Heinrich Leopold Wagner
Die Kindermörderin
Heinrich Leopold Wagner

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Dritter Akt.

(Zimmer des Lieutenant von Gröningseck in Humbrechts Haus; daneben ein Kabinet: Lieutenant v. Hasenpoth steht vor dem Spiegel und pfeift; v. Gröningseck sitzt gedankenvoll in einem Lehnstuhl.)

v. Hasenpoth (geht vom Spiegel weg.) So schick doch alle die Grillen zum Henker, Gröningseck! Komm, das Wetter ist schön, laß ein Kapriolet hohlen, wir wollen an Wasserzoll fahren.

v. Gröningseck. Fahr allein! ich bin am liebsten zu Haus.

v. Hasenpoth. Immer und ewig zu Haus! – wie kannst dus nur ausdauren? – Den ganzen Sommer ist er noch vor kein Thor gekommen, wenn er nicht mit der Kompagnie gemußt hat. – So möcht ich auch leben, wie ein Kartheuser! wahrhaftig! – zehnmal lieber eine Kugel vor den Kopf!

v. Gröningseck. Jeder nach seinem Geschmack.

v. Hasenpoth. Gut! aber das Kopfhängen war doch sonst deine Gewohnheit nicht: – erst seit vier, fünf Monaten, seit dem letzten Karneval – gelt! ich hab Acht auf dich gegeben? fiengst du dies Kapuziner-Leben an. – Und warum? nur das möcht ich wissen – wenn ich nur eine Ursache säh! Bist du verliebt? Hast du das Heimweh?

v. Gröningseck. Das Heimweh! rappelt dirs?

v. Hasenpoth. Eins von beyden! – ists das nicht, so muß es das erste seyn. – Und dennoch – wenn ichs beym Lichten beseh – ists auch wieder nicht möglich – ich wüßte nicht, in wen? – In der ganzen lieben langen Zeit, glaub ich, hat er nicht drey Frauenzimmer gesprochen. Alle vier Wochen einmal macht er Schandehalben dem Marschall seine Aufwartung, und da steht er, so bald er seinen Kratzfuß gemacht hat, von Ferne wie der Nikodemus. – Anderwärts ist er gar nicht hinzubringen. – Wüßt ich nicht ganz gewiß, daß du die Humbrechtin gehabt hast, so dächt ich –

v. Gröningseck (aufspringend.) Gehabt! ich? – wer sagt das?

v. Hasenpoth. Sachte, mein lieber Gröningseck! sachte! – Wir sprechen als Freunde und unter uns. – Siehst mich doch nicht etwa für ein Kind an, das sich weiß machen läßt, roth wäre grün?

v. Gröningseck. Hab ich dich nicht schon mehrmalen des Gegentheils versichert?

v. Hasenpoth (lacht.) Ein schöner Beweiß! – Toll genung, daß du mir, der ich doch die ganze Belagerung aus meinem Kabinet dirigirt habe, nicht einmal die Lieb anthun, und deine Eroberung gestehn willst! –

v. Gröningseck. Ich hab nichts zu gestehen!

v. Hasenpoth. Dein Eifer zeugt für das Gegentheil; und zudem – rein von der Leber wegzusprechen – wie kannst du mir zumuthen sie für eine Vestalin zu halten? gegen zwey Uhr schlicht ihr euch vom Ball, und nach fünf erst hört ich die Kutsche hier anfahren.

v. Gröningseck (sehr ernsthaft.) Von was anders: ich bitte!

v. Hasenpoth. Und das Schlafpülverchen, das ich dir zustellte! – wenn du keinen Gebrauch davon gemacht, warum kann ichs denn bis diese Stunde nicht wieder kriegen?

v. Gröningseck. Weil – weil ichs – verlegt – verlohren – zum Teufel geschmissen hab. – Kurz, Herr von Hasenpoth, kein Wort mehr, wenn wir Freunde bleiben sollen.

v. Hasenpoth. Ich glaube, du wärst wohl gar im Stand, eine Lanze für sie zu brechen, den Don Quischott für sie zu spielen?

v. Gröningseck. Möglich, mein Herr!

v. Hasenpoth. Doch mit mir nicht? deinem Landsmann? deinem Kompagnon de debauche? – – Hör mich an, Herr Bruder! ich hoffe doch nicht, daß du die Narrheit so weit getrieben, und dich würklich in das Mädchen verliebt hast; das wär ja, soll mich der Teufel zerreißen! wider allen esprit de corps. – Fast sollt ichs denken, das Getreibs, das du die Zeit her mit dem Schwarzkittel, dem Vetter aus dem Haus, hast, bestärkt mich darinn. – Ists aber? gut! so fehlts dir ja nicht an Mitteln ihrer bald satt zu werden – du wohnst ja unter einem Dache mit ihr – oder wenns hier nicht angeht, soll ich dir sonst wo Gelegenheit verschaffen, ich bin sinnreich –

v. Gröningseck. Wie der Satan! – das weiß ich.

v. Hasenpoth. Wenigstens hast du schon Proben davon. Du wärst dein Lebtag nicht auf den Einfall mit dem Pulver gerathen.

v. Gröningseck. Pulver und Pulver! das verfluchte Pulver! wollt ich hätt es, dich, dies Haus, alles nie gesehn! wollt es wär mir in der Tasche zu Gift geworden, und ich wäre daran krepirt, so bald ichs nur anrührte!

v. Hasenpoth. Was zum Kuckuck ist das vor eine Sprache! Kommt dich der Reuen an? – folglich hast du doch –

v. Gröningseck. Ja, ja! Teufel! ich hab; – hab deinen vermaledeyten Lehren gefolgt, aufs Haar gefolgt! – hab – wenn dus denn doch wissen willst – einen Engel entheiligt, mich mir selbst zum Scheusal gemacht.

v. Hasenpoth. Possen! Possen! Brüderchen! Kinderpossen! Pfaffengeschwätz! – Du hast deine Absicht erreicht, – nun gut! deß solltst du ja froh seyn. –

v. Gröningseck. Wenns eins von den Alltagsgeschöpfen wäre, die, wenn wir sie nicht zu unserm Spielwerk brauchten, zu gar nichts nütze sind, ja! – Aber das ist sie nicht: du hättest sie sehn, hören sollen; in dem Augenblick, dem kritischen Augenblick, der unmittelbar auf den Genuß folgt, in dem uns die gröste Schönheit aneckelt – da hättst du sie sehn sollen: – wie groß in ihrer Schwäche! – wie ganz Tugend, auch nachdem ich sie mit dem Laster bekannt gemacht hatte! – und ich, wie klein! wie – o! ich mag gar nicht zurückdenken –

v. Hasenpoth. Können dich Grimaßen so weichherzig machen? – Du armer Tropf! –

v. Gröningseck. Grimaßen? – meynst, ich kann Grimaßen nicht von Wahrheit unterscheiden? – Bey den übertünchten Todtengräbern, den geschminkten, gefirnißten Puppen, die einen hier, wo man nur hinsieht, anstinken, da such Grimaßen, – aber nicht bey der simpeln Natur. –

v. Hasenpoth. Simpel oder nicht simpel! – ein Weibsbild ist halt ein Weibsbild! und die unerfahrenste gibt uns immer, was den Punkt anbetrifft, noch aufzurathen. – Ich hab wenig Frauenzimmer angetroffen, die nicht sehnlichst wünschten bestürmt zu werden, und noch die erste zu sehn, die nicht nach der Niederlage ein paar Krokodilsthränen geweint hätte. – Das ist schon in der Art so!

v. Gröningseck (mit verbißner Wuth.) Ausbund aller Libertins! – Danks meinem bösen Gewissen, daß ich dir so gedultig zuhöre – das macht mich zur Memme, zum Poltron – und doch steh ich nicht dafür, daß ichs noch lang bleib: – bin ich nicht mehr ruhig genug aus Überlegung herzhaft zu seyn, so kann mich die Wuth tollkühn machen – verstehn sie mich? –

v. Hasenpoth. Besser wenigstens, als du mich – dafür steh ich! – ich sprach ja nur von den Frauenzimmern, die ich –

v. Gröningseck. Ha! von den leichten, deren funfzig auf der subtilsten Gewissenswaage kaum ein Loth aufwiegen! – Sie müssen aber wissen Herr Lieutenant –

v. Hasenpoth. Sprechen wir ernsthaft, so kann das Sie wegbleiben: – es klingt mir so sonderbar. –

v. Gröningseck. Seys! – aber merk dirs Hasenpoth! – zum letztenmal Du, wenn du meine Erwartung täuschest. – Einem vernünftigen Frauenzimmer kan, und soll zwar wenig daran gelegen seyn, ob du und deinesgleichen so oder anders von ihr denken; Euer Lob ist Brandmark und in Eurem Tadel ruht innre Selbstgröße – – aber mir liegt daran, daß du das Mädchen, dessen Namen du vorhin über deine ungewaschne Lippen gehn ließest – kein Wort! hör mich erst an – daß du es nicht länger verkennst: wiß also –

v. Hasenpoth. Es kommt wer!

v. Gröningseck (sich umsehend.) Der Magister! ich kenn ihn am Gang. – Daß du dich ja nichts verlauten läßest! – noch weiß Er, kein Mensch was darum. – (Magister kommt herein) Bravo! Herr Magister, das ist brav! sie gehn mich doch nicht vorbey, wenn sie ihre Verwandten besuchen.

Magister. Gewiß nicht, das wissen sie schon. Wenn ich sie ein paar Tage nicht gesehn habe, so meyn ich, es fehlt mir was.

v. Gröningseck (drückt ihm die Hand.) Ich lieb sie darum. Wie stehts unten?

Magister. Das fragen sie mich, und wohnen im Hauß?

v. Hasenpoth. Das war recht! – Sich nach seinen eignen Hausleuten bey Fremden zu erkundigen, das geht in Paris oder London schon an – aber hier! – Wenn der Herr Lieutenant keine Nachteule so wäre, und nicht alle Lebensart beyseit setzte, so guckte er selbst nach – und –

v. Gröningseck. Und! – wenn ich nun meine Ursachen habe? – Ja, Magister! sie frag ich, weil sie als Vetter schon eher einen vertrauten Zutritt haben. – So gut mein Hauswirth im Grund auch seyn mag, so taugen wir doch nicht für einander: – Er hat seine besondre Grillen, das wissen sie selbst; und ich bin auch hitzig vor der Stirn: – das möcht in die Länge nicht gutthun.

Magister. So warten sie die Zeit ab, da er nicht zu Haus ist; – meine Baasen –

v. Gröningseck. Sind mir werth und lieb, Herr Magister! Evchen besonders, aber eben deswegen mag ichs ihnen nicht zum Tort thun: – ich kann seit dem Karneval etwa vier, fünfmal drunten gewesen seyn, zum Unglück war Er ein paarmal nicht da – puh! gab das ein Feuer!

Magister (lacht) Ganz gewiß kann ers ihnen noch nicht verzeihen, daß sie ihm seine Damen auf den Ball verführt haben. So wie er mir –

v. Gröningseck. Haben sie ihr Bäschen gesehen?

Magister. Schon vierzehn ganzer Tage nicht, glaub ich. Beständig sitzt sie in ihrem Zimmer, die Melancholie frißt sie noch auf; ich kann gar nicht klug aus ihr werden; Bitten und Beten, alles ist bey ihr umsonst! – das macht ihren Vater eben noch undultsamer! –

v. Gröningseck. Gerechter Gott! – ich! – ich! –

Magister. Nehm Antheil daran, wollen sie sagen? – ich bins von ihrem gefühlvollen Herzen überzeugt.

v. Gröningseck. Das wars, Herr Magister! ja! – sie nahmen mirs aus dem Mund weg: – Gefühlvoll! ja! das ist mein Herz, – so voll! –

v. Hasenpoth (der die Zeit über gepfiffen, zum v. Gröningseck von der Seite.) Daß du dich gleich selbst verschnappen wirst. – (zum Magister) Hat sie den Anfall schon lang?

Magister. So genau läßt sich die Zeit nicht bestimmen; – er kam nach Graden, wird aber leider täglich ärger. Youngs Nachtgedanken in der französischen Übersetzung, sind jetzt ihr Lieblingsbuch.

v. Hasenpoth. Da sey ihr Gott gnädig! – Wenn ich ein einiges Blatt drinn lesen müßte, so wär ich kapable den Engländer zu machen, und mich an mein Knieband zu hängen.

v. Gröningseck (spöttisch.) Du! – aber, lieber Magister! so viel schönes auch Young für eine heitre, ruhige, mit sich und allem was rund um sie her athmet zufriedne Seele haben mag, so wenig – das fühlen sie besser als ich – schickt sich doch diese Lektür für ein misvergnügtes, abgespantes, erschlaftes Herz, ohne welches keine Melancholie statt haben kann: – sollten sie denn nicht als Freund –

Magister. Es ihr wegnehmen? – Ich thats schon, weil ich hierinn grad wie sie denke: sie winselte uns aber so lange die Ohren voll, wollte vor Gram und Langerweile den Geist aufgeben – kurz ich war froh, und legte es wieder hin.

v. Gröningseck. Gott! Gott! – ist denn kein Weg! – sie dauert mich von Grund der Seelen, das gute Kind! – wie, wenn? – ja! was wirds nutzen? – auf die Zeit kommt das meiste an. – Doch – es wär zu probiren! – wenigstens ists eine Höflichkeit, die ihr nicht mißfallen kann, wenn sie auch weiter nichts hilft. – – So bald sie sie wieder allein sehn, Magister, wollen sie? – so sagen sie ihr von meintwegen, ich nähm sehr viel Antheil an ihrem Wohlseyn, hätte mich sehr darnach erkundigt, – bey ihnen erkundigt, und wünschte sie je eher je lieber wieder heiter und munter zu wissen: – auf mich dürfte sie – (stokt) nun ja, es sieht freilich einem leeren Kompliment gleich; es geht aber warlich von Herzen – auf mich dürfte sie, wenn ich jetzt oder mit der Zeit etwas zu ihren Diensten – ja Diensten! thun könnte, vollkommen zählen: sagen sie ihr das, wollen sie, lieber Magister? Wort für Wort! lieber was mehr, als was weniger.

Magister. Sehr gern Herr Lieutenant! – ich dank ihnen für den Antheil: aber bald sollten sie mich –

v. Hasenpoth. Auf sonderbare Gedanken bringen? – nicht doch Herr Magister! sie thäten ihm Unrecht: sein Herz ist kälter als Eiß, und doch so weichherzig, wenn er jemand leiden sieht, oder nur von ihm hört, daß ich noch diese Stunde nicht weiß, wie er sich konnte einkommen lassen, Soldat zu werden. – Ist vollends von einem Frauenzimmer die Rede –

v. Gröningseck. Potz Geck und kein End! – Vergessen sies ja nicht, Magister! es ist doch Höflichkeits wegen, wenns auch sonst nichts –

Major Lindsthal (kommt herein.) Urlaub! Urlaub! Herr von Gröningseck! – ihr Urlaub ist eingeloffen, hier bring ich ihn.

v. Hasenpoth. Urlaub! hast du um Urlaub angehalten?

Magister. Sie wollen uns also verlaßen?

v. Gröningseck. Doppeltwillkommen, Herr Major! (zum Magister.) Nur auf kurze Zeit will ich nach Haus reisen.

v. Hasenpoth. Wenn hast du denn drum geschrieben? zum Teufel! – Urlaub! und ich weiß kein Wort von.

v. Gröningseck. Ein großes Verbrechen, wahrhaftig! Bey der Generalrevue bat ich den Inspektor selbst drum.

Major. Und ich schrieb auch noch an den Minister, und kan ohne mir was zu schmeichlen sagen, daß ich den Congé wohl unterschrieben würklich in der Tasche hab. Preuve de cela! hier ist er! – (giebt ihn dem von Gröningseck.)

v. Gröningseck. Dank ihnen für den Freundschafftsdienst –

Major. Wenns ein Freundschafftsdienst ist, wie ich wünsche, und wenn sies dafür annehmen, so brauchts keines Dankens; – man dankt für ein Allmosen.

v. Gröningseck. Ihre doppelte Güte beschämt –

Major. Paperla, paperla, pap; wieder ein andres dummes Wort, das ich mein Lebtag nicht leiden konnt: Beschämen! – Ein hundsfüttischer Laffe, dem mans ins Gesicht sagt, daß er ein Hundsfutt ist, der wird beschämt, kein ehrlicher Mann.

Magister (heimlich zum von Hasenpoth.) Ein sonderbarer Mann! seine Laune gefällt mir.

v. Hasenpoth. Der beste und der tollste Kopf im ganzen Regiment; wie sie wollen.

Major. Gewöhnen sie sich dergleichen abgeschmackte Wörter ab, meine Herren! noch wird sies wenig Müh kosten, – ist aber ein falscher Handgriff einmal erst eingewurzelt, so hat man des Henkers Arbeit ihn wieder aus den Knochen zu bringen. – Apropos! heut hab ich einen Hauptspaß erlebt; – in der Auberge, wo ich speise: ich nähm, hohl mich der Teufel! nicht viel Geld, daß ich ihn nicht selbst mit angesehn hätte; – vielleicht wissen sie schon drum, meine Herren? – (v. Gröningseck und v. Hasenpoth sehn einander an, und schütteln die Köpfe.) – Nicht? das wundert mich; so was lauft doch sonst wie ein Lauffeuer von Mund zu Mund: – Desto besser! so erfahren sie doch die lautre reine Wahrheit, denn ich hab den ganzen Spuck selbst mit angesehn, und soll mich der Teufel lebendig zerreißen, eh ich ein Wort dazu setz oder davon thu. – – Gestern Nachmittags, wie ich auf dem Spiegel mein Gläschen Liqueur trank, um die Verdauung zu befördern, sah ich am Fenster das in den Hof geht, zween Officier, den einen von Lionnois, den andern von Anhalt, eine Parthie Piket miteinander spielen: – es gieng haarscharf! daß kann ich ihnen versichern; zu drey Livres die Parthie und alle honneurs bezahlt; ich setzte mich, da es mein Leibspiel ist, hinter den letztern, der schon grimmig im Verlust war, und sah dem Ding ein Weilchen so zu; – mein Lebtag hab ich nicht mit so viel Unglück spielen sehn, allen Augenblick war er gesechzigt, oder geneunzigt, da war vor Gott Gnade! – seine Thälerchen flogen, sapperment! daß es nur eine Lust war. – Indem kommt der Lieutenant Wallroth von Salis, stellt sich hinter den andern gegen mir über, sieht so ein drey, vier Spiel mit an, wird einmal roth, einmal blaß im Gesicht; ich dacht, er wär moitié mit meinem Mann, und der Verlust ärgerte ihn: – auf einmal, Gott weiß, wie er das Ding so gleich weg hatte! auf einmal that er eine so furiose Attaque auf den Geldhaufen, der vor ihm lag, schob alles groß und klein dem von Anhalt zu, und sagte: »Härr, dies Geld ischt oier! 's goht hie nit bieder zu; ihr syd der Dup vom Spiel: drymol hinterenonder hot sich der Härr do die Ass in Talon gemischt: ha'ns selbst mit angesehn« – Noch hat er nicht ausgeredt, hören sie nur! hören sie nur, so gab ihm der von Lionnois eine so derbe Maulschelle, daß der ganze Saal davon erscholl. Sie wollten zugleich nach den Degen greifen, aber daran wurden sie vom Osterried und seinen Markörs verhindert. – Wir standen alle wie vom Donner gerührt da. – Der Chevalier de fortune skisirte sich endlich, ohne daß wirs gewahr wurden, und ein Weilchen drauf gieng der ehrliche Schwitzer auch fort. – Glückliche retour! dacht ich so bey mir selbst, da wird gewiß einer auf den Arsch gesetzt. – Aber pardieu, nein! Wallroth gieng zum Kommendanten, zeigte den ganzen Verlauf an, und so mußte der andre noch in der nemlichen Stunde ins Pontcouvert wandern. – Cassirt und mit Schand und Spott vom Regiment gejagt, ists wenigste, was ihm wiederfahren wird.

v. Gröningseck. Die Kanaille verdiente auch! – und Wallroth –

Major. Wird bongré malgré auch quittiren müssen.

Magister. Wie so Herr Major? hat er nicht als ein braver Mann gehandelt?

Major. Brav und nicht brav? das verstehn sie nicht. Als ein recht braver Kerl hätt er nicht zum Kommendanten laufen; sondern seinem Mann das Weiße im Aug selbst weisen sollen. – Damit ichs nun aussage; heut Mittag kam Wallroth, wie wir schon unsrer dreyzehn oder vierzehn an Tisch saßen, wie gewöhnlich auch in die Auberge; so wie er ins Zimmer trat, kehrt ihm sein Nachbar den Teller um: Er, als ob ers nicht verstünde, setzt sich hin, und stellt ihn wieder zurecht. – Nun stand, grad als wenn sie sich alle das Wort gegeben hätten, einer nach dem andern auf und gieng zum Tempel hinaus: endlich packt ich mich auch fort, und – da hätten sie die Fratze sehn sollen, die er machte: gemahlt möcht ich sie haben! – Da könnte man sehn, wie dumm es läßt, wenn man beschämt ist. –

v. Gröningseck. Der arme Teufel dauert mich.

Major. Mich auch, aber! – sehn sie nun ein, mein Herr! warum er wird quittiren müssen? vorher hätt ers nur mit Einem zu thun gehabt, jetzt hat er ihrer vierzehn auf dem Hals, muß sich, wenn er bleiben will, mit allen herumpaucken. –

v. Hasenpoth. Natürlich! denn sie haben ihn alle beleidigt.

Magister. Aber – die Duelle sind ja verboten!

Major. Verboten? – Pah! das Verbot gilt uns nicht! – gilt keinem Kriegsmann!

Magister. Sie erlauben, Herr Major! sind sie nicht auch Bürger des Staats, Unterthanen des Königs, so gut wie andre? und schwören nicht unsre Könige bey der Krönung keinem Duellanten, ohne Ausnahm Pardon zu geben?

Major. Das mag alles seyn, Herr Magister! mag ganz wahr seyn! – ich hab auch das gute Zutraun zu jedem rechtschaffnen Officier, daß er sich nicht in der Absicht schlagen wird, den König wider den Kopf zu stoßen, oder seine Befehle zu übertreten: – will man sich aber nicht von jedem Holunken auf der Nase tanzen lassen? will man sich nicht in Gesellschafften, bey Tisch und im Dienst täglichen Beschimpfungen aussetzen, wie wir das Exempel heut an Wallroth haben, so –

Magister. Muß man gesetzbrüchig werden?

v. Gröningseck. Nicht anders, mein lieber Magister! das wundert sie? es gieng mir einst wie ihnen. – Wir andren Epaulettes haben, sobald wir mit Recht oder Unrecht beleidigt werden, nur zwey Wege: entweder müssen wir unser Leben, oder unsre Ehre in die Schanz schlagen.

Magister. Das ist ja aber ein Widerspruch: wie! um nicht für ehrlos gehalten zu werden, muß sich ein rechtschaffner Mann der Gefahr aussetzen, seinen Kopf auf dem Schavott dem Scharfrichter hinzustrecken: – unerhört!

Major. Gar nicht unerhört! gar nicht! lieber das Leben als die Ehre verlohren. – Das Schavott macht nicht unehrlich, sondern das Verbrechen, und ein Verbrechen, wozu man gezwungen wird, ist kein Verbrechen mehr. – Wenn ich in Wallroths Haut stäcke, so schlüg ich mich, eh ich das auf mir sitzen ließ, lieber mit der ganzen Garnison herum; mit einem nach dem andern versteht sich. – Und wenn er heut noch Satisfaction von mir fordert, so soll er sie heut noch haben, wenn tausend Schavott und tausend Galgen daneben stünden. – – Wenn sie, Herr Magister, alle Widersprüche heben, alles krumme grad machen können, so thun sies! – ich will sie loben drum. A l'honneur, meine Herren! – Eh sie reisen, Gröningseck, seh ich sie doch noch?

v. Gröningseck. Wie billig.

Major (im Fortgehn.) Ohne Abschied also! (ab, Gröningseck begleitet ihn bis an die Thüre.)

Magister. Der Herr Major spricht –

v. Hasenpoth. Wie es einem Soldaten zukommt, und Sie, wie ein Mann von ihrem Stand sprechen muß: beyde können in ihrer Art Recht haben.

v. Gröningseck (kommt zurück.) Ja, mein lieber Magister! so ists! – sie wissen nicht, wie sauer es unser einem oft wird ein ehrlicher Mann zu bleiben! wie vorsichtig, bedächtig wir jeden Schritt abmessen müssen! – Aber – (im schmeichlenden Ton.) sie haben doch über dem gelehrten Streit meinen Auftrag nicht vergessen?

Magister. Gewiß nicht! – ihnen allen Zweifel desfalls zu benehmen, will ich gehn und sogleich Gelegenheit suchen mein Bäschen zu sprechen.

v. Gröningseck. Thun sies; sie verbinden mich unendlich. Zudem glaub ich ein Recht zu haben diese Gefälligkeit von ihnen fordern zu können; ich fühl, daß ich das nemliche für sie thun würde. (drückt dem Magister, der abgeht, die Hand.)

v. Hasenpoth. Tausendsakerment! Gröningseck! hast du dich nicht ein paarmal so dumm angestellt, daß man dein ganzes Geheimniß dir in den Augen lesen konnte. Wäre der Magister nur einen Grad mistrauischer –

v. Gröningseck. O dafür scheint er mir zu gutherzig!

v. Hasenpoth. Und den Auftrag, den du ihm da gegeben!

v. Gröningseck. Hab ich sehr zweideutig eingerichtet: – mit vieler Müh, ich gesteh es. – Richtet er ihn aber so aus, wie ich ihn ihm gab, so kann er doch seine gute Würkung haben. Evchen wird jedes Wort verstehn, und vielleicht beruhigt sie das, wenigstens zum Theil. Da ich keinen sichren Weg weiß ihr einen Brief zuzubringen –

v. Hasenpoth. Du hast ihr also noch nie geschrieben?

v. Gröningseck. Nein! – da ich sie, seit dem ich im Haus bin, noch nicht einen Augenblick ohne Zeugen gesprochen habe, so mußt ichs auf diese Art angreifen.

v. Hasenpoth. So sag mir denn nur, was du eigentlich mit ihr vorhast? soviel ich muthmaße hat ihre Melancholie physische Ursachen zum Grund.

v. Gröningseck. Das hat sie, ja! – sie ist schwanger. – Ich hab schon zuviel gestanden, um dieses läugnen zu können. – überdies taugt eine halbe confidence ihr Lebtag nichts. – Aber eben, weil sie es ist, von mir – fühlst du, was das heißt? – von mir es ist, so könntest du, dächt ich, eben so gewiß auch muthmaßen, was ich mit ihr vorhab; was ich thun werde, thun muß. Ich werde sie heyrathen.

v. Hasenpoth. Du?

v. Gröningseck. Ich! – Das ist wohl der geringste Ersatz, den ich ihr geben kann.

v. Hasenpoth. Der Lieutenant von Gröningseck die Humbrechtin! – Unmöglich!

v. Gröningseck. Warum? wenn ichs wissen darf! warum? wie so unmöglich?

v. Hasenpoth. Fürs erste als Lieutenant –

v. Gröningseck. Ich kann ja quittiren, wo steckt hernach die Unmöglichkeit? – Sie als Frau zu erhalten, das soll mir nicht schwer werden: ich hab vieles verschleudert, aber auch noch manches gerettet. – Den Rest meines Vermögens selbst zu übernehmen, dies ist die Absicht, in welcher ich um Urlaub anhielt; ich bin jetzt majorenn und kann jeden Augenblick eintreten. – So bald dies in Ordnung ist, komm ich wieder zurück, und bitt mir Evchen vom Alten aus. Wenn ich den blauen Rock auszieh, ist sie die Meine, das weiß ich.

v. Hasenpoth. Du willst also allem entsagen? –

v. Gröningseck. Allem, allem! – eh ich die Höllenpein mit mir herumschleppen wollt! – Aber noch eins! – merk dirs, Lieutenant, merk dirs! sag ich. – (nimmt ihn bey der Hand.) Du bist der Einzige, dem ich mein Herz geöfnet habe; noch ist kein Wort von alle dem, was du gehört hast, über meine Lippen gekommen. – Deine Anschläge haben mich in diesen Abgrund gestürzt – dieß ist kein Vorwurf den ich dir mache, du verkantest den Engel, ich auch! und doch hätt ich ihn besser kennen sollen, ich! ich allein! du nicht! – – jetzt mußt du mir auch behülflich seyn mich wieder herauszuwinden. – Ich glaube deiner Tugend nicht zuviel zuzutraun; – wärs aber! betrög ich mich in meiner Meinung! kommt nur ein Gedanke, nur ein Schatten von dem, was ich hier in dein Herz legte, vor der Zeit ans Tageslicht! – Hasenpoth! – (läßt ihm die Hand gehn, und bebt zurück) – so fährst du oder ich dem Teufel in Rachen. – Jetzt laß mich! – ich muß mich verschnaufen, und Anstalt zur Reise machen. – Wir sprechen uns noch. (ab ins Kabinet.)

v. Hasenpoth. Wenn du mit all deinen überspannten Begriffen von Tugend sie zur Frau kriegst, so soll mich der Teufel, vier und zwanzigmal auf und ab durch die ganze Armee seiner dienstbaren Geister, Spißruthen laufen lassen! – Nein, Herr von Gröningseck! ich muß erst Nachlese halten. – (im Abgehn.) Die Karten will ich schon darnach mischen, – besser als der Dummkopf auf dem Spiegel! – wart nur! (ganz ab.)


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