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14

»Sie haben Hollin geschnappt«, sagte John, aber seine Stimme war ruhig und unbewegt.

»Also doch!« rief Mr. Orford.

Penelope war froh, als sie die Neuigkeit erfuhr. Sie wußte ja nicht, welche Folgen dieses Ereignis nach sich ziehen konnte. Sie war damit zufrieden, daß Hollin eingesperrt war, denn sie hatte ihn schon immer als einen Verbrecher betrachtet, den Bobby Mills aus irgendeinem Grunde aus England fortbringen wollte.

Penelope, Orford und Bobby saßen auf dem Achterdeck, als John die peinliche Botschaft überbrachte.

»Was sollen wir nun tun? Sollen wir bleiben und versuchen, Hollin aus der Patsche zu ziehen, oder sollen wir auslaufen?«

»Ohne Ihnen vorgreifen zu wollen, Mr. Orford, wäre ich doch dafür, Hollin mitzunehmen. Bis zum Morgen sind wir hier sicher, ich kenne die Polizei von Vigo. Die Leute nehmen eine derartig unangenehme und aufregende Sache wie eine Hafenuntersuchung nicht mitten in der Nacht vor.«

Er erzählte jetzt alles, was er gesehen und gehört hatte, während er auf Hollin wartete.

»Ich war auf dem Kai, als die Polizei kam, und vermutete schon, daß sich irgend etwas ereignen würde. Ich legte mich deshalb flach ins Boot. Hollin sitzt jetzt gewiß auf der Hauptwache.«

»Was halten Sie denn für das beste?« fragte Bobby. »Wir können doch nicht die Zitadelle erstürmen?«

John schüttelte den Kopf.

»Das ist eine Aufgabe für einen einzelnen, und ich bin bereit, sie zu übernehmen. Ich habe mir schon alles überlegt, als ich zur Jacht zurückruderte. Sind irgendwelche Kostüme an Bord, Mr. Orford?«

»Ja, ein ganzer Haufen. Ich habe zweihundertsechzig Dollar Leihgebühr dafür bezahlen müssen. Aber mein Junge, Sie können doch diese schwere Aufgabe nicht allein lösen, so etwas muß doch organisiert werden –«

»Die Sache ist schon organisiert«, erwiderte John kurz. »Ich habe doch viele Jahre in dieser Stadt gewohnt. Die Polizei ist die ganze Nacht mit Patrouillengängen beschäftigt, und die Leute werden nicht vor sechs Uhr morgens abgelöst. Auf der Hauptwache sind nur drei Beamte, ein Offizier, ein Sergeant und ein Schließer für die Gefängniszellen. Ich weiß das ganz genau, weil ich früher einem Polizeibeamten, der künstlerische Veranlagung hatte, Unterricht im Malen und Zeichnen gab.«

Mr. Orford seufzte.

»Dann gehen Sie in Gottes Namen«, sagte er müde. »Sie haben uns in all diese Unruhe gestürzt, nun können Sie uns auch wieder herausbringen. Sie haben eigentlich die ganze Karre verfahren, mein junger Freund.«

Als John verschwunden war, trat eine lange Pause ein.

»Was hat Hollin denn eigentlich verbrochen?« fragte Penelope nach geraumer Zeit.

»Fragen Sie lieber, was er nicht verbrochen hat«, entgegnete Mr. Orford bitter. »Ich glaube, es gibt vom vorsätzlichen Mord bis zum einfachen Einbruch nichts, was nicht auf seinem Sündenregister stünde. Er ist ein furchtbar dummer Mensch und hat ein Gehirn wie ein steinzeitlicher Elefant!«

»Aber warum machen Sie denn soviel Umstände mit ihm, wenn er so schlecht ist?«

Das peinliche Schweigen, das ihrer Frage folgte, sagte ihr, daß sie wieder einmal eine Indiskretion begangen hatte. Sie war völlig verwirrt. Auf der einen Seite nahm John um dieses Verbrechers willen große Gefahr auf sich, auf der anderen Seite wollte niemand etwas von Hollin wissen. Es war ihr ein Rätsel wie all die anderen Vorgänge auf der ›Polyantha‹. Sie dachte wieder an die fluchtartige Fahrt durch den Kanal, an die Nachricht von dem verunglückten Flugzeug, an ihre Betäubung, an das plötzliche Erscheinen Cynthia Dorbans an Bord des Schiffes.

*

Inspektor Spinner hatte eine lange, aber nutzlose Unterredung mit Mr. Hollin in dessen Zelle. Er stellte viele Fragen, ohne eine Antwort zu bekommen, denn Hollin hüllte sich in Schweigen und sprach nur, um die Vermutungen des Polizeiinspektors in Abrede zu stellen.

»Ich heiße nun einmal Jackson«, sagte er wohl zum zwanzigstenmal. »Ich werde Sie wegen Ihrer ungesetzlichen Handlungsweise anzeigen! Es ist doch unerhört, daß Sie einem armen Matrosen auflauern und ihn ins Gefängnis setzen für Dinge, die er überhaupt nicht getan hat!«

»Ja, ich weiß schon, Sie sind ein unschuldsvoller Engel«, erwiderte Spinner müde. »Trotzdem werde ich morgen früh wiederkommen – vielleicht kann ich Ihnen dann noch einen Freund vorstellen.«

»Ich habe hier keine Freunde. Ich weiß gar nicht, von wem Sie immer reden.«

Die eiserne Gittertür fiel krachend ins Schloß. Hollin machte es sich auf seinem harten Strohsack so bequem wie möglich und schlief bald ein.

Draußen war es stockdunkel, der Himmel war dicht bewölkt, ein feiner Regen fiel in den Straßen, und ein kalter Wind strich durch die Stadt. Der Offizier am Schreibpult nahm seinen Mantel von der Wand und zog ihn an. Der Sergeant hatte sich schon vorher in seinen Mantel gehüllt und saß halb schlafend am Tisch. Nur das Ticken der großen Wanduhr und das Klatschen der Regentropfen gegen die Fenster unterbrach die Stille.

Es hatte eben ein Uhr geschlagen, als es an der Tür zur Polizeiwache leise klopfte. Der Sergeant hörte es nicht, bis er von seinem Vorgesetzten geweckt wurde.

»Wer ist da?« fragte er laut, denn er konnte im Dunkeln nichts sehen.

»Ich bin's«, sagte eine tiefe Stimme.

Der Sergeant öffnete die Tür weit, und eine dunkle Gestalt, die draußen auf der Treppe gestanden hatte, trat ein, riß ihm die Klinke aus der Hand und warf die Tür donnernd zu.

Der Offizier erhob sich erstaunt und starrte den Besucher an – er hatte aber auch allen Grund dazu.

Der Eindringling war von Kopf bis Fuß in einen enganliegenden Trikot gehüllt. Darüber trug er einen langen, ärmellosen schwarzen Mantel. Eine schwarze Maske bedeckte den oberen Teil seines Gesichts, und eine lange Hahnenfeder nickte von seiner roten Kappe herab. Aber die Polizeibeamten erschraken weniger über die düstere mitternächtliche Erscheinung dieses Mephistopheles als über die Pistole, die er in der Hand hatte und auf sie richtete.

»Sie beide werden mich sofort zu den Zellen begleiten«, sagte der Fremde befehlend, während er sich umwandte und die äußere Tür zur Straße abschloß. »Hören Sie gut zu, meine Herren, ich schieße Sie sofort nieder, wenn einer von Ihnen versucht, um Hilfe zu rufen. Ist das klar?«

»Jawohl«, sagte der Offizier kleinlaut und heiser. »Aber Sie tun da etwas Schreckliches, mein Freund –«

»Sprechen Sie nicht, sondern machen Sie, daß Sie zu den Zellen kommen!«

Er drängte die beiden in den langen Gang, der dorthin führte. Hier fand er auch den Schließer, der auf einem Stuhl eingeschlafen war.

»Nehmen Sie seine Schlüssel, wir brauchen ihn nicht zu wecken! öffnen Sie die Tür der Zelle, in der der amerikanische Matrose schläft, und bringen Sie ihn heraus!«

Der Offizier nahm Haltung an, steckte die Hände tief in die Taschen und hob den Kopf widerwillig.

»Meinetwegen schießen Sie, aber das tue ich nicht!«

Als aber Mephisto ihm wirklich die Pistole bedrohlich unter die Nase hielt, machte er doch keine weiteren Schwierigkeiten.

Halb schlafend und halb wachend trat Hollin auf den Gang hinaus und staunte die merkwürdige Erscheinung an.

John schnitt schnell noch die Telefondrähte durch, dann schob er Hollin auf die Straße, schloß die Polizeistation von außen zu und warf den Schlüssel in eine Senkgrube.

»Lauf, so schnell du kannst, Hollin!« rief er.

»Ach, du bist es?« fragte Hollin atemlos. »Warum hast du denn keinen Wagen mitgebracht, daß wir zum Hafen fahren können?«

»Halt jetzt den Mund, du verfluchter Windbeutel!«

Sie gingen eilig die Straße hinunter und kamen an einem Polizeibeamten vorbei, der sich in einem Flur zusammengekauert hatte, um sich vor dem Regen zu schützen. Er erwiderte freundlich ihren Gruß.

Die Dämmerung brach herein, als Mr. Hollin müde auf der ›Polyantha‹ ankam. Kaum hatten seine Füße das Deck berührt, so klingelte schon der Schiffstelegraf, die Maschinen setzten sich in Bewegung, und die Jacht fuhr aus dem Hafen von Vigo hinaus.

»Nun zieh dich schnell um, du niederträchtiger Kerl«, sagte John, der trotz seines nassen Anzugs noch eine gute Erscheinung bot. »Du wirst eine kleine Reise mit mir machen.«

»Was meinst du?« fragte der andere widerwillig.

»Die ›Polyantha‹ wird angehalten und durchsucht werden, sowie sie von diesem kleinen Abstecher in den Hafen auf die hohe See kommt. Und ich werde dafür sorgen, daß du dann nicht an Bord bist...«

Hollin war froh, als er wieder in seine Kabine zurückkehren konnte, denn dort fühlte er sich sicher. Sofort nahm er wieder die beiden großen Pistolen an sich, die er hier zurückgelassen hatte, und kam dann in den Salon zurück. John hatte sich inzwischen auch umgezogen und wartete schon auf ihn. Außerdem waren noch Penelope Pitt, ein Herr und eine Dame bei ihm.

»Das ist ja schrecklich – ich will das Schiff nicht verlassen«, rief Cynthia mit schriller Stimme.

»Sie werden das tun, was man Ihnen sagt«, erwiderte John hart und rücksichtslos. »Diese Unannehmlichkeit wird nicht länger als einen Tag dauern. Wenn die Polizei an Bord der ›Polyantha‹ kommt und uns hier findet, würde ich dagegen eine viel längere unangenehme Zeit vor mir haben, Mrs. Dorban.« Er sah sie fest und durchbohrend an. »Ich vermute nicht nur, sondern ich bin sicher, daß Sie beide für die Tragödie meines Lebens verantwortlich sind. Ich weiß zwar nicht, wie Sie es angefangen haben, aber es wird Ihnen noch alles nachgewiesen werden, und der Tag der Vergeltung wird kommen. Wenigstens Ihre Beweggründe kenne ich. Ob Sie hinter dem ganzen Plan stecken, der mich in die Hölle verdammte, muß erst noch genau festgestellt werden. Sie werden verstehen, daß ich vor nichts zurückschrecke und so unnachsichtig mit Ihnen verfahre, wie Sie es verdienen.«

Er schwieg eine Weile und schaute Cynthia an, dann wanderte sein Blick zu Arthur Dorban und von diesem zu Hollin.

»Bevor die ›Polyantha‹ das offene Meer erreicht, wird sie anhalten, und wir werden an Land fahren. Ich kenne eine einsame Höhle an der Küste, die nur von See aus zugänglich ist. Ich habe als Kind oft dort gespielt. Wir müssen vierundzwanzig Stunden dort zubringen, es kann auch etwas länger sein. Die ›Polyantha‹ wird uns dann zu gegebener Zeit wieder aufnehmen. Es ist ganz sicher, daß die Jacht angehalten und durchsucht wird – und niemand von uns darf dann an Bord gefunden werden, verstehen Sie mich, Hollin?« Seine Blicke fielen jetzt auf die Pistolen, und er lächelte schwach. Dann winkte er Penelope zu sich und ging mit ihr nach oben. »Es tut mir leid, daß ich auch Ihnen diese Mühe machen muß, Miss Pitt. Nachdem wir Sie vorher schon so schlecht behandelt haben, sollten wir Ihnen wenigstens jetzt keine Unannehmlichkeiten mehr bereiten. Aber dieser kleine Abstecher ist wirklich nicht so schlimm, wie er unseren Freunden in den frühen Morgenstunden erscheint. Die Höhle ist völlig wasserdicht, und es ist ein entzückender Platz. Wir nehmen auch genügend Lebensmittel mit.«

Penelope hatte gespannt zugehört.

»Ich bin ja gar nicht böse deshalb, John. Ich nenne Sie noch so, obgleich ich nun bestimmt weiß, daß Sie anders heißen. Aber wollen Sie mich nicht: ein wenig ins Vertrauen ziehen und mir erklären, was all diese geheimnisvollen Dinge zu bedeuten haben?«

»Ich vertraue Ihnen voll und ganz, und eines Tages werde ich Ihnen alles erzählen.«

Es war eigentlich kein Grund vorhanden, zu erröten, aber sie fühlte sich durch diese Worte sehr beglückt. Sie war verwirrt, und zum erstenmal in ihrem Leben war sie sich selbst ein Rätsel. Gleich darauf war sie wieder ärgerlich über sich. Warum gefiel es ihr denn so gut, daß er ihr vertraute?

Sie war aber doch in guter Stimmung, als sie etwas später, in einen schweren Mantel gehüllt, das Fallreep hinunterkletterte und in das Motorboot stieg.

Cynthia und Arthur Dorban hatten sich schon vorne niedergelassen. Sie waren in schlechter Laune. Hollin, der mit seinen Waffen prunkte, hatte hinten den besten Sitz eingenommen, aber John wies ihn mit scharfen Worten an, dort für Penelope Platz zu machen.

»Ist alles in Ordnung?« schallte Orfords laute Stimme vom Deck hinunter.

»Ja«, rief John von unten zurück.

Gleich darauf stieß das Boot – gefährlich überlastet, wie John wohl wußte – zur Küste ab.

John ließ den Kiel des Bootes auf dem flachen Ufer auflaufen, und die Passagiere mußten, so gut es ging, durch das seichte Wasser waten. Nur Penelope wurde von John ans Land getragen.

»Es ist gut, Simson«, sagte er zu dem Mann, der das Boot wieder zurückzubringen hatte. »Sie können jetzt abfahren.«

»Viel Glück«, entgegnete der Matrose.


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