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5.

Der Oktober ließ sich unfreundlich an. Es kamen noch sonnige Tage – aber es war Sonne, die nicht mehr wärmte, Licht, das nur trüben Schein gab. Fast ständig wehte es rauh und kalt von den Hügelhängen herüber, die jenseits der Donau im Norden die Stadt hinüberleiteten ins Mühlviertel. Meister Meischinger, der Maurer in der Weigerhofgasse, hatte allerlei Arbeit bekommen, an Ofen und Kaminen, die geputzt und instand gesetzt werden mußten. Die Hausfrauen von Linz richteten sich auf den Winter ein.

Sonst hatte diese Zeit ihre Behaglichkeiten und heimlichen Freuden gehabt. Zuerst kam freilich das ernste Totenfest Allerseelen, wo der alte Friedhof bei der Barbarakapelle geheimnisvoll im Glanz kleiner Kerzen erstrahlte, die ihren wehmütigen Schein auf Blumensträuße und Kränze warfen. Aber dann saß man gemütlich in warmen Stuben, der heilige Nikolaus mit seinem zottigen Krampusknecht kam heran – man ging in die Roratenandachten – und auf einmal war Weihnachten da, das holde Fest, wo das goldene Rößlein kam und den braven Kindern bescherte … O ja, auch der Winter hatte seine Freuden!

Aber nicht in diesem Jahr. – Bangigkeit lag über der Stadt und Gerüchte, die von draußen hineindrangen, vermehrten sie noch. Wohl hielten sich die neuen Herren im allgemeinen in den Grenzen eines erträglichen Verhaltens – aber man wußte es: die Königin sammelte Truppen. Krieg in allernächster Nähe vielleicht … Und was würde dann das Geschick der Stadt werden? – –

In diesen Tagen senkte sich auch stetig zunehmende Unruhe auf drei junge Herzen herab im Hause des Kaufherrn von Tann. Während er manche Abendstunde in langen Gesprächen mit dem jungen Pranck verbrachte, der immer mehr sein Wohlwollen gewann, saßen im Nebenzimmer der Vicomte und die beiden Mädchen zusammen und lasen französisch, machten Konversation und besserten sich gegenseitig die gemachten Fehler aus – mit Lachen und Scherz. Hin und wieder kamen auch der Vater und Pranck hinzu; dann setzte sich Romana an das kleine Spinett oder nahm die Laute zur Hand, und Kersaint sang dazu – alte, schwermütige bretonische Volkslieder, oder auch muntere Liedchen, wie sie das oberösterreichische Landvolk kennt. Petronella hatte sich nicht wenige Mühe gegeben, ihn solche zu lehren. Es war eine angenehme Geselligkeit, die sich da herausgebildet hatte.

Aber das war nur nach außen hin – drei Herzen standen in fiebernden Flammen und diese Gluten hauchten Schwüle aus, die niemand sonst merkte, als die drei Beteiligten, die sich aus flüchtigem Wohlgefallen, aus dem Wunsch nach heiter-anmutigem Liebesspiel entwickelt hatte. Er dachte, wußte, fühlte nur mehr eins: Romana … Was aber empfand sie? –

Niemand konnte ahnen, daß die nämlichen Gluten, die ihn versehrten, auch in ihr loderten. Romana wußte sich zu beherrschen. Heitergelassen schien sie, mit keinem Wort, mit keinem Blick je auch nur um Haaresbreite die Grenzen überschreitend, die ihr gezogen waren. Sie selbst war es gewesen, die rasch dafür gesorgt hatte, daß Kersaint es erfuhr, daß sie des Freiherrn Lambert von Roxheim verlobte Braut war … Gerade, weil sie wußte, wie es um ihn stand, hatte sie das getan. Aber ebensogut wußte sie von sich selber, daß es nur der Zwang und die Hemmungen von Sitte, Pflicht und Ehre waren, die sie daran hinderten, sich blind, besinnungslos, berauscht von Sehnsucht, in seine Arme zu werfen …

Und die Dritte in diesem Kreis, Petronella, durchschaute ebenfalls, wie es um die Schwester stand. Auch in ihr loderte und brannte es … Feuer des Neids, der Eifersucht. Nicht um den Mann als solchen, sondern um das Leben, das heiße, berauschende, das er verkörperte … Ihr Schicksal würde nie von solcher Flamme durchglüht sein: jetzt noch ein paar galante Worte, die die beiden Herren auch ihr zuteil werden ließen – war doch auch sie eine Tochter des Hauses und schön – ein wenig Scherz und Spiel: dann das Ende, die dumpfe, kalte Klosterzelle, zu der sie nach dem Willen des Vaters verdammt war …

Sie wußte es seit ihrer Kindheit. Zuerst hatte sie nicht begriffen, was es zu bedeuten hatte – sah gelassen dem Kommenden entgegen. Dann, wie sie heranwuchs, begann sie zu begreifen. Man begann Vorbereitungen für ihre und der Schwester Aussteuer zu treffen. Aber die zarten Brabanterspitzen aus den Schränken der verstorbenen Mutter, die zierlichen Schmuckstücke, die gold- und silbergestickten Brokate – das alles ward Romana gegeben. Für sie gab es dies alles nicht: was braucht eine Nonne solch eitlen Tand?

Der Vater hatte für Romana einen Gatten gewählt, den Sohn seines Jugendfreundes, aus vornehmem Haus, begütert, gewiß kein Mitgiftjäger. Lambert Roxheim hatte sich beworben um Romana und sie hatte eingewilligt, seine Gemahlin zu werden. Romana tat ja nie etwas anderes, als was der Vater wollte. Nur einmal hatte sie eigenen Willen gezeigt, als sie vom Vater erbeten und erreicht hatte, daß Petronella nicht eher den Schleier zu nehmen brauche, ehe sie, Romana, vermählt sei … Sonst hätte Nella schon vor zwei Jahren als Novize im Kloster von Sankta Klara in Wien eintreten müssen … Aber die Schwestern hingen sehr aneinander – sie wollten sich so lange als möglich nicht trennen. Und Tann hatte das Verlangen seiner Lieblingstochter gern erfüllt.

Seiner Lieblingstochter … Petronella, die gerade der Schwester das Notenblatt umwandte, war so in ihre Gedanken versunken gewesen, daß sie der Musik, nur halb gefolgt war. Sie verspätete sich – Romana kam aus dem Takt – mit einer unsicheren Bewegung brach sie ab … Ihre Hände ruhten auf den schmalen gelblichen Tasten; sie schaute nicht auf, denn sie fühlte Kersaints Blicke auf sich brennen …

Man kam wieder zurecht, der Vicomte beendete die Strophe seines Liedes. Petronella hatte sich jetzt abseits gesetzt – in die Nähe des Vaters, der mit Pranck gerade ein großes Wappenbuch durchsah, um irgend einem Verwandtschaftsverhältnis auf die Spur zu kommen. Sie überlegte: war denn nicht auch sie ein lebendes, fühlendes Wesen, hatte Anrecht auf Freude und Leben? Der Entschluß keimte in ihr auf: den Vater zu bitten, sie bei sich zu behalten, nicht ins Kloster zu geben … Warum denn eigentlich? Sie sah den Grund nicht ein. Gewiß – sie war fromm erzogen – es hätte für ein vornehmes Mädchen sich auch nicht anders geschickt – aber wie oft hatte sie es schon gehört: ohne Berufung sei der Ordensstand nicht zu erwählen. Nun gut – und sie fühlte nun einmal keine Berufung … Jahrelang hatte dieser Zwiespalt, der ihr in dieser Stunde mit grausamer Schärfe zum Bewußtsein kam, auf ihrer jungen Seele gelastet. Wäre dieser Krieg nicht gekommen, der ihren zukünftigen Schwager ins Feld rief und so rasch von Romana hinwegführte – so wären sie wohl schon vermählt. Und sie, Petronella – in der Klosterzelle …

.

Sie schauderte. Ohne zu wissen, was sie tat, erhob sie sich. Unter ihrer bräunlichen Haut erblaßte sie so, daß Romana, die sich ebenfalls vom Spinett erhoben hatte, es mit Verwunderung sah. Sie trat zu ihr.

»Was hast du, Nella?« fragte sie leise, indes Herr von Tann und Pranck sich ebenfalls erhoben und dem Vicomte ein paar Artigkeiten über seinen hübschen Gesang sagten, von dem sie freilich nicht allzuviel gehört hatten, vertieft, wie sie waren, in ihr Buch. Kersaint hielt noch sein Notenblatt in der Hand – legte es jetzt zur Seite und trat zu den beiden Herren.

»Mich friert –« sagte Nella ebenso leise, wie sie die Schwester gefragt hatte. Sie war froh, daß dieser Abend zu Ende war. Sie wollte allein sein, nachdenken … Die jungen Herren empfahlen sich vom Vater, küßten ihr und Romana die Fingerspitzen … Kersaint fühlte Romanas Pulsschlag leise erbeben … Qual und Lust war zugleich in ihnen …

Dann waren die Schwestern allein in ihrem stillen Schlafgemach. Sonst hatten sie vor dem Einschlafen immer noch so viel zu plaudern. Heute fand keine mehr ein Wort. Schweigend, jede versunken in ihr eigenes Erleben, legten sie sich in die weißverhängten Himmelbetten. Romana versuchte mit langen Gebeten den Klang von Kersaints Stimme aus Ohr und Herz zu verscheuchen. Darüber schlief sie endlich ein – um im Traum den Zwiespalt ihrer Gefühle weiter durchzukämpfen.

Petronella aber lag noch lange wach. Ihre großen nachtschwarzen Augen starrten ins Halbdunkel des Gemachs. Und sie überlegte immer wieder die Worte, mit denen sie morgen ihren Vater anflehen wollte, sie nicht hinter Klostermauern zu vergraben …

*

Aber der nächste Tag verging und auch der übernächste – und Petronella hatte noch immer nicht mit ihrem Vater gesprochen. Zwischen ihrem Willen und dessen Ausführung stand die Scheu vor dem Vater. Sie wußte es von Klein auf: was er einmal gesagt und beschlossen hatte – dabei mußte es bleiben. Aber dies einemal – nur diesmal mußte er ihren Bitten nachgeben. Es handelt sich ja um ihre Zukunft …

Endlich, am Morgen des dritten Tages nach jener kleinen Abendgesellschaft, faßte Petronella sich ein Herz und suchte ihren Vater in seinem Arbeitszimmer auf. Romana war ausgegangen, um der Frau Pate Payrhuber ein Stickereimuster zu bringen, das diese ihr jüngst geborgt hatte. Sie war also für eine gute Weile sicher, mit dem Vater allein bleiben zu können.

Eckhard von Tann saß an seinem Schreibtisch und sah seine Korrespondenz durch. Wie die bloße Annäherung eines Krieges lähmend auf den Handel einwirkte! Gut für ihn, daß sein Wohlstand so fest gegründet war, daß er auch einmal ein kaufmännisches Mißjahr auszuhalten vermochte … Hätte er einen männlichen Erben gehabt, so würde er sich wohl mehr Sorgen um den Fortbestand und das Gedeihen seines alten Handelshauses gemacht haben. Aber so – – Seine beiden Töchter waren ja so gut wie versorgt: Romana an der Seite eines Gatten und Petronella wohlgeborgen im Kloster …

Als nun vor fast einem Vierteljahr sein zukünftiger Schwiegersohn mit seinem Regiment Linz so rasch hatte verlassen müssen, war es von beiden Seiten ein durchaus gelassener und gefaßter Abschied gewesen. Immer wieder hatte der junge Roxheim erklärt und dargetan, daß sich auf die Länge die vereinigten Bayern und Franzosen nicht würden halten können – bald werde das Land wieder in den Händen seiner rechtmäßigen Königin sein. Und dann werde er zurückkehren, den Dienst quittieren und sich mit seiner jungen Frau auf seine Besitzung in Steiermark zurückziehen. Oder sich hier ankaufen – ganz wie der Herr Vater es wolle … Und Romana hatte gegen dieses Zukunftsbild nichts einzuwenden gehabt und der Abschied von ihrem Verlobten war freundlich, aber keineswegs schmerzlich verlaufen.

Diese kühle, heiter-gelassene Art, dies Wohlerzogene und Anmutig-Gleichmütige, das liebte der alte Ratsherr so sehr an seiner älteren Tochter. Wenn es sich halbwegs machen ließ, würde er trachten, daß sie mit ihrem Gatten in seiner Nähe bleiben würde. Die paar Jahre, die ihm noch zu leben gegönnt sein mochten. –

Mitten in diese Gedankenreihe klang störend ein leises Pochen – und als Tann aufblickte, war auch schon die Tür geöffnet und wieder geschlossen worden – und Petronella stand neben seinem Lehnsessel. Sie bot ihm einen guten Morgen und küßte sein Hand, wie sonst wohl auch – aber Tann erkannte sofort, daß etwas Besonderes sein Kind zu ihm führe. Petronellas schönes Gesicht hatte einen gespannten, entschlossenen Ausdruck.

»Was willst du von mir, Nella?« fragte er sie. »Ich sehe es dir an, daß du irgend etwas Ernstes auf dem Herzen hast.«

Sie preßte die feinen Finger hart zusammen, als sie zu reden begann. Sie erinnerte ihn daran, daß alle ihre Lehrer und geistlichen Berater, auch er selber, immer wieder darauf hingewiesen hätten, daß ein Mensch nur dann zum Heil seiner Seele leben und ausharren könne in irgend einem Stand – gar in dem einer Ordensperson – wenn er die rechte und wahrhafte innere Berufung dazu in sich verspüre. Sie habe sich im letzten Jahr eingehend und gewissenhaft geprüft und wage es nun, ihm mit aller kindlichen Ehrfurcht zu sagen, daß sie eben jene Berufung nicht in sich verspüre …

Sie stand dicht neben ihm, hatte die Hände zusammengefaltet, sah bittend in sein ernstes, bleiches Gesicht, das unter ihren Worten noch ernster wurde. Und sie schloß: »Ach lieber Herr Vater, ich bitte euch – zwingt mich nicht, daß ich ins Kloster gehen muß! Laßt mich bei euch bleiben – ich will auch sonst in allen Stücken eure gehorsame Tochter sein – aber nur das erlaßt mir!«

Er schwieg, als sie geendet hatte. Das dauerte lange Minuten – und Petronella empfand steigendes Unbehagen. Es wäre ihr lieber gewesen, wenn der Vater aufgebraust wäre – lieber als dies starre Schweigen, mit dem er den Blick unverwandt auf sie geheftet hielt.

Endlich machte er eine Handbewegung. »Setz dich, mein Kind, und höre und beherzige wohl, was ich dir jetzt sage! – Ich kann deine Bitte nicht erfüllen – mich bindet der Wille einer Toten – und das Versprechen, das ich ihr gab …«

Es überlief Petronella eiskalt, wie der Vater nun fortfuhr: »Du weißt, daß deine Mutter deine Geburt nur wenige Tage überlebt hat … Ein paar Stunden vor ihrem Tode, als Schmerz und Fieber sie immer schwächer und schwächer machten – da hat sie sich abgemüht, mir etwas zu sagen … Ich mußte es ihr versprechen, daß ich ihren letzten Willen erfüllen werde. Das Reden kam ihr schon so schwer an.«

Die Erinnerung an diese Stunde warf düstere Schatten über des alten Mannes Antlitz, als er fortfuhr: »Deine Mutter verlangte etwas von mir – zum Heile ihrer armen Seele, wie sie in Angst und Todesschweiß immer wieder hervorpreßte … Im Kloster soll meine Tochter für mich beten – damit meine arme Seele erlöst werde aus der Feuerglut … Sie hat sich an meine Hand geklammert mit angstweiten Augen – und ist erst ruhiger geworden, wie ich es ihr beim Heile meiner eigenen Seele gelobt habe, daß ihr Wille erfüllt werden solle … Dann wurde sie plötzlich starr und kühl – konnte nichts mehr sagen. Ich habe mich über sie gebeugt: Welche unserer Töchter soll es sein? hab ich sie gefragt … Sie hat mir keine Antwort mehr geben können. Ihre Augen waren schon geschlossen … Langsam, ohne wieder zum Bewußtsein gekommen zu sein, ist sie dann nach einer Stunde ausgelöscht …«

Die Erinnerung an dies Sterben hatte Tann so erschüttert, daß er sich von seinem Sitz erhoben hatte. Auch Petronella war aufgestanden. Starr und schwer atmend stand sie vor dem alten Mann, der sich mühte, ruhig und beherrscht zu reden, wie es sonst seine Art war: »Nun weißt du, Petronella, warum es bei dem bleiben muß, was ich für dich beschlossen habe!«

Dumpfes Schweigen – viele Herzschläge lang. Es ist vielleicht gut, dachte Eckhard von Tann, daß ich ihr dies alles gesagt habe. Jetzt wird, jetzt muß sie sich fügen … Alles habe ich ihr gesagt – bis auf jenes Eine … Vor seinem inneren Blick tauchte wieder das sterbende Antlitz seiner Gattin auf, das von Angst und Seelenqual entstellte – – Das hatte er seiner Tochter verschwiegen, daß die Sterbende gestöhnt hatte: »Laß mein Kind für mich büßen – damit ich wegen meiner großen Schuld nicht in der Hölle brennen muß …« Ein ganzes Leben lang hatte er das Grauen dieser Stunde nicht vergessen können … Und auch das hatte er Petronella nicht gesagt, daß viel mehr, als die Frage, welche der Töchter zum Opfer bestimmt war, ihm jene andere Frage im Herzen und auf den Lippen gebrannt hatte: was für eine Schuld sein Weib auf sich geladen haben mochte …

Vom Turm der Minoritenkirche schlug es zehn Uhr. Nüchterne Vormittagsstunde – aber ihr Schall klang unheimlich wieder zwischen diesen beiden Menschen …

Endlich sprach Petronella. Wie für sich selbst, ganz leise, aber den Blick der großen nachtschwarzen Augen mit leidenschaftlichem Vorwurf auf den Vater geheftet: »Und warum gerade ich?«

Jetzt hatte Tann sich wieder gefunden. Das Bild der schlimmen Stunde war wieder zurückgedrängt in Herzensgründe … Und mit seiner ruhigen Bestimmtheit gab er der Tochter Antwort:

»Warum du? – fragst du mich … Weil das Schicksal gesprochen hat! Es hat deiner Schwester jenen Mann zugeführt, der um sie geworben hat – und dem ich sie mit ruhigem Gewissen und freudigem Sinn anvertrauen kann. Jetzt ist es an dir, deine Aufgabe zu erfüllen. Im Gedenken an deine Mutter … Ihr werdet alle beide Bräute sein – Romana die irdische, du die des Himmels …«

Er hielt inne, sah Petronella an. Sie stand unbewegt. Alles in ihr war in Aufruhr. Sie konnte noch nicht alles klar überdenken. Ein unbarmherziger Wille war über ihr … Es gab keine Hoffnung mehr – das erkannte sie bei dem scheuen Blick, den sie jetzt auf ihres Vaters toternstes, strenges Gesicht warf. Da wandte sie sich stumm ab …

»Du weißt jetzt, warum du gehorchen mußt – Geh nun – und laß mich nie mehr Auflehnung bei dir finden!« Tann sprach diese Worte härter, als er es gewollt hatte – etwas in dem Gesicht Petronellas zwang ihn dazu …

»Ja, Vater!« Seltsam spröd klang ihre sonst so wohllautende Stimme. Sie sah ihn nicht mehr an. Rasch, wie eine Fliehende, verließ sie das Gemach. –

*

Am Nachmittag saßen dann die Schwestern in einer großen, aber etwas düsteren Stube, im Erdgeschoß neben der Küche, die ihr Licht vom Hofe her empfing, und waren im Verein mit ihrer Zofe Ludmilla damit beschäftigt, Wäsche auszubessern. Die Anwesenheit der beiden ins Quartier gelegten Offiziere hatte solcherlei Arbeiten in letzter Zeit sehr vermehrt, denn die alte Barbara, die Haushälterin und Herrin der Küche, hielt streng darauf, daß die beiden Herren genau dem Ansehen des Tannschen Hauses gemäß mit allem wohl versorgt wurden, was zu einer schicklichen Bedienung gehört.

Romana ging mit großen Stößen Bett- und Tischwäsche ab und zu, um sie eigenhändig in den großen eingelegten Schränken wieder einzuordnen, die im geräumigen Vorzimmer im Obergeschoß standen. Ludmilla wunderte sich, daß das Fräulein ihr dies Treppensteigen nicht doch lieber überlassen, sondern sie beauftragt hatte, neben Nella emsig die Nadel zu rühren, um kleine Schäden, die sich vorgefunden hatten, allsogleich wieder auszubessern. Ludmilla fand, daß es heute langweilig und trübselig war. Sonst hatten die beiden jungen Herrinnen bei solchen Gelegenheiten einen gemütlichen Schwatz nicht verschmäht – heute redete keine ein Wort. Petronella stichelte dahin, ohne aufzusehen und Romana ging wortlos ab und zu.

Romana hatte am Mittag durch ihres Vaters Hand ein Brieflein ihres Verlobten empfangen; gar weit war es her gekommen, von der böhmischen Grenze, überbracht von einem als Viehhändler verkleideten Troßsoldaten. Roxheim hatte den Mann geschickt – es war ein gewagtes Stück gewesen, weil die Wege von Freistadt her nicht mehr ganz sicher waren – aber nun wars wohlgelungen: und Herr von Tann konnte mit Freude seiner Tochter das Schreiben überreichen, das, neben ergebensten Grüßen an ihn und einigen Mitteilungen über den Stand der Dinge draußen im Land auch ein eingelegtes Zettelchen an Romana enthielt. Da stand, neben herzinnigen Grüßen und allerlei sonstigen Sachen, wie sie ein verliebter Bräutigam seiner Braut zu schreiben hat, auch der folgende Satz: »Und fürchten Sie sich nicht, allerliebste Jungfer Braut, wenn es dazu kommen sollte, daß Linz belagert werden möchte. Sie stehen ganz besonders unter dem Schutze der heiligen Engel – und denken Sie immer daran, daß auch ich unter denen bin, die Sie aus Feindeshänden zu befreien bis zum letzten Tropfen Blut entschlossen sind. Ich werde mir Ihre kostbare Person auf diese Art aufs neue erobern …«

Romana hatte das Zettelchen zu den andern in die geblümte Pappschachtel getan, wo sie Briefe ihres Verlobten aufbewahrte. Aus Feindeshand will er mich befreien?, dachte sie jetzt immer wieder, während sie treppauf, treppab ging. Kann er es denn noch? Bin ich denn nicht hoffnungslos gefangen, verstrickt? Ach wie wirr und schwer ist mein Leben geworden!

Drunten neben Ludmilla arbeitete Petronella mit verbissenem Eifer, ohne aufzusehen. Sie war um diese Arbeit froh, wenngleich ihr der Kopf wehtat. Denn das half ihr, den Aufruhr ihres Innern zu sänftigen, zu klaren Gedanken zu kommen. Unmöglich wäre es ihr heute gewesen, unbefangen mit der Schwester zu plaudern auf dem Gang zum Nachmittagssegen oder bei einem Besuch bei der Patin Payrhuber. Diese Flickerei – das war ihr gerade recht …

Die Unterredung mit ihrem Vater hatte eine Verwirrung der Gedanken und Gefühle in ihr zurückgelassen, die sich jetzt erst allgemach zu klären begann. Sie wußte nur das eine: daß ihr kein Ausweg mehr blieb, daß ihr Los besiegelt war …

Heißer Groll gegen den Vater stieg in ihr hoch. Was hatte er da gesagt? Daß das Schicksal gegen sie entschieden habe, indem es Romana einen Gatten zuführte? Nella zog die feingezeichneten Brauen zusammen und ein höhnisches Lächeln, wie ein Schlänglein, kräuselte ihre blaßroten Lippen. Der Vater war nicht aufrichtig! Hatte er denn wirklich mit der Entscheidung über ihre Zukunft gewartet, ohne einzugreifen? War ihr nicht von Kind an immer vorgesagt worden: »Magst nicht einmal eine fromme Klosterfrau werden?« Und wußte sie nicht gut genug, daß der Vater Roxheim zu seiner Werbung um Romana immer ermuntert, ihn dazu aufgefordert und ermutigt hatte? Romana war immer das Lieblingskind gewesen – und sie, Nella, die Zurückgesetzte, Betrogene …

Nella hatte sich in den Finger gestochen – ein Blutstropfen färbte das feine Linnen … Ludmilla sah es, nahm ihr das Wäschestück ab, um es schnell zu säubern. Und Petronella ertappte sich bei dem Gedanken: wenn doch Roxheims Blut in dem Kampfe, der nunmehr bald um ihre Heimatstadt entbrennen würde, so dahinfließen möchte …

Ach welch böser Gedanke! – Nella überlegte: als ob sich nicht ein Dutzend andere Freier für die schöne Schwester gefunden hätten, wenn auch der eine dahinschied … Und so heiß nachtrauern, daß sie sich nie mehr vermählen würde wollen, das wußte Nella – würde Romana nicht einfallen. Sie dachte ja nur an den Franzosen – Nella wußte es, ohne daß die Schwester je auch nur ein Wort hatte fallen lassen, eine Andeutung gewagt hatte. Seit dieser Mann im Haus war, stand etwas zwischen den beiden Mädchen, die sonst so innig verbunden gewesen waren … Und plötzlich stieg, mitten unter ihren feindseligen Grübeleien, heißes Mitleid mit der Schwester in Nella auf. »Nein – auch du wirst nicht bekommen, was du gern hättest –« dachte sie. »Niemals wird dich der Vater einem feindlichen Offizier geben. Und will er denn überhaupt etwas Ernstes, dieser Vicomte? – Auch du, Schwester, wirst entsagen müssen: aber freilich – dir bleibt noch Ersatz, du kehrst ins schöne, bunte, reiche Leben zurück – – während ich …«

Jetzt trat Romana wieder ein. Sie machte sich an dem letzten Stoß Wäsche zu schaffen. Es läutete – Ludmilla ging hinaus, nachzusehen, wer vor dem Tore sei. Die Schwestern blieben allein. Keine sprach ein Wort.

Dann war das Mädchen wieder da und konnte es nicht mehr bezwingen, sich ein wenig mit den jungen Damen zu unterhalten, die sonst so freundlich waren und heute so sonderbar. »Wissen Sie, Fräulein Nella –« sagte sie, »daß grad der Altgesell da war vom Meister Rolin – er richtet jetzt oben im Boden das Schloß – und da hat er mir geschwind erzählt, daß morgen oder übermorgen verwundete Bayern und Franzosen ankommen sollen. Ihrer siebenhundert mögen es sein … Es wird schon allgemein geredet – sein Bruder, der Lakai beim Herrn Grafen Weißenwolff, war heute früh hier, hatte Besorgungen auszurichten – der hat es ihm erzählt. Ein General soll auch dabei sein …« Und mit einem Seufzer setzte sie hinzu: »Jetzt wird's Ernst mit Krieg …«

»Ja – wir leben in einer schlimmen Zeit!« erwiderte ihr Romana. Sonst nichts. Ludmilla wunderte sich, daß das Fräulein heute so gar nicht aufgelegt war zum Plaudern. Jetzt war Romana fertig mit ihrer Arbeit. Sie stand auf und wandte sich an Nella. »Kommst du mit?« fragte sie, »oder hast du noch was zu tun? Ich – ich möchte doch noch ein wenig ins Freie. Nur ein wenig hinüber in die Kirche – –«

Aber Petronella schüttelte den dunklen Kopf. Es war ihr unmöglich, jetzt geruhig mit der Schwester beisammen zu sein. Sie mußte mit ihren wilden, argwöhnischen, angstvollen Gedanken fertig werden … »Geh nur allein,« sagte sie. »Nimm dir Ludmilla mit – ich hab nur noch diese Handkrause auszubessern – dann bin ich auch fertig – aber ich hab so arg Kopfweh – ich will mich dann gleich legen …«

Romana drang nicht weiter in die Schwester. Die Zofe als Begleiterin – der konnte sie Schweigen gebieten, wenn sie zu schwatzhaft wurde – die würde sie nicht stören. Auch Romana wollte allein bleiben mit ihren Gedanken …

Und so verließ sie, mit einem stummen Kopfnicken gegen die Schwester, den Raum, in dem es schon dämmerig zu werden begann und ließ Petronella allein. –


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