Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

8.

Der Neujahrstag war noch nicht zu Ende – so sollten die Leute von Linz noch eine Überraschung erleben. Von Neuhäusl aus, wo die letzten kleinen Häuser der äußeren Vorstadt waren, breitete sich rasch ein leiser Ruf des Staunens durch die ganze Stadt aus: österreichische Offiziere ritten ein! Sie kamen von Edelsberg und waren Boten, Abgesandte des Grafen Khevenhiller. Ein Trompeter mit der weißen Fahne der Parlamentäre ritt voran und ihm folgten zwei Herren: der Oberstleutnant Graf Gerani und der Freiherr Lambert von Roxheim. Sie sollten von Segur Abzug der Besatzung und Übergabe der Stadt verlangen. Wenn nicht – dann völlige Einschließung und Belagerung.

Das war am frühen Nachmittag gewesen. Im Gräflich Spindlerischen Haus, wo Segur sein Quartier hatte, wurde verhandelt, aber nicht allzulange. Diesmal war der General sehr höflich; man vernahm keinen Fluch, wie er dem alten Haudegen sonst geläufig über die Lippen sprang – er wußte sich auch als Kavalier zu verhalten und das wollte er gerade diesen österreichischen Herren gegenüber – aber auch kein Wort der Nachgiebigkeit. Sehr höflich, aber mit größter Bestimmtheit lehnte Segur die Übergabe der Stadt ab. »Sagen Sie dem Herrn Feldmarschall, daß ich Linz halten werde – nötigenfalls, bis es ein verbrannter Trümmerhaufen ist und wir alle drunter begraben!« Man sah es ihm an, daß es mit dieser Entschlossenheit bitterster Ernst war. Und die Gesichter der bayrischen und französischen Herren, die um ihn gereiht waren, drückten den gleichen Willen aus.

Kersaint sah mit einem seltsamen Gefühl auf den jungen Offizier hin, der den österreichischen Oberstleutnant begleitete. Also dieser grüne Husar war Lambert von Roxheim … Er hatte bei der Vorstellung den Namen ganz wohl verstanden. Ein stattlicher Mann, etwas älter vielleicht, als er selber, breitschulterig, das Gesicht von sehr stolzem Ausdruck, nicht ohne ein wenig Härte … Das war also der Mann, der sie besitzen sollte – der Glückliche, der Sieger, der die Stadt und die Frau vielleicht an einem Tage erobern würde! Und plötzlich schien es Kersaint, als wäre der bevorstehende Kampf ein Kampf um Romana. Mit Wonne würde er ihn aufnehmen – wenn er auch im vorhinein wußte, daß er der Besiegte sein würde. Denn sie – sie hatte es ihm nur zu deutlich klar gemacht, daß sie nichts für ihn empfand, daß jede leise Hoffnung, die am Anfang manchmal sich in sein Herz geschlichen hatte, nur Trug und Wahn gewesen war …

Er fuhr auf. Graf Gerani stand vor ihm. »Vicomte –« sagte er sehr höflich, »hier mein Adjutant Roxheim hätte eine private Bitte an Sie … Sie wissen, unseres Bleibens ist nun keine Minute länger – er aber hat hier Verwandte, und bittet Sie, diesen eine kleine Botschaft zukommen zu lassen. Weil wir erfahren haben, daß Sie im Hause des Herrn von Tann im Quartier liegen … Bitte!« Und er winkte Roxheim zu sich heran.

Kersaint hatte Mühe, Haltung zu bewahren, als er nun Roxheims militärischen Gruß ebenso erwiderte. Dann überreichte ihm der junge Freiherr einen kleinen, zusammengefalteten Zettel, ohne Siegel, in aller Eile geschrieben. »Ihr Oberbefehlshaber hat das Schriftstück eingesehen und läßt es passieren –« sagte Roxheim und sah Kersaint aufmerksam an. »Es handelt sich nur um Dinge familiärer Natur, die ich dem Vater meiner Braut mitteilen möchte … Nur ein paar Grüße …« Er verneigte sich leicht. »Ich werde Ihnen sehr dankbar sein, Vicomte, wenn Sie die Gefälligkeit haben wollen. Ich stand unmittelbar vor meiner Vermählung, als der Krieg ausbrach.«

»Es wird mir eine Ehre sein, Ihnen diesen kleinen Dienst zu leisten.« Kersaint sagte es ruhig und gemessen. In seinem Innern stürmte es … Er ließ den Brief in die Tasche seines breitschössigen, blauen Waffenrockes gleiten.

»Also adieu, Vicomte – und Dank im voraus!« Roxheim schlug die Sporen zusammen, daß es klirrte und drehte sich so rasch um, daß sein grüner Mantel sich um ihn aufbauschte und die weißen Federn auf seinem Dreispitz ein wenig in Bewegung gerieten. Dann folgte er rasch dem Grafen, der ebenfalls rasch noch ein paar Abschiedsworte an Segur richtete und dann das Gemach verließ. Im Vorzimmer wartete der Trompeter mit der weißen Fahne. Und wie sie gekommen waren, ging es durch die Stadt wieder hinaus, vor die Tore – durch die Vorstadt, wo ihnen die Leute erwartungsvoll nachschauten, und dann in schlankem Trab die Reichsstraße entlang, die nach Ebelsberg führte, und über die sich schon das neblige Dämmern des sterbenden Tages breitete.

»Das hat sich gut getroffen, daß dieser französische Offizier meines Schwiegervaters Gast ist,« sagte Roxheim zum Grafen, wie sie so dahinritten. »Und daß es der General erlaubt hat, daß er mein Brieflein mitnimmt. Er hat nur sehr flüchtig hineingeschaut – das war galant –« lachte er. »Ich hätte ganz andere Dinge schreiben können, als ich geschrieben  … Nun, ich hab dem alten Herrn nur Mut zusprechen wollen für das, was jetzt kommen wird … Und meiner Braut auch … Denn ich mein, hier wirds bös werden.«

Graf Gerani nickte. »Der Segur ist ein Eisenschädel. Wir werden zu tun kriegen mit diesem Linz – verlassen Sie sich drauf, Roxheim!« –

Als Kersaint nach Hause gekommen war, erfuhr er, daß Herr von Tann nicht mehr zu sprechen sei; er fühle sich recht unpäßlich. Kersaint überlegte: der Brief brannte ihn wie Feuer in der Tasche, immer sah er Roxheims hübsches, ein wenig hochmütiges Gesicht vor sich, und wilde Eifersucht zerriß sein Herz. Sein heißes Blut, nicht geschaffen für Entsagen und sich Bescheiden, regte sich mehr denn je. Alles hätte er um Romana gewagt, jede Gefahr bestanden, jedem Widerstand getrotzt: wenn sie es nur gewollt hätte. Aber das war es eben: sie wollte nichts von ihm und seiner Liebe wissen! Mochte einmal ganz kurz irgend etwas in ihr sich geregt haben, ein flüchtiges Wohlgefallen an ihm, so war das längst erloschen, gedämpft und überwunden vom Bann der Sitte, vom Zwang der Klugheit … Und jetzt mußte er ihr und ihrem Vater den Brief des Verlobten übergeben!

Kersaints Lippen umspielte ein bitteres Lächeln, als er die Zofe bat, ihn bei dem Fräulein Romana zu melden. Er bitte um Entschuldigung, daß er diese etwas späte Stunde wähle – aber er habe Dinge von Wichtigkeit zu übermitteln. Ludmilla ging, nicht ohne einen bewundernden Blick heimlich auf den Vicomte zu heften. Der elegante junge Herr gefiel ihr über alle Maßen …

Die Schwestern saßen in einem kleinen Wohnzimmer, neben dem Schlafgemach des Vaters; sonst hielten sie sich dort wenig auf, aber jetzt wollten sie dem Kranken, der einen recht üblen Nachmittag verbracht hatte, möglichst nahe sein. »Führe Herrn von Kersaint hieher,« sagte Romana nach kurzem Überlegen, zu Ludmilla, als diese ihre Botschaft ausgerichtet hatte. Wenn sie schon mit dem Vicomte sprechen mußte, so war es ihr lieb, daß dies in Gegenwart der Schwester geschah. Nur nie mehr mit ihm allein sein – – –

Kersaint trat ein und verbeugte sich stumm. Ein paar Kerzen erhellten den Raum mit warmem, traulichem Licht, das rotgoldene Reflexe auf Romanas kastanienbraunes Haar warf. Romana hatte sich erhoben und sah ihm mit dem gelassenen, kühlen Blick entgegen, den er nun schon an ihr gewohnt war. Hätte er außer ihr noch Augen für etwas anderes gehabt, so hätte er bemerkt, daß Petronella mit seltsam gespannter Aufmerksamkeit die Unterredung verfolgte.

»Ich bitte mein Erscheinen zu so später Stunde zu entschuldigen, Mesdemoiselles!« sagte Kersaint nun. »Ich will Sie nicht weiter stören – und mich nur eines Auftrages entledigen, der sowohl Ihnen als Ihrem Herrn Vater gilt. Ich bitte –« er reichte Romana mit einer Verbeugung Roxheims Brief hin – »dies Schreiben Herrn von Tann zu übergeben.«

Romana nahm den Brief und erkannte auf den ersten Blick die Handschrift des Freiherrn. Sie erbleichte bis in die Lippen, während Kersaint fortfuhr:

»Ich hatte heute Nachmittag die Ehre, die Bekanntschaft Ihres Verlobten zu machen – er war in Begleitung des kaiserlichen Parlamentärs gekommen und wir trafen uns beim General. Und da bat er mich, der Bote dieses Briefes zu sein – der Ihnen und Ihrem Herrn Vater gewiß von Herzen willkommen sein wird …«

Romana hielt den Brief noch immer vor sich hin. »An Herrn von Tann und meine liebwerteste Jungfer Braut –« stand da geschrieben. Petronella sah ihr über die Achsel, sie hatte sich erhoben gleich der Schwester. Nun muß sich etwas ereignen, dachte sie – und sagte sich gleich darauf wieder mit kühler Vernunft, daß sich gar nichts ereignen könne. Wenn Romana etwas zu überwinden gehabt hatte, so war es wohl längst überwunden. Sie nimmt ihr Los hin – dachte Petronella – ich nicht! Ich werde noch verrückt, weil ich mir keinen Ausweg weiß …

»Sie müssen es Vater zugute halten, daß er Ihren Besuch nicht empfangen kann,« sagte jetzt Romana. »Aber er ist recht unpäßlich seit heute – und jetzt schlummert er ein wenig, nach dem harten Husten, der ihn so arg gequält hat …« Sie redete ganz mechanisch und dachte dabei immer nur: Er soll gehen – ich will ihn nicht mehr sehen. – Sie neigte leicht das Haupt gegen Kersaint: »Nochmals besten Dank für ihre freundliche Bemühung, Herr von Kersaint! Und – leben Sie wohl!«

Den Brief vor sich haltend, gleich einem Schild, der sie schirmen sollte vor sich selber, wandte sie sich der Türe zum Nebenzimmer zu, indem sie nach der Hand der Schwester griff. Aber auf einmal kam etwas über Kersaint, dem er nicht zu widerstehen vermochte.

»Vergeben Sie, Mademoiselle –« sagte er, unwillkürlich die Hand erhebend, wie um Romana zurückzuhalten. In der Erregung sprach er in seiner Muttersprache. Romana kehrte sich ihm wieder zu. Ihr Herz begann wie rasend zu schlagen. Petronella fühlte es in der Hand der Schwester, die noch immer fest die ihre umschloß.

»Sie sagen mir Lebewohl –« sprach Kersaint. »Und Sie tun gut daran. Denn ich habe mich zum Außendienst gemeldet – und Sie wissen vielleicht, daß die nächsten Tage schwer und gefahrvoll für uns sein werden … Wer weiß, ob ich noch einmal das Glück haben werde, Sie wiederzusehen …« Es riß ihn hin, er konnte nicht anders, mochte auch Petronella daneben stehen und den großen, erstaunten Blick ihrer dunklen Augen fast drohend auf ihm ruhen lassen. »So leben Sie denn wohl, Romana – und nehmen Sie tausendfachen Dank für alle Güte, die Sie mir in diesen Wochen erwiesen haben – mir, dem Fremden und Feind …« Er beugte das Knie für einen Moment vor ihr und tastete nach ihrer Hand. Aber Romana wich zurück. Sie vermied seinen Blick – starrte nur immer auf das weiße Blatt, das sie in den Händen hielt.

»Möge Gott mit Ihnen sein, Vicomte –« sagte sie dann und ihre sonst so weiche Stimme klang spröd und hart. »Ich werde für Sie beten …« Und rasch, Petronella mit sich ziehend, enteilte sie, ohne noch einen Blick auf Kersaint zu werfen.

»Aus …« dachte dieser, als sich die schwere dunkle Tür hinter den beiden hellen Gestalten geschlossen hatte. »Ja – bete für mich, Romana – bete, daß ich entweder dich vergessen kann – oder daß eine gnädige Kugel sich meiner erbarmt …«

Dann verließ auch er das Gemach. –

*

Eckhard von Tann hatte über das Brieflein Roxheims große Befriedigung empfunden. Wieder und wieder las er die paar Zeilen, die von Mut und Vertrauen auf bessere Tage sprachen und der Hoffnung Ausdruck gaben, daß sich nun gar bald für die bedrängte Stadt alles zum Guten wenden werde. Und dann wandte sich der Schreiber an Romana selbst: »Und wie herrlich wird es dann sein, wenn neben dem Sieg auch Amor uns krönen wird, und wir endlich, meine liebwerteste Jungfer Braut, werden zum Traualtar schreiten können!« Und die Unterschrift lautete: »Euer allergetreuester Sohn und Bräutigam Lambert Roxheim.«

Der alte Kaufherr nahm es als gutes Vorzeichen, daß Lambert selber mit dem Parlamentär in die Stadt gekommen war. »Und genau so –« sagte er den Töchtern, als sie ihm am andern Morgen die Suppe zu seinem Bett brachten, »genau so wird es kommen, daß er siegreich seinen Einzug halten wird. Kannst stolz sein, Romana, daß du die Braut von einem Kavalier bist, der deine Vaterstadt aus Feindeshand zu befreien mitgeholfen hat!«

Romana gab keine Antwort. Sie machte sich mit der Tasse zu schaffen, die sie dem Kranken aufs neue füllte. Aber an ihrer Stelle sagte Petronella: »Der Vicomte hat den Brief überbracht – das wißt ihr ja, Vater? – Und er hat sich gar schön bei uns beurlaubt. Er hat sich jetzt gemeldet zum Dienst draußen, und da wird es wohl gefährlich hergehen.« Sie sagte das ganz gelassen, so wie man etwas erzählt, das einen eigentlich nicht weiter berührt. Aber dabei beobachtete sie scharf die Schwester. Der Silberlöffel, mit dem Romana eben die Suppe umgerührt hatte, entglitt ihrer Hand – mit leisem Klirren fiel er auf die Platte des Tisches, der neben dem Bett des Kranken stand.

Aber Romana hatte sich gut in der Hand. Leise und freundlich plauderte sie mit dem Vater und niemand hätte geahnt, der sie so gesehen, wie schwer und todestraurig ihr Gemüt war. –

Auch Petronella war um den Vater bemüht, ging ab und zu. Aber dabei war ein Gewirr von dunklen Gefühlen in ihr. Sie dachte an die Möglichkeit, daß Roxheim fallen könnte. Die Schwester liebte ihn nicht … Würde sie ihr aber den Platz im frohen bunten Weltleben räumen, wenn es so käme? Würde sie an Petronellas Stelle das Opfer bringen? Oder wieder einen andren Freier finden und damit für Nella alles beim Alten bleiben?

Sie grübelte hin und her. Wie dunkel war die Zukunft – schwarz wie ihre Gedanken … Wenn man handeln könnte – sich sein Geschick selber zimmern … Aber man konnte nichts tun – es hieß nur: schweigen und ertragen! Und dagegen bäumte sich Petronella mit allen Seelenkräften auf. –

*

Der Feldmarschall Graf Khevenhiller hatte sein Hauptquartier von Ebelsberg nach Wilhering verlegt. Die romantische Abtei, die sich so stolz in den Fluten der Donau spiegelte, sah jetzt lebhaftes kriegerisches Treiben und Getümmel. Der tüchtige Pionierhauptmann Eschenauer schlug, dem Plan des Feldmarschalls gemäß, eine Brücke über die Donau: so konnte man dem Feind in den Rücken kommen. Ringsumher wurde das Land von den Gegnern gesäubert. Und in der Stadt wuchs doppelte Bedrängnis: solche, die die Belagerung und solche, die die feindliche Besatzung mit sich brachte.

Denn waren bisher immer noch ausreichende Lebensmittel auf den Markt gekommen, so wurde die Möglichkeit einer Zufuhr immer geringer, je enger sich der eiserne Ring der Belagerer um Linz schloß. Die Teuerung begann drückend zu werden. Weder die bayrischen noch die französischen Offiziere machten mehr viel Aufhebens davon, wenn ihre Soldaten Vieh und Fleisch, Brot und Mehl, wie dies auf den Markt kam, an sich nahmen – oft mit Gewalt. Beim Bräuer in Auberg, beim Müller in Auhof, überall, wo es etwas zu holen gab, wurde geplündert und die Beute in die Stadt geschleppt. Auch das Pferdefutter ging aus und immer geringer wurde die Möglichkeit, hereinzubekommen, was des Lebens Notdurft erforderte.

Meister Thomas Meischinger, der Maurer in der Weigerhofgasse, wäre mit seiner kranken Frau und den kleinen Kindern jämmerlich verhungert, wenn nicht der gutherzige Gevatter Rolin und Dürrenschwamm, der Maler aus der Altstadt, ihm nach Kräften beigesprungen wären. Aber auch sie konnten nicht gar so viel tun, Arbeit gab es auch für sie fast keine mehr. Wer wollte sich zierlich gemalte Schränke anfertigen lassen oder kunstvoll geschmiedete Kamingitter, wenn vielleicht in ein paar Wochen alles der Verwüstung und der Zerstörung durch Brand und Plünderung preisgegeben sein würde? – Die beiden Meister brachten dem Meischinger für die Frau und die Kinder hin und wieder ein Pfund Schaffleisch, aber das kostete neun Kreuzer. Gut nur, daß es gefallene Pferde doch noch mehr gab; davon konnte man auch ein Pfund Fleisch um drei Kreuzer bekommen. Bei Meischinger mußten sie um das froh sein, wenn sie es nur überhaupt hatten … Und da gab es Leute, die früher schon arm gewesen waren – die kamen jetzt so weit, daß sie betteln gingen zu den französischen Soldaten, die im Kapuzinerkloster einquartiert waren: um ein Stücklein Kommißbrot … Aber auch das war schon teuer und rar: 24 Kreuzer kostete der Dreipfundlaib … Manche von den Soldaten waren gutmütig, gaben immer wieder ein bißchen ab – ihnen ging es doch noch etwas besser. Aber es waren gar viele darunter, die die Notleidenden mit rohen Worten abspeisten. –

Der Dreikönigstag kam und ging. Sonst waren die lustigen Sternsingerbuben gaßauf, gaßab gezogen in der Stadt, hatten ihre lieben alten Lieder gesungen und Sprüchlein hergesagt – und dann waren sie mit Äpfeln und Nüssen und guten weißen Striezeln beschenkt worden. Jetzt dachte überhaupt niemand daran, daß dieser Festtag da war, daß er sonst die lustige Zeit des Faschings eingeleitet hatte. Der Tanz, der jetzt kam, der mochte für gar viele zum Totentanz werden …

In der zweiten Woche des Jänners ließ die grimmige Kälte nach; Raureif zeichnete die Linien der Bäume, die in den Stadtgärten standen, weich und silberig nach. Draußen vor der Stadt, in den Vorstädten, da war es traurig-kahl. Alles war abgeschlagen – die Belagerten mußten freie Aussicht haben.

Der Feldmarschall Khevenhiller war jetzt schon unmittelbar vor der Stadt. Mit zehn Grenadierkompagnien und einer starken Abteilung Kavallerie war er von Wilhering her angerückt und lagerte auf dem Kapuzinerberg und auf den Hügeln, die das Schulertal säumten. Bis nahe vor dem Schloß lagerten die weißen Grenadiere mit den roten Aufschlägen und Goldknöpfen. Der Wirt »Zur blauen Traube« im Weingarten, der Matthias Hueber, der immer ein Spaßvogel gewesen war, nannte die Grenadiere »Unsere Schneemanndeln –«; nur – fügte er hinzu – »ganz so weiß seien sie nicht, dafür aber werden sie den Bayern tüchtig einheizen …« Aber so etwas durfte er in seiner Gaststube nicht laut sagen, denn die Gäste, die er noch hatte, das waren fast lauter Feldwebel und Korporale und sonstiges Volk von der Besatzungsarmee. Und da mußte der Traubenwirt still sein.

Marschall Khevenhiller hatte Nachrichten vom Gemahl der Königin: der Herzog wurde von Niederösterreich her erwartet. Dem Namen nach war er ja der Oberbefehlshaber in diesem Krieg – aber Khevenhiller lächelte heimlich in sich hinein – wußte er doch, mit welch leidenschaftlicher Liebe die Königin an ihrem schönen Gemahl hing und wie sie ihn auf alle Weise von allem, was nun einmal an Gefahr mit dem Kriegshandwerk verbunden war, abzuhalten versuchte … Aber jetzt würde Franz Stephan kommen – Khevenhiller hielt die Lage um Linz herum nicht mehr für so gefährlich, daß man den hohen Herrn nicht hätte dringend einladen können, die überreife Frucht dieser Stadt zu pflücken – um sie seiner Gemahlin zu Füßen legen zu können …

Und inzwischen hielt Khevenhiller alles in seiner kriegserfahrenen Hand zusammen und wußte, daß er der rechte Mann war, alles für die Königin zum guten Ende zu führen. Hatte er nicht seine militärischen Lehrjahre im Spanischen Erbfolgekrieg unter dem unvergeßlichen großen Eugenio von Savoyen durchgemacht? Hatte er nicht in den Türkenkriegen zu den erfolgreichsten Feldherren gezählt? Trotzdem er bald seinen sechzigsten Geburtstag würde feiern können, war er noch voll Kraft und Feuer. Und nichts entging seinem geübten Kriegerauge, wenn er so um die Stadt ritt und die Verteidigungsanstalten, die die Feinde getroffen hatten, rekognoszierte. –

*

Im Hause Eckhards von Tann waren traurige Tage; er selbst lag schwerkrank darnieder, und seine Töchter pflegten ihn; abwechselnd mit der alten Barbara oder Ludmilla wachten sie die Nächte durch bei dem fiebernden alten Mann, den Husten und Atemnot quälte. Aber wenn ihn das Fieber ein wenig in Ruhe ließ, dann war er gleich wieder geistesfrisch und verlangte zu hören, wie es in und außer der Stadt stehe.

Die alte Barbara hob jedesmal, wenn sie einkaufen geschickt worden war, ein großes Gejammer an: weil alles so sündteuer war! Und das wäre noch nicht das Ärgste gewesen, »denn wir haben noch genug Geld im Kasten,« sagte die alte Haushälterin, die sich ganz als zum Hause Tann gehörig betrachtete, zu Ludmilla, »aber daß nichts zu bekommen ist, was wir für den Herrn brauchen würden! Wenn ich mit der Romana abrechne, dann schaudert mich grad immer, wie wenig Geld ich wieder heimbringe von dem, was sie mir mitgibt …«

»Ich bin froh, daß ich jetzt nichts mit dem Kochen zu tun habe –« sagte die Zofe, die ein wenig mit dem Reitknecht des Vicomte schön tat, einem lustigen Pariser, von dem sie sogar schon ein paar Worte Französisch aufgeschnappt hatte und der ihr hie und da eine Scheibe besseres Brot oder etwas Wein von seiner Ration zusteckte …

»Ja – Kochen ist jetzt eine traurige Kunst!« seufzte Barbara. »Suppe muß der Herr haben, eine kräftige, wie sie für einen Kranken paßt – aber da gehst einkaufen und mußt noch schön bitten, daß du das Pfund Rindfleisch um neun Kreuzer bekommst oder gar Kalbfleisch um fünfzehn! Hätte man sich das jemals träumen lassen, daß man so was mitmachen muß? – Gut nur, daß ich uns hübsch viel Butter ausgelassen habe, wie man sie noch bekommen hat: jetzt kostet das Pfund schon einen Gulden! Es ist ganz aus und unerhört – – Und ein Ei drei Kreuzer – und unsere Eingelegten werden auch langsam immer weniger –« beklagte sich Barbara weiter.

»Nun –« sagte Ludmilla, die etwas leichtblütig von Gemüt war, »ewig kann es ja nicht so dauern mit diesem Krieg! Ich hoff zu Gott, daß wir zu Ostern wieder schöne rote Eier färben werden können …«

»Ja – wenn sie uns nicht alle Hennen wegfressen –« sagte Barbara zornig. »Und grad Hühnersuppe wär dem Herrn so gesund!«

»Es ist nur gut,« meinte die Zofe, »daß gestern der Herr Vicomte ein paar Tauben geschickt hat für den gnädigen Herrn. Ist ganz schön von ihm … Diese Herren haben halt doch noch immer was.«

»Wenn man zuerst tüchtig stiehlt, dann ist es leicht, etwas herschenken –« brummte Barbara und ging wieder an ihre Kocherei. –


 << zurück weiter >>