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II.
Die Steuerbeitreibung.

Sanders hielt nichts für verbürgt, wenn es sich um eingeborene Völkerschaften handelte. Diese Stämme unter seiner Herrschaft besaßen eine unbegrenzte Fähigkeit, das Unerwartetste zu tun – darin lag zugleich das Gefährliche und der Reiz. Denn man konnte weder über ihre Sünde verzweifeln noch zu zuversichtlich stolz auf ihre Tugenden werden, wenn man sich vorstellte, daß die Sonne, die über der Bosheit des einen und der taubengleichen Sanftmut des anderen unterging, aufgehen mochte über den rauchenden Opferfeuern in den Straßen eines gesegneten Dorfes, um ein unverbesserliches Volk zu beleuchten, das, Staub auf den Häuptern und die Hände in Qualen von Reue ringend, vor seinen Hütten saß.

Trotzdem schien es, als ob das Kikovolk ein Muster von gutem Betragen, von Wirtschaftlichkeit und Intelligenz wäre, und als ob ihm die Götter ein treffliches natürliches Wesen gegeben hätten.

Kiko, ein Bezirk am Untern Isisi, liegt von allen anderen Stämmen und Völkern getrennt durch den Kiko an einer Seite und durch den Isisifluß an der anderen Seite und auf der dritten Seite durch große Striche Waldland, das sich in unregelmäßigen Zwischenräumen bis in die große Marsch hineinzieht.

Das eigentliche Kiko erstreckt sich in Gestalt eines unregelmäßigen Dreiecks am Zusammenfluß des Kiko und des Isisiflusses.

Ostwärts am jenseitigen Ufer des Kikoflusses wohnen die ungestümen N'Gombistämme. Westwärts, auf einer weiteren Bank, die der Große Fluß bildet, hausen die Akasavas, und das Kikovolk erfreut sich einer Sicherheit vor plötzlichen Angriffen, die teils seiner geographischen Lage, teils dem unerbittlichen Handeln des Herrn Bezirksamtmanns Sanders zuzuschreiben ist.

Einst rief ein N'Gombikönig seine Vorleute und Häuptlinge zu einem großen Palaver.

»Es scheint mir,« begann er, »daß wir Kinder sind. Wir haben Mißernten gehabt wegen Überschwemmung, und die diebischen Ochoris haben unser Wild in ihr eigenes Land getrieben. Ferner sitzt quer über dem Fluß das Kikovolk, und das hat eben Haferernte gehabt. Wild gibt's auch da in Masse. Sollen wir hier sitzen und hungern, während die Kikoleute vor Futter platzen?«

Eine ganz berechtigte Frage, obwohl die Tatsachen nicht genau angeführt waren. Denn die N'Gombis waren faul und hatten spät gesät. Auch Wild gab es in ihren Wäldern, nur mußte man es aufspüren. Aber das Sprichwort sagt: »Die N'Gombis jagen von ihren Betten aus und forschen nur gekochtem Fleische nach«.

Eines Nachts stahlen sich die N'Gombis heimlich über den Fluß und überfielen die Kikostadt.

Da gab es ein großes Palaver, dem der Häuptling und der Vormann der Kikos beiwohnten.

»Von nun an«, erklärte der N'Gombikönig – Tigilini hieß er –, »seid ihr wie Sklaven meines Volkes. Und wenn ihr fügsam und gut seid und auf den Feldern arbeitet, dann sollt ihr die Hälfte alles dessen haben, was ihr hervorbringt. Denn ich bin ein gerechter Mann und sehr barmherzig. Aber wenn ihr euch widersetzt, dann werde ich mein Mütchen an euch kühlen.«

Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen, nahm er den ersten Unzufriedenen, einen kleinen Häuptling eines Grenzdorfes, und führte sein Programm durch. Dieser Mann hatte den Tribut verweigert. Mit gefesselten Händen wurde er vor den König gebracht, und alle Vorleute waren geladen worden, dem Vorgange beizuwohnen.

Dem Widersetzlichen hatte man die Hände auf den Rücken gebunden und ihm befohlen, niederzuknien. Ein junger Baum wurde herabgebogen und das eine Ende eines Lianenstrickes an seinem Wipfel befestigt, während man das andere Ende des Strickes um den Hals des Unglücklichen legte. Der Baum wurde dann langsam losgelassen, bis der Kopf des Widersetzlichen ganz straff hing.

»Jetzt!« befahl der König, und sofort schlug sein Scharfrichter den Kopf ab, der durch den in die Höhe schnellenden Baum fünfzig Yards fortgeschleudert wurde.

Der Kopf fiel vor die Füße des Herrn Bezirksamtmanns Sanders, der mit fünfundzwanzig Haußas und einem Maschinengewehr gerade von der »Zaire« gelandet war.

Sanders war verdrossen. Er befand sich drei Tage und vier Nächte unterwegs, hatte wenig geschlafen und einen Malariaanfall, der ihn reizbar machte. Er ging ins Dorf und unterbrach eine beredte Ansprache, die der N'Gombidieb über die Pflichten der Unterworfenen vom Stapel zu lassen für angebracht hielt. Der Redner brach mitten in seinem Vortrag ab und verlor das Interesse, damit fortzufahren, als die Menge sich teilte, um Sanders näher herankommen zu lassen.

»Herr,« redete ihn Tigilini, dieser gewandte und schlaue Mann, an, »du bist gerade zur richtigen Zeit gekommen, denn dieses Volk befand sich in offenem Aufstand gegen Deine Lordschaft, und ich habe es unterworfen. Deshalb, o Herr, belohne mich, wie du Bosambo von den Ochoris belohnt hast!«

Sanders gab nur einen kurzen Befehl, und seine Haußas bildeten einen Halbkreis um die Hütte des Königs. Tigilini beobachtete diese Maßnahme mit Besorgnis.

»Wenn ich irgend etwas getan haben sollte, was ich nach der Meinung Eurer Lordschaft lieber nicht hätte tun sollen«, bemerkte er herablassend, »oder genommen haben sollte, was ich nicht hätte nehmen sollen, dann will ich es ungeschehen machen und das Genommene zurückerstatten.«

Sanders, die Hände in die Seite gestemmt, betrachtete ihn gelassen. »Hier liegt ein Rumpf.« Er zeigte auf das blutbefleckt liegengebliebene Etwas auf der Erde. »Und dort am Wege liegt ein Kopf. Füge den Kopf an den Rumpf und gib ihm das Leben wieder!«

»Das kann ich nicht! Ich bin kein Zauberer!« antwortete der König nervös. Sanders sprach zwei Worte auf arabisch, und Tigilini wurde gefesselt. Man führte den König fort, und niemand sah ihn jemals wieder. Und es geht ein Gerücht, daß Tigilini, der König, für ewig an den Hinterfuß M'shimba M'shambas, des grünen Teufels der Akasavas, gekettet wurde.

In Wirklichkeit kam Tigilini dem Verderben nicht näher als bis zum Zuchthaus in Sierra Leone, aber das Gerücht hat seinen Wert als abschreckendes Beispiel für allzu ehrgeizige Häuptlinge.

Sanders überwachte die Räumung Kikos, sah die entmutigten N'Gombis sich in ihr eigenes Land zurückziehen und setzte dort ohne Umstände einen neuen Häuptling ein. Das alltägliche Leben des Kikovolkes nahm wieder denselben angenehmen Verlauf, den es früher gehabt hatte. Die Leute bearbeiteten die Felder, züchteten Ziegen und lagen dem Fischfang ob. In ihrem Hinterland, im Marschwald, sammelten sie Gummi und Kopal, brachten beides mit ihren Kanus zur Flußmündung und verkauften es dort. So wurden sie reich, und sogar die Niedrigeren unter ihnen konnten sich drei Weiber halten.

Sanders war sehr erfahren in der Beurteilung eingeborenen Reichtums. Er wußte, daß Stämme, die viel Vorrat in Mais hatten, gefährlich waren, denn der Besitz dieses Vorrats übte keine dämpfende Wirkung auf den kriegerischen Geist seiner Besitzer aus. Dagegen wußte er, daß Reichtum in Zeug, Messingstangen und Land einen Friedensfaktor darstellte, denn Besitztümer, die nicht aufgegessen werden können, haben stets einen festigenden Einfluß im Gemeinschaftsleben.

Sanders war ein kluger Mann. Er wurde geleitet durch gewisse Grundsätze, hart und schnell zu handeln. Und obschon er wohl wußte, daß Mißerfolg in irgendwelcher Richtung beim Ringen mit einer Situation ihm einen Tadel einbringen würde, sei es, weil er nicht dem Buchstaben des Gesetzes entsprechend gehandelt hatte, sei es, daß er nicht seiner eigenen Meinung gefolgt war, indem er dasselbe unbeugsame Gesetz nicht beachtete, nahm er doch furchtlos jede Verantwortung auf seine eigenen Schultern.

So war es seinem eigenen Urteil überlassen, welche Steuerlast er jedem einzelnen Stamm aufbürdete, und im Interesse seines Gouvernements nahm er ein voll gerütteltes und geschütteltes Maß von dem Reichtum Kikos, indem er seine Steuerforderungen dem Grade des Wohlstandes dieses Stammes anpaßte.

Drei Jahre nach dem unternehmenden Einfall der N'Gombis kam er auf seiner halbjährigen Reise ins Kikoland.

Im Palaverhause der Stadt hörte er die Klagen an, wie es seine Gepflogenheit war.

Er saß von der Tagesdämmerung an bis acht Uhr morgens, und bei der zehnten Beschwerde wandte er sich an den Häuptling der Kikos, der neben ihm saß.

»Häuptling,« begann er mit jener sanften Unschuldsmiene, die Männer, die seine Art kannten, in ihrem Vorhaben wanken machte, »ich bemerke, daß alle Leute immer nur eins vorbringen, daß sie arm seien. Das ist aber nicht wahr.«

»Ich stehe unter deiner Gewalt, Herr«, gab der Häuptling diplomatisch zurück, »ebenso meine Leute, und sie werden natürlich ihre Steuern zahlen, obwohl sie dadurch verhungern.«

Sanders sah die Angelegenheit in einem neuen Lichte.

»Es scheint,« wandte er sich an die Reihen der Leute, die um ihn herum hockten, »daß euere Magen knurren, weil ich die Steuern von euch fordere. Wir wollen ein Palaver darüber halten.«

Er setzte sich wieder, und ein grauhaariger alter Vormann, ein allgemein bekannter Nörgler und Dauerredner, stand auf.

»Herr,« rief er theatralisch, »Gerechtigkeit!«

»Kwai!« rief das Volk im Chorus. Ihr Murren, einstimmig und aus tiefster Brust kommend, ergab einen dumpf rasselnden Laut wie das Rollen einer Trommel.

»Gerechtigkeit!« rief der Vormann. »Denn du, Sandi, bist sehr hart und grausam. Du nimmst und nimmst nur immer und gibst uns nichts, und das Volk schreit auf in seiner Pein.«

Er machte eine Pause, und Sanders nickte.

»Fahre fort!« befahl Sanders.

»Wir liefern dir Mais und Fische und Gummi und Kopal ab,« sagte der Sprecher weiter, »und wenn wir fragen, wohin gehen all diese Güter, dann zeigst du auf deinen Puck-a-Puck (Dampfer) und auf deine Soldaten, und wir sind die Geprellten. Denn dein Puck-a-Puck kommt nur, um unsere Steuern zu holen, und deine Soldaten nur, um sie einzutreiben.«

Von neuem rollte das Beifallsgemurmel.

»Deshalb haben wir unter uns ein Palaver abgehalten und dabei beschlossen: Sanders soll uns die Hälfte der gezahlten Steuern zurückgeben. Diese wollen wir in unseren Kanus nach dem Dorf am Großen Wasser bringen, denn wir sind ehrliche Leute. Und Sanders soll seine Soldaten und seinen Puck-a-Puck für die N'Gombis und für die Isisis und Akasavas halten, denn diese sind aufrührerisches und böses Volk.«

»Kwai!«

Die Bewegung war offenbar volkstümlich, und Sanders lächelte im stillen.

»Was uns aber anbetrifft,« fuhr der Sprecher fort, »sind wir ein friedfertiges Volk und leben in Eintracht mit allen Stämmen, und wenn irgendeiner von uns Tribut verlangt, dann ist es immer besser, wir geben ihn freiwillig, als daß wir diese Steuern bezahlen.«

Sanders hörte schweigend zu, dann wandte er sich an den Häuptling.

»Es soll so sein, wie ihr es wünscht. Ich werde euch die Hälfte der Steuern erlassen. Das Palaver ist aus.«

Er ging in der Nacht an Bord der »Zaire« zurück und lauschte, während er wach lag, den Kastagnetten der tanzenden Weiber. – Die Kikos feierten den Sieg ihrer Diplomatie.

Sanders fuhr am nächsten Tage zu den Isisis; er zweifelte nicht, daß ihm die Nachricht seines Zugeständnisses vorausgeeilt sei. Und so war es auch. Kaum hatte er seinen Platz im Palaverhause zu Lukalili eingenommen, als der Häuptling die Verhandlung eröffnete.

»Sandi, Gebieter,« begann er, »wir sind arme Leute, und unser Volk schreit wegen der Besteuerung laut auf. Nun, Herr, haben wir des langen und breiten über diese Angelegenheit nachgedacht und sind zu folgender allgemeiner Ansicht gekommen: Wenn Eure Lordschaft uns die Hälfte unserer Steuern erlassen wollte, wären wir glücklich. Denn dieser Puck-a-Puck ...«

Sanders winkte ihm, zu schweigen.

»Häuptling und Volk! Ich bin geduldig, denn ich habe euch lieb. Aber sprecht nur noch ein Wort über Steuer und Puck-a-Puck, so werde ich veranlassen, daß an meiner Stelle ein anderer Bezirksamtmann eingesetzt wird, und ihr werdet wünschen, daß ihr niemals geboren wäret.«

Danach hatte Sanders keine Mühe mehr. Er kam zu den Ochoris und fand Bosambo gänzlich von seinem Neugeborenen in Anspruch genommen, aber unternehmungslustig.

»Bosambo,« sagte der Bezirksamtmann, nachdem er das junge Menschenkind vorsichtig in seinen Armen gehalten und sein Geburtstagsgeschenk gemacht hatte, »ich habe dir was zu erzählen.«

Sanders berichtete seine Geschichte, die Bosambo sehr unterhaltsam fand. Als sich Sanders fünf Tage später auf der Rückreise befand, landete Bosambo, der mit zehn ausgesuchten Leuten als Paddler den Strom aufwärts gefegt kam, bei Kikostadt. Er wurde untertänigst bewillkommnet, und des Häuptlings beste Hütte wurde für ihn rein gefegt.

»Herr Bosambo,« sagte der Häuptling nach Beendigung des Mahles, »mein Herz wird verwundet sein, wenn du uns diese Nacht verlassen haben wirst.«

»Ich bin ein gutherziger Mann«, antwortete Bosambo. »Deshalb werde ich diese Nacht noch nicht abreisen, denn der Gedanke an deinen Kummer ließe mich nicht schlafen.«

»Herr,« beeilte sich der Häuptling zu sagen, »Kummer findet an mir keinen Halt. Überdies werde ich sehr fest schlafen, und es wäre geradezu schändlich, wollte ich dich deinem Volke entziehen, das wie hungrige Menschen nach deiner Rückkehr seufzt.«

»Das ist wahr. Dennoch will ich noch eine Nacht hier bleiben, weil mein Herz voll freundlicher Gedanken für dich ist.«

»Falls du heute Nacht gehst, Bosambo,« sagte der Häuptling verlegen, »mache ich dir zwei Ziegen zum Geschenk.«

»Ziegen esse ich nicht,« antwortete Bosambo betonungsvoll, »meine Religion verbietet mir das ...«

»Ich will dir auch Salz geben.«

»Ich bleibe über Nacht«, versetzte Bosambo nachdrücklich. »Morgen werde ich mir die Sache überlegen.«

Am nächsten Morgen ging Bosambo, um ein Bad im Flusse zu nehmen; bei seiner Rückkehr sah er den Häuptling finster vor seiner Hütte hocken.

»Hallo, Cetomati!« begrüßte Bosambo ihn, »ich habe Neuigkeiten für dich, die dein Herz froh machen werden.«

Ein Hoffnungsstrahl leuchtete in den Augen des Häuptlings auf. »Geht mein Bruder so bald?« fragte er anzüglich.

»Häuptling,« gab Bosambo säuerlich zurück, »wenn das gute Nachricht für dich bedeutet, dann gehe ich. Und wehe dir und deinem Stamme, denn ich bin stolz, und meine Leute sind es auch. Aber ebenso sind sie berüchtigt wegen ihrer Rachsucht.«

Der Kikohäuptling stand erregt auf. »Herr,« sagte er demütig, »meine Rede war sinnlos, denn siehe, vergangene Nacht habe ich in Trauer darüber zugebracht, daß ich dich verlieren soll. Und nun erzähle mir deine guten Nachrichten, damit ich mich mit dir freuen kann!«

Aber Bosambo zürnte fürchterlich, und es dauerte einige Zeit, ehe er beschwichtigt war.

»Das sind meine Neuigkeiten, Häuptling. Während ich badete, sah ich in der Ferne einige Ochorikanus. Und ich denke, sie bringen meine Ratgeber. Wenn das so sein sollte, dann bleibe ich vielleicht noch lange bei dir. Freue dich!«

Der Kikohäuptling stöhnte.

Er stöhnte noch mehr, als die Kanus ankamen, denn sie brachten Bosambo Verstärkung – zehn muntere Krieger, ungewöhnlich groß und muskulös.

Er stöhnte unverhohlen, als der nächste Morgen zehn weitere Krieger brachte und der Abend darauf weitere zwanzig.

Es sind Gerüchte am Fluß im Umlauf, die wenig schmeichelhaft für die Eßlust der Ochoris sind. Zum Beispiel: »Die Menschen essen, um fett zu werden, aber die Ochoris leben, um zu essen«. Und: »Ein Maisfeld ernährt ein Dorf für ein Jahr, zehn Ziegen für einen Monat und einen Ochori für einen Tag«.

Sicher waren Bosambos Leute ausgezeichnete Fresser. Sie aßen und aßen und aßen; von Sonnenaufgang bis zum Erscheinen der Sterne wechselten sie zwischen der Bereitung ihrer Mahlzeiten und deren Unterbringung.

Das naive Kikovolk umstand sie und beobachtete mit Erstaunen, wie ihre schönen Nahrungsmittel verschwanden.

»Ich merke schon, wir werden an Hunger sterben, wenn die Regenzeit kommt«, klagte ihr Häuptling in Verzweiflung. Er sandte ein Eilkanu zu Sanders, aber der hatte kein Mitleid.

»Geh zu deinem Herrn!« befahl er dem Boten, »und sage ihm, alles das sei sein Palaver! Wenn er diese Gäste nicht wünscht, soll er sie rauswerfen, denn das Land gehört ja ihm, und er ist der Häuptling.«

Das war ein schlechter Trost für Cetomati, denn die Ochoris saßen in seinen besten Hütten, aßen seine besten Nahrungsmittel auf und fanden die besten Plätze an den Tanzfeuern.

Der Häuptling rief seine Vormänner zu geheimem Palaver zusammen.

»Diese elenden Ochoris ruinieren uns noch!« begann er. »Sind wir denn Männer oder Hunde? Nun sage ich euch, Ratgeber und Volk, morgen sende ich Bosambo und seine Strauchgesellen heim, und wenn ich dabei zugrunde gehe.«

»Kwai!« riefen seine Räte einstimmig.

»Herr,« entgegnete einer, »in alten Zeiten war das Kikovolk sehr wild und blutdürstig; vielleicht, wenn es unserer Beredsamkeit gelingt, es aufzurütteln, wird es noch einmal wild und blutdürstig.«

Der Häuptling sah ungläubig drein. »Ich glaube nicht, daß das Kikovolk noch so wild und blutdürstig ist wie in vergangenen Zeiten, denn wir haben inzwischen viele fette Jahre gehabt. Was ich weiß, o Freund, ist, daß die Ochoris in der Tat sehr wild sind, und daß Bosambo schon viele erschlagen hat.«

Während der Nacht peitschte er seinen Mut hoch, und am Morgen unterwarf er diesen Mut einer Probe.

Bosambo hatte in der Weise, wie es ihm als Herrscher und Gebieter zukam, ein großes Jagdfest angesetzt, und er und seine Mannen versammelten sich gerade dazu in der Dorfstraße, als der Häuptling mit seinen Ratgebern herankam.

»Herr,« redete der Häuptling Bosambo im sanftesten Tone an, »ich muß dir etwas offenbaren.«

»Schieß los!« befahl Bosambo.

»Du weißt, daß ich dich gern habe, Bosambo, und der Gedanke, daß ich dich zur Heimkehr drängen muß – mit Geschenken – ist sehr traurig für mich.«

»Noch trauriger für mich«, entgegnete Bosambo in Unheil kündendem Tone.

»Dennoch muß ich's, Herr,« antwortete der verzweifelte Häuptling, »denn mein Volk ist wütend auf mich, weil ich euch so lange in unsern Grenzen dulde. Ferner herrscht jetzt viel Krankheit hier, und ich muß fürchten, daß du und deine prächtigen Leute ebenfalls krank werden und sterben.«

»Nur ein Mann in der ganzen Welt, Häuptling,« sagte Bosambo mit Überlegung, »hat jemals solche Demütigung über mich gebracht, und, Häuptling, dieser Mann – wo ist er jetzt?«

Der Kikohäuptling antwortete nicht, weil er nicht wußte, was er antworten sollte. Er konnte es ahnen, oh, sehr wohl konnte er es ahnen, und Bosambos folgende Worte bestätigten ihm diese Ahnung.

»Er ist tot«, sagte Bosambo feierlich. »Ich will dir nicht erzählen, wie er starb, damit du nicht denken sollst, ich sei ein Prahler, noch will ich dir sagen, wer ihn erschlug, noch dir seine Todesart beschreiben, denn das würde dir Kummer bereiten.«

»Bosambo,« erwiderte der Häuptling aufgeregt, »das sind böse Worte.«

»Ich sage keine bösen Worte, denn ich bin, wie du weißt, Sandis Schwager, und das würde ihm großen Kummer bereiten. Ich sage nichts, du kleiner, kleiner Häuptling.«

Mit einer herablassenden Handbewegung schritt Bosambo von dannen, sammelte seine Leute und zog mit ihnen dem Flußufer zu.

Es war umsonst, daß der Kikohäuptling ungeheuere Mengen Nahrungsmittel und Geschenke in jedem Kanu Bosambos aufgehäuft hatte, und das Salz säckeweise sogar unter die Paddler verteilt worden war.

Es ist richtig, daß Bosambo alles dies nicht wieder auslud, aber offensichtlich verachtete er alles. Der Kikohäuptling stand in seiner Angst und Verlegenheit erst auf einem Beine, dann auf dem anderen und war bestrebt, dem Abschied ein heiteres Aussehen zu geben, aber Bosambo blieb schweigsam, abweisend und schaute unsagbar düster drein.

»Herr,« wandte sich der Kikohäuptling an ihn, »wann soll sich mein Herz wieder über den Anblick deines schönen Gesichtes freuen?«

»Wer weiß?« gab Bosambo geheimnisvoll zurück. »Wer kann sagen, wann ich oder meine Freunde zurückkommen? Denn viele Menschen lieben mich – Isisis, N'Gombis, Akasavas, Bongindis und die Urwaldpygmäen.«

Er trat vorsichtig in sein Kanu.

»Ich sage euch,« er erhob feierlich seinen Zeigefinger, »daß das, was immer auch über euch kommen mag, nicht mein Palaver ist. Wer auch immer euch heimlich in der Nacht beschleichen mag, Bosambo wird es nicht sein. Ich rufe alle Menschen hierfür zu Zeugen an.«

Und damit fuhr er ab.

In dieser Nacht gab es ein Palaver, in dem alle Männer zugleich sprachen und der Häuptling nervös an seinen Fingernägeln kaute. Man erwartete bestimmt einen Angriff.

»Laßt uns ihnen kühn Widerstand leisten!« sagte der eine, der schon früher diesen Rat gegeben hatte, »denn Cala-cala – in längst vergangenen Zeiten – war das Kikovolk ein wilder und blutdürstiger Stamm.«

Was immer die Kikos gewesen sein mochten, jedenfalls herrschte kein Abenteurergeist mehr unter ihnen, und viele Stimmen vereinigten sich, um den Geist, der Widerstand empfohlen hatte, einen Narren und Schlimmeres zu nennen.

Während der ganzen Nacht befanden sich die Leute unter Waffen. Einmal ließ sie der Ruf eines Vogels mit Angstgeschrei nach ihren Hütten flüchten; ein anderes Mal stieß ein umherirrender Büffel auf prahlerische Vorposten und jagte sie auseinander. Nacht für Nacht hielten die verängstigten Kikoleute Wache und schliefen des Tages, so gut sie konnten.

Man bekam keinen Feind zu Gesicht. Die Spannung, in der sie gehalten wurden, war schlimmer als das Auftauchen bewaffneter Krieger. Ein Bote ging ab, um Sanders von der Angst und den Befürchtungen der Leute zu benachrichtigen, aber Sanders war dickfellig.

»Wenn euch irgend jemand angreifen sollte, werde ich mit meinen Soldaten kommen. Und für jeden von euch, der getötet wird, werde ich wieder einen euerer Feinde töten.«

»Herr,« antwortete der Bote, des Häuptlings Sohn, »wenn wir erst tot sind, soll es uns wenig kümmern, wer lebt oder stirbt. Ich bitte dich daher, Herr, schicke deine Soldaten mit mir, denn unser Volk ist müde und furchtsam.«

»Begnügt euch damit, daß ich euch die Steuern erlassen habe! Das Palaver aus«, sagte Sanders.

Der Bote kehrte zu seinem niedergeschlagenen Stamme zurück. Sanders befand sich zurzeit nicht weiter als eine Tagesreise entfernt von den Kikoleuten – und ein furchtkrankes, müdes Volk wartete in Verzweiflung auf die Verwirklichung seiner Ängste.

Sie hätten in alle Ewigkeit warten können, denn Bosambo war längst in seine Heimat zurückgekehrt und hatte sie beinahe vergessen, und Isisis und Akasavas, die die Kikoleute aus irgendeinem Grunde als die besonderen Schützlinge Sanders' ansahen, dachten nicht mehr daran, sie anzugreifen, als sie an die Möglichkeit dachten, Sanders selbst anzugreifen, und die N'Gombis hatten ihre Lektion weg.

So standen die Dinge, als das Lulunguvolk, das drei Tagereisen hinter den Akasavas hauste, den Fluß herunterkam, um nach Kampf und Beute zu spähen. Die Lulungus waren eine unliebenswürdige Rasse. »Ein bissiges, rohes und viehisches Volk« nannte sie Sanders einmal in seinem Unmut.

Zwei Jahre lang waren sie ruhig gewesen, dann machten sie sich wie hungrige, wildernde Hunde auf den Flußweg – in sechs mit Schlamm und Binsen besudelten Kriegskanus.

Sie fanden eine Art Unterkommen in den Fischerdörfern, denn deren Bewohner, friedliebende Seelen, flohen bei der ersten Kunde ihrer Annäherung. Sie kamen an den Ochoris vorüber, indem sie sich vorsichtig in der Mitte des Stromes hielten. Es gab eine Zeit, zu der die Ochoris sie mit allem nötigen versehen hätten, aber jetzt schnappten Bosambos Leute bissig um sich.

»Trotzdem«, meinte Gomora, der stellvertretende Häuptling der Lulungus zu seinen Vormännern, »laßt zwei Kanus an Land paddeln, denn da wir so stark sind, werden sich uns die Ochoris nicht widersetzen.«

Zwei Kanus lösten sich aus der Flottille los und steuerten landwärts. Ein Hagel von Pfeilen fiel in ihrer Nähe nieder; da zogen sie sich zurück.

Das Isisiland ließen sie unbehelligt liegen, den Akasavas gingen sie aus dem Wege, soweit sie nur konnten, denn die Lulungus sind grausamer als tapfer, bessere Meuchelmörder als Krieger, und geneigter zu kalter Metzelei als zu heißem Kampfe.

So schwankten sie mit ihren Kanus stromabwärts und machten solche Beute, wie sie ihnen die unbeschützten Dörfer boten.

Es war ein recht unerträgliches Unternehmen.

»Nun wollen wir zu den Kikos gehen,« sagte Gomora, »denn dieses Volk ist sehr reich und außerdem sehr furchtsam. Wir wollen sie aber nicht töten, denn dieser Teufel, Sandi, haßt uns, und er wird die Stämme gegen uns aufstacheln, wie er das zu den Zeiten unserer Väter getan hat.«

Sie warteten, bis die Nacht hereingebrochen war, und dann stürzten sie sich unter dem Schatten des Flußufers schweigend auf ihre Beute.

»Wir wollen sie erschrecken,« sagte Gomora vertraulich, »dann werden sie uns geben, was wir fordern. Und dann werden wir sie zwingen, bei Iwa zu schwören, daß sie Sanders nichts davon verraten – es wird sehr einfach sein.«

Die Lulungus kannten das Kikovolk zu gut. Sie landeten an einem geeigneten Platz und verfolgten ihren Weg durch einen Waldstreifen, ohne jene Vorsicht zu beobachten, die für ihr Vorgehen nötig gewesen wäre, wenn es sich gegen einen kriegerischen Stamm gerichtet hätte.

* * *

Als Sanders in fliegender Fahrt stromabwärts fuhr, die Geschütze ausgeschwungen und klar zum Gefecht, seine bewaffneten Haußas am Bug des Dampfers, stieß er auf zwei Kanus, die unzweifelhaft mit Lulungus bemannt waren.

Er umkreiste sie und nahm sie gefangen. In einem dieser Kanus befand sich Gomora, etwas geschwächt vom Blutverlust, aber noch mehr vor den Kopf geschlagen.

»Herr,« klagte er bitter, »seit du gekommen bist, hat sich die ganze Welt verändert. Einst waren die Ochoris ein gefundenes Fressen für mich und mein Volk, denn sie waren sehr furchtsam. Dann auf einmal wurden sie durch einen gewissen Zauber wilde Krieger. Und nun, Herr, sind auch die Kikoleute, die doch stromauf und -abwärts als sanfte Heinriche bekannt sind, zu richtigen Satanen geworden.«

Sanders wartete, und der Häuptling fuhr fort. »Vergangene Nacht kamen wir zu den Kikos, um dort zu übernachten, und in der Dunkelheit des Waldes überfielen sie uns mit großem Geschrei. Und siehe, Herr, von zehn Kanus sind diese Leute alles, was übrig geblieben ist, denn die Kikoleute warteten auf unser Kommen.«

Er sah Sanders ernst an.

»Sage mir nur, Herr, welchen Zauber gebrauchen die Weißen, um aus Feiglingen Männer zu machen?«

»Das brauchst du nicht zu wissen,« antwortete Sanders diplomatisch, »aber du kannst das getrost zu einem Sprichwort deines Volkes machen: ›Jede Ratte kämpft in ihrem eigenen Loch, und Furcht kämpft grimmiger als Haß‹.«

Sanders fuhr nach Kikostadt; er kam gerade rechtzeitig, um einen Kriegszug zu verhindern, denn die Kikoleute, ganz erfüllt von der Anmaßung über ihr eigenes Können, sammelten einen Heerhaufen, um die Ochoris anzugreifen.

»Ich habe dir oft gesagt,« prahlte der Häuptling voll Stolz, »daß die Kikoleute fürchterlich und blutdürstig seien, und nun, sieh her, Herr! In der Nacht haben wir unsere Unterdrücker erschlagen, denn der Geist unserer Väter kam über uns, und unsere Feinde konnten uns nicht widerstehen.«

»Ausgezeichnet!« antwortete Sanders in der Landessprache. »Nun sehe ich ein Ende aller Steuerpalaver, denn in der Tat, meine Soldaten und der Puck-a-Puck werden nicht mehr von euch gewünscht. Dennoch, für den Fall, daß die Lulunguleute zurückkehren sollten – denn ihrer sind so viele wie Sandkörner im Fluß –, werde ich euch Krieger zu Hilfe senden.«

»Herr, du bist wie unser Vater und unsere Mutter«, sagte angenehm berührt der Häuptling.

»Darum will ich Bosambo bestimmen, dessen Herz mit euch fühlt, daß er mit seinen Kriegern hierher kommt, um eine Zeitlang in eurer Stadt zu bleiben.«

In des Häuptlings Gesicht arbeitete es krampfhaft. Er sah aus, als ob er eine bittere Medizin verschlucke.

»Herr,« bat er bewegt, »wir sind ein armes Volk. Dennoch wollen wir dir unsere vollen Steuern bezahlen, denn am Ende dürfte uns das billiger kommen als Bosambo und seine verfressenen Teufel.«

»Das glaube ich auch«, sagte Sanders.

* * *


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