Wilhelm Waiblinger
Bilder aus Neapel und Sicilien
Wilhelm Waiblinger

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Pompejanische Lieder.

Erstes Lied.
Ich.
            Knabe, reiche mir den Becher,
Reich' ihn auf die Tempelstufe,
Nektar bringt dem Göttervater
Der geraubte schöne Mundschenk,
Und bei Bacchus' holdem Namen
Denken Himmlische des Menschen,
Denkt der Mensch des Himmlischen.
 
Der Knabe.
Herr, befiehl, ich trage süßen,
Unvermischten Wein im Korbe.
Aber laß bevor dich fragen,
Sprich, warum so traurig immer?
Einsam seh' ich und verdrossen
Dich durch Haus und Tempel ziehen,
Dich auf Säulentrümmern ruh'n. 64
 
Ich.
Hast du nie gehört, die Menschen
Sind zuweilen in Gedanken,
Sorg' und Plage hat ein jeder,
Hat der König wie der Sänger,
Und des Sängers einzige Habe,
Glaube, Kind, es ist die Leier
Oefters eine schwere Last.
 
Der Knabe.
Wenig kann ich dich verstehen,
Doch ich weiß, Gesang und Leier
Sind des Menschen Lust, und können
Nicht der Kummer sein des Sängers.
Nein, du hast ein Liebchen ferne,
Und des Abends durch Pompeji
Führtest du's am Arme gern.
 
Ich.
Stille, stille, kleiner Schwätzer,
Dort im duft'gen Abendgolde
Seh' ich eine Insel schwimmen,
Gieb von ihrem goldnen Weine
Mir den Becher voll, und sei er
Feurig wie das Herz der Männer
Und wie Mädchenlippen süß.
 
Zweites Lied.
Suchend wandr' ich durch die Straßen,
Ob ich meinen Knaben finde,
Doch vom Thore bis zum Forum
Hör' ich keines Menschen Athem,
Nur der eignen Tritte Schall. 65
 
Offen steh'n mir alle Thüren,
Und des Vorhofs farb'ge Säulen
Winken mir in heit're Häuser,
Bilder find' ich an den Wänden,
Aber einen Menschen nicht.
 
An der Ecke dort ein Brunnen!
Ob er sich mit kühlem Wasser
Dort erquickt und mich erwartet?
Doch der Brunnen ist von Wasser
Fast Jahrtausende schon leer.
 
Ob er hier in's Bad gegangen,
Sich zu stärken und zu salben?
Freundlich wölben sich die Säle,
Ruf' ich ihm? doch was vernehm' ich?
Meiner Stimme Wiederhall.
 
Worte hier mit rother Farbe
An getünchte Wand geschrieben,
Ob er sie an mich gerichtet?
Nein, es hat's ein Mann geschrieben,
Der zu Nero's Zeit gelebt.
 
Wär' er nicht vielleicht im Tempel?
Hier die Treppe, Säul' und Altar,
Und des Gottes heil'ge Zelle;
Doch es fehlt der Gott, so fehlet
Auch der fromme Betende.
 
Ob vielleicht des Forums Menge
Nicht den Einzelnen verschlungen?
Wohl des Säulenganges Trümmer,
Platz und Rednerbühn' und Tempel,
Aber Menschen seh' ich nicht. 66
 
Ist die Welt denn ausgestorben?
Sieh', hier find' ich ihre Gräber!
Wunderbar, und hier zu finden
Glaub' ich seine Ruhestätte,
Glaub' ich selbst mein eignes Grab.
 
Drittes Lied.
Nimm den Rosenkorb, o Knabe!
Und an Jovis Haus vorüber
Laß vom Heiligthum der Venus
Unsern Schritt mit Andacht wenden;
Ja, die Vorwelt nenn' ich weise,
Denn der Themis an die Seite,
Denn an's Forum baute sie
Amathusien einen Tempel.
 
Zwar gestürzt sind ihre Säulen,
Einst der holden Fabel heilig,
Und geflohen ist die Göttin
Aus der langbegrabnen Zelle.
Einst auch so die zücht'ge Flamme
Bergend in geheimer Tiefe,
Ward mir das enttäuschte Herz
Nun zur trauernden Ruine.
 
Viertes Lied.
Rosen waren meine Freuden,
Denn ich ahnte das Geheimniß,
Wie Natur im Frühlingdrange
Für die Liebe sie geschaffen,
Sei's am reinen Spiegelquelle,
Sei's im tief verschwiegnen Busche,
Sei's an junger, keuscher Brust.
Rosen waren meine Freuden! 67
 
Lob' ich sie, wenn sie des rauhen
Apennins beschneiten Gipfeln
Oft im Morgenglüh'n entathmen,
Wenn sie duft'ge Inseln ferne
Mit verliebtem Purpur schwellen,
Wenn in tausend blauen Wiegen,
Von der Winde Lust gebuhlt,
Capri's Meere sie entäugeln?
 
Prachtvoll mögen sie des Berges
Schwarzem Krater auch entblühen,
Und in Wolk' und Asch' und Nebel
Ihre sanfte Röthe hauchen,
Ewig will ich sie nur preisen,
Wie ich sie, um Liebe flehend,
Ohne Schuld, zum erstenmal
Glühen sah auf Mädchenwangen.
 
Fünftes Lied.
Ich.
Wandern wir durch Feld und Vigne,
Denn es dämmert schon der Abend,
Und aus Weinberg und aus Gärten
Kehrt der Landmann singend heim.
 
Der Knabe.
Folget mir nur längs dem Sarno,
Hier durch's Grün der Reb' und Feige,
Dort vorüber, wo die Häuschen
Im Gebüsch und Weinlaub' stehn. 68
 
Ich.
Aber sprich, was hör' ich schäkern,
Höre laut Gelächter schallen,
Halt, und dort stürzt aus der Vigne
Gar ein schönes Kind hervor.
 
Er.
Herr, verlobt ist dieses Mädchen,
Daß ihr's wißt, und hat 'nen Liebsten,
Ja und seht, dort läuft der Bube
Selbst dem schönen Liebchen nach.
 
Ich.
Aber sollt' er sich nicht schämen,
Machen denn verliebte Leute
Solchen Spuk und solchen Lärmen
Außer Haus und außer Dach?
 
Er.
Herr, nur jetzt noch wird geschäkert,
Ist die Hochzeit erst vorüber,
Legen sie sich mit einander
Stille, mäuschenstill zu Bett.
 
Sechstes Lied.
Ich.
Gräber, am verlaßnen Wege,
Gräber, les' ich eure Inschrift?
Namen find' ich, fremde Namen,
Leeren Schall, der ganze Mensch
Ist ein leerer Name worden.
 
Er.
Herr, wo find' ich euch, ihr sitzet
Abermal vor diesen Gräbern?
Weinet ihr um eine Mutter,
Weint ihr um ein Liebchen? Nein,
Denn das Liebchen ist am Leben. 69
 
Ich.
Aschenkrüge seh' ich stehen
Hier im stillen Grabgemache,
Denn der Mensch ist Staub und Asche,
Und mit Asche hat der Berg
Einst die Gräber auch begraben.
 
Er.
Welche Trauer im Gemüthe!
Laß die todten, leeren Steine,
Blicke nach dem goldnen Himmel,
Wie er Weinlaub und Vesuv,
Meer und Insel überglänzet!
 
Ich.
Ja, die Welt ist schön und herrlich,
Und es ist nur eine Sonne,
Gleich dem goldnen Sonnenstaube
Schimmern wir in ihrem Glanz
Und vergehn in ihrer Größe.
 
Er.
Nein, wie kann ich's noch verschweigen,
Länger dich so finster sehen!
Auf, erheitre deine Stirne,
Dieses Briefchen hier, von Rom,
Gebe dich zurück dem Leben.
 
Siebentes Lied.
Ich.
Was vernehm' ich, ist vom Grabe
Nicht allein die Stadt erstanden,
Find' ich auch das Volk am Leben?
Dort vom Thore hergezogen,
Hier den Aschenhügel nieder
Aus dem Weinberg kommt's herbei
Mit Geräusch und mit Getümmel. 70
 
Er.
Fröhlich, Herr, an diesem Tage!
Denn ein muntres Fest ist heute,
Und das Landvolk, es versammelt
Sich zu Tanz und Scherz und Feier,
Folgt dem farbigen Gedränge,
Folgt dem Schall des Tamburins,
Das die Straßen hin ertönet.
 
Ich.
Wie, noch wär' ich in Pompeji?
Dort erhebt sich das Theater,
Doch am alten Säulengange
klappert in bacchant'schem Takte
Nun zum Tanz die Castagnette,
Schallet hier an Herkules'
Tempelhaus die Tarantella.
 
Er.
Wie sie jauchzen, wie sie hüpfen,
Freut euch, Herr, des Augenblickes,
Und ihr lebet froh und glücklich;
Seht das Brautpaar von der Vigne,
Wie es sich zum Tanze schwinget,
Nein, ihr widerständet nicht,
Ginge Liebchen euch am Arme! 71

 


 


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