Edgar Wallace
Ein gerissener Kerl
Edgar Wallace

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22

Julian hatte an diesem Abend seinen Sozius nach Greenwich begleitet. Sie fuhren mit der Elektrischen, einem Beförderungsmittel, das der rothaarige junge Mann über alle Maßen verabscheute.

»Sparsamkeit in kleinen Dingen, mein Freund«, belehrte Guelder, »ist die Grundlage allen Reichtums. Das nächste Mal, wenn du mich besuchst, wirst du in einem vergoldeten Wagen fahren, und vier Schimmel mit goldenen Hufen werden ihn ziehen. Doch heute tut's die Elektrische auch.«

»Hoffentlich finden die Leute den Weg zu dir«, sorgte sich Julian. »Sicher kennt keiner von ihnen Greenwich.«

Guelder hatte keine Bedenken.

»Ich habe ihnen Pläne mit genauer Einzeichnung gegeben. Das wird ja eine feine Gesellschaft heute abend in meinem Haus, wie? Freda wird vor Wut platzen. Sie hat mir schon angekündigt, daß sie nach Holland zurückkehrt, wenn ich ihr Gäste ins Haus schleppe. Das würde mir leid tun, denn ich mag sie ganz gern.«

»Warum wohnst du bloß so weit draußen?« zürnte Julian, nicht zum erstenmal.

»Weil ich die Seeluft liebe, mein Jungchen, die den Fluß heraufweht. Ich bin am Wasser geboren. In meiner Heimat in Holland kann man nicht fünf Minuten gehen, ohne daß man in einen Kanal oder ein Fleet plumpst. Ich liebe den Geruch des Wassers, die großen Schiffe, die hinauf und hinunter fahren, und die kleinen Boote des Nachts! Manches Mal beobachte ich sie die ganze Nacht hindurch von meinem Fenster. Ich sehe sie dahinschwimmen, am Ufer entlang, wie Ratten – wie Wasserratten. Und ich habe in jenen dunklen Stunden Dinge gehört und gesehen, mein guter Freund, die dir das Blut in Eis verwandeln würden.«

Auf Mr. Rex Guelder hatten diese Dinge anscheinend keine solche Wirkung geübt, wenn sein entzücktes Lächeln nicht trügte.

»Du siehst also, Greenwich hat für mich seine sehr guten Seiten. Bedenke auch, mein Freund, wie leicht es für einen armen gehetzten Holländer wäre, den die Polizei sucht, in einer nebligen Nacht auf dieser großen Wasserstraße, die in die weite Welt hinausführt, zu entkommen. Kein Hafen, kein Zoll, keine forschenden Polizisten, die den Passagieren ins Gesicht starren, wenn sie aufs Schiff gehen, kein Paß – nichts, nur du, das Boot, die See und der Nebel!«

Julian schüttelte sich.

»Scheint mir 'ne verflucht unbequeme Geschichte.«

Guelder grinste.

»Mir macht so etwas Vergnügen«, behauptete er.

»Du würdest wahrscheinlich nach Holland verduften, wenn es hier schiefginge?«

Der Mann grunzte.

»Das ist nicht mehr mein Vaterland.«

 

Freda zeigte durchaus keine schlechte Laune, begrüßte Julian vielmehr fast begeistert. Es haperte sehr mit ihrem Englisch. Sie fing einen Satz ganz richtig an, verlor dann aber den Mut und verhedderte sich in ein unzusammenhängendes Gebabbel, das selbst Guelder nicht verstehen konnte. Eine wundervolle Frau nannte er sie in ihrer Abwesenheit.

Julian, der noch nie die Wohnräume Guelders gesehen hatte, war über die peinliche Ordnung und Sauberkeit nicht wenig erstaunt. Jedes Stück Kupfer und Messing strahlte und legte Zeugnis ab für den Fleiß der alten Frau. Er schloß auch Bekanntschaft mit den drei Schutzengeln des Hauses. Sie saßen nebeneinander, als wären sie auf diese Stellung abgerichtet worden, die drei großen Katzen mit den grünen Augen, die größten, denen Julian jemals begegnet war.

Eine halbe Stunde, während das Essen bereitet wurde, saßen sie auf dem Fensterplatz und beobachteten die Fahrzeuge, die die Themse durch die Abenddämmerung hinauf und hinab glitten. Als Guelder sich eine neue und noch schlechtere Zigarre anzündete, brach er das Schweigen.

»Ich möchte Braid zu gern unschädlich machen«, begann er. »Es gab einmal eine Zeit, mein Freund, in der du viel mehr Initiative hattest. Da hättest du längst einen klugen kleinen Spion in sein Haus eingeschmuggelt. Ich denke noch an deinen Krach mit Crostuck, und wie nützlich dir die Nachricht seines Dienstmädchens über seine Auslandsreise war, he?«

Julian warf den Zigarettenstummel zum Fenster hinaus und sah ihm nach, wie er durch die faulenden Planken der Werft in den Schlamm fiel und zischend erlosch.

»Bei Braid würde das ganz zwecklos sein«, sagte er. »Ich habe vor einem Monat einen Mann zu ihm gebracht – den Kammerdiener. Es hat mich einen Zehner gekostet, ihn einzuschmuggeln – er war ihn nicht wert. Leider nimmt Braid ihn nicht nach Ascot mit, und das vermindert natürlich sehr seinen Nutzen. Bis jetzt hat er mir sehr wenig berichtet. Und was schlimmer ist, Braid hat anscheinend Verdacht geschöpft.«

Der andere blickte ihn voller Bewunderung an.

»Bist ein kluges Bübchen!« brummte er.

»Dabei ist der Kerl gar nicht dumm und hat ausgezeichnete Fähigkeiten«, fuhr Julian fort. »In London arbeitet er nicht schlecht. Braid hat einen Nebenanschluß in seinem Schlafzimmer. Man kann dort sehr bequem alles hören, was er in seinem Arbeits- und Speisezimmer am Telefon spricht.«

Er blickte ungeduldig auf die Uhr, doch da kam Freda auch schon mit dem Essen herein.

Als der erste Gast ankam, war es schon ganz dunkel geworden. Sie empfingen ihn in dem großen Wohnzimmer. Gleich hinter ihm kamen der zweite und dritte, doch auf den vierten und fünften mußten sie noch eine Weile warten. Es war ein kleiner skeptischer Kreis nüchterner Geschäftsleute. Und doch hielt jeder von ihnen das Experiment, dessen Zeugen sie werden sollten, für durchaus glaubhaft und möglich.

»Ich habe mir sehr oft gedacht, man müsse das doch machen können«, rief Sleser, der dicke, stiernackige Millionär. »Ich weiß, daß man weiße Diamanten durch die Verwendung von X-Strahlen rosa färben kann, und hab' mir immer gesagt, daß man genauso doch auch einen gelben Diamanten, der nicht den zehnten Wert eines bläulich-weißen hat, nehmen und die Farbe aus ihm herausziehen könnte.«

Guelder strahlte den Sprecher an.

»Es ist nicht nur möglich«, sagte er »es ist sogar schon gelungen«.

»Was würde das für Sie bedeuten, ganz abgesehen von dem Gewinn an der Börse?« fragte ein anderer Julian.

»Ich habe für fünfzehntausend Pfund bunte Steine im Safe, die aus allen Teilen Europas gesammelt sind«, erwiderte Reef. »Wir haben wahrscheinlich für manche mehr gezahlt, als sie wert sind, aber nicht den vierten Teil des Wertes, den sie nach dem chemischen Prozeß haben werden.«

»Und das können Sie tun?« fragte Sleser, die trüben Augen dem Holländer zugewandt.

»Ich habe es getan«, lächelte Guelder. »Heute noch werden Sie das Verfahren kennenlernen.«

Sleser grunzte etwas vor sich hin und wälzte sich in seinem bequemen Sessel.

»Dieses Verfahren wird auf dem Markt eine Revolution hervorrufen«, rief er. »Es bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß Tausende von Steinen, die bisher für einen Pappenstiel geschliffen und verkauft worden sind, mit den weißen in Konkurrenz treten werden. Ihre fünfzehntausend Pfund Steine werden hunderttausend wert sein. Viel wichtiger aber ist, daß Tausende und aber Tausende von Steinen, die man jetzt wegwirft oder als Fehlfarben verschleudert, für den Markt in Betracht kommen. Und wie wir alle wissen, haben gerade die größten Diamanten, die je gefunden wurden, einen Farbfehler.«

Er tat einen langen Zug aus seiner Zigarre und starrte auf den Teppich.

»Sobald dies bekannt wird, muß den Markt eine Panik ergreifen. Es gibt in der Welt Hunderte und Tausende von gelben Diamanten, die plötzlich soviel wert sein werden wie die besten bläulichweißen, die man in Kimberley findet. Ich habe es ausgerechnet und bin dahingekommen, daß wir mindestens einen fünfzigprozentigen Sturz aller Diamantenaktien zu erwarten haben. – Machen Sie doch die Tür zu und sagen Sie der alten Frau, sie soll nicht immerzu hereinkommen, sondern hübsch draußen bleiben, bis wir unsere Besprechung beendigt haben!«

»Sie wird nicht mehr hereinkommen«, beruhigte Guelder, »sie versteht auch kein Wort Englisch.«

»Ich schlage also folgendes vor«, fuhr Sleser fort. »Wenn das Experiment uns alle befriedigt, wollen wir sofort an die Arbeit gehen und eine kleine Gesellschaft gründen, die wir ›Farbiges Diamanten-Syndikat‹ nennen. Vor allen Dingen muß die Presse erfahren, daß wir Vertrauen zu dem neuen Verfahren haben. Ich nehme an, daß jeder von uns Anteile an der Gesellschaft erwerben wird. Das Kapital braucht nicht sehr groß zu sein. Wir übernehmen das Verfahren, errichten irgendwo an der Südküste eine Fabrik und nehmen ein paar vornehme Direktoren hinein, um der Sache einen vertrauenswürdigen Anstrich zu geben. Unterdessen, vielleicht schon morgen, gehen wir den de Mesne-Aktien zuleibe und stampfen sie in, Grund und Boden. Morgen nachmittag bringen wir einen Bericht mit Einzelheiten über die Erfindung in der Presse. Lassen Sie gleich Ihre Steine fotografieren, damit wir Abbildungen veröffentlichen können. Am Tag darauf werden wir Einzelheiten über die neue Gesellschaft bringen. Doch bis dahin werden Diamantenaktien, wenn mich nicht alles täuscht, einen Kurs haben, bei dem wir uns eindecken und einen gewaltigen Gewinn einheimsen können.«

Er stand auf und fegte die Zigarrenasche von seinem Knie.

»So, und jetzt wollen wir uns Ihren geheimnisvollen Apparat mal etwas näher ansehen. Ich fange allmählich an, ihn für faulen Zauber zu halten oder zu glauben, daß ich träume.«

 


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