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Aus den Märchen

Das Märchen vom Kirschenfresser

Es war einmal ein König, der besaß einen Esel, liebte ihn heiß und war stolz auf ihn. Das Tier war nämlich seltsam groß. Eine Giraffe hätte tüchtig den Hals strecken müssen, um diesen Esel zu küssen. Der Kopf mit den gewaltigen Ohren sah aus wie eine Windmühle, der man zwei der Flügel ausgerissen hat. Der Leib, rund und fett, glich einem kleinen Walfisch und der schöne Quastenschwanz hätte den Neid jedes Löwen erregen können. Auf seinen hohen Beinen hatte der Esel einen noch schöneren und vornehmeren Gang als irgend ein Kamel. Täglich wurde das glänzend graue Fell frisiert und onduliert, vorher der ganze Esel massiert. Der Stall war ein prunkvoller Palast und ein goldener Trog, immer mit den üppigsten Disteln gefüllt. Oft ging der König mit seinem Liebling spazieren; dann mußten die Leute auf den Straßen immer zwei tiefe Komplimente machen; eines dem König und eines dem Esel. Begegnete dieser anderen Eseln, so sah er mitleidig auf sie herab, als hätte er sagen wollen: Ach, diese armen Kaninchen! Nun, eines Tages war er steinalt geworden und starb unter Beihilfe berühmter Ärzte. Der König war vor Schmerz außer sich und ließ im ganzen Reich die Trauerfahnen hissen. Dann wurde der Tote in einer prachtvollen Gruft beigesetzt. Nicht lange, so sagte der König zu seinen Hofherren: »Ich muß unbedingt einen neuen Esel haben, und zwar einen so großen, wie mein Liebling war. Aber in meinem Reich gibt es keinen solchen, vielleicht im Ausland. Sorget euch!«

Da brachte man ihm drei Burschen, die in der Königsstadt wohnten und von Beruf Läufer waren. Sie liefen als Boten im Land umher und lebten davon. Jung und dumm, wie sie waren, gefiel es ihnen in der Heimat nicht mehr und sie sehnten sich nach der weiten Fremde. Sie sagten also zum König: »O Herr, gib uns Geld und wir drei wollen wetteifern, dir im Ausland den ersehnten Esel zu kaufen.« Der König freute sich, lobte sie und ließ jedem von ihnen einen Lederbeutel mit tausend Dukaten hinten an die Hosenschnalle hängen, worauf sie von dannen liefen, jeder in anderer Richtung.

Ein Jahr lang wartete der König auf ihre Rückkunft. Da trat der Chef der Polizei vor ihn und meldete:

»Mein König! Die drei Jünglinge, die du auf Eselskauf ausgeschickt hast, sind heimgekommen und halten sich in der Stadt versteckt. Einen Esel haben sie nicht bei sich.«

Der erzürnte König ließ die Burschen ausheben und vorführen. »Wo ist mein Esel?«

Da warfen sich die drei auf die Knie, und der erste winselte: »O Herr und König, du sollst ewig leben und gesund sein! Aber den gewünschten Esel habe ich nicht auftreiben können.« »Gut. Aber wo ist mein Geld?«

»Zürne mir nicht so sehr, o Herr! Eines Tages ließ ich mich in einem Wald auf einen gefällten Baumstamm nieder, da kam eine alte Zigeunerin, setzte sich zu mir und fragte mich: ›Warum schaust du so traurig?‹ Und ich sagte: ›Weil mir schwer ums Herz ist, denn ich finde nicht, was ich suche.‹ ›Ich will dir aus der Hand wahrsagen, ob du Glück haben wirst.‹ Ich zeigte ihr meine Hand und sie gab mir den Bescheid: ›Du wirst zwar nicht finden, was du suchst, aber eine große Erleichterung erfahren.‹ Sie entlief und ich merkte, als ich weiterlaufen wollte, daß sie mich um meinen Geldbeutel erleichtert hatte.«

»O du abergläubischer Kerl!« zankte der König. »Jetzt will ich dir wahrsagen, daß du nämlich nach fünf Minuten von meinem Hofprügelmeister Fünfundzwanzig hinten hinaufbekommen wirst.«

Der zweite der Burschen aber sagte voller Angst: »O Herr und König, du sollst ewig leben und gesund sein! Aber den gewünschten Esel habe auch ich nicht auftreiben können.«

»Und wo ist mein Geld?«

»Ach, dein Geld ist hin, o Herr! Laß mich dir erzählen. Ich kam an den Rand einer Stadt, da stand im Grünen eine kleine Bank und ein wohlangezogener Mann saß auf ihr. Er war so dick und schwer, daß sie unter ihm krachte. Sie stand auf sehr schwachen Füßen. Der Dicke aber redete mich freundlich an: ›Du schleppst dich ja mühselig, armer junger Mann.‹ Und ich gestand ihm: ›Ich laufe ja schon monatelang und trage schweres Geld bei mir, tausend Dukaten.‹ ›Lege dich dort ins Gras und schlaf dich aus!‹ ›Wenn ich schlafe, nimmt man mir etwa meinen Geldbeutel.‹ ›So lege ihn hieher auf die Bank, ich will das Geld bewachen. Das ist ja meines Amtes; ich bin nämlich der Direktor dieser Bank.‹

Leider tat ich nach seinem Rat. Im Schlaf hörte ich einen großen Krach und als ich mich besonnen und erhoben hatte, sah ich, daß die kleine Bank und der Direktor samt meinem Gelde verschwunden war.«

»O du vertrauensseliger Tölpel! Mein gutes Geld einer kleinen ausländischen Bank anzuvertrauen, die auf schwachen Füßen steht und schon zu krachen begonnen hat! Dafür laß ich dich auf eine solide Bank legen und dir von meinem Hofprügelmeister fünfzig Hiebe hintenauf verabreichen.«

Als man den jungen Menschen abführte, seufzte der dritte: »O mein Herr und König, du sollst ewig leben und gesund sein! Aber den Esel, den du wünschest, habe auch ich nicht finden können.«

»Gut. Aber wo ist mein Geld?«

»O Herr, ich lief einmal durch eine Au und kam zu einer Grotte, neben der ein Baum voll der schönsten, reifen Kirschen stand. Ich konnte nicht widerstehen und kroch ins Geäst. Bald war der Baum leer und ich voll. Ich stieg herab und trank aus der Quelle in vollen Zügen. Da wurde mir totenübel. Meine Eingeweide waren fürchterlich gebläht, ich fiel zu Boden und wand mich in Krämpfen. Da ging ein Mann vorbei, der trug eine goldene Brille und eine Handtasche. Er hörte mich schreien und trat zu mir: ›Du mußt sterben, wenn ich dir nicht helfe. Ich bin ein Arzt und trage zufällig in meiner Tasche meine Handapotheke bei mir.‹ ›Rette mich‹, stöhnte ich. ›Ja, aber, das kostet bei mir tausend Dukaten. Ich bin nämlich kein gewöhnlicher Arzt, sondern eine Kapazität.‹ O mein König, was tut man nicht, um sein Leben zu retten! Ich gab der Kapazität deine tausend Dukaten und die Kapazität heilte mich. Habe Nachsicht mit mir!«

Da schwieg der König eine Weile und sann vor sich hin. Dann sagte er fröhlich:

»Ich will dich nicht prügeln lassen. Du sollst vielmehr im Palast meines verstorbenen Esels wohnen, an meinem Hof aus- und ein- und mit mir täglich spazieren gehen. Auf Kirschen hast du Wasser getrunken! Wasser auf Kirschen! Ich habe also für meinen großen Esel einen weit größeren gefunden.«


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