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4.

Eckhard von Tann saß in seinem Schreibzimmer und neben ihm sein Freund, der Ratsbürger und Leinwandhändler Paul Payrhuber. Die alten Herren waren in sorgenvolles Gespräch vertieft, mit umwölkten Stirnen wechselten sie Wort um Wort.

»Man merkts, daß wir nimmer Herren sind in unserer Stadt –« sagte Tann und sein scharfgeschnittenes Gesicht bekam einen ingrimmigen Zug. »Die zwei oder drei Tage, die der Kurfürst nach der Huldigung noch dageblieben ist – da gings an. Aber jetzt macht sich die Soldateska breit … Zweitausend Bayern sitzen uns jetzt in Linz auf dem Genick.«

Payrhuber, ein älterer, stattlicher Mann, der viel kräftiger aussah, als Tann, dem man seine Jahre schon sehr anmerkte, nickte bekümmert mit dem Kopf. »Und ich habe heute gehört, daß wir dazu noch zehntausend Franzosen hereinbekommen sollen … Ein ganzes Korps. Da werden wir was erleben! Bei mir hat es schon angefangen … Der Kerl, der sich über meinen Weinkeller gemacht hat – und als ich ihn erwischte, noch frech geworden ist –«

Tann unterbrach den alten Freund. »Ich war jetzt einen Tag unpäßlich und nicht aus. Ist es wahr, daß ihn der Duc de Chastel hängen wird lassen?«

»Heute in aller Früh ist er auf dem Hauptplatz justifiziert worden …« Payrhuber machte ein zufriedenes Gesicht. »Das muß man diesem Herzog lassen: auf Mannszucht schaut er … Kommt ihm was Unrechtes und Unbilliges zu Ohren – gleich zecht er drein. Freilich – überall kann er doch nicht sein – und wir werden wohl noch von allerlei Erpressungen und Räubereien hören.«

»Was uns an Requisitionen auferlegt worden ist – das ist schon genug«, sagte Tann. »Und das Schlimmste – das sind die Einquartierungen … Beim Bürgermeister sind die Quartierzettel abgegeben worden – und jetzt hat jeder Hausvater in Linz irgend so einen Bayern oder Franzosen im Nest.«

Payrhuber lachte. »Ich hab vier Burschen vom Leibregiment bekommen – die sind ganz erträglich – besonders, wenn man ihnen genug Bier hinstellt … Und ihr Hauptmann ist auch zum aushalten. Aber Ihr – wen habt Ihr?«

»Auch vier Stück.« Tann sagte es und stand auf: er hatte Trappeln im Hof gehört, an dessen Rückseite die Stallungen lagen. Man hörte Pferdeschnauben. »Kommt her, Freund Paul – da könnt Ihr sie gerade sehen.«

Payrhuber erhob sich, dem Winke des Kaufherrn folgend. Sie traten ans Fenster, die Stube Tanns war nach rückwärts gelegen und man sah in den Hof hinab, wo gerade vier Reiter von den Rossen gestiegen waren. Es waren zwei Offiziere, der eine in bayrischer, der andere in französischer Uniform. Ihre Reitknechte führten die Tiere in den Stall. Das eine war ein auffallend mächtiger flandrischer Falb.

»Schöne Rösser –« lobte Payrhuber. »Besonders der Große …« Und fragend zu Tann: »Also das sind eure beiden aufgenötigten Hausgäste?«

Tann nickte bejahend. »Seit zwei Tagen sind sie da. Ich weiß noch nicht, was ich von ihnen sagen soll. Bis jetzt waren sie fast nie daheim – von mir aus kanns so bleiben …« Er verzog ein wenig den schmallippigen Mund.

»Wer sind sie denn, die beiden Offiziere«, fragte Payrhuber, den alles interessierte, was seinen Freund und Gevatter betraf. Es war eine jahrelange Freundschaft, die die beiden alten Herren verband: gemeinsam saßen sie im Rat, ein wenig berührten sich auch ihre Handelsgeschäfte, Payrhubers Leinwand und Tanns Seide – und Frau Payrhuber war die Patin beider Töchter des reichen Tann, der seine Frau so bald verloren hatte – kurz nachdem Petronella geboren worden war …

»Ich weiß ihre Namen nur aus dem Quartierzettel – weiter vorgestellt haben sie sich mir noch nicht – allerdings haben sie mir durch ihre Diener recht artig Grüße entbieten lassen. Soweit scheinen beide ja wohlerzogene Herren zu sein …« antwortete Tann dem Freund, mit dem er immer noch am Fenster stand. »Seht Ihr – der Schlanke, Größere – jetzt schaut er grad in den Stall hinein – das ist ein Vicomte von Kersaint. Und der andere, der kleinere mit dem runden Gesicht, das ist ein Bayer – mir scheint, Pranck auf Wegleitten schreibt er sich. Auch ein Edelmann.«

Payrhuber sah aufmerksam hin. »Da – jetzt kommt der Franzose wieder aus dem Stall heraus – – Donnerwetter, ist das ein hübscher Bursch!«

In diesem Augenblick hob Kersaint von ungefähr den Kopf, erblickte die beiden alten Herren am Fenster – und sofort gab er seinem Gefährten, der neben ihm stand, einen Wink: dann stellten sich beide Herren stramm und grüßten zu ihrem Hauswirt empor. Die beiden Ratsherren erwiderten diesen Gruß mit ernster Gemessenheit. Im Wegtreten vom Fenster sahen sie noch, wie die beiden jungen Offiziere den Hof verließen.

»Wir müssen gleich morgen Besuch machen bei unserm Gastgeber –« schlug Kersaint vor, als er neben seinem Freund Benno Pranck die etwas steile Treppe zum ersten Stockwerk empor stieg, in dessen Seitenflügel die Zimmer lagen, die ihnen angewiesen worden waren. »Was ist hierzulande Sitte – wann macht man solche Antrittsbesuche?«

Benno Pranck lachte. »Vor der Mittagsstunde –« sagte er. »Und dann wird man meistens gleich dabehalten zum Essen. Freilich – ob sie mit uns es so halten werden, das weiß ich nicht.«

Und da werden wir dann die beiden jungen Damen zu sehen bekommen –« sagte nach einer Pause Kersaint. Sie waren inzwischen vor ihren Zimmern angelangt; Pranck legte die Hand auf die Klinke, lachend sagte er: »Und um das ist Ihnen am meisten zu tun? Gestehn Sie es nur ein, Maurice … Übrigens bin ich Ihnen nicht böse, daß Sie es mit der Wahl unserer Quartierzettel so gut getroffen haben. – Ja – Sie!« lachte er weiter. »Haben wohl ein wenig nachgeholfen?«

»Ich leugne nicht – –« Kersaint lachte nun ebenfalls vergnügt in den Tag hinein. »Gefällt es Ihnen hier, Benno?«

»Die Rösser haben einen guten Stall gefunden – und wir auch,« sagte der Bayer. Er hatte die Tür seines Zimmers geöffnet. »Auf Wiedersehen, Kersaint, wir reiten doch nachmittags zusammen aus?«

Kersaint bejahte. »Gewiß! – Und – –« er zögerte ein wenig – »wenn Sie zufrieden sind mit ihrem Stall – dann helfen Sie mir weiter – wenn es in der Konversation einen Haken haben sollte … Sie wissen, mein Deutsch, in einer elsässischen Garnison erworben, dürfte den schönen Linzerinnen vielleicht doch nicht so ganz verständlich sein …«

»Verlassen Sie sich nur auf mich, Kamerad! Ich werd schon nachhelfen, wenns not tut …« Er hatte schon die Türe geschlossen – auf einmal kam sein blonder Kopf wieder aus dem Spalt heraus: »Wissen Sie was – nehmen Sie Sprachstunden bei einem der Fräulein. Ein strebsamer Offizier muß doch auch Sprachen beherrschen – nicht?« Der Schalk blitzte aus seinen Augen, als er das sagte – dann schloß er aber endgültig seine Türe zu.

Kersaint ging in sein angrenzendes Zimmer. Während er sich umkleidete und seine Sachen ein wenig in Ordnung brachte, dachte er immerfort daran, daß er nun unter einem Dach lebte mit der Schönen, die sein Herz so plötzlich in Flammen gesetzt hatte … Also morgen einen Staatsbesuch beim Herrn von Tann. Und dann würde er Romana wiedersehen – mit ihr sprechen dürfen – –

O Götter – ist das Leben nicht schön – wunderschön? dachte er bei sich, indem er sich zum Ausgehen fertig machte.

Der nächste Tag war ein Sonntag – und ein trüber, regnerischer Tag seit mehreren Wochen herrlichsten Herbstwetters. Gleich in der Frühe schob sich über den Pöstlingberg graudunkles Gewölk herüber, getrieben von einem eisigen Nordwind. Im Haselgraben brauten sich Regenschleier zusammen.

.

Die beiden Schwestern Tann waren, ihrer Sonntagspflicht nachkommend, in der Pfarrkirche gewesen. Fröstelnd hüllten sie sich in ihre neuen dunkelblauen Samtmäntel, die am Halse mit hellblauen Seidenschleifen geschlossen waren. Gut tat es, die Arme in dem großen Muff zu verstecken, der mit dem braunglänzenden Pelzwerk an den Ärmeln harmonierte. Sie gingen Arm in Arm dahin und die Leute, die des Weges kamen, schauten ihnen nach: waren die beiden doch wirklich erfreulich anzusehen. Und sie zählten nicht nur zu den schönsten, sondern auch zu den reichsten Mädchen der Stadt.

Als sie heimgekommen waren und nach ihrer Gewohnheit den Vater aufsuchen wollten, um vor dem Mittagmahl ein wenig mit ihm zu plaudern, erwartete sie im Gang vor dem Besuchszimmer ihre Zofe Ludmilla, ein junges, frisches Ding, das immer ein wenig spitzbübisch aussah, mit einer Botschaft des gnädigen Herrn Vaters. Die beiden Fräuleins sollten jetzt nicht zu ihm kommen – er habe Besuch – er werde es ihnen sagen lassen, wenn er wieder allein sei …

Ja – Eckhard von Tann hatte Besuch –« noch dazu einen, den er nicht abweisen hatte können, wenn er ihm auch nicht besonders erwünscht gewesen war. Seit einer halben Stunde saßen die beiden jungen Offiziere, die ihm das Schicksal als Einquartierung ins Haus geschneit hatte, in seinen uralten, breiten, mit verblichenem, goldgepreßtem Leder überzogenen Lehnstühlen – und machten ihm ihre Aufwartung.

Herr von Tann war zuerst sehr zugeknöpft gewesen. Aber vor der feinen Höflichkeit des Franzosen, vor der natürlichen Freundlichkeit des Bayern war es schwer gewesen, diese ablehnende Haltung beizubehalten.

»Wir dürfen nicht länger zaudern, Herr von Tann –« hatte der Vicomte nach den ersten höflichen Begrüßungs- und Vorstellungsworten gesagt, »daß wir es Ihnen sagen, wie dankbar wir sind, in Ihrem Hause Aufnahme gefunden zu haben. Wir sind ungeladene Gäste – und deshalb müssen wir doppelt darnach trachten, nicht unbeliebte zu werden … Glauben Sie mir, daß es aufrichtig gemeint ist, wenn ich Sie bitte: betrachten Sie mich und meinen Kameraden nicht als Feinde! Unser Beruf, unsere Pflicht haben uns ins Land geführt – in dies schöne Land, das wir wohl lieber als vergnügte Reisende betreten haben würden … Aber weil wir nun einmal da sind, so möchte ich Ihnen sagen: seien Sie gnädig mit uns und schenken Sie uns ein bißchen Wohlwollen und Zutrauen. Mein Wort als Edelmann darauf: nichts soll geschehen, was die Härten, die nun einmal der Zustand der Dinge mit sich bringt, irgendwie verschärfen könnte. Wenden Sie sich vertrauensvoll an uns, wenn irgend eine Belästigung, die Sie erleiden oder zu erleiden befürchten, abgestellt werden soll … Ich bitte Sie mit aller Hochachtung darum!«

Er hatte im Eifer sich seiner Muttersprache bedient – erst bei den letzten Sätzen fiel es ihm ein, ob er wohl verstanden worden war? Er errötete ein wenig und wollte sich gerade entschuldigen, da sagte Herr von Tann – zu seiner größten Verwunderung in einem ganz leidlichen, wenngleich etwas altmodischen Französisch:

»Ich habe Sie sehr gut verstanden, mein Herr Vicomte – in jeder Hinsicht, nicht nur Ihre gutgemeinten Worte, die mir Achtung einflössen, sondern auch Ihre klangvolle Sprache. Ich lernte sie auf meinen Reisen als junger Handelsbeflissener – im Süden Frankreichs, allwo ja, wie Ihnen bekannt ist, die herrlich-berühmten Seidenwebereien von Lyon sich befinden …

Kersaint verbeugte sich leicht. »Sie kennen also den Süden meines Vaterlandes? Oh – dort ist es schön … Meine engere Heimat ist allerdings der Norden – ich bin Bretone.«

Jetzt hatte er deutsch gesprochen, fremdartig zwar und etwas bedächtig – aber doch – es ging: und das gefiel auf einmal dem alten Herrn. Auch die wohlgesetzte Rede des jungen Edelmannes hatte ihm behagt – er hatte eine Schwäche für gute Redner – war er doch selber im Rat der Stadt einer von denen gewesen, die sich am besten auf die Kunst verstanden, die Worte wohl zu wägen und zu setzen. Prüfend schaute er Kersaint ins Gesicht; sein ganzes Wesen war vornehm, dazu von feiner Art und nicht unbescheiden. Man hätte es viel schlechter treffen können mit den Zwangsgästen – ging es Tann durch den Kopf.

»Die Gesinnungen, die Sie mir zum Ausdruck bringen –« nahm er nach einer kleinen Pause wieder das Wort, »werden unser weiteres Beisammensein in Zukunft hoffentlich zu einem für beide Teile nicht unangenehmen werden lassen. Ich bitte Sie daher, Herr Vicomte, und auch Sie, Herr von Pranck –« und er wandte sich mit würdiger Verbindlichkeit an den jungen Offizier, der ihm gegenüber saß, »heute Mittag Gäste zu sein bei meinem bescheidenen Mahle – und ein gutes Glas Wein, wie er hierzulande geerntet wird, mit mir zu leeren.«

Die jungen Männer dankten. Auch ihnen gefiel der alte Herr, der so würdig und ernst vor ihnen saß – so recht der vornehme Stadtpatrizier, klug und lebenserfahren. Ja – sehr gerne würden sie die liebenswürdige Einladung annehmen und auf das Wohl ihres freundlichen Gastgebers trinken …

Tann erhob sich. »Verzeiht für einen Augenblick, meine Herren,« sagte er. »Ich habe keine Hausfrau – meine Töchter und die Dienerinnen besorgen die Hauswirtschaft. Ich will nur ein paar Anordnungen treffen.«

Er verließ das Gemach und rief Ludmilla herbei, der er den Auftrag gab, seinen Töchtern zu sagen, daß Gäste bei Tisch seien und daß sie pünktlich erscheinen möchten; ferner solle die alte Barbara zwei Gedecke mehr auflegen, beim Braten die Gäste bedenken und irgend eine ihrer guten Mehlspeisen zum Nachtisch bereit halten. Dem Diener befahl er, aus dem Keller zwei Flaschen alten Gumpoldskirchner heraufzuholen. Um solche Einzelheiten der Bewirtung unterließ der alte Herr nie, sich zu kümmern, wenn er Gäste hatte. Dann kehrte er zu den beiden Herren zurück, die inzwischen leise ein paar Worte gewechselt hatten.

»Sie haben ja mächtig geredet, Maurice –« meinte Pranck und lachte vergnüglich. »Sind ins Zeug gegangen, wie bei einer Attacke …«

»Dafür waren Sie um so stiller, Benno –« erwiderte Kersaint. »Aber mir scheint, jetzt ist das Eis gebrochen … Können Sie sich aber vorstellen, wie verlegen ich war, als mir einfiel, ob mich der alte Herr auch verstehen würde?«

»Nun – es ging ja ganz gefällig ab –« sagte Pranck. Er sah sich um. »Mir gefällt es überhaupt hier … Sie haben ganz recht, Maurice – wenn wir auch das Kriegshandwerk treiben – deswegen können und sollen wir doch als Edelleute freundwillig einem Edelmann gegenüberstehen. Heut machen die Diplomaten die Bündnisse so und morgen anders – aber unter den Menschen brauchte ja doch eigentlich deswegen keine Feindschaft zu sein?«

»Sie haben recht, Pranck –« sagte Kersaint lebhaft. »Oft schon habe ich mir ähnliches gedacht … Aber da kommt unser Wirt!«

Tann trat ein und nahm wieder bei seinen Gästen Platz. Das Gespräch nahm seinen Fortgang; vom Wetter, das jetzt so unangenehm umgeschlagen habe, kam man auf den nahenden Winter – von da wieder auf Südfrankreich. Dort sei es um diese Zeit noch ganz warm und mild, sagte Tann – »da mag es Ihnen, meine Herren, in der nächsten Zeit wohl recht frostig bei uns vorkommen –«

»Nun, mir nicht gerade so besonders –« erwiderte Kersaint. »Bei uns in der Bretagne, wo ich meine Knabenjahre verbracht habe und auch später noch manche Zeit, ist es nicht so lau und mild, wie in der Provence zum Beispiel. Vom Meer herüber kommen oft arge Stürme und wir hatten Winter, die sich sehen lassen konnten …«

»Und ich für mein Teil –« unterbrach ihn Pranck, »ich bin gar nicht verwöhnt! Glauben Sie mir, Herr von Tann: auf meinem kleinen Schloß in Wegleitten ist gar oft ein sehr strenger Winter zu Gast gewesen – aber wir haben Wälder und Holz – und da kann man es schon aushalten. Drüber dem Inn im Weilhartforst – da hab ich als junger Bursch lustige Jagd bei meinem Onkel, Herrn von Rißhof, mitgemacht … Das waren Zeiten!« Und er lachte über sein ganzes, frisches, rundes Gesicht. »Da wird man abgehärtet – nein, Herr von Tann – den Winter fürchten, das gibts nicht …«

Tann hörte mit Anteilnahme zu. »Sie nannten den Namen Rißhof –« fragte er dann, als Pranck schwieg. »Hat nicht einmal eine Dame dieses Namens nach Südtirol geheiratet – einen welschen Herrn?«

Pranck bejahte, »Ich glaube, das war eine Kusine meines Onkels –« sagte er dann. »Aber ich hab die Verwandtschaften nicht alle so im Kopf – es sind immer recht viel Versippte in unserer Gegend gewesen, mit einer Menge von Kindern und Verschwägerten –.«

»Warten Sie, lassen Sie uns nachdenken!« sagte der alte Herr. Sie redeten noch eine Weile hin und her – und dann brachten sie heraus, daß zwar nicht jene erwähnte Kusine von Prancks Onkel, wohl aber eine andere Rißhoferin einmal einen Tann geheiratet hatte.

»Also da wären wir beide ja nahezu ein bißchen verwandt –« sagte der alte Ratsherr mit sichtlichem Vergnügen. Pranck gefiel ihm je länger je mehr. Wie schade, daß er kein Österreicher war! Nun – fürs erste einmal konnte er froh sein, daß er einen – wenn auch noch so weitschichtigen Vetter und nicht einen wildfremden Menschen, im Hause haben mußte. Und den artigen Franzosen – den konnte man schließlich auch in Kauf nehmen. Übermütig und übergriffig schienen beide nicht zu sein …

Und da ging gerade die Türe auf – und die beiden Mädchen traten ein … Einen Moment blieben sie zögernd auf der Schwelle stehen.

»Nur her Kinder!« Sie wunderten sich, wie aufgeräumt der Vater heute war – so hatten sie ihn lange nicht mehr gesehen. Die beiden Offiziere hatten sich rasch erhoben und verneigten sich ehrerbietig vor den jungen Damen – etwas steifer der Bayer, mit vollendeter höfischer Grazie der Franzose.

Der Vater stellte vor: »Meine beiden Töchter – Romana und Petronella – –« Und zu den Töchtern gewendet: »Die beiden Herren hier, Vicomte de Kersaint und Herr von Pranck, werden uns heute die Ehre erweisen, mit uns zu Mittag zu essen.«

Er wies auf die Türe zum Nebenzimmer, die der Diener soeben geöffnet hatte. »Und jetzt – wenn ich bitten darf …«

Man saß behaglich beim Mahle. Das Gespräch, anfänglich etwas befangen, da die beiden Mädchen mehr schwiegen, als redeten, und dem Vater das Wort überließen, wurde allgemach belebter. Der alte Herr und Pranck kamen beim Nachtisch – es gab köstliche Strauben, zu denen der goldklare Gumpoldskirchner Wein vortrefflich mundete – immer mehr in äußerst verwirrte familiengeschichtliche Auseinandersetzungen, für die beide eine Schwäche hatten. Da konnten weder die Mädchen, noch der Vicomte, mitreden. Und so kam es ganz natürlich und ungezwungen, daß Kersaint sich den beiden jungen Damen sehr beflissen widmete.

Sein Herz hatte unruhig zu schlagen begonnen, als Romana mit der Schwester eingetreten war. Licht hatte sich ihre Erscheinung abgehoben von dem dunklen Hintergrund des ernsten Gemachs. Sie hatte die Augen niedergeschlagen bei seinem Gruß. Kein Blick verriet ihm, ob sie ihn erkannte … Unbefangen hatte die andere ihm ins Auge geschaut. Auch dies Mädchen war schön – er aber hatte nur die Augen des Herzens für die Eine – für Romana …

Es hatte zu regnen aufgehört; aus hastig ziehenden Wolken drängte sich ein blasser Sonnenstrahl. Er glitt schräg über den Tisch, auf dem die alten geschliffenen Venezianerkelche auf dem weißen Linnen funkelten – und blieb an Romanas Haar haften, dem er goldigen Schimmer entlockte … Petronella hatte gerade einen lustigen kleinen Fehler gemacht – unwillkürlich hatte man begonnen, französisch zu sprechen – und Kersaint korrigierte sie lächelnd, so, daß es eher wie ein galantes Lob klang. Romana saß mit großen Augen daneben. Jetzt, wo der Franzose mit der Schwester beschäftigt war, wagte sie es, unter den langen Wimpern einen raschen, zaghaften Blick auf ihn zu werfen. Aber dieser Blick wurde gefühlt – und aus feurigen, tiefdunklen Augen sogleich erwidert … Wie gut, daß Petronella gerade sich erhoben hatte, um von der Kredenz herüber eine Schale mit Spätbirnen auf den Tisch zu stellen. Selbst geerntet – draußen im Garten des Kaufherrn in der Vorstadt.

Das Gespräch wurde wieder allgemein und damit in deutscher Sprache geführt. Und jetzt war Kersaint an der Reihe, Ausstellungen und Verbesserungen seiner Sprechweise hinzunehmen – Petronella tat es mit lachendem Eifer, indes Pranck den Birnen alle Ehre antat. Auch Herr von Tann beteiligte sich an dieser Unterhaltung.

»Ich habe einmal in einem gelehrten Buche gelesen,« sagte er bedachtsam, »daß der große Kaiser Karl – jener, der dem Habsburgischen Hause die Länder von Spanien zugebracht hat – einmal gesagt haben soll: so viel Sprachen einer spricht, so vielmal ist er ein Mensch … Dies kaiserliche Wort ist wohl sehr wahr! Ich habe es als Kaufmann und Ratsherr immer als Gewinn und Nutzen empfunden, daß ich so mancher Sprache kundig. Mit Ungarn kann ich verhandeln, auch die wälsche Sprache ist mir vertraut – und das Französische geht auch noch leidlich – wie sich die Herren ja vorhin überzeugt haben …«

Und während ihm Romana eine zierlich in Spalten geschnittene Birne auf den Teller legte, fuhr er fort: »Auch meine Töchter habe ich wohl unterrichten lassen in all dem, was sie später einmal werden brauchen können – denn auch einem jungen Frauenzimmer steht Bildung gar wohl an und nützliches Lernen bewahrt vor eitlen und müßigen Gedanken … Bei den ehrwürdigen Schwestern Ursulinerinnen haben meine Töchter alles gelernt, was sie an weiblichen Handarbeiten nötig haben – dazu allerlei andere nützliche Kenntnisse, wie ein wenig das Spinett zu spielen und zur Laute zu singen, natürlich auch die französische Sprache …« Und jetzt wandte er sich Kersaint zu.

»Sie haben ja vorhin so eifrig mit meinen Töchtern parliert – Herr Vicomte – da konnten Sie sich von deren Kenntnissen überzeugen – nun, wie finden Sie sie? Sie sind der berufene Richter darüber …«

Kersaint blickte froh den alten Herrn an. Welche unverhoffte und günstige Gelegenheit bot sich ihm da! Und er antwortete: »Oh, Herr von Tann – die Kenntnisse der Fräulein im Französischen sind wohl den meinen in der so schwierigen deutschen Sprache bei weitem überlegen … Wenn ich mir hie und da eine kleine Ausstellung erlaubte, so geschah es nur, um auf gewisse letzte Feinheiten aufmerksam zu machen – die eben nur durch Übung erlernbar sind, sei es in Lektüre, sei es in der Konversation.« Und mit plötzlichem kühnen Entschluß fuhr er fort: »Wie gerne würde ich das Amt auf mich nehmen, Ihre Fräulein Töchter ein wenig zu unterweisen – das heißt, der Gewinnende würde dabei stets ich sein, denn ich würde es mir ergebenst ausgebeten haben, daß auch ich in die Rolle des Schülers träte und Belehrung von so liebenswürdiger Seite –« und er verneigte sich galant gegen die beiden jungen Mädchen – »mit der nötigen Strenge empfinge …«

Pranck lachte, Herr von Tann lächelte auch. Romanas schönes Gesicht verriet nichts von den Gedanken, die sie bewegen mochten – aber Petronella war gleich Feuer und Flamme. Sie wandte sich mit bittend erhobenen Händen an den sonst so gestrengen Vater, der heute in ebenso seltener, wie unerwarteter guter Laune zu sein schien.

»Oh, Herr Vater –« sagte sie, »bitte, bitte – erlaubt uns doch, daß wir von diesem gütigen Anerbieten des Herrn Vicomte Gebrauch machen dürfen! Jetzt, wo die langen düsteren Winternachmittage kommen – –.«

Herr von Tann winkte seiner Tochter mit der altersgerunzelten, müden Hand leicht ab – aber sein Gesicht war nicht ungehalten. »Du verfügst über unsern Gast, meine Tochter –« sagte er mit leichter Mahnung. Dann aber wandte er sich an Kersaint: »Wenn Sie, Herr Vicomte, hin und wieder sich der Mühe unterziehen und Ihre Mußestunden opfern wollen, meine Töchter in der Konversation zu verbessern – so werden wir Ihnen recht dankbar sein.« Und verbindlich fügte er hinzu: »Ob aber Sie dabei etwas zulernen werden – das wollen wir erst noch abwarten!«

»Ich werde mich bemühen, das Wohlwollen meiner Lehrerinnen zu erwerben«, sagte Kersaint. »Meine Damen – Ihr neuer Schüler empfiehlt sich Ihnen!« –

Man blieb noch eine Weile plaudernd beisammen; dann erhoben sich die beiden jungen Männer und nach ebenso umständlichen, wie zeremoniellem Dank für die gebotene Gastfreundschaft – ein Dank, der doch schon eine gewisse Vertrautheit in sich schloß – nahmen sie Abschied von ihrem Gastfreund und seinen Töchtern. Herr von Tann sagte noch zu dem jungen Bayern, er werde sich freuen, wieder einmal mit ihm über genealogische Dinge sich zu unterreden – er werde ihm auch allerlei aus seiner Bibliothek weisen, das ihn gewiß ergötzen und interessieren werde; indes die drei andern lernten, sei das für sie beide gerade eine rechte Unterhaltung …

Und so trennte man sich. Eine höfische Verneigung vor dem alten Ratsherrn, eine ebensolche vor den jungen Damen – dann verließen Kersaint und Pranck das Gemach, auf das sich schon die frühen Schatten eines regentrüben Spätherbstnachmittags herabzusenken begannen.

Aber zum Schluß hatte Romana, ganz gegen ihren bewußten Willen, doch einen heißen, fragenden, flehenden Blick aus den dunklen Augen des jungen Bretonen aufgefangen – und erwidert …


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