Edgar Wallace
Ein gerissener Kerl
Edgar Wallace

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26

»Mr. Reef ist da, Sir. Aber ich glaube nicht, daß er Sie empfangen wird, wenn er Sie nicht herbestellt hat.«

Tony mußte über die aufgeblasene Wichtigtuerei dieser Auskunft lächeln.

»Tragen Sie ihm meine Karte hinein«, befahl er und wußte sehr genau, daß der Angestellte ihn erkannt hatte und ihn nur mit der gewohnten Frechheit seines Brotherrn behandelte.

Man ließ Braid zehn Minuten warten. Das wurde Julian zum Verhängnis. Denn als die Hälfte dieser Zeit verstrichen war, kam in den Warteraum ein dünner, kleiner Mann mit einem altmodischen, steifen Hut und mit sehr großen, breiten Schuhen.

»Ich möchte Mr . . .« – er blickte auf eine Karte – »Mr. Rex Guelder sprechen. Es ist sehr wichtig. Wollen Sie ihm bitte sagen, daß Mr. Samer aus Troubridge ihn sofort sprechen möchte. Und sagen Sie ihm bitte, daß es ungemein dringend ist. Ich komme extra aus Troubridge, um ihn zu sprechen.«

»Ich weiß nicht, ob Mr. Guelder im Haus ist«, erwiderte der Angestellte. »Setzen Sie sich, bitte.«

Der alte Mann ließ sich atemlos nieder und trocknete sich die Stirn. Er war mitteilsam, wie es schüchterne Menschen oft unter Fremden sind.

»Heute früh um fünf bin ich aufgebrochen«, erzählte er. »Ich hatte auch gleich Anschluß. Seit siebenunddreißig Jahren bin ich nicht in London gewesen. Der Ort hat sich sehr verändert.«

»Ohne Zweifel«, stimmte Tony zu. »Sie wohnen in Troubridge?«

»Ja, Sir«, nickte der alte Mann stolz. »Unsere Firma besteht in Troubridge seit zweihundertfünfunddreißig Jahren. Ich glaube, wir sind das älteste Haus am Platz. Das Geschäft hat sich immer vom Vater auf den Sohn vererbt und wird, so Gott will, auf meinen Jungen übergehen, der zweiundfünfzig ist, und dann, mit dem Segen des Allmächtigen, auf meinen Enkel, der auch schon im Geschäft ist.«

Tony wollte den Herrn aus Troubridge gerade nach seinem Geschäftszweig fragen, als er vor das erhabene Antlitz Julians zitiert wurde.

Reef hatte sich verändert. Um ihn wehte ein Hauch von Erhabenheit, ja, fast von Größenwahn, wie es Tony schien.

Schon der Empfang des Besuchs bewies die veränderten Umstände. Doch hinter dieser neuen Herrlichkeit entdeckte Tony – der ja nicht dumm war – eine leise Unsicherheit. Es schien fast, als müsse Reef sich zwingen, seinem Gast in die Augen zu schauen.

»Tut mir leid, daß ich Sie warten ließ, Braid, aber ich bin gerade furchtbar beschäftigt. Hoffentlich halten Sie mich nicht lange auf. Ich habe tatsächlich die letzte Woche Tag und Nacht gearbeitet.«

»Sie sollten sich aber doch Zeit nehmen, ab und zu eine Schießbude zu besuchen«, riet Tony. »Ihre Treffsicherheit läßt viel zu wünschen übrig.«

Julian zwang sich zu einem matten Lachen.

»Ich habe aus den Zeitungen gelesen, daß es da irgendwo eine Schießerei gegeben hat. Jemand hat mehrere Salven auf einen berühmten Detektiv gefeuert. Ich tippe auf Elk.«

»Die Zeitungen haben nicht von mehreren Salven gesprochen, sondern von zwei Schüssen«, bemerkte Tony kühl. »Und dann stand der Bericht nur in einer Zeitung – aber offenbar sind Sie besser informiert.« Julian unterdrückte eine Erwiderung, er hatte schon zuviel gesagt.

»Was wünschen Sie noch?«

»Ich wünsche Mr. Guelder zu sprechen. Ich habe mit ihm ein Hühnchen zu rupfen.«

Julian blickte gelangweilt drein.

»Mein guter Mann«, sagte er verdrießlich, »was scheren mich Ihre Privatfehden? Aber Guelder ist nicht hier. Er ist für einen Tag aufs Land gefahren. Ich erwarte ihn erst morgen zurück. Wenn Sie weiter keine Wünsche haben . . .«

Er stand auf und blickte eindeutig auf die Tür.

»Ich bin noch nicht fertig«, wehrte Tony ab. »Wissen Sie eigentlich, daß Ihr Holländer Lady Frensham lästig fällt?«

Offenbar wußte Julian es nicht, denn sein Ausdruck wechselte rasch.

»Was meinen Sie damit?«

»Ich meine damit, daß er heute nacht Lady Frensham anrief und ihr einen Heiratsantrag machte. Vielleicht war er betrunken oder von seiner neuen Entdeckung berauscht . . .« Es entging ihm nicht, daß Julian erschreckt auffuhr. »Ich weiß davon. Jawohl. Sleser besuchte mich heute früh. Ich werde von der Mitteilung aber erst nach der Veröffentlichung in den Zeitungen Gebrauch machen.«

»Er hat Ursula angerufen?«

»Sie meinen Lady Frensham? Ja, und ihr einen Heiratsantrag gemacht. Wußten Sie etwas über seine zärtlichen Gefühle?«

Julian schlug die Augen nieder.

»Nein«, sagte er verbissen. »Jedenfalls können Sie mir nicht zumuten, Guelder außerhalb des Geschäfts zu überwachen.«

Tony war Menschenkenner genug, zu erkennen, daß die Nachricht Reef in die Glieder gefahren war.

»Was sagt Ursula dazu?« fragte Reef, ohne den Blick zu heben.

»Lady Frensham fühlt sich natürlich nicht gerade geschmeichelt. Ich wollte Guelder sprechen und ihm sagen, daß ich ihn braun und blau schlage, wenn das noch einmal vorkommt. Dasselbe, Julian Reef, gilt für fahrende Schützen, die mich in frühen Morgenstunden als Zielscheibe benutzen.«

Julian wollte etwas entgegnen, doch Tony fuhr fort:

»Es wird Sie auch interessieren, daß Ihr Freund, mein Kammerdiener, geflogen ist. Doch das wissen Sie sicher schon. Er wird Ihnen seine Meldung erstattet haben. Wenn Sie sich so lebhaft für die Vorgänge in meinem Haus interessieren, werde ich täglich zweimal ein Bulletin herausgeben und Ihnen zustellen lassen.«

»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, entgegnete Julian patzig. »Ich glaube, Sie sind nicht ganz normal. Also Guelder ist nicht da. Kommen Sie wieder, und zanken Sie sich mit ihm, wenn er da ist . . . Sie verkaufen wohl heftig Diamanten. Sie müßten nicht Sie sein, wenn Sie es nicht täten. Es war eine große Dummheit von Sleser, Ihnen die Erfindung zu verraten.«

»Ich werde nicht verfehlen, ihm das auszurichten«, versicherte Tony.

Julians entsetzter Blick verriet ihm den großen Respekt, den er vor dem mächtigen Börsenmann hatte.

Als er hinausging, kam der Angestellte herein, und Braid hörte Julian äußern:

»Sagen Sie ihm, er soll morgen wiederkommen – ich wünsche heute niemanden zu sprechen.«

Die Botschaft wurde dem Mann im Wartezimmer übermittelt.

»Mein Gott! Mein Gott!« stöhnte er und raffte seinen Schirm und seine braune Reisetasche auf. »Was soll ich bloß anfangen! – Ihre Durchlaucht wird es mir nie verzeihen!«

Tony hatte Mitleid mit dem Alten. Er öffnete ihm die Tür und ging mit ihm die Treppe hinunter.

»Ein Unglück!« stammelte der Herr aus Troubridge. Er mußte jemandem sein Herz ausschütten. »All die langen Jahre, die ich im Geschäft bin, ist mir noch nie so etwas passiert. Wenn ich Mr. Guelder nur fünf Minuten sprechen könnte . . .«

»Ich müßte Mr. Guelder auch nur fünf Minuten sprechen«, sagte Tony grimmig. Der Kummer des alten Mannes rührte Tony, und er fragte: »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«

Mr. Samer schüttelte den Kopf.

»Ich fürchte, nein. Sehen Sie, als ich Mr. Guelder den Diamanten verkaufte, handelte ich im besten Glauben. Ich hatte den schrecklichen Irrtum, den mein Gehilfe beging, nicht bemerkt.«

Tony war im Nu lebendigste Aufmerksamkeit.

»Kommen Sie mit in meinen Klub! Vielleicht kann ich Ihnen doch helfen.«

Mr. Samer stammelte unzusammenhängende Dankesworte und trottete neben Braid her.

Im Rauchzimmer des Klubs, das zu dieser Morgenstunde fast leer war, erzählte er seine Geschichte.

In der Nähe von Troubridge wohnte die Herzogin von Hanfield. Er, Samer, hatte ein großes Juwelengeschäft und führte ganz auserlesene Ware. Er und seine Vorfahren hatten für die Familie Ihrer Durchlaucht seit Hunderten von Jahren gearbeitet. Als sie ihm den Diamantring zum Umfassen schickte, hatte er den Stein sehr sorgfältig herausgelöst und ihn in seinen Tresor eingeschlossen. Dort lagen andere Steine zum Verkauf, und während er abwesend war, war sein Gehilfe (er sagte nicht: sein Sohn, doch Tony erriet, daß er das nur aus Familienstolz unterdrückte) von einem Herrn aus London besucht worden, der unbedingt einen würfelförmigen Diamanten kaufen wollte.

»Hallo!« unterbrach Tony heftig. »Können Sie mir das Gewicht sagen?«

»Zehn Karat«, gab der Juwelier erstaunt Bescheid, »und eine Kleinigkeit darüber.«

»Weiter«, trieb Tony den Alten an.

Der Gehilfe habe sich natürlich sehr geschmeichelt gefühlt, als Mr. Guelder sagte, er hätte von der herrlichen Kollektion gehört, die der Juwelier führe, und wolle einen großen Stein für einen Verlobungsring kaufen. Der Gehilfe öffnete den Tresor, nahm eine Anzahl Steine heraus, fand dabei unglücklicherweise auch den Diamanten der Herzogin und bot ihn in dem Glauben, er sei verkäuflich, dem Herrn an. Auf dem Papier, in das er eingewickelt war, stand in Mr. Samers Handschrift »elfhundert Pfund«. Das war die Höhe der kurzfristigen Prämie, mit der er den Stein gegen Einbruchsdiebstahl versichert hatte. Und so war der Stein um elfhundert Pfund verkauft worden. Herr Guelder hatte in Scheinen bezahlt und seinen Erwerb sofort mitgenommen. Und jetzt hatte die Herzogin, die verreist war, ihm mitgeteilt, sie käme heim und hoffe den Ring fertig vorzufinden.

»Und, Mr. – wie war doch Ihr Name – Mr. Braid! – doch nicht der Rennstallbesitzer Braid? Doch? Ich wette bisweilen selbst ein wenig, aber nur ganz niedrig. Ich bin nur ein ganz kleiner Zaungast bei dem, was ich den Sport der Könige nennen möchte – also, Mr. Braid, so liegt die Sache. Ich muß Mr. Guelder bewegen, mir den Stein zurückzugeben, und will ihm gern noch hundert Pfund draufzahlen auf den Preis, den er mir gezahlt hat.«

»Können Sie mir den Diamanten vielleicht etwas näher beschreiben?«

»Ich kann Ihnen die Fotografie zeigen«, erbot sich Mr. Samer eifrig.

Er trug sie in seiner Westentasche. Er pflege, und schon sein Vater hätte das getan, alle wichtigen Steine zu fotografieren, die durch seine Hände gingen. Sein Großvater habe sie von einem Künstler malen lassen. Damals steckte die Lichtbildkunst noch in den Kinderschuhen. Tony betrachtete die Fotografie – einen kleinen Streifen, der auf dickes Papier geklebt war –, und sein Herz tat einen Freudensprung.

»Mir scheint, ich kann Ihnen den Stein wiederbeschaffen«, rief er, worauf Mr. Samer ihm vor Dankbarkeit fast um den Hals fiel.

Während sie hinausgingen, blieb Braid in der Halle stehen und sah sich die Nachrichten an, die über den Fernschreiber hereinkamen.

»Sie suchen die Diamanten, Mr. Braid?« fragte der Portier und zeigte auf einen Streifen an einem grünen Brett.

Diamanten fielen stürmisch. Papiere, die am Tag zuvor zwölf Pfund gestanden hatten, notierten jetzt neun und acht dreiviertel.

»Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, ich muß telefonieren«, bat Braid seinen neuen Freund.

Er ging in eine Zelle, rief seinen Makler an und gab ihm eingehende Instruktionen. Er nannte ihm drei Papiere. »Kaufen Sie«, sagte er, »und hören Sie nicht eher zu kaufen auf, bis Ihnen der Atem ausgeht.«

»Aber der Markt fällt, Mr. Braid«, rief der überraschte Makler, »Sie glauben doch nicht etwa, daß . . .«

»Kaufen Sie, bis Sie nicht mehr können«, beharrte Tony. »Kaufen Sie für eine Million. Nein, Sie können bis anderthalb Millionen gehen.«

Tony kam heraus, nahm den aufgeregten Juwelier unter den Arm und rief ein Taxi. Sie fuhren nach Lombard Street, in der das Gebäude der Sleser-Gesellschaft sich hoch über alle anderen erhob, fuhren mit dem Fahrstuhl zum ersten Stock hinauf, wo Tony das Glück hatte, Slesers Privatsekretär abzupassen, mit dem er bekannt war.

»Tut mir furchtbar leid, Mr. Braid, aber Mr. Sleser kann Sie unmöglich empfangen. Er steckt bis zur Nase in dem Diamantengeschäft.«

»Leute, die bis zur Nase in irgend etwas stecken«, gab Tony zu bedenken, »ersticken. Sagen Sie ihm nur, ich sei hier und wolle mich an ihm als Lebensretter betätigen.«

Der Sekretär lächelte.

»Wollen Sie verkaufen?« fragte er vertraulich. »Das sollten Sie tun, Mr. Braid. Sleser beauftragte mich, Sie vor einer halben Stunde anzurufen, aber Sie waren nicht zu erreichen. Ich werde fragen, ob er Sie empfangen will.«

»Und meinen Freund, Mr. Samer, auch«, rief Tony ihm nach.

Der Sekretär blickte sich fragend um, eilte dann aber davon. Einige Augenblicke später kam er zurück und führte Tony und Mr. Samer durch sein Büro in das Privatkontor des großen Spekulanten.

 


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