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Phaethon / Erster Teil

Äschylos

So schmettre herab zweizackig auf mich
der geschlängelte Blitz, und es zittre die Luft
von des Donners Getos und der zuckenden Wut
des empörten Orkans, [und der Erd' Abgrund
mit den Wurzeln zugleich durchschüttre der Sturm!
Und das wogende Meer, hoch schlag' es empor
in tobendem Schwall] wo die himmlischen Stern'
hinwandeln die Bahn; in die finstere Kluft,
in den Tartaros, stürze hinab mein Leib,
von des Schicksals wirbelndem Strudel entrafft:
doch mich wird er nimmer vernichten!

Äschylos
[Prometheus V. 1043 ff.]

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Phaethon an Theodor

Dein Bruder ist jetzt abgereist. Mir ward der Abschied schwer von dem Guten, der wie mein Schatten mir durchs sonnige Italien folgte. Ewigunvergeßlich wie meiner Kindheit Tage ist mir der Abend, wo wir zum erstenmal die Alpenfirnen wie Trümmer einer Urwelt glänzen sahn, und gleich gebändigten Titanen die Nebelwolken unten lagen im Tale, und oben die milchweißen Stirnen vom Purpur der Abendsonne glühten wie bescheidene Mädchenwangen, und die Riesenlawinen donnernd von jähen fürchterlichen Höhn herab sich wälzten, wir uns im Arme lagen und bei Tells und Arnolds Vaterland uns ewige Freundschaft schwuren!

Und als wir gingen auf den sieben Hügeln und wandelten zwischen den schaurigen Gestalten der hohen Vorwelt und sahn, wie um die alten düstern Mauern sich der jugendliche Efeu rankte; als wir saßen an den Ufern der blonden Tiber und ihrem Wellenschlage lauschten, und es aus den Wassern erklang zu uns, den Spätgebornen, wie eine ernste mahnende Stimme, als wir wandelten durch die langen Hallen, wo schweigend unsre alten Götter standen, und wir uns anblickten und uns in die Arme sanken, ach, da wo jeder graue moosbewachsne Trümmer, wo jedes Säulenstück, wo jeder Grashalm an den finstern Mauerrissen, wo alles, alles zu uns sprach: da fühlten wir schwellen unsern Busen. Die Ahnung floh, und es ward klar vor uns. Unser Auge schwamm in Licht und Fülle, und wie eine göttliche Erscheinung sahn wir niederquellen den Geist der Schönheit. Wir fühlten unsern Beruf und den Drang in unserem Innern und knieten nieder und riefen: Dir, heilige Kunst, dir weihn wir unser Leben!

Ach, und nun bin ich längst wieder ferne von dem Lande und bin so ganz allein! Niemanden hab ich, den ich an meinen Busen schließen könnte, warm und innig, wie ich's möchte, keine Seele! Theodor, das ist viel!

Und weißt Du, was es ist, das mich allein noch tröstet? Es ist der Geist der Natur, die in ihrer ruhigen Fülle vor mir liegt wie meine alte glücklichere Welt!

Ich sollte sehen, wie sich alles draußen regt und tausend lebensvolle Keime schwellen, und Eins sich liebend an das Andre drängt, und sollte dennoch klagen?

Ach, die Kinder! Die schweben durch ihr Leben wie goldne Wölkchen durch das Morgenrot. So heiter ist noch ihr Blick und so unbewölkt wie der blaue Himmel, und ihre Seele rein wie die Luft. Ein Kind zu sein, das ist ein Glück! Wissen die Kinder etwas vom Himmel? Und doch ist der Himmel nur in ihnen.

Ein Kind ist sich selbst genug in seiner Fülle. Warum bin ich denn das nicht?

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Phaethon an Theodor

Ich habe nun eine neue Wohnung gemietet. Ein kleines Häuschen bewohn' ich ganz allein. Hat Dir eine so angenehme Lage draußen vor dem Dorf am Abhang eines kleinen Rebenhügels! Man hat eine weite Aussicht durch die engen Fensterscheiben. Zu einer Seite liegt das freundliche Dorf und drüber hin auf dem grünen Wiesengrund ein paar andre; dann zur andern Seite liegt das Waldgebirge, und unter ihm auf jäher Felswand glänzt im Abendlicht die Burg.

All den vielen Kram hab ich weggeschafft, und es steht jetzt nur noch mein Amor und mein Klavier in dem größern Zimmer, worin ich arbeite. Daneben ist ein anderes, worin ich schlafe.

Meinen Homeroskopf hab ich ans Fenster gestellt zur Morgenseite. Der erste Strahl der alten heiligen Sonne verklärt das Angesicht des grauen Sängers. Mir ist's oft, als ob er lebte, wenn ich erwache und der Alte glühet!

Und solltest sehen, wie schön! Draußen um die Wände krümmen sich Traubenranken, und die schönen großen Blätter breiten sich geschlängelt bis ans Fenster! So nah hab ich die Natur!

Mir ist auch wohl dabei wie dem Säugling am vollen Mutterbusen.

Innen sieht's freilich nicht so schön aus! Da liegen die paar Bücher, die ich noch habe, zerstreut umher wie die Gedanken in meinem Kopfe. Du lächelst und sagst vielleicht: War ja von jeher alles untereinander! Du hast Recht. Es ist mir auch nichts so zuwider als übertriebene Regelmäßigkeit.

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Phaethon an Theodor

Mit meinem Amor bin ich bald zu Ende. Er lächelt mich an wie eine bessere Zeit. Ich gehe nicht bälder zur Gräfin hinüber, bis ich ihn fertig habe.

Es wird mir schwer werden zu scheiden von ihm. Meine Arbeit ist mir über den Kopf gewachsen. Mit jedem Meißelschlag ist sie weniger mein. Sie ist mein Schöpfer, nicht ich der ihre.

Mir wird's oft wunderbar. Ich weiß nicht, woher ich sie habe, diese quellenden trunkenen Augen, diese sanftgeblasenen Formen an der weichlich üppigen Gestalt. Als hätt' es mir ein Gott eingegeben.

Des Abends wandl' ich den Hügel hinan. Wie ein Riese steht droben eine alte lange Eiche und streckt wie starke Arme die breiten Äste auseinander. Mir ist's als ob mich zarte liebe Geister umwehten, wann der Abendwind durch die Blätter säuselt. Da hab ich meine schönsten Stunden. Ich lese meinen Homer oder auch einen Chor aus den alten Tragikern. Ach, und wenns dann still wird umher und immer stiller, und durch die dunkle Eiche der letzte Strahl der warmen heiligen Sonne meine glühenden Wangen küßt wie der Mund eines Mädchens, wenn die grauen Wölkchen im goldnen Meer der Abendröte schwimmen wie zarte verfließende Bilder der Vergangenheit, und das linde Wehn der kühlen Lüfte so zärtlich liebend in meinen Locken spielt, und wenn dann allmählich im blassen Duft auch die fernen Berge zusammenschwimmen mit dem Himmel wie eine Seele mit der andern, und der Nebelflor auch über dem Tale wallet, und die Abendglocken so voll wie mein schwellend Herz aus der Ferne klingen, ach, da wein' ich wie ein Kind und drücke den lieben Homer an meine Brust und benetz' ihn mit meinen Tränen, und die Natur, die ewige, die liebende, lächelt mich an wie eine Mutter. Dann füllt sich mein Inneres an mit einer unendlichen Wonne, und ich fühle jeden Pulsschlag der lebendigen Natur und wandle dann wieder so hinunter.

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Phaethon an Theodor

Welches ist das Land, Theodor, wo der Segen der Götter in Fülle herabträufelte, und die Natur sich entfaltete in den reichsten vollsten Gestalten, wo die Menschen schön waren wie ihre Götter und heiter und fröhlich wie ihr Himmel, wo Weisheit und Schönheit sich wie Schwestern mit blühenden Armen umschlangen, und der Geist sich regte so klar, so hell? Es gab nur ein Griechenland.

Sieh, ich möchte mich an eine Brust werfen und meinen Schmerz ausweinen in blutigen Tränen. Denn ach, es gibt kein Griechenland mehr! Verloren, ewig verloren wie die Tage der Unschuld!

Warum bin ich nicht zwei Jahrtausende früher geboren? Glaubst Du nicht, um ein einziges Jahr gäb' ich dann all die vielen Jahre dahin, die ich verlebt habe?

Wie sich die Welt abspiegelt in diesen ewigjungen Geistern, rein und heiter wie die Gewässer, die ihres Landes lachende Ufer umrauschen!

Was ist heiliger als die Natur, und wo war sie gefeierter als in Griechenland?

Da kannte man nicht jene lächerliche Verachtung des Lebensgenusses, mit dem sich bei uns die Männer brüsten, die rauh sind wie der Boden, der sie trägt, und finster wie die Eichenwälder, um die sie hausen.

Selbst der trotzige Aias nimmt noch Abschied vom lieben Licht der Sonne und von den Quellen und Flüssen und Bergen, eh er das Schwert sich in den Busen stößt. Er findet die Erde noch schön und will doch zu den Schatten.

Hat den ersten Deutschen in Hyrkaniens Waldgeklüften nicht ein Bär gesäugt? Merkt man's doch den Römern an, daß ihr Stifter nicht die Milch aus einer Menschenbrust gesogen!

Was kann auch werden bei uns? Unser Land ist ein Gewächstum aller Nationen. Gab's nicht in Griechenland auch viele Völker? Es gab Athener und Böotier und Korinther und Spartaner; aber wenn sie zu Elis sich versammelten, war alles ein Volk, alles eine Seele!

Mir wird's oft bange unter diesen Menschen, wo eine solche Kluft den einen von dem andern trennt.

Und was sind das für Begriffe von Schicklichkeit! Theodor, ich möchte mich zu Tod ärgern, wenn ich sehe, wie's Menschen gibt, die lieber die Welt durch ein umflortes Glas ansehn und andre verdammen wollen, die der lieben Sonne ins Angesicht schauen. Solche niedre Seelen, die nie aus dem Gleichgewichte kamen, weil jeder Schwung für sie zu kühn war, die sich leicht beherrschen können, weil sie nicht viel zu beherrschen haben, die jedes warme schmerzliche Gefühl verbannen, weil sie's an ihrer kalten Arbeit stört, die wollen ein leidend Gemüt, das ringend auf dem sturmbewegten Meere treibt, vom Hafen aus verlachen? Ach, das ist leicht!

Und wo offenbart sich tiefer das Gemüt, als wenn es leidet? Und muß es nicht leiden?

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Phaethon an Theodor

Unser Himmel ist nicht für die Kunst. Uns glänzt die Freiheit wie der Dioskuren Liebe nur als ein matter Stern am Himmel. Wo sind die Hirten der Völker?

Die unbeschränkteste Freiheit führte dem göttlichen Aristophanes wie ein launiger Genius den kühnen Griffel.

Die Griechen kannten nicht, was wir Gelehrsamkeit nennen. Der junge frische Geist ward nicht durch Formen ausgetrocknet. Das heitere Gemüt erschwoll am Busen der alliebenden Natur. Darum lernten sie auch früher denken.

So wuchsen sie auf, schön und voll wie die Rosen, ein erhabenes Geschlecht, würdig, abzustammen von den Göttern.

Und ist nicht alles bei ihnen der Abglanz ihrer Schöne? Ihre Werke sind schön wie sie selbst.

Die Religion spiegelte ihre Schönheit wie ein silberklarer Quell zurück. In ihr beschauten sie ihr göttlich Bild. Aus ihr schöpften sie diese Fülle herrlicher Gestalten und füllten ihren Himmel an mit Göttern, schön wie sie.

Die Religion ist's ja, die der Kunst das Auge trocknet, wenn sie weinet über die ersehnte Urschönheit in ihrem höchsten Glanze.

Die Religion reicht der Kunst mit dem warmen aber keuschen Kuß ihrer Lippen die Weihe, der Menschheit das Göttliche darzustellen im schönen Bilde. Sie sind die innigsten Freundinnen und drücken sich ewig an den Busen.

Das ist's, wenn Sokrates, der Gottbegeisterte, den Künstler nur für weise hält, und der tiefe Pindaros den Sängergeist nur Weisheit nennt!

Die Natur, die ewige, die wandellose, war der Gott der Griechen, und Gott ist's, der aus allem, was sie schufen, spricht.

Wir Griechen, sagte der ernste Thukydides, streben nach der Schönheit, ohne viel Anstrengung, und nach der Weisheit, ohne daß wir weichlich werden. Das sagt Thukydides, und klarer hat das Wesen des menschlichsten und göttlichsten der Völker niemand ausgesprochen!

Die Griechen sind Kinder, höchstens Jünglinge.

O herrlich göttlich Land, wo Weisheit, Stärke, Schönheit wie drei Götter wohnten, wo aus dem zarten weichen Knaben der schöne Jüngling wie ein junger Gott emporwuchs, und aus dem Jüngling des Mannes hoher Bau wie aus der vollen Knospe der Stamm sich entwickelt; der Mann mit seinen starken Gliedern, mit der hohen Brust, in der die göttlichen Entwürfe reiften, wo das Geschlecht, das ewigkräftige, gewandt sich auf der heiligen Rennbahn trieb, den schönen Ölzweig sich um seine Schläfe wand und ewigrege wie des Springquells Säule sich jene volle Heldenkraft erwarb, mit der es den Barbaren niederkämpfte!

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Phaethon an Theodor

Ich wandelte gestern durchs Gebirge. Es ist ein hohes männliches Gefühl, zu schreiten durch diese alten Rieseneichen. Es scheint, als ob die Natur diese gewaltigen Stämme zum Beispiel für den Menschen schuf. Strecken sie sich nicht in die Lüfte wie Titanen, und wandelt der Mensch nicht wie ein Zwerg unter diesen kühnen ragenden Gewächsen? Aber ach, auch die Eichen stehn nicht fest. Ich stand an einem tiefen Geklüft. Durch übereinander geworfnes starrendes Gestein und hohes Waldgebüsch schob tosend in dem Abgrund sich ein Gießbach fort, rasch, unaufhaltsam wie das Leben des Menschen; und aus den Wurzeln vom Sturm gerissene Eichenstämme lagen in wilder Zerstörung über die Schlucht hin. Eine dunkle Masse schattender Tannen hob sich in düstern Gruppen an dem Abgrund, und eine gewaltige Felswand ragte drüber hinaus wie die finstre Stirn eines alten Gottes. Da dacht' ich mir den Titanen Prometheus an die graue ungeheure Felsenwand geschmiedet, und grausend ging ich meinen Weg vorüber. Und wie ich nun auf einem einsam steilen Bergpfad eine Stelle fand, wo fürchterlich jäh der Fels hinabschoß, und schlankstämmige Eichen über mir sich wölbten, und ich durch das wildverschlungene Gezweig ins tiefe Tal hinabsah wie in einen Kessel; und drüben die waldbewachsenen dunkeln Bergesrücken, das Rauschen der nahen Wasserleitung und das einsame Flüstern des Windes in den geschüttelten Ästen, und aus dem tiefen Forst den schallenden Hammer der Steinbrecher, durch die Finsternis hin das verwitterte Ruingestein der zerfallenen Veste! Theodor, mir fuhr ein Schauer durch die Brust, wie ich so klein mich sah unter diesen riesigen Gestalten!

Ach, und das Traurigste folgt noch! Die Sonne brannte glühendrot durch die vergoldeten Eichenwipfel, und ich wandelte wie im Schwindel meinen Pfad dahin.

Da hört' ich eine Stimme. Mir fuhr's durch Mark und Bein, und wie ich schnell mich umsah, erhob sich ein alter Mann von einem Trümmer und wankte langsam wie ein schüchterner Geist auf mich zu. Seine Locken waren weiß wie der frische Schnee und seine Stimme wie eines Abgeschiedenen. Da faßte mich ein noch tieferes Graun. Der Alte bettelte. Theodor, er war achtzig Jahre alt! Ich stand vor ihm wie ein Gerichteter. Was suchst du noch auf der Welt, dacht' ich und warf ihm schaudernd etwas in den Hut. Ich rannte weiter. O Lieber, das hat mich furchtbar gestimmt! Wenn's nur einst hinüberginge von der Fülle ins Nichts wie eine lohe Feuersäule! Aber so! Nur stufenweise! Weiter und immer weiter! Theodor, wie mir der Mann seinen Segen mit Freudentränen nachwinselte und rief, bis ich ihn nimmer hören konnte! Der Alte dem Jungen! Gott! Wie war mir's? O, was ist all unser Leben?

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Phaethon an Theodor

Ich hab einen Menschen kennen gelernt, der mir sehr gefällt. Schon lange her ist's, daß ich ihn täglich vorbeigehen seh' an meinem Hause. Er grüßte mich immer freundlich. Er hat ein wahrhaft griechisches Profil, ein paar runde lebendige Augen, einen sanften, fast schmerzlichen Mund und einen schönen edlen Gang. Heut rief ich ihn, wie er wieder vorbeikam. Er wäre auch lange schon gern mit mir bekannt gewesen und faßte doch nie den Mut, mich anzureden. Mein Amor macht' ihm gar viel Freude. Er erzählte mir allerlei von der Gräfin Cäcilie und von ihrer Tochter. Das müssen herrliche Menschen sein. Man kennt sie aber nicht viel in der Gegend. Letzthin sah ich ihr Haus auf meiner Wanderung durchs Gebirge.

Es ist ein wunderbar Gefühl, das mich überwallt, wenn ich diesen schönen Jüngling ansehe. Ich hange mit einer schwärmerischen Neigung an diesem seltsamen Menschen.

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Phaethon an Theodor

Ich begreife, Theodor, wie die Griechen schöne Knaben und Jünglinge lieben konnten.

Denk' an die süße Trunkenheit, womit das Vollgefühl der unendlichen Lebensglut ewigkeimender Natur im Morgenglanz ihrer jugendlichen Schönheit ein zartempfindendes Gemüt überschüttet! Und gibt's in unserm rauhen Norden Geister, die so vom Gefühl der heiligen Naturschöne überwältigt werden? Wie allmächtig war diese Empfindung unter dem sonnigen Himmel jenes glücklichsten der Völker, dessen Einheit mit dem Naturgeist, dessen zartempfänglichen Sinn für jede Berührung der stummlebendigen Welt jene Orgien, jene Orakel, jener geheimnisvolle Demeter-Dienst und jene tausend Mysterien bezeugen, von denen uns kaum noch eine matte Ahnung in düstern und unheimlichen Phänomenen zurückblieb. Diese schöpferische Herrlichkeit und Blütenfülle der beseelten Natur war es, was die Griechen aus der Schönheit männlicher Jugend mit unwiderstehlicher Gewalt ansprach. Es war eine wunderbare anbetende Liebe.

Und ist die männliche Jugendschönheit im Glanze der Tatkraft und der Freiheit nicht mehr als die Pflanzennatur des Weibes, die größtenteils doch nur das Bedürfnis mit ihren Reizen überkleidet?

Sieh den Dionysos an, den jugendlichen Gott der schaffenden Natur! Wie eine Jungfrau senkt er schmachtend die üppigvollen Augen nieder; die zarten Glieder schwellen wie die Trauben, die seine reichen Locken kränzen, und rein und blühend ist die Schönheit über all sein Wesen wie ein einziger linder Hauch gegossen.

Das Leben der griechischen Jünglinge war wie ein ewiger Kuß. Begreifst Du, wie man einen Kuß von Chamoleos um zwei Talente bezahlte?

Mich dünkt, der Hippolytos des Euripides kläre darüber auch die dünnsten Köpfe auf. In diesem heiligen Gemüt spiegelt sich der Äther ab, der reine wolkenlose. Er ist schön wie der Mond und keusch wie seine Göttin. Ihr ist sein Busen nur geheiligt, und der Mädchen liebeschmachtendes Auge übersehend zieht er mit Genossen und Hunden jagend durch die Wälder. Er ist eine männliche Artemis.

Ist ja der Mann der Sohn der Sonne, aber das Weib die Tochter des Mondes.

Theodor, so etwas versteht man nicht mehr. Denn die Welt altert.

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Phaethon an Theodor

Nicht wahr, nur in Griechenland war's möglich, daß eine Phryne vor den Augen aller Griechen ins Bad stieg und wie die süße Göttin der Wollust und der Liebe aus den Wellen tauchte? Wo feiert ein Volk noch Wettspiele in der Schönheit?

Die jungfräulichen Leiber, die auf den Höhn des Eryx sich dem Dienst der Aphrodite weihten, hießen heilig.

Und was gilt körperliche Stärke noch bei uns? Welcher Geist war göttlicher als der Geist des Platon? Und Platon rang in den heiligen Spielen des wellenumrauschten Isthmos.

Aus der Gymnastik entsprang die erhabene Todesverachtung eines Harmodios und Aristogeiton, und Freiheit und Freundschaft erhoben sich aus ihr wie Blüten aus dem gesunden kräftigen Stamme. Wie ein Schleier umhüllte der gewandte schöne Körper den ewigjungen Geist. Weisheit und Tapferkeit waren wie Blumen, die aus einem Stengel blühen. Wir fühlen nur halb des Lebens Kraft und Schöne; denn seine andere Hälfte, der Körper, ist für uns verloren. Wir staunen die Werke des Altertums an wie unglaubliche Riesenschöpfungen, aber die Quelle, woraus der Geist der Alten floß, bemerken wir nicht.

Der Geist des göttlichen Pindaros ruht wie eine unermeßliche Eiche über den griechischen Kämpfern, in deren Schatten sie den Schweiß sich trocknen von der freien Heldenstirn. In seinen feuertrunknen Gesängen liegt das Geheimnis griechischer Erziehung. Kein Grieche spricht den Geist seines Volkes mehr aus in seiner Kraft und Fülle wie er. Alle Strahlen griechischer Vollkommenheiten sind in ihm gesammelt und wie zu einer großen Sonne geworden.

Meine seligsten Stunden bracht' ich im Antikensaale zu. Schon als ein kleiner Knabe, wo mich die Zukunft wie ein zarter Geist umsäuselte, wo ich mit kindlichheiterm Sinn nur nach dem Nächsten griff, ach, wo mich all das, was ich jetzt erkannt, wie eine dunkle Ahnung noch umspielte, vergaß ich lächelnd Gegenwart und Zukunft und kniete staunend in dem heiligen Raume. Da hing an den weißen Gestalten der hohen Vorwelt mein trunknes Auge selig und begeistert. Der alte große Göttervater, deß majestätischhohe Stirne die Wellen des wildaufwallenden Gelocks umfließen, in all seiner Herrschergröße aus dem tiefen Auge blickend und doch so liebendväterlich, so würdigmild wie der Geist, der ernste alldurchblickende! Und wie das Gemüt ihm gegenüber der Liebe schmachtend süße Göttin in ihrer üppigbescheidnen Schöne, mit ihrem holdlächelnden Auge, mit ihrem vollen gewölbten Nacken, mit ihren weichen schwellenden Gliedern, wie ins Morgenrot getaucht! Hier wie die aufquellende Kraft, des erhabenen Vaters ähnlichster Sohn, der jugendlichstarke Apollon, in flammender Anmut seines Zornes, und neben ihm seine Schwester, die schöne keusche Jägerin, leichtschwebend wie ein schlankes Reh, den Boden kaum mit ihrem Fuß betretend! Hier die kolossale Gestalt der höheren Athene, das tiefe Bild der ernsten Mäßigung, mit jungfräulichem Ernst die großen Augen auf die Erde kehrend, und neben ihr wie Ungestüm bei Weisheit der junge trotzig wilde Gott des Krieges, mit kühnem Selbstgefühl die hochgewölbte Brust geschwellt! – Theodor, ach da schwanden mir die Sinne, dem knieenden Knaben, und alles graute mir vor meinem Blick, und große heilige Tränen schwammen mir im Auge, und schauernd fühlt' ich ihn wehen durch die stillen Gestalten, den Geist der Fülle, Mäßigung und Schöne.

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Phaethon an Theodor

Morgens bin ich gern im Freien. Da schließt sich mein Busen wieder auf wie die Blumenglocken auf der Wiese. Mein ganzes Wesen ist so frisch wie das taubesprengte Gras. Ich lieg' oft stundenlang unter meiner Eiche auf dem Hügel und hör' all das geschäftig rege Treiben umher mit einer wunderbaren Wonne. Ach, und Du weißt nicht, was sich da für Gedanken regen, wenn ich hinüberseh' auf die vielen stillen Dörfer. Ich mein', ich müsse dort etwas suchen, und weiß doch nicht was. Dann ergreift mich ein nie gefühltes Sehnen. Hinüberdrängt's mich, hinüber! Und ich strecke meine Arme aus, als wollt' ich eine Braut umfangen, und weine hinüber in die blauen dämmernden Fernen. Ach, sie lächeln mich so lieblich unschuldig an wie die Wangen eines Kindes.

Oft überrascht mich mein Johannes – so heißt jener schöne Jüngling, von dem ich Dir geschrieben – und setzt sich zu mir und trauert mit mir. Ich sah's ein paarmal schon, daß sein Auge blinkte wie der Tau auf der Blume, und er sich zur Seite wandte und die Tränen sich abwischte. Er muß auch einen Kummer auf seinem Herzen haben.

Ach, wozu führt mich noch all das unbegreifliche, unaussprechliche Sehnen?

Ein Etwas blickt mich oft an wie die bescheidenen Strahlen der Morgensonne und umweht mich wie der buhlende Wind. Da ist's mir, als ahnt' ich etwas Großes, Heiliges, das da kommen wird. Theodor, denke Dir, was Du willst!

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Phaethon an Theodor

Oft wenn ich erwache bei Nacht, da seh' ich meinen Amor vom Mondlicht wie von einem zarten innigen Leben glühend, und es ist mir dann, als ob das stumme Bild mehr als toter Marmor wäre.

Warum will die Jugend immer nur das Große? In ungeheuren Schöpfungen will sie sich offenbaren; und was ist mehr, die Riesengestalten Ägyptens oder die stille gemäßigte natürliche Schöne der Griechen?

Die Kunst der Griechen ist wie das wellenlose spiegelklare Meer. Sie ist immer heiter. Der schöne Himmel Griechenlands ist überall abgespiegelt. Aus allem lächelt das Leben, wie bei uns aus allem der Tod. Denn was ist es anders, das uns anhaucht in dunkeln Schauern aus den unendlich verzierten und verschnörkelten Strebepfeilern, Gewölben und Bögen, den hohen bemalten Fensterscheiben, den unzähligen Nischen und Spitzgebäudchen, den Kruzifixen, Blumen und Heiligenbildern des gotischen Domes als der Tod? Ich will es nicht tadeln; aber ist das heitere Spiel des Lebens und der Schönheit nicht mehr als der schaurige, ewig aus den gespensterartigen Formen hervortretende Geist des Grabes?

In allen Werken der Alten ist Ruhe, die Schwester der Größe. Das Kolosseum wie die Siegesgesänge des Pindaros sind riesengroß; aber ein ruhig stiller Geist spricht aus dem Bau der Steine wie der Strophen.

Maß in Fülle, und Fülle in Maß, das ist das Wesen der Griechen wie überhaupt das Wesen der Kunst.

Auf der Stirne des Zeus sträuben sich die Locken wie die Mähne eines Löwen und strudeln über die Schläfe hinunter; aber die Miene des Weltgebieters ist mild. Und schüttelt er nur die Locken, so zittert Himmel und Erde.

Ich kann Dirs nicht verbergen: auch mich ergreift noch das Gigantische, das Maß Überschreitende. Der verlassene, aus der Heide mit den empörten Elementen kämpfende Lear wär' ein Vorwurf für mich. Aber laß nur die Wogen sich bäumen! Dann besänftigt sich das Meer schon wieder.

Das ist eben das Größte, daß bei den Griechen alle Werke ein Geist beseelt.

Stelle Dich vor den Laokoon und erkenn' in ihm den tiefen Geist der Ruhe des Sophokles. Er hat den Knoten der Begebenheiten wie der Schlangen geschlungen.

Wie der gewaltige Pheidias nur das Riesenmäßige liebte, so geht auch Äschylos über das Gewöhnliche hinaus, und sein hoher mächtiger Geist regt sich wie im alten Reiche die Urgötter. Die Gestalten des Sophokles haben die Rundung des vatikanischen Apoll; aber sie sind noch keusch wie die Tochter Latonas. Im Euripides schweifen sie ins Weichliche, Üppige hinüber wie in den rundlich schwellenden Formen des Dionysos. Wenn der Blick an den übermäßigen Formen des Pheidias und Äschylos aufgehalten wurde, so gleitet er ruhig und selig über die liebliche Fülle des Sophokles und des Antinoos hin.

Es ist alles Einheit und Harmonie bei den Griechen.

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Phaethon an Theodor

Ach Theodor, warum bin ich so allein?

Sieh, ich weiß oft nicht, wo's noch hinaus will mit mir, wenn ichs denke. Da klopft, da glüht mein Herz, und mein Klavier ist dann mein einziger, mein schmerzlich süßer Trost. O, es ist etwas Großes, Göttliches, sein Inneres so ganz wiederklingen zu hören, wie's kaum von einer harmonischen Seele klingt.

Diese Fülle in meinem Busen und all das Sehnen! O Theodor, mein Herz blutet!

Wäre nur erst die Kunst meine Braut und die Welt die Rosenlaube, worin ich sie umarme! Aber ach, ich fühle mich noch so gering, und viele, die mich kennen, verstehen mich nicht.

Nach Taten dürst' ich wie nach dem stärkenden Labequell der erhitzte Wanderer.

Und was soll ich auch tun? Das Land, wo ich am liebsten wandeln möchte, steht da wie eine verlassene Welt.

Kein Ahorn umschattet mehr am Ilyssos die heiligen Bilder der Nymphen und des Acheloos, und keinen schönen Jüngling bezaubert Sokrates, der göttliche, mehr an den grünen Ufern durch seine erhabenen Lehren. Artemis, die Keusche, spielt nimmer mit den Nymphen am lorbeerumwehten Eurotas. Wo sind die Tauben in Dodonas uralten Eichenwäldern und ihre wunderbaren Säulen? Die Götter flohen, und halbzerbrochne Säulenschäfte, verwitterte Marmorblöcke unterm Schatten der Platanen deuten allein noch schaurig auf die alten Tempel.

O, hinanrennen hätt' ich mögen das Olympische Stadion und siegen, Theodor, daß der Ölzweig meine Stirne kränzte wie ein Abendwölkchen die goldnen Bergesscheitel.

Warum erinnert mich auch alles daran, daß ich allein bin auf der Welt?

Vor einigen Tagen kam Johannes zu mir. Seine Miene war ungewöhnlich heiter; seine Gebärden hastig und munter. Mir fiel es auf. Es war ein schöner Morgen, und wir gingen ins Freie. Johannes ward immer reger und fast wild. Wir setzten uns endlich auf einem Hügel nieder. Lange waren wir still, und jeder erwartete, daß der Andere zuerst sprechen werde. Johannes, was ist Dir? sagt' ich leise. Er schwieg. Da ward ich noch stiller. Ich fühlte mich beleidigt. Der Unmut schwebte wie ein finstres Gewölke über meine Seele. Theodor, Du weißt ja, wie ich bin! Ich kenne kein Maß, und weil mein Herz so unbegrenzt liebt, so fordr' ich es auch von andern. Ich stand auf und sah den Hügel hinunter.

Da fühlt' ich ihn an meinem Hals und seinen Arm wütend um mich geschlungen. Ich sah ihn an. Die ganze Fülle seiner Seele schwamm in hellen Tropfen durch sein Auge. Phaethon! schluchzt' er, ich lieb' ein Mädchen, und sie liebt mich wieder! Ich sah ihm durch alle Winkel seiner Seele und preßt' ihn an meine Brust und rief: Vergib mir, guter biederer Johannes, vergib mir!

Wir setzten uns. Er erzählte mir, wie sie einander lieben und wie so ganz eins sie seien und zusammenschlügen gleich zwei glühenden Flammen. In seinen Augen, voll von Tränen und vom sonnigen Lächeln der Liebe, glänzt' ihm wie ein Regenbogen die trunkene Begeisterung. Ich müsse sie sehen, rief er immer nur, wie schön, wie liebenswürdig sie sei.

Und wie ich heut etwas spät nach Hause kam und durchs Dorf wandelte, und alles schon still war, und ich an die große Linde kam, da tritt er mir entgegen und hat sein Mädchen an der Hand. Das ist sie, Phaethon! lispelt' er leise wie der Abendwind, der durch die Blätter der Linde säuselte. Die schöne kleine Blondine blickte verschämt zur Erde und wollte seine Hand fahren lassen; aber er hielt sie fest, und sie blickt' ihn jetzt so wunderbar an. O Theodor, ich habe noch nie die Liebe so in einem Auge gesehen! Ich gab dem Mädchen die Hand. Sie nahm sie schüchtern, und ich sah, wie sie die Hand des Geliebten ängstlicher und stärker drückte. Wir blieben noch fast eine Stunde unter der Linde sitzen. Lieber, o was ist all unser Treiben gegen eine solche Begeisterung! Du hättest sie sehen sollen, wie sie da saßen, die Liebenden, Arm in Arm, und eins dem andern in das nasse Auge blickte! Theodor, ich habe die halbe Nacht durchweint.

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Phaethon an Theodor

Ich mußte einen Menschen kennen lernen, der auf sein Wissen sich gewaltig viel zu gut tut. O, wie sich die Menschen nur einbilden können, sie wüßten etwas. Das ist der Fluch unsrer Zeit, daß sie ewig nur belehren will mit geschichtlichem Wissen! Es ist sündhaft, so elend sein Leben zu verschleudern. Wo die Vernunft, der überirdische Funken, sonst frei aus ihrer Tiefe wie aus Apolls Priesterin Orakel sprach, da soll der tote Buchstabe ersetzen ihr Licht und ihre Kraft? Sie erkühnen sich auszumessen den Umfang der Sonne und vergessen drüber, wie die Heilige alliebend uns wie eine Mutter an ihrem Busen voll Wärme hält. Die Armen! Weil sie an der Flamme sich die Hand verbrennen, so fassen sie die Asche mit den Händen!

Und gleichen solche Menschen nicht dem Knaben, der Licht will, am Herd, auf dem das heilge Feuer brennt, vorübergeht, und die Lampe ins kalte Wasser taucht, worin gleich einem Traum das Feuerbild des Mondes schwebt?

Was die Hand erschafft, wird nur durch sie bewegt. Ohne ihre Kraft ist es tot. Solche Menschen lieben das tote Werk mehr als die lebendige schaffende Hand.

Wenn's nur etwas zu scheiden, zu zerschneiden, abzuteilen gibt! Selbst das Unermeßliche messen sie. Wo etwas Ganzes, wo eine Fülle waltet, da kommen sie mit Fächern, Teilen, Geschlechtern, Arten und Gattungen. Ihr Toren! Warum zerspaltet Ihr den Körper? Wißt Ihr denn nicht, daß der Geist, das unsichtbare gestaltlose Wesen, Euch unter den Händen entwischt? Was wollt Ihr machen mit dem seelenlosen Körper, wenn Ihr ihn getrennt? Ihr hebt ihn auf als eine Mumie; denn das Tote liebt Ihr ja!

Das ist, wie sie's heißen, ein systematischer Weg. Aber wer faßt den Grundsatz aller Philosophie, den Einzigen und Ewigen, in Worte? Im Leben sucht ihn und nicht in Buchstaben, Zeichen und Zahlen! O, dieses verfluchte Wissen! Unselige Gesichte, Fratzen und Blendwerke läßt es dem Getäuschten wie Bankos Königsstamm vorüberschweben.

Die Wissenschaft ist gar nichts anders als ein toter Körper. Bringst Du den Geist, bringst Du Dich selbst nicht hinein, so hast Du ewig nur ein totes Maschinenwerk.

Was soll auch das ewige Lesen und Schreiben? O könnt' ich nur wirken, Theodor, und handeln auf eine schickliche Weise! Und glaubst Du mir nicht, eine sehende Begeisterung, eine glückliche Ahnung ist am Ende doch das Höchste?

Jene ewige rege Spannkraft des ungeschwächten Geistes, die sich der Grieche aus seinen Gymnasien erwarb und aus der innigen Gemeinschaft mit der Natur, jene Harmonie des Körpers und des Geistes ist's, was uns soweit zurücksetzt gegen die Alten.

Freund, mit Einem alle meine Brüder zu umarmen, – und Brüder sind wir alle! – die Menschen sind, alle zu schließen an diese glühende Brust, und eins zu sein mit allen in einem Kuß, das ist mein göttlichster, mein menschlichster Gedanke!

O, die Harten, die auf dem Markte wandeln mit der Laterne und sagen, sie suchten Menschen und fänden keine! Sie sind keine Menschen; denn sie fühlen nicht menschlich. Das ist der törichte Übermut eines eingebildeten Narren, sich selbst allein für einen Menschen zu halten unter so vielen. Und das war möglich in Griechenland?

Der brave Mann, der seine Felder baut mit demselben starken Arm, mit dem er Weib und Kinder treu ernährt, sein angebetet Vaterland verteidigt, er ist als Mensch so viel wert als der bleiche Sohn des Wissens, und mag der Tor in seinem Wahn den frischen Sohn des Lebens auch verachten.

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Phaethon an Theodor

Es gibt eine gewisse Saite in meinem Innern. Wer sie zu stimmen weiß, hat mich gewonnen. Wer sie aber anrührt mit täppischen Händen, der läßt einen ewigen Mißklang zurück. Katon hat sie getroffen, der Verwalter der Gräfin. Gestern Nachmittag stand ich vor meinem Amor und glättete mit der feinsten Feile noch manche Härte. Der Geist meines Bildes schwebte mir in seiner Vollendung vor Augen. Da klopft' es an die Tür, und wie ich sie öffnete, stand ein Mann vor mir, groß, mit breiten Schultern, einer vollen Brust. Zwischen einem starken Bart lächelten ein Paar zarte Lippen hervor; aber das Auge sprühte dumpfe Funken unter den starken Brauen. Es war der Verwalter Cäciliens. Ich bot dem schönen stolzen Mann einen Stuhl.

Katon stand vor meinem Bild. Ich hatte meinen Arm gelehnt ans Fenster. Lange sah er stumm die Figur an. Ich wagte kein Wort zu sprechen.

Es wuchsen die Flammen in seinem Auge, und eine düstre Ahnung schwebte wie eine Wolke um seinen Mund.

Ihr Bild gefällt mir! sprach Katon endlich. Ich errötete.

Wie bildeten Sie diese jugendlichen Formen? Haben Sie bei uns solche Natur gefunden? erwidert' er.

Nirgends! seufzt' ich, und ein unwillkürliches Ach! entfloh meinen Lippen. Er faßte mich fester ins Auge.

Nur unter Griechenlands gemäßigtem Himmel wandelten solche Naturen. Diese reiche Fülle gedeiht im Norden nicht, sagte Katon.

Griechenland! schluchzt' ich und sucht' umsonst eine Träne zu verbergen.

Junger Mann, versetzte Katon, lieben Sie die Griechen so sehr? Es war ein schönes Volk. Sie wußten zu leben. Auch ich stand unter den göttlichen Propyläen und war zu Misitra und sah des alten Sparta finstre Trümmer.

Diese Worte klangen mir wie Donner, und mein unmächtiger Schmerz ward zur zuckenden Begeisterung. Mein Auge muß es ihm gesagt haben, wie mir war. Katon ergriff meine Hand und drückte sie und sagte: Ihr Wesen gefällt mir! Der Geist des göttlichen Volkes weht in Ihrem Bilde. Ich war von Sinnen.

Katon setzte sich. Wir sprachen über die Griechen. Er lächelte über mein leidenschaftliches Wesen. Ich sah ihn an wie einen, der aus dem Grabe steigt, den Sterblichen die hohe Vorwelt zu verkünden.

O Theodor, diese Ruhe, diese antike Größe, die aus diesem Manne sprach! Wie so ganz verschieden von meinem wilden unstäten Charakter!

Er sagte, die Gräfin könne nicht länger mehr warten, das Bild zu sehen. Sie werde in einigen Tagen mit ihrer Tochter ins Dorf fahren.

Er lud mich dringend ein, hinüber zu kommen ins Schloß. Es ist wahr. Warum hab ich's auch bisher immer unterlassen?

Die Gestalt dieses Mannes verläßt mich heut den ganzen Tag nicht. Ich möchte mich oft erzürnen, daß ich so allem Einfluß bloßgestellt bin.

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Phaethon an Theodor

Theodor, wir sind unsterblich! O, das ist ein großer Gedanke!

Mag auch der Himmel sich in Wolken hüllen, in ihrem Schoß des Blitzes Flammen kochen und niedersenden die Donner, seine Brüder, daß die Erd' erzittert, mag er die schwarzen hochgewachsenen Stämme mit Riesenkraft aus ihren Wurzeln reißen, mag auch sein Feuer den Leib, der sterblich ist, verzehren: er kann mich doch nicht töten!

Ich bin ein Funken der Flamme, die sich Gott nennt. Ich bin aus ihr entsprossen und kehr' einst wieder zurück zu ihr.

Darum ist mir auch das Winseln und Ächzen und Kriechen vor Gott so zuwider, das manchem Menschen für Frömmigkeit gilt. Warum sollt' ich mich auch meiner Schwächen und Menschlichkeiten schämen? Und tu ich eine Sünde, wenn ich menschlich bin? Ich kann nicht mit ewigem Zagen und Zittern, mit ewiger Furcht und Reue, daß ich ein Sünder sei, vor Gott treten. Mein Gott ist kein Gott der Zerknirschten. Er ist ein Gott der Lebendigen.

Die Religion soll beseligen, nicht schrecken; uns zu Gott führen und nicht von ihm hinweg; in den Himmel und nicht auf die Erde. Sie ist das namenlose Gefühl der Entzückung, wenn wir in einer Stunde des Lichts die Gottheit küssen. Die Religion ist wie eine keusche sonnenweiße Jungfrau, die sehnend ihre Arme zum Himmel hebt. In ihrem Auge schauert die Träne einer ungestillten Sehnsucht. Um ihre Lippen spielt die Unschuld wie der West um eine nieberührte Rose. Ihr ganzes Wesen aber ist ein Geheimnis, und wehe dem Frechen, der's auszusprechen wagt!

Die wahre Religion und die höchste Poesie liegt in der Astronomie.

Ich bin nie entstanden und nie werd' ich untergehen. Wie kann etwas entstehn auf der Welt? Gott hat sie nicht aus nichts geschaffen. Alles, was ist, ist vom Anfang. Κοσμον τον αὐτων ἁπαντων οὑτε τες θεος οὐτε ἀνθρωπων εποιησε, [Druckfehler. Wedi, Gutenberg-DE] ἀλλ' ἠ ἀει ἐδε και ἐται. Aristoteles.

Das ist Knabensinn, zu glauben, die Erde gehe sobald wieder unter, da sie erst die wenigen Jahrtausende gewesen. Unsere Welt bleibt noch mehr als Millionen Jahre in ihrer Gestalt. Es wäre sonst zu kleinlich für den Riesenschöpfer.

Es gab eine Zeit, wo mir die Erde zu groß war für den Gedanken. Jetzt ist sie mir zu klein.

Oft wenn ich hinausblicke bei Nacht und brennen seh' am Bogen des dunkeln Himmels all die flammenden Welten und sehe, wie die eine wieder verlöscht und die andere funkelnd hervortritt, wenn ich schaue jenes bleiche Meer von Körpern, das aus der Fülle der schaffenden Gottheit strömt wie aus den Brüsten einer Mutter, und erkenne den großen erhabenen Geist der Ordnung und Weisheit, der diese gewaltigen Riesenschöpfungen zusammenhält, wenn ich mir die Erde denke, wie auch sie, von jenen Sternen aus ein schwachglimmendes Pünktchen, im Ozean der Unendlichkeit schwimmt, und ich mir vorstelle, wie ich selbst gegen diese kleine Erde nur bin, was sie gegen die ungemessene Schar der sichtbaren Welten, ach, da möcht' ich mich zernichten, weil ich nur so ein kleiner Teil bin vom unendlichen All.

Und doch schwingt sich mein beflügelter Geist empor und schwärmt durch die Räume der Unendlichkeit wie Bienen durch die Blumen.

Und doch bin ich unsterblich und werd' einst mit allen meinen Brüdern, diesen unendlich kleinen Teilen der Weltseele, zusammenfließen in Eins mit ihr.

Es gab ja Menschen, die eine Welt aus sich gebaren, Urbilder der Menschheit, zusammenfließend mit Gott. Die neuere Zeit kennt nur drei solche Geister: Raffael, Shakespeare und Mozart.

O, denke Dir den Prometheus in der größten aller Tragödien an der himmelragenden Stirne des Kaukasus hängen wie eine kleine Welt im Raume der Unendlichkeit. Und wenn auch diese ewige Urkraft gefesselt ist an die starre Notwendigkeit, es lebt in ihr eine Fülle, die allen andringenden Gewalten ihren Busen voll Unsterblichkeit entgegenstemmt, mit der Titanenkraft des Willens selbst dem Ewigen trotzt und, wann zuletzt die allverzehrende Flammenlocke herabgeschleudert wird, wann sich die Erde losreißt, aus der Wurzeln Fugen von der Windsbraut Hauch gerüttelt, da kann sie untersinken samt dem Felsen unterm wirbelnden Zusammenströmen aller Elemente, aber sterben kann sie nicht.

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Phaethon an Theodor

Sieh, das ist doch nicht recht, Theodor, daß ich so absterbe für jede unschuldige Freude und immer weniger Kind werde!

Es ist ein Fest heut im Dorf. Alles freut sich. Alles eine Seele! Die muntern Leute tanzen um die Linde. Überall klingen Flöten und Schallmeien. Ich saß wieder unter meiner Eiche. Der offene Platz um die Linde lag frei vor mir. Auch mein Johannes war unter der Masse. Nur ein paarmal sah ich ihn, wie er, seinen Arm um das schlanke Mädchen geschlungen, den fröhlichen Reigen tanzte. Alles, alles ein Jubel! Theodor, und ich nahm keinen Teil daran! Was sollt' ich auch unter ihnen tun? Mich liebt ja niemand! Es hätt' ihnen ihre Freude nur gestört, hätten sie den trauernden Jüngling gesehen. Und laß mich's Dir nur gestehn: ich sah ihre Freude mit Neid, wollte mich zwingen, traurig zu sein, und wäre doch so gerne fröhlich gewesen.

Ach, glücklicher Johannes! seufzt' ich, hättest Du ein Königreich zu Deinem liebenden Mädchen und ließest mir die Wahl, was ich möchte: ich nähme das liebe zarte Geschöpf.

Und ich ward wieder still. Ja, ja, rief ich dann wieder aus, ich will mir's nur recht oft vorsagen: ich bin ungeliebt, ungeliebt!

Ich war wie aufgelöst, konnte mich nimmer halten. Ich Armer weinte laut.

O Theodor, aus der Welt hätt' ich mögen gehen!

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Phaethon an Theodor

In ein paar Tagen bin ich fertig mit meinem Werke. Ich habe die Idee, nun die Polyxena zu bilden.

Der ganze Geist der Griechen weht durch diese Dichtung. Der Peleione liebt die schöne zarte Phrygerin. Am Brauttag muß er niedersteigen in des Hades Reich. Priams Veste fällt, und ihre schwarzen Trümmer starren wie schaurige Geister aus der Asche. Da steigt der Äakide wieder aus dem Grab, vom Gold der Rüstung seine Felsenbrust umschimmert, und zürnend will der große Geist zum Opfer die Geliebte. Die heldenmütige Schöne kniet, enthüllt dem Mordstahl ihren reinen Busen und sinkt für Hellas Wohl wie die Abendsonn' ins goldene Gebirg in voller Jugendanmut in ihr Grab.

Welch liebes Herz, welch rührende Gemütskraft liegt in dieser stillen Ergebung!

Sie müßte knien mit einem Fuß. Ein leicht Gewand umhüllte sie in sanften Falten. Der obere Teil nur wär' entblößt. Eine Hand zeigte auf den nackten jugendlichen Busen, die andre müßte sich bedeutsam senken. Vom rundgewölbten Nacken aus erhübe sich der zarte Hals, und das kleine von langem Gelock umflossene Haupt richtete sich vorwärts mit einer rührenden Bewegung.

Am meisten macht mir Sorge, ob ich irgend ein Modell bekomme.

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Phaethon an Theodor

Ach, das fühl' ich wohl: ich gedeihe nicht unter diesem Himmel. Hinüber möcht' ich, wo der schöne Lorbeer wie eine heilige Priesterbinde die besonnten Hügel deckt, hinüber, wo der Mandelbaum die Silberblüten wie Flocken Schnees zum blauen Äther sendet, wo sich die Tränenweide traurig an den Ufern in spiegelklare Wasser senkt wie das nasse Aug' in die Tiefen der Vergangenheit, hinüber, wo die volle Frucht der Trauben so schwellend an der Sonne Liebesfülle glüht, wo die Natur in ihrem stillen Geist aus tausend Blumen, tausend Quellen hold wie der Säugling aus der Wiege lächelt, hinüber, wo die Menschen um die warme Erde sich wie Pflanzen schlingen, wo die Natur gleich schön ist, wenn sie durch die sanften Gründe den Bach wie holde Silberstreifen zieht, wie wenn sie aus den hohen Riesenfelsen, wo nur des Adlers kühner Fittich rauscht, die dunkeln Schauer ihres Geistes weht, wie wenn sie hohe schneeumhüllte Gipfel der alten Berge mit dem Rot der Abendsonne wie eines Greisen Haupt mit Rosen überwebt. O hinüber, hinüber! All mein Sehnen, all mein Schmerz würde enden.

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Phaethon an Theodor

Mein Amor ist fertig. Wie ich die Feile aus der Hand gelegt, ach, Theodor, es war ein wunderbar Gefühl! O jene schlaflosen Nächte, wo mir der ewig wiederkehrende Gedanke die Wonne eines süßen Schlummers raubte! Sie sind belohnt, belohnt durch den einzigen Augenblick, wo das Werk, wie durch sich selbst erschaffen, vor meinen Augen stand.

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Phaethon an Theodor

Alles, alles, Theodor, alles ist anders! Meine ganze Seele ist voll von Einem.

Gestern wollt' ich Dir schreiben. Ich konnte nicht.

Was war all mein Wesen bisher? Ein elend unbedeutend Stümperwerk! Wem zulieb hab ich gearbeitet? Hab ich eine Empfindung gehabt, eine, so lang ich lebe, gegen die, die jetzt wie der Äther, der ewige unveränderliche, mich umweht? Alles, alles war nichts!

War mir das Leben bisher mehr als der Diamant, der leuchtet, aber nicht erwärmt? Ach ganz, ganz hat meine Ahnung sich enthüllt! So mußt' es kommen.

Ich träumte wohl schon von solcher Seligkeit, aber das Erwachen war mein größter Schmerz. Und das ist wirklich, wahrhaft!

Sahst Du die Natur, wenn vom heiligen Himmel die düstern Regenwolken wie finstre Träume flohn, und durch das hellzerrissene Gewölke die Sonne wieder brach, die alte ewigschöne, und von den Blättern die Tropfen träufelten wie milde Tränen, und alles, alles übergossen war vom Leben einer Schöne? So denke Dir mein Wesen!

O Gott, Gott! Noch sind meine Augen wie geblendet von all dem, was ich gesehn, was mich umgeben.

Und kann ich's Dir sagen? Ach, kann ich denn dem Augenlosen beschreiben das Bild der Morgensonne, wenn sie sich erhebt über die umschleierten Berge wie eine Braut? Soll ich nicht schweigen wie sie?

Ich will sprechen, Theodor. Ich will sprechen!

Gestern Mittag saß ich vor meinem Bild und sah es an wie die Mutter ihr Kind. Ich hatt' es umkränzt mit frischen Rosen, die mir Johannes gebracht. Ein stiller Geist umwehte mich. Ich schaukelte meine Seele in süßen Träumen auf und ab und dachte mich zurück in die schönen Zeiten der Griechen. Da hört' ich einen Wagen in der Nähe. Ich sprang ans Fenster. Er kam und hielt vor meinem Hüttchen. Ich wußt' es, wer es war. Ich sprang hinaus zur Türe. Meine Seele war umnebelt von einer niegefühlten Ahnung wie die grauen Berge, wann die letzten Schatten der Nacht um ihre Stirne schweben.

Ich stand am Wagen. Ach Theodor, soll ich da nicht eine Lücke lassen? Nur mein Auge könnt' es Dir sagen, wenn Du bei mir wärest.

Eine Frau schwang sich heraus von schlankem hohem Wuchs wie eine Juno. Ein langer weißer Schleier floß wie zarte Luft von ihrem Haupt herunter. Ihr erster Anblick forderte Verehrung. Ihr folgte eine weiße Gestalt. Die Zarte zitterte, und Katon hob sie schüchtern herab.

Gott! Mich überlief's!

Theodor, ich kann's nicht schildern. Erlaß mir alle Worte! Ich kann's nicht schildern. Die höchste Schönheit läßt sich nicht beschreiben; die höchste Schönheit fühlt man nur.

Wer nie noch die Natur gesehen im Morgenglanz ihrer himmlischen Schöne und nun zumal in ihrer höchsten Fülle sie vor sich sieht, die seelenvolle, die alliebende, und trunken in den Äther schaut, den unergründbar tiefen: so, so war mir's, wie ich sie sah vor mir stehn.

Wie der selige Geist aus dem dunkeln Grabe zum Himmel sich hebt, so quoll ihr schwarzes Auge schauernd aus den Wimpern.

Vergleich' ich sie mit der zarten aufschwellenden Rose, die keine Berührung leidet, die ihre glühenden Blätter öffnet wie weiche Mädchenwangen? Ihr ganzes Wesen war wie ein einziger Kuß der Liebe.

Ich stand da, besinnungslos, wie der finsterliebliche Mann die Bebende herabließ; und wie ferne verklingende Akkorde tönten endlich seine Worte: Gräfin Cäcilie und Atalanta, ihre Tochter!

Theodor, diese Schönheit! Dieses holde keusche Lächeln einer unschuldsvollen Wange! Dieses große schwarze Ätherauge in dem reinen blendendweißen Angesicht! Diese weiche Zartheit in der schlanken Gestalt! Es ist alles, alles umsonst. Ich kann's nicht schildern.

Ich weiß nicht, was ich sprach. Mein Blick war starr zur Erde geheftet. Katon schüttelte meine Hand. Ach, und warum mußt' er das tun? Meine Verwirrung ward nur größer. Die Frauen traten in das Hüttchen. Katon folgte mit mir.

Noch hatte sie nichts gesprochen; aber ihre ganze Seele schwamm im Auge wie das Bild des reinen Himmels im klaren Wasser. Sie standen vor dem Bilde. Mein Blick hing feuertrunken an ihr, wie sie da stand vor dem schönen aufquellenden Jüngling, der seine Augen niedersenkte wie überrascht von solcher Schönheit.

Katon saß am Fenster und schien sich zu freuen. Die schöne Cäcilie schwieg lange. Dann sprach sie. Ach, in einem einzigen seelenvollen Blick war all meine Mühe belohnt.

Atalanta schwieg immer noch. Sie hatte ihren Arm gelehnt auf die Schultern Cäciliens, und ihre Locken, dunkel wie ihr Auge, flossen über den weißen Hals. Ihr Köpfchen lag am Busen der höheren Mutter, und ihr Auge ruhte fest auf dem jungen Gotte.

Und einmal blickt' ich sie an, und Fieberhitze brannte durch mein glühendes Auge. Da trifft sie mich. Ich fühlte die ganze unendliche Schönheit ihrer Seele, und eine flammende Röte goß sich über ihre schüchternen Wangen. Lieber, mir wankten die Knie!

Mein Blick fiel auf Katon. Sein Auge irrte unruhig umher und ruhte zuletzt auf dem Mädchen, und ich sah, wie er mich anblickte. Was sollte das bedeuten?

Ich übergeh' alles Folgende. Und wie sollt' ich das Entzücken schildern, das mich überwallte, wie ihre Lippen sich bewegten und sie sprach, und jedes Wort wie ein Lichtstrahl durch die Nacht in meine Seele fiel?

Nur das noch! Wie sie aufstand und vor meinen Homer hintrat, und ich das junge blühende Gesicht neben den saftgrünen Traubenblättern am offenen Fenster sah und neben dem ernsten heiligen Alten, und ihre vollen weichen Mädchenwangen wie zwei Küsse glühten an den bärtigen Wangen des Sängers, und ich fühlte, wie's ihr war in diesem Augenblick, ach, da hätt' ich ihr mögen zu Füßen sinken und meine Seele strömen in die ihre.

Und wie sie endlich mich fragte: Warum krönen Sie ihn nicht auch, den lieben Guten? und ich die Rosen nahm vom Haupte des Eros und sie flocht um die weißen Locken des ruhigen Homeros, wie ich sie dann anblickte und fragte: Ist's recht so? und sie lächelte und dem Alten den Kranz noch tiefer in die Stirne drückt' und wieder schwieg, da, da verstand ich sie ganz, und ihr Blick war wie warme glühende Maiensonne.

Und höre nur! Griechische Worte klangen von ihren Lippen! Die Sprache Homers, herausgewogt aus lächelnden Mädchenwangen!

Katon war in sich gekehrt und ergriff endlich meine Hand und fragte: Wollen wir nicht ins Freie? Mir fiel der Hügel ein an meiner Hütte. Wir stiegen hinauf. Auf dem grünen Rasen droben setzten wir uns unter meiner Eiche. Ich erzählte, wie ich diesen Baum lieb habe, wie er so alt ist und doch noch jeden Frühling wie ein Jüngling blüht, und was ich da genieße und empfinde, wie ich so oft daliege, wenn die Sonne untertaucht, und mein strebender Geist ihr dann folgt und wie in einem Bad im Abendrot sich kühlt.

Cäcilie stand auf und mit ihr Atalanta. Das Mädchen schlang die Arme um die schöne Mutter wie junge Blumenranken um eine schlanke Säule, und liebend sahn sie einander ins Auge und dann wieder hinüber in die Ferne, unendlich wie ihre Liebe.

Sie setzten sich nieder. Katon ward immer stiller. Ein schwärmerisches Feuer glüht' in seinem Auge. O Theodor, wie wir da saßen im Schatten der ehrwürdigen Eiche, die Tochter wie ein liebend Kind an ihre Mutter geschmiegt, und der finstere bärtige Katon, das umlockte Haupt auf seine Arme stützend, und ich zu seiner Seite, vergehend im Anschaun dieser wunderbaren Wesen!

Da sagte Katon: Schön ist's hier auf diesem Hügel, liebe Kinder. Doch ach, es ist noch nicht das Schönste. Er schwieg. Dann seufzt' er: Griechenland!

Ich sah ihm starr ins Auge. Er fuhr fort:

Ja, Griechenland, wo Myrte, Lorbeer und Zypresse wie Schwestern nebeneinander grünen, wo der schönen Flora Kinder um warme volle Hügel sich wie um den Busen eines Mädchens schlingen, wo an den Blumenufern, die die Lilie sanft umblüht, der heitere Fischer ins Gewässer blickt, wo zwischen grauen Säulenkapitälen und altem moosbewachsnem Gestein wie ein trauernder Geist die Wehmut wohnt und die stille Betrachtung, wo um hohe Felsenadern sich der Efeu rankt und die kahlen Gipfel wie ein Eichenblatt der bunte Schmetterling umflattert, wo tausend lodernde Kaskaden wie blaue Bänder über Felsen sprudeln. O Kinder, noch ist mir's, als ob ich stünde auf Akrokorinth, und das ganze schöne Land läge vor meinem Auge wie ein entschleiertes Geheimnis, des hohen Argos Gebirge, Achaia, Sikyon, die Häupter des Riesen Taygetos, im milchweißen Schimmer der Sonne glänzend, der Titane Parthenios, die dunkeln Küsten des waldigen Lakoniens, das kampfberühmte Salamis, Megara und das priesterliche Eleusis, die gewaltigen Scheitel des wilden Kithäron, in dessen Schluchten einst der Labdakide weinte, Athens berühmter Peiräus, der Epidauros und Kalaurea!

O Theodor, alle meine Nerven waren angespannt, und ich sank weinend in den Schoß des Glücklichen, und alles schwand vor meinen Sinnen, was um mich war. Da legt' er seine Hände auf mein Haupt und sagte: Junger lebhafter Schwärmer, auch Du mußt einst nach Griechenland wandeln! Ich fühlte ganz, ganz diese Sehnsucht in seinem Busen, und wie von Berg zu Berg erklang's von seiner Seele zu der meinen.

Da blickt' ich wieder auf. Das schöne Mädchen hatte die zarten Arme auf der Mutter Schoß gestützt, und das Haupt ruhte auf den kleinen Händen, und ich sah sie glühen vom Purpur der Abendsonne wie eine Aurora und mich anlächeln. Theodor, da war mir's, als wäre sie's, was ich geahnt, gewünscht; als hätt' ich nach ihr so oft geweint und mich vergeblich nächtelang gesehnt. Da war aller Mißklang weg aus meiner Seele, und in meinem tiefsten Innern klang's: Nur sie, nur sie!

O, auch sie mußt' es fühlen, wie mir's war in dieser Stunde. Denn sie blickte holderrötend nieder, so oft mein fieberschauernd Auge sie traf.

Die Sonne war hinunter, und Atalanta fragte: Gehn wir nicht nach Hause? Cäcilie lächelte und stand auf. Sie schwebten den Hügel hinunter. Wir Männer folgten.

Nun sprach man erst vom Amor. Cäcilie will ihn haben sobald als möglich, und auch Atalanta blickte mich lieblich bittend an. Morgen läßt sie ihn abholen, und ich gehe mit hinüber.

Erst wie die Gräfin Abschied nahm, faßt' ich sie fester ins Gesicht und sah ihr glühend schwärmerisches Auge. Wie liebt sie ihr zartes Kind, diese lebhaft ahnungsvolle Seele! Sie gingen auf den Wagen zu. Mein Busen klopfte. Ich glaubte, Atalanta kehre sich nimmer um; aber ich durfte sie noch einmal sehen, und mein Auge flog wie ein Pfeil zu ihr hinüber. Ach, wie mir war, als Katon ihr die Hand gab und die Liebliche in den Wagen schwang! Die andern folgten, und der Wagen rollte fort. Ich kehrte schwindelnd zu meiner Hütte.

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Phaethon an Theodor

O Theodor, ich mußte sie sehen, wenn ich nicht zu Grunde gehen sollte.

Es schlief in meinem Innern wie im Stein die Flamme, wie der unsichtbare Keim in der Erde, der warmen allnährenden Mutter.

Heut hab ich einen wunderbaren Tag. Meinen Johannes sah ich nicht seit einigen Tagen. Ich rannte durch die Felder und wußte nichts von all dem, was mich umgab. Dann formt' ich wieder am Ton zu meiner Polyxena. Dann küßt' ich die Rosen an der Stirne Homers, die sie berührt mit ihren Fingern, und lesen mocht ich gar nicht. Ach, und morgen, morgen!

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Phaethon an Theodor

Der Schlaf floh mein Auge. Ich durchwachte die halbe Nacht. Ihre zarte Seele schwebte über mir, lächelte mich an, bebte durch mein ganzes Wesen wie mit einem Kusse. Erst gegen Morgen sank ein leichter Schlummer auf mich herab wie ein zartes Taugewölk. Als ich meine Augen öffnete, war's lichter Tag. Ich hatte mich in seligen Träumen gewiegt.

Schon gestern Abend ward mein Amor hinübergetragen. Ich machte mich nun auch auf den Weg. In einer halben Stunde kam ich an einen waldigen Abhang. Der allein verdeckt das Schloß der Gräfin. Ich säh' es sonst von meinen Fenstern aus. Dort lebt sie, dort, die Zarte, Sinnige. Dieser Gedanke bebte zuckend durch mein Tiefinnerstes. Lange saß ich auf einem abgebrochenen Felsenstück und schaute stumm hinüber, und Gott weiß, was ich mir dachte.

Ich stand vor dem Schloß und wußte nicht, wie ich hinkam. Mir war's, als stünd' ich mitten in der Welt der Griechen. Zwei Gebäude traten mir ins Auge. Zwischen dem Hellgrün schlanker Akazien und wilden hohen Rosengebüschen ragte wie eine Ruine ein altscheinendes Häuschen empor mit roten Steinen, und ringsum trugen graue Säulen des Daches niedre Wölbung. Alte moosumwachsne Marmorblöcke, zerbrochne Architrave lagen unter dem jungen frischen Baumgezweig, und am Eingang vornen stand zu jeder Seite die Statue eines griechischen Weisen. Ihm gegenüber war ein Haus von heitrem schönem Geist; von allen Seiten war es frei, und eine edle rührende Einfalt schien jeden Stein an den andern gefügt zu haben.

Ich fühlte die ganze Bedeutung des wunderbaren Gegensatzes. Das Alter ruhte freundlich neben der Jugend, und die Vergangenheit lag hold der Gegenwart am Busen. Ich ging an der Statue vorbei mit einem geheimen ehrfurchtsvollen Schauer und öffnete eine Tür. Katon stand vor mir.

Grüß Dich Gott! rief er. Wie gefällt es Dir bei uns? Ich wußt' ihm nichts zu antworten und deutete nur mit einem schmerzlich wehmütigen Blick auf die Arabesken, die oben an dem grauen dunkeln Getäfer in seltsamen Gestalten hingen. Da schlangen sich geflügelte Liebesgötter um die Blumen wie Brüder. Hier lag ein schöner Knabe und las die schwellenden Früchte auf, die ein noch schönerer aus einem Füllhorn goß. Da schlang einer ein Band um die Mähne eines Löwen. Und dort schüttelt' ein anderer mit schalkhaftem Lächeln einen Köcher. Wo bin ich, seufzt' ich leise. Katon antwortete: Lieber, Du bist bei uns!

Ach, wie mir's war in dieser Umgebung! Das Licht brach nur in matten Strahlen durch das Akazienlaub am Fenster und warf einen ungewissen halbdunkeln Schein auf die antiken Bilder und die griechischen Inschriften an den dunkeln Wänden. Da schien jeder Hauch mir heilig zu sein, und die Brust schwoll ahnend in Betrachtung all der Fülle von Einfalt und stiller Größe.

Bald ergriff mich Katon an der Hand, führte mich schweigend wieder hinaus und ging mit mir auf das schöne freundliche Gebäude zu. Da wohnt Cäcilie, sagt' er, und Atalanta! Mir war's, als sollt' ich in das Heiligtum der Ordnung und der Schönheit treten. Den Eingang zierten ein Paar schlanke Säulen. Ein verwelkter Kranz lag an der Vase der einen. Mit jedem Tritte ward ich feierlicher gestimmt.

Da standen wir vor einer weißen Türe. Katon öffnete sie, und – mir raubte das Entzücken alle Sinne – Atalanten sah mein Auge.

Geist und Gemüt wie entzückte liebende sich umarmende Kinder wirbelten hinan, küßten sich, verloren sich wie blaue fromme himmeltrunkene Augen in unermeßlichen Fernen.

Sie saß am Fenster. Ihr Köpfchen lag auf den nackten Armen. Ihre Locken flossen wie Wellen über den Nacken. Ein weißes Gewand umschwebte wie eine dünne Wolke die schönen jungen Glieder. Zu ihren Füßen stand ein Korb mit frischen Blumen und Früchten. Sie sah sich um und erblickte mich. Theodor, dieses Engelsauge, das lieblich überrascht auf den jungen Busen sich senkte, und die sanften Worte, die wie Lautenklänge sich schmeichelnd in meine Sinne drängten, und das schüchterne Erröten der Jungfrau auf den vollen Jugendwangen! Und ich sah das und hielt's aus?

Die Mutter will ich rufen, sagte sie verschämt und eilte schnell und leicht wie Artemis durch eine Türe.

Cäcilie kam und brachte die Tochter wieder mit. Katon bot mir einen Sitz.

Saß ich nicht wie unter den Uranionen? Durch die hohen Bogenfenster lag das weite Tal vor uns mit seinen Dörfern und den hellen Gründen und den niedern Hügeln, und der trunkne Blick drang wie über die Schranken der Gegenwart über die fernen Berge hinüber. Ach, und wenn ich so hinausstarrte und dann wieder zurücksah auf die schönen Wesen, die mich umgaben wie unsterbliche Götter, und ich Atalanten ins Auge blickte, und sie lächelnd den Korb mit Früchten mir reichte, und ich einige nahm davon, frisch und jugendlich wie ihre Wangen, und sie zum Munde führte, da fühlt' ich, wie ich ewig, ewig sie im Busen trage müsse.

Katon schlug vor, in den Garten zu gehen. Atalanta band die langen Locken auf dem Nacken zusammen mit einer blaßroten Schleife und nahm die Mutter an der Hand und sagte: Ja, Mutter, wir wollen gehen! Es ist schön im Garten jetzt!

Wir gingen an Katons wunderbarem Säulenhause vorüber. Ich mußte rückwärts blicken, und das jugendliche Schlößchen mit den großen Bogenfenstern gegenüber von dem alten, so ehrwürdig aus den Trümmern sich erhebenden Gebäude kam mir vor wie die schüchterne blühende Tochter vor dem grauen alten Vater.

Plötzlich stand ich wie in einer Welt voll Wunder. Eine kleine Wiese mit weißen Lilien hatten wir noch vorbei zu wandeln. Dann umfing uns ein wildes Rosengebüsch; aus dessen Mitte ragten wie graue Geister drei schlanke Säulen, die eine niedrer als die andre, und auf dem grünen Boden lagen Architrave mit ihren Stäben und Platten, von grünem Efeu umschlungen. Katons Mausoleum – so nannt' er mir sein Haus – lag tief versteckt von hohen Maulbeerbäumen.

Jetzt ergriff der wunderbare Mann mich an der Hand. Wir gingen auf eine grüne Anhöhe zu. Ein kleines Wäldchen von Orangen wölbte sich vor uns. Atalanta flog hinauf. Die schönen braunen Locken flatterten in den Lüften. Ein Meer von Wohlgerüchen strömt' auf uns. Da erblickt' ich einen kleinen Tempel auf der Höhe. Mein Aug' erkannte zwei Gestalten droben. Da klopfte, da schlug mein Busen! Atalanta war's, die Liebliche, und die andre war mein Amor.

Katon! stammelt' ich und weiter nichts. Er lächelte mich an. Drei Marmortreppen führten zu der Statue. Das niedre Tempeldach war nur getragen von sechs Säulen, und am Portale stand geschrieben: Der Liebe!

Mit Staunen blieb ich stehn vor meinem Bild. Ein Kranz von frischen grünen Akazien, Veilchen und Rosen wand sich um seine Schläfe. Er sah gegen Morgen.

Wir saßen auf dem Rasen. Drunten lag ein spiegelklarer See, von dunkeln Trauerweiden, Tannen und von kleinen weißen Bildern umgeben. An seinen Ufern schaukelten die Winde einen angebundnen Kahn in den Silberwellen. Drüber hinein lag das Waldgebirg und die Burg.

Und lange schwiegen alle. Atalanta sah aus die Blumen zu ihren Füßen. Ihr weißer Hals war zart gebogen wie ein schlanker Zweig. Die Weste spielten mit ihren losgewundenen Locken.

Da blickte Cäcilie die gekrönte Statue an und dann mich mit ihrem lichten Feuerauge und sagte: Warum krönen wir immer die Götter und nicht auch die Menschen? Ich fühlt' es, was sie wollte. Meine glühende Röte verriet mich. Doch schnell wie ein junger Baumsproß war ich aufrecht und nahm den Kranz vom Haupt des Gottes und drückt' ihn zitternd Atalanten in die Locken.

Ach, wie sie sich sträubte, die Bescheidene! Und wie, feuriger glühend als die Rosen ans ihrem Haupte, ein Hochrot ihr im schönen Antlitz brannte, und das große keusche Auge unter den grünen Zweigen dunkelschauernd sich bewegte und das meinige traf, und sichtbar das blaue Band erbebte vom Drang, der ihren zarten Busen schwellte, und meine zitternde Hand zum erstenmal ihr Haupt berührte – Lieber! – und von der Berührung alle meine Nerven in einem Wirbel bebten! Ach, warum bin ich ihr da nicht in den Schoß gesunken? Warum Hab ich da nicht meine stammenden Lippen auf die ihrigen gedrückt und ausgeweint mein unendlich Gefühl an ihrem Busen?

Katons und Cäciliens Auge ruhte mit Wonne auf dem schönen Mädchen, und wie sie sich auch weigerte, sie mußte den Kranz auf dem Haupte dulden.

Ach, Theodor, es war ein goldner Tag! Auch Katon speiste diesmal im Schlosse. Der Sonderling ißt sonst allein in seinem Mausoleum. Und sie! Welch eine Seele! Welch eine Fülle! Welch eine Unendlichkeit ihrer Gemütskraft! O, es wandeln noch Abbilder der höchsten Schönheit aus der Erde. Ich Armer glaubte, der alte Weise hab' übers Morgenrot hinausgeblickt.

Am Abend gingen wir allein im Garten auf und ab, ich und Atalanta. Es war schön, unendlich schön! Die Natur lächelt' uns an wie eine Mutter ihre lieben Kinder. Aus jedem Blättchen, jeder Blume, jedem Duell, aus jedem Grashalm sprach's: Die Welt ist schön! Mein ganzes Wesen war erfrischt wie die Wiese nach einem warmen Regen. Sie ging neben mir, die Schöne, Heilige, und öffnete keine Lippe, als wollte sie kein leises Säuseln in den Blumen überhören. Ihr Angesicht war wie ein sichtbar gewordener, gestalteter, Herz und Geist durchschauernder Klang. Ihr Busen schwoll der Natur entgegen wie eine Schwester der andern, und aus ihren Wangen wehte die Vorwonne eines großen heiligen Kusses. O dieser Augenblick! Keine Äonen wiegen ihn aus!

Alles, alles sprach zu unsern Herzen. Wie ein Säuseln des alliebenden Vaters klang jeder verwehende Windhauch. Ich hatte keinen Sinn mehr für alles. Ich dachte nur, was sie fühlte.

O Natur! sprach sie endlich, du Mutter mit deinen Blumen und Kindern! Allheilige! Welch ein Bewegen und Schwellen! Welch ein Säuseln und Rauschen! Welch ein Wogen und Wiegen um und um! Liebe aus Allem! Liebe aus allen Kindern für sie, die Mutter! Liebe im Wasser! Liebe im Licht, wenn sie wallend sich küssen! Liebe aller Blumen und Kräuter, alles Lebendigen! Und Eins doch Alles! Er, der wandellose, alles durchquillende Geist! Alles in ihm! Und er in Allem! Gott!

Ich weinte, hatte keine Worte, sah ihr ins Auge.

Ein klares Gewässer sprang aus moosbewachsnem Tuffgestein und sprudelte wie eine dünne Säule übers wankende Gesträuch und wallte dann durch Ranunkel dahin. Die Kiesel, die er mit sanftem Quillen überhüpfte, blickten durch die Wasser wie Atalantas Seele durch ihr klares Auge.

Setzen wir uns nicht da nieder? sprach ich unwillkürlich und erschrak, wie mir's einfiel, ich habe die heilige Stille unterbrochen. Sie lispelte: Ja! und senkte nieder sich aufs Gras und stützte ihr niedlich Füßchen auf einen Stein, der aus den Wassern sich erhob.

Wie oft saß ich als Knabe so an den Ufern eines Baches! sprach ich und schaute zu, wie eine Welle nur die andre schiebt, wie alle, alle fort und immer fort sich drängen und endlich gar verschwinden und nie, nie mehr zurückkehren. O, da stampft' ich den Boden in meiner kindischen Wut und weinte bittre Tränen, wenn ich rief, sie sollen stehen bleiben, und die Wellen mir nicht gehorchten. Es ist schrecklich, daß die Stunden unsers Glückes eilen wie diese Wassertropfen!

Atalanta blickte mich an. Mir schien's, als taut' ihr eine Trän' im Auge. Sie brach eine Rose und warf sie hinunter in den Bach. Schwimme hinunter! rief sie. Du Blume, Bild der Jugend!

Da warf auch ich eine Rose hinein und rief: So schwimmt miteinander hinunter, ihr Blumen, Bilder der Jugend! O, es ist süß, unendlich süß, wenn Eines mit dem Andern fühlt, und das Leiden an zwei Herzen schlägt wie an zwei Ufer die Welle!

Atalanta ward rot und blickte zur Seite. Ist Phaethon nicht glücklich? seufzte sie endlich und blickte mich dabei an mit einem solchen Auge voll Schmerz und Liebe, daß ich glaubt', ich säh' in einen offenen Himmel.

Er ist es nicht, Atalanta! rief ich und blickt' in den Bach. Phaethon ist nicht glücklich!

Sollt' es möglich sein? sagte sie. Die Welt ist so schön!

Ach, aber allein darin zu sein?

Allein, Phaethon? fragte sie und sah mich mit großen Augen an. Allein? Ist's nicht Undank? Wie lebt's und webt's in diesem Augenblick um uns! Das klare rege Wasser, die lieben Blumen, die wachsen und vergehn wie wir und lieben wie wir. Die Blätter auf den Bäumen, sie leben, und die Keime schwellen daraus und entfalten uns die lieblichen Früchte. Die Vögel in den Lüften, auf den Zweigen, die Fische im Wasser, selbst die Mücken, die uns umsummen, und die Grillen, die neben uns singen, und die Winde, die uns schmeichelnd die brennenden Lippen kühlen! Und aus all dem jene ewige Liebe, jenes ewige Leben und Glühen, jenes Werden und Sein, jene Fülle von Licht, wie ausgesprochen sein Name, der Name des Höchsten, Unerschaffenen, der Geist des Lebens und der Liebe! Phaethon, wir sollten allein sein?

O Theodor, ich fühlt' es, wie sie recht habe, wie mich hingerissen mein namenloser Schmerz; ergriff ihre Hand, benetzte sie mit meinen Tränen und rief: Vergib mir, Atalanta! Mich hat mein Sehnen übermannt. Ich glaubte mich ungeliebt!

Das ist kein Mensch! sagte sie und zog ihre Hand sanft aus der meinen und stand auf. Ich folgt' ihr stumm.

Seitdem ist sie mir noch heiliger. Meine Worte meß' ich ab vor ihr wie vor einem göttlichen Wesen, zu dem man betet.

Was will noch werden aus all dem?

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Phaethon an Theodor

Alles, was ich tue, Theodor, das bezieh' ich nur auf sie, und ohne sie kann ich nichts denken.

Sonst hab ich Wald und Tal und Berg und Wiese durchwandert und mir weiter nichts dabei gedacht. Jetzt rauscht's in jedem Blättchen: Atalanta! In jeder Quelle: Sie!

Ich rase nicht, mein Lieber! Nicht wild und krampfhaft ist mein Gefühl. Ach, es umspielt mich leise, zärtlich liebend, und kühlt mir wie eine frische Quelle meinen brennenden Busen.

Ich weiß es, ich fühl' es: die Theorien der weisen Diotima im Symposion des göttlichen Platon sind das beseligendste Geheimnis.

Zwischen drei Welten schaukl' ich mich herum. Mit allen Bildern, zarten wie herben, schwebt mir die Vergangenheit am innern Gesicht vorüber. In der Gegenwart treib' ich mich so fort, und ahnungsvoll dämmern mir der Zukunft Bilder wie ferner Berge Nebelgestalten im magischen Spiele des Mondlichts.

Mein letzter Gedanke, meine letzte Empfindung, die durch meine Seele schwebt, eh Geist und Körper wie ein Wiegenlied der Schlummer einlullt, knüpft sich an die Erscheinung lieblich bedeutsamer Träume, und diese wieder an die erste Regung, die beim Erwachen wie der Morgenstrahl durchs Fenster durch die Seele zittert.

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Phaethon an Theodor

Fast jeden Abend bin ich drüben. Ich bin schon halb zu Haus im Garten und im Schlößchen; nur in Katons Mausoleum nicht. Wenn ich einmal nicht hinübergehe des Abends, dann sitz' ich stundenlang in meinem Zimmer, lege mein Gesicht auf meinen Arm und höre meinem Pulse zu, und jeder seiner Schläge wallt für sie. Oder ich geh' auch auf den Hügel und setze mich an die Stelle, wo sie einst saß, und sehe die Sonne hinunter wandeln und strecke meine Arme aus nach ihr, als wollt' ich sie umfassen.

Und des Nachts träum' ich von ihr. Da halten wir uns in Armen wie unschuldige Kinder und sitzen auf einer Wiese unter schattigen Bäumen. Wir pflücken uns Blumen, und ich steck' ihr eine Rose an den Busen und drück' ihr dann einen Kuß auf den keuschen lieblichen Mund, und wir lächeln uns dann wieder an und liegen einander wieder an der Brust. Ach, und wenn ich dann erwach' und glaube, ich habe sie in meinen Armen: und es war nur ein Traum!

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Phaethon an Theodor

Du mahnst mich an, auch zu arbeiten. Lieber, das tu' ich. Ich gehe ja erst des Abends hinüber, und das nicht einmal jeden Tag.

Meine Polyxena ist längst skizziert. Ich habe sie schon vor einigen Tagen angefangen, in Ton zu arbeiten. Da sie kniet, wird ihre Höhe nicht beträchtlich.

Mit einer Hand hebt sie das Gewand unterm Busen. Der Faltenwurf und überhaupt die Stellung macht mir Mühe. Am meisten aber noch macht mich das Haupt verlegen. Die Skizze schon hat Ähnlichkeit mit Atalanta.

Ach, Theodor, ich kann mir sie nicht anders denken! Atalanta wird erröten, und sollt' ich's nicht noch mehr?

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Phaethon an Theodor

O, im Freien ist mir so schmerzlich wohl. Und ist's nicht natürlich? Du reine heilige Luft, du umsäuselst mich ja, ewige, endlose! In deinen Armen ruhet die Erde wie der Säugling im Schoß der Mutter! Du küssest die jähen Riesenstirnen einer Felswand wie das bescheidene Blümchen, das um eine Quelle wankt. Du bist's, die tausendjährige Eichenstämme mit starkem Arm an ihrer Krone faßt und aus der Wurzel die gewaltigen wirbelt; du bist es, die in kindisch-heiterm Spiel um eines Mädchens Locken wie um eine volle Rose weht! Mutter, alliebende, du kühlst mir wie das Flüstern einer fernen Ahnung oft die heiße Stirne und legst dich schmeichelnd an meinen glühenden Busen. Nach dir dürsten alle Wesen, du Allernährende! Ach, und sie hast du liebend schon umfangen, als sie, ein harmlos lächelnd Kind, an ihrer Mutter Brüsten lag und in der Wiege mit farbigen Blumen spielte. Und jetzt noch küssest du die vollen Wangen der Jungfrau, und sie errötet nicht, denn deine Lippen sind keusch. Du Reine, du bist ja die erste, die den Menschen mit freundlichen Armen umfaßt, wenn er eintritt in die Welt, und du bist's, die den letzten verklingenden Seufzer von seinen Lippen nimmt, Göttliche, Anbetungswürdige!

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Phaethon an Theodor

Was sind das für wunderbare Menschen! Unbegreiflicher werden sie mir jeden Tag. Ich komme mir so klein vor unter diesen dreien. Und doch ist Katon der Rätselhafteste. Er schweigt schon lange von seinem Griechenland und nannte nicht einmal den Namen. O, es ist eine Wonne, zu stehen vor dieser erhabenen Gestalt! Diese dunkeln verglühenden Augen und der verbissene Schmerz darin, diese ernsten Falten in der gewölbten umlockten Stirne, dieser finstere Bart, aus dem die schönen Lippen lächeln wie der Mond durch ein krauses Wölkchen, dieser stolze Hals auf den breiten Mannesschultern! Und sein seltsam unerklärbares Betragen gegen Atalanta! Ich sah's schon, wie er vor ihr stand, und die Schöne, Liebliche an ihm hinaufblickte. Da glühte sein Auge und drehte sich schmerzlich in den großen umbuschten Bögen. Dann legt' er seine Hand auf die Stirn und kehrte sich um.

Schon etlichemal wollt' ich spät abends noch zu ihm und fand ihn nicht. Cäcilie schüttelte geheimnisvoll das Haupt, wie ich sie fragte, wo ich ihn finden könne. Ich weiß nicht, was das ist. Aber gewiß ist's: diese Männerbrust trägt einen fürchterlichen Schmerz.

Und warum hab' ich ihn nicht schon gebeten, mir alles, was er trage, zu gestehen? Ach, Theodor, ein einziger Blick des Hohen weist mich zurück.

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Phaethon an Theodor

O wenn ich ihr so nahe wäre, so nahe, daß ich ihr um den Hals fallen könnte!

Ach, was ist's mit all unsern Wünschen? Wir wünschen nur, daß uns das bißchen, das wir haben, auch entleide. Und warum bin ich denn nicht zufrieden, so um sie zu sein, wie ich bin? Ist denn das nicht genug? Was fordert dieses Herz noch?

Wie geläutert ist mein ganzes Wesen in ihrer Nähe. Und wenn ich sie einmal von ungefähr berühre, da zuckt es wie ein Blitz durchs Innre, und ich fahre zusammen und blicke sie an, als wollt' ich um Vergebung flehen.

Ich mag gehn, wohin ich will, sie wandelt mir zur Seite wie mein Genius. Lieber, ich könnt' ihr nimmer vors Auge treten, hätt' ich etwas Schändliches begangen. Ihre Augen können aus mir machen, was sie wollen.

O Theodor, wie viele meiner Brüder gehn verloren durch schwelgerischen Sinnengenuß! Die Wollust weht durch ihre Seele wie der Hauch versengender Winde und verzehrt die edle Kraft. Brüder, der Inbegriff Kunst, füllt er nicht Euer Innerstes an mit seiner Heiligkeit Fülle? Und Euer Auge, das befleckte, glaubt Ihr, es werd' anschauen dürfen die Schönheit, wenn sie herabsteigt vom Himmel in ihrer Klarheit in den Stunden der Ahnung, und die Fülle des Gesichts wie ein Lichtmeer den heilig-bebenden umwallt? In Eurem Busen schlägt die Stimme Gottes, wie sie schlägt im Busen eines Künstlers? Ihr wollt mit unheiligen Händen den Schleier lüften vom Bilde der Isis und schaun die Urbilder, wie sie weben in Gott in wandelloser Schöne? Ihr Unreinen wolltet Priester sein der heiligen Kunst, die eine Verkündigerin ist der göttlichen Vollkommenheit? Nicht der geübte Meißel macht den Künstler. Der Drang von innen, der erklingt wie eine Stimme von Gott, die heilig schaffende Kraft im vollen Busen, die brünstige Liebe des Ewigen und die geheimnisvolle Anschauung der Gottheit in ihrer Reinheit und Größe! Wißt Ihr nichts von dem, so ist Eure Kunst nur ein Handwerk. Umsonst ist's dann, wenn ein Abbild Euch erscheint der unendlichen vollendeten Schönheit. Entheiligt ist Euer Auge; erloschen seine Kraft, und Ihr könnt das Göttliche nimmer erkennen im Menschlichen.

Und ich kann das, Theodor! Ich sag' es Dir in heißen Tränen: Ich kann das! Mein Busen ist keusch! Das Göttliche flieht mich nicht.

Atalanta, Du Schöne, Du reines unschuldiges keusches Kind, welch ein namenloses Etwas quillt mir aus Deinem Anschaun!

Kraft mit Kraft, Auge mit Auge, Liebe mit Liebe, Geist mit Geist, hinüberschwimmend, verloren in lauter Tiefe, in lauter Seele, lauter Himmel, zuckend und zitternd in Einem wie Kuß und Kuß, in einander lodernd wie Feuer und Feuer ... Bruder!

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Phaethon an Theodor

Ich habe die Sakontala mit ihr gelesen. Theodor, zu sehen, wie die Tochter Kauschikas und der himmlischen Nymphe Menaka gleich einem jungen Blatte, das noch keine Hand berührte, gleich einem Diamanten, der ungefeilt in seinem Urlicht schimmert, die Liebliche, unter ihren Blumen wandelt, den zarten Schwestern ihrer Jugend, und unter den Gespielen, mit ihr zu Lieb und Blumenpflege verbunden, wann der blasse Mond noch über den weißen duftigen Bergen schwebt, die Morgenwolken wie junge Mädchenlippen im Osten dämmern, die Blumen der Nacht sich schließen und der Pfau ins Tal herunterflattert von den dunkeln felsenhohen Gesträuchen; wie der Nachkomme Purus, der feurige Duschmanka, das Mädchen mit dem Gazellenauge schaut und glüht in Lieb' und Verlangen, und auch sie, die Zarte, dem schönen Drang des Herzens folgt; zu sehen, wie die holde Kranke, den balsamischen Ustra auf dem Busen und das Band von den Fasern der Wasserlilienstengel an den Armen, den Schwestern schüchtern ihr Gefühl gesteht, und die Liebenden zusammenfließen in einer Umarmung, und die Hand des Mädchens wieder blüht wie ein junger Kamalatasprosse; wie die Schwangere nun da steht mit ihrer Morgengabe, und um sie die glückwünschende Schar der heiligen Frauen mit Körben geweihten Kornes, und sie unter Kannas Segen zum Palast des Bräutigams wandelt; ach, wie nun so plötzlich der Baum ihrer Hoffnung bricht, weil sie den Ring verlor im Teich, und der Fluch Durwasas waltet über dem Königshaus, und ihr Herr sich nimmer erinnert der jugendlichen Geliebten; wie's ihm nun klar wird zumal, seine Seele sich füllt mit Verzweiflung, und auf die Mauerhöhe, wo kaum blauhalsige Tauben flattern, der Führer tritt von Indras Wagen, und der König über regenschwere Wolken fährt, und helle Tropfen umher der Umkreis stiebt der Räder; wie aus dem Gebirge der Knabe den Löwen schleppt, seine Mähne zerzausend, und Duschmanka den unbändigen Knaben liebt; ach, und wie die trauernde Sakontala naht und wieder findet, die Junge, den Sohn ihres Herrn, der sie noch liebt, und das verbundene Paar sich umarmt vor dem Throne Kasyapas und Aditis! Tausendmal stockte mir die Stimme, wie ich's las. Ich blickte Atalanten an, drückt' ihre Hand ...

Ihr Auge voll Geist und Seele weinte wie die liebende Sakontala, die zarte Blume des Ostens.

O, so ganz ein Gluthauch der Liebe, dieses Lied! Eine Anmut, ein Lächeln und Weinen wie in einem Auge, so selig und traurig, so voll von Gottheit, so ganz ein Kuß ist dieses Lied!

Zart ist die Seele des Mädchens und tief wie die Seele ihrer Blumen! Ach, und es scheint, als ob sie ihre Keime nur zur farbigen Blüt' entfalte, um zu duften und zu – sterben unter den Schauern der Winde.

Du holde weiche Seele, Du Busenkind Deiner Natur, Du stirbst ja nur, um zu leben, und aus dem Tode quillt Dir ein edler Dasein wie aus der Blüte die Fülle reifer Früchte!

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Phaethon an Theodor

Bruder, ich bin glücklich, überschwänglich glücklich! Rettung, Rettung! ruft der Gott in meinem Innern.

O, die Worte fließen mir zusammen, die ich schreibe, vor meinen nassen Augen. Was ist all mein Leiden gegen dieses Glück?

Ich ging heut Abend hinüber. Es war, als triebe mich eine Ahnung dessen, was mir begegnen werde. Meine Seele war voll Licht, und das letzte schmerzliche Gefühl entschwebte wie die Wolke über die sonnige Wiese.

Katon lag auf einem alten grauen Stein vor seinem Mausoleum und spielte mit einem frischgebrochnen Zweig in seinen Händen. Lange bemerkt' er mich nicht. Da bückt' ich mich über ihn hinein und sagte: Guten Abend!

Bist Du's? rief er heiter und zog mich auf den Marmor.

Und wie wir so eine Zeitlang gegeneinander saßen, da faßt' er mich ins Gesicht und sagte: Phaethon, ziehe zu uns herüber!

Katon! stammelt' ich betroffen.

Du hast noch Platz im Hause der Gräfin! fuhr er fort. Wir richten Dir ein Zimmer ein, dem Dorfe gegenüber, und Du vollendest hier Deine Polyxena.

Ich konnte nichts hervorbringen. Schweigend drückt' ich ihm die Hand.

Cäcilie wünscht, versetzt' er, daß Du für sie Deine Polyxena bildest und Atalanta ...

Ich bebte.

Und Atalantas Züge seh' ich ja doch in Deiner Phrygerin. Du möchtest wohl, daß sie Dir stehe?

Katon! Katon! rief ich schluchzend und lag ihm weinend an der Brust.

Er aber sah mich an mit ernster Miene und sprach: Nicht diese Leidenschaft, wilder Jüngling!

Dein inneres Treiben ist mir nicht verborgen. Auch ich war einst jung; aber ich ward gebrochen in meiner Jugend wie der Zweig in meinen Händen. Möchtest Du glücklicher sein!

Und hier seufzt' er, als ob die Brust ihm hätte zerspringen wollen. Auch er, dacht' ich, auch er, der starke feste Mann? Freund, sahst Du schon Felsen zittern, die, in die Erde tief gewurzelt, das kühne Riesenhaupt zum Himmel strecken?

Und willst Du? fragt' er endlich. O Gott, ich will! Ich will! war das Einzige, was ich sagen konnte. So wollen wir zu Cäcilie gehen! sagt' er freundlich. Wir gingen. Mein Herz klopfte. Ich wagte kein Wort zu sprechen. Katon rief: Er will! Er zieht zu uns!

O Himmel! Und wie nun die Mutter mich bat, gleich in den nächsten Tagen zu kommen, und Katon sagte: Atalanta, Du mußt ihm die Züge leihen zu seiner Polyxena! und die Holde verschämt zur Erde blickte und schwieg!

Mein Glück ist vollendet. Ich habe mein Ziel gefunden und wandle unter Gestalten, wie kaum ein kühner Traum sie mir gezeigt. Gott! Gott! Den ganzen Abend jauchz' ich.

Dein Freund ist glücklich, wie die Götter es sind! Wie geflügelt ist meine Seele! Und ich glaube, der Sonnengott sei mein Vater, und ich tauche selig meine Finger in sein Morgenrot.

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Phaethon an Theodor

Ich hab' alles schon zusammengeräumt. Johannes half mir. Es tut mir weh, zu scheiden von diesem Menschen. Aber es ist umsonst. Kann der Glückliche länger verweilen bei den Armen, die um ihn weinen, wenn er hinüber schon blickt in das Leben, wo man glücklich ist, ganz glücklich! Ach, er drückt den Zurückbleibenden die Hand und küßt ihre Lippen und scheidet.

Ich komme nicht zur Besinnung diese Tage. Katon war gestern hier und drang darauf, daß ich morgen schon hinüberkomme. Es geschieht.

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Phaethon an Theodor

Ich hab Abschied genommen von der lieben Hütte, die mich geborgen, und nicht einmal die Trauben darf ich genießen, die um mein Fenster blühten! Hinüber! Hinüber! O Gott, dieses hinüber!

Mein ganzer Haushalt ist fortgebracht. Ich blieb bis zum Abend im Dorf und schied mit Tränen. Meinen Johannes bat ich, recht oft mich zu besuchen.

Und nun bin ich unter den wunderbaren Dreien. Meine Werkstatt ist geräumig. Der Eingang ist gerade Katons Mausoleum gegenüber. Das Licht kommt von oben, und das ist ja dem Künstler nötig.

All das ist so schnell erfolgt aufeinander, daß ich's kaum zu erfassen vermag mit einem Gedanken.

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Phaethon an Theodor

Theodor, ach tausend kleine Wonnen knüpfen sich wie Blumen zu einem Kranze zusammen zu einer großen allbeseligenden Wonne! Und kann ich sagen, meine Brust ist reif, zu tragen diese Fülle wie der Baum die Früchte? Mein Leben ist ein göttlicher Genuß.

Laßt mich nur schwelgen! Ich kann, ich mag kein Maß halten. Ganz, ganz will ich glücklich sein, bis auf den Grund hinunterstrudeln den schäumenden Becher, und wenn ich dann taumle und mich verliere, und mein Dasein mir zum Traume wird, ach, dann, dann wird mir einmal wohl werden. Aber das begreift Ihr nicht!

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Phaethon an Theodor

Ich lebe wie unter den alten Griechen. Denke Dir, schildre Dir mein Entzücken! Atalanta ist mir zum ersten Male gestanden.

Ich wartete lang auf sie. Der Busen schlug mir heftig, und meine Hand zitterte. Vor dem Bilde war ein roter Teppich ausgebreitet. Jetzt ging die Tür auf, Cäcilie trat mit Atalanta herein. Da ist sie! sagte die Mutter und ließ die Hand der Tochter fallen. Die Holde ward rot.

Durch ihre braunen Locken flochten sich ein paar glühende Rosen; ein blendendweiß Gewand umhüllte die schlanke Gestalt und umschwebte mit dünnem Flor den jugendlichen Busen wie Wölkchen den rundlich vollen Mond.

O Lieber, wie sie da stand und auf den Boden blickt' und dann wieder auf zum Himmel, die Schöne, Göttliche! Wie sie endlich niederkniete auf den Teppich, und das Gewand in langen reichen Falten über das gebogene Knie hinunterwallte! Wie sie die schöne zitternde Hand auf den Busen legte und mich anschaute so lieblich schmerzlich, als wollte sie sagen: Warum forderst Du das von mir? O wandle von Stern zu Stern, und Du findest doch nichts, das erhabener wäre!

Ich verlor mich besinnungslos in die Schöne des knieenden Mädchens, und wie sie dann die Augen aufhob und sah meine Verwirrung und daß ich sie nur anblickte, ohne zu arbeiten, da flog ein glühend Rosenlicht über ihre Wangen, und ihr Auge sah so wunderbar trunken empor, als fühlte sie selbst, wie schön sie sei.

Eine unendlich süße Begeisterung schwebte zuletzt wie befruchtender Tau in meine Seele, und ich arbeitete trunken, wie in einem Schwindel, fort und fort.

Und hundertmal fragt' ich : Ist Atalanta müde? Dann antwortete sie lächelnd: Nein!

Großer Peleione, wenn deine Phrygerin so schön wie Atalanta war, begreif' ich, wie Du wieder aus dem Grabe steigen mochtest.

Und wie ich sie endlich wieder fragte, lispelten ihre Lippen: Ein wenig! Und ich flog auf sie zu und hob sie zitternd vom Teppich auf.

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Phaethon an Theodor

Jeden Abend geh' ich zu Bette mit dem Vorsatz, ihr morgen um den Hals zu fallen. Und wenn ich dann am folgenden Tag vor ihr stehe, und wir allein sind, und mich's mit unwiderstehlichem Drang an ihre Brust zieht, da verschüchtert mich ein einziger Blick aus dem schwarzen Auge, und ein unbekanntes Etwas hält mich zurück.

Und kann ich denn keine Blume blühen sehen in ihrer Unschuld an der warmen Erde? Muß ich sie denn brechen? Anbeten sollst du das Heilige! Berühren darfst du es nicht!

Und heilig ist die Jungfrau, die reine, die keusche, weich und zart wie ungeküßte Blumen, nach Leib und Seele, o Gott, das schöne Bild Deines keuschen Geistes, Deiner klaren milchweißen Sonnen: ein Licht, eine Seele, eine lächelnde Unschuld, geweiht und umwallt von zarter Scham wie von einem unerklärbaren Geiste!

Wandelte nicht nächtlich der liebe Mond über meinem Haupt und küßt mir liebend meine Lippen mit seinem bescheidenen Lichte, und ist mir's je eingefallen, zu langen nach ihm?

So denk' ich im Augenblick; aber nachher reut mich's doch wieder.

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Phaethon an Theodor

Oft an heiterm Vormittage drängt mich's, mein Zimmer zu verlassen, und ich wandle dann hinaus ins Freie. Ach welch ein Gefühl, zu irren durch die stillen Wiesen und Gründe, wenn alles so still ist umher, und nur selten ein Mensch geschäftig seinen Weg vorüberwandelt! Da leg' ich mich dann am Fuß eines kleinen Abhangs nieder mit einem Buche. Theodor, wenn ich dann aufschau' und hinüberblick' über die schweigenden Dörfer, und die liebe Sonne bald ins Gewölke sich hüllt, bald in all ihrem Lichte wieder heraustritt, und zu meinen Füßen eine Quelle mit tiefbescheidenem Rieseln durch die Gräser sprudelt; wenn's dann immer stiller wird und feierlicher, nur hie und da ein reifer Apfel vom beladnen Aste tönend auf den Boden fällt, oder ferne Stimmen erklingen und wechselnd sich antworten; wenn dann mein ganzer Busen sich füllt, und ich fühle das geheime glühende Leben; wenn Hügel und Berge, Quellen und Wiesen, Bäume, Blumen und Gräser bis ins Tiefste wie von einem Geiste der Fülle und Ruhe beseelt sind; wenn dann die Erinnerungen aus den Tagen meiner Kindheit wie blasse Wolkenbilder in heiligem Schweigen heranschweben, mich linder und süßer umwallen, und alle jene Wünsche meines Innern sich erneuern, jene Träume von Glück und seliger Zufriedenheit; wenn die Welt wieder vor mir steht, wie ich sie damals mir geschaffen, und meine Brust anschwillt, und es klingt wie eine Ahnung: Du wirst noch glücklich werden! – Bruder, wenn dann mein Buch mir aus der Hand fällt, und mein Auge verschwimmt in den grundlosen Äther: Heilige, heilige Natur! Mutter! Allbeseelte! Deine ewige Wärme fühl' ich, Deine Ruhe, und ich komme mir vor, wenn ich unter den Gräsern und Blumen sitze, als sei auch ich Dein Kind und Dein – liebstes Kind!

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Phaethon an Theodor

Ich schwimme wie ein Stern im Äther in einem ungemessenen Meer von Wonne. Wir sind Eins. Ich und Atalanta sind Eins.

Ich stieg heut Abend mit Atalanta den kleinen Hügel hinan zum Tempel des Eros. Ich war voll von Platons Ideen. Wie ein Lichtquell von oben bebte das Geheimnis seiner Schönheit durch meine Seele. Seine Worte waren mir wie Gesichte geworden. Ich empfand anbetend die Fülle ihrer Göttlichkeit, aber nur ahnen konnt' ich sie und empfinden. Unter den Orangen setzten wir uns nieder. Die vollen goldnen Früchte blickten wie Häupter junger Liebesgötter aus dem dunkeln Laub, und balsamische Düfte quollen wie Weihrauch aus tausend Blumen und Kräutern.

Da saß sie nun neben mir, die Liebliche, wie die junge Göttin der Liebe unter ihren Blumen, und die blühenden schlangen sich liebend um ihr Gewand und küßten ihre Füße. Ihr Angesicht war wie ein einziges Lied voll Wehmut und Empfindung. O, meine Brust schwoll von Ahnung der göttlichen Schönheit.

Ja, Atalanta, rief ich endlich begeistert aus, die Liebe, diese wunderbare Tochter der Armut und der Fülle, ist die Vermittlerin zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch. Sie schwillt im Busen des Betenden, und der Gott, dem das Opfer brennt, steigt liebend zu den Menschen herunter.

Und wer kann's enträtseln, sagte Atalanta, das Wesen der Liebe?

O, ich fühl' es, fühl' es ganz, Atalanta: die Liebe ist Liebe der Schönheit und der Weisheit. Die Liebe ist irdisch und himmlisch in Einem. Die Harmonie der Schöpfung beseelt der Geist der Venus Urania, und die hohe mutterlose Tochter des Himmels schwebt wie eine ewige Morgenröte über der himmlischen Welt. Aus ihrem Auge träufelt wie eine große Träne die Liebe zu Gott und zum Guten und die göttliche Begeisterung, wenn der Mensch wie Berg und Luft in der Ferne zusammenschwimmt alliebend in den Stunden der Erleuchtung mit Gott; ihr Haupt umschweben wie ein Flammenkranz die leuchtenden Sterne, denn sie leitet mit ihrer Weisheit die unermeßliche Zahl der wandelnden Welten in ihrer Bahn; in ihren Armen hält sie wie Blumen und schwellende Früchte das Füllhorn der Sittlichkeit und der höheren Schönheit; um ihre Lippen schwebt wie ein Kuß das unerklärbare Verlangen aller Wesen nach jenem überschwänglichen Genuß ihres Daseins, und aus ihrem keuschen Busen quillt wie zarte Muttermilch die unendliche Fülle von Harmonie, die mit ihrer schaffenden Urkraft aus dem gestaltlosen Chaos durch Liebe die Elemente zog und die Weltkörper regelnd nach ihrer Triebkraft aneinander stellte.

Phaethons Auge glüht! lispelte Atalanta und glühte noch stärker. Meine Seele irrt wie ein goldnes Wölkchen durch den Äther in diesen endlosen Fernen der Gedanken.

Die Liebe, Atalanta, schwellt befruchtend die Seele an und erfüllt sie mit dem Keime, dem ewig wachsenden und göttlichen, woraus die Weisheit und die Tugend gleich Rosen sich entwickeln. Da wandeln sie dann umher, und immer voller und größer wird der unsterbliche Keim; und ein unnennbar tiefes Leben strömt wie Saft im Baume durch ihr Wesen. Und stärker, immer und stärker treibt's, und vollendet ist die Frucht des Göttlichen in ihrem Schoße. Mit namenlosem Drang fühlt nun der Mensch den Busen sich erfüllt und eilt und schaut nach dem Schönen, die heilige reife Frucht darein zu legen. Die Schönheit sieht er, Atalanta. Da sprudelt der Drang wie ein Springquell aus seinem Busen auf die Lippen, und sein Mund träufelt von den Worten der Begeisterung wie vom Honig des Hymettos. In seinem Auge glüht das Feuer der glühendsten Sehnsucht, und seine Arme streckt er besinnungslos aus, das gefundene Schöne zu schließen an seine Brust voll Liebe.

Ich verstehe, Phaethon, sagte Atalanta, und wenn er nun zusammengeflossen mit ihm, innig und ewig wie Quelle mit Quelle, da entwickelt sich die unsterbliche Frucht, und ein Sehnen, ein Verlangen, eine Liebe glüht mit ewig treibender Kraft durch seine Brust.

Atalanta, rief ich mit rasendem Entzücken, und wenn er dann sich aufschwingt von der Betrachtung der einzelnen Schönheit des Geliebten zur allgemeinen, wenn er allmählich die Schönheit der Seele versteht wie die Schönheit des Körpers, und diese ihm wird wie eine bald erlöschende Flamme, und jene wie die große ewige Sonne, und er aufsteigt von der Stufe der sinnlichen Schönheit zur Stufe der allumfassenden des Geistigen, wenn der Himmelstrunkene dann der höchsten Stufe sich nähert, und urplötzlich der Schleier des göttlichsten der Geheimnisse verschwindet wie die Wolke vor dem blendend wallenden Licht der heiligen Sonne, und der Selige anschaut die ewige, weder Anfang und Wachsen, noch Abnehmen und Vergehen kennende, in allen Teilen vollkommene, von aller Hülle befreite, reine und lautere, sich gleichbleibende Urschönheit, und alle bloßen Abbilder wie matte bläuliche Funken vor seinem Geiste zusammenschweben mit dem Urlicht, und er unsterblich sich sieht und der Gottheit befreundet ...

Atalanta! Geliebte! Engel! Du bist's, die mich hinanhebt auf den Sprossen der geheimnisvollen Leiter der Schönheit! Du bist's! rief ich wie wahnsinnig und umfaßte die Weinende mit meinen Armen. Ihr weicher Busen schlug an den meinen. Ihr Mund bebte auf dem meinen. Ihre Arme lagen um meinen Nacken geschlungen, und Kuß aus Kuß strudelten unsere Seelen zusammen.

Phaethon! Phaethon! rief sie schluchzend. Ich hatte keine Besinnung mehr. Mein Haupt lag auf ihrer Brust und erdrückte die langen Locken. Phaethon! rief sie wieder und wand sich los aus meinen Armen, blickte mich noch einmal an mit einem Auge voll überschwänglicher Liebe und flog den Hügel hinunter.

Gott! Gott! Noch tauml' ich von all der Wonne; noch fühl' ich ihre weichen Lippen und das Feuer ihres Auges und die Wärme ihres Busens.

Theodor, was hab ich getan? Ich kann nicht denken mehr in diesem Augenblick. Meine Kraft ist zu schwach für diese Fülle. Laß mich, laß mich! Die Mitternacht ist längst vorbei. Auch Katons trübe Lampe ist erloschen. Ich will mich aufs Bett werfen.

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Phaethon an Theodor

Freund, was hab' ich gesehn? Was werd' ich noch erfahren? Was ist der Mensch? Die fernsten Rätsel strebt er zu entwirren, und er selbst in seinem Rätsel ist das tiefste Rätsel.

Ich schlummert' ein paar Stunden. Bald wacht' ich wieder auf. Der Tag dämmert' über den schwarzen Bergen in blaßgelben Streifen. Ich öffnete meine Tür und trat hinaus. Alles war noch still in der Natur. Kein Blatt regte sich; kein Vogel schlug.

Auch sie, auch Atalanta schlummert noch, so dacht' ich, und vielleicht, vielleicht träumt sie von mir.

Ich stand vor Katons Mausoleum, das heller mit seinen roten Steinen aus dem dunkeln Laube blickte. Lange blieb ich stehn, und wunderbare Gedanken erweckten sich in meiner Seele.

Da bemerkt' ich, daß das dichte Rosenlaub auseinandergeschoben war und eine kleine Öffnung sich zeigte durch das geteilte Gezweig. Ich weiß nicht, wie's mir einfiel, durchzuschlüpfen, und – wunderbar! – ich stand an einer Treppe, die sich in die Tiefe hinuntersenkte.

Ich stieg auf ihr hinab. Da stand ich plötzlich vor einer Sphinx, aus dunkelm Basalt gehauen. Ein tiefer Schauer überlief mich, und eine innre Stimme rief mir zu: Fürchte, fürchte das Geheimnis, Jünger!

Und wieder blieb ich stehn und bedachte mich, ob ich die Treppe wollte hinabsteigen.

Da gewahrt' ich eine Tür. Ein junger Genius war auf ihr gebildet, der mit der einen Hand eine Fackel senkte und mit der andern eine Tafel hielt, worauf die Worte standen mit der Schrift des Griechen: Vaterland und Liebe. Und wie ich leis an die Türe stieß, da ging sie auf mit einem dumpfen Dröhnen.

Ein wundersamer Geruch von Weihrauch wallte mir entgegen. Es ward Grabesnacht vor meinen Augen.

Lange blieb ich wieder stehen, bis ich an einer Wand den schwachen blassen Schein einer Lampe bemerkte. Ich trat einige Schritte vorwärts. Das Licht ward heller und beweglich. Der Geruch verstärkte sich.

Plötzlich stand ich vor einer Maueröffnung, durch die der Lichtstrahl brach. Ich blickte durch und – traute meinen Augen nicht.

Denn eine Geistererscheinung glaubt' ich zu erblicken. Ich sah in ein zirkelrundes Gewölbe. Die alten dünnen Säulen, die schlank hervortraten aus den schwarzen Wänden, verbanden welke Rosenkränze. An ihren Füßen lagen Schilde, Helme, alte zerbrochne Vasen und Reliefe; an einer der Säulen hing die Maske eines Jupiterkopfes.

Mitten im Gewölbe stand ein schwarzer Sarkophag mit wunderbaren Zeichen. Auf ihm schlug aus einem alten blumenumwundenen Gefäß hellodernd eine blaue Flamme. Zu beiden Seiten glänzten weiße Bilder in zwei Nischen. Oben brannten schwache Lichter auf drei langen mit Flor behangenen Kandelabern, und an seinem Fuße saß ein Mann mit langem Bart in einem weißen Gewand, das Haupt auf die Arme gestützt und das Angesicht verdeckend mit der Hand.

Lange starrt' ich ihn an; aber er war unbeweglich wie der Sarkophag.

Ist es sein Geist? dacht' ich schaudernd. Ist er's selbst? Denn ich hielt ihn für Katon.

Gott! Was soll dies fürchterliche Spiel? Was plagt den großen Mann? Ist's das Bewußtsein einer Schuld? So dacht' ich und glaubt' es nicht.

Da rauscht' es in der Nähe. Es war wie der dumpfe ferne Glockenklang einer Uhr. Es schlug viermal.

Mir graute!

Die Gestalt bewegte sich. Die Hand senkte sich langsam vom Haupt, und ich sah das ernste männliche Angesicht des unerklärbaren Freundes.

Es war die höchste Zeit. Ich flog von der Maueröffnung weg, rannte durch die Tür und drängte mich wieder durch das Rosengezweig.

Es war lichter Tag geworden.

Mein ganzes Innere war angefüllt mit dem Geheimnis. Ich arbeitete an meinem Bilde. Nach ein paar Stunden trat Katon mit Atalanta herein. Ich weiß nicht, welches von beiden mich mehr verwirrte. Katon war wie sonst. Das zarte Mädchen brachte mir frische Blumen. Ich dankt' ihr mit dem glühendsten Blicke der Liebe. Sie lächelte mich an wie der junge Tag im Osten.

Wir gingen ins Freie. Den ganzen Tag begleitete mich das Bild des geheimnisvollen Gewölbes.

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Phaethon an Theodor

Meine Homerosbüste ruht nun bei den drei Säulen im Garten auf einem hohen marmornen Gestelle mit drei Stufen. Wenn Atalanta auf der dritten steht, kann sie das Haupt umfassen mit den Händen.

Ich spreche nun auch neugriechisch. Atalanta lehrt es mich! Und wie sie das Altgriechische ausspricht!

Mit welcher Lust ich arbeite an meiner Polyxena! Sie ist's ganz, meine Atalanta. Die großen runden Augen; die vollen lächelnden Lippen; das Kindliche, Schüchterne um den kleinen Mund; das längliche Oval. Und doch, es ist noch Etwas in ihrem Angesicht, das ich nicht in mein Bild bringen kann! Unaussprechliche Unschuld? Seele? Liebe? Leben? Geist?

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Phaethon an Theodor

Krankheit sei die Liebe? Laßt mir, laßt mir diese Krankheit! Wie aus einem Heilquell schöpf' ich Gesundheit aus ihr und ewige himmlische Gesundheit.

Nichts Schöneres gibt es auf der Erde, nichts Schöneres im Himmel als diese Gesundheit. Sie kräftigt die Seele und füllt sie an mit Wärme. Sie bereitet die Geister vor, die Urschönheit zu schauen in ihrer reinen Göttlichkeit, in ihrer ewigen unveränderlichen Fülle. Sie deckt endlich auf den Riesenschleier des größten der Geheimnisse.

Gott selbst erfreut sich ihrer. Durch sie ist er Gott. Ewige nieverblühende Jugend ist ihre Tochter. In ihrem frischen Wasser zu baden, ist die Wonne der Unsterblichen.

Sie ist voll und üppig wie die Rose. Aus ihrem Kelche saugen die Menschen wie Bienen ewiges Gedeihn. Ihre Farbe ist weiß wie Milch, denn sie ist voll Unschuld. Ihre Stimme ist wie der Klang einer Glocke; denn alles staunt ob ihrer Fülle. Aber auch sanft ist sie oft wie verhallende Harmonikalaute, und in der Ferne der Erinnerung klingt sie wie leises Wellengemurmel.

Ein Kuß ist das größte Geheimnis dieser Liebe. Die Liebe zur ganzen Menschheit ist eins mit ihr.

Weissagend ist diese Liebe, lauter Wahrheit; nur der Begeisterte fühlt ihre Kraft, ihren Segen. Alles bringt sie dem Menschen; denn die Gesandte, die Priesterin Gottes ist sie. Ohne sie ist nichts Edles auf Erden, nichts Gutes und Großes. Ohne sie ist kein Leben. Ihr warmes Licht aber, das klare keusche, fällt nur in zarte Seelen, durchdringt sie ganz, macht sie unendlich durchsichtig, läutert und reinigt sie überschwänglich.

Voll Glauben ist sie; sie läßt uns erkennen Gott in unserm Innern und zeigt uns, wie alles, was ist, durch ihn, durch sie ist, und erfüllt von ihm allein Natur, Schöpfung und unsern eignen Busen.

Uneigennützig ist sie. Siehe, wie sie lächelt, die Unsterbliche, aus dem Auge der Mutter, wenn sie den Säugling an den Brüsten tränkt! Geben und Nehmen, das wird ihr zu Einem.

Ich lernte lieben, lieben aus ihrem Auge, ihrem Kusse, lieben aus ihrer Seele, ihrem Geiste.

Ihn lernt' ich erkennen, fassen, lieben, den alten ewigen Geist, den wandellosen, der alles Dasein schafft und gibt, den Vater des Maßes, das Maß selbst, den Urheber alles Lichts, das Licht selbst, die Urkraft und das Urleben, der die Weisheit erfand, ihn, den Alleinigen, Unerschaffenen, ihn, die Liebe, die Wahrheit.

O, richtet nicht!

Ich weiß ja wohl, es ist nichts leichter als urteilen und verdammen. Tausendmal wird gerichtet, bis einmal der Richter versteht, was er zu richten wagt. Er braucht, um vieles zu erkennen, eine Kraft, ein angeborenes Etwas, das man nicht lernen, nicht erwerben kann.

Menschen, die keine Leidenschaften haben, weil sie ohne Herz, ohne Kraft sind, predigen der Jugend, mit ihren Wünschen, ihren Trieben der Vernunft nicht zu entlaufen!

Ich sagt' es Dir schon hundertmal: solch eine Ruhe will nichts heißen. Der sich mit seiner Kühnheit brüstet und keinen Feind noch sah, der ist kein Held. Aber der ist ein Mann, der sich bewegt durchs wildeste Gedränge.

Wunden! Wunden! Laß sie bluten! Eine Brust ist stark. Du bist doch ein Mann. So zu bluten, das ist groß!

Mich laßt nur irren! O, ich bin glücklicher als Ihr auf Eurer rechten Bahn. Nicht bedauern dürft Ihr mich, weil ich irre, Ihr Klüglinge, Ihr Selbstgefällige! Beneiden müßt Ihr mich! Ach, solch ein Irren ist mehr als all Euer Fortschlendern!

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Phaethon an Theodor

Du kannst Dir mein Wesen nicht vorstellen. Und all das sollte nur ein Traum sein? Der arme Mensch, wenn er einmal glücklich ist, da soll er träumen? Und wär's auch ein Traum, warum wollt Ihr mich erwecken? Ein solcher Traum ist mehr als Euer Wachen. Ich gestehe ja, mein Geist ist berauscht. Aber ich sage Dir, Eure Nüchternheit ist der schimpflichste Zustand des Menschen!

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Phaethon an Theodor

Natur und Kunst sind wie zwei Schwestern, die sinnig schweigend mit ihren Armen sich umschlingen. Sie halten einen ewigfrischen Kranz mit vollen Blumen in den Händen. Der bedeutet die Liebe.

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Phaethon an Theodor

Heut war eine schöne Mondnacht. Ich wandelte mit Atalanta durch den Garten. Ich hatte meinen Arm um sie geschlungen und sah mit Entzücken, wie unsere langen Schatten auf der Erde sich vermählten. Von ungefähr standen wir am See; der Kahn schaukelte sich vor uns am dunkeln Ufer.

Besteigen wir den Kahn nicht, Atalanta? sagt' ich. Sie lächelte. Ja! Ich sprang hinein, löste die Seile und gab ihr die Hand. Die Schüchterne hüpfte in den Kahn.

Ich nahm das Ruder zur Hand und plätscherte damit in den Wellen. Ein kühler Abendwind trieb uns bald aus den Uferschatten.

Theodor, was war das für eine Stunde! Wie Träume umschwebten zartgehauchte silberne Wölkchen den Vollmond, der in seiner lieblichen Fülle wie das Angesicht eines keuschen Mädchens herabquoll auf die zitternden Gewässer. Die Tannen am Ufer drüben schienen sich mit ihren Riesenschatten in der kühlen Flut zu baden. Wie ein dünngewobener Schleier von Duft umwallte die Gegend umher ein blaues Licht, und die Berge schwebten wie die verklungenen Wünsche unserer Kindheit aus ihren Fernen herüber. Der Garten mit seinen dichten Ufergebüschen ward wie eine dunkle Wolke; nur die drei Säulen ragten in schwachem Licht aus dem Dunkel wie geheimnisvolle Trümmer einer entschwundenen Urzeit.

Die Geliebte lag an meiner Brust und hatte zärtlich ihren Arm um meine Schultern geschlungen. Ihr blasses Antlitz blickt' aus den Locken wie der weiße Mond aus dem dunkeln Äther. Wir schwiegen. Nur manchmal drückt' ich die Liebende wärmer an meine Brust und küßte die milchweißen Wangen.

Kein Laut aus der Ferne; nur das melodische Plätschern des Wassers beim Schlage des Ruders. Da begann ich endlich:

Atalanta, fühlst Du den stillen Geist, der über der ruhenden Gegend schwebt?

Sie drückte meine Hand und blickte mich an mit dem Auge voll namenloser Liebe und lispelte seufzend: Ich fühle! Und dann schwiegen wir wieder, und manchmal nur bebten unsere Lippen: O Gott! Unsere Seelen wurden wie das klare reine Gewässer, unser Leben wie ein einziger Hauch der Liebe.

Ja, Atalanta, sprach ich wieder, wie die Mondnacht ist unser Leben, wenn es am schönsten ist. Ist nicht die Gegend wie ein Traum? Wir schweben umher. Der Wind kühlt unsere heißen Wangen und lindert das brennende Sehnen unserer Brust. Die Pfade sind eben und glatt wie die Wasser. Ferne liegt die Wirklichkeit wie das Ufer mit ihren finstern Gestalten. Und wenn sie nicht so ferne lägen, ach, da wär' unser Leben auch nicht so schön.

Kannst Du, sagte Atalanta, kannst Du ein Ende denken dieser Wonne? Bricht endlich nicht die Morgenröte von Osten her und beleuchtet jene Gestalten, die so schön sind aus der Ferne?

Unendlich, ewig, Atalanta, ist die Liebe wie Deine Seele. Tod wäre das Ende der Liebe, und die Seele stirbt nicht. Die Liebe ist ewig jung und wandelt ewig unter Blumen.

Ach, aber die Blumen welken, Phaethon! seufzte Atalanta mit einem unaussprechlichen Schmerz im Auge.

Ewige Jugend, Du zarter Engel! Die Liebe kennt kein Alter wie der warme Sonnenstrahl, der auch um graue Mauertrümmer quillt. Und einst, wie die jungen Geister sich lösen aus der alten ehrwürdigen Hülle und frei sind und dahin schweben können durch den Äther und zum erstenmal als Geister sich küssen – Atalanta, ein Kuß der Geister! – und wenn sie nichts mehr hindert, ineinander zu fließen, und eine Umarmung wird die Ewigkeit ...

Atalanta blickte in das Wasser und dann hinauf zum Mond, als wollte sie ihn bitten, den lieben, sanften, sie hinaufzunehmen zu seinem reinen Licht. Dann sagte sie: Phaethon, ach, hier ist's schön, doch dort ... Die ewige Vollendung glänzte in ihrem feuchten Auge; ihre Brust hob sich unter dem Gewande. Mir war, als weinte sie nun die letzte Träne, als sei dieser sehnende Blick der letzte, den sie dem Sterblichen zuwerfe, und sie schwebe aus meinen Armen, ein göttlich Wesen, in der schönen Mondnacht zum Himmel, dem ewigen Ziel ihrer heißen brünstigen Sehnsucht. Mein Mund verstummte. Ich schloß sie heftiger an die Brust; ihr Auge wandte sich auf mich, und unsere Lippen waren glühend aneinandergeschlossen.

Da hörten wir aus der Ferne eine Flöte. Wie zarte liebende Geister klangen die schwebenden empfindungsreichen Töne zu uns herüber. Unsere Seelen selbst waren wie zusammenschwimmende Akkorde, voll unendlicher Harmonie, voll schwellender Empfindung. Sie lösten sich auf in ein stilles aber überschwänglich seliges Anschaun unseres Innern und verschwommen endlich hinüber wie die blauen Bilder der Berge. Nur: Dein! Dein! seufzten unsere Lippen. Hier und dort!

Am Ufer stand eine lange schwarze Gestalt, unbeweglich wie die Tannen um sie her. Es war Katon. Unser Nachen fuhr ans Land. Katon trat uns entgegen und hob Atalanten aus dem Nachen. Die tiefsinnigen Züge des schönen Mannes glühten wunderbar im Mondlicht. Er drückte dem Mädchen die Hand mit Feuer, und wir wandelten langsam wieder dem Schlosse zu.

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Phaethon an Theodor

Noch ist Stärke, Schönheit, Tugend nicht gewichen von der Erde. O, ich fühl' es, fühl' es wie mein Ich, was würdig ist des Menschen. Rein ist der Mensch von seinem Ursprung an; denn von der Gottheit stammt er. In seinem Busen quillt der ewig treibende Keim des Guten wie eine klare, den Himmel abspiegelnde Quelle. Unglücklich ist er, wenn sie getrübt wird; aber verloren ist er, wenn sie versiegt. Das Größte, was Gott erschaffen auf der Erde, ist der Mann. Er ist's, der Starke, der Mut hat und Kraft und unveränderlichen Willen. Ruhig steht er da in seiner erhabenen Würde wie eine hundertjährige Eiche, deren Riesenwipfel vergeblich Wind und Stürme schütteln. Die Sonne spiegelt in seinen Zweigen schmeichelnd, und niedere Kreaturen der Erde kriechen um seine mächtigen Wurzeln. Und ist er auch geschmiedet, der Mann, an eine Felsenstirn, und kann er seine Arme nicht bewegen: in seinem Busen lebt die angestammte unerschütterliche Kraft, selbst dem Unendlichen zu trotzen. Aber rein ist der Mann; denn er ist das Abbild Gottes. So denke Dir meinen Katon! Seine Brust gleicht dem Diamanten, der unzerbrechlich fest doch in sich faßt das warme Licht der Sonne.

Um ihn schlingen wie zarte weiche Blumen um die Eiche das Weib sich und das Mädchen. Die sanften würden verwelken, wenn sie der kräftige edle Stamm nicht am Busen hielte. Denn weich ist das Mädchen, deren Mund der Hauch der Jugend wie ein glühend Morgenrot beseelt, wie die Mutter, wenn sie ihr lächelnd Kind am warmen milcherfüllten Busen fängt. Aber die echte Jungfrau ist noch Kind, und die echte Mutter ist noch Jungfrau.

Ein tiefes Geheimnis ist die keusche Jungfrau. Ihre Jungfrauschaft hört auf, wenn sie kein Geheimnis mehr ist. Sie ist das vollkommenste rührendste Sinnbild der Entwicklung und der Fruchtbarkeit, das Sinnbild der Natur. Darum ist ihre Nähe heilig, und das Unheilige flieht vor ihrer Gegenwart wie vor dem Tempel der Gottheit.

Des Mannes Tugend gleicht dem Riesenfelsen, der weit die Schatten auf die Täler wirft. Des Weibes Tugend ist ein sanfter ewigfließender Bach, der stillbescheiden sich durch die Blumen windet und liebend an den Ufern die zarten küßt und tränkt. So denke Dir Cäcilie und Atalanta!

Cäciliens Haus ist den Grazien geweiht, aber nicht den niedern, die das bloße Bedürfnis verschönern und heben, sondern jenen allwaltenden weisen und keuschen Förderinnen alles Schönen und Guten, von denen der weise Pindaros singt:

Ihr an Kephissos Gewässern wohnend,
dort am Sitze der schönen Rosse weilend,
Huldinnen, Königinnen holden Gesangs im
lieblichen Orchomenos, der alten
Minyer Wächterinnen,
Höret den Fleheruf! Denn von Euch
kommt ja das Liebliche,
kommt ja in Fülle das Süße der Welt,
blühst Du an Weisheit und Schönheit oder an Adel.
Denn die Götter
ordnen ohne die heiligen
Huldinnen nie ein Gelag,
keinen Reigen; sondern allwaltend im Himmel
haben sie bei Pytho Apoll,
dem der Bogen von
Gold schimmert, sich aufgestellt den Thron,
ewig verehrend des olympischen
Vaters Herrschergröße. Pindar, Olympische Siegesgesänge XIV.

Diese, Theodor, die heitern Kinder des Weisen, lächeln aus allem. Sie sind nichts anders als das Maß.

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Phaethon an Theodor

Atalanta wußte nichts, wie ich sie fragte, von Katons unterirdischem Gewölbe. Sie wußt' auch nicht, aus welchem Land er stamme. Nur: ferne, sagte die Mutter, ferne sei er hergekommen. Auch ihren eignen Vater kennt sie nicht. Sie hab ihn schon verloren als zartes Kind.

Das Neugriechische war die Sprache ihrer Kindheit. Sie stammelte griechisch. Die Sprache unsers Vaterlandes lernte sie erst später.

Wie Katon heute vor mir stand und wir allein waren, faßt' ich mir Mut und sagte: Katon, verdien' ich diese Kälte?

Er aber sagte etwas dumpf: Was ist Dir, Phaethon?

O, verdien' ich dieses Schweigen? erwidert' ich heftiger, und eine Träne rollte mir aus dem Auge.

Es verschwebten an seiner Stirne die Runzeln, und er sagte, halb finster halb wehmütig, mit einem unerklärbaren Blick: Auch ich trag' etwas auf der Brust; aber frage mich nicht! Er ward ernster. Ich darf nicht weiter davon sprechen.

Er warf mir einen Blick zu, der mir auf ewig die Zunge lähmte. Dann sagt' er noch einmal: Frage nie mehr! und ging fort.

Und auch Cäcilie kann ich nicht enträtseln. Sie ist geheimnisvoll wie die stille Nachtviole. Nur Atalanta ist wie eine offne Rose, der man bis in des Kelches Tiefe schaut.

Ich trat gestern Abend die Treppen herauf. Es war schon dunkel. Atalanta flog durch eine Tür. Ich kannte ihren Tritt. Schnell folgt' ich ihr. Ich erreichte sie, sank ihr wild um den Hals und rief wie rasend: Ewig, ewig Dein!

Phaethon, rief sie ängstlich, nicht dies Ungestüm! und wand sich los aus meinen Armen. Ich wollte sie halten, blickte hinter mich, da stand – Cäcilie vor mir. Atalanta flog mit einem Schrei zur Tür hinaus. Mir bebten die Knie. Ich sank ihr zu Füßen: Cäcilie! rief ich mit wankender Stimme. Kann Cäcilie vergeben? Lange blieb sie stumm. Ich hatte ihre Hand ergriffen; weinte meine Tränen auf sie. Und wie ich hinaufblickt' und ihr Auge traf und das Wohlwollen herabquellen fühlt' auf mich wie linden Tau, und sie ihre Hand aus der meinigen zog, mir noch einen liebevollen Blick zuwarf und dann verschwand ... O Gott, ich blieb in heiligem Entzücken auf den Knien, als ob sie noch vor mir stünde, und strömte meine Seele aus in einem brünstigen Gebete.

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Phaethon an Theodor

Ich lebe wie zu den Zeiten Homers. Die Wirklichkeit berührt mich kaum wie die Flut den Fuß des Gebirges, dessen wolkenumwobene Scheitel weiter reichen, als das Auge trägt.

Ich saß vor dem Bilde Homers auf der untersten Stufe. Atalanta saß neben mir. Sie spielte mit den Efeublättern, die um ein altes Architrav sich schlangen.

Die Sonne war nah am Untergehn. Durch die wilden Rosengebüsche blickte der blaue See mit seinen grünen Ufern. Da zog ich den Homer heraus. Atalanta sah mich an und lispelte, die Hand mir drückend: Lesen wir? Ich sagte: Ja. Wie feiern wir schöner den Abend? Und welche Rhapsodie schlag ich auf, Atalanta? Da hast Du das Buch! Nausikaa! klang's von ihren Lippen.

Sie las. Theodor, wie die griechischen Worte wogten von den zarten Lippen, die Worte des Mäoniden! Jeder Laut war wie aus tiefster innigster Seele.

Das Saftgrün der Blätter und die Glut der Rosen und der Abendsonne; die grauen alten Säulen; die Trümmer um uns her; und drüber hinein das Himmelblau; und das Mädchen, vom quillenden Strahl der Sonne geküßt, mit ihrem Engelauge, mit ihren Rosen in den dunkeln Locken, mit ihrem Homer in den Händen!

Da rief ich endlich aus:

Atalanta, denke Dir den Sänger, wie er stand auf dem grauen Felsen von Chios, wann die warme Morgensonne seine weißen Locken umwallte wie das Haupt eines Heiligen, und um ihn her saßen im Kreise die Schüler auf den steinernen Bänken! Wie der alte Lehrer hinüberblickte über die lachenden Fluren des Eilands von der jähen Klippe, und sein Auge von den grünenden Buchten und dem frischen Gestade hinüberdrang wie ein Lichtstrahl in die grenzenlose Weite des Meeres und endlich verschwamm in der Flamme des aufsteigenden Sonnengottes! Wie nun seine Brust sich hob, und eine Träne bebte im Auge des Alten, Ehrlichen; wie er da lehrte, und seine Lippen überquollen von der Fülle seines Herzens wie von Strahlen der ewige Lichtquell der Sonne, er, der Sohn des Himmels, auf dem Felsen, und um ihn der endlose im Morgenrot wallende Äther, rein wie seine Dichterseele!

Atalanta war mir an die Brust gesunken. Ich blickte hinab auf das jugendliche Haupt und fühlte mein ganzes Wesen überwallen, wie ich sie so nah mir sah, diese unaussprechliche Schönheit. Ihr dunkles Auge voll ewigen Friedens weinte verklärt zum blauen Himmel hinauf, und ich drückte, von der Seligkeit der Götter durchschauert, einen heißen Kuß auf ihre keuschen unentweihten Wangen.

Ja, Atalanta, rief ich endlich, mich erholend aus der betäubenden Wonne, blick' ihn an mit Deinem Auge voll Liebe! Er ist's! Seine Seele ist unergründlich wie das Meer, aber durchsichtig wie der unermeßliche Äther. An seinen Busen voll warmem Jugendfeuer drückt er die Natur wie eine Braut, und seine Gesänge sind die ewig jugendlichen Kinder seiner Liebe. Wie holde Blumen in einem Kranze schlangen Weisheit, Schönheit, Mäßigung und Ruhe sich in ihm zusammen. Sein Lied ist wie das spiegelhelle unbewegte Meer, wenn es die Farbe des Himmels trägt. Er ist ein gewaltiges Gebirge, das, tiefgewurzelt in die gute mütterliche Erde, das weiße Haupt in Ätherfernen streckt.

Es rauscht' im Gebüsch, und Katon trat herein. Er lächelt' und setzte sich auf einen Säulenstumpf. Die Sonne war hinunter. Es ward schon dunkel um uns. Katon sagte: Griechenlands Sänger sind die größten. Wie Kinder spielten unter Blumen in dem schönen Lande die Söhne des Himmels. Aber größer sind Griechenlands Helden. Wo ist eine Brust wie die freiheitstrunkene Seele des Leonidas? Wo ist die ernste Tatkraft eines Epameinondas? Wo sind unsre Timoleone? Ich verstand nicht, was er wollte damit sagen. Wir gingen ins Schloß.

Aber der Geist Homers wich nicht von meiner Seele. Ich kehrte spät zurück zu den drei Säulen. Einsam saß ich an ihrem Fuß unter dem Bilde Homers. Seine Helden stiegen in meinem Geist empor aus den Trümmern um mich her und schwebten an mir vorüber in langen dunkeln Gestalten. Kein Mond war am Himmel. Eine Nachtigall schlug in der Nähe in vollen schwellenden Akkorden. Ich schlummert' ein.

Höre meinen Traum!

Ich trat in ein elysisch schönes Land. Durch fette Wiesengründe wälzten sich Bäche. An ihren Ufern stiegen im Schatten des Lorbeers und der Myrte Säulentempel in die Lüfte. Unendlich klar war das Blau des Himmels. Der linde warme Hauch eines ewigen Mai war über Wiesen, Wälder, Hügel und Himmel gegossen.

Da hört' ich ein unterirdisch Dröhnen, als ob die Erde wollte Riesen hervorstrudeln aus ihrer Tiefe. Die Bäume wankten und die Felsen bebten. War es so, als aus dem gestaltlosen Chaos mit Brausen und Donnern die Elemente sich schieden, aus dem kochenden Wirbel der Urkräfte; wie das gestaltete Eisen aus der Flamme, die Welten sich lösten, und die alten Riesengötter im Kampfe lagen mit den neuen; wie der gewaltig genialische Geist in seiner schrankenlosen Erhabenheit, in seiner überschwellenden Größe, in seiner unermeßlichen Pracht, wenn die Kunst ihn zwingen will in geründete Formen, in vollendete harmonische Bildung, ins Ebenmaß?

Ein Mann stieg aus der Erde. Sein Auge sprühte Begeisterung wie Funken die Sonne. Die wilden langen Locken umwallten in regellosem Wirbel die hohe gefaltete Stirne und den unbeugsam männlichen Nacken. Er ergriff die alten Eichen und wuchtete die Ungeheuer mit Stamm und Kron' und Wurzel aus der Erde, daß sie lautdröhnend mit entsetzlichem Gekrache wie vom Himmel geschleuderte Giganten niederstürzten. Dann riß er Felsen aus dem Boden und warf wie leichte Steine sie empor und türmte einen auf des andern Gipfel. Dann schwang er sich hinauf und stand auf dem himmelragenden Geklipp, daß seine Haare, von den Winden gewirbelt, wie Schlangen in den Lüften flogen.

Darauf stieg er nieder, und eine Flamme zündet' er an auf einem Altar am Fuß des Felsgeklüftes und betete an die wechsellose Riesenmacht des allgebietenden Geschicks und die Grundkräfte der lebendigen Natur, die alten Urgötter, und flehte, Gerechtigkeit walten zu lassen auf Erden und Heil und Fülle zu verleihen dem heißgeliebten göttlichen Vaterland. Es war Äschylos.

Nicht weit von ihm quoll nieder eine Flamme, daß Tempel umher und Myrten und Blumen vom Lichte glänzten. Es war die ewigheilige Flamme der Religion. Aus ihr trat wie geläutert hervor ein Mann in himmelblauem Gewande. In seinem Antlitz küßten sich wie Bräutigam und Braut der Ernst und die Sanftmut, die Würde und das Gefühl, die Hoheit und die Liebe, die Kraft und die Anmut, und wie Lilien blühte darin der Geist der Reinheit und die Ahnung der Gottheit in ihrer höchsten Fülle. Sein ganzes Wesen war Harmonie und Ruhe. Er war ein Greis, aber jugendliche Schöne schwebte noch in den edeln würdig milden Zügen. Er trat vor einen Altar und kniete nieder und betet' an die alten Gesetze, die ewigen äthergeborenen, in denen der Gottheit nie alterndes Wesen wohnt, und blickte mit einem Antlitz voll anbetender Liebe, voll frommen seligen Vertrauens empor zu dem Geiste der Welt. Es war Sophokles.

Nahe bei ihm war ein Myrtengebüsch. Ein Duft von Salben, Blumen, Räuchereien strömte mir entgegen. Zugleich vernahm ich den Klang einer Flöte und ein laut frohlockend Rufen, ein bakchantisch Getümmel. Es teilte sich der Myrtenbusch. Ein Mann lag auf einem grünen Rasen in den Armen einer Flötenspielerin. Ein Kranz von Efeu und Violen und festlich schmucke Binden waren ihm ums Haupt gewunden. Üppige Weinreben, das Bild der Freude, wuchsen empor aus der Erde, und wie volle Kinderwangen lächelten schwellende Trauben aus dem dunkeln Laub. In seinem Feuerauge blinkte die süße Begeisterung des Dionysos; um seinen Mund schwebte ein spöttisch froher Zug; aber aus seiner Stirne sprach ein strenger tiefer Ernst, eine unaussprechliche Weisheit, eine unglaubliche Stärke, eine unbeugsame Kühnheit. Sein ganzes Wesen war ein Rätsel. Denn während er ohne Zucht und Scheu, mit wilder Lust, mit kecker Derbheit, alles, was um ihn war, Götter und Menschen, zu höhnen schien, strahlte doch aus ihm die Anmut und jede Gabe der Huldinnen in unerschöpflicher Fülle. Sie schienen von ihm abhängig; nicht er von ihnen. Man mußt' ihn anstaunen und doch lieben, den Wilden, Zügellosen. Mit der einen Hand schwang er bald mit lautem Jubel einen vollen Weinbecher, bald eine klingende Handpauke und bald die Maske der Thalia, während er mit der andern den Hals des Mädchens umschlang und mit dem Verlangen der Liebe ihren blendend weißen Busen küßte. Dann sprangen beide auf mit wildem Gelächter und opferten den Charitinnen und der Aphrodite. Es war Aristophanes.

Die Flamme des Äschylos schlug gewaltsam auf vom Felsenaltar in lodernder dunkelroter Säule; die Flamme des Sophokles schwebte in milchweißer Klarheit empor wie ein ausgehauchtes Sehnen unserer Brust; die Flamme des Aristophanes flatterte knatternd in die Lüfte und duftete von süßer Geruchsfülle.

Und plötzlich sah ich über den dreien einen Wagen schweben auf einer Wolke. Amaranten, die Blumen der Unsterblichkeit, hingen in schwellenden Kränzen um ihn. Unendliche Fülle des erhabenen Gesichts! Anbetend sank ich nieder. Ein wunderbarer Mann stand auf dem Wagen wie ein Lichtgeist, dessen Körper zart gewebt war wie Äther, und um und um eine Hülle trug von unzähligen Flügeln. Um sein Haupt bewegten sich dreimal drei Sterne; aber der reinste klarste, der Stern der Weisheit und der Schönheit, brannte wie eine Sonne über seiner Stirne. Zwei Rosse lenkte der beflügelte Mann an seinem Wagen. Weiß war das eine wie frischer Schnee im Glanz der Sonne, mit schwarzen Augen. Sein schlanker Hals war gebogen wie der eines Schwanen, zart und voll züchtiger Scham, und strebte nach oben. Aber neben ihm flog ein schwarzes Roß von häßlicher Mißgestalt, mit kurzem steifem Hals. Seine Nase schwoll von Wut und Ungestüm. Sein blutig Auge wälzte sich wild im Kreise. Unaufhörlich blickte der Beflügelte nach oben. Sein Auge war trunken wie das Auge des Seligen, der die Schönheit schaut in ihrem reinsten Lichtglanz; und immer heftiger regten sich die Federkeime um seinen Körper und schwollen und strebten hinan. Wie von heiliger Scheu war das eine Roß durchdrungen; das schwarze aber schüttelte die wogende Mähne mit wildem Schnauben und bäumte sich wiehernd empor und keucht' an dem zurückgezogenen Zügel. Da riß der ergrimmte Führer am Gebiß, daß Blutstropfen träufelten vom Munde des Rosses und lautdröhnend mit entsetzlichem Geschnaube das Ungebändigte zu Boden stürzte. Da schossen gewaltig die Flügel aus dem unendlich verherrlichten Körper des Wagenlenkers. Sein Auge ward wie Morgenrot. Er ward verklärt zu lauter Seele, lauter Geist. Platon war der Wagenlenker.

Es ward stille. Da hört' ich die fernen Töne klingender Saiten. Und immer näher kam der wunderbare Klang von oben. Ein milchweißes Wölkchen bemerkt' ich niederschweben aus der blauen Luft, und heller immer ward's und größer und blieb am Ende stehn über dem Haupte des göttlichen Wagenlenkers. Jetzt verklangen die Laute. Es teilte sich die Wolke, und ein Greis trat hervor in blendendweißem Lichtgewand, mit langsamfeierlichen Tritt, eine Harfe in der Hand. Um ihn wälzte sich in undurchdringlichen Strömen das reinste Licht. Ein hellgrüner Kranz wand sich mit frischem Laub um seine grauen Locken. Ruhe taute sein ernstes Auge und vollendete Harmonie, und in reicher unermeßlicher Fülle quollen die Strahlen wie melodische Quellen herab aus seiner Wolke unter die Betenden unter ihm. Die Flammen ihrer Altäre wurden gewaltiger vom Lichtregen, und der aufwallende Rauch sammelte sich zu einer dichten Wolke unter den Füßen des Greises. Wer war es anders als Homer?

Und auf einmal ward's noch klarer um uns, so daß die Tempel umher der Götter erglänzten und die Bäume im Hellgrün. Der Greis verschwamm fast in das wogende lautere Licht. Da hört' ich eine Stimme. Sie kam von ihm: Schauet empor, Ihr Reinen, daß Ihr die Schönheit, nach der Ihr verlanget auf Erden, schauet in ihrer wahren Göttlichkeit, ohne Farbe und ohne Gestalt, ohne Anfang und ohn' Ende, die Schönheit in Gott, in der ich wohne! Sie schauten empor. Auch ich wollte mein Auge hinanheben.

Da erwacht' ich.

Ich fühlt' einen Kuß auf meinen Lippen. Atalanta kniete neben mir in ihrer Schönheit, zart wie die junge Erdbeerblüte. Frische Morgenrosen flochten sich durch ihre dunkeln Locken, und auch mir hatte sie einen Kranz gewunden. Atalanta! rief ich. Ich hab ihn gesehn, unsern Homeros! Im Traum hab ich ihn gesehn, und nahe war ich, die höchste Schönheit zu schaun mit den größten Geistern. Ach, und war das Licht um den Sänger reiner und weißer als Dein Angesicht, Göttliche, unendlich Geliebte? War die Erscheinung beseligender als Dein Auge voll Frieden und Liebe?

Phaethon! rief sie schauernd in Entzücken. Ich preßte sie heftig an meinen Busen.

Dann erzählt' ich ihr meinen Traum. Wir blieben lange noch stehen vor dem Bilde Homers, Arm in Arm wie zwei Kinder. Die Sonne war längst aufgestiegen. Wir wandelten ins Schloß hinüber.

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Phaethon an Theodor

Auch ich war einst von Wissensdrang geplagt. Aber ach, mein ewig Weinen und Sehnen ward da nicht gestillt, und was das innigste geliebteste Heiligtum meines Herzens war, das fühlt' ich ungeregt. O Theodor, bei allem Suchen und Streben hab' ich nichts wahr gefunden als den Schmerz.

Einen wahren beseligenden Genuß verschafft mir noch die Welt der Dichter. Hier darf ich ja nicht fragen: Wozu? Woher? Warum? Das befriedigte Streben, das gestillte Sehnen meines Geistes ist die Antwort.

Von den Alten les' ich Homer und von den Neuen Shakespeare und Calderon. Wenn andere Dichter eines Volkes sind, so ist Shakespeare Dichter des Erdballs. Du lächeltest oft schon über meine grenzenlose Anbetung dieses erdgeborenen himmelstürmenden Riesen; aber lächle nur! Er ist doch nach Homer der erste aller Dichter.

Und ist wirklich seine Welt mir fast zu real – ich schweb' im Äther – so lieb' ich im Calderon das Zerflossene, das Unbegrenzte, das Blumige. Calderons Welt ist wie ein unendlicher Garten, wo auf lachend jungen Gründen unter glühend südlichem Himmel die üppigste Fülle von farbigen Blumen sich wiegt und aus tausend Kelchen und Glocken das lächelnde Kinderhaupt geflügelter Liebesgötter blickt. Seine Gestalten schieben sich in reizender Unordnung wie Arabesken durcheinander, und alles ist mit den holdesten Blumengewinden wie von göttlicher Hand durcheinander geschlungen.

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Phaethon an Theodor

Lieber, wenn ich an meinem Klavier sitze, und Atalanta sitzt neben mir, wenn die Töne bald schmelzend und tiefschmerzlich wie mein Inneres klingen und in sanften verschwebenden Akkorden, in linden unendlich empfindungsreichen Akzenten eine namenlose Sehnsucht hauchen wie das Auge der Geliebten, und unsere Herzen erbeben und zerschmelzen und weinend ein unerklärbares Verlangen fühlen; bald wie aus der Tiefe wie ein unterirdisches Donnern zittern, als verkündigten sie das Aufsteigen der schauervollen Geisterwelt, und immer weiter anwachsen und schwellen, und unsere Seelen wie in einem Sturm unaufhaltsam fortgewirbelt werden, und alles um uns und über uns zittert und wankt: da ergreif' ich oft ihre Hand. Ihr Auge wird wie die durchsichtige aber unergründbare Luft, wie das endlose unermeßliche Meer, und ich finde keinen Grund und kein Ende und glaube zu vergehen im Anschaun dieser überschwänglichen Schöne.

Ich ahne jene Sagen der Vorwelt, geheimnisvoll wie die Vorwelt selbst, wo die Macht der Töne sogar das Leblose mit Leben und Wärme füllte, jenen göttlichen Musenruf des diskäischen Schwanes:

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Strophe I

Goldne Leier, Dir, Apoll, und
Euch mit dem dunkeln Gelock,
Musen, gleichrechtmäßiges Gut,
der aufhorcht der harrende Fuß zu des Festes Anfang,
Deinem Zeichen lauscht der Sängerchor,
wann Du die Gesänge, die reigenführenden,
tief vom Schlag erzitternd, zum Vorspiel erklingst.
Auch des Blitzstrahls ewig glühenden Flammenkeil
löschest Du aus. Auf des Zeus Szepter schläft der
Adler, der Fittiche hurtig
schwebend Gefieder in Ruh
niedersenkend.

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Antistrophe I

Er ist der Vögel Fürst. Du gossest
Nachtgrau des Schlummergewölks
ihm ums runde gebogene Haupt,
sanft das Augenlid ihm zu schließen. Tief im Schlafe
schwillt von Deinem Wollustklange sein
weichwallender Rücken. Und Ares selbst, wild in
Tatkraft, läßt ja ferne des mordenden Speers
scharfen Stahl und labt des Herzens Drang in des
Schlafes Genuß. Es besänftigt ja Götterherzen
selber der Zauber, bei Phoibos
Lied und der Musen, die tiefbusigen
Schwestern.

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Epode

Aber so viele nicht Zeus liebt,
die erschrecken, hören sie
klingende Musengesänge,
auf dem Land wie auf dem unendlichen Meer.
Auch der hunderthauptige Typhos,
der, den Himmlischen verhaßt,
im Bette des Tartaros liegt, den einst des Kiliker
weitbuchtige Höhle geschützt. Nun aber drückt
ihm das meerumwogte Gestade von Kyma,
Sikela auch, dem Ungeheuer, die
zottige Brust. Auch hält ihn fest die
himmelanwirbelnde Säule,
die beschneite Ätna, des schneidenden
Gestöbers ewige Amme.

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Strophe II

Ihres Abgrunds Klüfte spein unnahbaren
Flammenlichts
lauteren Quell empor. Bei Tag
strudelt auf grauqualmende Ströme von Rauch die Flut;
aber durchs Nachtdunkel wirft blutrotwirbelnde
Flamm' in die tiefe Meeresflur
dumpf hintosende Trümmer von Felsen hinab.
Jenes Gräueltier strömt des Hephaistos allfurchtbare
Wirbel herauf, Wunderzeichen,
so zum Erstaunen im Anschaun
wie zum Erstaunen der Wandrer
zu hören.

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