Frank Wedekind
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Frank Wedekind

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Zweiter Aufzug

Sterner (sitzt auf dem Drehstuhl am Mittelschreibtisch und spricht ins Telephon): Verbinden Sie mich möglichst rasch mit dem modernen Schauspielhaus. (Pause.) Danke. – Hier Georg Sterner. Kann ich vielleicht möglichst rasch mit Herrn Bouterweck sprechen? – – Ja, bitte sehr. (Pause.) Hier Georg Sterner. Sind Sie es selbst, lieber Herr Bouterweck? – – Die Polizei hält in diesem Augenblick Haussuchung hier bei uns auf der Redaktion des »Till Eulenspiegel«. (Lauter): Haussuchung! (Noch lauter): Haussuchung! – Ja! – Die Polizei hält Haussuchung hier bei uns. – Hören Sie jetzt bitte genau, lieber Herr Bouterweck, was ich Ihnen sage! – Ja! Hören Sie! (Möglichst deutlich): Gehen Sie jetzt sofort nach Hause in Ihre Wohnung – in Ihre Wohnung, ja – und verbrennen Sie dort sofort alles, was Sie von mir an Briefen haben. – Verbrennen Sie in Ihrer Wohnung sofort sämtliche Briefe, die Sie von mir haben. – Sämtliche Briefe von mir! – Auch die Postkarten, die ich Ihnen geschrieben habe. – Die Postkarten auch! – Ja! – Aber Sie müssen sich beeilen! – Jetzt gleich! In diesem Augenblick! – Danke sehr! Danke schön! Ich danke Ihnen! – (Abläutend): Hoffentlich ist er so dumm und tut es! – (Sich erhebend): Diese Konfiskation ist das glänzendste Geschäft, das je ein Zeitungsblatt gemacht hat! (Er holt einen Handkoffer unter dem Mittelschreibtisch hervor und klappt ihn auf dem Teppich vor dem Mittelschreibtisch auf.) Jetzt ist es aber auch die allerhöchste Zeit, daß ich über die Grenze komme, sonst sitze ich morgen hinter Schloß und Riegel! – Was muß ich mitnehmen? – In der Eile läßt sich das alles nicht so ohne weiteres zusammenfinden! – Vor allen Dingen muß ich wissen, mit welchem Zug ich fahre. – Das Eisenbahnkursbuch! (Zum Büchergestell eilend): Ich bin ein gemachter Mann! Ich bin außerdem ein genialer Mensch! Ich verdanke dieses staunenerregende Geschäft ausschließlich meiner eigenen Erfindung! (Er nimmt das Kursbuch vom Büchergestell und geht zum Mittelschreibtisch.) Wenn ich bis sieben Uhr morgens nicht über die Grenze bin, ist das ganze Geschäft futsch. (Er setzt sich an den Schreibtisch und blättert im Kursbuch.) Direkte Verbindungen? – Um Gottes willen nicht! (Er blättert weiter.) Hier! Ab fünf Uhr dreißig. (Nach der Uhr sehend): Dann habe ich jetzt noch zwei Stunden. – Neun Uhr vierzig! Elf Uhr siebzig! – Morgens zehn Uhr zehn bin ich vollkommen in Sicherheit. Dann kann die große Ernte beginnen! Das Kursbuch muß natürlich mit. (Er wirft das Kursbuch in den Handkoffer.) Mir fällt mit dieser Konfiskation ein derartiger Stein vom Herzen, daß ich vor lauter Erleichterung schon förmlich in die Luft zu fliegen fürchte! (Nimmt einen Revolver aus der Schreibtischschublade.) Soll ich den Revolver mitnehmen? – – (Wirft ihn weg.) Pfui Teufel, das alberne Möbel ist imstande und geht los. Dann sitze ich im Zuchthaus! – Aber meine Kopierbücher muß ich vernichten. Von meiner Hand darf nicht eine Zeile in der Redaktion zurückbleiben. (Nimmt zwei Kopierbücher vom Büchergestell.) Dieses Mal ist der Sensationsprozeß unausbleiblich! Das wird ein Riesenprozeß! Wäre ich nur schon davor in Sicherheit! – Wie vernichtet man diese verdammten Kopierbücher? Offne Feuer gibt es hier nicht. Bleibt nichts übrig, als sie mitzunehmen! (Er wirft sie in den Handkoffer.) Was brauche ich noch? – Ach, wie fühle ich mich leicht und frei! (Sich die Hände reibend): Die Abonnentenzahl steigt mit jeder Stunde, sie steigt wie eine Überschwemmung, sie steigt wie eine Rakete! Mein väterliches Erbteil ist schon so gut wie zurückerobert! (Sich besinnend): Reisegeld, sonst sperrt man mich unterwegs ins erste beste Bezirksgefängnis. Das wäre was für mich! (Er öffnet den Geldschrank und durchsucht ihn von oben bis unten.) Möglichst viel Reisegeld! Alles was da ist, bis auf den letzten Pfennig! (Er nimmt eine Handvoll Tausendmarkscheine heraus und zählt sie auf den Tisch.) Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun zehn. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn. Zwanzigtausend! (Streicht sie zusammen und steckt sie in die Tasche.) Vielleicht ist noch mehr drin! (Er durchsucht die Geldschrankfächer.) Nicht ein Pfennig bleibt zurück! Endlich komme ich dazu, den Ertrag meiner Arbeit in voller Freiheit zu genießen. Das ist der schönste Tag meines Lebens: Ich stehle mir selber das Geld aus dem Schrank! – Halt! – Die Kontrakte mit meinen Mitarbeitern! (Er nimmt einen Registrator mit Kontrakten aus dem Geldschrank.) Die Kontrakte müssen notwendig mit, sonst zerreißen sie mir die Kinder! (Er blättert darin). Ein leichtes Paket – und enthält mindestens fünfhundert Lebensjahre! Und was für Lebensjahre! Lebensjahre der herrlichsten Arbeit! Alles die fleißigsten Menschen! In unzerreißbaren Halsbinden! – (Im Begriff, den Registrator in den Handkoffer zu legen): Soll ich die Kontrakte wirklich mitnehmen? Nein! Die Kontrakte übergebe ich meinem Stellvertreter. Mein Stellvertreter muß die wilden Gesellen damit im Zaum halten. (Er legt den Registrator auf den mittleren Schreibtisch, kehrt zum Geldschrank zurück und blickt hinein.) So! Jetzt ist nichts mehr drin! – (Von einem Kleiderrechen an der gegenüberliegenden Wand nimmt er einen abgetragenen englischen Strohhut, prüft ihn eingehend von außen und innen, legt ihn mitten in den Geldschrank, schließt die Türe und zieht den Schlüssel ab.) – Jetzt noch Reiselektüre und Zigarren. (Er durchsucht einen Stoß Zeitungen.) »Der Tag«, »Die Woche«, »Der Monat«, »Das Jahr«, »Das Jahrhundert«, »Das Jahrtausend«, »Wie werde ich energisch«. Das kann ich brauchen! (Er wirft die Zeitung »Wie werde ich energisch« in den Handkoffer.) Jetzt noch eine Kiste Bock oder Henry Clay! (Nimmt eine Zigarrenkiste aus dem Schreibtisch und riecht hinein.) Die sind schon etwas trocken, aber wenn man sie bei Nacht in den Mund steckt, sehen sie noch ganz gut aus. (Er legt die Zigarrenkiste in den Handkoffer.) So, jetzt habe ich alles! (Legt die Hände auf den Rücken, geht auf und ab.) Wenn ich erst die Million habe, zu der ich mit diesem Majestätsbeleidigungsprozeß den Grundstein gelegt habe, und dann noch zwei Millionen, dann habe ich drei Millionen. (Bleibt stehen und sieht nach der Uhr.) Punkt vier ist es. Wenn ich in anderthalb Stunden nicht auf der Eisenbahn sitze, dann ist meine Zukunft ein Misthaufen. (Er setzt sich auf den Drehstuhl am mittleren Schreibtisch und spricht ins Telephon): Sagen Sie Herrn Vollmann, er möchte eben herüberkommen.

Pause. Darauf tritt der Buchhalter Vollmann ein und stellt sich Sterner so gegenüber, daß er dicht vor dem Handkoffer steht.

Vollmann: Was steht zu Diensten, Herr Sterner?

Sterner: Guten Tag, Herr Vollmann. Wenn Sie der Handkoffer stört, dann stellen Sie ihn ruhig dort in die Ecke.

Vollmann: O bitte, der Handkoffer stört mich gar nicht. (Er klappt den Handkoffer zusammen, stellt ihn an die Wand und kehrt auf seinen Platz zurück.)

Sterner: Ich muß heute abend verreisen, lieber Herr Vollmann. Ich muß Sie aber bitten, bevor ich fort bin, nicht darüber zu sprechen. Ich komme voraussichtlich in den nächsten zwei Jahren nicht nach Deutschland zurück. Sie brauchen sich aber meinetwegen durchaus nicht zu ängstigen; ich habe die feste Überzeugung, daß wir uns in zwei oder drei Jahren fröhlich wieder hier auf unserer Redaktion zusammenfinden. Aber ich möchte Ihnen jetzt noch gerne rasch auseinandersetzen, weswegen ich Sie angestellt habe.

Vollmann: Bitte, Herr Sterner.

Sterner: Sie waren bis vor zwei Monaten bei Kortum in Stuttgart in Stellung?

Vollmann: Ich war drei Jahre bei Kortum in Stuttgart.

Sterner: Ich habe bei Kortum in Stuttgart angefragt, warum man Ihnen bei Ihrem Weggang so glänzende Empfehlungen mitgegeben hat. Das kam mir natürlich verdächtig vor. Aber Kortum in Stuttgart antwortete mir, man habe Ihnen bei Ihrem Weggang diese glänzenden Empfehlungen nur deshalb mitgegeben, weil Sie für Ihre dortige Stellung zu selbständig waren. Deshalb, sehen Sie, habe ich Sie engagiert.

Vollmann: Ich weiß noch nicht ganz genau, Herr Sterner, wie ich das verstehen darf.

Sterner: Ganz einfach. Ich brauche für die Zeit meiner Abwesenheit eine möglichst selbständige Persönlichkeit in meinem Geschäfte. Hier habe ich zum Beispiel die Kontrakte, die ich mit meinen Mitarbeitern geschlossen habe. (Er öffnet den Registrator): Hier sehen Sie den Kontrakt mit Kuno Konrad Laube. Nehmen Sie sich vor diesem Laube in acht! Wenn Kuno Konrad Laube Vorschuß von Ihnen verlangt, dann tut er das immer nur, um zu erfahren, wieviel Geld Sie noch in der Kasse haben.

Vollmann: Ich wäre Ihnen äußerst dankbar, Herr Sterner, wenn Sie mir ähnliche zweckentsprechende Verhaltungsmaßregeln auch in bezug auf die anderen Herren erteilen wollten.

Sterner: Sehr gerne. – Hier ist der Kontrakt mit Dr. Kilian. Dr. Kilian, der Jurist ist, hat den Kontrakt selber aufgesetzt, damit keine Mißverständnisse zwischen uns entstehen könnten. Ich verstehe den Kontrakt aber leider nicht. Ich habe ihn schon mehrmals durchgelesen, bin aber bis zum heutigen Tag noch nicht klug daraus geworden. – Hier ist der Kontrakt mit Leonhard Burry; darüber brauchen wir kaum zu sprechen. Burry ist etwas jähzornig, im übrigen aber ein gänzlich harmloser Mensch. Ich sage Burry jeden Tag, er sei eine Weltberühmtheit. Dafür überläßt er mir seine Zeichnungen um die Hälfte billiger, als wie er sie an der nächsten Straßenecke loswerden könnte. – Und nun kommt noch der Kontrakt mit dem Freiherrn von Tichatscheck. Tichatscheck hat ungefähr zehntausend Mark Vorschuß von mir erhalten. Ist aber von seinem Vorschuß die Rede, dann sage ich ihm immer ganz ruhig, es seien zwanzigtausend Mark. Ich rechne ihm natürlich nicht so viel an. Aber Herr von Tichatscheck ist nun einmal stolz darauf, möglichst viel Schulden zu haben. Warum soll ich ihm also sein Vergnügen nicht gönnen!

Vollmann: Ich danke Ihnen, Herr Sterner, für diese zweckentsprechenden Aufklärungen, mit denen ich den Herren gegenüber zweckmäßigerweise vollständig auszukommen hoffe. Ich hatte auch bei Kortum in Stuttgart . . .

Sterner: Ja, ich weiß schon, was Sie auf der Zunge haben. Nun aber noch eins, Herr Vollmann: Sie haben doch Familie?

Vollmann: Gewiß, Herr Sterner, ich bin verheiratet.

Sterner: Das heißt. Sie haben eine Frau. Ich frage Sie aber, ob Sie Familie haben?

Vollmann: Kinder habe ich allerdings nicht.

Sterner: Das ist aber recht fatal für mich, daß Sie keine Kinder haben.

Vollmann: Ich habe keine Ahnung, Herr Sterner, wie ich das verstehen soll.

Sterner: Ganz einfach: Eine Frau ohne Kinder ist doch gar keine richtige Garantie für mich.

Vollmann: Zweifeln Herr Sterner vielleicht daran, daß ich meine Frau aufrichtig liebe?

Sterner: Das ist mir vollständig gleichgültig. Aber wenn Ihre Frau keine Kinder hat, dann langweilt sie sich bei Ihnen. Infolgedessen macht sie Ihnen das Leben sauer, und Sie gehen mit der Kasse nach Amerika durch.

Vollmann: Wie können Sie mir zutrauen, daß ich jemals meine Frau verlasse!

Sterner: Damit würden Sie Ihrer Frau den größten Gefallen tun. Wenn Ihre Frau keine Kinder hat, führt sie ohne Sie ein viel schöneres Leben, als wenn sie mit Ihnen verheiratet ist. Könnte Ihre Frau denn nicht vielleicht rasch noch ein Kind bekommen?

Vollmann: An mir liegt es selbstverständlich nicht, daß meine Frau bis jetzt noch keine Kinder hat. Aber das ist für mich doch wahrhaftig noch keine Veranlassung, mit der Kasse nach Amerika durchzubrennen.

Sterner: Warum denn nicht! Kortum in Stuttgart hat Sie doch gerade deshalb als Buchhalter empfohlen, weil Sie für die dortige Stellung zu selbständig waren.

Vollmann: So dürfen Sie das aber wirklich nicht auffassen!

Sterner (sich erhebend): Wollen Sie meine Auffassungsweise bitte mir überlassen! Ich kann jetzt nicht länger mit Ihnen sprechen. Mein Schwiegervater ist eben gekommen. Ich höre seine Stimme draußen.

Vollmann: Ich ziehe mich zurück, Herr Sterner.

Sterner (ihm den Registrator gebend): Nehmen Sie gleich die Kontrakte mit. Schließen Sie sie sorgfältig ein. Sobald Sie zwei Kinder haben, erhöhe ich Ihr Gehalt um zwanzig Mark monatlich. (Eindringlich): Geben Sie sich doch ein bißchen Mühe!

Vollmann: Ganz, wie Sie befehlen.

Vollmann öffnet mit einem Bückling die Tür zum Nebenzimmer. durch die Ole Olestierna eintritt und geht ab. Ole Olestierna, ein hochgewachsener Mann mit erhobenem Kopf, glattrasiertem Gesicht, goldener Brille und weißer Löwenmähne, tritt aufgeregt ein. Er spricht mit fremdländischem Akzent.

Olestierna: Ich finde das unerhört von dir! Ich fühle deutlich, daß ich, obschon du meine jüngste Tochter geheiratet hast, nicht länger persönlich mit dir verkehren kann!

Sterner: Ich weiß nicht, lieber Schwiegerpapa, wovon du sprichst.

Olestierna: Ich befinde mich noch in einer so hochgradigen Aufregung, daß es mir die größte Mühe kostet, die einer so ungeheuerlichen Beschimpfung gegenüber angebrachten Ausdrücke ausfindig zu machen!

Sterner: Ich hätte dich beschimpft?! – Unsinn!

Olestierna (nimmt ein Zeitungsblatt aus der Tasche): Ich bekomme heute morgen eine Nummer der »Preußischen Kreuzzeitung« zugeschickt. In dem Blatt steht schwarz auf weiß gedruckt: (Liest): Die politischen Ansichten Ole Olestiernas kann doch unmöglich ein vernünftiger Mensch mehr ernst nehmen, seitdem sich dieser Volksheld und Freiheitsdichter von seinem Schwiegersohn, dem Verlagsbuchhändler Georg Sterner, aushalten läßt.

Sterner: Ich werde das Gerücht sofort dementieren.

Olestierna: Das wagen die Menschen von Ole Olestierna zu behaupten! – Während ich seit fünfzig Jahren unausgesetzt arbeite, um den Ruhm, den mir meine Dichtung einträgt, unserer Politik zum Opfer zu bringen! Ich lebe von dem Gelde meines Schwiegersohnes! Noch dazu eines Schwiegersohnes, der sich die letzten Öre seines väterlichen Erbteils von seinem Freunde Gadolfi aus der Tasche holen ließ! Von solch einem Kleinod von Schwiegersohn läßt sich Ole Olestierna aushalten! Ich schäume förmlich vor Wut über den Verdacht, in den ich durch deine Verheiratung mit meiner Tochter geraten bin!

Sterner: Was geht mich die »Preußische Kreuzzeitung« an!

Olestierna (im höchsten Zorn): Leugne deine Urheberschaft nicht so teuflisch! Ich muß diesen Mangel an Sittlichkeitsgefühl zurückweisen! Hast du nicht gestern abend noch dem Schriftsteller Bouterweck gesagt: Mein Schwiegervater ist ein großes Kind?! Wenn du so zu dem Schriftsteller Bouterweck sprichst, dann ist das für mich der deutlichste Beweis dafür, daß du mich für einen alten Esel hältst!

Sterner: Lieber Schwiegerpapa! Wenn du mir deine moralische Unterstützung versagst, dann hat deine Tochter Leona kein Hemd anzuziehen!

Olestierna: Lieber soll Olestiernas Tochter nackt durch die Straßen spazieren, als daß ihr Erzeuger in den Ruf der Prostitution gerät! Als ich vor vierzehn Tagen in der Heimat war, sagte ich zu unserem König: Die Dynastie Olestierna wurzelt tiefer im Volke als deine Dynastie! Heute erfahre ich zu meiner unbezähmbaren Überraschung, daß die Dynastie Olestierna in dem ausgeplünderten Geldbeutel eines naseweisen Schulknaben wurzelt!

Sterner: Ich muß morgen früh ins Gefängnis! Es tut mir leid, aber ich habe keine Zeit mehr für dich.

Olestierna: Ins Gefängnis? Du?!

Sterner: Wo kommt man mit seiner Menschenliebe denn anders hin?! Jesus Christus ist auch ins Gefängnis gekommen!

Olestierna (reicht ihm die Hand): Ich – bitte dich um Verzeihung!

Sterner (ihm flüchtig die Hand drückend): Was ändert denn das daran! Max Bouterwecks Gedicht »Palästinafahrt« ist wegen Majestätsbeleidigung konfisziert worden. Der Schlaumeier schreibt natürlich seinen Namen nicht darunter und ich als Herausgeber sitze morgen an seiner Stelle im Gefängnis!

Olestierna: Dieser Bouterweck ist der niederträchtigste Geselle, der mir in Europa begegnet ist!

Sterner: Das lächerlichste ist, daß er mit aller Gewalt zum Theater will. Er ist schon irgendwo als Statist angestellt. Du mußt ihm sagen, daß er kein Talent für die Bühne hat.

Olestierna: Dazu muß ich ihn zuerst spielen sehen.

Sterner: Wieso denn? Ist es für die Menschheit etwa nicht besser, wenn Max Bouterweck Gedichte über den Weltfrieden, die allgemeine Abrüstung und die Verbrüderung der Kulturvölker schreibt, als wenn er sich aus purer Faulheit jeden Abend für Geld sehen läßt?

Olestierna: Ich werde Bouterweck sagen, daß er kein Talent für die Bühne hat.

Sterner: Du darfst überhaupt nicht glauben, daß ich mir etwa ein besonderes Vergnügen daraus mache, ins Gefängnis zu gehen! Mich packt ein Grauen, wenn ich mir vorstelle, wie meine Mitarbeiter mir während meiner Gefängnishaft auf der Nase herumtanzen werden!

Olestierna: Ich fühle, daß ich dir in dieser Angelegenheit jede Hilfe angedeihen lassen muß, die ein Vater seinen Kindern zuteil werden lassen kann. (Klopft ihm auf die Schulter und schüttelt ihm nochmals die Hand.) Du bist ein wackerer Bursche!

Sterner (zuckt die Achseln): Jesus Christus mußte auch immer auf der Hut sein, daß ihm seine Jünger nicht auf den Kopf stiegen. Es kann diesen Drachentötern nur nützlich sein, wenn du ihnen einmal ganz gehörig die Leviten liest. (Er öffnet die Flurtür.) Wollen Sie bitte eben hereinkommen, meine Herren!

Dr. Kilian, dann Burry, dann von Tichatscheck, dann Laube, dann Vollmann und als letzter Bouterweck treten durch die Flurtür ein; Burry, Laube und von Tichatscheck in allermodernster, nagelneuer Kleidung, Burry hält eine Mappe unter dem Arm; er hat sich die Haare schneiden lassen und ist à la Beethoven frisiert. Dr. Kilian trägt grüne Joppe, Lederhose. Wadenstrümpfe und Nagelschuhe.

Sterner: Wollen Sie sich bitte hier in einer Reihe hinstellen! (Zu Bouterweck): Das ist schön, daß Sie gleich hergekommen sind!

(Die Herren stellen sich in der Reihenfolge, in der sie eingetreten sind, nebeneinander auf.)

Burry (zu Dr. Kilian): Sie brauchten nicht erst krachlederne Hosen anzuziehen! Ihren Mangel an Erziehung merkt man auch so! (Er schiebt ihn beiseite und stellt sich an seinen Platz.) Gehen Sie! Lassen Sie mich dahin! Bevor sich ein Mensch überall immer gleich oben anstellt, sollte er es doch erst einmal zu einer Spur von Weltbedeutung gebracht haben!

Sterner (gedämpft zu Vollmann): Wie kommen Sie zu der Unverschämtheit, sich zwischen die Mitarbeiter zu stellen?! wechseln Sie Ihren Platz mit Herrn Bouterweck! (Vollmann tut es.)

Olestierna (spricht das Folgende langsam, nach den Ausdrücken suchend und die Ausdrücke stark betonend): Ich werde Ihnen, meine lieben jungen Herrn, zuerst ein kurzes Wort zur allgemeinen Ermunterung sagen. An jeden einzelnen von Ihnen werde ich dann noch im besonderen eine – erleuchtende Bemerkung richten. Die Politik, meine Herren, ist ein zu erhabener Beruf, als daß der Mensch mit ihr seiner Eitelkeit frönen könnte. Als ich das letztemal in der Heimat war, saßen ich und der König bei einem Grog zusammen. Ich sagte zu unserm König: Sie müssen sich etwas zusammennehmen! Wenn nicht, dann zeigt Ihnen Ole Olestierna, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat. Die Politik, meine Herren, legt dem Politiker Opfer auf, wie sie ein gewöhnlicher Mensch gar nicht erschwingen kann. Jede Bereicherung an Ruhm, die ich mir durch meine Betätigung als Dichter erkämpfe, werde ich zur Erreichung meiner politischen Ziele freiwillig wieder zum Opfer bringen. – Herr Burry, hören Sie genau auf die Bedeutung meiner Worte: Sie sind der begnadetste Künstler, den ich auf dieser Welt getroffen habe! – (Zu Dr. Kilian tretend): Sie, Herr Doktor, sind ein bewunderungswürdiger Horcher! Ihr Ohr vernimmt den unscheinbarsten Laut, welcher der Natur des Menschen entschlüpft. Ihre Dichtung hilft dem Laut zu ewigem Gedächtnis. – (Zu von Tichatscheck tretend): Sie, Herr Baron, sind ein Volksmann von Gottes Gnaden. Es ist mir ein Labsal, in Ihrer feinfühligen Kunst Adel und Bürgerschaft immer wieder unzertrennbar auseinandergeschweißt zu finden. – (Zu Laube tretend): Ihnen, Herr Laube, sage ich nur eines: Bleiben Sie hartgefroren! Tauen Sie niemals auf! Wenn Sie warm werden, dann werden Sie weich! Und wenn Sie weich werden, dann hören Sie auf, die Luft zu reinigen! – (Zu Bouterweck tretend): Sie, Herr Bouterweck, sind der miserabelste Schauspieler, der jemals eine Bühne betreten hat. Sie müssen dichten! Haben Sie mich verstanden? Dichten müssen Sie! – (Zu Vollmann tretend): Sie, mein Herr, ersuche ich, mir mitzuteilen, wie man hier hinausgelangt.

Sterner (die Tür zum Nebenzimmer öffnend): Hier ist der Ausgang, lieber Schwiegerpapa.

(Olestierna verläßt stolzerhobenen Hauptes das Zimmer.)

Sterner (zu Vollmann): Helfen Sie doch meinem Schwiegervater in seinen Überrock!

(Vollmann ab.)

Sterner: Haben Sie jetzt gehört, Herr Bouterweck, was Sie tun müssen? – Wenn Sie so feurig fürs Theater schwärmen, dann schreiben Sie doch einmal ein Lustspiel, das aus nichts als Till Eulenspiegelwitzen besteht. Jedes Wort, das in dem Stück vorkommt, müßte ein Till Eulenspiegelwitz sein! Der Titel des Lustspiels müßte natürlich auch »Till Eulenspiegel« lauten. Das wäre die glänzendste Reklame, die ich mir für den »Till Eulenspiegel« wünschen könnte!

Dr. Kilian: Der Bouterweck tut nicht so leicht etwas schreiben, solang er noch so viel in der Tasche hat, daß er sich abends seinen Rausch antrinken kann!

Burry (überreicht Sterner eine Zeichnung aus seiner Mappe): Ich bringe Ihnen hier die Zeichnung, die heute notwendig noch für die nächste Nummer in die Druckerei geschickt werden muß.

Sterner: Ist sie gut geworden? (Er betrachtet die Zeichnung und rümpft die Nase.) Sie scheinen wieder einmal nichts gegessen zu haben?

Burry: Doch, ich habe sogar sehr gut gegessen. Ich rieche heute auch gar nicht aus dem Mund. Ich rieche heute nur aus den Füßen. Der Geruch kommt davon, daß ich an heißen Füßen leide.

Sterner: Würden Sie es nicht vielleicht einmal damit versuchen, sich die Füße zu waschen?

(Burry versetzt Sterner einen Faustschlag mitten ins Gesicht, so daß Sterner zu Boden stürzt und regungslos liegen bleibt. – Pause.)

Laube (zu Burry): Wenn Sie ihn totgeschlagen haben, dann verklagen wir Sie auf Schadenersatz.

Burry: Wie soll man mit solch einem ungebildeten Menschen anders reden.

Dr. Kilian: Ich an Ihrer Stelle hätte ihn einfach auf die Kirchweih geladen.

v. Tichatscheck: Wenn wir jetzt nur über den Besitz unserer Damen einig wären! Dann könnten wir den »Till Eulenspiegel« ja vielleicht auf eigene Rechnung weiterführen.

Dr. Kilian (berührt Sterner mit der Fußspitze): Gehen Sie, Sterner! Tun Sie aufstehn! Sie versauen den ganzen Fußboden mit Ihrem Blut!

Sterner (erhebt sich ächzend und stöhnend, ein blutiges Taschentuch vors Gesicht haltend): Der Grobian hat mir das Nasenbein zerschmettert! (Er geht zum Waschtisch und wäscht sich das Gesicht.)

Laube: Es ist nicht so leicht, eine satirische Zeitschrift herauszugeben!

Burry (zu v. Tichatscheck, seine Hand betrachtend): Ich hätte nie geglaubt, daß ich so viel Kraft in dieser Hand habe.

Sterner (am Waschtisch, immer noch stöhnend): Bouterweck! Sie müssen sofort einen brillanten Witz machen! Geben Sie sich mal ein bißchen Mühe! Mein Schwiegervater hat Ihnen ja gesagt, daß Sie dichten müssen! Der Witz muß heute abend noch mit Burrys Zeichnung in die Druckerei, sonst kann die nächste Nummer unmöglich mehr rechtzeitig erscheinen. – (Zu Burry): Lassen Sie mich die Zeichnung noch einmal sehen.

Burry (ihm die Zeichnung hinhaltend): Lassen Sie Ihre Hände davon, sonst kommen noch Blutflecken darauf.

Sterner (die Zeichnung betrachtend): Ein Herr und eine Dame in Gesellschaftskleidung! Es ist nicht zu glauben, woher Sie den Geist nehmen, mit dem Sie diesen gleichen Herrn und diese gleiche Dame immer und immer wieder so packend naturgetreu aufs Papier werfen!

Burry: Wenn ich mir vorstelle, was der Albrecht Dürer oder der Leonardo da Vinci für einen verschrobenen Wurstkegel daraus gemacht hätten, dann möchte ich mich übergeben.

Sterner: Also vorwärts, Bouterweck! Nehmen Sie die Zeichnung mit ins Nebenzimmer. Vielleicht fällt Ihnen etwas über Ihre Geliebte ein. Sie erzählten mir ja schon von Ihren schmutzigen Geschichten. In zehn Minuten muß der Witz fertig sein! Worauf warten Sie denn noch? (Scharf): Glauben Sie, ich finde mein Geld auf der Straße?!

Bouterweck (will zuerst etwas antworten, nimmt dann mechanisch die Zeichnung und geht ins Nebenzimmer).

Sterner: Man muß ihn vorher immer etwas an seinen wunden Stellen kitzeln. Dann werden seine Witze um so blutiger.

Dr. Kilian: Ich bin ein Mensch, wissen Sie – ich kann überhaupt keine Witze machen. Ich finde nämlich: Je tiefer der Mensch sich selbst verachten tut, um so bessere Witze macht er.

Laube: Ich finde, die prachtvollsten Witze macht der Mensch überhaupt immer über diejenigen Dinge, von denen er am wenigsten versteht!

Burry: Das ist auf ein Haar das gleiche, was mir jedesmal aufsteigt, wenn ich einen Witz machen will! Als Mitarbeiter am »Till Eulenspiegel« stehen wir einfach geistig viel zu hoch, als daß uns noch gute Witze einfallen könnten.

Sterner: Wie meinen Sie das, mein lieber Herr Burry?

Burry: Ihnen geht das natürlich nicht in den Kopf! Hat sich der Mensch durch seine Kunst einmal solch eine Bedeutung errungen, daß er von seinen Zeitgenossen zu den weltbewegenden Persönlichkeiten gezählt wird, dann ist es schlechterdings ausgeschlossen, daß er noch gute Witze machen kann.

Sterner: Jetzt verstehe ich, was Sie meinen. Auf meine Witze ist leider erst recht kein Verlaß, weil Sie mir immer zur unrechten Zeit einfallen. In dem Augenblick, wo ich einen Witz notwendig brauche, kommt bei mir immer so dummes Zeug zutage, daß ich selber ganz sprachlos darüber bin.

Dr. Kilian: Um eine ergiebige, zuverlässige Bezugsquelle für brauchbare Witze zu haben, täte man meiner Ansicht nach am besten einen richtigen Trunkenbold anstellen, ein vollständig verkommenes Subjekt, wissen Sie, einen Lumpenkerl, der nicht nur keinen Funken Achtung mehr vor sich selbst hat, sondern der auch alles übrige verachtet, was von irgendeinem Menschen in dieser Welt aus irgendeinem Grunde geschätzt werden tut.

Laube: Ich finde Ihren Vorschlag höchst unpraktisch! Ein Trunkenbold ist eine teure Quelle! Ich glaube, wir kämen billiger zu brauchbaren Witzen, wenn wir uns an das städtische Waisenhaus wendeten.

Sterner: Das verstehe ich nicht, mein lieber Herr Laube. Warum sollten gerade im Waisenhaus die Witze so billig sein?

Laube: Weil Kinder keinen Alkohol nötig haben, um gute Witze zu machen. Unsere Regierungen schlachten die Unschuld der armen Waisenkinder bekanntlich dazu aus, um Lotterielose ziehen zu lassen. Warum sollen wir die Unschuld der armen Waisenkinder nicht dazu verwenden, um brauchbare Witze von ihnen zu bekommen?

Sterner (lächelnd): Sie sind ein Spaßvogel, lieber Herr Laube! Ihr Vorschlag ist selbst ein Till Eulenspiegelwitz. Sie können gleich für die nächste Nummer eine Zeichnung dazu machen. In diesem Augenblick erörtern wir hier aber eine ernste Geschäftsangelegenheit!

Dr. Kilian: Wenn Sie ein Kind zum Witzemachen abrichten, dann wird Ihnen das Kind durch Ihre Abrichtung schon in wenigen Wochen so witzlos, wie es unsereiner durch die größten literarischen Erfolge nicht werden tut. Da ist mein Vorschlag denn doch entschieden vernünftiger! Hätte dieser Bouterweck nur nicht die hartnäckige Zwangsvorstellung, er müßte noch einmal Achtung vor sich selbst haben, dann könnten wir uns mit dem Menschen vollkommen zufrieden geben. Leider Gottes ist er noch nicht abgestumpft genug! Sonst täte er uns um so göttlichere Witze machen, je tiefer er in seinem Schlamme versinken tut.

Sterner: Das billigste und praktischste wäre natürlich, wenn man gute Witze auf mechanischem Wege erzielen könnte. Warum denn nicht, meine Herren?! Man hat Maschinen zur Berechnung von Zinseszinsen erfunden! Warum sollte sich nicht eine Maschine konstruieren lassen, mit der man Witze anfertigen kann?!

v. Tichatscheck: In den Annalen der deutschen Höfe habe ich von den prachtliebenden Fürsten des Mittelalters gelesen, daß sie, ohne sich zu genieren, einfach Zwerge und Krüppel in ihren Dienst nahmen, um ihren Bedarf an guten Witzen zu decken.

Sterner: Das war sehr vernünftig von ihnen! Mit dieser Idee ließe sich vielleicht auch ein Geschäft machen.

Burry: Davon bin ich felsenfest überzeugt! Ein Mensch muß eben nicht nur geistig minderwertig, sondern er muß auch körperlich zurückgeblieben sein, damit er berufsmäßig andauernd gute Witze liefern kann.

Dr. Kilian: In erster Linie muß das Wesen, das der »Till Eulenspiegel« zum Witzemachen anstellt, jedenfalls für nichts in der Welt mehr Liebe oder Haß empfinden. In zweiter Linie muß das Wesen dann aber notwendig auch noch an Gedankenflucht leiden. Das macht die Sache so ungeheuer schwierig. Es darf keine Ahnung davon haben, was in der Welt zueinander gehört. Es muß die allerentferntesten Dinge in innigste Verwandtschaft zu einander bringen und muß sie dann nachher alle wie Kraut und Rüben durcheinander schmeißen.

v. Tichatscheck: Ich habe in den Annalen der deutschen Höfe gelesen, daß bei den Zwergen und Krüppeln von Liebe überhaupt nie etwas zu bemerken war. Ihren Haß hat man ihnen natürlich ganz einfach mit der Peitsche ausgebläut.

Sterner: Dies Verfahren muß der »Till Eulenspiegel« in Berlin zum Patent anmelden. Gleich in der nächsten Nummer veröffentlichen wir ein großes Inserat: Wasserkopf oder Mikrozephale gesucht!

v. Tichatscheck: Das ist vielleicht gar nicht notwendig. Ich kenne durch die Beziehungen meiner Familie zwei der modernsten Privatanstalten für Geistesschwache.

Sterner: Dann geben Sie mir bitte Empfehlungen an die Direktoren. Ich werde anfragen, ob man uns jemanden überläßt. Viel kosten kann solch ein Witzbold nicht. Je größer seine Beschränktheit ist, um so brillanter sind seine Witze, und um so bescheidener sind natürlich seine Gehaltsansprüche.

Leona Sterner tritt durch die Flurtür ein.

Leona: Ich störe dich, wie ich sehe.

Sterner: Du möchtest mich wohl allein sprechen?

Leona: Wenn es vor deiner Abreise noch möglich ist, möchte ich das allerdings.

Sterner: Ich muß Sie bitten, meine Herren, uns einen Augenblick allein zu lassen.

Laube (sich verbeugend): Mit Vergnügen, gnädige Frau! Wir sind viel zu weichherzige Menschen, als daß wir uns den Freuden einer zärtlichen Schäferstunde in den Weg stellen möchten.

v. Tichatscheck (sich verbeugend): Ich habe die Ehre.

Burry (bedeutungsvoll): Ich empfehle mich Ihnen.

Dr. Kilian: Servus.

(Laube, v. Tichatscheck, Burry und Dr. Kilian durch die Flurtür ab. Sterner nimmt den Handkoffer, klappt ihn mitten auf dem Teppich auf und wirft während des Folgenden alles halbwegs für die Reise Verwendbare, das ihm unter die Hände kommt, hinein. Darauf zieht er einen Reisemantel an und setzt eine Mütze auf.)

Leona: Ich höre zu Hause von unseren Dienern, daß du heute abend nach Belgien verreisen willst.

Sterner: Ich habe mich anders besonnen. Ich fahre in die Schweiz.

Leona: Ich bitte dich, Georg, bleib hier! Dieser Max Bouterweck ist schon seit langer Zeit dein erbittertster Feind. Willst du diesem elenden Menschen nun das Recht geben, dich vor aller Welt einen Schurken zu nennen?

Sterner: Max Bouterweck ist alt genug, um selber zu wissen, was er tut. Ich kann mich nicht ins Gefängnis sperren lassen. Ich bin zu nervös dazu. Ich wüßte gar nicht, was ich da drinnen anfangen sollte.

Leona: Ich bitte dich noch einmal inständig: Bleib hier! Geh nicht in die Schweiz. Man wird euch doch nicht Knall und Fall von heute auf morgen einsperren. Wenn du Max Bouterweck hier allein zurückläßt, dann wendet er sich sofort mit Drohbriefen an meinen Vater. Dessen bin ich vollkommen sicher. Und mein Vater ist nicht der Schwächling, der dann, nachdem du dich freiwillig hast beschimpfen lassen, noch bei irgendwem ein gutes Wort für dich einlegt.

Sterner: Es wäre einfach ein Verbrechen an unseren Kindern, wenn ich jetzt hier bliebe. Der »Till Eulenspiegel« ist in diesem Augenblick zu einem Weltblatt geworden. Dieses Weltblatt muß ich unseren Kindern erhalten. Meine Bewegungsfreiheit ist für unser Geschäft jetzt einfach unentbehrlich!

Leona: Was kümmert mich unser Geschäft! Mich kümmert es, den Vater meiner Kinder nicht von einem jämmerlichen Zeitungsschreiber als Feigling, als Verräter gebrandmarkt zu sehen! Kannst du die hunderttausend Mark, die wir jährlich brauchen, denn nicht vielleicht auf irgendeine Art aufbringen, ohne dabei die Pläne zunichte zu machen, die dieser verzweifelte Mensch mit seinen Theaterstücken verfolgt?!

Sterner: Das ist es ja gerade! Kommt Max Bouterweck jetzt nicht ins Gefängnis, dann bleibt er sein ganzes Leben lang beim Theater! Dann denkt er nicht mehr daran, politische Gedichte zu schreiben! Ich muß die günstige Gelegenheit ausnützen. Übrigens kennt der Bouterweck ja gar keinen höheren Genuß, als endlich einmal zum Märtyrer zu werden. Ich verstehe nicht, warum dir der Mensch so leid tut! Für den ist das Gefängnis das reine Schlaraffenland. Er bekommt regelmäßig zu essen, er braucht sich nicht zu waschen, der Gerichtsvollzieher kann nicht zu ihm hinein . . .

Leona: Wir brauchten seine Rache ja auch gar nicht zu fürchten, wenn er nur wenigstens aufrichtig für seine Gedichte einstehen könnte.

Sterner: Aber du kennst ja die Eitelkeit des deutschen Schriftstellers nicht! Der steht für jedes Komma, das er geschrieben hat, mit seiner Ehre ein!

Leona: Was hast du denn da im Gesicht?

Sterner (wischt sich das Gesicht ab): Burry und ich haben uns vorhin im Boxkampf geübt. Wir sind uns dabei aus Versehen etwas zu nahe gekommen. Ich hätte ihm beinahe das Nasenbein zerschmettert. – Ich habe die feste Überzeugung, daß wir uns in zwei oder drei Jahren alle wieder ganz fröhlich hier auf der Redaktion zusammenfinden. Die Strafe, die ich als Herausgeber zu gewärtigen habe, läßt sich vom Ausland her am leichtesten mit Geld abmachen. In drei oder vier Tagen reist du mir von hier aus mit den Kindern nach. Weihnachten feiern wir zusammen in der Schweiz und mieten uns dann eine hübsch gelegene Wohnung in Paris.

Leona: Bist du dessen ganz sicher, daß ich dir mit den Kindern nachreisen werde?

Sterner: Nach dem Gesetz soll die Frau den Aufenthalt ihres Mannes teilen. Zur Not finde ich mich in Paris aber auch allein zurecht.

Leona: Georg! Bei dem Lebensglück unserer Kinder beschwöre ich dich: Bleib hier!

Sterner: Ich bedanke mich für eine Frau, die ihren Mann mit aller Gewalt ins Gefängnis jagt! Andere Frauen haben ihre Männer unter Lebensgefahr aus dem Gefängnis befreit! Du möchtest mir wohl, während ich eingesperrt bin, gerne Hörner aufsetzen?

Leona (schreit): Georg! – – (Sie geht, die Hände über dem Kopfe ringend, umher.) Und ich törichtes kindisches Geschöpf bildete mir ein, ich könnte diesen Menschen durch die Übersetzung der Gedichte meines Vaters veredeln! – Herr Gott im Himmel, zeig mir ein Mittel, wie ich meinen armen Kindern ihren Vater erhalten kann!

Sterner: Paperlapap! Glaubst du denn etwa, ich merke nicht, was sich seit einiger Zeit zwischen dir und Tichatscheck abspielt?! Hast du dich ihm denn nicht erst neulich abend noch im Nachthemd auf die Knie gesetzt?

Leona: Großer Gott, das tat ich doch nur, weil du selber mich dazu auffordertest! Er hat dir ja dann auch seine Wettrennen-Zeichnung um hundert Mark billiger überlassen.

Sterner: Ich habe dich nur dazu aufgefordert, um dich auf die Probe zu stellen! Eine anständige Frau läßt sich auf solche Zumutungen einfach nicht ein!

Leona: Georg! (Ihre Augen füllen sich mit Tränen, sie wirft sich vor Sterner zu Boden und umklammert seine Knie.) Ich beschwöre dich, Georg! Ich liege nicht um meiner selbst willen hier! Um unserer Kinder willen knie ich vor dir! Um unserer unschuldigen Kinder willen! Georg, ich umklammere den Vater meiner Kinder! Bleib hier, Georg! Bleib hier! Stehst du dir denn nicht selbst zu hoch, um dich so teuflisch zu Boden zu treten?! Du bist ein rastloser Arbeiter! Du verspielst dein Geld nicht! Du hältst dir keine Weiber! Du trinkst nicht! Was bin ich gegen dich, Georg! Nichts bin ich! Nichts, ich schwör' es! Zwei Kindern habe ich das Leben geschenkt, sonst hätte ich nicht den Mut, deine Frau zu heißen! Aber du erwürgst uns alle miteinander, dich, mich, die Kinder, wenn du dich vor der ganzen Welt »Schurke« nennen läßt! Ist dir das nicht klar, Georg?! Schlag mir mit deinen Fäusten den Kopf in Stücke! Tritt mir die Augen aus, wenn es dir Erleichterung schafft! Aber bleib hier!

(Sterner hat sich vergeblich ihrer Umklammerung zu erwehren gesucht, so daß sie ihm auf den Knien über den ganzen Teppich nachgerutscht ist. Nach ihren letzten Worten reißt er sich los.)

Sterner: Ich brauche noch ein Paar Gummischuhe! (Er öffnet die Tür zum Seitenzimmer.)

Bouterweck (tritt heraus, Burrys Zeichnung in der Hand): Ich habe bis jetzt einen geeigneten Witz zu dieser Zeichnung noch nicht finden können.

Sterner: Das eilt auch gar nicht, lieber Herr Bouterweck! (Er geht ins Nebenzimmer, kommt mit einem Paar Galoschen zurück, setzt sich auf einen Sessel und zieht die Galoschen an.) Ich hoffe, Sie werden Muße vollauf finden, um einen Witz zu dieser Zeichnung auszudenken, wie er blutiger im »Till Eulenspiegel« noch nicht erschienen ist. (Er klappt den Handkoffer zusammen und will Leona in die Arme schließen; da Leona sich nicht rührt): Du hast recht! Ersparen wir uns die Tränen! (Ihr die Hand reichend): Auf Wiedersehn!

Leona (liegt regungslos mit vornübergebeugtem Kopf auf dem Teppich zusammengekauert).

Sterner: Na, denn nicht! – (Breit): Mahlzeit!

(Sterner eilt mit dem Handkoffer durch die Flurtür ab. Bouterweck betrachte Leona mit stummem Befremden.)


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