Heinrich Leopold Wagner
Die Kindermörderin
Heinrich Leopold Wagner

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Fünfter Akt.

(Das Zimmer vom zweyten Akt; Morgendämmerung. Evchen steht vor dem Spiegel und setzt ein bonnet rond auf. Lissel, ihre Magd, kommt herein.)

Lissel. Ey, Herr Jemer! wo will sie denn schon so früh hin, Jungfer? in dem Nebel, er stinkt nach lauter Schwefel.

Evchen. Das thut nichts, um Michaelstag herum kanns nicht wohl anders seyn. – Ich will nur geschwind wohin springen. – Lissel! o lauf doch und hohl mir deinen baumwollnen Mantel – geschwind – lauf!

Lissel. Was will sie denn mit dem?

Evchen. Was, was? anziehn! du kriegst ihn gleich wieder – sieh, da hast du derweilen meinen tafftenen – heb dir ihn auf, bis ich wieder komm. – So geh doch, ich muß fort, eh unsre Leute aufstehn.

Lissel. Wohin denn? – hat sie etwa was bestelltes? –

Evchen. Freilich! halt mich nur nicht auf, geh! – (Lissel ab.) Wohin? das weiß ich selbst nicht – so weit mich die Füße tragen. – – Gröningseck! Gröningseck! es soll dir schwer werden wider den Stachel zu lecken! – Den Brief mir zu schreiben! ich hab ihn doch bey mir? (sucht in der Tasche und zieht ihn heraus) Ja! – (guckt ihn noch einmal durch) – Mir den Hasenpoth vorzuschlagen, mich zur Allerweltshure machen zu wollen! – Die Spöttereyen über den Ort, wo wir uns näher kennen lernten, versteh ich nicht einmal; mag sie nicht verstehn! – (steckt ihn wieder ein.) Das aber alles zusammengenommen – o! das kann einem schon Füße machen – (erblickt die Portraite ihrer Eltern.) Ha! ihr Lieben! seyd ihr auch da? – hier auf den Knieen dank ich euren Bildern für alles Liebs und Gutes, das ihr mir erwiesen. (weinend) Ich lohns euch schlecht – nur flucht, flucht mir nicht. –

Lissel (kommt zurück, Evchen springt auf.) Ich hör den Herrn schon im Zimmer herumschlappen.

Evchen. Geschwind denn! um Gottswillen geschwind! wirf ihn mir um: so kennt man mich doch nicht so leicht; – Den Kapuchon hinauf! – (im Fortgehn dreht sie sich noch einmal um.) Den Mantel, Lissel! heb dir auf, bis ich wiederkomm! hörst dus? – (unter der Thür) Gib ihn ja nicht her, bis ich wiederkomm. (ab.)

Lissel (raumt das Zimmer auf.) Bis! Bis! – Unser lieber Herr Gott weiß, was mit der Jungfer umgeht! – ganz richtig ists nicht; so ängstlich hab ich sie noch nie thun sehn. – Wenn ihr was Leids geschehn wär! – so eine gute, verständige Jungfer! sie thät mir in der Seele leid. – (will mit dem Mantel abgehn, indem kommt der Magister hastig herein.)

Magister. Ist mein Vetter schon ausgegangen, Jungferchen?

Lissel. Ausgangen? ja guten Morgen! er ist kaum aufgestanden.

Magister. Desto besser! so verfehl ich ihn nicht; sag sie ihm, ich hätte nothwendig mit ihm zu reden; er möchte gleich herkommen.

Lissel. Schon recht Herr Magister! (ab.)

Magister. Ich gäb noch was drum, wenn ich wieder zum Hauß draus wäre – ich wage viel – indessen, ein größeres Unglück zu verhüten; – wenns ist, wie ich zu muthmaßen berechtiget bin, so ists besser, ich brings meinem Vetter nach und nach bey, als daß ers von Fremden erfährt, oder wohl gar selbst entdeckt. – Er würde seiner ersten Wuth keinen Einhalt zu thun wissen. –

Humbrecht (im Nachtkamisölchen, Schlafmütz, und niedergetretnen Schuhen.) Guten Morgen, Vetter! wo Henkers kommt er schon so früh her?

Magister. Von Haus! ich gieng lieber etwas früher, um sie nicht zu verfehlen.

Humbrecht. Er muß also doch was großes auf dem Herzen haben.

Magister. Ich wünschte, es wäre nicht so. – Sie sind ein Mann? –

Humbrecht. Meiner Frau wenigstens hab ichs bewiesen.

Magister. Ohne zu spaßen, wenn ich bitten darf – sie sind ein Mann, der Verstand hat –

Humbrecht. Meinen gesunden schlichten Menschenverstand, so viel man in die Haushaltung braucht, den hab ich – ja!

Magister. Gut! so nehmen sie ihn zusammen, Herr Vetter! und hören, was ich ihnen zu sagen habe. – Es geht mir sehr nahe – vielleicht bin ich auch irre, aber es ist doch Pflicht –

Humbrecht. Nur nicht so viel Gepreambulums, Herr Magister! – Pack er gleich recht an.

Magister. Erst geben sie mir aber ihr Wort als ein ehrlicher Mann, daß sie mich gedultig ganz aushören, und eh ich fertig bin, mir nicht von der Stelle gehn wollen.

Humbrecht. Was zum Henker soll denn das vor eine Predigt geben! – meintwegen, er solls haben, da ist die Hand drauf. –

Magister. Jetzt zur Sache. Sind sie gestern in der Klauskirche gewesen, Herr Vetter?

Humbrecht. Nein, ich nicht! aber meine Leute; das leid ich nicht anders.

Magister. Es war Katechismuspredigt.

Humbrecht. Das kann seyn.

Magister. Die Reihe trafs grad, daß die zehn Gebott in der Amtspredigt zum Text genommen wurden. –

Humbrecht. Nu, was weiter? – noch seh ich weder kux noch gax.

Magister. Gedult nur! – Der Herr Pfarrer hielt sich diesmal vorzüglich beym siebenten Gebot auf –

Humbrecht. Beym siebenten? – wart er, wie heißt es doch? – du sollst – du sollst – du sollst nicht unkeusch seyn – nicht?

Magister. Ganz recht! – Nach der Predigt, wissen sie, werden alle Quartal die Verordnungen von der Kanzel gelesen, die unsre Könige wegen den Duellen, dem Hausdiebstahl und dem Kindermord gemacht haben.

Humbrecht. Das wußt ich, da ich kaum noch den Hosenknopf aufmachen konnt, was solls aber –

Magister. Gleich werden sies hören. – Ferner wissen sie –

Humbrecht. Ich weiß! ich weiß! daß ich bald toll werde, und ihn allein stehn lasse, wenn er nicht fortmacht.

Magister. Sie haben mir versprochen, nicht eher vom Fleck zu gehn – sie müssen also Wort halten. – Sie wissen, wollt ich sagen, daß die Weiberstühle grade der Orgel gegenüber stehn, wenigstens zum Theil –

Humbrecht. Ja! – und daß ihr andre junge Herrchen euch während dem Gottesdienst bald blind nach den armen Mädels schielt, daß weiß ich auch! hab mich auch manch schönes mal schon drüber geärgert. – Ich sollt einmal auf vier und zwanzig Stund nur Pfarrer seyn, ich ließ euch samt euren Guckgläsern durch den Steckelmann zum Tempel hinaus jagen!

Magister. Wenn sie mich nicht hören wollen, Herr Vetter!

Humbrecht. Ja doch! ich hör ja!

Magister. Ich stand also auf der Orgel und konnt mein Bäschen grad ins Gesicht fassen.

Humbrecht. Mein Evchen?

Magister. Ja! – von ungefähr sah ich ihr in der Predigt, grade bey der Stelle, von der ich schon vorhin sagte, etwas steif in die Augen. Da wurde sie feuerroth, gleich drauf wieder bleich, wie ein Tuch, schlug die Augen nieder, blieb die ganze Predigt durch so unbeweglich sitzen, und fiel endlich, da die Ordonnanz von den Kindermörderinnen verlesen wurde, gar in Ohnmacht.

Humbrecht. Nun, und da führte man sie zur Kirch hinaus an die frische Luft, und da erhohlte sie sich wieder, und jetzt ist sie wieder so gesund als vorher. –

Magister. Es ist aber – es thut mir leid, daß ich es sagen muß – es ist aber doch bedenklich –

Humbrecht. Bedenklich! – ich seh gar nichts bedenklichs: wenn ein junges unschuldiges Ding sich so viel von Unkeuschheit, Hurerey und Unzucht in die Ohren poltern hört, wenn noch oben drauf ein paar abgeschmackte Maulaffen es starr in die Augen darüber anplarren, so seh ich gar nichts bedenklichs dabey, wenn ihm der Kopf schwindlicht wird, wenns bald roth bald blaß vor Ärger wird –

Magister. Aber die Ohnmacht! – grad an der Stelle –

Humbrecht (zieht ehrerbietig seine Schlafmütze ab.) Nimm er mirs nicht übel, Vetter! man sieht wohl, daß er gstudirt ist. Ihr wohlweiße Herrn wollt immer mehr sehn als ander Leut; 's geht euch aber, wie allen Triefaugen, – wenn sie gegen die Sonne stehn, sehn sie alles doppelt, und nichts recht. – Was Tausendelement noch einmal! kann man etwa die Ohnmachten bestellen, wenn sie kommen sollen?

Fr. Humbrecht (kommt geloffen.) Du schreyst ja, Mann, daß die Leut vor der Thür stehn bleiben.

Humbrecht. Es wird einem auch darnach gekocht! – Da kommt mir der Siebenkünstler da in aller Früh schon her; und brummelt mir von Rothwerden, von Ohnmachten, die unser Evchen gestern gehabt hat, die Ohren voll; und will, was weiß ich? draus schließen.

Fr. Humbrecht (rümpft die Nase, und zuckt die Achseln.) Da schließt sich wohl was! – Es war ihr nicht wohl, sonst wüßt ich nicht was man draus schließen könnt.

Magister. Eigentlich kam ich hieher, um mit dem Herrn Vetter allein zu sprechen: – doch, weil sie da sind, Frau Baas – ich weiß, sie sinds überzeugt, daß ich ihrer Jungfer Tochter gut bin – sie machten mir selbst einst Hofnung – (stotternd) aber – kurz, weil der Herr Vetter meinem Bemerkungsgeist nichts zutrauen will – so will – so muß ich – (zieht eine Brieftasche heraus, und sucht etwas.)

Fr. Humbrecht. Du lieber Gott! was sollen denn das für Bemerkungen seyn? – Martin!

Humbrecht. Weiß ichs? – Wenns mir recht ist, so hält er uns für Kalbsköpf, die keine Augen haben, und unser Evchen – wenigstens für eine Hure.

Magister (betroffen.) Herr Vetter!

Fr. Humbrecht. Was! mein Evchen? – Herr Magister! weiß er auch, was er da sagt? – he! – da kommt er mir recht; – ich setz mein Leben zum Pfand, meine Tochter ist ehrlich – das sagt ihr kein braver Mann nach, und wenn ers wär, Herr Magister! – Vetter mag ich ihn gar nicht mehr heißen. – (setzt die Händ in die Seiten.) Ist das der Dank für alles Liebs und Guts, was wir – was mein Mann ihm erzeigt hat; hat ihm schon in der Klass die Singstunde bezahlt, – wie er ins Kloster kam, das Kommod geschenkt, mit dem er sich noch jetzt so patzig macht, he! – Ist das der Dank, daß ihm mein Evchen für das Bissel Klavier, daß ers gelehrt hat, den Magisterring an den Finger gesteckt hat! – wenn wir nit gewesen wären, hätt er ja mit samt seinen Stipendien doch nit können prumoviren! wie lang waren sie schon verfressen? he! –

Humbrecht (hält ihr das Maul zu.) Frau! Frau! Du machst ja sechsmal mehr Lärm als ich!

Fr. Humbrecht (reißt sich los.) Hab ich nicht Ursach? – wer meinem Evchen was an der Ehr abschneiden will, der greift mir ins Aug.

Magister. Frau Baas! Um Gottswillen – Ich empfehl mich. (will fort.)

Humbrecht. War denn das alles, was er mir sagen wollt.

Magister. Nein! – aber (auf die Frau deutend.) so lang sie da ist, bin ich stumm.

Humbrecht. Liebe! geh ein Bischen hinein. Komm! (kriegt sie beym Arm.) nur ein Bischen.

Fr. Humbrecht. Keine zehn Pferd bringen mich fort! – Nicht von der Stelle! – ich will mit anhören, was er meinem Evchen nachsagen kann.

Magister. Ich will ihm nichts nachsagen, Frau Baas! ich schwörs ihnen. Sie wissen ja, daß ich ihr von je her gut war – und eben deswegen glaubt ich verpflichtet zu seyn, ihnen von einem und dem andern, daß sie noch nicht wissen, vielleicht nicht wissen können, Nachricht zu geben. – Noch glaub ich es selbst nicht; – ich bins aber ihnen schuldig, für eben die Gütigkeiten, die sie mir den Augenblick mit so viel Bitterkeit vorwarfen, bin ichs ihnen schuldig zu sagen, und ihre Pflicht ist es, nichts ununtersucht zu lassen. – Sehn sie, dieß Briefchen wurde mir gestern Abends zugeschickt. – Lesen sie selbst; ich würde gar keine Notiz davon genommen haben, wär nicht des Morgens in der Kirche schon der andre Vorfall geschehn. (gibt Humbrechten ein Briefchen, den Umschlag behält er, und steckt ihn endlich in die Tasche.)

Humbrecht. Die Pfote mag der Teufel lesen, ists doch, als hättens die Hüner zusammengekrazt! (giebts zurück.)

Magister. Geben sie her: ich wills ihnen Wort für Wort vorlesen; sehn sie aber ja mit hinein, daß sie mich nicht hernach wieder beschuldigen –

Fr. Humbrecht (stampft mit dem Fuß.) Nun, so leß er, leß er nur!

Magister (ließt, und deutet Sylbe für Sylbe mit dem Finger, Martin Humbrecht und seine Frau sehn auf beyden Seiten hinein.)

»Mein Herr!

Sie heißen Humbrecht, und mögen leicht mehr Verstand haben, als alle in ihrer Familie, die diesen Nahmen führen. Fragen sie doch Evchen Humbrecht, ihre Baase, ob sie dumm genug ist zu glauben, daß ich sie würklich heyrathen wollte. Wenn sie zurückdenken, und sich des Orts erinnern will, wo wir unsre Bekanntschaft gemacht, so kann sie mirs nicht zumuthen. Wenn ihr Vater die hundert Thaler nicht hergeben will um ihr Kind ins Findlinghaus zu thun, so will ich allenfalls davor Rath schaffen. Es liegt ihnen selbst daran dieses zu wissen.

v. Gröningseck.

N. S. Es bedarf keiner Antwort, sie trifft mich doch nicht.«

(Magister guckt sie wechselsweis, das Papier in der Hand haltend, an.)

Humbrecht. Gröningseck! so hieß ja der Bayerofficier, der bey uns logirt hat!

Magister. Eben der! der Evchen auf den Ball –

Fr. Humbrecht (reißt dem Magister den Brief aus der Hand) Ja, der hieß so! – wie aber der heißt, der, der den imfamen Pasquill hier geschmiert hat, das weiß ich nicht: (reißt ihn, weil sie spricht in tausend Stücken, und tritt mit Füßen darauf.) – wenn ichs wüßte, so krazt ich ihm die Augen aus.

Humbrecht. Frau! weißt du was? ruf das Mädel einmal her; – jetzt ärgerts mich, daß wir ihr den Wisch nicht selbst können zu lesen geben – (will die Stücken aufraffen.) Du bist verflucht fix, Frau!

Fr. Humbrecht. Zu lesen! wofür? daß sie ihren Tod dran hohlt, sonst wüßt ich nicht warum? ists nicht 'ne Schand und Spott, daß so ein alter Esel, wie du bist, auf so Kindergeschwätz gehn kann? – Ja! wenn ich nicht beständig um sie gewesen wär! – aber so!

Humbrecht (gebietrisch.) Gehst du, sag ich, oder ich geh. (Frau Humbrecht bohrt dem Magister einen Esel, und geht ab.) – Vetter! – (ihn an der Schulter packend.) unter uns! – vor meiner Frau wollt ich michs so nicht merken lassen – aber – wenns wahr ist, wie er mirs da vorgelesen hat, so kommt mir das Mensch nicht mehr ganz zur Stub hinaus – die Rippen im Leib tret ich ihr entzwey, und ihrem Bastert dazu!

Magister (gesetzt.) Herr Vetter! wenn sie nur einen Funken von Religion haben, so fassen sie sich. Ich kam nicht hieher um Augenzeuge eines Verbrechens zu seyn. – Zudem ists ja noch nicht ausgemacht. – War Gröningseck mein Freund, wie er sich stellte, so ist der Ton seines Briefs mir ein Rätzel. – Mit den andern Umständen aber zusammengenommen, verdient die Sache schon Untersuchung. – Doch! wie gesagt, daß sie sich ja nicht vergreifen! sonst – vielleicht ist auch –

Fausthammer (kommt.) Ischt er der Master Humbrächt, der Metzjer?

Humbrecht. Ich meyns.

Fausthammer. Do schickt mi der Härr Fischkol mit der Duse här, er soll ämol sehn, ob er sie kennt?

Humbrecht. Dich kenn ich zum wenigsten – bist du nicht der Hans Adam, der Bettelvogt daneben im Bocksgässel?

Fausthammer. Gar rächt! – wir werden abber Fusthämmer, nit Bettelvögt tittlirt.

Humbrecht. Hohl der Teufel die Tittel! – ich frag dich, ob du der nemliche bist, der vergangnes Frühjahr, ein armes Kind von fünf Jahren, vor Becker Michels Thür unter der grosen Gewerbslaub zu Tod geprügelt hat.

Fausthammer. Ey! worum hätt die Krott au gebettelt! – 's ischt mer halt äi Straich mislungen –

Humbrecht. Wart Racker! ich will dich bekrotten! – wenn du ein Vieh bist, so geh in Wald zu den andern wilden Thieren; (kriegt ein spanisch Rohr, und prügelt ihn tüchtig durch.) Jetzt geh, Kanaille! ich hab dirs lang nachgetragen; bist mir auf einmal in die Kluppen gekommen.

Fausthammer (der während dem Prügeln die Dose fallen ließ, im Abgehn.) – Schunn guht! schunn guht, er solls nit umsunst gethon han! (reibt sich den Buckel.)

Humbrecht. Nicht umsonst? – hast du doch das Kind umsonst todtgeschlagen, und hat kein Hahn darnach gekräht, du Schindersknecht. – Wart, ich will dir den Buckel noch besser reiben, wenns nicht genug ist –

Fausthammer (lauft fort.) Schunn guht! – schunn guht! – wärds ze melden wissä. (ab.)

Humbrecht (wirft das Rohr in eine Ecke.) Der kam mir eben recht! – Der Himmelsakerment! – Ein Kind von fünf Jahren mit seinem spanischen Hengst so lange zu prügeln, bis es die schwere Noth kriegt, und krepirt! – und warum? – weil es ein Stück Brod bettelt, das es doch auch nicht stehlen darf – Dich soll das heilige Donnerwetter! – hätt ich dem Hund nur besser gegeben!

Magister. Aber bedenken sie auch, Herr Vetter, daß ihnen das Ding kann übel ausgelegt werden?

Humbrecht. Nu! laßt michs auch ein paar hundert Gulden kosten, die will ich gern geben! hab ich doch an dem Racker mein Müthchen gekühlt. –

Magister. Und die Obrigkeit mit in ihm beleidigt –

Humbrecht. Obrigkeit! Obrigkeit! – ich hab allen möglichen Respekt für meine Obrigkeit – aber den Viehkerls wenigstens sollte sie nicht so viel Gewalt geben; – haben nicht ihrer zween noch erst vor kurzen einen armen Handwerksburschen, der im nemlichen Fall war, aufs erbärmlichste mishandelt, ihm mit Füßen das Gemäch entzwey getreten, daß er drey Stund drauf den Geist aufgab? – Und das soll Ordnung seyn? he! –

Magister. Die werden ihren Lohn schon kriegen! – Herr Vetter! Herr Vetter! nehmen sie sich in Acht.

Humbrecht. Ey was! ich sag, was wahr ist, und da fürcht ich den Teufel nicht.

Fr. Humbrecht (kommt geloffen, rauft sich die Haare.) Martin! Martin! – ach, du lieber Gott! Evchen ist nirgends zu finden.

Humbrecht. Was, nicht zu finden? o nun glaub ich alles! – hast du recht nachgesehn – in ihrem Zimmer – in der Küch? –

Fr. Humbrecht. Alles! alles durchsucht; in der Metzig so gar bin ich gewesen, hab keinen Odem mehr – Gerechter Gott, was soll das seyn?

Magister. Hat sie denn niemand gesehn? war sie gestern –

Fr. Humbrecht. Ach! ich saß ja noch ganz spät bey ihr –

Magister. Und den Morgen? –

Fr. Humbrecht. Dacht ich, sie schlief noch, wie sonst. – Da ist sie in aller Früh, wie ich von der Magd höre, ganz kunsternirt zum Hauß hinaus gegangen. – Wenn sie sich nur nicht ins Wasser gestürzt hat! – sie war ein paar Wochen her wieder so melancholisch –

Humbrecht. Der Teufel soll die Melancholie hohlen, die Händ und Füß hat! – Ich bin vor den Kopf geschlagen, wie ein Ochs – Schick den Augenblick bey allen Bekannten herum, ob sie nicht da ist, ich will selbst hinten hinaus zu deiner Schwester springen – (sie will abgehn, er lauft ihr vor und sagt.) bleib nur, ich wills der Magd selbst sagen. – Im Augenblick bin ich wieder da, Vetter! (ab.)

Fr. Humbrecht (stolpert im Rückweg über die Dose, guckt darnach, hebt sie auf.) Gott! meine Tobacksbüchse, die ich ausrufen ließ, wie kommt die hieher?

Magister. Ein Fausthammer brachte sie, von Polizeywegen; ihr Mann, der, wie er sagte, schon längst einen Groll auf ihn hatte, prügelte ihn, da ließ er sie vor Schrecken fallen, und lief fort.

Fr. Humbrecht. So kommt denn alles zusammen! (steckt sie ein.) – Wer hätte so was gedacht, Herr Vetter! (Magister zuckt die Achseln.) – Aber noch kann ichs nicht glauben, und kanns nicht glauben. Sie war immer so duß, so fromm wie ein Lamm! er weiß selbst, wie viel hundertmal haben wir nicht gesagt, sie müßte Frau Pfarrerinn werden. – Sie ist mir ja nicht aus den Augen gekommen, sie hat den verfluchten Leutenant, Gott sey mir gnädig! ja niemals, ohne mich gesprochen.

Magister. Er spricht aber doch in seinem Brief von einer Zusammenkunft –

Fr. Humbrecht. Die hat er aber nicht mit ihr gehabt, und kann sie nicht gehabt haben, so wenig, als mit mir –

Humbrecht (kommt wieder.) 'S ist alles aus! sie ist auch da nicht.

Fr. Humbrecht. Barmherziger Gott! ich bin des Tods noch.

Humbrecht. Jetzt können wir nur dem Vetter zu Fuß fallen, und ihm unsre Beschimpfungen abbitten.

Magister. Darauf war ich vorher gefaßt; ich ließ sie zum einen Ohr hinein, zum andern herausgehn. (sieht auf die Uhr.) Jetzt muß ich fort; so bald es meine Geschäften erlauben, bin ich wieder hier. – Nur keine Excesse, so kann noch alles gut werden. – Aufs Wiedersehn! (ab)

Humbrecht (wirft sich auf einen Stuhl.) Das heißt mir ein Morgen! (seine Frau ringt die Hände und weint.) Der kann einem das Herz schon abstoßen! – Gottlob, daß ich mir keine Vorwürfe machen darf; ich hab euch oft genug von Tugend und Ordnung vorgepredigt! – Hab dir oft den Kablanzen gelesen, Frau! wenn du ihr zuviel Freyheit ließest; – jetzt hast dus!

Fr. Humbrecht (im flehentlichen Ton.) Ums Himmelswillen, Martin, lieber Martin! nur jetzt keine Vorwürfe, wenn ich nicht auf der Stelle vergehn soll! – ich hab das Meinige gethan – so gut wie du immer!

Humbrecht. Dann wohl dir! das ist ein groser Trost, und doch keiner für ein Vaterherz! (schlägt sich wider die Stirne, indem geht die Thür auf, der Fiskal kommt herein, zween Fausthämmer mit, über dem Geräusch springt Humbrecht auf.)

Humbrecht. Wer sind sie, mein Herr? was wollen sie hier? wen suchen sie?

Fiskal. Sachte, mein Freund! er wird mich doch nicht etwa auch durchprügeln wollen, wie den ehrlichen Mann da?

Humbrecht. Der, ein ehrlicher Mann? ein Lumpenhund, ein Schindersknecht mag er seyn, aber kein –

Fr. Humbrecht. Still, Martin! der Herr Fiskal! –

Fausthammer. Do hören sies selbst, Härr Fischkol! do höre sies, und dort leit der Stock noch.

Fiskal. Still nur! euer Schmerzengeld soll euch schon werden.

Humbrecht. Sie sind also der Herr Fiskal?

Fiskal. Der bin ich; – ich schickte vorher –

Humbrecht. O mein Herr Fiskal; sie verzeihen – sie könnens einem rechtschaffenen Bürgersmann nicht übel nehmen, wenn er die Ehr hat sie nicht zu kennen; es ist, dächt ich, immer ein gutes Zeichen, wenn man mit der hochlöblichen Polizey nit viel zu schaffen hat –

Fiskal. Keine Komplimenten, mein Freund! es steht euch gar nicht –

Humbrecht. Ich heiß Martin Humbrecht, Metzger und Burger allhier, und für mein Geld, das ich der Stadt abgeben muß, heißt mich Ihre Gnaden, der Herr Ammeister selbst Er.

Fiskal. Ich versteh schon, Herr Humbrecht; Er, Sie, mir gilts gleich. – Ich schickte vorher den Mann zu ihnen – er ist ein Diener der Polizey, wenn sie es noch nicht wissen, und wer ihn beleidigt, der greift das ganze Amt an, doch davon sollen sie schon sonst wo Red und Antwort geben. – Jetzt kam ich nur im Vorbeygehn zu hören, ob sie eine gewisse Dose, die ihnen der Mann vorzeigte, für die ihrige agnosciren? –

Humbrecht. Ich weiß kein Wort von Dosen; – hat er mir eine Dose gewiesen? – da muß ich blind gewesen seyn.

Fausthammer. Jo! vor Zorn; min Buckel hats empfunden.

Fr. Humbrecht. Ja, Martin, da ist sie: – sie lag da auf der Erde. (will sie ihm hingeben.)

Humbrecht. Die? das ist ja die Deine: – wie käm denn die hochlöbliche Polizey dazu?

Fr. Humbrecht. Ich verlohr sie –

Fiskal. Unter diesem Schein ließen sie sie wenigstens ausrufen.

Fr. Humbrecht. Und der Mann da hat sie vermuthlich gefunden? – das versprochene Trinkgeld – (sucht in der Tasche.)

Fiskal. Nein, er nicht, Frau Humbrecht! ich eher; das Trinkgeld spahren sie also. Nun wär ich zwar freilich nicht schuldig zu sagen, wie ich sie ans Tageslicht gebracht; damit sie mich aber nicht etwa für einen Hexenmeister halten, will ich ihnen gestehn, wies zugieng. – Mein Amt bringts mit sich, daß ich Augen und Ohren allerwärts haben muß, da hört ich nun auch eben diese Dose ausrufen; ich notirte mir, wie ich mehr thue, die Kennzeichen, und da wir vor einigen Tagen bey einem schlechten Weibsbild, das sich über den Rhein machen wollte, unter andern Sachen auch die Dose fanden, so schickte ich nach dem Ausschreyer, und nahm seine Aussage, wem sie zugehört, ad protocollum; noch war nöthig, daß sie sie agnoscirten, das ist nun geschehn, und jetzt bitt ich mir sie wieder zurück aus –

Fr. Humbrecht. Wie so! ist sie nicht mein?

Fiskal. Gewesen, ja! jetzt aber gehört sie zum corpus delicti und muß bis zum Endspruch in den Händen der Gerechtigkeit deponirt bleiben. Wollen sie denn die Unkosten pro rata bezahlen, so können sie sie wieder kriegen. – (Frau Humbrecht giebt sie ihm wieder.) Indessen kann ich ihnen im Vertrauen sagen, sie haben sie nicht verlohren, sie ist ihnen gestohlen worden. – Das Mensch hat schon alles bekennt. –

Humbrecht. Gestohlen! wo? – von wem?

Fiskal. In einem gewissen Haus, wo die Madam vermuthlich nicht gern wollen gewesen seyn.

Humbrecht. Wieder was neues! – Frau, willst du reden – sag! wo kam sie dir weg?

Fr. Humbrecht. Und wenn ich gerädert sollt werden, so kann ich nichts anders sagen, als daß ich sie auf dem Ball muß verlohren haben.

Fiskal. Gehn sie lieber mit der Sprach heraus, Frau Humbrecht, der Herr Liebste erfährt es doch. – Im gelben Kreutz – wissen sie –

Humbrecht. Was in dem Bordel –

Fiskal. Pfui! da wird ihre Frau doch nicht frühstücken.

Fr. Humbrecht (betroffen.) Frühstücken! ja wir haben gefrühstückt; – wo, weiß ich nicht – Der Leutenant versicherte mir aber, wir wären in einem honnetten Haus. –

Fiskal. Und gab ihnen, in aller Honettete, einen Schlaftrunk.

Humbrecht (beißt die Zähn übereinander.) Der Herr Beelzebub und seine lebendige Großmutter! – Bestie! den Hals dreh ich dir um – (will auf sie los, Fiskal tritt dazwischen.) Jetzt gehn mir auf einmal die Augen auf: hats mir doch immer vom Teufel geträumt! – der verfluchte Ball! – Bestie, vermaledeyte Bestie! hast deine Tochter zur Hure gemacht! –

Fr. Humbrecht (schluchzend.) Ich! der allmächtige Gott weiß, daß ich so unschuldig bin, als das Kind in Mutterleib. –

Lissel (kommt hastig herein.) Ich kann sie nirgends – – (da sie den Fiskal erblickt, wird sie ganz bestürzt; will wieder zurück, auf einmal lauft sie hervor und fällt vor dem Herr Humbrecht auf die Kniee; weinend) Ach, meine guldne, herzallerliebste Herrschaft! ich bitt sie um Gottswillen, – ich will ja gern alles gestehn, alles sagen – nur lassen sie mich nit ins Raspelhus führen –

Humbrecht (tritt nach ihr.) Geh an Galgen!

Lissel. Ach du lieber Himmel! bedenken sie doch, so ein junges Blut, wie ich bin –

Humbrecht. Was willst du? hat dich deine Mutter ins Hurenhaus geführt?

Lissel. Ach nein! so gottsvergessen ist sie nicht.

Humbrecht. Hörsts, Frau Humbrechtin! hörsts! – Ein schöns Liedchen! – will dirs noch oft vorsingen.

Fr. Humbrecht (schlägt die Händ über dem Kopf zusammen, will reden, verstummt, und geht ab.)

Fiskal (der seither mit den Fausthämmern heimlich gesprochen, zu Lissel.) Entweder sagt jetzt gleich alles, was ihr von der Sache wißt, oder die Männer hier bringen euch an einen Ort, wo man schon Mittel finden wird, euch schwätzen zu machen.

Lissel. Ach, mein allergnädigster liebreicher Herr Fiskal! ich weiß nichts, gar nichts; als daß sie heut in aller Früh sich die Zöpf aufmachte, ein Bunne rung aufsetzte und fortgieng; und da gab sie mir ihren Mantel, ihren taftenen, und sagt, ich sollt ihn mir aufheben, bis sie wiederkäm, das sagt sie mir dreymal mit den nemlichen Worten, und da mußt ich ihr meinen baumwollenen geben; da gieng sie fort, und da kehrt sie sich unter der Thür noch einmal um und sagte, Lissel! bis ich wiederkomm. Ich will des Todes seyn, wenns nit wahr ist! – Jetzt haben sie Barmherzigkeit mit mir, mein allerliebster Herr Fiskal! sonst weiß ich nichts mehr, als daß ich den Mantel in meine Küst gelegt habe, wie sie michs geheißen hat; Gott muß mein Zeuge seyn, daß ich ihn nit gestohlen habe; – wenn sie mich foltern, so weiß ich jetzt kein stumpicht Wörtchen mehr.

Fiskal. Wer ist denn die Sie?

Lissel. Wer? – ey unsre Jungfer! die Jungfer Ev!

Humbrecht. Du Jungfer und der Teufel! – Die Hure, Herr Fiskal, hat Lunden gerochen, und ist heut morgen davon geloffen. – (bewegt.) Wenn sie der Teufel nur nicht reitet, daß sie sich gar – Das gäb eine schöne Himmelfahrt!

Fiskal. Dem muß man zuvorkommen! – Männer, ihr wißt eure Schuldigkeit! (Fausthämmer wollen abgehn.) Halt! noch eins, wie sieht ihr baumwollner Mantel aus?

Lissel. Brauner Boden, roth und grün gestrieft, mit gelben Blumen.

Fiskal. Jetzt. (Fausthämmer im Abgehn.)

1. Fausthammer. Gott lob! do gitts doch widder a paar sechs schilli Bießlä ze verdienä!

2. Fausthammer. Vergiß jetzt widder d' Kunsign, häschts ghört!

1. Fausthammer. Dreck uf dien Nas. I waiß gewiß nimmi? – a bunne rung, unn a Mantel mit brunem Bodä, unn – unn – o's ist mer zinn I seh sie schunn. (ab.)

Fiskal (mittlerweil zu Humbrecht.) Herr Humbrecht! sie sind ein hitziger wilder Kopf! hüten sie sich und machen sie keine halsbrechende Arbeit: – so viel zur Warnung! (im Abgehn.) – Euch junge Magd rath ich ja ehrlich zu bleiben; zur armen Sünderinn seyd ihr von Haus aus verdorben. (ab, Lissel mit: Humbrecht fällt wie betäubt auf einen Stuhl, die Händ auf den Tisch, den Kopf drauf. – Der Vorhang fällt.)


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