Heinrich Leopold Wagner
Die Kindermörderin
Heinrich Leopold Wagner

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Sechster Akt.

(Zimmer der Frau Marthan, im Hintergrund ein armseliges Bett ohne Vorhäng: Frau Marthan biegelt, und legt Stück vor Stück, wie sies fertig bringt, in einem Korb zusammen; Evchen sitzt am Bette, hat ihr Kind auf dem Arm, es schreyt.)

Evchen. Armes, armes Kind! – nein länger ertrag ichs nicht. – (legts aufs Bett.) O liebe Frau Marthan! – ich bitt sie um Gottswillen, nur ein einziges halbes Weißbrod, nur ein Viertel! schaff sie mir, und ein paar Löffel Milch, daß ich dem unschuldigen Tröpfchen ein Bißel Brey koche.

Fr. Marthan. Woher nehmen und nicht stehlen? wenn sie mich auf den Kopf stellt, so fällt kein Heller heraus – Sie weiß ja selbst, daß ich heut meine letzten Pfennige zusammengescharrt hab, um das Laibchen Kommißbrod zu kaufen.

Evchen. Heyland der Welt! – so solls denn verschmachten!

Fr. Marthan. Gib sie ihm zu trinken.

Evchen. Wenn ich was hätte! – es ist alles vertrocknet, kein Tropfen herauszupressen! mein Kummer hat alles aufgezehrt. – (geht vom Bett weg.) Kann den Jammer nicht ansehn, sonst werd ich noch rasend.

Fr. Marthan. Behüt und bewahre! da käm sie ja ins Tollhaus! – weiß sie was, Jungfer –

Evchen. Spricht sie mit mir, Frau Marthan?

Fr. Marthan. Mit wem sonst? – Soll ich sie etwa nit Jungfer heißen? Kurios! – gehn so viele vornehme und geringe in der Stadt herum, die schon drey, vier so Puppelchen in der Kost haben, thäten einem die Augen auskratzen, oder gar einen Jurienprozeß an Hals hängen, wenn man sie nit hinten und vornen Jungfern hieß! – Ich glaub aber, Gott verzeih mirs, sie ist gar nit wie ander Leut. – Was geschehn ist, ist geschehn, da hilft kein Greinen und kein Jammern! und ein Kind, so denk ich, ist doch immer besser als ein Kalb: – kann sie nicht gleich wieder einen Platz als Stubenmädchen bekommen, so will ich sie als Säugamm rekummediren –

Evchen. Hätt ich Milch für den Wurm!

Fr. Marthan. Wie ists möglich? wo soll sie herkommen? seit den fünf Wochen, daß sie bey mir ist, hat sie, Gott verzeih mirs! glaub ich, ein Ohm Wasser zu den Augen heraus geweint; und darnach, wenn man nichts ißt und trinkt – ich will doch wärli nit hoffen, daß es ihr etwa nit gut genug ist? – wer's Geringe nit will, ists Gute nit werth: gelt! den Teller voll Fleischsuppe, den ich ihr vorgestern Abends hinstellte, weil ich gestern im Taglohn wäschen mußt, warum hat sie ihn nicht gewärmt und gegessen? Gott weiß, ich hab ihn an meinem eigenen Maul erspart! – sie war so kräftig, es hätt sich ein Prinz daran erlaben können! ein ganz Pfund vom besten Kuhfleisch und zwey Kalbsfüß! – aber nein, da ließ sie sie verderben, heut mußt ich sie der Katz hinstellen. – Ist das nit sündlich? heißt das nit an seinem eignen Leib zum Mörder werden, und kann sie das verantworten? (geht hinaus einen heißen Stahl zu hohlen.)

Evchen. Ha! verantworten, das ist die Sache! – wäre das nicht, nicht die Furcht ewig, ewig – schon längst wär meines Gebeins nicht mehr. (Frau Marthan kommt wieder.) Sie soll vollkommen Recht haben, Frau Marthan! ganz recht; aber denk sie sich an meinen Platz; betracht sie das arme Würmchen hier; von Gott und der Welt verlaßen –

Fr. Marthan. Das sag sie nicht, ja nicht! sie versündigt sich wieder. – Gott hat noch niemand verlassen, er wird an ihr und an ihrem Kind nicht anfangen; und ich will ja gern alles thun, was ich thun kann; – wie gesagt, so bald die Frau Funfzehnerinn ins Kindbett kommt, will ich sie als Säugamm hinbringen. – Ich gelt was bey ihr, das kann ich wohl sagen. (Das Kind schreyt wieder.)

Evchen (läuft ans Bett.) Gottes Barmherzigkeit, es schreyt sieh vor Hunger noch zu Tode. (nimmts auf den Arm, und wiegts.)

Fr. Marthan. So! das ist recht! such sies ein wenig zu geschweigen; so bald ich mit der Wäsch fertig bin, will ich sie wegtragen, vielleicht krieg ich ein paar Schilling. – Aber alles was sie thut, huck sie mir nit immer so über sich selber; der bös Gott bhüt uns, könnt gar leicht sein Spiel haben: nimm sie ein Gebetbuch und leß sie hübsch drinn, sie sagt ja sie könnts; dort auf dem Tresurchen steht der Himmels- und Höllenweg; 's ist gar schön, sag ich ihr: mein Mann seelig hat ihn in seiner letzten Krankheit fast auswendig gelernt. – Bey wem hat sie denn zuletzt gedient, eh ihr das Unglück begegnet ist? – Ich sag immer, es ist aber doch nicht recht von den Herrschaften, die einen armen Dienstboten, wenn er in den Umständen ist, so mir nix dir nix zum Haus hinauswerfen, wir sind alle sündliche Menschen; wie bald kann nit ein Unglück geschehn, und dann hats der Herr oder die Frau doch auch aufm Gewissen. – Bey wem wars, hört sie nicht? –

Evchen. Bey wem? (verwirrt.) beym – beym – sie kennt ihn doch nicht.

Fr. Marthan. Wer weiß? sag sies nur; – über mein Zung solls nit kommen.

Evchen. Beym – beym Metzger Humbrecht.

Fr. Marthan. Bey dem! was! beym Metzger Humbrecht? – ey! was sie mir nit sagt da – so muß sie denn auch seine Tochter kennen, gelt?

Evchen. Zu gut nur, leider!

Fr. Marthan. Ja wohl leider! – man soll zwar niemand richten, aber – es muß doch kein guter Blutstropfen in ihr gewesen seyn, sonst hätt sie das nit gethan! – gestern auf der Britsch ist ein langes und ein breites davon erzählt worden. – Wenn ein Weibsbild sich so weit verleiten läßt, daß sie gar in Burdels geht –

Evchen. Was sagt sie! Gott! sie wär in ein Bordel gegangen?

Fr. Marthan. Ja, ja! – ihr wird sies freilich nit auf die Nas gebunden haben – mit einem Uffezier ist sie 'neingangen, und die Mutter mit, das ist noch die schönste Zier; die ganze Stadt ist voll davon, man hat mir auch das Haus genennt, habs aber wieder vergessen; – und da hat sie und der Uffezier der Mutter etwas zu trinken gegeben, daß sie einschlief. Warum sies gethan haben, ist leicht zu denken. – Und da soll ihr Mußie die Eh versprochen haben; – wie aber die Herren sind, ein ander Städtel ein ander Mädel! – jetzt blaßt er ihr was, und da hat sie sich ins Wasser gestürzt – gestern früh hat man sie in der Wanzenau gefunden.

Evchen. Ersäuft! ha! wenns doch wahr wäre!

Fr. Marthan. 'S ist leider! nur zu wahr; wie ich ihr sage; ich wollt, es wäre nicht!

Evchen. Warum? so wär sie doch der Quaal nun los.

Fr. Marthan. Sie redt, glaub ich, auch, und – weiß nit was? Es hat sich wohl – der Quaal los! ja prosit d' Mahlzitt! – Und nur vom Schimpf zu reden, wenn sie sie heut oder morgen hereinbringen – ich geh ihr doch auch zu gefallen, 's soll ein bildschön Mädel seyn – wer weiß! wer weiß! ob sie unsre gnädige Obrigkeit nit, den andern zum Exempel, gar durch die Stadt schleifen laßt; wie den Muttermörder, der sich vor ein Jahrer zwey oder drey im Thurn selbst erhenkt hat, auch.

Evchen. Muttermörder! gibts Muttermörder?

Fr. Marthan. Obs ihrer gibt? wie das gefragt ist! – Weiß sie denn nit mehr, der Kerl, wie hieß er doch? der seiner Mutter die Gurgel wollt abschneiden –

Evchen. Ja, ja! ich besinn mich; – seine Mutter war eine Hure, er ein Bastert, im Bordel gezeugt, das warf ihm einer im Trunk vor, da gab er seiner Mutter den Lohn, der ihr gebührte; – ich erinner michs gar wohl.

Fr. Marthan. Bey Leibe nicht! – sie ist ganz irr dran – er wollte Geld von ihr haben.

Evchen. Recht! recht! – er hatte Hunger und Durst; wollte sich einen Milchweck kaufen und ein Glas Bier dazu, die Mutter konnts ihm nicht geben, da wollt er ihr das Geld aus den Rippen schneiden, – und das ward ihm versalzen!

Fr. Marthan. Ist sie närrisch? – bald förcht ich mich allein bey ihr zu bleiben. – – Ich wills ihr besser sagen, wies zugieng: er war von Jugend auf ein böser Bub, verthat seiner Mutter viel Geld, sie war eine kreutzbrave Frau, ich hab ihr zehn Jahr wäschen helfen, bis mich die Anne Mey ausbiß, wie das zugieng, das will ich ihr ein andermal erzählen, es gieng um einen lumpichten mußlinenen Halsstrich an, der mir beym Ausschwenken davon schwamm – da gieng er nun unter die Kayserlichen, und von da, denk ein Seelen-Mensch! – gar unter die Preußen; disertirte aber auch da, und kam wieder heim. – Da triblirte er nun seine Mutter so lang, bis sie ihm endlich von Obrigkeitswegen das Haus verbieten ließ, denn er hat sie mehr als einmal wie einen Hund durchgeprügelt: – Damit war denn alles gut ein paar Wochen lang, da kam er einmal 's morgens früh wieder, und gab die besten Worte, versprach recht ordentlich zu seyn, und kurz, er bat wieder um gut Wetter. – Sein Mutter, die sich nichts bös träumen ließ, fing an die bittern Thränen zu weinen, und greift in Sack und gibt ihm einen ganzen kleinen Thaler – 's ist viel Geld schon, ich verdien in vier Tagen manchmal so viel nit! – Drauf schickt er – weis nit mehr, was er für einen Pretex nahm, die Magd fort; und, kaum daß er allein war, fällt er mit einem Scheermesser über sein Mutter her, und will ihr den Hals abschneiden; – die wehrte sich denn um ihr Leben, wie sie leicht denken kann, so gut als möglich, schrie was sie schreyen konnt, und bekam zwey Schnitt in die Hand, und einen – aber nit gefährlich – in die Gurgel. – Drüber liefen die Hausleut hinzu, und zeigten denn, wie nit mehr als billig ist, die schöne Geschichte halt an. – Und sieht sie, was ihm noch am meisten den Hals gebrochen hat, war, daß er das Scheermesser, damit es nit zurückschnappen sollt, hinten am Stiel mit Bindfaden zusammen gebunden hatte. – Wie er denn nun trapirt war, und alles eingestanden hatte, und wies schon drauf und dran war, daß ihm sein Urtheil sollt gesprochen und sein Recht angethan werden, so ließ er sich zwey Tag vorher noch gar vom Satan, Gott sey bey uns! blenden, und that sich im Thurn mit eigner Hand ein Leids an. – Da gings ihm dann wie ich gesagt habe. – Sein Vetter, der Rathsherr, ein grundreicher Mann dort in der langen Straß, hätt tausend Thaler darum gegeben, wenn ers dahin hätt bringen können, daß er in der Still wär begraben worden. So mußt er aber den Spektakel selbst mit ansehn, wie er vor dem Haus durch den Schinder vorbeygeschleift wurde. Der Kopf plozte hinten auf den Steinen auf, daß mans nit mit ansehn konnte. – Es war greulich, wie ich ihr sage. – Aber so Leuten geschichts ganz recht, warum beten sie nicht? – – (mit vielbedeutender Miene.) Ich förcht, ich förcht, es möcht ihrer Mamsell, bey der sie war, auch nicht besser gehn. Sie ist so gut eine Muttermörderinn, als –

Evchen (die während obiger Erzählung, wie sinnlos auf dem Bett saß, und nur ihr Kind ansturte, auffahrend.) Muttermörderinn! – ich eine Muttermörderinn?

Fr. Marthan. Sie! wer sagt denn von ihr? von ihrer gewesenen Jungfer, von's Humbrecht seiner Tochter red ich.

Evchen. Nun, ist denn die es?

Fr. Marthan. Sie ists, und ists nicht. – Freilich die Gurgel selbst hat sie ihr nicht abgeschnitten, aber – das Messer nah genug doch dran gesetzt. – Hätt sie sich in der Ordnung aufgeführt, so wär ihre Mutter nicht vor lauter Schagrin gestorben –

Evchen. Meine Mutter! gestorben! – und ich schuld dran. (sinkt in die Kniee, und fällt zur Erden, Frau Marthan lauft ihr zu Hülf.)

Fr. Marthan. Barmherziger Gott! was soll das denn seyn? das Mensch macht mir angst und bang. – (setzt sie wieder aufs Bett.) – Wer sagt denn von ihr, oder von ihrer Mutter? – bald hätt ich Lust sie in Spital tragen zu lassen, eh sie mir noch einmal so einen Schrecken einjagt. Bin, Gott weiß es! ganz vergellstert! – Wie oft soll ichs ihr noch sagen, daß ich von Humbrechts Mädel red und nit von ihr? – Deren ihr Mutter ist gestern begraben worden, nicht ihre, die kenn ich ja nit, weiß ja noch nit einmal, wo sie her ist. – Der Vater, der Metzger, hat hundert Thaler versprochen, wer ihm Nachricht von seiner Tochter bringt. Ein schönes Geld! das kriegen die Schiffischen jetzt, die sie gefunden haben. –

Evchen (stuzt, denkt eine kleine Weile bey sich selbst nach.) Wollt sie dies Geld wohl verdienen, Frau Marthan? – könnts ihr wohl was helfen? – hundert Thaler! er ist auch sehr geizig, warum nicht fünf, sechshundert! – da könnt ich doch etwas zu ihrem Glück beitragen, Frau Marthan! – geizig, sagt ich! habs auch Ursache, fürwahr! bin ich doch keine –

Fr. Marthan. Schon wieder ich!

Evchen. Ja, ja! Ich – Ich! ich bin die Muttermörderinn, die keinen guten Blutstropfen in sich hat, die sich im Bordel herumwälzte, die von einem Ehrenschänder sich hintergehn ließ, die hier ein saugendes Kind hat, das kaum gebohren schon Vater- und Mutterloß ist, – denn wenn ich Mutter wär, müßt ichs auch nähren können, das kann ich nicht. – Ich bins, die, die – kurz, ich bin des Humbrechts eigne Tochter; die, wie sie sagte, sich ersäuft soll haben: – sie sieht, es ist eine Lüge, wollt daß andre wär auch eine; 's ist aber leider! nur zu wahr. – Was mich freut, ist, daß ich jetzt ein Mittel weiß euch die viele Müh, die ich euch gemacht habe, wenigstens zum Theil zu vergelten. – Geh sie so gleich zu meinem Vater, Frau Marthan, sag sie nur, ich, die Eve schickte sie, er sollte ihr die hundert Thaler auszahlen. – Es wird ihm wenig Freud machen – aber – geh sie, Frau Marthan, geh sie gleich –

Fr. Marthan. Ach, du lieber Herr Gott! nein! das hab ich wärli nit um sie verdient, – so gut und so unglücklich – verzeih sie mir ja alles, was ich da sagte – ganz gewiß ist sie verführt worden – sonst wär sie nie –

Evchen. Das bin ich, bin verführt, übertölpelt worden, da ich mirs am wenigsten dachte. Sie hats ja selbst erzählt; das Ersäufen ausgenommen, ist alles wahr, alles! nur muß ich ihr noch sagen, daß ich nicht wußte, daß wir in einem so schönen Hauß waren, noch weniger hab ich am Schlaftrunk Antheil gehabt. – Diese zwey Umstände, die ich von ihr erfahren, zeigen mir die ganze schwarze Seele des Niederträchtigen, der mich so tief herabsetzte. – Noch blieb mir immer wenigstens ein Schatten von Hofnung übrig, nun ist auch der verschwunden, und mit ihm alles – nun kann ich nichts mehr, als – (stokt, sieht mitleidsvoll ihr Kind an.)

Fr. Marthan. O sie kann noch glücklicher wieder werden; vielleicht kommt er doch wieder, wo sie sichs gar nicht vermuthet.

Evchen. Wieder! – Er sollte wiederkommen! Frau Marthan, sieht sies, ich bin nur ein Weibsbild, aber – wenn er wiederkommt, mir wieder unter die Augen tritt, so stoß ich ihm mit der einen Hand diesen Brief hier, sieht sie – (zieht ihn aus der Tasche.) unter die Nase, und mit der andern bohr ich ihm ein Brodmesser ins Herz. – Er hats um mich verdient! – vorher hab ich ihn (auf den Brief deutend, und ihn wieder einsteckend) nicht ganz verstanden; sie hat mir erst die Augen geöfnet. – Jetzt geh sie, Frau Marthan! geh sie! ich bitt sie darum.

Fr. Marthan. Hundert Thaler wär mir freilich ein schönes Kapetal; hab mein Lebtag nit so viel beysammen gehabt, aber ich thät mich Sünd förchten, sie jetzt allein zu lassen.

Evchen. Warum, Liebe? – Seh ich vielleicht etwas erhitzt, etwas aufgebracht aus? – Das thut es mir zu zeiten, wenn ich an den Treulosen denk; 's ist aber gleich wieder vorbey, nur ein Übergang – jetzt bin ich schon ganz gelaßen wieder – nur ein bischen schwach – geh sie, sag sie meinem Vater, ich lebte noch, morgen sollt er mehr von mir hören: – wenn er ihr Geld gibt, bring sie was fürs Kind mit, es kann kaum mehr schreyn, so matt ists; – geh sie, geh sie! jeder Augenblick ist mir jetzt theuer –

Fr. Marthan. Na denn, dem armen Kind zu gefallen will ich geschwind hinten herum springen; in weniger als nichts bin ich wieder zurück, und bring ihm ein Stück Zuckerdorsch mit.

Evchen. Das thu sie, Frau Marthan: komm sie ja bald wieder, sonst möchts zu spät seyn.

Fr. Marthan (im Abgehn.) Zu spät? –

Evchen. Es wird ja so schon dunkel – (Frau Marthan vollends ab.) – mir vor den Augen! war mirs schon lang. – Fast war mir bang, ich brächte sie mir nicht vom Hals. – Ja! was wollt ich doch? – warum schickt ich sie aus. – Mein armes bischen Verstand hat, glaub ich, vollends den Herzstoß bekommen! – (das Kind schreyt wieder.) Singst du? singst? singst unsern Schwanengesang? – sing, Gröningseckchen! sing! – Gröningseck! so hieß ja dein Vater; (nimmts vom Bett wieder auf und liebkosts.) – Ein böser Vater! der dir und mir nichts seyn will, gar nichts! und mirs doch so oft schwur, uns alles zu seyn! – ha! im Bordel so gar es schwur! – (zum Kind) Schreyst? schreyst immer? laß mich schreyn, ich bin die Hure, die Muttermörderinn; du bist noch nichts! – ein kleiner Bastert, sonst gar nichts; – (mit verbißner Wuth.) – sollst auch nie werden, was ich bin, nie ausstehn, was ich ausstehn muß – (nimmt eine Stecknadel, und drückt sie dem Kind in Schlaf, das Kind schreyt ärger, es gleichsam zu überschreyn singt sie erst sehr laut, hernach immer schwächer.)

Eya Pupeya!
Schlaf Kindlein! schlaf wohl!
Schlaf ewig wohl!
Ha ha ha, ha ha! (wiegts auf dem Arm.)
Dein Vater war ein Bösewicht,
Hat deine Mutter zur Hure gemacht;
Eya Pupeya!
Schlaf Kindlein! schlaf wohl!
Schlaf ewig wohl!
Ha ha ha, ha ha!

Schläfst du, mein Liebchen, schläfst? – wie sanft! bald beneid ich dich Bastert, so schlafen Engel nur! – Was mein Liedchen nicht konnte! – säng mich doch auch jemand in Schlaf so! – Ha! ein Blutstropfen! den muß ich wegküssen, – noch einer! – auch den! (küßt das Kind an dem verwundeten Schlaf.) – Was ist das? – süß! sehr süß! aber hinten nach bitter – ha, jetzt merk ichs – Blut meines eignen Kinds! – und das trink ich? – (wirfts Kind aufs Bett) Da schlaf, Gröningseck! schlaf! schlaf ewig! – bald werd ich auch schlafen – schwerlich so sanft als du einschlafen, aber wenns einmal geschehn ist, ists gleichviel. – (Man hört jemand.) Gott! wer kommt? (sie deckt das Kind zu, setzt sich daneben, und fällt, da sie ihren Vater kommen sieht, mit dem Gesicht aufs Kopfküßen.)

Humbrecht. Wo? wo ist sie, mein Evchen? – meine Tochter, meine einige Tochter? (erblickt sie auf dem Bett.) Ha! bist du da, Hure, bist da? – Hier Alte! dein Geld! (wirft einen Sack hin, Fr. Marthan hebt ihn auf und thut ihn beyseite.) – Hängst den Kopf wieder? hasts nicht Ursach, Evchen, 's ist dir alles verziehn, alles! – (schüttelt sie.) Komm! sag ich, komm! wir wollen Nachball halten – – ja, da möcht man sich ja kreutzigen und segnen über so ein Aas: wenn der Vater zankt, so laufts davon, gibt er gute Wort, so ists taub. – (schüttelt sie noch heftiger.) Willst reden? oder ich schlag dir das Hirn ein! –

Fr. Marthan (reißt ihn zurück.) Thut er doch, als wenn er einen Ochsen vor sich hätt! – Kein Wunder, wenn sie die Gichter bekäm. – Kann er nicht ordentlich reden?

Humbrecht. Hast Recht, Alte! vollkommen Recht! wart! wie mach ichs? (kniet nieder vor seiner Tochter.) Liebs, guts Evchen! hab doch Mitleiden mit deinem gedemüthigten Vater! verstoß ihn nicht ganz; nimm ihn zu Gnaden wieder auf! – sieh, auf den Knieen liegt er vor dir und bittet dich. – Hast deine Mutter vor der Zeit ins Grab gebracht, sey so gut, ich beschwör dich darum, und gib auch mir den letzten Stoß, mir, deinem Vater –

Evchen (die sich auf die letzt langsam aufrichtete, erblickt neben ihr das Kind, deutet drauf und fällt mit dem Gesicht wieder aufs Bett.) Da! da ist er!

Fr. Marthan (bringt eine angesteckte Lampe, stellt sie auf den Tisch, geht ans Bett, und deckt das Kind auf, eben so geschwind aber wieder halb zu.) Du lieber Herr Gott! was seh ich! das muß ich gleich gehn anzeigen, sonst bin ich verlohren. – In der Seele dauert sie mich – aber (lauft ab.)

Humbrecht (springt auf.) Da! was ist da? ein Kind! ha! wies lächelt! – dein Kind, Evchen? soll auch meins seyn! Mein Bastert, ganz allein mein, wer sagt, daß er dein ist, liebs Evchen! dem will ich das Genick herumdrehn.

Magister (kommt.) Bald hätt ich das Haus nicht gefunden. So, Herr Vetter! das ist brav! ich seh, sie haben meinem Rath gefolgt, und ihrer Tochter verziehen.

Humbrecht. Das hätt ich auch ohn ihn gethan, Vetter! – ein Vater bleibt immer Vater, und ists da oft am meisten, wo ers am wenigsten scheint.

Magister. Jetzt ist es mir doppelt lieb, sie so disponirt zu finden; sie sollen gleich erfahren, warum? Nur muß ich mein Bäschen bitten, auch zuzuhören; es geht sie am meisten an.

Evchen. Mich? – auf dieser Welt geht mich nichts mehr an, Herr Magister! ich schwörs.

Humbrecht. Für nichts, für nichts geschworen, meine Tochter! – schau! ich schwur auch dir Arm und Bein entzwey zu schlagen; und jetzt bin ich, Schwur hin, Schwur her! doch froh, daß ichs nicht gethan habe.

Magister. So denk ich auch; ein Umstand kann viel ändern. – Hören sie nur! – Sie lieben den Gröningseck, Bäschen?

Evchen. Ja, wie ich den Satan liebe! hab mich vor beyden gehütet, und von beyden schon anführen laßen.

Magister. Sie liebten ihn doch ehmals; sonst wären sie nicht –

Evchen. Ja, da wußt ich aber nicht, daß er mich zur Hure, zur Muttermörderinn – zur –

Magister. Das alles war weder sein Vorsatz noch weniger seine Schuld –

Evchen. So! – sind sie auf einmal sein Advokat? – wie lang wohl noch? Hier (aufs Kind deutend.) liegt meiner.

Magister. Ich bin sein Advokat nicht allein; ich meyn, ich meyn in ihrem eignen Herzen wird sich noch einer vorfinden. Kurz zu seyn, Gröningseck liebt sie noch eben so zärtlich, als je; eine tödtliche Krankheit hielt ihn ab, auf die bestimmte Zeit einzutreffen – von dem Brief, den ich ihnen vorgelesen, Herr Vetter! weiß er kein Wort; ich wieß ihm den Umschlag, da fand sichs, daß es des Lieutenant Hasenpoths Hand und Siegel ist: Er zeigte mir andre Briefe von dem nemlichen, die voller Unwahrheiten von Evchen waren: Da er selbst Unrath merkte, machte er sich kaum halb wieder hergestellt auf den Weg. Vor einer Stunde stieg er im Raben ab, und ließ mal zu sich rufen; – wir sahn sie in größter Eile vorbeilaufen, muthmaßten die Ursache und giengen ihnen von weitem nach. – Wollen sie ihn selbst sprechen? –

Humbrecht. Wenn er sie heyrathen, ihr die Ehre wieder geben will, ja! sonst soll er mir, wenn ihm Nas und Ohren lieb sind, nicht vors Gesicht kommen.

Magister. Das will er.

Evchen. Und wenn er zehnmal will, so wollt ich doch lieber den Scharfrichter sehn.

Magister. Er ist aber unschuldig! kanns ihnen beweisen.

Evchen. Desto schlimmer! so fällt die Schuld alle auf mich. (steht auf vom Bett.) Der Brief hier! (wirft ihn in die Stube.) – Der Teufel hat ihn geschrieben – meine eigne Herzensunruh, die Furcht vor ihm, mein Vater, der Gedanken, meine Mutter gemordet zu haben – dies, und o was alles noch mehr! brachte mich in Verzweiflung – ich wollte mir aus der Welt helfen, und hatte nicht Entschlossenheit genug selbst Hand an mich zu legen; jetzt mags der – Henker thun! – Mein Kind ist todt, todt durch mich –

Magister. Gott! ists möglich? – (das Kind betrachtend.) Wahrhaftig! – Gerechter Gott! wie tief kann dein Mensch herabstürzen, wenn er einmal den ersten Fehltritt gethan hat! (Humbrecht steht mit geschlungnen Ärmen, guckt Evchen, dann das Kind starr an; Evchen scheint weder zu sehn, noch zu hören; von Gröningseck stürzt noch im Reisehabit plötzlich herein.)

Evchen. Gott! das fehlte mir noch!

v. Gröningseck. Wie bestürzt alle! wie blaß! – was ist zu thun hier? – was gibts.

Humbrecht. Ein Bißel Arbeit für den Stoffel, sonst nichts! – Gott! ich meyn, der Münsterthurn läg mir auf dem Herzen, so schwer fiel mir das auf. – Jetzt kann ich nur auch Rattenpulver nehmen! – Hier! (den Lieutenant zum Kind führend.) hier! wenn sie ein Vaterherz haben, meins ist geborsten. – Adieu! am armen Sünder Häußel seh ich dich wieder, Eve! sag dir das letztemal Adieu!

v. Gröningseck. Wie! Evchen, sanftes Evchen! sie hätten mit eigner Hand ihr Kind – mein Kind – nicht möglich! –

Evchen. Nur zu möglich, mein Herr! – aber eh sie mir weitre Vorwürfe machen, lesen sie den Brief dort – und dann sollen sie sprechen.

v. Gröningseck (hebt ihn auf.) Auch wieder die Hand von Hasenpoth! (sieht nach der Unterschrift.) in meinem Namen! – (guckt ihn über.) Das andre kann ich mir denken. Wart! Kanaille! mit deinem Blut sollst du es abbüßen, noch eh eine Stunde vergeht. (will ab, stößt unter der Thür auf den Fiskal; Fausthämmer bleiben an der Thür.)

Fiskal. Nicht von der Stelle, mein Herr! eh der procès verbal aufgesetzt und unterschrieben ist. – (zu den Fausthämmern.) Hat einer von euch porte chaise und Wache bestellt? (ein Fausthammer ab.)

v. Gröningseck (stellt sich wieder zum Magister.) Der niederträchtige, feige Verräther! – Glauben sie jetzt bald, Magister, daß es Fälle gibt, wo Selbstrache zur Pflicht wird? – (Magister zuckt die Schultern.) Wo ist der Staat, in dem solche Ungeheuer, solche Hasenpoths, die unter der Larve der Freundschaft ganze Familien unglücklich machen, nach Verdienst bestraft werden? – Ha! wie will ich mir wohl thun! mit welcher Herzenswonne will ich mich in seinem Blut herumwälzen! –

Magister. Es wäre menschlicher, glaub ich, wenn sie darauf bedacht wären, diese arme Betrogne vom Schavott zu retten, als Verbrechen mit Verbrechen zu häufen.

Fiskal. Ja, da rettet sich was! – Das Gesetz, welches die Kindermörderinnen zum Schwerdt verdammt, ist deutlich, und hat seit vielen Jahren keine Exception gelitten; ist nun das Faktum, wie es der Anschein gibt, auch klar, so können sie die Müh sparen.

v. Gröningseck. Und ihnen nebst ihrer ganzen kriminalischen Unfühlbarkeit zum Trotz, mein Herr! will ich mich heut noch auf den Weg nach Versailles machen, bey der gesetzgebenden Macht selbst Gnade für sie auszuwürken, oder –

Evchen. Gnade für mich! Gröningseck! wo denken sie hin? – soll ich zehntausend Tode sterben! – lieber heut als morgen.

Fiskal. Nur halb so hitzig, Herr Lieutenant! freilich! es kommt vieles auf die Umstände an! – (Blutschreyer und Geschworne kommen.)

Evchen. Sagt ich nicht, Gröningseck! mein Schicksal wäre mit Blut geschrieben? –

v. Gröningseck. Es wärs nicht, wenn du mir getraut, deiner Melancholie dich weniger überlassen, etwas mehr an die Tugend geglaubt hättest – oder ich etwas weniger.

Magister (sieht beyde wechselsweis mitleidig an.) Sich vor mir so zu verbergen!

Humbrecht (reißt sich die Westenknöpf alle auf.) Die ganze Welt wird mir zu enge! – (tief Athem hohlend.) Puuh! – (klopft dem Lieutenant auf die Schulter.) Wenn sie Geld brauchen, mein Herr! Reisegeld! sie verstehn mich doch? – tausend, zwey, dreytausend Gulden auch liegen parat zu Hauß! – und zehntausend gäb ich drum, wenn der Ball mit allen seinen Folgen beym Teufel wär! –


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