Wilhelm Waiblinger
Bilder aus Neapel und Sicilien
Wilhelm Waiblinger

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Lieder
aus
Sorrent und Capri.


Lieder aus Sorrent.

1.
                Nein! Apulien hat der Hohenstaufen
Letzten Sprößling geraubt dem Vaterlande,
Nicht den Dichter, o Kaiserhaus von Schwaben.
Nein, hochherziger Freund, in gold'ner Strömung
Flossen Jahre dahin, seit ich am Tiber
Und am städtebesäten, meerumspülten
Aschenberge der Vorwelt Heldengröße
Und der reizendsten Mitwelt Lust genieße.
Alter Römer gedacht' ich, doch beim großen,
Theuern Namen des Vaterlands und Friedrichs
Herrschergenius, Freund, geschworen sei dir's,
Deutscher Glorie dacht' ich auch. Wohl hat an's
Junge Herz der Sirene Lied geklungen
Und im Rausch' des Moments der Zukunft Plane,
Der Vergangenheit Kraft vergaß der Wandrer.
Doch nur kurz; aus des Anio Wasserstürzen,
Aus des Pantheons heil'gen Dämmerungen,
Von der Säule herab des Imperators
Und aus Pästums gewalt'gen Dorertempeln
Sprach der strengere Gott: Wach' auf zum Werke!
Fei're muthig dein Volk und seine Helden! 106
 
    Dir bekenn' ich beschämt, dem großen Rufe
Folgt' ich nicht und des eigenen Herzens Leiden
Und vermessene Wünsch' und Liebefreuden
Sang ich nur; auf dem Haupt' Weinlaub und Rosen,
Oft die Asche des Grams, doch nie den Lorbeer,
Oeffnet' ich zum Gesang die Lipp' und strömte
Glut aus eigenem Feuerquell in manches
Glühnde Herz; doch vergieb, o Freund, der Jugend.
Denn voll blühte der Frühling meines Lebens
Und ergieb'ger vielleicht als dort im Norden
Du zu sehen gewohnt; und feur'ge Wetter
Brausten stürmend im wilden Geist des Jünglings,
Kräfte strömend im Kampf' der Leidenschaften,
Und was Wetter und Sturm dem auferweckten
Frühlingsdrang der Natur, war mir die Liebe.
 
    Doch vom Sommer die Frucht, vom heißen Mittag
Nicht die kräftige That zu fordern, däucht mir
Billig. Komm' in den Süden, Freund, und lerne,
Ob geschmeichelt, getränkt von süßern Lüften,
Ob am athmenden Busen nicht Armida's,
Ob dein Auge nicht bricht. Ich harre deiner
In Sorrento. Mein Retter willst du werden;
Komm' und bleibe bezaubert wie Rinaldo.
 
2.
    Wähle, Göttin der Liebe, mit den Grazien
Heute Paphos zum Sitz und morgen Knidos,
Ich beneide dich nicht; denn bald lockt Capri's
Morgenländischer Fels in seine Stille;
Bald zu Ischia's duft'gen Bergen rudr' ich;
Bald aus Reben- und heitern Säulentempeln
In Pompeji die See und Thal und Ufer 107
Und blauschattig Gebirg und Insel seh' ich,
Bald aus wildem Getöse des Toledo
Flücht' ich mich in Sorrent's Orangenhaine.
 
    Ja, geliebt ist der Berg dir wohl, der schöne,
Jener Stammberg im eb'nen Schwaben mein' ich,
Der dir Eigenthum fast geworden, dessen
Wolkenscheitel den Schmetterling dir sandte,
Und der Zeuge des Becherklangs gewesen,
Als großsinnige Freunde mein gedachten.
Sei er beiden gelobt, der Hohenstaufe,
Paladin des gewalt'gen Schwabens sei er,
Capitol uns genannt des Heldenhauses!
Aber schöner noch ist des Deutschen Erbland.
Frage Friedrich den Kaiser, frage Manfred!
 
    Hier auf blühenden Felsen, die der Abend
Purpurn färbt und der frische Meerwind kühlet,
Hier im ewigen Schatten der Citrone,
Freund, umathmen mich Lüfte rein und milde,
Wie die Götter sie trinken! Klar und helle
Lockt zum Bade das heit're Meer, es lockt die
Schatt'ge, hallende Grotte. Wie die Seele,
Die in Unschuld ich liebt', durch's holde Auge,
Leuchtet ruhig der stille Grund der Wasser.
Selbst das Kieselchen sieh'st du hier; nur selten,
Dem bescheidenen Wunsch des Innern ähnlich,
Regt ein lieblicher Schauer diese Tiefe.
Hier zu kühlen den Leib und hinzuplätschern
Unter'm Felsen ist Wonne, nur dem Seegott
Und der lüsternen Nymphe ganz gegeben.
Aber schweiget die Nacht, die kühle, holde,
Steige nur den gewund'nen Pfad der Felsschlucht
Hier empor, und die Last der üpp'gen Pflanze, 108
Die verschwenderisch niederhängt und schwellend
Grünt und wuchert, erblicke sie mit Staunen!
Und schon lachen die Gärten dir entgegen,
Weinlaub rankt sich empor, in stolzem Wuchse
Blühet über der Mauer die Orange,
Die Granate, der Lorbeer und die Feige.
Was im kindischen Drang' der ersten Liebe
Von Elysium's Früchten du geträumet,
Glänzt und duftet dir zu, aus ew'gem Grüne
Schimmert ebenen Dach's das Haus, die Kirche.
Sieh', es öffnet das Thor sich schon der Mauer,
Und der schattige Hofraum und der Brunnen,
Trepp' und Laube, vielleicht ein braunes Mädchen
Ladet ein, und die schwere Traube nimmst du
Oder Feig' und Orange selbst vom Baume.
Nachtigallen geweiht sind diese Haine;
Denn so voll und gedrängt ist Frucht an Frucht und
Blüth' an Blüthe, daß kaum durch's Laub der Erde
Allerlieblichstes, kaum der Himmel glänzet.
 
    Aber rühmt' ich dich nicht, o meine Freude,
Heimisch Dach, wo mich oft die Ghibellinen,
Rothbart oft und der große Friedrich und des
Kaisers ähnlichster Sohn, der schöne Manfred,
Oft der sterbende Konradin begeistert?
Denn in Reizen der ew'gen Jugend schimmert
Mir das goldene Erbland vor den Augen,
Meer und Golf und die Stadt und selbst der Himmel.
Hoch auf ländlichgetünchten Säulen ranket
Weinlaub über das Dach und reicht des Morgens
Kühlen Schatten, bis bald des weißen Daches
Heller Schimmer, der Lüfte Glanz mich blendet.
Abends aber auch nimmt es schon den Müden
Wieder auf; denn die Sonne brennt im Laube 109
Schon mit röthlichem Gold, und tausendfältig
Glüh'n die glänzenden Gärten; drüber lächelt
Blau die See und der schöne Berg im Dufte,
Der den zartesten Rauch in die Lüfte hinströmt,
Dem weißschimmernde Städte, gleich Juwelen,
Fuß und Ufer begränzen. Doch nach Bajä's
Zarten Hügeln und nach Misen zu blicken,
Nicht vergönnt es der Sonne Pracht. Schon sinkt sie
Ueber Procida nieder, übergossen
Wie von flammendem Wein; vom Lichte trunken
Leuchten rosige Berg' und fast in Wollust,
Dünkt mir öfter, verschmachtet Mutter Erde.
 
    Da, o Freund, auf dem theuern Dach beim Mahle
Denk' ich Großes, und fühle Muth und Stärke,
Und den Träumenden überrascht das Dunkel;
Sterne blinken hervor und Purpurröthe
Glühet auf dem Vesuv die holde Nacht hin;
Denn nur schön ist der Berg, wenn ihm die Flamme
Hoch entlodert; nur schön das Herz, wenn's Liebe,
Ruhm und Ehre zu großem Kampf entzünden.
 
3.
    Freunde glaubt' ich im Vaterland' nur einen,
Dich zu haben, o großes Herz. Der Jugend
Irrthum deutet die Welt zu schwer, und wenig
Wird, wer größer als sie, erkannt. O Alles,
Alles that sie, daß ich sie haßt', und dennoch
Mit verhülltem Gesicht und feuchten Augen
Von mir stoßend, was sie mir gab, begann ich
Die Verbannung; und mich nur, meiner Feinde
Grimm und hämischen Neid, nicht dich anklagend,
Heimath, pilgert' ich in ersehnte Lande, 110
Jung wie Konradin noch, wie er der Hoffnung
Und hochherzigen Muthes voll, im Kampfe
Mit dem Kinde der Nacht, dem stolzen Priester.
Mag anmaßender Geistesdruck und Blödsinn,
Mag, o Freunde, der Ghibelline siegen,
Laßt uns streiten! Der Lohn ist eine Krone.
 
    So oft denk' ich auf meerumspültem Felsen,
So im Hause des Tasso, da dem Dichter
Vom Balkone herab des Golfes Anmuth
Und der Liebreiz der Berge sich entfaltet.
Lorbeerheiliges Haus, wo oft im Dufte
Fremder Sieg' und Triumphe sich zum eignen
Volksbegeisternden Lied mein Herz ermuthigt.
Freund, wohl weiß ich, den Hohenstaufen schmückte
Schon im zwanzigsten Jahr die Königskrone;
Fünf der Lustern durchlebt' ich bald, und ruhmlos
Bin ich noch!
 
                        Und in tiefster Seele fühl' ich
Mich betrübt. O was that ich, euch zu preisen,
Im gewalt'gen Gesang die deutsche Vorwelt
Als ein Deutscher und Kampf und Herrschergenius,
Wahrheit, Kraft und des Völkerlebens Größe,
Hohe Menschen und Thaten zu verew'gen?
Denn im Tempel der Weltgeschichte, dünkt mir,
Ist der Dichter der Priester, und den Vorhang
Vor dem Heiligsten wahret seine Obhut.
Da, wenn oft mir die Scham die Stirne röthet,
Ruf' ich flehend Torquato's Genius, ruf' ich
Meinen Helden, und siehe, er naht mir langsam
Aus des Lorbeers Umschattungen, der Jüngling,
Friedrich's Sohn, der apul'sche König naht mir,
Schön und fröhlich, wie einst, da er Epirus' 111
Tochter, Helena, mit des Vaters Kraft und
Hohenstaufischem Arm als Braut umfangen,
Minnesänger und saracen'sche Mädchen
Einst den Dichter, den König, einst das junge
Liebenswürdigste Paar mit Jubel grüßten –
Aber groß und gebietrisch, wie das Erbland
Tausendjährigem Vorurtheil und Wahnwitz,
Und Roms heil'gem Tyrannen er entrissen,
Wie er einst mit dem Schwert der fränk'schen Räuber
Schaar durchbrach und ein Opfer frecher Habsucht
Ungeheuern auf Petri Stuhl und blindem
Aberglauben sein Heldenblut vergossen!
Da, o Freund, des Geschlechtes denk' ich nicht mehr,
Das mich neidet und haßt im Vaterlande
Und dreifältigen Haß und Stolz mir abdringt,
Und im höheren Geist nenn' ich mein Schwaben
Heimath mir, und vor Grieche nicht und Römer
Beug' ich mich, – da, bei Manfred's Grab, o Deutscher,
Benevento's und Alba's blut'gem Schlachtfeld,
Wo ich stand und zum großen Werk mich weihte,
Sei's geschworen: dem Kaiserhaus' mein Leben! 112

 

Lieder aus Capri.

1.
            Dem Horizonte nähert sich die Sonne.
Versinke sie im Meer, in goldnen Bergen,
Ich fühle stets die reinste Herzenswonne.
 
Doch welche Lust, wie alle Lüfte schweigen,
Und die Natur zur Ruhe sich bereitet,
Den jähen Pfad zum Fels hinanzusteigen,
 
Wenn schon im West, gleich einem Purpurquelle,
Die Sonne glühet, und in lautern Flammen
Auf Meer und Land verströmet Glanz und Helle.
 
Dann scheint des Himmels Schooß sich zu erschließen,
Und auf der Inseln schimmerndes Gebirge
Ein goldner Regen sanft herabzufließen;
 
Dann scheint, geblendet von des Lichtes Sprühen
Enaria dem Bad der warmen Fluthen
Mit reinem Schwanenleibe zu entglühen;
 
Sie scheint verschämt, in kindischen Gefühlen,
Den vollen Busen über'm Meer, mit Rosen
Und mit Violen anmuthsvoll zu spielen. 113
 
Ein Augenblick, – und jene göttergleichen,
Von Licht beträuften Wangen, Berg und Insel,
Und Meer und Himmel siehst du schon erbleichen.
 
So, gleich dem holden Wunderspiel der Sonne,
Verharrt nur kurz in ungetrübter Schöne
Und schwindet bald des Lebens höchste Wonne.
 
2.
Besteig' ich nach des Sommertages Schwüle
Mein südlich Dach, auf traulichem Gesteine
Mich dein zu freuen, holde Abendkühle,
 
Betracht' ich so in wohlgefälligen Träumen
Die Stadt, am grauen Felsen des Solaro,
Umblüht von Gärten und zerstreuten Bäumen,
 
Erhebt sich an begrünter Rebenmauer
Des Ostens halbverwaistes Kind, die Palme,
So einsam, und so stolz in ihrer Trauer,
 
Und seh' ich bis in ungemessne Weiten,
Voll Sonnenglanz, sich zwischen rauhen Felsen
Mit manchem fernen Schiff das Meer verbreiten:
 
Dann glaub' ich, daß Minervens Kap entnommen
Vielleicht durch Zaubermacht bewegt, die Insel
Längst in ein morgenländisch Meer geschwommen.
 
3.
Ich habe dich geliebt,
Und Treue bis zum Grabe dir geschworen,
Und doch hab' ich dein Herz so schwer betrübt. 114
 
So oft vergaß ich dein,
Denn andre Länder bringen andre Freuden,
Doch immer bliebst du in der Ferne mein.
 
Dein hab' ich mich genannt,
Mich dir geweiht zu ewigen Gefühlen,
Und dennoch hast du mich so tief verkannt.
 
Du kennst mein falsches Herz,
Und doch hab' ich dich nie, o süße Seele,
So wahr geliebt, als in der Trennung Schmerz.
 
Zu leben ohne dich,
Ich schwur und glaubte, daß ich's nicht vermöchte,
Und dennoch leb' ich, lebst du ohne mich.
 
Blüht mir auch andres Glück,
Hab' ich auch längst mein schwankend Herz vergeben,
So weint es doch, kehrt ihm dein Bild zurück.
 
Auf heitres Wiedersehn
War unser schluchzend Wort beim letzten Kusse,
Und dennoch wird und mag es nie geschehe.
 
Du littest lang und schwer,
Doch daß die Zeit mein schmerzlich Angedenken
Nicht längst vertilgt, wer gäbe mir Gewähr?
 
Drum däuchte mir denn fast,
Solch eine Liebe, solch ein Wechselglühen
War uns im Frühling eine Blumenlast.
 
Nun da sie abgeblüht,
So kränzen wir das Haupt mit frischen Rosen,
Und bleiben glücklich, auch wenn sie verglüht. 115
 
4.
Es baut der Mensch im wohlgepflanzten Garten,
Und zieht der Rebe fruchtbares Gewinde
Von Baum zu Baum in freudigem Erwarten.
 
So grünt denn selbst, vom Menschenfleiß bebauet,
Der kahle Fels, der aus dem Meere starret,
Der Gärtner erntet, weil er fest vertrauet.
 
Vom Vogelfange nähret sich der Arme,
Die steilste Klippe weiß er zu erklettern,
Und lauert kühn nach dem verborgnen Schwarme.
 
Er zittert nicht, wenn er zum Abgrund schauet,
Wo tief die grüne Meereswoge brauset,
Erreicht die Beute, weil er fest vertrauet.
 
Das Element des Fischers ist die Welle,
Sein Boot ist sicher, und er achtet's wenig,
Ob's um ihn schäum' und auf und nieder schwelle,
 
Er kennt die See, so wie sein Haus; ihm grauet
Vor ihrer Falschheit nicht, er senkt die Netze,
Und er gewinnet, weil er fest vertrauet.
 
Erscheint mir so der Gärtner in Gedanken,
Der Jäger auf dem luft'gen Felsenwege,
Der Fischer in des Wassers wildem Schwanken,
 
Und fällt mir ein, worauf ich einst gebauet,
Auf Lieb' und Treu' und Wort, so find' ich leider,
Daß ich verloren, weil ich fest vertrauet. 116
 
Den Glücklichen ist alle Ruh beschieden,
Ich aber jage nur nach eitlem Ruhme,
So sah denn auch noch keiner mich zufrieden.
 
5.
Wer hätte je so schwesterlich verbunden
Die Kraft der ungesell'gen Elemente
In einem einzigen schönen Stern gefunden?
 
Verklärt schien mir in seinem Glanz die Erde,
Das Irdische verewigt und vergeistigt,
Ich wähnte, daß es nie vergehen werde.
 
Des ganzen Himmels Schöne lacht' in blauen,
In offnen, undurchdringlich hellen Tiefen,
Nie konnt' ich bis zu ihrem Grunde schauen.
 
Sein Licht, es galt mir mehr als Mond und Sonne,
Den Frühling bringen sie, mir brachte jenes
Die keuschen Rosen erster Liebeswonne.
 
Ach! denk' ich gar der süßen, heißen Fluthen,
Womit der Schmerz, die Wehmuth es gefeuchtet,
Fängt mir's im tiefsten Herzen an zu bluten.
 
Genügt dir eines schon, der Stürme Wehen,
Die Macht des Meers, der Flammen und der Erde,
Nur eins, im Elemente zu vergehen,
 
Dann darf der Sterbliche fürwahr nicht klagen,
Der einst sie alle seelenvoll zerflossen
In eines Auges feuchtem Licht ertragen. 117
 
6.
Zwar keinen Freund, der gleich geliebt den Musen,
Begeisterung entzündend und empfangend,
Im schönen Taumel sänk' an diesen Busen,
 
Kein Mädchen hab' ich, das am Arm mir ginge,
Wenn mich der Gott beseelt, schon auf der Lippe
Das heiße Lied mit einem Kuß empfinge.
 
Kaum blieb mir die Erinn'rung noch an beides,
Doch, ach, es ist nicht der vergangnen Freuden,
Nur die Erinnerung vergangnen Leides.
 
Mein Umgang, meine Freunde sind die alten
Entblößten Felsen, der umrauschten Klippen
Schwermüthige, gigantische Gestalten.
 
Denn wie die Insel fern vom festen Lande
Verlassen ruht, so knüpfen mich ans Leben
Nicht mehr beglückende beglückte Bande.
 
Wohl bin ich einsam, bin ich abgeschlossen,
Mein einzig Gut ist, meine einz'ge Habe,
Was ich gelitten, was ich einst genossen.
 
Dem Meere gleich, seh' ich im Wellenzuge
Der Menschheit Wechselstrom vorüber treiben,
Ich folge nicht mehr seinem falschen Truge.
 
Doch wie der Fels nicht mehr im Spiel der Wogen
Und Winde sich vergnügt, die seine Pfeiler
In ew'ger Wiederholung stets umzogen; 118
 
Wie hier der Aloe stolz Gewächs erblühet:
Dort Indiens Feige, Palmen und Oliven,
Hier saft'gem Laubgrün die Orang' entglühet.
 
So ist nicht unfruchtbar mein stilles Leben,
In Fülle reifen goldne duft'ge Früchte,
Im Sonnenschein die edelste der Reben.
 
Wird sie zuletzt der schöne Gott bemeistern,
So wird sie euch, zu reinem Wein verwandelt,
Als feuriger Gesang das Herz begeistern.
 
7.
Dem Fischer, der das Netz den falschen Wellen
So manches Jahr geduldig anvertrauet,
Mag ich mich gern am Strande zugesellen.
 
Fast ist er nackt: vom heißen Sonnenscheine
Gedunkelt und verbrannt ist Kopf und Nacken,
Und Brust und Schulter, sind auch Arm und Beine.
 
Sein einz'ger Schmuck ist eine Wollenmütze,
Beglückt ist er vielleicht in eines Kahnes,
In einer Hütte sparsamem Besitze.
 
Ein Mädchen ist die Sehnsucht seiner Jugend,
Und ihm getraut, so bringt's ihm frische Kinder,
Und übt bewußtlos eine strenge Tugend.
 
Die Kleinen lernen bald die Kunst der Alten,
Das Netz zu ziehn, das Ruder keck zu führen,
Den Dienst des Boots ausdauernd zu verwalten. 119
 
Oft sah' ich's, daß mit liebevollem Bangen
Am Strand sie Mutter oder Weib erwartet,
Und offnen Arms die Kehrenden empfangen.
 
Friedfertig, nur im Kampf oft mit dem Meere,
Betreiben sie das Urgeschäft der Väter,
Ein volles Netz giebt ihnen Ruhm und Ehre.
 
Welch Bild der Menschheit! Mit vermeßnem Willen
Wagt ins Unendliche hinein sich Jeder,
Das tägliche Bedürfniß nur zu stillen.
 
8.
O Einsamkeit, wo ihre schweren Sünden
Des Weltbeherrschers Tochter einst beweinte,
Wie läß'st du ganz mich ihre Qual empfinden!
 
Die einst ihr der Verbannten Haus umgrauet,
Schreckbare Felsen, deren kahle Wildniß
Ins öde, grüne Meer hinunterschauet,
 
Verlaßner Strand, wo nur die Woge brandet,
Wo an der hochumrauschten Fischerhütte
Schon lange Boot und Kahn nicht mehr gelandet;
 
Ihr bargt ein Herz, in Sinnenlust verwildert,
Von Qualen einer Leidenschaft durchwühlet,
Wie keines Byrons Schmerz sie noch geschildert.
 
Leicht ist dem besten Herzen ein Verbrechen
Sobald es liebt, noch leichter ist's dem kalten
Fühllosen Zorn, zu strafen und zu rächen. 120
 
Schnell ist die strenge Welt bereit zu richten,
Weil sie ein flammendes Gefühl der Liebe
Nicht schaffen kann, so will sie's doch zernichten.
 
O Julia, laß mich theilen deine Thränen,
Die Schwermuth der Verbannung, die Erinnerung
Vergangner Lust, verlorner Heimath Sehnen.
 
Auch meine Liebe hat sie schlimm gedeutet,
Die fluchbeladne Welt, und ihre Blumen
Wie giftig Unkraut gänzlich ausgereutet;
 
Auch mir lag eine Julia in den Armen,
Und Schuld und Unschuld, ach, sie nannte beides
Verbrechen ohne Scheu und ohn' Erbarmen.
 
So schließe denn der Felsen alte Trauer
Uns ein, und gern, verstoßne Kaisertochter,
Umarm' ich hier dich ohne Furcht und Schauer.
 
Sie mögen höhnisch unsre Namen schmähen,
Mir bleibt mein Herz, und jene matten Stimmen
Laß sie im Meeresbrausen untergehen.
 
9.
Auf jähen Felsen grauen alte Türme,
Es gähnt der Abgrund unter ihren Füßen,
Ein halb Jahrtausend wehn um sie die Stürme.
 
Kaum schwingt der leichte Vogel sich zu ihnen,
Doch mühsam über ungezählte Stufen
Gelangt der Mensch zu diesen Burgruinen. 121
 
Sind's wohl aus röm'scher Vorzeit Ueberreste,
Hat hier der Feind der Welt, die er beherrschte,
Tiberius erbauet eine Veste?
 
Ein andrer Kaiser ist's, der Held vom Norden,
Der Hohenstauf' ist mit dem rothen Barte
Der Insel Herr, des Schlosses Gründer worden.
 
Und wo der Waiblinger in freiern Tagen
Gethront, denkt oft ein Dichter dran, den Namen
Der Großen einst zu feiern, die ihn tragen.
 
10.
Ich hab' es hundertmal erfahren,
Daß mir die reinsten Herzensfreuden
Ein blut'ger Quell von Schmerzen waren.
 
Mit Herz und Leib, mit Geist und Sinnen,
Als Schönheit und Genuß versuchte
Den Blick mir Liebe zu umspinnen;
 
Als höchste Kraft und Gluth im Leben,
Als Drang nach That und Ruhm und Ehre
Die Freundschaft meinen Muth zu heben.
 
Ich schlang mit glühendem Vertrauen
Den Arm um manchen schönen Nacken,
Sah manches Aug' in Thränen thauen.
 
Mit mir zu streben und zu handeln
Schwur manches Heldenherz, und manches,
Den rauhen Pfad des Ruhms zu wandeln.122
 
Doch weil ich hier auf unsrer Erden
Kein Heil'ger bin und kein Apostel
Und erst im Himmel möcht' es werden,
 
So war es leicht mich zu bethören,
Denn aus dem Kelch, den sie mir reichten,
Konnt' ich den Satan nicht beschwören.
 
So schlürft' ich denn, ein trunkner Zecher,
Von Freund und Mädchen süß umlispelt,
Der Hölle Gift aus vollem Becher.
 
Drum muß ich jetzt alleine bleiben,
Und ohne Freund, und ohne Liebchen
Im öden Strom des Lebens treiben.
 
Und siehst du einst noch halb erschlossen
Aus gift'gem Boden manches Veilchen
In meines Lorbeers Schatten sprossen,
 
So sei dir eben nicht verhehlet,
Daß jenen Blumen ihre Seele,
Der schöne Duft, der Glaube fehlet.
 
11.
Wenn eures Neids und eurer niedern Ränke,
Scheelsücht'ge, häm'sche vaterländ'sche Feinde,
Zuweilen ich in meinem Lied gedenke,
 
So scheint's, daß euer Haß auch mich verbittre,
Daß jener Sümpfe Dunst, worin ihr röchelt,
Selbst meine reine Inselluft durchwittre. 123
 
Doch ist's nicht so: ich muß die Zeit verfluchen,
Da ich gelernt, des Lebens Geist und Würde
In Freiheit ohne Schrank' und Maaß zu suchen,
 
Und jene nun den Furien heil'ge Kette
Von Lieb' und Irrthum, Haß, Vertrau'n und Frevel,
Die ich einst trug an deiner Richterstätte,
 
Befleckte Unschuld, – oft mit ihrem Kummer,
Mit ihrem Fluch und euern Namen kehret
Sie wie ein Traum zurück in wildem Schlummer;
 
Ich kämpfe mit den häßlich finstern Bildern,
Ich zürn' und straf', und meines Liedes Weise
Beginnt sogleich auch wieder zu verwildern. –
 
Doch ich erwach', es fliehen die Gespenster,
In einer reinen Welt seh' ich mich wieder,
Der holde Tag lacht schon durch's Blumenfenster.
 
Die frischen Lüfte fühl' ich um mich wehen,
Es glänzt das Meer; und in verjüngter Schöne
Seh' ich den bessern Geist mir schon erstehen.
 
12.
In solcher Einsamkeit, wer sollt' es meinen,
Daß mir zuweilen auch der heitre Eros,
Und alle Grazien lächelnd mir erscheinen?
 
Jüngst fuhr ich von Parthenope herüber,
Und sieh, im engen, schweren Capri-Boote
Saß eine schöne Frau mir gegenüber. 124
 
Zwar sah ich meist hinab in Fluth und Wogen,
Doch leugn' ich nicht, daß manchmal meine Augen
Geheime Lust aus ihren Blicken sogen.
 
Und mußt' ich mich vom Sonnenglanze wenden,
Wenn's Meer ihn wiederstrahlt, begann auch wieder
Ihr holdes Aetherauge mich zu blenden.
 
Und nicht so schön erhoben sich die Wellen
Und sanken, als ich ihren jungen Busen
Das dünne Kleid sah auf und nieder schwellen.
 
Wir sprachen viel, doch aber nur vom Winde,
Wir sahn die Fische hüpfen über's Wasser,
Ich lachte wohl auch mit dem hübschen Kinde.
 
Es kam die Nacht, und sie verschwand im Dunkel,
Wir freuten uns mit jedem Ruderschlage
Jetzt an des Meeres strahlendem Gefunkel.
 
Da breitete die schwarzen, jähen Wände
Das Felseneiland um uns aus, – wir sahen
Des Strandes Lichter, unsres Weges Ende.
 
Schon hörte sie des frohen Vaters Rufen,
Der alte Fischer schließt sie in die Arme,
Nun gute Nacht! Und meine Felsenstufen
 
Wandr' ich empor mit ungetrübtem Sinne:
Zwar es verliert, wer Kraft hat zu entsagen,
Doch leicht ist der Verlust vor dem Gewinne. 125

 

Letztes Lied aus Capri.

                Capri werde mir stets der Edelsteine
Wundervollster genannt, den Vater Ocean
Mit der Wogen Azur umfängt; kein Eiland
Sei ihm gleich, ob's mit Weinlaub Bacchus kränze,
Ob's in furchtbarem Fels der Vorwelt Schreckniß,
Den Gedanken der Einsamkeit und deine
Werkstatt, Mutter Natur, im Schooß verberge,
Blüthenweckender Hauch des Westens oder
Sturm das Haupt ihm umweht, ob's Sitt' und Unschuld
Stillen Fischern, ein Gräuel der Geschichte
Künftigen Zeiten zum Graun geweiht: mein Eiland
Bist du.
 
              Möge kein Frühling mir entblühen,
Wo dein himmlischer Strand den Gast nicht aufnimmt,
Nicht den Gast, denn Vertrauter, Kind und Liebling
Bin ich dir; mich erkennet Haus und Garten,
Palm' und Feige, mich Fels und Fischerhütte,
Mich der Mensch, die Natur; die falsche Meerfluth
Ist's allein, die den Kehrenden nicht kennet.
So auch, was ich geliebt, gethan hienieden,
Bleibt mir treu in's beständige Herz gewurzelt;
Mag das wechselnde Schicksal jede Stunde
Die vergängliche Welt' im Sturm und Brandung
Rauschend treiben zum Fels; beharrlich steht er.
Wo am schönsten erscheinst du mir, o Eiland?
Ist's, wo Reben, des Geistes voll, den Abhang,
Schöpferinnen verweg'ner Kraft, mir aufblühn,
Und die holdere Sonne sie durchglühet,
Wie ein besseres Herz die Liebe? Morgens
Gern aus Garten und Weinberg seh' ich träumend 126
Schimmern Golf und Vesuv und Kap und Inseln,
Ueber Ischia weg, wo weit im Norden,
Fast dem Himmel vermählt, der Circe zaubrisch
Vorgebirge mich lange täuscht, ob's Nebel
Oder wirkliches ist. Dem Schmerz erscheinet
So vergangenes Glück. Vergieb der Sehnsucht
Dieses Herzens, ich denke Roms.
 
                                                        Doch ewig,
Strand der Einsamkeit, uns erwählet seist du,
Wo schreckhaft in des Südmeers wilde Brandung
Niedergrau't des Solaro Fels, dem Vogel
Kahle, wolkenumrauschte Wohnung. Menschen
Trifft mein Auge hier nicht, dem Ozeane
Preis gegeben erscheint die Welt, in Trümmer
Liegt zersplittert der Fels, doch nur am Fuße,
Denn jäh starrend erhebt sein stolzes Haupt sich
Und den Scheitel bekrönt die kühne Burg ihm;
Unten aber, umtos't vom Schaum des Meeres,
Ruht das Einsamste, was sich Schmerz und Schwermuth,
Menschenfeindliche, je geträumt, die Hütte.
Fels nur scheint sie, doch Trepp' und Thüre seh' ich,
Und die Sonne des Mittags trocknet Netze
Da und dort auf dem Kiese, auf dem Felsblock.
Nicht Trinakria scheint, nicht Lybiens Küste,
Jene Wildniß des Meeres zu verbergen,
Wo das Auge verirrt, kein Grün am Strande,
Hoch nur sproßt aus dem Spalt' die indische Feige;
Himmel zeigt dir und Meer unübersehbar
Das Unendliche hier.
 
                                    Gepriesen sei mir,
Kühner Sieger des Elements, o Schiffer!
Fast am Grab' der Natur, der Menschheit steh' ich;
Und von meinem Geschlecht allein noch übrig 127
Dünk' ich mich als der letzte nach zu sterben;
Unvermeidlich erschien es mir, doch find' ich
Ueber'm Rücken des Felsens euch, o Fischer,
Und das schauernde Herz fühl' ich beruhigt;
In Verbannung nun wähn' ich mich: doch süß ist
Solcher Einsamkeit selbsterkorne Stille.
Nicht verlangt mich's den blauen Golf hinüber,
Und die dämmernde Stadt, die ihm erglänzet,
Zaubert nicht bis zum stillen Eiland; oft nur
Seh' ich lange hinein den Wasserspiegel
Hoch herab mit der Bangigkeit der Liebe,
Bis ein Wimpel im Sonnenlicht erschimmert;
Süße Angst und verhohl'ne Zweifel fesseln
Auf das schwankende Schiff den Blick, ob treulich
Einen Brief mir von Rom das Liebchen sende.
Flügel wünsch' ich mir dann, das träge Ruder
Liegt zur Seite; der Gott der Winde schicke
Mir von Osten den frischen Hauch, die Worte
Der Entfernten in Eile mir zu bringen.
Kummervoll, wie das engbeschränkte Leben,
Ist im Reiche Neptuns der Weg, wenn mühsam
Ihn das Schiffchen im Ruderschlag durchstrebet;
Aber Wonne, wenn Wind die Segel schwellet,
Wenn's den rauschenden Pfad hinfliegt; dem Genius
Gleicht's alsdann, den Begeisterung ergriffen. . . . . .

 


 


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