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Aus dem Roman »Lumpen und Liebende«

Die schwierige Kopftafel

Aus einem Männersaal der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses rollt die geistliche Schwester Leokadia ein leeres, frisch überzogenes Bett, um es bald darauf mit einem neuen Patienten beschwert zurückzubringen. Es hat seinen Platz zwischen einem gebrochenen Schlüsselbein und einem operierten Kropf. Nicht allzu schwere Fälle sind da zusammengelegt und die meisten schon hoffnungsvolle Rekonvaleszenten. Man hat eben das gemeinsame Nachmittagsschläfchen hinter sich. Mit der großen Neugierde, die solchen immer von Langeweile bedrohten Menschen eigen ist, wendet man sich dem Ankömmling zu. Dieser nimmt auf seinem Schmerzenslager eine ziemlich ungewöhnliche Haltung ein. Der Kopf liegt auf dem Ohr, der übrige Körper ist fast in die Bauchlage gedrängt.

»Den müassens schon operiert haben.«

»Wo fehlt's ihm denn?«

»Was hams ihm denn abgsagelt?«

Aber die Schwester Leokadia hat ihren wortkargen Tag und geht stumm lächelnd aus dem Saal.

Der operierte Kropf, ein Natursänger von Grinzing, wendet sich an den neuen Nachbar selbst:

»Erlauben schon, liaber Herr, wo fehlt's denn?«

Aber der Mann mit dem derben Bartstoppelgesicht hält Mund und Augen fest geschlossen.

»Vielleicht hat er große Schmerzen«, bedauert das gebrochene Schlüsselbein, ein Platzagent und Inhaber einer Jahreskarte für die Straßenbahn.

»So arg kann's not sein«, beruhigte eine Stimme nahe der gläsernen Eingangstür, »i hab's deutli g'segn, wiar ihn die Leokadia nöt vom Operationssaaal umagradelt hat, sondern nur vom Behandlungsraum.«

Es kommt ein kleiner Sekundararzt mit einer großen Brille. Er hat einen entfalteten Bogen Amtspapier und ein Stück Kreide in Händen und schreibt an die schwarze Kopftafel:

»Johann Wimprechtinger, Fuhrwerksbesitzer. Alter: 43 Jahre. Angekommen: 20. XI. 28. –«

Darunter muß nun die Diagnose kommen. Die Hälser verlängern sich. Zwei lateinische Worte. Aber es gibt in jedem Krankenhaus erfahrene Stammgäste, die in der Sprache des Äskulaps mit der Zeit ein wenig sich auskennen, wie etwa der Motorradfahrer dort in der Ecke oder jener spitalsselige Arbeitslose, ein absolvierter Techniker mit amputierten Frostbeulen, dem Kennzeichen des unqualifizierten Schneeschauflers. Jene zwei Worte spotten freilich jeder Anstrengung. Wohl liegt auch ein gelernter Lateiner da, der rätselhaften Inschrift gerade gegenüber, aber er schläft noch, braucht Ruhe. Er ist ein junger Gymnasiallehrer. Man hat ihm den für seine Verhältnisse ohnedies viel zu luxuriös eingerichteten Verdauungsapparat um einige Darmwindungen vereinfacht. Der kleine Sekundararzt aber hat mit den Schritten eines Primariusses, der bekanntlich Würde und höchste Eile so schön zu verbinden weiß, den Saal verlassen. Dafür rollt der Teewagen an, die Jause.

Der Fuhrwerksbesitzer Johann Wimprechtinger zeigt einiges Leben. Er prüft mit dem gewaltigen Daumen den Härtegrad der Semmel und schiebt diese wortlos unter das Kopfkissen. Die Schale leert er mit einem Zug und brummt verächtlich:

»Ka Tröpferl Rum nöt drin.«

Worauf er wieder in Apathie verfällt. Man scheint sich nicht weiter um ihn zu kümmern.

Da, plötzlich, gibt es ihm einen Ruck:

»Karnali, verdächtige! G'frei di, wann i wieder amal kräulln kann!«

»Er phantasiert von seiner Alten«, rät jemand.

»Muaß schon a Täuberl sein, a süaßes.«

»Was hat s' Ihner denn antan, Ihre Gnädige?«

Keine Antwort. Aber bald bricht Herr Wimprechtinger wieder aus:

»Wiar an Hund schiaß i s' nieder, die Fanny. Wann s' mi nur bald außilasserten aus dem Affenhaus!«

»Sie san a recht a freundlicher Herr«, meint der Kropf. Das Schlüsselbein aber mahnt:

»Hier ist doch nicht der Ort, wo man lebensgefährliche Drohungen gegen seine Frau ausstoßen darf.«

Der Mann an der Saaltür:

»G'wiß hat eahm sei Weiberl was in Leib einig'rennt, ar Kuchelmesser oder an Kartoffelschäler, und zwar von hint' eini, drum liegt er a so verdraht da.«

*

Es ist Besuchszeit. Unter den Ersten, die mit Taschen und Eßpaketen eintreten, naht ein vierschrötiger junger Bursch in Röhrenstiefeln. Ausgiebiger Stallgeruch begleitet ihn. Er berührt mit der zusammengerollten Mütze Herrn Johann Wimprechtinger am Ohr.

»I bin's, der Pepi.«

»Du bist as? Grüaß die Gott.«

»Wia geht's Ihna denn?«

»Der Zurn bringt mi um. Hat der Teifel das Luder no nöt g'holt?«

»Naa, es is nix Neuchs z'haus.«

»Alks Guate hab' i ihr antan die ganzen Jahr, der Beschtie. Ang'fressen hat sie si' sauber bei mir, die Fanni. Behandelt hab' ich s' wiar a waachs Eier. Dafür bringt s' mi da eini in die Wurstelgalerie. Aber i hab's g'schworn, i bring s' mit eiskalten Bluat um, das G'spenst, das schiache. Wann i nur scho drausten war aus dera Idiotenhalle!«

Allgemeine Empörung. Aber der Bursch beschwichtigt:

»Sie müassen den Herrn kenna, er maant's not aso. I bin sein Stallbursch.«

»Wann Sie der Stallbursch san, so sagen S' Ihnern Herrn, daß er anzeigt und eing'spirrt g'hört mit seiner Mordandrohung«, rief der Kropf mit Anstrengung. »Soll ihm seine Fanni antan haben, was da wöll, der Mann muaß unschädli g'macht werden.«

»Sie müassen den Herrn kenna, er maant's net aso«, wiederholt der Pepi.

»Genug! Ich selbst zeige ohne Bedenken einen Menschen an, der seine Frau umbringen will.« Es ist ein Jungverheirateter Mann, der gerade den Besuch seiner Gattin genießt. Alles stimmt ihm begeistert zu. Aber der Stallbursch weiß sich Gehör zu verschaffen:

»Was wird denn da von aner Frau g'redt? Mein Herr da, der Wimprechtinger, dös is a Wittiwer. Und wer ihm hint einibiss'n hat, dös war ka andrer wia 's eigene Roß. Wia halt an besten Roß gach so was einfallen kann. Und da hat er halt sein Zurn. Aber sie müassen den Herrn kenna, er maant's net aso.«

»Er hat doch von seiner Fanni geredet«, zweifelte der junge Ehemann.

»Soll das Roß vielleicht Franzjosef haßen, wann's a Stut'n is?«

Enttäuschung. Schweigen, zumal die Schwester Leokadia mit strengem Antlitz naht. Der Mittelschullehrer ist erwacht und hat etwas von der lebhaften Unterhaltung aufgefangen. Jetzt greift er zum Klemmer und liest laut von der umstrittenen Kopftafel herab:

»Morsus equi.« Und übersetzt geläufig: »Biß vom Pferd oder Pferdebiß.«

»Die Schwester aber fragt scharf:

»Habt's wieder g'stritten?«

»Die Herren da haben ihre Nasen in was einig'steckt, was sie an großen Schmarrn angeht, die Flohbeutel, die verdrahten –«

»Das tut hier kein gut, wir übersiedeln«, entscheidet die Schwester und rollt das Bett aus der Reihe, dem Ausgang zu.

Herr Wimprechtinger verabschiedet sich von dem entrüsteten Saal mit einem überaus volkstümlichen Zuruf.

»Pfui!« macht die Schwester Leokadia. Aber der Stallbursch Pepi meint treuherzig:

»Sie müassen den Herrn kenna, er maant's net aso.«


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