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3.

Die Pauken dröhnten, die Trompeten schmetterten. Linz feierte. Aber seine Bewohner waren nicht mit den Herzen dabei und hätten wohl gewünscht, daß es nicht zu diesem Feste gekommen wäre.

Was hatten diese letzten paar Wochen alles an Ereignissen und Erregungen gebracht! – Ein paar Tage, nachdem der Kurfürst in Linz eingeritten war, eilten Boten im ganzen Land umher: in alle landesfürstlichen Städte kamen sie mit dem Dekret, das die Bürger aufforderte, Abgeordnete zur Huldigung für den neuen Landesherrn nach Linz zu entsenden. Dort sollte am 2. Oktober, am Tage des Festes des heiligen Schutzengel, diese Zeremonie stattfinden …

Und nun mußten die Hausfrauen in Gmunden und Vöcklabruck, in Eferding und Schwanenstadt, in Enns und Steyr, der alten Eisenstadt, im handelsreichen Wels und in Freistadt, ihren Herren Eheliebsten die Reisesäcke packen und alles zurüsten an Gewand und sonstigem, was man zu einer Fahrt brauchte. Und die Männer sahen sich um Fahrgelegenheiten um. Da hatten es die Steyregger am besten – die konnten auf Schusters Rappen nach Linz ziehen – sie mußten ja auch erscheinen, wenn auch ihr Graf schmollend und grollend auf seiner hohen Burg droben saß …

Alles mußte gehorchen, Widerstand wäre Narrheit gewesen. Leute aus Linz, die aufs Land hinauskamen, erzählten, wie fünf Tage nach dem Eintritt des Kurfürsten bereits alle Landräte und die übrigen Beamten feierlich hatten den Treueid für den neuen Gebieter schwören müssen. Und der Magistrat der Landeshauptstadt hatte in feierlichen schwarzen Kleidern seine Aufwartung gemacht – an der Spitze der Bürgermeister Stephan Pillewitzer.

Und dann – ein paar Tage später – war der Kurfürst nach Enns geritten; dort wollte er sich eine Woche ungebundenen, freien Weidmannslebens gönnen – in den herrlichen Auwäldern, die in diesem Herbst so bunt und prachtvoll in allen Farben gleißten und glühten. Und Karl Albrecht jagte und tafelte und war frohmütig. Wenn ihm dies Land Oberösterreich, dessen Schönheit und Fülle er mehr und mehr empfand und in sich aufnahm, gehuldigt haben würde – dann sollte es weitergehen – nach Niederösterreich und Böhmen. Er und seine tüchtigen Generale – sie würden schon rasch zugreifen und die Hand legen auf das reiche österreichische Erbe! –

*

In kühler Helle, die einen strahlenden Tag versprach, war der Morgen des 2. Oktober heraufgestiegen. Schutzengelfest-Huldigungstag … Kaum war der Morgengottesdienst beendet, so füllten sich schon die Straßen mit Menschen. Die Pauken dröhnten, die Trompeten schmetterten: Linz feierte!

Die Dreifaltigkeitssäule, das neue Wahrzeichen des Hauptplatzes, badete ihre weißgoldene Spitze in Licht. Viele von denen, die an diesem Tage gekommen waren, um zu schauen, was sich an höfischem Prunk und fürstlicher Feierlichkeit zur Schau stellen würde, konnten sich noch wohl daran erinnern, wie dies großartige Denkmal aufgestellt worden war – war es doch noch nicht zwei Jahrzehnte her … Schmuck und geräumig lag der große Platz da, in seiner schönen Umschlossenheit, vom Schmidtor zum Wassertor. Wie viele Erinnerungen knüpften sich an diesen Platz! Wenn das Rathaus hätte sprechen, die alten hochgeschossigen Patrizierhäuser, die ihn umsäumten, hätten reden und erzählen können! Heute mußten sie etwas sehen, das der Anfang von etwas war, das zu nichts Gutem führen konnte.

War das noch die friedliche, ein wenig träumerische Stadt, die geruhig ihrem Handel und Wandel nachging? – Jetzt war der Platz einem Heerlager gleich: da standen seit dem Morgen Soldaten aller Arten – das Bayrische Leibregiment, dessen Offiziere so prächtig aussahen in den blauen, silberbordierten Röcken, Dragoner waren da, Grenadiere von vier Regimentern … Und die Bürgermiliz: heute trugen sie zum erstenmal die blauweißen Kokarden an Stelle der weiß-roten von Oberösterreich – und manches Bürgerherz schlug verdrossen und betrübt, wie sie alle dastanden, zur Parade vor dem neuen Herrn bereit.

Oben im Schloß erwartete Karl Albrecht die Stände. Sie kamen, ihrer sechzig an der Zahl, um ihn zu holen. Durch den hölzernen Gang, der Landhaus und Schloß verband, waren sie hinaufgestiegen; festlich gekleidet, jeder mit den Abzeichen seiner Würden. Und dann formierte sich der feierliche Zug …

Durch die Klostergasse gings quer über den Platz, an den paradierenden Truppen vorbei, und dann hinein in die schattenkühle, schmale obere Pfarrgasse – auf den Pfarrplatz, wo sich der Zug in mehrere Teile trennte, die Aufstellung nahmen, um dann zum Teil dem Kurfürsten in die Pfarrkirche zu folgen. Voran als Erste schritt die Dienerschaft der Stände, dann kam das Gefolge der bayrischen Beamten und Hofkavaliere, die an diesem Tag mit herrlichen Livreen und sonstigem Prunk nicht gespart hatten. Auch die französischen Herren waren vollzählig vertreten, soweit sie nicht bei ihren Truppen standen – auch sie wollten das Huldigungsfest des Verbündeten ihres Königs geziemend mitfeiern.

Der Vicomte Maurice von Kersaint ritt auf seinem flandrischen Roß unmittelbar hinter einem der Befehlshaber der französischen Hilfstruppen, dem Oberst Duc du Chastel. Ein guter Bekannter vom Versailler Hof her; dessen Sohn und er waren in der Pagenschule Kameraden gewesen … Der Oberst war dem jungen Offizier sehr gewogen. So sehr, daß er ihm vor ein paar Tagen ohne weiteres eine Bitte gewährt hatte: ihn jenen Truppen zuzuteilen, die fürs erste mit den Bayern in Linz bleiben sollten … Und er hatte verständnisvoll gelächelt – und ein wenig frivol dazu – als Kersaint gebeten hatte, ihm einen Quartierzettel auszustellen für das Haus des Ratsbürgers und Kaufherrn Eckhard von Tann. »Herr von Pranck wird auch dort logieren –« hatte Kersaint bemerkt, als der Oberst die Feder ansetzte. »Ich wäre gern mit ihm weiterhin zusammen!«

.

»Also wegen des dicken Bayern wollen Sie in dies Haus, Vicomte?« hatte der Oberst lächelnd gesagt und unterschrieb … »Ich wußte nicht, daß Ihre Freundschaft gar so genau ist – –« Und mit einem verständnisvollen Blinzeln: »Vielleicht sind auch Damen dort? – Viel Vergnügen!«

Daran dachte Kersaint jetzt im Reiten – aber eigentlich weniger an diese Szene, als an die von neulich – wo er dem wunderschönen Mädchen den Rosenstrauß zu Füßen geworfen hatte – ihr, die enteilt war, ohne ihm auch nur einen Blick mehr zu gönnen … Es war gerade an der Ecke, dort, wo die Gasse in den Platz mündete; die Landschaftlichen Trompeter und Pauker machten gewaltigen Lärm, der Falb tänzelte nervös. Kersaint beruhigte das Tier – und dann, einen Moment um sich und emporsehend, erblickte er im Fenster des ersten Stockes jenes Hauses, wo der Zug einen Augenblick verweilt hatte, zwei Mädchengesichter, neben ihnen eine alte, vornehm gekleidete Frau. Ja – sie war es, die Kastanienbraune, an die er soeben gedacht hatte … Aber jetzt war sie ihm keine Fremde mehr: wußte er doch seit mehreren Wochen, wie es sein geschickter Diener erkundet hatte, daß sie Romana hieß und die älteste Tochter des Ratsbürgers und Kaufherrn Eckhard von Tann war. Und das andere Mädchen war ihre Schwester – und hieß Petronella … Das Haus in der Altstadt, vor dem er sie zuerst gesehen hatte, war ihr Heim: hier mochten sie wohl nur zu Gaste sein, um den Anblick des Festzuges bequem und ohne das Gedränge der Volksmenge genießen zu können. Und bald würde er ihr Hausgenosse sein! Und dann …

Kersaint wandte sich halb im Sattel, um noch einen Blick zu Romana hinaufzusenden; aber sie war zurückgetreten – nur Petronellas blaues Kleid füllte den Fensterausschnitt. Und die Bewegung des Zuges nahm den Vicomte unaufhaltsam mit sich …

*

Im weiten Halbrund umstanden die kurfürstlichen Heiducken, Sesselträger und Leiblakaien den Raum vor dem Hauptportal der Pfarrkirche: und vor ihnen reihten sich die Beamten des Hofes und des Landes, die Vertreter des Linzer Magistrates und der Landesfürstlichen Städte. Aber jetzt kam das Herzstück des Zuges: die huldigenden Stände von Oberösterreich …

Ernst und würdevoll schritten sie dahin, die Grafen und Freiherren, Prälaten und Ritter – neben ihnen schritten kurfürstliche Edelknaben, brennende Wachskerzen, die würzig dufteten und in der stillen warmen Luft kaum flackerten, in den Händen. Adelige Jugend war es, mit frischen Kindergesichtern, die seltsam abstachen von den meist schon ältlichen Kämmerern und Geheimen Räten des Kurfürsten, die nach den Ständen im Zuge gingen.

Und jetzt – jetzt ging eine Bewegung durch die Menge, die die Zugangsstraßen zum Platz säumte – wie Wellenschlag pflanzte es sich vor das Kirchentor fort, so daß es alle wußten: jetzt naht er, dem all diese Pracht und Feierlichkeit gilt – er, der neue Herr des Landes …

Da kamen sie, hoch zu Roß, die Landeserbämter, alte Geschlechter, deren Namen durch Jahrhunderte hindurch mit der Geschichte des Landes eng verknüpft waren – jedes vertreten durch sein derzeitiges Oberhaupt. Gleißend funkelte in der Sonne das blanke Schwert, das der Oberst-Erblandmarschall trug – Sinnbild der fürstlichen Gewalt – und dann, glitzernd von Juwelen, weich umschmiegt von der kostbaren Pracht samtener Gewänder: Karl Albrecht hoch zu Roß …

Die Leibgarden bildeten den Beschluß des Zuges – aber man sah sie nicht mehr recht an. Wie beneideten die Schaulustigen alle die, denen es ihr Amt oder ihr Rang gestattete, mit einzutreten in die Pfarrkirche, die glänzend erhellt war von vielen, vielen duftenden Wachskerzen und bunt im Schmuck der farbenfrohen Herbstblumen, wie sie die Gärten der Stadt geboten hatten. Durch das weit offene Portal konnte man einen Schimmer von dieser Schönheit erhaschen, indes die Prälaten, denen das Amt zugefallen war, den Festgottesdienst zu zelebrieren, dastanden – eine goldgleißende Mauer mit ihren Pontifikalgewändern, den schweren juwelenfunkelnden Brokatmänteln, jeder die Mitra auf dem Haupt und den edelsteinbesäten Hirtenstab in Händen. So empfingen sie, die Vertreter der himmlischen Mächte, die Großen der Erde …

Alle Glocken läuteten. Wie Orgelklang, in geheimnisvoller Harmonie, brausten die Töne über die Stadt hin … Weihrauch duftete sinnverwirrend mit der Süße des Mysteriums und seine blaukräuselnden Wolken wellten einen Schleier um das festfreudige Bild …

Und dann, nach länger als einer Stunde, quoll es wieder aus dem Kirchenportal hervor: wie er gekommen war, setzte sich der Zug wieder in Bewegung – dem Schlosse zu. Dort, im Festsaal Kaiser Friedrichs, thronte Karl Albrecht – und kniend huldigten ihm die Stände von Oberösterreich. Sie mußten ihm Treue schwören – ihm Ergebenheit und Gehorsam geloben – genau so, wie sie es vor vielen Jahren dem Vater jener Königin gelobt hatten, gegen die Karl Albrecht zu Felde gezogen war. Wieder läuteten alle Glocken von den Türmen der Stadt – aber als schriller Mißklang, einem mahnenden Vorzeichen ähnlich, knatterte und dröhnte es drein in die friedlich-feierlichen Glockenstimmen: die Gewehre und Kanonen der bayrisch-französischen Armee …

Dann schritt der neue Erzherzog mit seinen Großen zum Festmahl. Gnädig nahm er das Huldigungsgeschenk der Stände entgegen, in einem kostbaren Beutel aus Goldbrokat sechstausend Dukaten … Zufrieden spielte seine schmale, nervöse Hand mit den goldenen Schnüren und Quasten.

Aber während drinnen getafelt wurde, langatmige Reden jedem Trinkspruch vorangingen und leichte Ermüdung allmählich über alle Festteilnehmer kam, wartete schon der Kurier vor dem Schloß, der Abgesandte der Königin, die im fernen Ungarland, in Preßburg, weilte. Er dachte es sich wohl, was dieses Paket mit Handschreiben der Königin enthielt, als er jetzt, nachdem das Fest beendet war und die Herren das Schloß verließen, sich vor den Präsidenten der Landstände, den Grafen Thürheim, führen ließ, und ihm das umfangreiche Schreiben übergab. Und für noch etliche der anderen Herren hatte er ebensolche Botschaften zu übergeben.

Der alte Graf nahm den Brief seiner Königin entgegen. Seiner Königin? Hatte er nicht heute ihrem Feinde Treue geschworen? Einen Augenblick lang kam dem alterfahrenen Mann der Widersinn zum Bewußtsein, der in all diesen Eiden und Gelöbnissen lag, und die doch nie gehalten werden konnten, wenn es eine stärkere Gewalt nicht zuließ … Während er in seiner schwerfälligen Karosse langsam durch die Herrengasse, seinem Absteigquartier entgegengeführt, dahinrollte, sah er immerfort den Brief an … O ja, sie war eine Frau, klug wie ein Mann, energisch wie ein Mann – diese blonde Königin, die so anmutig war und so spielend Herzen und Gemüter gewann – wenn sie es nur wollte … Jetzt war sie in arger Not – aber ungebeugt!

Das Handschreiben war wie sie selber: klar, bestimmt, von einer entschlossenen Tapferkeit … Diese königliche Frau glaubte an ihr heiliges Recht – und darum würde sie vielleicht auch zuletzt siegreich bleiben …

Sie mahnte die Stände von der Huldigung an den Kurfürsten ab. Ausharren! Hilfe wird kommen! Sie wird ihr Oberösterreich nie und nimmer preisgeben und verlassen! Treu bleiben! – Aber wenn die Stände ihrer Pflicht zu vergessen gezwungen worden wären – dann erkläre sie hiemit feierlich diese Huldigung für Null und wichtig! Aber – wie gesagt – das verhoffe sich Maria Theresia nicht von ihren getreuen Landständen …

Der alte Graf Thürheim seufzte tief auf, als er diese Worte, noch vor seinem großen Diplomatenschreibtisch in seinem Gemach stehend, gelesen hatte. Dann ließ er sich schwer und langsam nieder. Was hätte er denn tun sollen? Mit dem Landesaufgebot Krieg führen gegen ein so starkes Heer, wie es die verbündeten Bayern und Franzosen ins Land gebracht hatten? Das Unmögliche kann man ja nicht versuchen – und wenn man es tausendmal gern, vom Herzen gern, täte …

Fast ein Menschenalter lang war er jetzt Statthalter gewesen, Vorsitzender des Ständekollegiums … Jetzt weiß er es ganz sicher: er ist es zum längsten gewesen – wenn die Königin wiederkommt!

*

Am Abend dieses Tages hatten sich die beiden Töchter des Ratsherrn Eckhard von Tann früher als sonst in ihr Schlafgemach zurückgezogen. Sonst saßen sie wohl noch eine Weile nach dem Abendessen in der Stube des Vaters, die mit Büchern angestopft war und in der es immer düster und ein wenig traurig war. Sie erzählten ihm von den Kleinigkeiten, die ihnen der Tag zugetragen hatte, oder Romana spielte die Laute und Petronella sang dazu – lustige, schelmische Liedchen, wie man sie in den Dörfern des Landes hörte, wenn die Burschen Kirchweihsonntag mit ihren Liebsten feierten. Aber heute war der Vater ermüdet und verstimmt nach Hause gekommen, hatte kaum ein paar Bissen gegessen – die Töchter nur flüchtig nach dem Befinden ihrer Patin, der Frau des Ratsbürgers Payrhuber, gefragt, bei der sie sich den Huldigungszug angesehen hatten. Und dann hatte er ihnen gesagt, daß er allein zu sein wünsche.

»Geht auch ihr zu Bett –« sagte er, »und betet für unsere arme, unglückliche Königin Maria Theresia.«

Sie hatten ihm, wie allabendlich, die Hand geküßt und waren gegangen. Und in ihrem Zimmer, das nur ein Fenster hatte, aber lang und schmal durch die halbe Tiefe des Hauses ging, mit einem Vorzimmer, das auf den Flur führte, der mit seinem Säulengang den Hof umsäumte, saßen sie jetzt beisammen und wollten plaudern. Aber es wollte kein Gespräch so recht in Gang kommen.

Romana hatte ihr rosenrotes Taftkleid ausgezogen; im weißen Unterkleid saß sie neben ihrem Bett, dessen Vorhänge breit zurückgeschlagen waren und bürstete ihr metallisch schimmerndes Haar. Petronella ging hin und her, während sie hin und wieder eine gleichgültige Bemerkung machte – über das heute Gesehene – und Romana kurze und wenig lebhafte Antworten gab. Endlich blieb Petronella vor einem kleinen Tischchen stehen, auf dem allerlei Krimskrams lag, wie sie ihn bei ihrer Toilette brauchte. Zwischen den Bändern, der Puderdose und einer kleinen Spange mit Türkisen besetzt, die heute früh die Spitzen am Ausschnitt ihres Kleides zusammengehalten hatte, stand ein grünliches, altmodisches Glas und darin steckte ein halbverwelkter Rosenstrauß … Die Blüten hatten Farbe und Duft verloren – nur das Laub war noch halbwegs frisch und die dornigen Stengel. Petronella rückte an dem Glas.

»Wann wirst du denn endlich einmal diesen Buschen wegwerfen?« sagte jetzt Romana, indem sie sich der Schwester zuwandte. »Ist doch nichts Schönes mehr daran …«

»Nein –« Petronella sprach es lässig, aber dann blitzte es lebhaft in Ihren dunklen Augen auf. »Es ist nur – weil ich noch immer gern daran denke, wie galant der hübsche Offizier gewesen ist. Übrigens – dir haben die Blumen gegolten – und du hast sie nicht einmal aufgehoben …«

»Mir hat kein fremder Mann Blumen zu schenken – und nun gar so – –« Romanas Stimme bekam einen abweisenden Klang. »Und ich habe mich sehr gewundert, Nella, daß du damals so eilfertig hinabgerannt bist und dir die Rosen geholt hast … Das war überflüssig.«

Nella zuckte die Achseln. Sie setzte sich hin, stand gleich wieder auf – man sah es ihr an, daß sie unruhig war. Auf einmal, laut und wie nur zu sich selber sprechend, sagte sie: »Ich wollte, ich wäre ein Mann …«

Jetzt blickte Romana die Schwester voll an. Sie mußte lächeln, ob sie wollte oder nicht. »Warum denn, Nellaherz?«

»Damit ich fortgehen könnte – auf und davon …« Nella stieß es ungestüm heraus. »Von mir aus in den Krieg … Ich ließe mich gleich anwerben …«

Jetzt stand Romana auf. Sie hatte das Haar im Nacken mit einem Band zusammengebunden; ohne die kunstreiche Lockenfrisur sah sie noch liebreizender aus. Wie das alte Bild jener heidnischen Göttin, das der Pate in seiner Sammlung hat, das er sich aus Italien mitgebracht hat – ging es Nella durch den Kopf. Die schöne Schwester – die geliebte, der alles zufallen sollte im Leben – und was blieb für Nella übrig?

Romana hatte ihren Arm um die nachdenklich Dastehende gelegt. »Magst du denn nimmer bei uns sein?« fragte sie leise und sah die Schwester voll und innig an. »Möchtest uns verlassen – mich verlassen …«

Sie wollte weiterreden – aber Nella unterbrach sie. Ihr ausdrucksvolles Gesicht, dessen Schönheit der Romanas nicht nachstand, nur daß bei ihr alles dunkler und herber war, nahm einen unwilligen Ausdruck an.

»Dich verlassen?!« sagte sie. »Wollte Gott, ich müßt es nicht! Aber du weißt es ja so gut wie ich, daß wir nimmer lange werden beisammensein dürfen. Wenn jetzt ein Krieg wird, wie sie alle sagen – mag sein, daß es dann länger dauern wird mit uns zweien. Aber einmal wird ein jeder Krieg gar – und dann kommt Lambert Roxheim zurück und führt dich zum Altar – und dann –« Sie zuckte die feingeformten Schultern. »Du weißt es ja, was der Vater mit mir beschlossen hat. Du gehst mit deinem Freiherrn irgend wohin – und ich komm ins Kloster nach Wien … Und dann hat uns der Wind auseinandergeblasen – –«

»Da wird noch viel Wasser die Donau hinabrinnen.« Romana sagte es sanft, in jenem Ton, mit dem man ein klagendes Kind einstweilen über etwas Unvermeidliches beruhigt. »Und wenn du dann einmal eine ehrwürdige Chorfrau bist, dann werde ich dich recht oft besuchen – –«

Petronella gab keine weitere Antwort. Stumm entkleidete sie sich und schlüpfte ins Bett. In der Ecke das Licht vor dem Muttergottesbild von Mariazell gab rötlichen Schein; draußen träumte nebelumschleierte Herbstnacht. Die Schritte von ein paar Heimkehrenden hallten durch die Gasse.

Auch Romana lag in den Kissen. Sie war heute nicht zufrieden mit sich selber. Immer wieder fiel es ihr ein, daß sie den französischen Offizier heute wiedergesehen hatte, dessen galante Keckheit neulich sie eigentlich verdrossen hatte. Es ärgerte sie, daß sie immer wieder an ihn denken mußte. Aber immer wieder, ohne daß sie es wollte, glitten ihre Gedanken zu ihm hin. Sie betete – und merkte, daß sie es in sehr zerstreuter Weise tat.

Jetzt regte es sich an der gegenüberliegenden Wand – Petronella drehte sich um. Und jetzt hörte Romana sie ganz leise fragen: »Du – Roma – bist du böse auf mich?«

»Geh, Kindl, was meinst du denn?« Romana fragte es zärtlich zurück. Sie war nur um zwei Jahre älter als die Schwester – aber kam sich manchmal mit ihren zwanzig Jahren schon viel reifer vor. Das machte wohl, weil sie Braut war. Wäre dieser Umschwung nicht gekommen – so würde bald ihre Hochzeit stattgefunden haben. Aber sie hatte kaum Abschied nehmen können von ihrem Bräutigam – so rasch waren die österreichischen Truppen aus Linz abgezogen.

»Weil ich so unzufriedenes Zeug dahergeredet hab –« sagte jetzt Petronella. »Ich werds nimmer tun – – Nur – du weißt nicht, wie mir manchmal zu Mute ist.«

Ein tiefer Seufzer flog zu Romana hinüber.

Eine Weile waren beide wieder still. Dann fing Petronella von neuem an: »Schläfst schon, Roma?«

»Nein –« klang es zurück. »Ich bin heute gar nicht schläfrig …« Wie gut, daß die Schwester nicht weiß, daß ihre Gedanken schon wieder ausgerutscht sind beim Beten – und daß sie wieder das falbe Roß vor sich gesehen hat – und den fremdländischen Herrn darauf, dessen Augen so seltsam die ihren gesucht und – gefunden haben …

»Kannst du nicht schlafen, weil du traurig bist?« Romana hörte, wie sich die Schwester wieder rührte. Sie schaute zu ihr hinüber. Nella saß aufrecht und mit wachen Augen da.

»Warum sollte ich denn traurig sein?« Romana fragte es zurück – und gab sich selber zugleich in Gedanken Antwort. Nein – traurig war sie nicht – nur so seltsam war ihr seit heute Vormittag zu Mute, so zerstreut war sie und gar nicht wie sonst … Aber traurig?

»Ich mein nur –« kam es aus Petronellas Bett zurück. »Wegen deines Lamberts … Weil er gar so schnell fortgemüßt hät. Und wer weiß, wie lange es jetzt dauert, bis er wieder heimkommt! Und jetzt mußt du warten mit dem Hochzeit machen – –«

»Das kommt mir nicht hart an.« Romanas sanfte Stimme sagte es ganz ruhig. »Ich bin noch recht gern in meinem jetzigen Stand – beim Vater und bei dir … Nein – traurig bin ich nicht ein bißl –« Und Petronella glaubte ihr Lächeln zu sehen, als Romana nun fortfuhr: »Und jetzt brauchen wir uns beim Nähen meiner Ausstattung gar nimmer so zu tummeln – und können uns schön Zeit lassen. Es wird schon alles recht werden!«

Es war ihr als wolle die Schwester noch etwas sagen – es ward aber nur ein leises »Gute Nacht!« daraus. »Schlaf gut, Nella!« sagte auch sie. Dann waren beide ganz still.

Sie ist nicht traurig – dachte Petronella, regungslos daliegend und auf den Schlummer wartend, der nicht kommen wollte. Warum sollte sie auch? Sie braucht nur zu warten, ein wenig Geduld zu haben: dann kommt das Leben zu ihr. Ich aber …

Als es vom Landhausturm Mitternacht schlug, lag Petronella noch immer wach. Noch nie war sie sich so klar darüber geworden, daß der Wille des Vaters ihr eine Lebensbahn aufzwingen wollte, gegen die sich alles in ihrer jungen, lebensgierigen Seele aufs heftigste sträubte. Noch nie auch hatte sie aber so bang, drohend und gebieterisch die Frage in sich aufsteigen gefühlt nach dem Warum …

Und plötzlich war ihr, als sei es eine gnädige Fügung des Geschicks, daß dieser Krieg ausgebrochen war – der den Bräutigam der Schwester hinwegführte und damit die Hochzeit aufschob. Denn Petronella wußte es, seit sie aus den Kinderschuhen getreten war, was der Wille des Vaters für sie bestimmt hatte: den Eintritt in ein Frauenkloster in der Reichshauptstadt. Sie durfte im Vaterhause bleiben, solange Romana dort war – weil diese so an ihr hing und der Vater seiner Lieblingstochter die schwesterliche Gefährtin nicht nehmen wollte. War Romana aber einmal vermählt, dann – – dann – –

Mit weitoffenen Augen starrte Petronella ins Dunkel. Sie hörte Romanas tiefe, gleichmäßige Atemzüge. Immer noch blitzten wirre, bedrückende Gedanken durch ihren Kopf – aber auf einmal verwirrte sich alles und der Schlummer legte sich rasch und schwer über ihr Denken …

Im Traume sah sie den französischen Offizier vor sich – er streckte die Hände nach Romana aus und warf ihr Rosen zu. Und Romana fing sie auf und lächelte und drückte die Blüten an ihr Herz. Da quollen dunkle Blutstropfen hervor und rieselten zur Erde … Und die Dornen an den Stengeln wurden zu einer Hecke – immer dichter – immer dichter – bis die Schwester und der fremde Mann Petronellas Blicken entschwunden waren …

Sie aber schritt an ihnen vorbei – – ins Weite – ins Freie …


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