleichberechtigten Mitbesitzer in Ihr Konsortium aufnehmen, dann überlasse ich Ihnen das Blatt mit sämtlichen Einkünften für siebenmalhundertfünfzigtausend Mark. Ich wähle die Summe, weil seinerzeit mein väterliches Erbteil so viel betrug.

v. Tichatscheck: Wenn ich mir eine Frage gestatten darf: Wem gehört denn dann aber unser schweizerischer Witzbold, unser liebes verehrtes Oaha, nach Abschluß dieses Kaufvertrages?

Dr. Kilian: Das tut sich doch von selbst verstehen, daß das Oaha zum Inventar des »Till Eulenspiegel« gehören tut. (Er nimmt an seinem Schreibtisch Platz und setzt einen Kontrakt auf.)

v. Tichatscheck: Um keinen Preis der Welt möchte ich mich nämlich der Verblödungsgefahr aussetzen, daß ich etwa selber wieder die Witze zu meinen Zeichnungen machen müßte!

Sterner: Das ist doch sonnenklar! Das Oaha gehört nach Abschluß des Kaufvertrages jedem von uns zu einem Fünftel.

v. Tichatscheck (auf seine Mappe deutend): Ich habe da gerade eine Zeichnung für die nächste Nummer bei mir, zu der ich heute notwendig noch einen ganz außerordentlich hervorragenden Witz von unserem geschätzten Oaha haben muß.

Burry: Es soll sich nur nicht etwa einer der Mitbesitzer einfallen lassen, das Oaha von jetzt ab in selbstsüchtiger Weise ausschließlich für sich in Anspruch zu nehmen!

v. Tichatscheck: Warum machen Sie denn dann nicht selber die Witze zu Ihren Zeichnungen?

Burry: Weil ich in meiner Weltbedeutung geistig zu hoch stehe, als daß mir überhaupt noch ein guter Witz einfallen könnte. Aber für Sie muß das arme Oaha in einem Monat mehr Witze liefern als für uns übrigen Mitarbeiter zusammengenommen im ganzen Jahr!

v. Tichatscheck: Meine Zeichnungen machen dem Oaha eben auch viel mehr Vergnügen als Ihre, auf denen es jahraus jahrein immer nur die gleichen zerrauften Bauernschädel sieht. Auf dieser Zeichnung habe ich zum Beispiel ein paar Strumpfbänder gezeichnet, ich sage Ihnen, da kommt mein liebes Oaha vierzehn Tage lang gar nicht mehr aus dem Grinsen heraus! (Durch die Flurtüre ab.)

Burry (ihm folgend): Eher schlage ich ein Loch ins Firmament, ehe ich mir mein braves Oaha durch diesen sittenlosen Flanell-Matador vergewaltigen lasse! (Ab.)

Laube (folgt beiden bis zur Tür, ihnen nachblickend): Zwei Blödsinnige, die sich um den dritten prügeln! Zu dem Witz zeichne ich eine ganz exemplarisch sarkastische Zeichnung. (Ab.)

Sterner (am Mittelschreibtisch, spricht ins Telephon): Sind Sie selbst dort, ja? – Passen Sie genau auf! Folgende Notiz muß sofort in zweitausend Exemplaren an sämtliche Zeitungen Deutschlands verschickt werden: Stenographieren Sie bitte: (Von seinem Notizblock ablesend): Hochherziger Edelmut! Dreimal unterstrichen! Der Herausgeber des »Till Eulenspiegel« erläßt heute in seinem Blatte folgende hochherzige Erklärung: In der unerschütterlichen Überzeugung, daß der »Till Eulenspiegel« seine beispiellosen Erfolge zum großen Teil seinen weltberühmten Mitarbeitern verdankt, habe ich mich aus freien Stücken entschlossen, meine lieben Mitarbeiter von heute ab am Reingewinn meines Blattes zu beteiligen. Die Künstler und Dichter, die ihre Kraft ausschließlich meinem Blatte gewidmet haben, ernenne ich hiermit zu Mitbesitzern des »Till Eulenspiegel«. In Zukunft wird der Gewinn zu gleichen Teilen zwischen mir und meinen Mitarbeitern geteilt. – gezeichnet: Georg Sterner.

Dr. Kilian (erhebt sich, zwei Kontraktformulare in der Hand): Ich habe hier unsern Kaufvertrag gleich in zwei Exemplaren aufgesetzt.

Sterner: Ich finde das nämlich unglaublich komisch! Sie berauben mich da mir nichts dir nichts um genau vier Fünftel meines gesamten Eigentums.

Laube (zurückkommend): Unterzeichnen Sie nur getrost, verehrter Herr Exkommandeur. Wenn Sie auch kein gutes Geschäft dabei machen, so haben Sie sich durch Ihre Geschäfte doch dafür um so mehr Liebe und Achtung erworben.

Sterner: Wenn ich nun aber zum Trotz nicht unterzeichne? Was dann?

Dr. Kilian: Dann tut der »Till Eulenspiegel« morgen unter dem Titel »Oaha« erscheinen, und du hast gar nichts.

Sterner (den Kontrakt unterzeichnend): Um Liebe und Achtung war es mir bei meinen Geschäften eigentlich gar nicht so sehr zu tun. Von Liebe und Achtung kann sich der Mensch kein Automobil halten.

v. Tichatscheck und Burry bringen das Oaha durch die Flurtür herein. Das Oaha sitzt auf einer grün angestrichenen Kiste, die auf kleinen Rädern läuft und vorne eine Deichsel zum Ziehen hat. Seine Füße und Unterschenkel stecken unsichtbar in der Kiste, so daß seine Beine nur bis zu den Knien zu reichen scheinen. Die Rockärmel sind vorne zugenäht, so daß es keine Hände zu haben scheint. An dem rechten Rockärmel ist vorne ein Griffel festgenäht. Oaha hat eine Glatze, ein breites lachendes Gesicht und wackelt beständig mit dem Kopf. An der Stirnwand der Kiste steht mit großen weißen Buchstaben Oaha. An der Seite der Kiste hängt eine große Schiefertafel, an der mit einer Schnur ein Schwamm festgebunden ist. v. Tichatscheck zieht an der Deichsel. Burry schiebt die Kiste von hinten herein, erscheint aber, als suche er sie zurückzuhalten.

v. Tichatscheck: Meiner Lebtag bekomme ich keinen Witz von dem lieben Oaha! Der Burry wischt nach jedem Wort, das geschrieben ist, mit dem Rockärmel über die Tafel! (Zu Oaha). Liebstes, teuerstes Oaha! Würdest du nicht die große Gnade haben und mir einen guten Witz für diese Zeichnung machen?

Oaha (mit dem Kopf wackelnd): Oaha! Oaha!

v. Tichatscheck (nimmt seine Zeichnung aus der Mappe und hält sie Oaha vor): Hier ist meine Zeichnung. Wie immer ein Herr und eine Dame, siehst du. Schreib auf deine Tafel, worüber sich der Herr und die Dame so angelegentlich unterhalten.

Oaha (bricht in Gelächter aus).

v. Tichatscheck (hält ihm die Schiefertafel vor): Gleich anschreiben, Oaha! Genau aufschreiben!

Oaha (schreibt mit dem Griffel auf die Schiefertafel und sagt ununterbrochen): Oaha! Oaha! Oaha!

v. Tichatscheck (hat die Tafeln genau betrachtet und liest): Warum fliegt dieses lenkbare Lustschiff dort oben immer hin und her?

Sterner (krümmt sich vor Lachen).

Dr. Kilian (gibt ihm einen Rippenstoß): Halt deine Fresse! Der Witz kommt doch erst!

v. Tichatscheck (liest): Es ist eine Schraube los.

(Dr. Kilian, Laube und v. Tichatscheck hüpfen auf einem Bein umher und pfeifen durch die Finger.)

Dr. Kilian: Wenn das der hohe Herr Staatsanwalt lesen tut, dann ist die Konfiskation besiegelt und wir sitzen im Gefängnis!

Laube: Der hohe Staatsanwalt schickt uns sofort seinen Untersuchungsrichter und läßt Haussuchung auf unserer Redaktion halten.

v. Tichatscheck: Oaha! Menschenkind! Willst du mich auf die Galeere bringen?

Sterner (sich die Hände reibend): Gott sei gepriesen! Das ist meine Rache! Jetzt wird der »Till Eulenspiegel« zahm wie ein Hoflakai!

v. Tichatscheck (hält Oaha seine Zeichnung vor): Liebes Oaha, du mußt mir einen etwas weniger lebensgefährlichen Witz machen.

Oaha (schüttelt sich vor Lachen).

v. Tichatscheck (hält ihm die Tafeln vor): Aufschreiben, liebes Oaha! Immer aufschreiben!

Oaha (schreibend): Oaha! Oaha! Oaha!

Sterner (nimmt v. Tichatscheck die Tafel aus der Hand): Nun seien Sie bitte erst mal alle ganz still! Ich möchte gerne sehen, ob ich den Witz nicht auch ohne Erläuterung verstehe. (Er liest langsam und aufmerksam): Moderne Tonmalerei. – Wie fanden Sie die neue Symphonie unseres Oberhofkapellmeisters? – Sie stinkt wenigstens nicht! – (Er sieht die andern groß an.) Ich kann mit dem besten Willen keinen Witz darin finden!

Oaha (wimmernd): Oaha! Oaha!

v. Tichatscheck (nimmt Sterner die Tafel weg): Geben Sie mir den Witz her, sonst wird er noch sauer. – Liebes Oaha, ich sage dir meinen schönsten Dank für deinen Witz. Ich werde versuchen, dich von der berühmtesten deutschen Universität zum Ehrendoktor ernennen zu lassen. – Kommen Sie, Burry . . . Heiliger Nepomuk – der Burry ist eingeschlafen!

(Burry ist nach wiederholtem Gähnen und Hin- und Herwanken freistehend eingeschlafen. v. Tichatscheck betastet ihn vorsichtig an verschiedenen Körperteilen mit dem Zeigefinger, ohne daß Burry sich rührt, bis er plötzlich laut aufschreit und zum Schlag ausholt.)

v. Tichatscheck (rasch mit einer verbindlichen Gebärde einfallend): Helfen Sie mir bitte, unser liebes Oaha in seine Gemächer zurückzubringen!

(Burry reckt gähnend die Arme, besinnt sich und hilft darauf v. Tichatscheck, das Oaha hinauszufahren.)

Dr. Kilian (steckt den von Sterner unterschriebenen Kontrakt in die Tasche und schüttelt Sterner die Hand). Jetzt tun wir aber wieder gute Freunde sein! Du kommst heute abend auf unsere Kegelbahn. Da tun wir unsern Vertrag mit einem kräftigen Schluck Bier besiegeln.

Laube (schüttelt Sterner die Hand mit Gestus): Sie müssen sich Ihre gewaltige Abdankungstragik von der Seele kegeln!

(Dr. Kilian und Laube durch die Flurtür ab.)

Sterner (allein, setzt sich an den Mittelschreibtisch und telefoniert): Wollen Sie bitte sofort anordnen, daß niemand zu mir hereingelassen wird! – (Lauter). Zu mir hereingelassen wird! – (Noch lauter). Verstehen Sie denn nicht? Zu mir herein – hereingelassen wird! – (Schwächer): Ja, daß niemand zu mir hereingelassen wird! Niemand! Sei es, wer es sei! Haben Sie verstanden? – – (Er erhebt sich, kommt nach vorn und sieht sich um.) Bis jetzt ist Gott sei Dank noch niemand hereingekommen, obwohl ich dreimal so laut wie möglich »herein« geschrien habe. Jetzt kann niemand mehr kommen! Jetzt schließe ich mich hier in mein Privatkabinett ein und bleibe so lange regungslos darin sitzen, bis mir ein vernünftiger Gedanke eingefallen ist. (Er öffnet die Tür zu seinem Privatkabinett, prallt einen Schritt zurück und ruft dann in das Kabinett hinein): Jetzt machen Sie aber endlich mal, daß Sie hier hinauskommen! Sie tauchen wie das leibhaftige Unheil vor einem auf!

(Eine Scheuerfrau in Holzschuhen, mit aufgeschürztem Rock und einem Tuch um den Kopf, in der einen Hand einen Eimer voll Schmutzwasser, in der andern eine langstielige Scheuerbürste mit darüberhängendem Scheuerlumpen, tritt knurrend aus dem Privatkabinett und kommt bis in die Mitte der Bühne. Sterner tritt rasch hinein und verschließt von innen die Tür.)

Die Scheuerfrau (allein, den Teppich betrachtend): Ein Kreuz ist es mit den Malersleuten! Der schöne Teppich, der muß einem derbarmen, da wo solchene Malersleut ihre Stiefeln draufsetzen. Die ganze Monika-Immakulata-Straß tun sie einem da hereintragen! (Sie stellt den Eimer hin und sieht sich um). Ich gäb' was drum, wenn ich jetzt auch nur wüßt, wo ich hier den neuesten »Till Eulenspiegel« herkriegte. Meine fünf Kinder täten ihrer Mutter nicht schlecht heimleuchten, wenn die Mutter heut am Samstag ohne den neuesten »Till Eulenspiegel« nach Haus käm! Da liegt solch ein Stoß. (Sie nimmt von einem Stoß neuer Exemplare, der auf einem Seitenschreibtisch liegt, das oberste weg. kehrt zu ihrem Eimer zurück und liest das Datum.) Fünfzehnter Jänner. Das ist das neueste Blatt. (Sie schlägt das Blatt auf.) Ach, ist das ein schönes Bild! – (Sie liest langsam und schwerfällig.)

Mir hat geträumt, die Jugend kehre wieder.
Ich war ein glücklich jungfräuliches Kind.
Und jubelnd an der grünen Bergeshalde
Lief um die Wett' ich mit dem Abendwind.
        (Schweratmend): Ach, ist das schön!
Da kam mein Schatz. Er haschte mich beim Spielen
Und sprach von Liebe mir . . . ich hört' es kaum.
Da sah ich seiner Augen heißes Strahlen
Und fühlte seinen Kuß . . . es war ein Traum!

(Sie hält inne, während glückseliges, sonniges Lächeln über ihren Zügen liegt.)

Ich bin erwacht. Vom Lager aufgesprungen
Sah ich mein Spiegelbild im Tageslicht:
Erkannte, wie die Zeit mit ehernem Griffel
Mir Falten grub ins alternde Gesicht.
        (Sie ist in Tränen ausgebrochen.)
Errötend dacht' ich an mein selig Träumen
Und gab erglühend der Erinnerung Raum,
Barg weinend dann mein Haupt in beide Hände:
Vergib mir Herr und Gott – es war ein Traum!

(Sie hat die letzte Strophe unter herzerschütterndem Schluchzen gelesen und weint noch eine Weile weiter.)

Sterner (tritt aus seinem Privatkabinett): Werden Sie jetzt endlich machen, daß Sie hier hinauskommen!

Die Scheuerfrau: Ja, ja. Ich geh' schon! (Sie steckt den »Till Eulenspiegel« unter den Arm, nimmt Eimer und Scheuerbürste auf und geht knurrend durch die Flurtür ab.)

Wanda Washington (stürzt aus der offenen Tür des Privatkabinetts, fällt Sterner um den Hals und küßt ihn leidenschaftlich ab): War das ein Augenblick! Georg! Georg! So bin ich noch von keinem Manne vergöttert worden! Du liebes, böses, dummes Scheusal du!

Sterner (etwas abgespannt): Wie kommst du denn überhaupt dort in mein Privatkontor?

Wanda: Ich sitze schon seit heute morgen um neun Uhr dort drin. Ich weiß nur, daß ich eine fürchterliche Sehnsucht nach dir hatte! Heute nacht bin ich immerwährend aus dem Schlaf aufgefahren!

Sterner: Hast du dich denn die drei Stunden lang da drin nicht gelangweilt?

Wanda: Im Gegenteil! Ich habe mich fabelhaft unterhalten. Glücklicherweise liegt ja das Konversationszimmer gleich nebenan. Die Zwischenwand ist so dünn, daß man jedes einzelne Wort, das im Konversationszimmer gesprochen wird, ganz deutlich versteht. Gerade bevor du zu mir eintratst, kamen noch die vier apokalyptischen Reiter, unsere vier Temperamente, weißt du, ins Konversationszimmer gestürmt. (Jubelnd): Sie prahlten, so laut sie konnten, daß sie dich eben bis auf ein Fünftel deines ganzen Besitzes vollständig ausgeplündert hätten!

Sterner: Ja, ja, es ist zu drollig! Das haben sie weiß Gott getan!

Wanda: Über so etwas lachst du doch nur! Menschen wie wir gehen doch solcher Kleinigkeiten wegen nicht unter! Es wäre auch wirklich schade um uns! Jetzt machst du dafür doch um so glänzendere Geschäfte mit dem neuesten Roman von Max Bouterweck!

Sterner: Gott sei's geklagt, ja!

Wanda: Warum denn Gott sei's geklagt?

Sterner: Ja, es ist merkwürdig! Je bessere Geschäfte ich mit dem Roman mache, desto mehr verliere ich durch den Roman.

Wanda: Das übersteigt mein Begriffsvermögen!

Sterner: Es ist auch gar nicht so leicht zu begreifen. Max Bouterweck hat mich in seinem neuen Roman als ein so grauenhaftes Ungeheuer hingestellt, daß sich meine Frau in Paris sofort an einen hiesigen Rechtsanwalt gewandt hat, um sich von mir scheiden zu lassen.

Wanda (in die Hände klatschend). Das ist ja herrlich! Das ist ja ein ganz unerwartetes Glück für uns beide!

Sterner: Für dich wohl, aber doch nicht für mich! – Und nun muß dieser Roman ausgerechnet noch das erste seiner Werke sein, mit dem er einen ungeheuren Erfolg hat. Alle seine früheren Bücher kosteten mich nur Geld, und je mehr Geld ich mit diesem verfluchten Roman verdiene, desto mehr schaden mir die niederträchtigen Verleumdungen, die er darin über mich verbreitet. Dabei hat er seinen Riesenerfolg doch ausschließlich mir zu verdanken, denn wenn ich nicht wäre, hätte er doch das Buch einfach nicht schreiben können. Ich habe ihn zu einer Weltberühmtheit gemacht! Ich habe ihn aber von jeher für einen undankbaren Menschen gehalten!

Wanda: Aber nun sag' mir doch nur einmal das eine, geliebtes Herz: Was verlierst du denn eigentlich an deiner Frau?

Sterner: An meiner Frau verliere ich eine Frau, zwei Kinder und einen erstklassigen Schwiegervater, wie ich ihn in dieser Welt so leicht nicht wiederfinde!

Wanda: Nun gut! Was kümmert uns das! Dafür baust du dir jetzt doch hier ein behagliches schönes Haus, in dem du mit mir zusammen in ewig neuer, endloser Glückseligkeit leben wirst!

Sterner: Wenn ich nur auch schon wüßte, wovon ich das Haus, das ich mir hier bauen lasse, bezahlen soll! Du vergißt, mein Kind, daß mir von heute an nur noch der fünfte Teil meiner früheren Einnahmen zufällt! Denn ob ich von den vier Temperamenten je einen Pfennig für den »Till Eulenspiegel« bezahlt bekomme, das scheint mir sehr fraglich zu sein.

Wanda: Aber wozu das auch! Was kümmert uns das! Wenn es weiter nichts ist, dann vermiete doch das Obergeschoß unseres Hauses ganz einfach an den jungen montenegrinischen Zeichner, den du als Mitarbeiter für den »Till Eulenspiegel« in Dienst genommen hast! Bedenke doch nur, daß der junge Montenegriner dann mit Haut und Haaren in deinen Händen ist! Und wir beide könnten zusammen ohne die geringste Mühe darüber wachen, daß er dir nicht etwa unversehens von einer anderen Zeitung weggeschnappt wird!

Sterner: Ganz recht! Und du brauchtest nur eine Treppe zu steigen, um ihn zu deinem Geliebten zu machen!

Wanda (verächtlich). Bah!

Sterner: Oder ist er das vielleicht schon?

Wanda (schwärmerisch): Ich trage keine Schuld an meinem übermenschlichen Liebesdurst!

Sterner (wirft sich unwillig in einen Sessel). Dann wird doch der Mensch nicht so blödsinnig sein, mir in meinem Hause noch Wohnungsmiete zu bezahlen!

Wanda: Was braucht uns das zu kümmern! Dann bezahlt sie der nächste! (Sie setzt sich ihm mit einem Sprung auf die Knie, streckt die Fußspitzen in die Luft und schlingt die Arme um seinen Hals.) Jetzt sollst du einmal die Engel im Himmel pfeifen hören, daß du deine Frau in Paris für Zeit und Ewigkeit vergißt!

Sterner: Mir ist es ein Rätsel, wie du das alles aushältst!

Wanda (küßt ihn). Mir auch, das weiß Gott! Vor zwei Jahren in Venedig wollte ich schon einmal in ein Freudenhaus gehen. Aber es stellte sich heraus, daß meine Papiere nicht in Ordnung waren. Wie beneidete ich damals die einfachen Landmädchen, deren Papiere immer so tadellos in Ordnung sind.

Die Flurtür wird von außen geöffnet und Harry Gadolfi tritt ein, ein hochgewachsener, breitschultriger Mann im Zylinder, Paletot, weißen Glacéhandschuhen und Lackstiefeln. Er hinkt sehr stark, so daß er, wenn er sich auf dem längeren Bein streckt, noch beträchtlich größer erscheint, als wenn er auf beiden Füßen steht. Er trägt blonden Schnurrbart, hat einen stechenden Blick, spricht mit ausländischem Akzent und fuchtelt mit einem eleganten Stock in der Luft herum.

Gadolfi: Lassen Sie sich nur bitte durch mich nicht stören. Ich fahre heute abend noch nach Wien weiter.

Sterner: Was wollen Sie denn hier?

Gadolfi: Ich habe in England einen neuen Velasquez entdeckt, den ich in Wien um fünfmalhunderttausend Gulden verkaufen werde. Ich spreche nur bei Ihnen vor, weil ich voraussichtlich demnächst Ihre Frau in Paris heirate.

Wanda (aufspringend): Was willst du heiraten? Wen willst du heiraten? – Oh, solch ein Treubruch ist doch noch von keinem Menschen begangen worden!

Gadolfi (zu Wanda): Was ist denn mit Ihnen los? Sie schrieben mir nach London, Sie wüßten jetzt keinen Ausweg mehr für sich, als den Verzweiflungsstrick!

Wanda (zu Gadolfi, sehr ernst): Höre mich ruhig an. Du bist in mein Leben getreten und hast von mir Besitz ergriffen. Schwer hab' ich dir's nicht gemacht, das weiß Gott im Himmel; aber wenn du Sterners Frau heiratest, dann wehe euch allen zusammen! Dann fahre ich nach Amerika und nehme einfach mein geliebtes Oaha mit. Dann kann der »Till Eulenspiegel« zusehen, von wem er in Zukunft seine Witze bezieht.

Sterner (hat sich erhoben): Mir dreht sich die Welt vor den Augen! Mit dem Oaha stehst du auch in Beziehungen?

Wanda (gefühlvoll): Ach, das gute Oaha, das liebe Oaha! Ich habe, seit wir uns kennen, nie ein böses Wort von ihm gehört.

Gadolfi: Wer ist denn dies geheimnisvolle Geschöpf?

Sterner: Es ist taubstumm. Aber das hätt' ich doch dem Oaha nicht zugetraut.

Gadolfi: Wer nichts empfindet, der kann leicht mit aller Welt in Beziehungen stehen. (Zu Sterner): Sie, der Sie die Geige mit dem Rasiermesser spielen, merken so etwas natürlich nicht. Was Sie für übermäßige Erotik halten, das ist im Grunde genommen nichts als absolute Verständnislosigkeit.

Wanda: Bis in das Innerste meines Wesens seid ihr beide nicht vorgedrungen.

Sterner (zu Gadolfi): Nachdem Sie mich also vor zehn Jahren um mein ganzes väterliches Erbteil begaunert haben, wollen Sie jetzt auch noch meine Frau heiraten?

Gadolfi: Daran bin ich eigentlich gar nicht schuld. Ursprünglich wollte der Schriftsteller Bouterweck sie heiraten. Der hat ihr aber in seiner fürchterlichen Dummheit so viel von mir vorgeschwärmt, daß sie es dann doch vorzog, mich selbst zu nehmen.

Sterner: Wissen Sie denn nicht vielleicht irgendein staunenerregendes Unternehmen für mich? Ich weiß zum erstenmal in meinem Leben absolut nicht, was ich mit mir anfangen soll.

Gadolfi: Dann verwirklichen Sie doch ganz einfach die glänzendste geschäftliche Idee, die es jemals in dieser Welt gegeben hat!

Sterner: Kennen Sie die?

Gadolfi: Wie sollte ich die denn nicht kennen!

Sterner: Die glänzendste geschäftliche Idee, die es jemals in dieser Welt gegeben hat?

Gadolfi: Die glänzendste geschäftliche Idee, die es jemals in dieser Welt gegeben hat! Wenn sie das nicht ist, dann können Sie mich vor ganz Europa einen Maulhelden nennen.

Sterner: Warum verwirklichen Sie denn die Idee nicht selber?

Gadolfi: Weil ich was Besseres zu tun habe: Weil ich es nicht nötig habe, Millionen zu verdienen! Kurz und gut, weil ich keine Zeit dazu habe.

Sterner: Und mir teilen Sie diese Idee unentgeltlich mit? Von der Seite kenne ich Sie noch gar nicht. Worin besteht sie denn?

Gadolfi: Hören Sie genau zu . . . (Er will sich eine Zigarette anzünden, wobei mehrmals das Streichholz versagt.) Ein humorloses Fabrikat!

Sterner (einen Streichholzständer holend und Gadolfi die Zigarette anzündend): Hier haben Sie Feuer, soviel Sie wollen! Aber die Idee? die Idee?

Gadolfi: Hören Sie genau zu! Sie setzen einen Preis aus, ja nicht zu hoch, sonst bewirbt sich kein Genie mehr darum. Sagen wir hundertundfünfzig Mark. In einem Preisausschreiben, das Sie in Ihrem »Till Eulenspiegel« veröffentlichen, versprechen Sie diese hundertundfünfzig Mark demjenigen zur Belohnung, der Ihnen die glänzendste geschäftliche Idee zur Verwirklichung überläßt, die es jemals in dieser Welt gegeben hat. Sie bekommen eine unzählige Menge geschäftlicher Ideen zur Auswahl zugesandt. Sie suchen sich die glänzendste heraus, Sie bezahlen dem Einsender hundertundfünfzig Mark und verdienen durch Verwirklichung seiner Idee ungezählte Millionen.

Sterner (sieht ihn verdutzt an).

Gadolfi: Sie scheinen mich nicht genau verstanden zu haben?!

Sterner: Ich werde mir den Plan überlegen. Ich halte es gar nicht für ausgeschlossen, daß man sich damit ein Vermögen machen kann.

Gadolfi: Ein humorloses Zeitalter! Um zwei Uhr frühstücke ich im Hotel Continental. Vielleicht kommen Sie hin. Sie finden den Sohn des Präsidenten der französischen Republik in meiner Gesellschaft. Wir können unseren Plan dann weiter ausarbeiten. – (Durch die Flurtür ab.)

Sterner: Ein zu komischer Kauz! – Ich gehe jedenfalls hin. Ich bin neugierig, wen er jetzt als den Sohn des Präsidenten der französischen Republik mit sich in der Welt herumführt.

Wanda: Wenn ich dir jetzt nur Geld verschaffen könnte. Dummes schmutziges Geld!

Sterner: Ach was! Ein Mensch wie ich verhungert nicht so leicht. Ich wollte lieber, ich hätte irgend etwas, womit ich mich beschäftigen könnte.

Wanda (schwärmerisch): Soll ich mich für dich auf offenem Markt ausbieten?!

Sterner: Laß das lieber sein. Du hast ja keine Papiere.

Wanda: Oder soll ich dich an sämtlichen Mitbesitzern des »Till Eulenspiegel« rächen, indem ich jeden von ihnen mit den drei anderen betrüge?

Sterner: Ich brauche gar keine Rache. Ich an ihrer Stelle hätte nicht um ein Haar anders gehandelt. Ich hätte mir niemals träumen lassen, daß diese vier Temperamente so entzückende kluge Menschen sind.

(Dumpfes Gebrüll und Getrampel ist hinter der Szene laut geworden; dazwischen hört man immer wieder die Rufe »Oaha«, »Oaha«.)

Wanda (öffnet die Flurtür): Was ist denn da draußen wieder los?

Sterner: Das sind die Weltberühmtheiten! Das sind die vier apokalyptischen Reiter! Das sind die vier Temperamente! Sie streiten sich wieder einmal um den Dalailama!

Durch die Flurtür kommen in lautem Streit Dr. Kilian, Laube, Herr v. Tichatscheck und Burry mit dem Oaha herein. Dr. Kilian, Laube und v. Tichatscheck ziehen an der Deichsel, während Burry das Gefährt von hinten mit aller Macht zurückzuhalten sucht. Burry trägt ein weißes, zusammengefaltetes Tuch ums Gesicht gebunden, so daß er kaum die Zähne auseinanderbringt, bemüht sich aber trotzdem, möglichst deutlich zu sprechen. Unter dem Arm hält er einen Karton, auf dem ein Mädchenkopf zu sehen ist.

Dr. Kilian: Das tut uns gerade noch fehlen, daß dieser wahnsinnige Burry unser Oaha als Orakel vergewaltigen tut!

v. Tichatscheck: Zu einer Kartenschlägerin soll doch der Burry mit seinen Familienangelegenheiten gehen! Die Kartenschlägerin nimmt dem Burry zehn Mark ab, dafür beschreibt sie ihm das Weib, bei dem er sich glücklich fühlen wird, so deutlich, daß er es aus der längsten Prozession herausfindet.

Oaha (hin und her gerüttelt, angstvoll wimmernd Oaha! – Oaha! – Oaha.)

Burry (mit erhobenen Händen): Das Oaha eine Kartenschlägerin!? Das Oaha eine Pythia? Das ist himmelschreiende Gotteslästerung! Das Oaha ist eine überweltliche Macht! Mir tut mein Herz so weh – ich muß, ich muß, ich muß mit ihm allein sein!

Laube: Das Oaha schwebt in sichtlicher Lebensgefahr. Das Oaha kann dem Burry antworten, was es will, es gibt einen unerhörten Skandal! Schließlich fordert der Burry das Oaha noch auf Pistolen!

Burry (zu Sterner): Helfen Sie, helfen Sie! Sagen Sie doch diesen Grundpfeilern der europäischen Kultur, daß sie mich mit meinem lieben Oaha einen Augenblick allein lassen sollen!

Sterner (sich das Gesicht abtrocknend): Warum spucken Sie mir denn immer ins Gesicht?

Burry: Das geschieht nur aus Höflichkeit. Ich kann Ihnen doch nicht auf Ihre vornehme Kleidung spucken!

Sterner: Ihnen muß doch aber auch wirklich immer etwas fehlen!

Burry: Mir etwas fehlen?! – Mir?! Ich gäb' was darum, Sie hätten recht. Zuviel hab' ich was?! Etwas, was ich vorher nie gehabt habe! Woran ich nie im Traum nur gelitten hab'! Ich habe einen Ziegenpeter. Einen Mumps, wissen Sie. Ich habe einen Wochentölpel. Deshalb kann ich den Mund nicht so weit aufreißen, wie diese Kulturgewalthaber. Sie können den Mund aufreißen, daß ein Ozeandampfer darin verschwindet. Mein Herz tut mir so weh! Helfen Sie doch! Helfen Sie!

Sterner (sich das Gesicht abtrocknend, zu Dr. Kilian): Warum soll denn auch das Oaha dem Burry nicht die Zukunft voraussagen!

Dr. Kilian: Was tust denn du dich da noch dreinmischen? Ein solches Treiben ist einfach unmoralisch.

Wanda (hat sich an Oaha herangeschlichen, unter Liebkosungen): Unsere Verlobung, geliebtes Oaha, ist schon in aller Mund! Justizrat Pinkas sagt, in zwei Monaten könnte ich von Mister Washington geschieden sein. Komm mit nach Neuyork, geliebtes Oaha! Ganz Amerika soll von unserem Brautjubel widerhallen! Ich geleite dich durch alle Labyrinthe der Wollust.

Burry (stößt sie beiseite, Oaha seinen Karton vorhaltend): Scheren Sie sich zum Henker! Oaha! Weltseele! Schau dieses Mädchen an! Dieses Mädchen ist meine Braut!

Oaha (bricht in wildes Gelächter aus).

Laube: Wird dieser Unfug erst in Deutschland bekannt, dann reißt Deutschland blutigere Witze über den »Till Eulenspiegel«, als sie der »Till Eulenspiegel« jemals über Deutschland gerissen hat!

Burry (unter Tränen): Ich will keine Witze, Oaha! Du brauchst über meine Braut keine Witze zu reißen! Das tut die Welt schon im Überfluß! Du sollst mir sagen, Oaha, ob dieses Mädchen mir treu ist oder ob mich dieses Mädchen heimlich mit dem Tichatscheck betrügt!

Dr. Kilian (reißt Burry die Zeichnung aus der Hand): Solch ruchlosen Götzendienst lasse ich hier nicht aufkommen! Tut das Oaha Ihrem Mädel etwas nachsagen, dann schlagen Sie dem armen Burschen die Knochen entzwei und das Weibsbild gibt ihm Rattengift ein.

Burry (mit erhobener Faust): Ich warne Sie, Mensch, stellen Sie sich nicht zwischen mich und dieses Mädchen, auch wenn das, was ich das Oaha frage, Ihren krachledernen Horizont übersteigt! Ich warne Sie, Mensch! Sagt mir das Oaha, meine Braut ist mir treu, dann heirate ich dieses Mädchen. Ich lade Sie auf die Hochzeit . . .

Dr. Kilian (schreit): Ich lade Sie auf die Kirchweih! Gehn Sie doch samt Ihrer Braut in ein Spiritistenkloster!

(Wanda hat dem Oaha derweil die Tafel vorgehalten, auf die das Oaha zwei Sätze geschrieben hat.)

Wanda: Ruhe! Ruhe! Oaha hat geweissagt! (Sie gibt die Tafel, ohne sie anzusehen, an Burry.)

Burry (die Tafel in zitternden Händen haltend, sich sammelnd): Oaha! Mein Oaha! O meine Braut! O meine Cilly! – (Er liest zögernd): Die Cilly bleibt sich immer selber treu . . .

Laube: Oaha, du bist eine Pythia!

v. Tichatscheck: Oaha, du bist eine Veleda!

Burry: Das hab' ich auch so schon gewußt! Dazu braucht's keine Prophezeiung. Das versteht sich ganz von selbst. (Er liest zögernd weiter): Aber – aber der – der Burry – ist seiner Braut – fortgesetzt untreu . . .

Dr. Kilian: Oaha – du bist ein Jupiter Ammon!

Sterner (will Burry die Hand drücken): Seien Sie unbesorgt, lieber Burry! Wir erzählen Ihrer Braut nichts davon. Das dumme Oaha hat sich natürlich geirrt!

Burry (mit drohender Gebärde die Tafel hochhaltend): Das Oaha irrt nie, das Oaha kann nicht irren! Das Oaha ist die Weltseele! Aber – (er wirft die Tafel zur Erde) gefragt hab' ich nicht danach.

Sterner: Wenn es Ihnen, mein lieber Burry, zur Beruhigung gereicht, dann schwöre ich Ihnen, daß das Oaha intelligenter ist, als die gesamte Redaktion des »Till Eulenspiegel«. Aber dann muß doch das Oaha, hol' mich der Teufel, auch wissen, in welcher Stellung die Herren mich auf der Redaktion des »Till Eulenspiegel« noch verwenden können.

Burry: Das ist mir vollkommen Wurst. (Freudig das Bild ans Herz drückend): O Cilly! O Oaha! Wie leicht ist mir's jetzt!

Wanda (hält Oaha rasch die Tafel vor, eindringlich): Hast du's gehört, geliebtes Oaha? Sag' uns augenblicklich, in welcher Stellung Eugen Sterner bei der Redaktion Verwendung finden kann.

Oaha (nickt ernsthaft mit dem Kopfe und schreibt einen Satz auf die Tafel).

Dr. Kilian (zu Sterner, die Achseln zuckend): Auf deine Witze ist ja bekanntlich gar kein Verlaß. Die tun dir immer erst sechs Monate zu spät einfallen.

Sterner: Könnten mich die Herren nicht vielleicht als einen mehr oder weniger selbständigen, beziehungsweise unselbständigen Buchhalter anstellen?

Laube: Wenn Sie gute Geschäfte gemacht hätten, wäre ich sofort dafür. Ihnen war es ja aber leider immer nur um Liebe und Achtung zu tun!

Wanda: Ruhe! Ruhe! Oaha hat geweissagt! (Sie gibt die Tafel, ohne sie anzusehen, an Herrn v. Tichatscheck.)

v. Tichatscheck (liest und nickt ernsthaft mit dem Kopf): Kolossal hervorragend! Das Oaha muß in den Fürstenstand erhoben werden. (Er reicht die Tafel an Laube.)

Laube (liest und nickt ernsthaft mit dem Kopf): Das Oaha wird noch einmal Austauschprofessor. (Zu Sterner): Vergessen Sie in dem Gasthaus dann nur nicht etwa, abends Ihre schönen Stiefel zum Putzen hinauszustellen. (Er gibt die Tafel an Dr. Kilian.)

Dr. Kilian (liest und nickt ernsthaft mit dem Kopf): Für diese Stellung tun wir dir monatlich getrost ein Gehalt von hundertfünfzig Mark auszahlen. (Er reicht die Tafel an Burry.)

Burry (liest und nickt ernsthaft mit dem Kopf). Sie erweisen Ihren Zeitgenossen einen unschätzbaren Dienst, wenn Sie diesen Beruf ergreifen. (Er gibt die Tafel an Sterner.)

Sterner: Verdammt nochmal! Ich bin gespannt, ob ich seinen Ausspruch verstehe. (Er will lesen.) Was – was schreibt es da? (Er liest): Um durch möglichst häufige gerichtliche Konfiskationen euch fernerhin zu blühen und zu gedeihen, soll der »Till Eulenspiegel« Georg Sterner als – was schreibt das Ungeheuer? – als Sitzredakteur engagieren?!

Wanda (klatscht in die Hände): Als Sitzredakteur?! (Sie fällt Oaha um den Hals.) Tausend Dank, Geliebtes! (Zu Sterner): Georg, ich bin deine Glücksgöttin!

Sterner (hat die Tafel fortgeschleudert und will sich auf Oaha stürzen): Dem undankbaren Tier drehe ich den Hals um!

Burry (steht mit großer Gebärde schützend vor Oaha): Wag' dich nicht nach! Das Oaha ist die Weltherrschaft!

Laube (zu Sterner): Dürfen wir hoffen, daß Sie die Stellung annehmen?

Sterner: Aber nur, bis ich etwas Behaglicheres finde.

Dr. Kilian (schlägt sich auf die Knie und tut einen Luftsprung): Jetzt wird aber in Konfiskationen gearbeitet!


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