Wilhelm Waiblinger
Bilder aus Neapel und Sicilien
Wilhelm Waiblinger

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Bilder aus Sicilien:

Sicilianische Lieder
und
Oden


Sicilianische Lieder

Erstes Lied.
            Tage verstreichen an Tage; noch immer im heiteren Zankle,
    Hält mich die Sonne, die Lust, hält mich die Laune zurück.
Runzle die Stirn, dich ergreife der Ernst altgriechischer Vorwelt,
    Dank' es dem Glück, dich umglänzt endlich trinakrische Luft.
Der Pelorias hier und die sandige Zunge des Faro,
    Ueber des Meeres Azur lockt dich Kalabrien dort.
Hier am Horne des Stiers durchschwamm Herakles die Wogen,
    Hier mit Strudel und Tod kämpfte der Dulder Ulyß,
Still, o nordischer Freund, und zürne mir nicht, ich gestehe,
    Manche Scilla hat mir, manche Charybdis gedroht.
Zwinge zum Ernst mich nicht, dem Gemüth vergönne die Freiheit,
    Bleibe dem denkenden Ernst, bleibe dem Scherze sein Recht.
Sie gehorchen dir nicht, du bist ihr Diener, ihr Priester,
    Höheren folgst du, sie sind dir der begeisternde Gott. 88
So das heiterste nur, das fröhlichste lächelt mir heute,
    Und ein seltenes Glück wagt nur ein Thor zu verschmähn.
Hat ja den nordischen Gast am Strand schon Amor empfangen,
    Als er zum erstenmal Sikulerboden betrat.
Ist's ein Wunder, daß ich der Chalcidenser und Samer,
    Sparta's wenig und Rom's oder Karthago's gedacht?
Denn an's Fenster führt mir der Schalk ein liebliches Mädchen;
    Erst nur Blicke, doch bald folgt der verstohlene Gruß.
Und man redet mit Zeichen, man redet mit Augen und Händen;
    Andere Sprache vergönnt lauschende Nachbarschaft nicht.
Kannst du lesen, mein holdestes Kind? so frag ich mit Zeichen.
    »Ja,« ist die Antwort. Im Nu liegt auch ein Briefchen bereit.
Und beschwert mit dem Kiesel, damit es der Wind nicht entführe,
    Fliegt es in's Fenster und schnell hebt sie erröthend es auf.
Goldne Minuten erwartender Angst, und die zärtliche Antwort
    Eilt den gefährlichen Pfad schon in mein Fenster herein,
Worte der Liebe: »Wie bin ich dir gut, doch im Hause, mein Liebling,
    Darf ich dich jetzt noch nicht sehn, aber heut' Abend gewiß.«
Zweimal noch durch die Lüfte geleitet Amor die Briefe;
    Und der Abend, er naht schon mit beglückendem Schritt.
Bläuer rollet des Meeres Kristall und in glühendem Dufte
    Schimmert das holde Gebirg, schimmert Kalabrien schon. 89
Und die dämmernde Nacht, bald deckt ihr Schleier die Erde,
    Und der glückliche Wahn wird dem Verliebten enttäuscht.
Eines Andern Geliebte! Warum nicht? Wundre dich nicht mehr;
    Treulos bist du und willst Treue vom schwächeren Weib?
Freund, genieße; du achtest es nur, so lang du's ersehnest;
    Hast du genossen, es folgt gleich die Verachtung ihm nach.
Nur das Edlere bleibt und das Edlere such' in der Seele,
    Ueber dem Wechselnden steht ewig das Dauernde fest.
 
Zweites Lied.
Die Felsen der Cyclopen.
Wandle die Gärten, die blühenden, hin am Fuße des Aetna,
    Purpurn bietet dir noch Indiens Feige die Frucht.
Schwellend drängt sich zur Erde die Traub' und rankt um die Säule,
    Ueber dem niedrigen Dach lacht die Orange dir zu.
Haus und Garten umschließt das düstre Lavagemäuer,
    Ueber vulkanisch Gestein führet die Straße dich selbst.
Da ermangelt das liebliche Grün, du wandelst in Felsen;
    Eine Wildniß erschließt sich dem befremdeten Blick.
Unten rauscht um das Felsengestad die kristallene Woge,
    Die das mildeste Licht südlichen Himmels durchglänzt. 90
Kaum entdeckst du das Dörfchen am öden Ufer des Meeres,
    Fischer nähret in ihm, ärmliche, Vater Neptun.
Doch gewaltig entsteigen der Fluth die zyklopischen Klippen,
    Schwarzen Thürmen vergleichst du ihr gigantisches Bild.
Hier, o Muse Homers, naht' einst der troische Wandrer
    In zehnjähriger Fahrt irrend Trinakriens Strand.
Und des Ithakers denk' ich, des schlau'n, dem in mächtiger Höhle
    Der gefräß'ge Cyclop Freund' und Gefährten verschlang.
Doch er blendete tapfer den Feind und mit blökender Heerde
    Stahl sich der griechische Held muthig die Grotte heraus.
Aber die Felsen, wo oft in der Barke der Fischer mich rudert,
    Warf der ergrimmte Cyclop nach dem entflohenen Feind.
Dank, o Vater Homer! Am Strande des waldigen Aetna
    Irrend, wie Dulder Ulyß, hab' ich dein Märchen gefühlt.
Doch gern denk' ich den Sohn der Erde mir auch, da der Liebe
    Schelmischer Gott ihm in's Herz blutige Pfeile gesandt.
Da er gelagert am felsigen Strand der Nymphe des Meeres,
    Ein Verschmähter, den Schmerz brennender Liebe geklagt.
Und wie gerne der Mensch in Anderer Leiden und Freuden
    Seines Herzens Geschick thätig genießt und beweint–
Wie der griechische Wandrer mir oft die eigene Irrfahrt
    Auf der flüchtigen Welt täuschenden Bahnen gezeigt: 91
Kehrt mir vergangene Liebe zurück und vergangener Kummer,
    Und am Ufer erschleicht manche Erinnerung mich.
Nymphe der blauen Wellen, so noch den kristallenen Abgrund
    Deine Gottheit bewohnt, höre den Flehenden an!
Dünke mein Wort dir albern, wie einst das Liebesgeplauder
    Des Cyclopen, es sei doch mein Gedanke dir kund:
Viel einst hab' ich geliebt und Alles hab' ich verloren,
    Was ich mir treu, was ich einst mein bis zum Grabe geglaubt.
Unaussprechlicher Schmerz erfüllte da mir die Seele;
    Denn an ein fremdes Sein hatt' ich das eigne geknüpft.
Einem Baum verglich ich mein Herz, den die Wetter geschlagen,
    Dem schon im Frühling der Sturm Blüthen und Blätter geraubt.
Doch nun seh' ich ihn männlich gereift im heiteren Sommer
    Kräftigen Stammes und tief wurzelnd im fruchtbaren Grund.
Früchte trägt er, und glücklich enttäuscht auf die Träume der Jugend
    Blick' ich zurück, und es ist nun auch die Ernte nicht fern.
Drum verarge mir nicht, o verschmähende Göttin des Meeres,
    Such' ich mein höchstes Glück jetzt in der Liebe nicht mehr.
Sei ihm offen das frische Gemüth, doch begnüge sich Amor,
    Freund und Gespiele, doch nicht Herr und Gebieter zu sein.
Noch, Galathea, hat mich kein sprödes Mädchen verschmähet,
    Aber trifft mich das Loos, bin ich zu dulden bereit.
 
Drittes Lied.
Agrigent.
Wie aus heiterstem Grün, o erhabenste Tempel Girgenti's,
    Wie vom Himmel umglänzt steigt ihr der Nachwelt empor!
Zwar in Trümmer schlug euch die Zeit: wohin ich mich wende,
    Zu des olympischen Zeus altem titanischen Haus,
Sei's zum furchtbaren Schutt des Herakles, sei's zu dem Hügel,
    Wo vom Frühling umblüht, Juno Lucina, du einst,
Oder die Eintracht dort in dorischer Schöne gewohnet,
    Sei's wo der Tempel Vulkans über der blumigen Kluft
Von Limonen umduftet, umlacht von Indiens Feigen,
    Kaum den Blick mir zum Strand, kaum bis zum Meere gewährt.
Euch umglühet Natur, und selbst aus dem Grab in der Mauer
    Strebt der blühende Baum mächtiger Aloe noch.
Jüngst so irrt' ich im Grün, mir lachten goldene Früchte
    Hier entsprang der Granat, dort die Orange dem Laub.
Eine Nachtigall schlug, und die Tempel entragten den Hainen,
    Da erfüllte mir Wehmuth das einsame Herz,
Unaussprechliche fast. So oft in's zerfallene Leben,
    Oft in die Trümmer des Glücks, oft in der Liebe Verlust
Klagt ein süßer, ein seliger Laut mit der Nachtigall Stimme,
    Und das Schöne vielleicht wohnet am liebsten im Schmerz. 93
 
Viertes Lied.
Chiron.
Immer zu Pferde; schon kehret der Mond, schon füllt er die Scheibe
    Und der sikulische Herbst sieht mich noch immer zu Pferd.
Fast ein Kentaur erscheinet sich selbst der wandernde Sänger. –
    Wohl ihm, fände sein Lied einen gelehr'gen Achill.
 
Fünftes Lied.
Die Tochter von Carini.
Nicht von Heroen und Kriegern, von Königen oder Tyrannen,
    Dion und Dionys und von Timoleon nicht,
Nicht von Roger dem Grafen, von Arabern oder Normannen,
    Nicht von Staufen ertönt oder von Franken mein Lied.
Euch, o freundliche Wellen, entrauscht den Saiten der Wohllaut,
    Die ihr purpurnen Scheins lustig den Kahn mir umhüpft.
Noch umwehn mich die Düfte des fruchtbeladenen Thales,
    Wo verschwendend Natur Wollust empfindet und weckt.
Und der spiegelnden Flut entragt der geröthete Meerfels,
    Den der Schiffer umfährt, wenn er Panormus erstrebt.
Lachend rollet der Golf die glänzenden Wogen, und ferne
    Dämmert im Reiche Neptuns Ustica bläulichen Dufts. 94
Und dem felsigen Hang, der niederhängt in die Wasser,
    Rudr' ich entgegen; wie süß hier die Erinnerung ist!
Hykkara schwand, es zerstört' es der Grieche; doch immer lebendig
    Bleibt dein reizendstes Bild, schönste der Griechinnen, mir.
Lais' Heimat zu sein, nicht rühme sich dessen Carini,
    Wenn es der Tochter auch ewige Glorie verdankt.
Eher glaub' ich, sie stieg vollendet aus goldenen Fluthen,
    Um dem entzückten Geschlecht sichtbare Göttin zu sein.
 
Sechstes Lied.
Palermo.
Aber warum von Palermo du schweigst? Normännischer Baukunst,
    Gothischer Kirchen ist dort, maur'scher Palläste so viel.
Denke des Domes nur in Monreale, des alten,
   Frommer Mosaik, des Stils, der nur gerecht ist vor Gott.
Wie, von Palermo zu hören, ihr wünscht es, christlichen Freunde?
    Nun doch, wie immer, bin ich euch zu erzählen bereit.
Morgens weih' ich ein Stündchen mir selbst und meinen Gedanken;
    Drauf in den Wagen – er ist reinlich und hübsch und bequem –
Oder durch's laute Gewühl des überfüllten Toledo
    Dräng' ich mich auch und mir dünkt hier in Neapel zu sein.
Vieles beschäftigt mich, mich erfreut das Getümmel, der Reichthum,
    Mich der thätige Trieb, mich die alltägliche Welt. 95
Weih' ich aber dem Schönen den Blick, gleich erfaßt mich ein Bettler
    Winselnd und weißen Barts, nackt wie das Weib ihn gebar.
Gern besuch' ich die Freunde, die wohlgesinnten, und Nektar,
    Altsikulischer, giebt Leben und Scherz dem Gespräch.
Meist doch streif' ich am Strande des Meers und betrachte die Barken
    Und die Schiffer, wie sie hier zu Rosaliens Berg,
Oder zum Kap hinschweben von Zafaran, mich belustigt
    Jetzt die städtische Pracht, Gärten und Park und Pallast,
Jetzt das lieblichste Bild aeolischer Inseln. Es führt mich
    Stunden und Tage der Weg so durch Palermo's Natur.
Alle Berg', ich erklettre sie kühn; doch bist du vor allen,
    Fels'ger Cypressenpark, Bocca di Falco, mir lieb.
Auch die Gärten durchwandl' ich und sehe Brasiliens Pflanzen
    Frei, in glücklicher Luft, wie in der Heimath erblühn.
Werd' ich müde, so lockt die Zitron', es lockt mich der Maulbeer
    In den Schatten und reicht Schutz vor der Sonne Gewalt.
Aber den Durst, bald stillt ihn Indiens stachlige Feige,
    Bald der Brunnen und bald stillt ihn der süße Sorbet.
Dann am Abend kehr' ich zur Stadt, und muntre Gesellschaft
    Wie dem Vogel die Luft, ist sie mir nöthig, o Freund.
Christlicher Freund, dich hab' ich gemeint: doch zu guter Gesellschaft,
    Merk' es, zähl' ich bei Nacht immer ein Liebchen dazu. 96
 
Siebentes Lied.
Rückkunft nach Messina.
Nimmer, dünkt mir, vergönnt es der Gott von Zankle zu scheiden,
    König der Winde, vernimm, König der Wasser, mein Lied.
Wieder bin ich zum Strudel gekehrt der wilden Charybdis;
    Meiner Wanderung Ziel schien der Peloro zu sein.
Und was bracht' ich zurück? Ein Herz voll Freuden und Wonnen,
    Und ein Glück, wie es nur Wen'gen der Himmel geschenkt.
Jubelnd strömte das Wort mir auf die begeisterte Lippe,
    Als vom Gebirge zumal wieder die prangende Stadt,
Hafen und Burg und das leuchtende Blau des wogenden Meeres,
    Wie ein gigantischer Strom zwischen die Ufer gedrängt,
Als der Faro sich mir und Kalabriens südliche Zauber,
    Scilla und Apennin wieder dem Auge gezeigt,
Und vergangener Monde, vergangener Freuden Erinnrung
    Meer und Ufer und Stadt dankbar und zärtlich begrüßt.
Aber, o Vater Neptun, dem eilenden Wandrer entgegen
    Führest du Wellen und Wind, führest du Aeolus' Brut.
Und ein Gefangener bleib' ich zurück; an jeglichem Morgen
    Tret' ich an's Fenster, den Zug wandelnder Wolken zu schaun. 97
Und den Schiffer ermüdet der Fragen läst'ge Bestürmung;
    Immer kehr' ich an Bord, immer nach Hause zurück.
Wann erblick' ich die Segel? Es kommen und scheiden die Schiffe;
    Durch den empörten Kanal ziehen sie schwankend heran.
Nur das meine verweilt, und vergebens heftet die Sehnsucht
    Nach dem Faro den Blick, wünscht sich in's Weite hinaus.
Wochen voll ängstlicher Pein rollt so von der Spindel die Parze,
    Und das neid'sche Geschick löst mir die Fessel noch nicht.
Zwar es würzt mir die Stunden der Freundschaft reichste Bewirthung;
    Aber, o Götter, nach Rom treibt mich die Liebe zurück.

 

Die Tempel von Agrigent.
              Glanzreichste Tochter, dor'sche, des Ruhmes voll
Und Goldes, stolz am Ufer des Akragas,
    Am Heerd, dem nährenden, der Waffen
        Blut'gen Triumph mit der Lust vertauschend,
 
Die aus olympischem Göttergelage nur
Dem Sterblichen hellen'scher Geburt des Zeus
    Huldgöttinnen in's schöne Leben
        Hauchten, Persephone's heil'ger Wohnsitz –
 
Noch sinn' ich, ob Ortygia's Fall, ob nicht
Dein Sturz ein schicksalschwereres Loos dem Gott
    In zweifelhafter Hand geschwanket,
        Königin, holde, der blum'gen Hügel. 98
 
Folg' ich dem Strom festfeiernden, bunten Volks
Zur heil'gen Anhöh'? Ueber die Felsmau'r ragt
    Der Säulen dor'sche Majestät, von
        Kränzen geschmückt der gewalt'ge Tempel.
 
Und silberweißen, langen Gewandes naht
Der Priester Festzug, heil'ger Gesang erschallt,
    Die Opfernden sie nahn, der Stiere
        Trotzige Kraft von der Blumen Anmuth
 
Und priesterlicher Teppiche Pracht bedeckt;
Und hold verschleiert wandelt in Schüchternheit
    Der Jungfrau'n aufgeblühte Jugend,
        Rosen um's Antlitz und Rosen ähnlich.
 
Nicht fehlet auch der Rosse gerühmter Stolz,
Denn gute Art zeugt Cocalos Burg, sei's nun,
    Im Kampfgewühle sie zu tummeln
        Oder zu siegen im Spiel Olympia's.
 
Der Wagen auch, der glänzenden, folgen viel,
Denn weichlich lebt der Bürger am Akragas,
    Reich ist er fast wie seine Götter,
        Denen er Tempel gebaut und Altar.
 
Schon dampft das Opfer, aber vom Säulenhaus,
Dem priestervollen, blickt auf die Glücklichen,
    Die Starken, Aug' und Herz der Schönen,
        Die sich zur Feier des Gotts versammelt.
 
Und Volk beschau' ich, unübersehbares,
Und Meer und Hafen, auch die geschmückte Stadt,
    Und Athenaea's Fels und oben
        Zeus Atabyrios' goldne Wohnung. 99
 
Nicht wein' ich mehr dem Menschengeschick; denn schnell
Und leer, bestandlos wandelt's, den Wolken gleich,
    Die um die Sonne wehn, die ew'ge,
        Ueber die Erde dem Nichts entgegen;
 
Nicht mehr den Männertugenden, Wolken auch
Sind sie, durchglüht nur stark von des Himmels Gold,
    Nicht mehr der Tapferkeit, den Wettern
        Gleicht sie, die segnen im Sturm und Donner;
 
Nicht mehr dem Glück, das Perlen wie Morgenthau
Ausgießt im Frühschein, Perlen, die Stunden kaum
    Der Ros' entglänzen und vergehen,
        Während die Blume verwelkt am Mittag.
 
Wenn auch dein Bild, freigebigster Gellius,
Der jeden Wandrer lud, und der Sieger mich
    Olymp'schen Kampfes – dreimalhundert
        Folgten ihm prangender Roßgespanne –
 
Wenn auch die Braut mich mahnet, der Hymens Brand
Von allen Tempeln leuchtete: dennoch nicht
    Verwundr' ich deß mich, dennoch frag' ich
        Nicht, wie es kommen und wie's geschwunden.
 
Das aber dünkt mir schwer und mit Angst erfüllt's,
Mit staunender, das zweifelnde Herz: gestürzt
    Und fürchterlich zur Erde nieder
        Sah' ich geschmettert der Götter Tempel.
 
Giganten trugen, mächtigen Arms, die Last
Des Riesenhauses, daß es der Ewigkeit
    Den Dienst des Donnerers bewahre;
        Selbst die Giganten zertrümmert sind sie. 100
 
Seitdem mich solche Trümmer umstarrt, seitdem
Zernichtet mich ein ganzer Olymp umgraust,
    Der Vater und die Kinder alle,
        Glaub' ich, daß bald von gedrückter Schulter
 
Die Welt dem großen Träger entsinkt, und bald
All unsres Lebens Mutter Natur der Macht,
    Der dunkeln, unterliegt, die endlich
        Selbst sich zerstört im zerstörten Weltall.

 

Die Villa des Timoleon.
        Wär's eine Nymphe, die in der Einsamkeit
Dem Wandrer sich verräth? Im Gebüsch vielleicht
    Verborgen lauscht das holde Wesen
        Und dem Erschöpften ertönt die Stimme:
 
Komm, labe, Wandrer, dich und Epipoli
Gestärkt besteigst du! Täuscht' ich mich nicht, es quillt
    Vom Felsen sprudelnd, und der Bäume
        Freundliche Schatten verbreiten Kühlung.
 
Dem Berg entsproßt großblätterig Indiens Frucht
Voll Purpurfeigen, auch die Cypresse ragt,
    Es reift die Goldorang' und lieblich
        Birgt sich im ewigen Grün die Mühle.
 
Ich trinke; dankt' ich's, lauschende Nymphe, dir?
O welche Stille! Wohnte die Schwermuth hier,
    Der Schmerz, vielleicht verkannte Tugend,
        Oder die Weisheit, die Völkern Heil bringt? 101
 
Timoleon, o Name, mir werther selbst,
Als Recht und Tugend, Wort und Gedanke nur!
    Du bist die That! Es schuf den Menschen,
        Schuf auch die Erde des Gottes That nur.
 
Timoleon, dir bietet der Denker selbst,
Der Seher des Cephyß, der unsterbliche,
    Das Haupt; was er im Geist geträumet,
        Doppelt hast du's in der That geschaffen.
 
Sah je im Tempel größeren Sterblichen
Ortygia's Gottheit? Gelon, der Alte, nicht,
    Nicht Hermokrat, nur Einer ist dir,
        Nur Aristomachos bruderähnlich.
 
Der Mann, der einst den Weisen von Griechenland
Das Schwert umgürtet und den Tyrannen schlug,
    Ein Gott und Retter heut' gefeiert,
        Morgen gemordet von schnöder Habsucht.
 
Timoleon, ertöne dein Name mir
Noch einmal! Großer Vater des Volks, du hast
    Zertrümmert des Tyrannen Burg und
        Hast auf den Trümmern gestürzter Herrschaft
 
Dir selbst den Thron, Großmüthigster, nicht gebaut,
Wie Menschen pflegen, hast den Entfesselten
    Der Freiheit Haus und seine Säulen,
        Weiser Gesetze Geschenk verliehen.
 
So, nach vollbrachtem Werke, du blinder Greis,
Rathgeber, angebeteter, stets des Volks,
    Tratst du in Einsamkeit und Ruhe,
        Ruhe genießend, denn Ruhe schufst du. 102
 
O Brudermörder, wie doch erhabener
Bist du als jener Römer, der Sieger, doch
    Zerstörer ist. Zweimal gestritten,
        Zweimal entsagt und befreiet hast du.
 
Und gält' es eines anderen Bruders Blut,
Für's Heil des Volkes fließ' es und Vaterland,
    Und göttlich dünke mir dein Herz und
        Schön wie die Liebe der Dioskuren.

 


 


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