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XIII.
Hinterlader im Besitz der Akasavas!

»Gott sei Dank!« bemerkte der Haußahauptmann aufrichtig, »kein Krieg im Lande!«

»Faß Holz an!« Soll soviel heißen wie »unberufen«. rief Sanders, und die beiden Männer streckten gleichzeitig ihre Arme aus und legten feierlichst ihre Hände auf den Henkel der Kaffeekanne, die aus Hartgummi bestand. Wenn sie tatsächlich »Holz angefaßt« hätten, wer weiß, was dann geschehen wäre – in erster Linie dem Häuptling Ofesi von Mc-Canti! Wer weiß, was dann die beiden Goldschmuggler aus dem französischen Gebiet betroffen hätte!

Bikilinis Weib wäre dann wahrscheinlich mit ihrem Schatz durch die Lappen gegangen, und Bikilini, geduldig und ergeben, hätte dann vielleicht ein anderes Weib genommen; und die Todbringer Ofesis wären niemals auf ihre unliebenswürdige Sendung ausgegangen; oder sie wären ertrunken, sobald sie sich dazu anschickten; oder sie hätten den Mut dazu verloren.

Auf jeden Fall ist die Tatsache unbestritten, daß weder Sanders noch Hauptmann Hamilton bei dieser Gelegenheit »Holz anfaßten«.

Und was Bannister Fish anbetrifft ...?

Dieser merkwürdige Mann handelte mit zweifelhaften Artikeln, denn er besaß jene zarten Gefühle nicht, die für gewöhnlich von dem Begriff eines Weißen unzertrennlich sind. Manche sagen, daß er Sklaven von Angola nach Orten brachte, wo man für einen Schwarzen oder eine Schwarze einen angemessenen Preis bezahlte, und daß er das mit dem Einverständnis der portugiesischen Regierung tue und dabei ein ganz ansehnliches Vermögen erwerbe. Ganz gewiß kaufte er mehr geschmuggeltes Elfenbein auf, als sonst irgend jemand in Afrika; die größte Niederträchtigkeit aber, die alles krönte, war bis dahin, daß er so 'ne Art südsudanesischen Mahdi bewaffnete: mit Waffen, die gegen seine eigenen Landsleute Verwendung finden sollten. In den Staaten Mittelenglands gibt es gewisse Handwaffen-Fabrikanten, die Aufträge jeder Art ausführen, die moderne oder veraltete Waffen zu Preisen herstellen, die mit dem Grade der Sorgfalt wechseln, mit dem diese Waffen hergestellt sind. Diese Fabrikanten haben kein Gewissen, aber bestehen einen harten Kampf, um Dividenden zahlen zu können; denn es gibt Firmen in Lüttich, die im gleichen Geschäftszweig arbeiten, und die ihre Erzeugnisse mit zehn bis fünfundzwanzig Prozent weniger Unkosten herstellen.

Mr. Bannister Fish, ein dürrer, drahtiger Mann von vierunddreißig, so gelb wie ein Guinee Goldstück im Werte von 21 Mark. und mit dem Temperament eines Satans, war nicht beliebt an der Küste, am allerwenigsten bei den Beamten. Glücklicherweise besitzt Afrika eine sehr große Küstenlinie, und da der Gesamtbegriff Afrika der Jagdgrund des Herrn Fish war und nicht ein bestimmter Teil, so wußten die Leute an der Küste – was wir hier unter Küste verstehen – sehr wenig von ihm.

Es gehörte zu Herrn Fishs Prahlereien, daß es nicht ein zwanzig Seemeilen großes Stück Küstenlinie von Dakka bis Kapstadt und von Lorenzo Marques bis Suez gäbe, das nicht zur Verschönerung seines herrschaftlichen Besitzes auf Highgate-Hügel beigetragen hätte.

Auffallen könnte es, daß er den Teil der Küste hiervon ausnimmt, der die Kapkolonie einschließt; und das tat er aus folgendem Grunde: Die Kapkolonie ist ungeheuer fortgeschritten, hat besoldete Bürgermeister und Stadträte und einen schaudererregenden Hafendamm, an dem Sträflinge in gelben Jacken um ihrer Sünden willen schuften. Und Mr. Fishs Sünden waren Legion. Er bearbeitete Sanders' Bezirk in demselben Geiste, wie ein Rennpferdzüchter das Züchten von Pekingpudeln unternimmt – nicht des Gewinnes halber, sondern als eine vergnügliche Nebenbeschäftigung.

Er brachte unhaltbare Verhältnisse in die Grenzbezirke des Akasavalandes, indem er von den angrenzenden fremden Gebieten aus vorstieß; und er fand eine gottlose Freude daran, Sanders, dem er einmal begegnet war, tüchtig zu ärgern.

Seine Abneigung gegen diesen wurde bei ihrem nächsten Zusammentreffen noch vermehrt; denn Sanders, der einen Gewaltmarsch quer durch Akasava machte, nahm die ganze Karawane des Mr. Bannister Fish gefangen, verbrannte dessen Waren auf der Stelle und unterwarf den Plutokraten vom Highgate-Hügel der Demütigung, mit Handschellen gefesselt hinunter zum Gouvernement marschieren zu müssen. Mr. Fish wurde durch ein Bezirksgericht abgeurteilt und zur Zahlung von 500 £ Sterling oder im Nichtzahlungsfalle zu zwölf Monaten Zuchthaus und Zwangsarbeit verurteilt.

Die Strafe wurde gezahlt, und Mr. Fish reiste nach Hause und verbreitete unglaubliche Gerüchte über Bezirksamtmann Sanders, mit deren Wiedergabe ich diese sauberen Seiten nicht beschmutzen will.

Highgate-Hügel hat eine alltägliche Umgebung, und der Verkehr dort wird durch nüchterne Motoromnibusse vermittelt, und es ist nicht der Ort, von dem man annehmen konnte, daß dort Massenmord geplant wird. Dennoch gab Mr. Fish von seinem Herrschaftssitz aus gewisse telephonische und Kabelbefehle, und auf diese Befehle hin gingen Leute im geheimen in den Bezirk von Sanders, um sich nach dem für ihre Zwecke passenden Mann umzusehen.

Sie fanden Ofesi, und Highgate unterwies diesen Akasavamann in entsprechendem Sinne.

Im Februar eines gewissen Jahres fuhr Mr. Fish protzig in seinem elektrisch betriebenen Landauer von Highgate nach Waterloo. Sieben Wochen später traf er an der Akasavagrenze ein, nicht weniger ärgerlich auf Sanders, als er es je gewesen war, aber mit hoffnungsfreudig aufleuchtendem Gesicht, da er als Millionär sich alle möglichen Steckenpferde leisten konnte; und sein gegenwärtiges war, einen weit entfernten Bezirksamtmann zu ärgern, der in diesem Augenblicke Hartgummi anfaßte und sich einbildete, es sei Holz.

Ofesi, dem Sohne Malakas, des Sohnes von G'nani, war Glück vorherbestimmt. So wurde es wenigstens prophezeit von Komonobologo, dem berühmten Zauberdoktor der Akavasas.

Denn es ereignete sich, daß in der Nacht, als Ofesi schreiend zur Welt kam, gewisse Himmelszeichen auftauchten, so z. B. eine Mondfinsternis, ein wahrer Regen von Sternschnuppen, und alles das deutete Komonobologo als günstig für das glucksende, seufzende und schrill aufwimmernde bißchen weiß-brauner Menschheit.

So sollte Ofesi bestimmt sein, alles Volk zu regieren, soweit die Sonne schien (ungefähr dreihundert englische Meilen in jeder Richtung nach Schätzung der Eingeborenen), und er sollte keines schimpflichen Todes von der Hand eines anderen Menschen sterben.

Ofesi, wörtlich »der Glücksgeborene«, sollte danach mächtig im Rat wie im Kriege sein; er würde die Erde von dem Schritte seiner Legionen zittern machen; er würde wagen und gewinnen, niemals wagen und verlieren; er war der Günstling der Götter und Geister und würde viele Söhne haben.

Das hohläugige Weib, das ausgestreckt auf dem Boden der Hütte lag, sprach mit schwacher Stimme von ihrem Glücke; der Säugling, der mit gierigem Munde das Tier in ihm zu sättigen suchte, sagte nichts, da er zu sehr mit seinen natürlichen Bedürfnissen und tierischen Trieben beschäftigt war.

Solche Weissagungen sind häufig; die einen erfüllen sich nicht, und andere bleiben, aus keinem ersichtlichen Grunde, an denen hängen, denen sie gemacht worden sind.

Ofesi gehörte zu denen, an denen diese Weissagungen lebenslang hafteten. Als Sanders seinen Posten an diesem Fluß antrat, war Ofesi ein langer schmächtiger und ungelenker Bengel, vor dem seine Kameraden Angst hatten.

Sanders fürchtete niemand. Er horchte ruhig auf die Mär von üblen Vorbedeutungen, Vorzeichen und ähnlichem. Und als das zu Ende war, hielt er eine kleine Predigt über die Hinfälligkeit aller menschlichen Dinge, über die außerordentlich hohe Sterblichkeitsziffer dieses übel geleiteten Volkes, das sich außerhalb der festgesetzten Grenzen des Bezirks bewegte. Ofesi hatte Nachbarn, die stärker waren als Sanders, und von diesen wurde er aufgenommen wie einer, an dem die kommenden Jahre das große Wunder wirken sollten.

So wuchs Ofesi heran und gedieh und trieb viel Unfug auf seine Weise; Unfug, der weder unschuldig noch jungenhaft war, und die freundliche Hand, die sich über die kleinen Jungen der ganzen Welt drohend zu erheben pflegt, fiel niemals hart auf seine gut in Fett gebetteten Nerven, da ja Ofesi vom Glück ausgesucht und daher unverletzlich war.

Im Laufe der Zeit wurde er vom damaligen Oberhäuptling der Akasavas für die Häuptlingschaft des Dorfes Milanti bestimmt, und die Stadt Akasava atmete erlöst auf, wenn sie sein Kanu um die Biegung des Flusses außer Sicht gleiten sah.

Kein Bericht über die kleineren Ausschreitungen des Häuptlings gelangte zu Sanders, weil diese Legende von des Häuptlings Vorherbestimmung bei allen Stämmen, mit Ausnahme eines einzigen, verbreitet war.

Man erzählt sich, daß Ofesi mehr Huldigungen empfing und einen königlicheren Hofstaat hielt als sein Gebieter, der König; ferner, daß N'Gombis, Isisis und die Stämme um ihn herum doppelt so kostbare Geschenke an ihn sandten, und daß er einen Harem von sechzig Weibern unterhielt, zu dem alle seine Verehrer beigesteuert hatten. Man erzählte sich weiter, daß er Herrn Fish den Vertrieb seiner berauschenden Getränke ermöglichte, aber davon hatte Sanders keinen Beweis.

Ofesi beutete seine Freunde ganz unparteiisch aus, trieb allen möglichen Unfug und führte ein Schreckensregiment den Fluß entlang von Klein-Isisi bis zur Ochorigrenze. Und die Fischerleute, die seine Kriegskanus lautlos durch die Nacht schleichen sahen, sagten: »Laßt keinen Mann den Gebieter Ofesi sehen, damit er sich nicht unsrer an kommenden Tagen erinnert und uns blendet!«

Ob wirklich aus Schlauheit oder aus jener Art Eingebung heraus, die ein Teil des Genies ist, wuchs Ofesi ins kräftige Mannesalter hinein, ohne nur ein einziges Mal die Ochorigrenze verletzt zu haben.

Bis eines Tages ...

Sanders kam in einer nassen Aprilnacht, als die Wolken so niedrig über dem Flusse hingen, daß man sie hätte mit einer Angelrute berühren können.

Es war eine Nacht von wogenden Nebeln, alles überflutenden Wolkenbrüchen, laut krachenden Donnern und so unaufhörlichem Zucken der Blitze, daß die Dunkelheit nur Pausen andeutete.

Dennoch fuhr Sanders nach dem Akasavaland, so schnell wie sein Heckrad sich zu drehen vermochte, gegen den geschwollenen Strom, durchnäßt bis auf die Haut, das nasse Gesicht dem stechenden Regen ausgesetzt, indem er mit dem weißen Kegel seines Schweinwerfers die Dunkelheit durchdrang, wo welche war.

Er stieß auf das Dorf Mi-lanti an einem grau und stürmisch heraufdämmernden Morgen, und die Hütten, die die Wasserfluten des Himmels verschont hatten, standen als vereinzelte Wachtposten zwischen rauchenden Ruinen.

Er ging müde und außerordentlich ärgerlich an Land und fand viele Tote und einen oder zwei, die sich für tot hielten. Diese erzählten ihm eine traurige Geschichte von Raub und Mord, von einem unschuldigen Dorfe, das von den Ochoris angegriffen und in seiner Wehrlosigkeit erstürmt worden sei.

»Das ist eine Lüge,« sagte Sanders schnell, »denn euere Verhaue sind nach Westen vom Dorfe errichtet, und euere Toten zeigen die sorgfältige Kriegsmalerei derer, die sich langer Hand auf den Krieg vorbereiten. Die Ochoris aber, soweit ich sie gesehen habe, sind nicht bemalt, und das beweist mir, daß sie in aller Eile gegen ein Volk aufgestanden sind, das sie angegriffen hat.«

Der Verwundete wandte Sanders sein erschöpftes Gesicht zu. »Es ist mein Glaube,« sagte er in der gebräuchlichen Ausdrucksweise seines Volkes, »daß du Augen wie eine große Katze hast.«

Sanders sah nach seinen Verletzungen und ließ ihn und seine bedauernswerten Genossen in einer trockenen Hütte zurück. Dann suchte er Bosambo auf und fand ihn geduldig zehn Meilen flußaufwärts. Der Ochorihäuptling saß vor einem steilen felsigen Hügel, der mit Unterholz bewachsen war. Auf der Spitze des Felsens befand sich der Häuptling von Mi-lanti, und in seiner Begleitung waren die seiner Krieger, die sich in diesem Augenblicke noch nicht in einer besseren Welt befanden.

»Herr,« sagte Bosambo, »die Sache trug sich folgendermaßen zu: Dieser Hund griff meine Flußdörfer an, tötete meine Leute und schleppte meine Weiber in die Sklaverei. Darum kam ich hier herunter und wider ihn, denn es steht geschrieben in der Sure des Djinn, daß kein Mensch leben soll, um über ihm selbst widerfahrenes Böses zu lachen.«

»Ein Palaver wird alles aufklären!« sagte Sanders kurz und ersuchte den mutlos gewordenen Häuptling Ofesi, herunterzukommen und seine Speere auf einen Haufen zu legen. Da es nicht in der Natur des Schwarzen liegt, die Wahrheit zu sagen, wenn sein Fell in Gefahr ist, so versteht es sich ohne weiteres, daß beide Parteien fürchterlich logen. Sanders ging der Sache auf den Grund und wußte, welche Seite am wenigsten log.

»Ofesi,« sagte er am Ende eines mühsamen Verhöres, »was hast du vorzubringen, damit ich dich nicht hängen soll?«

Ofesi, ein kurzer untersetzter Mann mit einem schwachen Bartanflug, suchte oben und unten und rechts und links nach einem Einfall.

»Herr,« sagte er nach einer Weile, »das weißt du doch, daß ich mein Lebtag ein guter Mensch gewesen bin, und in meinen Sternen steht geschrieben, daß ich ein Mann von einer hohen Bestimmung bin, und daß ich nicht durch Grausamkeit sterben soll.«

»Der Mensch ist ewig, solange er lebt,« zitierte Sanders, »dennoch stirbt er früher oder später.«

Ofesi wandte sich nach Bosambo um und starrte diesen an, und Bosambo machte sich hier einer Unbedachtsamkeit schuldig – der größten Unbedachtsamkeit seines Lebens vielleicht. Erfüllt von Frohlocken und von dem Gefühl der Stärke des Gerechten, das den, der sich vor Gericht als unschuldig erwiesen hat, überkommt, sagte er in Gegenwart seines Herrn auf englisch, während er seinen Kopf mißbilligend schüttelte: »O du verdammter unartiger Teufel!«

Im Inneren hatte Sanders den Mann bereits zum Tode verdammt, hatte im Geiste bereits den Baum ausgesucht, an dem der plündernde Häuptling baumeln sollte, als Bosambo sprach.

Sanders besaß nach einer Richtung hin eine ungemein hohe Wertschätzung von der Unantastbarkeit des Lebens. Er hatte manchen mit anscheinender Gleichgültigkeit aufgehängt. Und in der Tat, er hatte der Frage, ob ein Mann leben oder sterben solle, niemals einen Einfluß auf seine Entschließungen erlaubt, wenn er ein bestimmtes Ziel dabei verfolgte.

Er brachte es fertig, ohne mit der Wimper zu zucken, den Atem aus dem Körper eines Gehängten entweichen zu sehen. Aber es mußte eine gewisse Schicklichkeit, eine gewisse feierliche Form von Anstand und Würde dabei gewahrt bleiben, wenn sich sein empfindlicher Gerechtigkeitssinn nicht vergewaltigt fühlen sollte.

Bosambos unverlangt hervorgestoßenen, wunderlichen, ja gänzlich lächerlichen Worte retteten Ofesis, des Häuptlings, Leben.

Einen Augenblick lang zuckten Sanders Lippen unbewußt, dann wandte er sich mit einer Grimasse gegen den fassungslosen Ochorihäuptling.

»Mach', daß du nach deinem Land zurückkommst, du Affenkerl!« fuhr er ihn an.

»Dieser Mann hat sich gegen das Land versündigt. Dennoch soll er am Leben bleiben, denn er hat es aus Dummheit getan. Ich kenne einen noch Dümmeren.«

Sanders schickte Ofesi in sein Dorf zurück, wo er das wieder aufbauen sollte, was er in seiner Torheit zerstört hatte.

»Denke dran, Ofesi,« mahnte Sanders, »ich habe dir dein Leben geschenkt, obwohl du den Tod verdienst. Und ich tue das nur, weil mir plötzlich der Gedanke gekommen ist, daß ihr, du sowie Bosambo, eigentlich weiter nichts als große Kinder seid. Zeitig im Frühling werde ich zurückkommen, und wenn du's verdient hast, wirst du mit deiner Freiheit belohnt werden, wenn du aber schlecht gehandelt hast, dann gehst du in die Stadt der Ketten oder nach einem noch schlimmeren Platz.«

Als Sanders nach seinem Standort zurückgekehrt war, erzählte er einem mitfühlenden Hauptmann der Haußas die Geschichte.

»Es war natürlich wahnsinnig schwächlich von mir,« gestand er, »aber als dieser Esel Bosambo anfing, sein höllisches Englisch runterzurasseln, hätte ich keinen Spatzen hängen können.«

»Sie hätten den Ofesi hierher bringen sollen,« antwortete der Hauptmann nachdenklich, »er genießt einen außergewöhnlich üblen Ruf.«

Sanders saß auf dem Tischrand, beide Hände in die Taschen seiner Breeches vergraben.

»Daran habe ich auch gedacht, und das hat mich auch beeinflußt. Sehen Sie, ich fürchtete gerade, ich könnte mich durch das Gerücht von der Vorherbestimmung dieses Kerls nach der falschen Seite hin beeinflussen lassen. Und das gerade hat mich etwas – boshaft gemacht.«

Der Haußahauptmann schnappte sein Zigarettenetui zu; er sah sehr nachdenklich aus. »Ich werde eine weitere Kompanie vom Gouvernement hierher beordern«, meinte er.

»Dann bestellen Sie nur gleich eine Maschinengewehr-Abteilung mit,« sagte Sanders, »ich spür's in meinen Knochen, es gibt was.«

Eine Woche später sah der Oberlauf des Flußes viele fremde Gesichter. Vereinzelte Fischer tauchten irgendwoher auf, um ihrem friedlichen Gewerbe in fremden Gewässern obzuliegen.

Sie bauten ihre Hütten an einsamen Stellen des Waldes, und man hätte einen weiten Strich des Ufers auf- und abgehen können, ohne gewahr zu werden, daß sich da im dicken Gebüsch weiter zurück Hütten bescheiden verbargen.

Sie gingen auch nachts an ihre Arbeit mit Fischspeer und Feuer im Kanu, befuhren den Fluß kreuz und quer oder bewegten sich lautlos im Schatten der Uferbank oder näherten sich Dörfern und Städten mit auffallender Umsicht.

Sonderbare Fischer in der Tat, die hier mit Tauben fischten! In jedem Kanu schlummerten diese Vögel in einem Bauer aus geflochtenem Bambus, mit kleinen roten Papierstreifchen um die Beine, auf denen selbst ein ungelehrter Kundschafter ein rohes aber bedeutungsvolles Zeichen mit einem unverlöschbaren Tintenstift hätte machen können.

Sanders setzte sich darin keinen Zufälligkeiten aus. Er ließ Ahmed Ali, den obersten seiner geheimen Kundschafter, zu sich kommen.

»Geh nach dem Akasavaland! Dort wirst du Ofesi, den Häuptling des Dorfes Mi-lanti, finden. Beobachte ihn! Er ist ein Bösewicht. An dem Tage, an dem er wider mich und meine Leute aufsteht, mußt du dir klar werden, ob ich mit meinen Soldaten noch zurechtkomme. Ist Zeit genug, schick' nach mir! Aber wenn Ofesi zu schnell vorgeht, erschieße ihn, und kein Tadel wird auf dich fallen. Geh mit Gott!«

»Herr,« antwortete Ahmed, »Ofesi ist bereits in der Hölle.«

* * *

Wenn alle Berichte zutreffen, und jeder wurde beachtet, gab Ofesi, der Häuptling, der zu Besonderem vorherbestimmt war, keinen Anlaß zur Klage. Er baute sein Dorf wieder auf, indem er diesmal den Baugrund dafür höher wählte, und machte danach unerwartet einen langen Jagdausflug, der ihn bis zur Grenze des Akasavalandes brachte. Er plante einen Besuch bei Bosambo, um diesen seiner Zuneigung und Freundschaft zu versichern.

Er schickte sogar flinke Eilboten zu Sanders, um seine Erlaubnis für diesen förmlichen Besuch zu erbitten, obwohl eine Erlaubnis dafür gänzlich überflüssig war. Sanders gewährte diese Erlaubnis, nachdem er zuvor seine eigenen Boten an Bosambo geschickt hatte.

Ofesi begab sich also eines schönen Junimorgens auf diesen Zug. Seine zweiundzwanzig Kanus waren rot bemalt, und sogar die Paddeln waren neu gebrannt und mit phantastischen und schmeichelhaften Mustern geschmückt. So kam er zu den Ochoris und wurde von Bosambo, einem unentwegten Zweifler, aber äußerlich angenehmen Menschen, empfangen.

»Ich sehe dich,« sagte Ofesi, »ich sehe dich, Lord Bosambo, und auch dein tapferes und schönes Volk. Aber ich komme in friedlicher Absicht, und es betrübt mich, daß du mich mit so vielen Bewaffneten empfängst.«

Denn das Flußufer starrte tatsächlich von einem stählernen Willkommen, und drei Regimenter Ochorikrieger, prächtig gekleidet, waren in einem offenen Viereck aufmarschiert; die letzte Seite des Vierecks bildete der Fluß.

»Lord Ofesi,« sagte Bosambo sanft, »das ist die Art, wie der Weiße jemand Ehre erweist, und, wie du weißt, habe ich viel weißes Blut in meinen Adern, da ich mit dem englischen Premierminister verwandt bin.«

Bosambos Blick überflog dabei die zweiundzwanzig Kanus mit ihrer Besatzung von zwanzig Paddlern, und er bemerkte geziemend, daß jeder dieser Paddler seine Schlachtspeere bei sich hatte, als ob sich das von selbst verstehe.

Daß Ofesi irgend etwas Unheilvolles gegen die Ochorifeste im Schilde führte, kann man als unwahrscheinlich dahingestellt sein lassen. Er war nicht aus dem Guß, aus dem man Helden macht, und verabscheute unnötige Gefahr, denn man muß dem Schicksal selbst auch etwas unter die Arme greifen.

Er hatte seine Speere mehr zum Prahlen als zum ernsten Gebrauch mitgebracht. Wohl oder übel mußte er sie nun auf einen Haufen zusammenlegen – ein unangenehmes Verfahren, das ihn an ein anderes Waffenniederlegen unter dem kalt beobachtenden Auge Sanders' erinnerte.

Man kann also ruhig behaupten, daß das »Rapprochement« zwischen den Ochoris und dem Akasavahäuptling ungünstig begann. Bosambo übernahm die Führung zu dem Unterkunftshause für seine Gäste, das, wie es die Sitte erheischt, neu gedeckt war.

Ofesi zu Ehren gab es ein großes Fest und einen Tanz junger Mädchen; jedes Dorf mußte dazu seine beste Tänzerin abgeben. Am nächsten Tage fand ein Palaver statt, unter Opferung von Huhn und Haustier. Blutsbrüderschaft wurde im Handumdrehen geschlossen. Bosambo und Ofesi umarmten einander vor versammeltem Volke und aßen Salz aus derselben Schüssel.

»Nun werde ich dich alle meine Angelegenheiten wissen lassen, Bruder,« sagte Ofesi in dieser Nacht, »morgen kehre ich mit meinem Volke zurück, begleitet von deinen guten Wünschen, und ich werde Tag und Nacht von dir sprechen, weil du ein edles Herz hast.«

»Auch ich werde keine Ruhe haben,« antwortete Bosambo, »bis ich durch das ganze Land gezogen bin und überall von meinem bewundernswerten Bruder Ofesi gesprochen habe.«

Mit einem Worte entließ Ofesi seine Ratgeber; Bosambo nahm die Einladung an und sandte seine Ältesten ebenfalls weg.

»Nun werde ich dir was anvertrauen«, sagte Ofesi.

Und was er sagte, diese Flut von Eigenlob, von Versprechungen, von versteckten Drohungen versorgte Bosambo für lange Zeit nachher mit Erinnerungen.

»Dennoch,« schloß Ofesi seine Rede, »obwohl alle Dinge dazu beigetragen haben, um mich zu dem zu machen, was ich bin, habe ich doch noch vieles zu lernen, und von keinem kann ich so viel lernen wie von dir, mein Bruder!«

»Das ist sehr richtig«, antwortete Bosambo – und er meinte es so.

»Nun«, sagte Ofesi am Schluß seines Redeschwalls, »liegt der König der Akasavas im Sterben, und alle Männer sind sich einig, daß ich an seiner Statt König sein soll, deshalb möchte ich alle Geheimnisse des Königberufs bis aufs Tüpfelchen kennenlernen. Weil ich aber nicht bei dir bleiben kann, bitte ich dich, Lord Bosambo, meinem Obmann Tolinobo Aufenthalt bei dir zu gewähren, damit er ein Jahr lang im Schatten deiner Weisheit sitzen und mir die vielen schönen Dinge wiedersagen kann, die du sprichst.«

Bosambo betrachtete gedankenvoll Tolinobo, den Obmann, einen listigen Fischer, der zu dieser Würde befördert war, und der, nach Bosambos Urteil, nicht ganz zurechnungsfähig war.

»Er soll bei mir bleiben«, sagte Bosambo schließlich, »und soll wie mein eigener Sohn behandelt werden; er soll in einer Hütte neben meiner eigenen schlafen, und ich werde ihn behandeln wie meinen eigenen Bruder.«

Ein vorübergehender Schimmer der Genugtuung blitzte in Ofesis Auge auf, als er sich erhob, um seinen Blutsbruder zu umarmen, aber damals wußte er noch nicht, wie Bosambo seinen Bruder behandelte.

Der Akasavahäuptling und seine zweiundzwanzig Kanus paddelten bei Tagesanbruch heimwärts, und Bosambo sah sie abfahren.

Als sie weg waren, wandte er sich an seinen Obmann.

»Sage mir, Solonkinini,« fragte er, »was haben wir mit diesem Tolinobo gemacht, der bei uns bleibt?«

»Herr, wir haben ihm heute morgen eine Hütte im Schatten deiner Lordschaft gebaut.«

Bosambo nickte.

»Zunächst«, befahl er, »nehmt ihn mit euch zu dem geheimen Ort am Krokodilsteich und spreitet ihn auf die Erde. Ich komme sofort hin, wir wollen einige Fragen an ihn richten.«

»Herr, er wird nicht antworten«, antwortete der Obmann, »ich selbst habe schon mit ihm gesprochen.«

»Mir wird er schon antworten«, sagte Bosambo anzüglich. »Macht ein Feuer und macht eure Speere nur ordentlich heiß, denn ich glaube, dieser Tolinobo weiß gewisse Dinge, die er froh sein wird, uns mitteilen zu können.«

Bosambos Vorhersage wurde durch die Tatsachen gerechtfertigt.

Ofesi war noch nicht halb zu Hause, glücklich über seinen vermeintlichen Erfolg, als ein jammernder Tolinobo, den man schändlicherweise auf den Boden ausgespreitet hatte, mit einem beklagenswerten Mangel an Zurückhaltung über die intimsten Dinge sprach; veranlaßt wurde er hierzu durch eine glühend rote Speerspitze, die Bosambo ihm viel zu nahe an sein Gesicht hielt, als daß sich Tolinobo dabei hätte wohl fühlen können.

* * *

Zu derselben Zeit kamen Jim Greel, ein amerikanischer Abenteurer, und Francis E. Coulson, ein Weltbürger, an. Sie gerieten etwas gegen ihren Willen in Sanders' Gebiet, denn sie wollten über den Französischen Fluß, der den Norden des N'Gombilandes umsäumte, nach Deutsch-Westafrika. Zu gewöhnlichen Zeiten gab es da eine kleine Wasserader, die den Großen Fluß mit dem Französischen Fluß verband. Nach einem witzig veranlagten Regierungsvermesser war dieses Gewässer schiffbar für Luftballons und Papierschiffchen, ausgenommen einmal in zehn Jahren, wenn ein milder Frühling in den tausend Meilen entfernten Bergen zeitlich zusammenfiel mit schweren Regenfällen an der Isisi-Wasserscheide. In diesem Ausnahmefalle erlangte das winzige Rinnsal von Binsen erstickten Wassers das würdige Aussehen eines Flusses. Es war persönliches Pech, daß Jim und Coulson eine so außergewöhnliche Jahreszeit erwischten.

Die beiden Abenteurer folgten dem Lauf dieses Gewässers, das für gewöhnlich nicht auf der Karte verzeichnet war, indem sie sich an das linke Ufer hielten und nur des Nachts fuhren; sie befanden sich daher verzeihlicherweise und fast buchstäblich »auf hoher See«.

Zwei lange Nächte arbeiteten sie sich mit ihrem gebrechlichen kleinen Dampfer, dem »Grashopper«, durch vollkommen unerforschtes Land und wußten nicht einmal, daß es unerforschtes Land war. Sie vermieden es, die Aufmerksamkeit der Dörfer, an denen sie vorbeikamen, auf sich zu lenken, indem sie allen Dampf abließen und alle Lichter abblendeten, bis sie außer Sicht und Hörweite waren.

Endlich erreichten sie eine Entwicklungsstufe ihres Unternehmens, wo jede weitere Geheimhaltung mit persönlicher Gefahr für sie selbst verbunden gewesen wäre. Deshalb sahen sie sich in der finsteren Nacht nach Beistand um.

»Sieht aus wie'n Dorf da drüben, Jim!«, sagte Coulson, und der am Steuer nickte.

»Das Wasser ist hier seicht«, bemerkte er verdrießlich, »und der Vorderraum steht in einer Linie mit der Wasseroberfläche.«

»Leckt sie?«

»Das gerade nicht,« sagte Jim vorsichtig; »aber der Vorderteil dieses Zubers hat keinen Boden mehr.«

Coulson fluchte leise auf die afrikanische Nacht. Dieser dunkle Samtschleier war sehr plötzlich über sie gekommen, und es handelte sich hier um die Frage: »Bleiben oder Weiterfahren?« Jim entschied sich fürs Weiterfahren.

Sie waren auf einen unter Wasser befindlichen Baumstamm aufgelaufen, und dieser hatte den Boden des winzigen Abteils weggerissen, das großsprecherisch die Bezeichnung führte »Raum Nr. 1«. Das Schott von Nr. 1 und Nr. 2 war von dem dünnsten Stahlblech und leckte wahrnehmbar. Coulson wußte das nicht, aber Jim.

Nun wandte er den Schnabel des vorsintflutlichen Dampfers nach dem dunklen Lande zu, und die beiden Paddelräder machten einen letzten ersterbenden Versuch, sich zu drehen.

Irgendwo am Ufer rief sie eine Stimme in der Akasavasprache an. Sie sahen die Dorffeuer, und schwarze Schatten zogen an ihnen vorüber; sie hörten Weiber lachen.

Jim wandte seinen Kopf und gab einem seiner nackten Mannschaft einen Befehl. Der Mann sprang mit einer dünnen Hanfleine über Bord. Dann stieß der aufgerissene Kiel des kleinen Fahrzeugs auf Sand auf; es strandete.

Jim zündete sich seine Pfeife an der Laterne an, die in der Deckkabine hinter ihm brannte, wischte sich die schweißtriefende Stirne mit seinem Handrücken ab und sprach hastig in der Akasavasprache zu der kleinen Anzahl Leute, die sich am Ufer versammelt hatte. Er sprach automatenhaft, warnte all und jeden um der Sicherheit seiner unsterblichen Seele willen, seine Vertäuleine nicht entschlüpfen zu lassen, drohte ihnen, daß, wenn er auch nur so viel wie einen Deckbolzen verlöre, er den Häuptling bei lebendigem Leibe schinden würde, und schloß, indem er seine beifallsfreudige Zuhörerschaft M'shimba M'shamba, der Teufel Obersten, und Bimbi, O'kili und solchen Lokalgötzen empfahl, deren Namen ihm gerade auf die Zunge kamen.

»Das hat mir den Rest gegeben«, sagte er und watete durch das seichte Wasser an Land wie einer, den die großen Tragödien des Daseins zu sehr überwältigt haben, um sich noch viel darum zu kümmern, ob er naß oder trocken sei.

Er schritt die Uferböschung hinauf und wurde von einer herumstreifenden Schar Dörfler zur Häuptlingshütte gebracht. Dort stellte er Nachforschungen an und kam mit unangenehmen Nachrichten zum Fahrzeug zurück.

Coulson hatte den Bug auf den Sand gezogen, und bei einem Reisigfeuer, das die Dörfler am Flußufer angezündet hatten, war der Schaden deutlich zu sehen.

Der schwache Schiffsrumpf war gerissen wie Packpapier, und ein Teil der Ursache, ein starker Zweig Hartholz, ragte noch aus dem Loch hervor.

»Wir befinden uns in Sanders' Bezirk, wenn dir's nichts ausmacht«, sagte Jim düster, »und wir sind etwa achtzig Meilen von dem rechten Wege abgekommen.«

Coulson, der an der Seite des Bootes kniete, hatte eine kurze, schwarzgerauchte Bruyèrepfeife zwischen seinen regelmäßigen weißen Zähnen und blickte mit einem Grinsen auf.

»Sandi fangen uns, er machen uns höllisch heiß«, äffte er. »Erinnern Sie sich des Hallunken, der die Angolaweiber für Bannister Fish an den alten Häuptling verhandelte?«

Jim schwieg, nahm eine Rolle Kautabak aus seiner Tasche, biß ein gehöriges Stück davon ab und primte mit philosophischer Ruhe.

»In diesem Postdampfer gibts keine Sklavenjägerausrüstung«, sagte er schließlich. »Ich glaube sogar, der alte Fish selber – mag der Teufel ihn für ein Knochengericht zermahlen – würde sich nicht in diesem Lande hier rumtreiben.«

Zwischen den liebenswürdigen Abenteurern und Mr. Bannister Fish bestand keine besondere Zuneigung. Und was diesen Gentleman selbst anbelangt, saß dieser in geheimnisvoller Unterredung mit Ofesi nicht fünfzig englische Meilen von dem Platze, an dem der »Grashopper« lag, und wäre außerordentlich froh gewesen, wenn er gewußt hätte, daß dessen Eigentümer dort waren, wo sie waren.

»Fish hält sich von diesen Gebieten für immer fern«, sagte Jim, »aber davon haben wir nichts, da wir eben nicht Fish sind. Ich meine, wenn Sandi seine Nase hier herum reinsteckt, um auf Lizenzen für Händler Jagd zu machen ..., jedenfalls möchte ich nicht, daß irgend jemand unsere Ladung durchschnüffelt.«

Coulson nickte, während er einen schweren Hammer auf die beschädigte Platte niedersausen ließ.

»Ich denke, der wird's schon wissen«, fuhr Jim fort. »Man kann diesen alten Lokolis nicht das Maul zustopfen. Horchen Sie bloß, wie diese freudige Nachricht sozusagen an die erwartungsvolle Welt weiter gefunkt wird!«

Coulson hielt in seiner Arbeit inne. Klar und schrill kam das Gerassel der Lokoli, der Sprechtrommel, wie sie ihre Botschaft verzapfte: »Tom-te Tom, Tom-te tom, Tommitty, tommitty, tommitty-tom!«

»Da, hören Sie's?« sagte der geschwätzige Jim artig. »Zwei weiße Männer von verdächtigem Äußeren sind im Dorf angekommen. Amtliche Blätter, bitte, vervielfältigen!«

Coulson grinste von neuem. Er handhabte seinen Hammer gehörig, und der im Wege stehende Zweig war bereits verschwunden.

»'ne halbe Tonne Zement morgen früh, und 'ne königliche Yacht is nix gegen«, sagte er.

Jim schnaubte.

»Es wird viele halbe Tonnen Zement erfordern, um nur eine halbwegs dichte Röhre daraus zu machen«, antwortete er. Er stützte seine Hand auf den Rand des Fahrzeuges und schwang sich an Bord. Hinter dem Deckhaus befanden sich zwei winzige Kabinchen in einer Ausdehnung von einer Mannslänge und zwei Mannsbreiten. In einer dieser Kabinen tauchte er unter und kam bald darauf mit einem kleinen abgenutzten, geflickten und beschmutzten Handkoffer wieder. Er sprang über den Bug herab auf den Ufersand, nachdem er das Gepäckstück dem Maschinisten des kleinen Fahrzeugs hinuntergereicht hatte. Es war so schwer, daß der Mann es hätte beinahe fallen lassen.

»Was hast du vor?« Coulson wischte den Schweiß mit einem Taschentuch von seiner Stirne und starrte den anderen erstaunt an.

»Die Beute!« sagte Jim bedeutungsvoll, »wir müssen sie heut nacht verstecken, wenn nicht was Schlimmeres geschehen soll.«

»O Gott, dieser Mann!« stöhnte Coulson, die Augen flehend zum Himmel erhoben. »Da stapft er durch die Wildnis, die Klauen voll Gold und das Herz voll einer unschuldigen List, während die Augen des ganzen barbarischen Pöbels auf ihn gerichtet sind!«

Jim stopfte seine Pfeife gemächlich aus einem großen ledernen Tabaksbeutel, der ihm an der Hüfte hing, ehe er antwortete.

»Coulson,« sagte er zwischen den einzelnen Zügen, »in der Sprache jenes lächerlichen Vaudevilleartisten, den wir sahen, ehe wir London verließen, magst du Gehirn in deinem Schädel haben, aber du hast Karnickelblut in deinen Füßen. Es ist keine Veranlassung zur Furcht vorhanden, bloß vermute ich, daß einer deiner Landsleute hier herumschnüffeln wird, lange ehe der Bug dieses stattlichen Fahrzeuges das Wasser wie ein lebendes Wesen teilt. Und da der Kerl in diesem Teil der Welt den Herrn über alles bedeutet und einem Manne die Taschen umzukehren vermag, ohne daß man nur einmal ›Hol' dich der Teufel!‹ sagen darf, bin ich dafür, daß wir alle Goldgräbereispuren vom Franzosenfluß entfernen.«

Coulson hatte in seiner Arbeit innegehalten, hockte auf seinen Absätzen und sah seinen Gefährten fest an. Er war ein siebenundzwanzigjähriger junger Mann von gutem Äußeren und ein paar Jahre jünger als der andere, dessen ledergegerbtes Gesicht lang und dünn, aber keineswegs unangenehm war.

»Was kann das ausmachen?« fragte Coulson nach einer Weile. »Er kann doch nur fragen, wo wir den Goldstaub her haben, und wir brauchen's ihm ja nicht zu sagen; und wenn wir's ihm sagen, es bleibt uns ja noch genug hier, um bequem bis an unser Lebensende damit auszukommen.«

Jim lächelte.

»Nun, angenommen, er behält einstweilen das Gold,« fragte er ruhig, »angenommen, er schickt seine Spione längs, um zu entdecken, wo der Goldfundplatz am Flusse ist – und angenommen, er findet das raus, daß er auf französischem Gebiet liegt, und daß da ein französischer Ausfuhrschutzzoll drauf liegt ...! Oh, da gibt's hundert Möglichkeiten, und keine ist angenehm auszudenken.«

Coulson erhob sich ein wenig steif.

»Ich denke, Jim, wir riskieren's, ob das Boot sinkt. Gib den Koffer wieder her!«

Jim zögerte. Dann warf er mit einem Schwung den Koffer an Bord und folgte selbst. Einige Minuten später lag er gekrümmt im Raum Nr. 1, der viel zu klein für ihn war, schwabberte das eingedrungene Flußwasser aus und sang in hohem Falsett das Liebeslied eines sagenhaften Beduinen.

Erst nach Mitternacht suchten die beiden Männer ermüdet mit schmerzenden Gliedern, aber hoffnungsvoll ihr Lager auf.

»Falls Sanders auftauchen sollte,« rief Jim, als er sein Moskitonetz herunterzog – das Rufen erwies sich als notwendig, weil er seinen Gefährten durch eine Scheidewand aus Pappdeckeln, die die beiden Kabinen trennte, anreden mußte –, »falls Sanders auftauchen sollte, dann mußt du lügen, Coulson!«

»Ich hasse das Lügen,« knurrte Coulson vernehmlich, »aber ich glaube, es wird uns nichts anderes übrigbleiben.«

»Da kannst du wetten«, gähnte der andere und verrichtete sein Nachtgebet mit Blitzesschnelle.

Der neue Tag brachte den beiden Reisenden Bestürzung.

Das Loch im Rumpf des Bootes war nicht allein verantwortlich für das Vollaufen des Raumes. In seinem Kiel befand sich eine große Scharte. Die Platte dort war durch irgendwelche unbekannte zahnartige Hindernisse weggerissen. Coulson sah Jim an, und Jim erwiderte den verzweifelten Blick.

»Gebt mir 'n Kanu! Und damit nach dem Deutschen Fluß und von da nach Hause! Das ist der Weg, den ich einschlagen wollte, und den schlage ich auch ein«, sagte Jim nach einer Weile.

Coulson schüttelte den Kopf.

»Flucht!« sagte er kurz. »Du kannst unsere Anwesenheit in Sanders' Bezirk erklären, aber das Ausreißen kannst du nicht erklären. Das gib nur auf!«

An diesem ganzen Morgen arbeiteten die beiden Männer in der heißen Sonne, um den Schaden auszubessern. Glücklicherweise genügte der Zement, um das Leck am Boden zuzustopfen, und es blieb noch genug übrig, um eine Mischung aus Zweigen und aus in der Sonne getrocknetem Sande damit herzustellen, um das andere Loch zu stopfen. Aber die Tatsache konnte man sich nicht verhehlen, daß der Schutz, den das gewährte, durchaus unzureichend war. Ein bloßer Zweig, der in einer Sandbank steckte, genügte, um das dünne »Flechtwerk« zu durchbohren. So viel sahen die Männer, als die Ausbesserungen am Ende dieses Tages fertig waren: Das Loch am Bug konnte nur wirksam dadurch beseitigt werden, daß man eine Platte entfernte und eine andere an ihrer Statt anbrachte, »und das«, meinte Jim, »wäre wohl kaum möglich.«

Der Deutsche Fluß lag achtzig Meilen stromaufwärts, und auf dem angeschwollenen Wasser war noch dazu eine Strömung von neun Knoten die Stunde zu überwinden. Nahm man eine Durchschnittsgeschwindigkeit von neun Knoten die Stunde für den »Grashopper« an, so ergab das mindestens eine Fahrt von zwanzig Stunden Dauer.

»Der Fluß ist voll von Treibholz«, sagte Jim wütend, während sein Auge den reißenden Lauf der schwarzen Wasser überflog. »Und wir haben keine bessere Gelegenheit zu versaufen. Es heißt hier, entweder eine neue Eisenplatte, oder 's wird nichts!«

So standen die Dinge: ein zerschlagener »Grashopper«, hoch und trocken auf dem abschüssigen Ufer des Akasavadorfes, und zwei furchtlose, aber unglückliche Goldschmuggler, die alle möglichen Wege und Mittel zu ihrer Rettung erörterten, als Verwicklungen eintraten, die viel dazu beitrugen, das Leben des Herrn Bezirksamtmanns Sanders unerträglich zu machen.

* * *

Da lebte ein Akasavaweib, die Ufambi, das bedeutet »das schlimme Weib«, hieß. Sie hatte einen Liebhaber – tatsächlich besaß sie deren viele –, aber der Hauptliebhaber war ein Jäger, namens Logi. Er war ein großer schweigsamer Mann, und seine Zähne waren zu zwei Spitzen geschärft. Er war breitschulterig, sein Haar war mit Lehm bekleistert, und er trug einen Mantel aus Affenschwänzen. Aus diesem Grunde nannte man ihn Logi N'kemi, das heißt, »Logi der Affe«.

Er besaß eine Hütte, weit drinnen im Urwald, die drei Tagereisen entfernt lag. Und in diesem Walde gab es mehrere böse Geister. Darum hatte er wenige Besucher.

Ufambi liebte diesen Mann außerordentlich, und ebenso glühend haßte sie ihren Ehemann, der ein Geschöpf Ofesis war. Auch scheute er sich nicht, ihr gegenüber den Stock zu gebrauchen.

Eines Tages ärgerte Ufambi ihn, und er schlug sie. Sie flog auf ihn zu wie eine Wildkatze und biß ihn. Er schüttelte sie ab und schlug sie nur um so mehr, bis sie aus der Hütte in die Kühle und Einsamkeit der Wälder lief, denn sie hatte keine Bange vor Teufeln.

Hier fand sie ihr Liebhaber, wie sie geduldig am Rande des Urwaldpfades saß, ihre wohlgeformten Arme um ihre Knie geschlungen – ihr Kinn war auf die Brust gesunken – ein wachsames, beleidigtes, ränkespinnendes Weib. Sie saßen beisammen und sprachen, und das Weib sagte ihm alles, was nötig war, und Logi, der Affe, hörte schweigend zu.

»Außerdem«, fuhr sie fort, »hat er unter dem Fußboden der Hütte gewisse Schätze vergraben, die er von Weißen erhalten hat, und die du dir nehmen kannst.«

Sie sagte das in beschwörendem Tone, denn er hatte keine große Lust bezeugt, sie in ihrem Vorhaben zu unterstützen.

»Trotzdem, wie kann ich deinen Mann töten?« antwortete Logi vorsichtig. »Und wenn ich ihn totmache, und Sandi kommt hierher, wie fange ich es an, dessen grausamer Rache zu entgehen? Ich glaube, es wäre besser, wenn du ihm Gift ins Essen tust, denn dann dächte niemand von mir Übles.«

Sie fühlte sich von seinem offenbaren Egoismus nicht peinlich berührt. Es war verständlich, daß ein Mann seine Haut in Sicherheit zu bringen suchte, aber sie hatte nicht die Absicht, den Plan ihres Liebhabers auszuführen.

Sie ging zu ihrem Ehemann zurück und fand ihn so weit liebenswürdig, daß sie einer weiteren Züchtigung entging. Überdies erwies er sich jetzt als mitteilsam.

»Weib,« sagte er, »morgen gehe ich auf eine lange Reise wegen gewisser Dinge, die ich gesehen habe. Und du gehst mit mir. An einem geheimen Platze habe ich, wie du weißt, mein neues Kanu verborgen. Wenn es dunkel ist, nimmst du viel Fische und meine beiden kleinen Hunde, und setzt dich in das Kanu und wartest auf mich!«

»Ich werde alles tun, Herr!« antwortete sie unterwürfig.

Lange blickte er sie an.

»Auch«, fuhr er nach einer Weile fort, »darfst du niemand verraten, daß ich verreise. Denn ich möchte nicht, daß es Sandi erfährt, obwohl er, auch wenn alles wahr sein sollte, was Ofesi erzählt, nichts erfahren wird.«

»Ich will alles tun, was du von mir verlangst, mein Herr und Gebieter«, sagte das Weib.

Er stand vom Fußboden der Hütte auf, wo er gehockt hatte, und ging hinaus.

»Komm!« befahl er gnädig, und sie folgte ihm hinunter zum Flußufer. Sie gesellten sich der Menge der Dörfler zu, die zwei Weiße beobachteten, wie diese unter schwierigen Verhältnissen arbeiteten.

Dann sah sie, wie ihr Mann sich allmählich von der Gruppe losschälte und sich vorsichtig den Weißen näherte. Nun war Bikilari – so hieß der Mann – ein N'Gombimann. Und die N'Gombileute sind eins von zwei Dingen und, noch häufiger als nicht, alles beides. Sie sind nämlich entweder Eisenarbeiter oder Diebe. Und als Jim sich den Mann näher betrachtete, fühlte er einen kleinen Kitzel der Genugtuung, als er die seitlichen Gesichtsmarken sah, die dessen Stammeszugehörigkeit verrieten.

»He, Mann!« rief Jim in der Landessprache, »was bist du, daß du mir so in der Sonne stehst?«

»Herr, ich bin ein armer Mann,« sagte Bikilari, »und ich bin der Sklave aller Weißen. Nun verstehe ich mich auf Dinge, die unwissende Männer nicht verstehen können, denn ich kann Eisen durch Hitze zum Biegen bringen. Ich kann es sogar biegen, wenn es nicht heiß ist, wie es meine Väter und mein Stamm getan haben von Anbeginn der Welt an.«

Coulson beobachtete den Mann scharf, denn er war kein Freund der N'Gombis.

»Versuch's mit ihm, Jim!« sagte er.

Sie gaben Bikilari einen Hammer und Streifen von Stahl, und den ganzen Tag über arbeitete er daran, den morschen Bug des »Grashopper« wieder zu kräftigen.

Am Abend kehrte Bikilari müde und hungrig nach seiner Hütte zurück, um zu essen. Aber sein Weib hatte ihn zu aufmerksam beobachtet, als daß das gut für sein Behagen gewesen wäre, und der Kochtopf war kalt und leer. Bikilari schlug sie mit einem Stock, und zwei Stunden lang schluchzte sie und blies abwechselnd auf die Scheite des Feuers, während ihres Gebieters Fische über ihrem Kopfe brodelten und brutzelten.

* * *

Jim hatte einen guten, aber leichten Schlaf. Er wachte schon beim Schatten einer Gefahr auf. Er witterte sie. Und hier war etwas Greifbareres als das ... ein hundeartiges Kratzen an seiner Tür. Beim schwachen Lichte des Mondes sah er eine Gestalt in dem engen Gange herumkriechen; an gewissen Formen erkannte er, daß es ein Weib war, und zog lieblose Schlüsse. Dennoch, da sie auf Geheimhaltung bestand, war er geneigt, ihr zu willfahren. Er schob die Gazenetztür zurück und schaltete eine elektrische Lampe ein – das war ein sehr kostbarer Besitz, der nur mit der größten Sparsamkeit und Schonung gebraucht werden durfte. Sie schrak bei diesem Beweis von Zauberkraft zurück und stammelte eine Bitte.

»Was willst du?« fragte er mit leiser Stimme.

»Herr,« antwortete sie mit verstellter Stimme, »wenn du dein Leben liebst, bleibe nicht hier!«

Jim brachte sein eigenes Gesicht näher an das des Weibes.

»Was du sagen mußt, sag' schnell!«

»Herr,« begann sie von neuem, »mein Ehemann ist Bikilari, der Schmied. Er ist das Werkzeug Ofesis, und heute nacht schickt Ofesi seine Mörder aus, damit sie ihr Werk an allen Weißen und an allen Häuptlingen tun, die wider ihn sind. Und auch an euch, weil ihr Weiße seid, und weil ihr einen Schatz an Bord habt.«

»Warte!« sagte Jim und klopfte an Coulsons Türe. Das war nicht nötig. Coulson war beim ersten Ton draußen, den die beiden flüsterten. Und nun stand er im Türrahmen; das Mondlicht spiegelte sich in einer kalten blauen Linie auf dem Revolver, den er in seiner Hand hielt.

»Es mag eine Falle sein, aber sie muß es nicht unbedingt sein,« sagte er, nachdem sie die Geschichte erzählt hatte, »wir riskieren das Loch im Bug.«

Jim lief voraus und weckte den schlafenden Maschinisten und kam zurück, sobald er das erste Knistern des brennenden Holzes im Feuerloch hörte.

Das Weib wartete immer noch.

»Wie heißest du?« fragte er.

Sie stand mit ihrem Rücken nach der winzigen Reling zu; ein leichtes Ziel für den Mann, der ihr gefolgt war und nun im Schatten des Schiffskörpers näher kroch. Schon konnte er sie erreichen und berühren. Er zog sein langes Jagdmesser aus der Tasche und prüfte dessen Spitze.

»Herr,« antwortete das Weib, »ich heiße ...«

Damit glitt sie auf das Deck nieder.

Coulson feuerte zweimal auf den fliehenden Bikilari und fehlte ihn. Logi, ihr Liebhaber sprang auf ihn vom Flußufer aus, aber fiel unter einem schnellen Messerstich.

Bikilari erreichte unbehelligt das Gebüsch und stürzte sich in die Finsternis – und in die Arme Ahmed Alis, eines schnellen, schweigsamen Menschen, der den mit einem Messer bewaffneten Arm mit einer Hand festhielt und das Genick des Mörders mit der anderen Hand brach, denn Ahmed Ali war ein berühmter Ringer im Kanolande.

Die Stadt wurde wach; nackte Füße patschten durch die Straße. Jim und Coulson hielten die Neugierigen im Zaum.

Zwei Stunden lagen sie so, während die kalten Kessel Kraft erzeugten. Dann schlugen die Radpaddeln verzweifelt nach rückwärts, und der »Grashopper« schleppte sich in tiefes Wasser.

Eine Gestalt vom Ufer rief sie auf Suaheli an: »Lord, gehen Sie südwärts und treffen Sie Sanders! Nordwärts lauert Tod. Denn die Isisis haben sich erhoben, und die Akasavadörfer sind in ihren Kanus. Auch alle Weißen in diesem Land sind tot – ausgenommen Sandi.«

»Wer sind Sie?« brüllte Jim durch das Megaphon, und die Antwort kam schwach herübergeweht, da das Boot nach der Strommitte zu getrieben war.

»Ich bin Ahmed Ali, der Diener Sandis, den Gott erhalten möge.«

»Komme mit uns!« brüllte Jim.

Die Gestalt am Ufer, die deutlich in ihrem weißen Gewand zu erkennen war, formte die Hände zu einer Trompete: »Ich muß noch einen gewissen Ofesi töten, wie mir geheißen wurde. Sag' das Sandi!«

Dann trieb das Boot außer Hörweite.

»Stromauf- oder abwärts?« fragte Jim vom Ruder her. »Unten treffen wir Sanders, und oben stoßen wir auf den Heiden in seinem Zorn.«

»Stromaufwärts!« sagte Coulson und ging achteraus, um einen Nicker zu halten.

In dieser Nacht wurden Iliki, der Häuptling der Isisis, und I'mini, sein Bruder, erdolcht, als sie beim Mahle saßen. Auch Bosomo von den Klein-Isisileuten und B'rama von den N'Gombis, alles Häuptlinge; Pater O'Leary von der Jesuitenmission auf Mosankuli, sein Laienbruder und der Reverend George Calley von der Wesleyanischen Mission in Bogori und der Reverend Septimus Keen und seine Gattin von der Baptistenmission in Michi.

Bosambo starb nicht, denn er war unterrichtet. Auch ein gewisser Obmann Ofesis war unterrichtet – und starb trotzdem.

Ofesi hatte seinen Plan großzügig und geschickt angelegt. Krieg in schrecklichster Gestalt war über das Land gekommen, dennoch zögerte Bosambo nicht, obwohl er sich seiner geringen Stärke, sowohl was die Zahl als auch den wichtigeren Punkt der Bewaffnung anbetraf, bewußt war.

Denn etwas Fürchterliches hatte sich ereignet, und Brieftauben flogen von wohl einem Dutzend Punkten aus nach Süden und trugen die Nachricht zu Sanders – zum ersten Male in der Geschichte war das aufständige Volk der Akasavas mit Hinterladern bewaffnet – mit Hinterladern, die über die Grenze geschmuggelt und in die Hände der Krieger Ofesis gespielt worden waren.

Bei den Ochoris rasselte die Kriegstrommel. Bei Tagesanbruch führte Bosambo vierzig Kriegskanus flußabwärts, eroberte die erste Stadt, die Widerstand leistete, und verbrannte sie. Dann ging es gegen Ofesis Feste, und Bosambo war auf halbem Wege dahin, als er auf den winzigen »Grashopper« stieß, der stromauf fuhr.

Zuerst hielt er den »Grashopper« irrtümlich für die »Zaire« und machte wenig Anstrengung, die friedlichen Absichten seiner vierzig Kanus zu zeigen, bis eine vorüberpfeifende Büchsenkugel ihn die Gefahr wahrnehmen ließ, Dinge als bekannt vorauszusetzen.

Er paddelte dem Fahrzeug in offensichtlich friedlicher Absicht allein entgegen, und Jim empfing ihn.

»Hinterlader?« Coulson glaubte nicht daran. »Häuptling, du bist wahnsinnig!«

»Herr,« antwortete Bosambo ernst, »laß Sandi dir sagen, ob ich verrückt bin, denn Sandi ist mein Bru– ist mein Herr und Freund«, verbesserte er sich.

Jim hatte von Bosambo gehört – der Häuptling hatte einen Ruf an der Küste – und glaubte ihm.

Er wandte sich an seinen Gefährten.

»Wenn alles, was Bosambo sagt, wahr ist, wird dieses Land eine Hölle sein«, sagte er ruhig. »Wir können nichts im Stiche lassen und auskneifen. Kannst du mit einer Büchse umgehen?« fragte er.

Bosambo warf sich in Positur. »Sah,« erwiderte er in gewöhnlichem Englisch, »ich mach'm schießen viel in Cape Coast Castel – ich schieße zweimal Zentrum raus.«

Coulson überlegte.

»Wir wollen das Gold verbergen. Es wäre lächerlich, wenn wir es bei uns behalten wollten. Bosambo, wir haben einen großen Schatz bei uns, und diesen wollen wir in deiner Stadt zurücklassen.«

»Herr,« antwortete Bosambo gelassen, »er soll sein wie mein eigener Schatz.«

»Das möchte ich nun gerade nicht haben«, sagte Coulson.

Die Flottille wartete, während Bosambo mit den beiden Schmugglern nach Ochoristadt zurückkehrte. Dort wurde der Schatz in Bosambos Hütte in einem schlau angelegten Versteck unter dem Fußboden verborgen, und der »Grashopper« lief lustig mit dem Strom den Abenteuern entgegen, die ihn erwarteten, welcher Art sie auch sein mochten.

* * *

Der Mond lag in Streifen von Salbei- und Smaragdgrün – solchem Grün, wie nur der Mond, den man durch die Flußnebel sieht, aufweisen kann. Salbeigrün für den Schatten, glänzendes Smaragdgrün auf dem jungen Grün des Frühlings in allen Schattierungen von hell zu dunkel und dunkel zu hell, je nachdem die lässige Brise das Unterholz bewegte. In dem Schimmer des Mondlichts befand sich ein einziger glänzender, glühender roter Klecks – das Ende der Zigarre des Herrn Bezirksamtmanns Sanders.

Er saß in dem tintendunklen Schatten, den das Sonnensegel auf das Vorderdeck der »Zaire« warf. Seine Füße staken in langen biegsamen Moskitostiefeln, die ihm bis an die Knie reichten und lagen auf der Reling des Fahrzeuges; er war ein Bild von Zufriedenheit und heiterer Muße.

Ein müßiger Mensch kann trotzdem unruhig sein. Man hätte das Knacken des Rohrstuhles vernehmen können, sobald er die leiseste Bewegung machte. Dennoch war es eine befremdliche Tatsache, daß kein solcher Laut die angenehme Stille der Nacht unterbrach.

Sanders saß schweigend, bewegungslos. Nur die rote Spitze der Zigarre glühte in feuriger Helle und stumpfte zu roter Asche ab, wenn er lautlos an seiner Festrübe sog.

Ein weicher Filzhut, der bis über seine Augen heruntergezogen war, hätte die Richtung seiner Blicke verborgen, selbst wenn das Sonnensegel entfernt gewesen wäre. Seine leichtverschlungenen Hände lagen auf einem Knie, und nur die ruhig glimmende Zigarre deutete an, daß Sandi nicht schlief.

Dennoch war »Sanders vom Strom« entsetzlich wach. Seine Augen beobachteten das zerzauste Gebüsch am Flußrand, schweiften von Punkt zu Punkt, suchten jeden nur irgend möglichen Ausweg.

Irgend jemand war in diesen Büschen verborgen; darüber hegte Sanders keinen Zweifel. Aber warum warteten sie – denn hier handelte es sich um »sie« – und warum griffen sie ihn nicht früher an, wenn sie ihm feindlich gesinnt waren?

Sanders hatte seine Warnungen empfangen. Einige der Tauben kamen an, ehe er seinen Sitz an der Küste verließ. Plump bekritzelte rote Zettelchen hatten die Hörner durch die Haußabaracken gellen lassen. Aber die schlimmste Botschaft hatte ihn verfehlt. Bosambos arabischer Hilferuf war in die Klauen eines aufmerksamen Habichts gefallen – der arme beschwingte Bote und alles mit ihm.

Sanders erhob sich schnell und schweigend. Hinter ihm lag die offene Tür seiner Kabine; er trat ein, ging in der Dunkelheit an das Telephon, das sich über dem Kopfende seiner Koje befand, und drückte auf einen Knopf.

Abiboo, der mit seinem Kopf am Hörer döste, antwortete sofort.

»Alle Mann aufwecken!« befahl Sanders im Flüsterton, »sechs Büchsen decken den Busch zwischen den beiden dürren Bäumen!«

»Bei meinem Kopf!« flüsterte Abiboo und setzte sich den Tarbusch fester auf den genannten Teil seiner sterblichen Hülle.

Sanders stand neben der Tür seiner Kabine und wartete, eine Lee-Enfield-Pirschbüchse im Arm. Da hörte er aus sehr weiter Ferne einen schwachen Schrei, ein melancholisches schrilles Wu-Wuing. Dieser Schrei ließ die Dörfler erzittern, denn ihn pflegten Gespenster auszustoßen.

Aber auch Männer im Geheimdienst Sanders' und des Gouvernements stießen ihn aus. Und Sanders nickte mit dem Kopf. Das mußte ein Mann sein, der ihm in aller Eile eine Botschaft bringen wollte.

Eine lange Pause, dann wieder das Wu-Wuing. Traurig, klagend – und diesmal näher. Der Mann, der den Schrei ausstieß, näherte sich im Laufschritt, und die am Flußufer warteten ...

»Feuer!« befahl Sanders scharf.

Sechs Büchsen krachten wie ein Donnerschlag. Dann gab es ein kurzes Flickflack, als die Kugeln durch die Zweige peitschten, und zwei Angstschreie.

Aus dem Busch stolperte eine dunkle Gestalt, blickte sich betroffen und unsicher um, sah die »Zaire« und erhob ihre Hand.

»Bang!«

Eine Kugel klatschte tückisch an Sanders' Kopf vorbei.

»Hinterlader!« sagte Sanders und schnappte nach Atem. Und als der Mann am Ufer den Hebel seines Repetiergewehres zurückriß, erschoß ihn Sanders.

»Bang! Bang!« kam es, diesmal aus dem Gebüsch, und die Haußas antworteten. Vierzig Mann feuerten, ohne auf Kommando zu warten, auf den grünen Fleck, aus dem die Schüsse aufgeblitzt waren.

Vierzig Mann und mehr sprangen ins Wasser und wateten, Sanders an ihrer Spitze, an Land.

Der Hinterhalt hatte versagt. Sanders fand drei tote Isisis und einen Leichtverwundeten, der bereit war, sich zu ergeben.

»Mannlichergewehre«, murmelte Sanders und pfiff, als er die Büchsen prüfte.

»Herr,« sagte der Überlebende der vier, »wir haben getan, was uns befohlen wurde. Denn es besteht ein Befehl, daß kein Mann mit Nachrichten zu dir gelangen soll, und daß wir dich in einer bestimmten Nacht erschießen sollen.«

»Auf wessen Befehl?« fragte Sanders.

»Auf unseres Herrn Ofesi Befehl,« gab der Mann zurück, »außerdem geschieht das auch auf Befehl eines gewissen weißen Herrn, der mit seinen Leuten an der Grenze wohnt.«

Sie sprachen noch miteinander, als der Bote, der den Wu-Wuing-Schrei ausgestoßen hatte, im Laufschritt näher kam. Er war zu erschöpft, um sich durch die Gewehrschüsse warnen zu lassen.

Er war ein müder Mann, bestaubt, fast nackt und trug einen Speer und einen gespaltenen Stock. Sanders las den Brief, der in diesem Stock eingeklemmt war. Er war in blumenreichem Arabisch geschrieben und kam von Ahmed Ali.

Sanders las den Brief sehr aufmerksam, dann sprach er: »Was weißt du hiervon?«

»Herr,« antwortete der müde Mann, flach auf dem nackten Boden ausgestreckt und mühsam nach Atem ringend: »Hier im Lande ist ein Krieg, wie wir ihn noch niemals gesehen haben. Denn Ofesi besitzt Hinterlader und hat alle Häuptlinge durch List erschlagen. Da ist auch ein weißer Mann, den er heimlich im Urwald besucht.«

Sanders ging zur »Zaire« zurück, hundeelend. Alle diese Jahre über hatte er seine Länder frei von einer Strafexpedition gehalten, indem er sie langsam der Zivilisation näherbrachte, die das Ideal jedes Verwaltungsbeamten bildete. Was jetzt vor sich ging, erforderte eine Strafexpedition, die Einführung einer neuen Regierungsform und die Ankunft bewaffneter weißer Truppen gegen diese seine Kinder.

Wer hatte ihnen diese Hinterlader geliefert? Er konnte sich das nicht vorstellen. Niemals hatte er auch nur von der Möglichkeit ihrer Einfuhr geträumt. Seine Untertanen waren zu arm, hatten zu wenig dafür als Gegenleistung zu bieten.

»Herr,« rief der sich ausruhende Bote, als Sanders zurückkehrte, »da sind zwei weiße Männer in einem Puck-a-Puck, die sich bei Akasavastadt aufhalten.«

Sanders schüttelte sein Haupt.

Diese Leute – wer kannte ihre Namen? – waren Goldschmuggler, die rein zufällig durch einen angeschwollenen Strom gekommen waren. (Seine Spione waren sehr tüchtig, wie man sieht.)

Aber um wen immer es sich handelte, das Unheil war angerichtet.

»Dampf!« befahl er kurz dem wartenden Abiboo.

»Und dieser Mann hier?« fragte der Haußa, indem er auf den letzten der Mordgesellen deutete.

Sanders ging zu dem Mann hin.

»Sage mir, wie viele von euch haben hier gewartet, um mich zu töten?«

»Fünf, Herr«, antwortete der Mann.

»Fünf? Aber ich fand doch nur vier?«

In diesem Augenblick feuerte der Fünfte vom Ufer aus.

* * *

Der »Grashopper«, der die vierzig Ochorikanus im Schlepptau hatte, kam um eine Biegung des Großen Flusses und fiel in einen Hinterhalt.

Die Ochoris waren ein tapferes Volk, aber ungewohnt der demoralisierenden Wirkung von Hinterladern, wie schlecht und wie hastig auch damit gefeuert wurde.

Bosambo schrie vom Heck des kleinen Dampfers aus Befehle an seine von Panik überwältigte Flotte, aber ohne Erfolg. Seine Leute machten Kehrt und flohen, indem sie um ihr Leben auf dem Wege, den sie gekommen waren, zurückpaddelten.

Jim versuchte im buchstäblichen Sinne eine Wendung und stieß auf einen unter Wasser befindlichen Baumstumpf. Der unglückliche »Grashopper« ging, Bug zuerst, langsam unter. In einem letzten verzweifelten Versuch setzte man ihn unter einem Hagel von Kugeln auf Land. Vier Leute – Bosambos Führer der Krieger war der vierte Mann – sprangen an Land und flüchteten, augenblicklichen Widerstand niederschießend, in den Busch.

Aber sie befanden sich hier mitten in Feindesland – innerhalb Schußweite von Akasavastadt. Lange, ehe sie den Wald durchquert hatten, rief die Sprechtrommel Verstärkungen gegen sie herbei, und sie wurden durch rein ziffernmäßige Überzahl an einem Platze, namens Iffsimori, besiegt und kamen in derselben Nacht noch vor den großen König Ofesi, den vom Schicksal Erwählten.

Vier verwundete und geschlagene Männer kamen sie an; mit Grasstricken gefesselt und aufgehoben für des Königs Vergnügen.

»Oh, Bruder,« grüßte Ofesi Bosambo im Beisein alles Volkes, »betrachte mich und sage mir, was aus Tobolono, meinem lieben Obmann, geworden ist?«

Bosambo, dessen Gesicht von trocken gewordenem Blut wie gestreift war, starrte ihn frech an.

»Er ist in der Hölle,« sagte er, »da er dafür ›majiki‹, vorherbestimmt war.«

»Auch du wirst in die Hölle kommen, da die Leute sagen, du seiest Sandis Bruder.«

Bosambo war einen Augenblick baff.

»Es ist richtig«, sagte er, »daß ich Sandis Bruder bin, denn mir scheint jetzt nicht der Augenblick zu sein, um einen Mann wie Sandi zu verleugnen. Dennoch bin ich Sandis Bruder nur, weil alle Menschen Brüder sind, wie ich als Knabe nach einem gewissen Zauber gelernt habe.«

Ofesi saß vor der Türe seiner Hütte, und man konnte bemerken, daß ihm kein Mann näher als zwanzig Schritte saß oder stand.

Jim, der sich das herumstehende Volk ansah, bemerkte, daß jeder zweite Mann eine Büchse trug und über seine nackte Schulter einen Patronengurt aus Segeltuch. Er beobachtete ferner, wie der König seinen Kopf von Zeit zu Zeit umwandte und, wie es schien, in das dunkle Innere der Hütte hineinsprach.

Ofesi richtete seinen Blick auf die gefangenen Weißen.

»Oh, Weiße«, sagte er, »ihr seht mich jetzt als großen Herrn. Größer, als irgendein weißer Mann jemals gewesen ist, denn alle kleinen Häuptlinge dieses Landes sind tot, und alles Volk sagt jetzt ›Wah, König!‹ zu Ofesi.«

»Mag schon sein«, sagte Coulson auf englisch.

»Heute nacht«, fuhr der König fort, »sterbt ihr den Opfertod. Denn ihr seid die letzten weißen Männer in diesem Lande – da Sandi tot ist.«

»Ofesi, du lügst!«

Bosambo rief's. Sein Gesicht verzog sich in Wut, seine Stimme wurde schrill.

»Kein Mensch kann Sandi töten,« schrie er, »denn Sandi allein steht über dem Tode. Und er wird zu dir kommen und Schrecken über euch bringen und Schlimmeres als Tod.«

Ofesi machte eine Geste der Verachtung. Er winkte mit der Hand nach rechts, und wie auf ein Signal ging die Menge zurück.

Bosambo hielt sich straff, er erwartete die leblose Gestalt seines Herrn zu sehen. Aber was er sah, war etwas weniger Quälendes ... einen nüchternen Haufen von hölzernen Kisten, sechs Fuß hoch und acht Fuß breit.

»Munition,« sagte Jim halblaut, »der Satan hat sich ziemlich gut eingedeckt.«

»Seht her!« ries Ofesi, »da drin liegt Sanders' Tod. Hört ihr, Volk?«

Er hielt seine Hand, Schweigen gebietend, hoch.

Bosambo vernahm es – das schwache Gerassel des Lokolis. Von irgendeinem fernen Orte her brachte es Nachricht: »Sanders tot!«, rollte es dumpf, »entfernt – Mondschein Puck-a-puck – Strom Mitte – Mann am Ufer – Boot an Land. Sandi tot auf dem Grunde – viele Wunden.«

Er reimte sich die Bruchstücke zusammen. Sandi war vom Ufer aus erschossen worden, und das Boot hatte seinen Leichnam gelandet. Der Ochori hörte die Nachricht und weinte.

»Nun sollt ihr den Tod riechen!« sagte Ofesi.

Er wandte sich plötzlich nach der Tür der Hütte und wechselte ein Dutzend hastiger Worte mit dem drinnen befindlichen Manne. Er sprach scharf, in befehlendem Tone.

»Ah, Mister Bannister Fish, du Ehrengast bei dieser denkwürdigen Gelegenheit, der Ofesi, mit dem du es jetzt zu tun hast, ist nicht der unterwürfige Ofesi, mit dem du deinen einseitigen Handel in der Tiefe des Akasavawaldes abschlossest. Kamellastzug und Boot haben Munition und Hinterlader Stück für Stück zur Vernichtung deines Feindes herbeigetragen. Ofesi verdankt seine Macht dir, aber wer Tyrannen schuf, war noch immer der Erbauer seines eigenen Gefängnisses.«

Mr. Fish empfand sehr lebhaft die ihm drohende Gefahr, zog zwei langläufige Selbstladepistolen aus seiner Tasche und erwog im Geiste, welchen Weg er zur Grenze wählen sollte; er verfluchte seine eigene Dummheit, daß er nicht seine arabische Leibwache bis zu den letzten Etappen seiner Reise mitgenommen hatte.

»Ofesi,« murmelte er, »kein Morden, bis ich gegangen bin!«

»Fisi«, erwiderte der andere lauter, »du wirst alles sehen, was ich dich sehen lassen will.«

Ofesi gab ein Zeichen.

Sie zogen die Weißen so nackt aus, wie sie zur Welt gekommen waren, und pfählten sie an den Boden, wie man Adler ausspreitet. Mit dem Kopfe an des weißen Mannes Füße legte man Bosambo und den Führer seiner Krieger.

Als alles fertig war, trat Ofesi vor sie hin und sprach: »Wenn die Sonne aufgeht, werdet ihr alle tot sein, aber bis dahin bleibt uns noch die halbe Nacht.«

»Nigger,« sagte Bosambo auf englisch, »dei Mutter sein mal gewesen altes Waschweib!«

Es war der beleidigendste Ausdruck, den sein Wortschatz aufwies, und er hatte sich ihn bis zuletzt aufbewahrt.

* * *

Sanders sah den Schein des großen Feuers lange, ehe er die Akasavas erreichte. Sein eigener Lokoli schmetterte die Nachricht seines vorzeitigen Hinscheidens in die Luft – Sanders, mit dem roten Mal, das die Kugel über seine Wange gezogen hatte, und einem unfreundlichen Gefühl gegen Ofesi in seinem Herzen. Den ganzen Weg den Fluß hinauf sandte sein eigener Lokoli die freudlose Nachricht durch die Nacht. Dörfler hörten's und schauerten – aber schickten's weiter. Ein halbnackter Mann, der sich durch die Büsche bei Akasavastadt wand, hörte es und schluchzte sich krank, denn Ahmed Ali sah in sich selbst einen Mörder. Er, der geschworen hatte, beim Propheten geschworen hatte, Ofesis Leben ein Ende zu setzen, hatte damit zu lange gezögert.

In kalter Wut kroch er näher an die Menge heran, die um des Königs Hütte versammelt war – eine halsreckende, auf Zehenspitzen stehende Menge bösartiger Wesen, die Männer und Kinder zugleich waren. Der Augenblick der Martern nahte heran. Zu Ofesis Füßen krochen zwei halb blödsinnige Akasavajünglinge, die einander in vergnügter Aufregung zukicherten, und die die wie Rasierklingen scharfen Schneiden ihrer Messer an ihren inneren Handflächen wetzten.

»Hört nun!« rief Ofesi frohlockend, »ich bin er, der Geweissagte, der Herrscher über alle Menschen von den dunklen Wassern bis zu den weißen Bergen. So seht ihr mich, ihr alle meines Volkes, als euren Herrn und als Herrn der Weißen! Die Häute dieser Männer sollen Trommeln werden, um damit alle anderen Stämme zum Dienste für die Akasavas herbeizurufen. Beginnt, Ginin und M'quasa!«

Die Jünglinge erhoben sich und betrachteten die schweigenden Opfer kritisch – Mr. Fish trat aus dem Innern der Hütte in das Licht des Feuers, eine Pistole in jeder Hand.

»Häuptling,« begann er, »hiermit endet die Geschichte. Laß die Männer los, oder du stirbst sehr bald!«

Ofesi lachte.

»Zu spät, Lord Fisi!« antwortete er und nickte mit dem Kopf.

Ein Schuß fiel aus der Menge – ein Mann, geübt im Gebrauch der Waffe, hatte auf das Auftauchen des Gewehrschmugglers gewartet.

Bannister Fish aus Highgate-Hügel plumpste vornüber – tot.

»Nun?« sagte Ofesi.

Ahmed Ali kam durch die Menge wie ein Zyklon, aber weit schneller war die zweipfündige Granate aus dem Hotschkiß-Geschütz. Als Jim hinauf, in das vom Mondlicht erleuchtete Himmelsgewölbe blickte, sah er ein sekundenlanges Aufblitzen, hörte das »Bang« des Geschützes, das Heulen der Granate, als sie niederging, hörte einen Krach, der lauter als sonstwas war, und wurde durch die scharfe Kante einer explodierten Patronenkiste bewußtlos hingestreckt.

* * *

»Ofesi,« sagte Sanders, »ich denke, jetzt bist du am Ende!«

»Herr, das denk' ich auch«, antwortete Ofesi.

Sanders befahl, daß er zwei Stunden hängen sollte, ehe er ihn abschneiden ließ.

»Mr. Sanders,« sagte Jim, in einem Anzug des Bezirksamtmannes, der ihm nicht gerade allzugut paßte, »wir müßten Ihnen nun erklären ...«

»Ich weiß,« antwortete Sanders lächelnd, »Goldschmuggel!«

Jim nickte.

»Und wo ist Ihr Gold? Auf dem Grund des Flußbettes?«

Es lag ursprünglich in der Absicht des Amerikaners, zu lügen. Aber er schüttelte den Kopf.

»Der Häuptling Bosambo bewahrt es für mich auf«, bekannte er.

»Hm!« meinte Sanders, »wissen Sie auch auf die Unze genau, wieviel das ist?«

Coulson schüttelte den Kopf.

»Wo ist Bosambo?« fragte Sanders seine Ordonnanz.

»Herr, er ist mit zwanzig Paddlern schnell nach seiner Stadt gefahren«, antwortete Abiboo.

Sanders sah Jim etwas merkwürdig an.

»Sie täten besser, ebenfalls schleunigst nach der Stadt zu fahren,« sagte er trocken, »Bosambo hat seine eigenen Anschauungen über bewegliches Eigentum.«

»Wir haben um Sie geweint«, sagte entrüstet Jim, der etwas zur Sentimentalität neigte.

»Sie werden um sich selber weinen, wenn Sie nicht eilen«, sagte der Menschenkenner Sanders.

 

Ende.


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