Wilhelm Walloth
Im Schatten des Todes
Wilhelm Walloth

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13.

Etwa eine halbe Stunde vor der Stadt hatte sich der reiche Weihals eine schloßartige Villa bauen lassen. Ein prächtiger vom kühlen Herbst jetzt goldrot angekränkelter Park umwogte die Zinnen, die graublauen Schieferdächer, die Erker, Türme und Türmchen des Herrensitzes, wie ein alter, kostbar gestickter Purpurkönigsmantel.

Er langweilte sich, der Herr Kommerzienrat. Umsonst trieb er allerlei Sport, umsonst ging er ins Theater, in Konzerte, umsonst schaffte er sich ein Automobil an, – es nützte alles nichts. Der äußere Reichtum konnte ihm die innere Armut nicht unfühlbar machen. Im Gegenteil, sie war wie ein Bettlergewand, das unter einem lose hängenden Prunktalar verborgen steckt und bald an den Knieen, 245 bald an den Ellbogen nur um so auffälliger herausplatzt. Seine magere Seele war sich oft selbst zur Last in ihrer fetten Hülle.

Er durfte nach Vorschrift des Arztes nur sehr frugal frühstücken, da sonst die Gicht im Anzug war. Wenn er dann morgens, ärgerlich darüber, daß sein schwacher Magen ihm nur eine dünne Wassersuppe erlaubte, mit einem müdverdrossenen Zug um die herabhängenden Mundwinkel und die bleichen, schwabbeligen Hängewangen, von seinen Hunden begleitet, in seinen Wirtschaftsräumen umherschlenderte, fand er im Ausschimpfen der Dienstboten einigen Trost. Zu tadeln gab es immer, denn in manchen Dingen war er sehr genau; überall in Küche, Stall und Keller, war zu viel verbraucht worden. Hinter seinem Rücken machten sich dann die Dienstboten über ihn lustig. Angst hatte man nicht, denn bei all seinem tadelsüchtigen Wesen besaß er doch wieder einen gewissen gutmütigen Zug. Sobald ein Ausgescholtener sich aufs Bitten verlegte, verzieh er ihm; und wenn er gar Tränen sah, schenkte er sogar Geld her. Diese Schwäche nutzten die raffinirten weiblichen und männlichen Diener weidlich aus. Er suchte seinem Despotismus mit einer gewissen absichtlichen Koketterie diese patriarchalische Rührseligkeit umzuwerfen, weil er gemerkt hatte, daß das Volk den am meisten verehrt, der im Zorn zuerst prügelt und dann großmütig die Börse zieht. So ward in der Villa immer viel geschimpft, geschlagen und geflennt und mit Silberklang getröstet.

246 Nach diesem Rundgang verbrachte er seine Zeit in seinem behaglich eingerichteten Studierzimmer mit der Verwaltung seines Vermögens. Hier standen auch Bücher in schönen Schränken – zum Anschauen. Gelesen wurden sie nie. Oft aber setzte er sich ans Klavier und suchte mit seinen fetten, ringblitzenden Fingern allerlei seltsame Akkorde, in die er sich genießend versenkte. Später kam dann sein Klavierlehrer Hinrichs, mit dem er auf Du stand, da er ihn schon vom zwölften Lebensjahr an als Lehrer gehabt hatte. Sie komponirten eben gerade eine Operette, d. h. Weihals hatte eine Skizze gemacht, die dann der vorzügliche Kontrapunktist so stark ›bearbeitete‹, daß kein Stein auf dem andern blieb. Bei dieser Korrektur ward gelacht, gescherzt, gehänselt. Weihals liebte es, seinen Lehrer in die Waden zu kneifen und an den Knieen zu kitzeln; während dieser Albernheiten mußte der geplagte Musikus, beständig um Ruhe bittend, Walzermelodien erfinden und verrenkte Akkorde einrichten. Aber seltsam, dieser ungebildete, eigentlich dumme Weihals fand oft wirklich nette Melodien, die sogar eine gewisse Poesie atmeten, so daß Hinrichs oft zu ihm spottend sagte: »Ich hab an dir erst kennen gelernt, was die Musik für eine traurige Kunst ist; da Trottel wie du was darin leisten können, hab ich bereits ganz den Geschmack an ihr verloren.« Hinrichs durfte sich als langjähriger Hausfreund, Erzieher und unentbehrlicher Ratgeber, solche Bemerkungen erlauben.

247 Heute gegen fünf Uhr saß Weihals in seinem von behaglicher Wärme durchfluteten Wintergarten unter Palmen. In diesem künstlichen Orient hatte er sich ein reizendes Plätzchen bereiten lassen. Ringsum schwoll zartes Grün, breite Blumendolden schwammen in dem milchig-weichen Licht, das vom Glasdach heruntersickerte; seine Gräser beschämten alle Gebilde der Menschenhand, goldne Bälle blickten aus dunkelgrüner Laubnacht. Vor dem rotsammtenen Divan prunkte ein in türkischem Geschmack gebautes, vergoldetes, niedriges Tischchen, auf dessen bunt eingelegter Platte eine ausgetrunkene silberne Kaffeetasse im Sonnenstrahl blitzte. Eine Wasserpfeife wölbte ihren Glasbauch am Fußboden und schickte eine braunrote Schlange bis zum Munde des Hausherrn, der ihrer gelben Bernsteinspitze duftend-kühle Zauberdämpfe entsog. In einen knisternd-seidenen Schlafrock gehüllt, den roten Fez auf dem früher lockigen, jetzt dünnbehaarten Schädel, las er die Zeitung.

Das letzte Gold des Herbstabends sickerte durch die grünlichen Glastafeln des Dachs, tropfte wie ein flüssiges Feuer von Palmblatt zu Palmblatt und durchschimmerte violett die blauen Wirbelwölkchen, die der Bernsteinspitze der Pfeife entstiegen. Allmählich ward es düsterer; der Kommerzienrat erhob sich und ließ die von einer Säule herabschwebende, orientalisch-bunte Laterne aufblitzen. Gleich darauf knisterte der Kies des Fußbodens, seine schon ältliche Wirtschafterin tauchte hinter den Palmenwedeln auf und meldete: eine 248 junge Dame wünsche den Herrn Kommerzienrat in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen. Er fragte, wie die Dame ungefähr aussehe? Sie sei sehr dicht verschleiert, erklärte die Dienerin.

»Laß sie eintreten,« entschied er sich, nach einigem Besinnen. Sie ging.

Weihals tat noch ein paar erregte Züge, ließ den violetten Qualm aus den Lippen gleiten und legte die gelbe Bernsteinspitze samt der rotbraunen Wasserschlange bei Seite. Er lauschte mit vorgebeugtem Haupt, den Arm auf den Divan gestützt. Sollten sich seine Vermutungen so rasch bestätigen? Sein Herz begann heftiger zu schlagen, über seine bleichen Hängewangen flog eine leichte Röte. Horch! Jetzt knisterte ein ängstlicher Schritt auf dem Kies; jetzt blieb der Fuß zögernd stehen. Der Kommerzienrat erhob sich und bog die aussichtversperrenden Blätter zurück.

»Was seh ich?« rief er mit etwas theatralischer Freude. »Sie? Frau Rechtsanwalt? Trete Sie doch näher.«

Frau Meyer, wie immer in elegantem, diesmal ganz schwarzem Kleid, das ihre gelblich-weiße Gesichtsfarbe pikant hob, kam in kleinen, unsicheren Schritten auf ihn zu und stammelte ein paar Begrüßungsworte.

»Ein seltener Besuch!« rief er und bot ihr einen roten Gartenstuhl. Sie hatte ihren Schleier zurückgeschlagen. Das verstörte Gesicht der Frau mit den geisterhaften verweinten Augen, ihr blendend vom dunkeln Gewand sich abhebender Hals, flößte seiner naiv-derben Leidenschaft neue Nahrung ein.

249 »Was ist Ihne?« sagte er, als sie sich zitternd niederließ und vergebens ihre innere Erregung zu dämpfen suchte. »Ich seh Ihne an, daß Ihne was Unangenehmes passiert ist?«

»Ja,« flüsterte sie, die nun ihre Tränen nicht länger zurückhalten konnte, »ich komme zu Ihnen, dem treuesten Freund unsrer Familie, wenn ich Sie so nennen darf . . .«

Er hatte sich ihr gegenüber gesetzt. »Gewiß!« entgegnete er und griff nach ihrer kleinen auf der Sessellehne ruhenden vom Handschuh befreiten Hand; »so dürfe Sie mich getrost nenne.« Ein süßer Schauer überrieselte ihn, als er die weiche Hand, die leise wie ein sterbendes Täubchen zuckte, streicheln durfte. »Nur heraus,« fuhr er mit teilnehmender Stimme fort. »Sie hawe was Schweres auf m Herze? gelt?«

»Allerdings, Herr Kommerzienrat,« flüsterte sie, indem sie mit dem feinen Taschentuch nervös über Augen und Mund fuhr. »Über mich ist Schweres hereingebrochen. Ich hab mich in der Person getäuscht, der ich mein Lebensglück anvertraut hatte. Die Stütze ist gebrochen . . . die Stütze . . .« sie konnte vor heftigem Schluchzen nicht weiter reden.

»Ich errat,« sagte er leise, »Sie meine unter der Stütze – Ihren Mann?«

»Ja,« klagte sie leise, »ich hab mich schwer, schwer in ihm getäuscht . . . Das heißt . . . ich will nicht alle Schuld auf ihn werfen,« lenkte sie ein, als sie bemerkte, daß im Auge des Zuhörenden ein aufmerksam freudiger Blitz aufzuckte, »auch 250 ich bin zu tadeln, – ich war, ohne es zu wissen, die geheime Ursache . . .«

»O, doch wohl net!« suchte er zu trösten. »Sie doch wohl net. Aber bitte, erkläre Sie sich deutlicher. Was hat er – ihr Mann – denn verübt?«

Sie besann sich einen Augenblick. »Erlassen Sie mir alle nähere Erklärung,« fuhr sie dann mit schmerzerstickter Stimme fort. »Sie brauchen ja die näheren Umstände nicht zu wissen. Sie brauchen nur zu wissen, daß ich tief, tief unglücklich bin . . .«

»Das seh ich, das seh ich,« stotterte er, wirklich von einem ihm sonst fremden Mitleid leise bewegt.

»Ja,« wiederholte sie gebrochen, »tief unglücklich . . . Und wissen Sie noch, Herr Kommerzienrat, wie Sie mir angedeutet haben, daß ich mich an Sie wenden dürfe, wenn ich je in eine schwierige Lebenslage käme?«

»Un ob ich mich erinner!« bestätigte er. »Freilich erinner ich mich! Sie wisse ja doch, was ich immer für n Anteil an Ihne genomme hab, Frau Rechtsanwalt. Es fragt sich nur, um was es sich handelt, un ob ich auch wirklich in der Lag bin . . . zu helfe.«

»Das sind Sie!« flehte sie leise. »Das sind Sie. Es fragt sich nur, ob Ihr Anteil an meinem Schicksal so groß ist, daß er auch ein Opfer nicht scheut.«

»Gern, gern bring ich ein Opfer,« sagte er. »Auf das Opfer bringe is ma ja angewiese in der Freundschaft . . .« Er rückte ihr näher.

»So darf ich offen heraussagen,« fragte sie, »um was ich Sie anflehen muß?«

251 Er nickte und sah ihr, immer inniger ihre Hand drückend, ins Gesicht.

»Nun denn,« fuhr sie fort, »ich brauch sofort . . . eine größere Geldsumme . . .«

»Gern! Wieviel etwa?«

»Zwanzigtausend Mark.«

Der Kommerzienrat ließ ein langes, erstauntes »Ui« durch die Zähne gleiten. »Zwanzigtausend Mark?« sagte er, »das is ä Wort! Zwanzig Tausend . . . hm! hm! Das läßt sich höre. Des is ja ä Kapitälche, wahrhaftig, ä Kapital!«

Sie schwieg und sah ihm gespannt in die Augen.

»Net wahr?« fragte er dann leise, »eigentlich brauche net Sie . . . Ihr Mann braucht das Geld?«

»Sie erraten!«

»Hab mers glei gedacht, hab mers glei gedacht. No ja! Wisse Se, liebe Frau, . . . liebe Sie denn Ihrn Mann so sehr, . . . ich mein . . . verdient er Ihre Lieb denn so sehr, daß . . . daß . . .«

»Er ist und bleibt mein Mann!« schnitt sie ihm den Satz ab. »Mag er getan haben was er will.«

»No ja! ich mein halt nur . . .«

»Das wär doch eine schlechte Frau, die ihren Mann im Unglück verließe.«

»No worum? Wenn er selbst an dem Unglück schuld is? Nehme Se mirs net übel, aber ich errat, um was es sich handelt. Er is Ihrer net wert, er hat offenbar was getan, was es net rechtfertigt, daß Sie so n Schritt für ihn tun.«

»Sie vergessen,« wendete sie ein, »daß auch meine Ehre, mein Name, auf dem Spiel steht.«

252 »No worum? Das seh ich net ein . . . «

»Herr Kommerzienrat, ich muß doch wohl selbst am besten wissen, welches Opfer ich meinem Mann bringen darf und kann . . .«

»Sie verstehe mich net, Frau Rechtsanwalt«, flüsterte er erregt, »ich mein . . ., es gibt doch Männer, die Ihrer Lieb würdiger sind, als . . . als . . .«

Sie sah ihn einen Augenblick befremdet an. Dann hauchte sie mit tränenerstickter Stimme, ihn absichtlich misverstehend: »Ich weiß, daß meine Bitte unverschämt ist. Ich weiß, daß nur die Verzweiflung sie einigermaßen entschuldigt . . . Die Not, die Schande, raubt mir die Besinnung, und Sie – sind doch ein so guter Mensch! nicht wahr?«

»Ja, freilich bin ich däs,« sagte er etwas beschämt. »Ja gewiß, ich bin ä seelenguter Mensch, däs war ich immer und hoffs auch zu bleiwe mei Lewe lang. Aber, bedenke Se, – zwanzigtausend Mark, die schüttelt mer net so, mir nix dir nix, aus dem Ärmel; däs is ä Wort! un wisse Se, ich werd sehr überschätzt, – mei Reichtum is gar net so groß.«

»Ja, wenn Sie mir die Summe nicht geben können,« fuhr sie resignirt fort, »bin ich Ihnen deshalb gewiß nicht bös. Betrachten Sie meine Bitte als nicht ausgesprochen. Es war ja nur ein Versuch, ein letzter Rettungsanker. So mag denn in Gottes Namen der Himmel über uns zusammen brechen!«

»Sie tun mer leid!« klagte der fette 253 Kommerzienrat. »Weiß Gott, Sie tun mer leid. Awer was kann ich tun? Zwanzigtausend Mark? Ohne jede Sicherheit? die schmeißt mer net so naus. No! no! no! Ich will ja gern sehn, was ich für Sie tun kann. – Warte Se mal!« überlegte er mit schlau-zärtlicher Miene. »Hm, ja, man bringt ja gern ä Opfer, – wenn mer aach ä Opfer gebracht kriegt . . . un wenn Sie, so ä reizende, kleine Frau, mir vielleicht ä bische entgege komme wollte . . .«

Jetzt mußte sie das schlau-verschämte Lächeln, das um seine dicken Lippen sich schlängelte, verstehen. Sie wollte auffahren und sich entrüstet entfernen. Doch die Not macht demütig. Auch schärfte ihr die Verzweiflung den weiblichen Scharfsinn, durch den sie instinktiv erriet, daß dieser ungebildete Mensch gar nicht so schlecht und roh war, als es den Anschein hatte; daß sich unter seiner unbeholfnen Außenseite, unter seiner derben Genußsucht, eine gewisse urwüchsige Gutmütigkeit barg. So überwand sie ihren Widerwillen und blieb.

»Herr Kommerzienrat,« flüsterte sie, »das hätt ich nicht gedacht, daß Sie zu den Reichen gehören, die das Elend der Armen ausnutzen wollen. «

Sie hatte richtig gerechnet; er erschrak.

»O! o!« entschuldigte er sich. »Verstehe Se mich nur net falsch . . .«

»Wie soll ich mir Ihre Andeutung anders auslegen?« fuhr sie mit tränenerstickter Stimme fort. »Das ist entsetzlich von Ihnen, abscheulich; so handelt kein – Gebildeter!«

254 Nach einer Pause flüsterte er in größter Verwirrung, die seinem Nero-Antlitz einen ans Komische streifenden Ausdruck verlieh, vor sich hin: »Verzeihe Se mir. Sehe Se, ich hab immer Unglück gehabt in der Lieb! Sie habens ja längst gemerkt, daß ich ä große Leidenschaft für Sie im Herze getrage hab . . .«

Dies Wort faßte sie rasch auf. Sie sah ihm mit innigem Vorwurf in die Augen: »Eine große Leidenschaft? Und Sie meinen, jetzt wär die Gelegenheit gekommen, dieser Leidenschaft Ausdruck zu geben? Hören Sie, – jetzt? wo ich in Not bin?« Sie sah ihm vorwurfsvoll in die Augen, die er niederschlug. Dann fuhr sie fort: »Lieber Herr Kommerzienrat, ich hab Sie für edler gehalten; ich hab geglaubt, jetzt würde Ihnen gerade Ihre Leidenschaft ein solches Mitleid mit meiner Hilflosigkeit, meinem Jammer einflößen, daß Sie mit keinem unlauteren Wunsch mir zu nahen wagten, daß nur die edlere, bessere Seite ihres Charakters zu Worte käme, nicht die gemeine. Sollte ich mich so sehr in Ihnen getäuscht haben? O nein! Rauben Sie mir nicht den Glauben an das Bessere, Idealere in Ihnen. Sie lieben mich? Echte Liebe bringt Opfer . . . auch wenn sie dafür keine Gegenopfer empfängt. Wenn ich es gewußt hätte, daß Sie eine Neigung für mich empfinden, wäre ich lieber gar nicht her gekommen. Jetzt da ich einmal da bin, sag ich: wenn Sie wirklich eine zärtliche Neigung für mich empfunden haben, o! so wandeln Sie diese 255 Neigung um in eine hohe, reine, – und ich will Sie anbeten!«

Er blickte beschämt zu Boden. »Wirklich?« stammelte er halb besiegt. »Sie könnten den garstige Weihals ä wenig gern habe?« Seine Augen befeuchteten sich.

»Nicht bloß ein wenig,« sagte sie, ihm offen und klar ins Auge blickend. »Einen Menschen, der seine unedeln irdischen Regungen überwindet, den muß man – vergöttern! Und ich weiß, Herr Kommerzienrat, Sie tragen unter der Asche des Egoismus einen edeln Funken. Sie haben nur eine rauhe Außenseite; ich kenne Sie besser, als Sie sich selbst kennen. Ihr Herz ist edler Wallungen fähig.«

Er kämpfte mit seiner Genußsucht, mit seinem Geiz, aber nicht mehr lang; der Anblick der vom Jammer Gezeichneten wurde ihm immer unerträglicher. Er kam sich selbst niedrig, grausam vor, wenn er daran dachte, dies Elend ausnutzen zu wollen. Wo war jetzt ihr eigenartig-herzliches Lachen, ihr süßes ruscheliches Wesen hingekommen? Sie hatte sich in ihrem Elend in eine ganz andere Person verwandelt und diese tiefe Umänderung, die das Seelenleid in einem Charakter hervorrufen kann, wirkte mit geheimnisvollem Grauen auf das Gemüt des rohen Naturmenschen, – es war ihm als rühre sein Geist ahnungsvoll an das Übernatürliche. Sie hatte mit der Beredsamkeit der Verzweiflung das von unberechenbaren Leidenschaften beherrschte Herz dieses von der Kultur beleckten Halbbarbaren getroffen. Vielleicht lebte auch der Eitle in der 256 Hoffnung, durch diese Tat der Großmut später doch noch mehr als die platonische Gunst der schönen Frau erwerben zu können, – kurz er erhob sich und sagte mit bewegter Stimme: »Sie solle das Geld habe.«

Emilie stieß einen unartikulirten Ton der Freude aus, ergriff in ihrer exaltirten Weise die Hand ihres Wohltäters und drückte sie an die Lippen. »Herr Kommerzienrat!« stammelte sie, indes ihr heiße Tränen über die Wangen perlten, »das vergeß ich Ihnen nicht! Sie geben mir das Leben, die Ehre wieder! Und der arme Otto! wie freuts mich für ihn! Nun wird mein Mann fleißig weiterarbeiten, wir werden uns einschränken, – es wird Alles wieder gut! Wir sind gerettet durch Sie! den Edeln! Otto kann sich seiner Kunst widmen – durch Sie . . .«

Heftiges Schluchzen machte es ihr unmöglich weiter zu reden. Auch Weihals konnte vor Erschütterung nicht sprechen. Das waren für ihn ganz neue, ungewohnte Emotionen; er hatte sich noch nie so glücklich gefühlt. Was waren ihm zwanzigtausend Mark bei einem Jahreseinkommen von hunderttausend? Da er bei seiner Sparsamkeit höchstens fünfzigtausend jährlich verbrauchte, konnte er die Summe mit Leichtigkeit aus überflüssigen Zinsen zahlen.

»Warte Sie n Augenblick!« flüsterte er, ließ noch einmal einen gönnerhaften Blick über die Glückliche gleiten und ließ die Frau allein.

Wie warm es hier im Wintergarten war! eine 257 tropisch schwere Luft bedrückte den Atem, betäubend dufteten die exotischen Blumenkelche, die aus dem smaragdnen Schatten mit mystischem Lächeln hervorleuchteten.

Sie wartete mit geschlossenen Augen, wie in dumpfen Halbschlaf versunken. Immer schwüler bedrückte sie dieser künstliche Wald; ihr war, als sei sie verzaubert, als könne sie nie den Ausweg finden aus diesen verschlungenen Zweigen. Das Bild ihres Mannes tauchte in ihrer Phantasie auf, wie er zu Hause wartete, mit Angst und Schrecken wartete. Bald komm ich! lispelte sie. – Aber steht nicht dieser ungebildete rohe Weihals eigentlich geistig höher als Willy? Hat er nicht den größten aller Siege errungen? Für wen tat sie diesen erniedrigenden Schritt? Doch er war ihr Gatte; so zu handeln, war ihre Pflicht.

Die Büsche rauschten auf . . . sie schrak empor . . . Weihals stand vor ihr, zum Ausgehen gerüstet. Und fünf Minuten später saß er mit ihr im Automobil auf dem Weg zu seinem Bankier.

*

In der Freude ihres Herzens eilte sie sofort in Ottos Wohnung, die näher lag als ihre eigne. Sie stürzte wie im Traum die vier halbdunklen Stiegen hinauf, die von oben durch ein riesiges Glasdach ein trübes Licht erhielten. Endlich stand sie atemlos vor der Türe, auf der ihr die Karte mit der Aufschrift: »Otto Grüner Kunstmaler« entgegenleuchtete. Zitternd vor Erregung, malte sie sich 258 die Freude des armen Künstlers aus. Jetzt polterte es, nachdem sie die Klingel in Bewegung gesetzt, im Innern der Mansardwohnung.

Als Otto, den Pinsel in der Hand, mit verstörter Miene erschien, schrie sie fast auf, taumelte hinein ins Atelier und ließ ihren Freudentränen den Lauf.

»Frau Rechtsanwalt?« rief er, »was ist Ihnen?«

»Was hab ich hier?« schluchzte sie, das Banknotenpaket hochhaltend, »was hab ich hier? Raten Sie, raten Sie!«

Über seine melancholischen Gesichtszüge huschte ein Freudenblitz.

»Ja!« fuhr sie fort, mit sonderbarem nervösem Lachen, »ja, Ihr Vermögen! Sie können jetzt das Häuschen kaufen, – es ist alles da. Zwanzigtausend Mark! Wir sind gerettet! es war meinem Mann möglich, das Geld zu beschaffen.«

»Ihrem Mann?« fragte er.

»Ja,« log sie, »durch reiche Verwandte. Nehmen Sie, nehmen Sie! Nun wird alles wieder gut.« Sie legte das Paket auf den Tisch, riß das Papier auf und zählte ihm mit bebenden Händen die Summe vor.

Er stellte ihr sofort eine Quittung aus.

»Aber liebe Frau Rechtsanwalt,« suchte er die sonderbar Erregte zu beruhigen, »kommen Sie doch zu sich! das Glück macht Sie ja ganz krank; das greift Sie ja mehr an, als vorher das Unglück.«

»So ists auch, so ists auch!« gab sie ihm recht, den fieberhaft erregten Blick beständig gen Himmel richtend. »Der Umschlag kommt so plötzlich; mir 259 ist als wär ich eben in einem Bergwerk, vom schlagenden Wetter überrascht, verschüttet worden. Nacht, schreckliche Nacht rings um. Plötzlich gräbt man mich heraus . . . Licht! heiterer Tag! – das halt ich nicht aus, das verwirrt mir die Sinne.«

*

Ihr Gatte hatte indes, um seine innere Unruhe zu dämpfen, die halbe Stadt durcheilt. An allen Läden blieb er stehen, ohne die betrachteten Gegenstände richtig ins Auge zu fassen. Manchmal wußte er gar nicht mehr, in welchen Straßen er sich befand. Er mußte mehrmals die Vorübergehenden fragen, um sich zu orientiren. Dabei hatte er einen sonderbaren Drang, allen Personen mit denen er ein paar Worte wechselte zu erzählen, in welcher Lage er sich befand.

Nun saß er seit zwei Stunden wieder zu Haus in seinem Strohsessel vor seinen Münzen und stierte in fieberhafter Erwartung auf den weißen Wattballen des Dampfs, der mit seinem gewohnten Pft! Pft! um die Ecke der Druckerei zischte.

Wird sie mich retten? wird sie mich nicht retten? Ihm war als versinke er langsam im Meer; nur noch verschwommen zitterte die Welt durch die alles verschlingenden dunkelgrünen Wogen; jetzt . . . ein Tau . . . es kam näher! War es ein festes, sicheres Tau? oder ein bloßes Phantom? eine Einbildung?

Draußen ward geläutet. Sie wars, sie kam zurück. Er sprang auf . . . er konnte kaum seine 260 Atemzüge bändigen, er mußte sich an der Tischplatte halten. Die Tür flog auf, – welch sonderbares Lächeln ihre schönen Züge entstellte!

»Nun?«

Sie blickte ihm sonderbar kalt in die Augen. Keine Spur mehr von der früheren Zärtlichkeit, nur noch Höflichkeit, vermischt mit einem leisen Anflug von Geringschätzung. Sie legte Ottos Quittung vor ihn hin.

»Diesmal habe ich dich gerettet, jetzt arbeite fleißig und ehrlich«, sagte sie sehr ruhig.

Er atmete wie von einem ungeheuren Druck erlöst auf. Das war ein furchtbarer Traum gewesen! – nie wieder so träumen! . . . Und ihr hatte er seine Erlösung zu verdanken!

Tiefbeschämt stand er vor ihr, keines Wortes mächtig. Nur seine Finger zuckten. Endlich flüsterte er: »Ich bin es nicht wert, Emilie. Wie soll ich dir danken?«

Er wollte auf sie zueilen. Sie trat zurück.

»Laß das, bitte,« sagte sie kalt; »wir sind nicht mehr wie früher. Mein Lebensglück ist zerstört, ich kann nicht mehr zu dir emporsehen. Du sagst: ich sei auch schuld! So wollen wir zusammen büßen, so lange wir zusammen durchs Leben wandeln müssen; denn auslöschen läßt sich dieser Fleck nie mehr.«

Man hörte jetzt, wie die Glastüre aufgeschlossen ward. Nata kam von ihrem Ausgang zurück und ging sogleich in ihr Zimmerchen. Dem Anwalt traten die Tränen in die Augen. Als ihn seine Frau weinen 261 sah, schlich sich wieder etwas von der alten Liebe in ihr Herz zurück.

»Es ist jetzt vorbei,« sagte sie leise vor sich hin, »suchen wirs zu vergessen. Das war ein entsetzlicher Gang für mich! ja, ja, ein entsetzlicher Gang.«

»Aber,« fragte er zögernd, »wie hat sich denn der Kommerzienrat benommen? gab er das Geld sofort?«

Nun wich sie gequält aus. »Ich mußte lange, lange bitten und kämpfen. Meine Nerven sind noch völlig erschöpft.«

Er sah die traurig vor sich Hinbrütende ängstlich an. »Kämpfen?« flüsterte er. »Du Arme, ich weiß, wie schwer dir das Bitten wird, wie dich Geldangelegenheiten stets anekeln.«

Sie nickte düster vor sich hin. »Gut, daß es vorüber ist,« murmelte sie und strich sich wie von einem geheimen Schauer überrieselt über die Stirn.

»Hat denn Weihals gar keine Sicherheit verlangt?« fragte er, sie scharf beobachtend.

Sie schüttelte mit trüber Miene den Kopf.

»Sonderbar,« murmelte der Rechtsanwalt, dem auch das dumpfe, in sich gekehrte Benehmen seiner Frau zu denken gab.

»Warum sonderbar?« gab sie verletzt zurück. »Ists so weit gekommen, daß man christliche Nächstenliebe sonderbar finden muß?«

»Nein, nein! er ist nur bekannt als Geizhals. Hat er wirklich gar keine Sicherheit verlangt? gar keinen Schuldschein ausstellen lassen?«

Sie blickte ihn erstaunt an. »Daran dacht ich nicht.«

262 »Ich betrachte das Geld doch nur als geliehen, selbstverständlich; nicht als geschenkt. Hat er keine Zinsen verlangt?«

»Nein!«

»Das begreif ich nicht! – bei seinem Charakter.«

»Bei seinem Charakter?« versetzte sie gekränkt. »Du kennst ihn nicht. Ich wünsche noch manchem Mann einen ähnlichen Charakter.«

»Nun . . . ich meine nur . . . Er ist doch so geizig. Und mir schlug er rundweg das Geld ab.«

»Dir! Du hast nicht gebeten wie ich. Du bist kein Weib.«

Er blickte sie starr an. »Allerdings!« flüsterte er, ein leises ironisch-bitteres Lächeln auf den Lippen.

Sie zuckte zusammen und fuhr fort: »Wir Weiber können doch ganz anders bitten als ihr Männer. Uns schänden Tränen und Fußfälle nicht, aber euch.«

»Tränen? Fußfälle?« murmelte er schmerzlich. »O Gott! Das alles um meinetwillen! Emilie, wie hast du dich erniedrigen müssen – um meinetwillen. Jetzt seh ich erst, was ich getan hab, jetzt fallen erst die Folgen meiner Tat schwer auf mich zurück.«

»Laß es gut sein,« bat sie. »Denk über Geschehenes nicht nach, richte den Blick auf die Zukunft.«

»Tränen? Fußfälle?« flüsterte er zitternd. Dann bedeckte er die Augen mit der Hand.

»Was hast du?« fragte sie besorgt.

263 »Nichts!« Er zog die Hand wieder vom Gesicht.

Ihr kam es vor, als ob ein finsterer mißtrauischer Blick sie streife. Ein furchtbarer Verdacht blitzte durch ihr armes Hirn, – der Verdacht, daß ihr Gatte Verdacht hegen könne! Und wie sollte sie ihm dann das Gegenteil beweisen?

Er schwieg, sie schwieg. Langsam verließ sie sein Zimmer. Sie konnte ihm nicht mitteilen, – jetzt noch nicht! – daß Weihals ihr seine Leidenschaft eingestanden hatte.

Im Busen des Rechtsanwalts hatten die Worte »Tränen und Fußfälle« eine wahre Verwüstung angerichtet.

Er kannte das Leben, hatte es selbst genossen, war im Grunde, schon als Jurist, eine mistrauische Natur; und nun war durch seinen Fehltritt sein Gemüt in eine solch krankhafte Erregung versetzt worden, daß er überall Schlechtigkeit, Unsauberkeit witterte. Er kannte auch Weihals. Er glaubte nicht daran, daß dieser geizige Wüstling aus reiner Herzensgüte zwanzigtausend Mark hergeschenkt habe.


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