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X.
Das Opferkind.

Mitten aus der Einöde kam ein langer, sanfter, klagender Laut von unendlicher Müdigkeit. Es klang wie der Schmerzensschrei eines Kindes.

Der Gouvernementsdampfer trieb in diesem Augenblicke. Seine Maschine war auf Halt gestellt, während der Heizer ein Floß ausbesserte, das durch einen Zusammenstoß mit einem treibenden Baumstamm auseinandergerissen war.

Bezirksamtmanns-Assistent Sanders – damals ein junger Mann – neigte horchend seinen Kopf. Wieder ließ sich der klagende Ruf hören; diesmal schloß er mit einem Seufzer. Er kam von einer Stelle nahe dem Ufer, die mit hohem, groben Elefantengras bestanden war.

Sanders wandte sich an seine Ordonnanz. »Nimm ein Kanu, o Mann,« sagte er auf arabisch, »und nimm dein Gewehr mit!« Er deutete in der Richtung, woher das Klagen kam. »Dort wirst du einen verwundeten Affen finden. Erschieße ihn, damit er sich nicht länger zu quälen braucht, denn es steht geschrieben: ›Gesegnet ist der, der Schlaf gibt anstatt Schmerzen!‹«

Gehorsam dem Befehl seines Herrn sprang Abiboo in ein kleines Kanu, das längsseit der »Zaire« lag und paddelte zum Grase hin.

Er verschwand, und sie vernahmen das Rascheln des Elefantengrases, aber kein Schuß ließ sich hören.

Sie warteten, bis das Gras von neuem raschelte, und sahen, wie Abiboo mit einem nackten, tränenüberströmten kleinen Kinde männlichen Geschlechts im Arm wiedererschien.

Dieses Kind war ein Erstgeborener und auf der sandigen Landzunge ausgesetzt worden, damit ein Krokodil kommen und das Opfer vervollständigen sollte.

Das geschah vor fast zwanzig Jahren, und die Erinnerung an die harte Strafe, die dem Vater dieses Erstgeborenen zugemessen wurde, ist kaum noch wach.

»Wir wollen dieses Kind ›N'mika‹ nennen«, hatte Sanders damals gesagt.

N'mika wurde in der Hütte eines guten Mannes aufgezogen und erreichte seine Mannbarkeit.

* * *

Als die Affen plötzlich ihre Wohnplätze von dem kleinen Gehölz in der Nähe Bongangas am Isisi nach dem Walde hinter Akasava verlegten, sagten alle weisen Männer einstimmig, daß Unglück über die Isisis kommen würde.

N'mika lachte über diese Warnung, denn er war der Diener Sandis und wußte alles, was sich in seinem Bezirk ereignete.

Er diente dem Gouvernement treu von Jugend auf. Treue war sein höchster Fetisch, und Sanders wußte das.

Der Bezirksamtmann hätte diesen Mann zu einem mächtigen Häuptling machen können; und hätte N'mika nur den kleinen Finger gerührt, würde Sanders ihn über alle anderen seines Volkes gesetzt haben; aber der Mann wußte, wo er Sanders am besten dienen könne, und mit neunzehn Jahren hatte er drei Kriege hinter sich, hatte zweimal Sanders das Leben gerettet und drei unternehmende Unterhäuptlinge an den Galgen gebracht.

Dann kam die Liebe über N'mika.

Er liebte ein Weib vom Stamme der Kleineren Isisis – ein hübsches, gerade gewachsenes Mädel und, von gewissen Gesichtspunkten aus gesehen, sehr schön. Er heiratete sie, nahm sie in seine Hütte, machte sie zu seinem Lieblingsweibe und umgab sie mit allen Vorrechten und Würden dieses Standes.

Kira, wie sie genannt wurde, war in vielen Beziehungen ein begehrenswertes Weib, und N'mika liebte sie, wie nur ein Mann von Verstand ein Weib lieben kann. Sie hatte Schmuck aus Messing und Glasperlen, die an Pracht den Besitz jedes anderen Weibes im Dorf übertrafen.

Nun unterscheiden sich die Wege, das Weib zu behandeln, auf der ganzen Welt nur sehr wenig voneinander, gleichgültig, ob es sich um ein weißes oder schwarzes, ein reiches oder armes Weib, um eine Kannibalin oder eine Vegatarierin handelt.

N'mika behandelte sein Weib zu gut. Er spähte in den Wald ihrer Wünsche, wie das Sprichwort sagt, und so eifrig bestrebt war dieser gute Gatte, seinem Weibe zu dienen, daß es eine harte Aufgabe für sie war, Bedürfnisse zu erfinden.

»Heller Stern im Teich der Erde,« sprach er eines Morgens zu ihr, »was wünschest du dir heute? Sage es mir, damit ich für dessen Erfüllung sorge!«

Sie lächelte. »Herr!« sagte sie, »ich wünsche mir den Schwanz einer weißen Antilope.«

»Ich werde diesen Schweif finden«, sagte er selbstsicher und ging auf die Jagd danach, etwas entmutigt, weil er wußte, daß die weiße Antilope nur einmal des Jahres sichtbar wird, und dann nur durch einen Glücksumstand.

Nun hatte Kira, obwohl sie von vielen ihrer früheren Werber für ein kaltes Weib gehalten und zweifellos von ihrem Ehemann als solches erkannt wurde, einen Liebhaber aus ihrem eigenen Stamme. Und als der Sucher des weißen Antilopenschweifs gegangen war, sandte sie eine Botschaft an ihren Liebhaber.

An diesem Abend lag Sanders »vertäut« fünf Meilen vom Dorf entfernt. Er beobachtete, wie die Sonne in einem Sumpfe sank, der südwestlich von seinem Ankerplatz lag. Da kam N'mika in seinem Kanu den Fluß herunter, die Gedanken auf sein Ziel gerichtet, aber doch nicht so ausschließlich, daß er an seinem Herrn vorbeigefahren wäre, ohne ihm die gebührende Huldigung zu zollen.

»He, N'mika!« rief Sanders, indem er sich über die Reling lehnte und freundlich auf den ernsten Mann im Kanu herunterblickte, »die Leute den Fluß auf- und abwärts reden von dir als von dem wunderbaren Liebhaber.«

»Das stimmt, Herr,« sagte N'mika einfach, »denn, obwohl ich zweitausend Messingstangen für dieses Weib gegeben habe, denke ich, daß es mehr Messingstangen wert ist, als jemals gezählt wurden.«

Sanders nickte, indem er ihn nachdenklich betrachtete, denn wenn ein Weib in das Geschick eines Mannes eingriff, erwartete er das Ungewöhnliche und neigte zu der Überzeugung, daß der davon betroffene Mann dann immer verrückt sei.

»Ich gehe nun, Herr, um ihr den Willen zu tun« – er spielte in einiger Verlegenheit mit einer seiner Paddeln – »denn mein Weib wünscht sich den Schweif einer weißen Antilope – und keine Antilope ist näher als das N'Gombiland – und überdies, weiße Antilopen lassen sich sehr selten sehen.«

Sanders zog die Augenbrauen hoch.

»Ich muß also viele Monate lang nach diesem schönen weißen Ding suchen; aber das gefällt mir, denn ich finde mein Glück in der Schwierigkeit dieser Ausgabe, da ich damit meinem Weib diene.«

Sanders gab ihm einen Wink, und der Mann kletterte an Deck.

»Du hast einen mächtigen Zauber,« sagte Sanders, als N'mika vor ihm stand, »denn ich will dir alle Mühsal und Entbehrung ersparen. Vor drei Tagen schoß ich eine weiße Antilope am Rande der Trauerteiche, und du sollst den Schweif haben.«

Damit legte er die kostbare Jagdbeute in die Hand des Mannes, und N'mika seufzte beglückt auf.

»Herr,« sagte er dankbar, »du bist wie ein Gott zu mir – und warst es immer; denn du hast mich aufgefunden und hast mich das ›Opferkind‹ genannt, und ich hoffe, mein gütiger Herr, ich werde mein Leben in deinem Dienste dahingeben. Das wäre ein passendes Ende für mich.«

»Was ich dir gab, ist wenig, N'mika,« antwortete Sanders leise, »aber, was ich dir jetzt gebe, ist etwas viel Größeres, denn es ist Weisheit. Verschenke nicht dein ganzes Herz an ein Weib, denn das drückt es, bis das Leben daraus entweicht.«

»Auch das wäre ein passendes Ende«, antwortete N'mika und ging seines Weges.

Es war ein trauriger Weg, denn er führte zur Erkenntnis.

Sanders fuhr langsam den Fluß hinauf. Zwei Tage vorher hatte er ein schnelles Kanu gesandt, um alle Häuptlinge seines Bezirks zu einem Palaver am Schlangenplatz, nahe dem Elefantengrunde, am Zusammenfluß dreier kleiner Flüsse, zu laden. (Es war notwendig, sehr deutlich bei Bestimmung des Rendezvousplatzes in einem Lande zu verfahren, wo Treffpunkte von Elefanten und Lieblingsplätze von Schlangen sehr häufig waren, und wo es unzählige Flüsse gab.)

Zu diesem Palaver am Schlangenplatz kamen die Häuptlinge, hohe und mächtige sowohl wie alle die Unterhäuptlinge, groß und klein, in buntem Gepränge. Einige kamen in ihren Kriegskanus an, unter dem Gedröhne der Lokolis, der Sprechtrommeln, die den Rang und die Würde der Gestalt ankündigten, die träge im Heck des Kanus lehnte. Andere erschienen in geflickten Kanus, die dauernd leckten. Andere wieder hatten lange Wanderungen durch den Urwald hinter sich. So die Isisis, Ochoris, Akasavas, die Klein-N'Gombileute und die Groß-Isisileute. Sogar das scheue Zwergvolk kam den Fluß heruntergeschlichen, machte einen weiten Bogen um die anderen Stämme, in den kleinen Händen Speere und Bogen, die vorsichtigerweise mit Tetanusgift versehen waren.

Egili von den Akasavas, Tombolo von den Isisis, N'Rambara von den N'Gombis und zuletzt, aber nicht der geringste, Bosambo von den Ochoris, kamen. Dieser sah prächtig aus in seinem Gewande aus grünem Sammet, das ihm von der Küste gesandt worden war. Und von seinem Halse hing an einer Kette, die mit unechten Pariser Diamanten besetzt war, eine große vergoldete Uhr mit blauem Emaillezifferblatt, die Bosambo von Zeit zu Zeit mit sichtlicher Aufgeblasenheit zu Rate zog.

Sie saßen auf ihren geschnitzten Stühlen um den Bezirksamtmann herum, und er sagte ihnen viele Dinge, die sie bereits wußten, und andere Dinge, von denen sie gehofft hatten, er wüßte sie nicht.

»Und nun sage ich euch,« sprach Sanders, »ich rief euch zusammen, weil Friede im Lande herrscht und keines Menschen Hand gegen die seines Bruders erhoben worden ist. Das hat nun fast zwölf Monate gedauert, und, seht die Folgen! Ihr alle werdet reich und fett.«

»Kwai!« murmelten die Häuptlinge beifällig.

»Darum«, fuhr Sanders fort, »habe ich ein gutes Wort beim Gouvernement für euch eingelegt, und das Gouvernement ist sehr erfreut. Auch mein und euer König hat euch ein Zeichen seiner Geneigtheit gesandt, das er auf eine sehr geheimnisvolle und sehr kluge Weise angefertigt hat, damit ihr ihn immer bei euch sehen könnt, wie er euch beobachtet.«

Sanders hatte ein halbes Hundert Öldruckbilder Seiner Majestät vom Gouvernement mitgebracht und diese feierlichst verteilt. Es war ein Kabinettbild des britischen Königs, wie dieser sich eine Zigarette anzündet, und war eine Gratisbeilage der Weihnachtsnummer eines englischen illustrierten Blattes.

»Nun seht ihr, Leute! Frieden ist etwas Wundervolles. Man kann in seiner Hütte liegen und braucht sich nicht zu fürchten, daß man sie bewohnt. Oder, man kann auf die Jagd gehen und braucht keine Angst zu haben, daß man nicht zurückkehrt, denn die Weiber warten schon mit dem fertigen Essen.«

»Herr,« sagte ein kleiner N'Gombihäuptling, »sogar ich, ein blinder und unwissender Mann, sehe das ein. Nun schwöre ich beim Tode, daß ich des Königs Frieden mit meinen beiden Händen halten will. Ich werde niemand beleidigen; denn obwohl mein Dorf klein ist, habe ich doch Einfluß, den ich meines Weibes leiblichem Bruder – Bruder von demselben Vater und derselben Mutter – verdanke, denn er ist der Oberhäuptling der Fluß-N'Gombis.«

»Lord Sandi«, begann Bosambo, und aller Augen waren auf den so tapferen und prächtig gekleideten Häuptling gerichtet, der überdies, nach der Meinung aller, zu nahe mit dem Bezirksamtmann verwandt war, um diesem bequem zu sein. »Lord Sandi,« sagte Bosambo, »daß ich dein getreuer Sklave bin, das, Herr, wissen alle. Einige haben Übles von mir gesprochen, aber, siehe, wo sind sie? In der Hölle sind sie, wie Deine Herrlichkeit weiß, denn du und ich, wir waren ja beide Christen, ehe ich den wahren Pfad fand und Gott und den Propheten anbetete. Nichtsdestoweniger, Herr, Muselmann und Christ sind gleich in dem einen, daß sie eine sehr schreckliche Hölle haben, in die ihre Feinde kommen ...«

»Bosambo,« unterbrach Sanders, »du hast eine sehr angenehme Stimme; sie wirkt wie Regen nach langer Dürre, aber ich bin ein viel beschäftigter Mann, und noch viele wollen reden.«

Bosambo neigte sein Haupt in tiefem Ernst. Die Versammlung sah ihn jetzt mit ehrfürchtiger Scheu an, denn er hatte eine Ermahnung von Sandi erhalten und lebte noch, ja, mehr, er behielt noch seine Würde.

»Lord,« sagte Bosambo, »ich sage jetzt nichts mehr, denn, wie du bemerktest, haben wir beide viel Privatpalaver, wo manches gesagt wird, was kein Mensch weiß. Darum ist es unziemlich, zwischen Deiner Ehren und anderen großen Rednern zu stehen.« Er setzte sich.

»Du sprichst wahr, Bosambo«, erwiderte Sanders ruhig. »Oft sprechen wir, du und ich, in geheimer Unterredung, denn, wenn ich rauh zu den Häuptlingen rede, dann geschieht es stets im Schutze ihrer Hütten, damit ich sie in den Augen ihres Volkes nicht herabsetze.«

»O, Ko!« sagte der bestürzte Bosambo halblaut, denn er sah den guten Eindruck seiner dunklen Äußerung schnell verschwinden.

Nachdem sich die Versammlung zerstreut hatte, verfügte sich Sanders müde an Bord der »Zaire«. Ein Bad erfrischte ihn, und er begab sich mit Appetit zu einem durch ein Moskitonetz geschützten Platz an Oberdeck und zu seinem Essen. Ein Hühnchen von zwergenhaften Größenverhältnissen war monatelang jede Nacht seine Hauptmahlzeit gewesen.

Er aß sein Mahl allein; ein Buch, an eine Flasche vor sich gelehnt, eine dampfende Tasse Tee an einer Seite und eine kleine elektrische Taschenlampe an der anderen Seite.

Er hatte Sorge. Neun Monate lang hatte er eine Abteilung Ochoris an der Isisigrenze für alle Zwischenfälle bereit gehalten. Diese Truppe hatte er zurückgezogen. Sanders hatte die ungemütliche Empfindung, damit einen Fehler begangen zu haben. Und es würde drei Wochen beanspruchen, die Grenze wieder zu besetzen.

Lange, nachdem das Mahl vorüber war, saß er noch und grübelte. Eine bekannte Stimme, die mit Abiboo am Großdeck sprach, riß ihn aus seinem Nachdenken.

Er wandte sich an die Haußaordonnanz, die unbeweglich außerhalb des Moskitonetzes hockte.

»Wenn das die Stimme des Häuptlings Bosambo ist, soll er kommen.«

Eine Minute später erschien Bosambo und stand vor der aus Maschen gewebten Tür des mit dem Moskitonetz eingefriedigten Raumes.

»Tritt ein, Bosambo!« befahl Sanders, und als dieser das getan hatte, sagte er: »Bosambo, du bist ein kluger Mann, obwohl etwas prahlerisch. Dennoch habe ich Vertrauen in dein gesundes Urteil. Nun hast du ja alle möglichen Leute vor mir sprechen gehört, und du weißt auch, daß Friede im Lande ist. Nun sage mir, bei deinem Kopfe und bei deiner Liebe, was für Dinge könnten die Freundschaft zwischen Mann und Mann zerstören?«

»Herr,« antwortete Bosambo, bereit eine längere Rede zu halten, »ich kenne zwei Ursachen, die Krieg bringen können. Die eine ist die Gier nach Land und nach wichtigen Dingen wie Fischereirecht und Jagdgründen, und die andere bilden die Weiber. Und, Herr, solange Weiber leben und jede Stunde des Tages in dieser Welt geboren werden, schneller – wie es mich dünkt –, als sie sterben, wird es immer Stimmen geben, die nach den Speeren unter dem Dach schreien werden.«

Sanders nickte. »Und nun ...?«

Bosambo warf ihm einen hastigen Blick zu. »Herr,« sagte er sanft, »alle Leute leben heute in Frieden, wie Deine Lordschaft sagte, und wir lieben einander zu sehr, um des Königs Frieden zu brechen. Dennoch steht eine Abteilung Ochoris an der Akasavagrenze, um den Frieden aufrecht zu erhalten.«

»Na, und weiter?« antwortete Sanders noch leiser.

Bosambo bewegte sich unruhig. »Ich bin dein Mann«, antwortete er. »Ich habe dein Salz gegessen und dir durch manche heldenhafte Tat und in schrecklichen Kämpfen gezeigt, wie sehr ich dich liebe, Lord Sandi.«

»Dennoch,« Sanders sprach mehr zu der schwankenden elektrischen Birne, die vom Sonnensegel niederhing, »dennoch habe ich den Häuptling von Klein-Isisi nicht bei meinem Palaver gesehen.«

Bosambo schwieg einen Augenblick. Dann holte er tief Atem.

»Herr,« sagte er zögernd voll Bewunderung, »du hast Augen am ganzen Körper. Du kannst die Worte sehen, ehe sie gesprochen werden, und bist sehr schnell im Gedankenlesen. Du bist ganz Auge!«, fuhr er mit Übertreibung fort, »du hast Augen auf deinem Kopf und hinter deinen Ohren. Du hast Augen ...«

»Genug!« unterbrach Sanders ruhig. »Genug, Bosambo!«

Eine lange Pause entstand.

»Und ich sage dir das, weil es zwischen dir und mir keine Geheimnisse gibt. Ich überredete den kleinen Häuptling, nicht zu kommen.«

»Ich weiß das«, nickte Sanders.

»Denn, Herr, ich wünschte, daß das ein Tag voll ungetrübter Freude für Deine Lordschaft sein sollte, und daß du uns mit einem Herzen, erfüllt von Befriedigung, verlassen solltest, und unter dem Gesang trefflicher Lieder. Wie auch Deine Lordschaft weiß, hat die Ochoriwache die Akasavagrenze verlassen.«

Der Wink konnte nicht mißverstanden werden.

»Warum hätte Bimebibi meine Stimmung ändern können?« fragte Sanders, indem er den letzten Zusatz Bosambos überging.

»Herr,« erklärte Bosambo hochmütig, »ich bin, wie du weißt, ein Anhänger des wahren Glaubens und glaube weder an Dämonen noch an Zaubereien, außer an jene, die vom heiligen Propheten vorgeschrieben sind. Es ist wohlbekannt, daß Bimebibi ein Freund der Geister ist, daß er den bösen Blick hat, der verdorren und sterben macht. Darum, Herr, ist er ein Bösewicht, und alle Häuptlinge und Stämme deines Landes sind dafür, ihn aus der Welt zu schaffen – alle, mit Ausnahme der Klein-Isisileute, die ihn sehr lieb haben.«

Wieder nickte Sanders.

Die Klein-Isisileute waren die kriegerischen Isisis; sie bewohnten das Land zwischen den Ochoris und den Akasavas; sie waren zuzeiten sehr kriegerisch, zu anderen ziemlich friedlich. Trotzdem – er hatte keine Nachricht von N'mika, daß sich da was zusammenbraute. Das war sonderbar. Sanders schwieg fast zehn Minuten nachdenklich. Dann hob er an.

»Krieg ist sehr schrecklich,« sagte er, »denn, wenn ein Wahnsinniger auf fünf Leute stößt, die nicht wahnsinnig sind, dann werden es die anderen auch. Ich sage dir, Bosambo, wenn du mir in dieser Angelegenheit Gutes erweisest, werde ich es dir in einer Weise vergelten, die deine Träume übertrifft.«

»Wie kann ein Mann in dieser Sache Gutes tun?« fragte Bosambo.

»Er muß den Krieg verhindern.«

Bosambo streckte seinen Arm aus. »Das würde ich tun, Herr,« versetzte er ernst, »aber es liegt nicht in meiner Macht. Denn Bimebibi wird sich mit den Akasavas messen, sobald er weiß, daß die Ochoris von der Grenze zurückgezogen sind.«

»Er darf das nicht eher wissen, als bis ich meine Soldaten dorthin gebracht habe,« sagte Sanders, »und niemand kann es ihm sagen.«

Sanders blickte ruhig auf und suchte des Häuptlings Auge. »Und niemand kann es ihm sagen?« fragte er herausfordernd.

Bosambo schüttelte den Kopf. »N'mika sitzt in seinem Dorfe, Herr! Und N'mika liebt sein Weib im Übermaß, wie man sich überall erzählt.«

Sanders lächelte. »Wenn N'mika mich verrät, dann werde ich keinem Manne in der ganzen Welt mehr trauen.«

* * *

N'mika saß seinem Weibe gegenüber. Weder Zorn noch Lächeln ruhte auf seinem Gesicht, aber ihr Gesicht verriet Todesfurcht. Auf einem Hocker in der Mitte lag der weiße Antilopenschweif, aber sie achtete nicht darauf, denn ihr Gehirn arbeitete fieberhaft an Gewaltmaßregeln.

Sie saßen in tiefem Schweigen. Das Feuer in der Mitte der Hütte sprühte und knisterte und warf gespenstige Schatten an die geflochtenen Wände.

Als N'mika sprach, war seine Stimme ruhig und gemessen.

»Kira, mein Weib,« sagte er, »du hast mir das Herz aus dem Leibe gerissen und einen Stein statt dessen zurückgelassen, denn du liebst mich nicht.«

Sie netzte ihre trockenen Lippen und schwieg.

»Nun hätte ich das Recht, dich zu töten«, fuhr er fort, »wegen der Schande, wegen des Kummers und wegen der Einsamkeit, die du über mich gebracht hast.«

Sie öffnete den Mund, um zu sprechen. Zweimal setzte sie an, aber ihre Zunge versagte den Dienst. Dann stammelte sie schließlich: »Töte mich!« und starrte ihn an.

N'mika, der wunderbare Liebhaber, schüttelte den Kopf.

»Du bist ein Weib, und hast nicht meine Kraft,« sprach er, halb für sich, »und du bist jung. Ich habe dir geglaubt, ich bin entsetzt ...«

Sie schwieg.

Wenn der Mann, ihr Liebhaber, das getan hätte, was sie ihm in einem wahnsinnigen Augenblick geboten hatte zu tun, als sie von der Rückkehr ihres Ehemannes erfuhr, hätte sie ihr Leben retten können und mehr als das.

Er erriet zum Teil ihre Gedanken.

»Dir soll nichts Böses von mir widerfahren,« sagte er, »denn ich liebe dich über jedes Verstehen. Und selbst wenn ich für meine Güte an den Rand des Grabes kommen sollte, werde ich dir nichts Böses tun.«

Sie sprang auf. Die Angst in ihren Augen war verschwunden. Giftiger Haß blitzte darin. Er sah den Blick, und dieser Blick brannte ihm in tiefster Seele. Dann horchte er auf; er hörte das schleichende Pad-pad der Häuptlingswache; N'mika wandte sich um, um Bimebibis Oberhäuptling zu begrüßen.

Sein Weib war im Begriff, zur Wache hinüberzulaufen, aber N'mikas Hand stieß vor und hielt sie zurück.

»Packt ihn! Packt ihn!« rief sie heiser. »Er will mich töten! Er ist ein Verschwörer gegen unseren König! Er ist einer von Sandis Leuten!«

Chekolana, des Königs Vormann, beobachtete sie neugierig. Jetzt war ihr das Gesicht ihres Gatten nicht mehr leidenschaftslos zugewandt.

»Kira,« sagte er, »obwohl du mich hassest – ich liebe dich. Und wenn ich dafür von der Hand des Königs sterben müßte, ich liebe dich.«

Sie lachte laut auf. Sie war ja jetzt sicher vor ihm – und N'mika hatte Angst. Ihr ausgestreckter Finger berührte fast sein Gesicht.

»Sagt dies dem König,« schrie sie, »N'mika ist Sandis Spion und weiß dessen Geheimnisse.«

Chekolana, der Vormann, machte einen Schritt vorwärts und starrte in N'mikas Gesicht. »Wenn das wahr ist,« sagte er, »dann sollst du Bimebibi alles sagen, was er zu wissen wünscht. Sage mir, N'mika, wieviel Ochorileute bewachen die Grenze?«

N'mika lachte. »Frag' das Sandi!«

»Herr, Herr!« Das Auge des Weibes leuchtete. »Das will ich dir sagen, wenn du meinen Mann umbringst. An der Grenze sind ...« Sie rang nach Atem und seufzte wie eine, die müde ist; dann glitt sie auf den Boden der Hütte nieder – tot, denn N'mika tötete schnell, und sein Jagdmesser war scharf.

»Bringt mich zum König,« sagte er dann, die Augen auf die am Boden liegende Gestalt richtend, »und sagt ihm, N'mika hat das Weib, das er liebte, erschlagen. N'mika, der wunderbare Liebhaber, N'mika, das Opferkind, der sein Weib liebte, aber seine heilige Pflicht noch mehr.«

Es war das letzte Wort, das N'mika sprach.

Sie kreuzigten ihn an einem Pfahl vor des Häuptlings Hütte. Dort fand Sanders ihn drei Tage später. Bimebibi erklärte die näheren Umstände: »Herr, dieser Mann ermordete sein Weib. Deshalb tötete ich ihn.«

Er hätte seinen Atem sparen können, denn er hatte ihn nötig.

* * *


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