Richard Wagner
Auswahl seiner Schriften
Richard Wagner

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Offenes Schreiben an Herrn Ernst von Weber

Verfasser der Schrift: »Die Folterkammern der Wissenschaft«

Anmerkung des Herausgebers: 22) Erschien zuerst im Oktoberstücke der »Bayreuther Blätter« 1879. – Im Jahre 1881 hielt Professor Schiff, der weltbekannte Physiologe, in der Genfer Aula zwei Vorträge über die Vivisektionsfrage, worin er mit der größten Verehrung und Anerkennung von Wagners »Brief über die Vivisektion« sprach. »Dies ist der einzige Gegner,« meinte er, »der unwiderleglich bleibt, weil er das Nützlichkeitsargument abweist.« – Tatsächlich hat Wagner gerade durch diese Abweisung den kulturellen Kern der ganzen Frage getroffen. Selbst echte Wissenschaft würde ja allen Wert verlieren, wenn sie aus Nützlichkeitsgründen betrieben würde und noch weniger dürfen solche in moralischen Fragen von Einfluß sein. »Die Ehrwürdigkeit der Pflicht«, sagt Kant (»Gesammelte Schriften« V,89), »hat nichts mit Lebensgenuß zu schaffen, sie hat ihr eigentümliches Gesetz, auch ihr eigentümliches Gericht, und wenn man auch beide noch so sehr zusammenschütteln wollte, um sie vermischt, gleichsam als Arzneimittel, der kranken Seele zuzureichen, so scheiden sie sich doch alsbald von selbst, und tun sie es nicht, so wirkt das erste gar nicht, wenn aber auch das physische Leben hierbei einige Kraft gewönne, so würde doch das moralische ohne Rettung dahinschwinden.« Klingen diese letzten Worte nicht wie eine Prophezeiung auf unsere Zeit, und ist Wagners Schrift etwas anderes als ein wunderbar ergreifender Kommentar zu diesem Texte? – Die »Vermischung« des »moralischen« Lebens mit dem »physischen« ist der wahre Erbschade, den unsere heutige Zivilisation aus der Zeit der »Glücks«- und »Allgemeinwohl«-Moralisten empfangen hat. Kant reinigte von ihr die erhabene Vernunftmoral des Rechtes und der Pflicht, Wagner will von ihr die innige Gefühlsmoral des Mitleids und der Liebe gereinigt sehen. Muß es der Zukunft vorbehalten bleiben für die harmonische Vereinigung beider »Reinigungen« die philosophisch durchgearbeitete Form zu finden, so können doch ihre Prinzipien schon heute jeder edel und natürlich gebildeten Menschlichkeit gewiß sein: Daß keine Rücksicht auf »allgemeine Nützlichkeit« aus Unrecht Recht machen kann und keine »Forderung des Allgemeinwohles« ebensowenig auch wissenschaftlicher Forschungseifer uns berechtigt, unsere Menschlichkeit zu rohen Henkersdiensten an hochorganisierten Tieren zu erniedrigen.

Lieber, hochgeehrter Herr!

Sie trauen mir zu, auch durch mein Wort der neuerdings durch Sie so energisch angeregten Unternehmung gegen die Vivisektion behilflich werden zu können, und ziehen hierbei wohl die vielleicht nicht allzugeringe Anzahl von Freunden in Betracht, welche das Gefallen an meiner Kunst mir zuführte. Lasse ich mich durch Ihr kräftiges Beispiel zu einem Versuche, Ihrem Wunsche zu entsprechen, unbedingt hinreißen, so dürfte weniger mein Vertrauen in meine Kraft mich bestimmen, Ihnen nachzueifern, als vielmehr ein dunkles Gefühl von der Nothwendigkeit mich antreiben, auch auf diesem, dem ästhetischen Interesse scheinbar abliegenden Gebiete den Charakter der künstlerischen Einwirkung zu erforschen, welche von vielen Seiten her bis jetzt mir zugesprochen worden ist.

Da wir in dem vorliegenden Falle zunächst wiederum demselben Gespenste der »Wissenschaft« begegnen, welches in unserer entgeisteten Zeit vom Sezirtische bis zur Schießgewehr-Fabrik sich zum Dämon des einzig für staatsfreundlich geltenden Nützlichkeits-Kultus aufgeschwungen hat, muß ich es für meine Einmischung in die heutige Frage von großem Vortheil erachten, daß bereits so bedeutende und vollberechtigte Stimmen Ihnen zur Seite sich vernehmen ließen und dem gesunden Menschenverstande die Behauptungen unserer Gegner als irrig, wenn nicht trügerisch offen legten. Andererseits ist allerdings von dem bloßen »Gefühle« in unserer Angelegenheit ein so großer Äußerungs-Antheil in Anspruch genommen worden, daß wir dadurch den Spöttern und Witzlingen, welche ja fast einzig unsere öffentliche Unterhaltung besorgen, günstige Veranlassung boten, die Interessen der »Wissenschaft« wahrzunehmen. Dennoch ist, meiner Einsicht gemäß, die ernstlichste Angelegenheit der Menschheit hier in der Weise zur Frage erhoben, daß die tiefsten Erkenntnisse nur auf dem Wege der genauesten Erforschung jenes verspotteten »Gefühles« zu gewinnen sein dürften. Gern versuche ich es, mit meinen schwachen Kräften diesen Weg zu beschreiten. –

Was mich bis jetzt vom Beitritte zu einem der bestehenden Thierschutz-Vereine abhielt, war, daß ich alle Aufforderungen und Belehrungen, welche ich von denselben ausgehen sah, fast einzig auf das Nützlichkeits-Prinzip begründet erkannte. Wohl mag es den Menschenfreunden, welche sich bisher den Schutz der Thiere angelegen sein lassen, vor allen Dingen darauf ankommen müssen, dem Volke, um von ihm eine schonende Behandlung der Thiere zu erreichen, den Nutzen hiervon nachzuweisen, weil der Erfolg unserer heutigen Zivilisation uns nicht ermächtigt, andere Triebfedern als die Aufsuchung des Nutzens für die Handlungen der staatsbürgerlichen Menschheit in Anspruch zu nehmen. Wie weit wir hierbei von dem einzig veredelnden Beweggrunde einer freundlichen Behandlung der Thiere entfernt blieben, und wie wenig auf dem eingeschlagenen Wege wirklich erreicht werden konnte, zeigt sich in diesen Tagen recht augenfällig, da die Vertreter der bisher festgehaltenen Tendenz der Thierschutz-Vereine gegen die allerunmenschlichste Thierquälerei, wie sie in unseren staatlich autorisirten Vivisektions-Sälen ausgeübt wird, kein giltiges Argument hervorzubringen wissen, sobald die Nützlichkeit derselben zu ihrer Vertheidigung zur Geltung gebracht wird. Fast sind wir darauf beschränkt, nur diese Nützlichkeit in Frage zu stellen, und würde diese bis zur absoluten Zweifellosigkeit erwiesen, so wäre es gerade der Thierschutz-Verein, welcher durch seine bisher befolgte Tendenz der menschenunwürdigsten Grausamkeit gegen seine Schützlinge Vorschub geleistet hätte. Hiernach könnte zur Aufrechterhaltung unserer thierfreundlichen Absichten nur ein staatlich anerkannter Nachweis der Unnützlichkeit jener wissenschaftlichen Thierfolter verhelfen: wir wollen hoffen, daß es hierzu kommt. Selbst aber, wenn unsere Bemühungen nach dieser Seite hin den vollständigsten Erfolg haben, ist, sobald einzig auf Grund der Unnützlichkeit derselben die Thierfolter durchaus abgeschafft wird, nichts Dauerndes und Achtes für die Menschheit gewonnen, und der Gedanke, der unsere Vereinigungen zum Schutz der Thiere hervorrief, bleibt entstellt und aus Feigheit unausgesprochen.

Wer zur Abwendung willkürlich verlängerter Leiden von einem Thiere eines anderen Antriebes bedarf, als den des reinen Mitleidens, der kann sich nie wahrhaft berechtigt gefühlt haben, der Thierquälerei von Seiten eines Nebenmenschen Einhalt zu thun. Jeder, der bei dem Anblicke der Qual eines Thieres sich empörte, wird hierzu einzig vom Mitleiden angetrieben, und wer sich zum Schutze der Thiere mit Anderen verbindet, wird hierzu nur vom Mitleiden bestimmt, und zwar von einem seiner Natur nach gegen alle Berechnungen der Nützlichkeit oder Unnützlichkeit durchaus gleichgiltigen und rücksichtslosen Mitleiden. Daß mir aber dieses einzig uns bestimmende Motiv des unabweisbaren Mitleidens nicht an die Spitze aller unserer Aufforderungen und Belehrungen für das Volk zu stellen uns getrauen, darin liegt der Fluch unserer Zivilisation, die Dokumentirung der Entgöttlichung unserer staatskirchlichen Religionen.

In unseren Zeiten bedurfte es der Belehrung durch einen, alles Unächte und Vorgebliche mit schroffester Schonungslosigkeit bekämpfenden Philosophen, um das in der tiefsten Natur des menschlichen Willens begründete Mitleid als die einzige wahre Grundlage aller Sittlichkeit nachzuweisen. Hierüber wurde gespottet, von dem Senate einer wissenschaftlichen Akademie sogar mit Entrüstung remonstrirt; denn die Tugend, wo sie nicht durch Offenbarung anbefohlen war, durfte nur als aus Vernunfts-Erwägung hervorgehend, begründet werden. Vernunftgemäß betrachtet wurde dagegen das Mitleid sogar als ein potenzirter Egoismus erklärt: daß der Anblick eines fremden Leidens uns selber Schmerz verursache, sollte das Motiv der Aktion des Mitleids sein, nicht aber das fremde Leiden selbst, welches mir eben nur aus dem Grunde zu entfernen suchten, weil damit einzig die schmerzliche Wirkung auf uns selbst aufzuheben war. Wie sinnreich wir geworden waren, um uns im Schlamme der gemeinsten Selbstsucht gegen die Störung durch gemeinmenschliche Empfindungen zu behaupten! Andererseits wurde aber das Mitleid auch deßhalb verachtet, weil es am allerhäufigsten, selbst bei den gemeinsten Menschen als ein sehr niedriger Grad von Lebensäußerung angetroffen werde: hierbei befliß man sich, das Mitleid mit dem Bedauern zu verwechseln, welches in allen Fällen des bürgerlichen und häuslichen Mißgeschickes bei den Umstehenden so leicht zum Ausspruch kommt und, bei der ungemessenen Häufigkeit solcher Fälle, seinen Ausdruck im Kopfschütteln der achselzuckend endlich sich Abwendenden findet, – bis etwa aus der Menge der Eine hervortritt, der vom wirklichen Mitleide zur thätigen Hilfe angetrieben wird. Wem es nicht anders eingepflanzt war, als im Mitleid es nur bis zu jenem feigen Bedauern zu bringen, mag sich billig mit einiger Befriedigung hiervon zu wahren suchen, und eine reich ausgebildete für den Wohlgeschmack hergerichtete Menschenverachtung wird ihm dabei behilflich sein. In der That wird es schwer fallen, einen Solchen für die Erlernung und Ausübung des Mitleids gerade auf seine Nebenmenschen zu verweisen; wie es denn überhaupt im Betracht unserer gesetzlich geregelten staatsbürgerlichen Gesellschaft mit der Erfüllung des Gebotes unseres Erlösers »liebe deinen Nächsten als dich selbst« eine recht peinliche Bewandtniß hat. Unsere Nächsten sind gewöhnlich nicht sehr liebenswerth, und in den meisten Fällen werden wir durch die Klugheit angewiesen, den Beweis der Liebe des Nächsten erst abzuwarten, da wir seiner bloßen Liebeserklärung nicht viel zuzutrauen berechtigt sind. Genau betrachtet ist unser Staat und unsere Gesellschaft nach den Gesetzen der Mechanik so berechnet, daß es darin ohne Mitleid und Nächstenliebe ganz erträglich abgehen solle. Wir meinen, dem Apostel des Mitleids wird es große Mühseligkeiten bereiten, wenn er seine Lehre zunächst von Mensch zu Mensch in Anwendung gebracht wissen will, da ihm selbst unser heutiges, unter dem Drucke der Noth und dem Drange nach Betäubung so sehr entartetes Familienleben keinen rechten Anhalt bieten dürfte. Wohl steht auch zu bezweifeln, daß seine Lehren bei der Armee-Verwaltung, welche doch mit Ausnahme der Börse, so ziemlich unser ganzes Staatsleben in Ordnung erhält, eine feuerige Aufnahme finden werde, da man gerade hier ihm beweisen dürfte, daß das Mitleiden ganz anders zu verstehen sei als er es im Sinne habe, nämlich en gros, summarisch, als Abkürzung der unnützen Leiden des Daseins durch immer sicherer treffende Geschosse.

Dagegen scheint nun die »Wissenschaft«, durch Anwendung ihrer Ergebnisse auf berufsmäßige Ausübung, die Mühewaltung des Mitleides in der bürgerlichen Gesellschaft mit officieller Sanktion übernommen zu haben. Wir wollen hier die Erfolge der theologischen Wissenschaft, welche die Seelsorger unserer Gemeinden mit der Kenntniß göttlicher Unerforschlichkeiten ausstattet, unberührt lassen und für jetzt vertrauensvoll annehmen, die Ausübung des unvergleichlich schönen Berufes ihrer Zöglinge werde diese gegen Bemühungen, wie die unsrigen, nicht geringschätzig gestimmt haben. Leider muß allerdings dem streng kirchlichen Dogma, welches für sein Fundament noch immer nur auf das erste Buch Mosis angewiesen bleibt, eine harte Zumuthung gestellt werden, wenn das Mitleid Gottes auch für die zum Nutzen der Menschen erschaffenen Thiere in Anspruch genommen werden soll. Doch ist heut' zu Tage über manche Schwierigkeit hinweg zu kommen, und das gute Herz eines menschenfreundlichen Pfarrers hat bei der Seelsorge gewiß manche weitere Anregung gewonnen, welche seine dogmatische Vernunft für unser Anliegen günstig gestimmt haben könnte. So schwierig es aber immerhin bleiben dürfte, die Theologie rein nur für die Zwecke des Mitleides unmittelbar in Anspruch zu nehmen, um so hoffnungsvoller dürften wir sofort ausblicken, wenn wir uns nach der medizinischen Wissenschaft umsehen, welche ihre Schüler zu einem einzig auf Abhilfe menschlicher Leiden berechneten Beruf ausrüstet. Der Arzt darf uns wirklich als der bürgerliche Lebensheiland erscheinen, dessen Berufsausübung im Betreff ihrer unmittelbar wahrnehmbaren Wohlthätigkeit mit keiner anderen sich vergleichen läßt. Was ihm die Mittel an die Hand giebt, uns von schweren Leiden genesen zu machen, haben wir vertrauensvoll zu verehren, und es ist deßhalb die medizinische Wissenschaft von uns als die nützlichste und allerschätzenswertheste angesehen, deren Ausübung und Anforderungen hierfür wir jedes Opfer zu bringen bereit sind; denn aus ihr geht der eigentliche patentirte Ausüber des, sonst so selten unter uns anzutreffenden, persönlich thätigen Mitleides hervor.

Wenn Mephistopheles vor dem »verborgenen Gifte« der Theologie warnt, so wollen wir diese Warnung für eben so boshaft ansehen, als seine verdächtige Anpreisung der Medizin, deren praktische Erfolge er, zum Troste der Ärzte, dem »Gefallen Gottes« überlassen wissen will. Doch eben dieses hämische Behagen an der medizinischen Wissenschaft läßt uns befürchten, daß gerade in ihr nicht »verborgenes«, sondern ganz offen liegendes »Gift« enthalten sein möge, welches uns der böse Schalk durch sein aufreizendes Lob nur zu verdecken suche. Allerdings ist es erstaunlich, daß diese als aller nützlichst erachtete »Wissenschaft«, je mehr sie sich der praktischen Erfahrung zu entziehen sucht, um sich durch immer positivere Erkenntnisse auf dem Wege der spekulativen Operation zur Unfehlbarkeit auszubilden, mit wachsender Genauigkeit erkennen läßt, daß sie eigentlich gar keine Wissenschaft sei. Es sind praktische Ärzte selbst, welche uns hierüber Aufschluß geben. Diese können von den dozirenden Operatoren der spekulativen Physiologie für eitel ausgegeben werden, indem sie etwa sich einbildeten, es käme bei Ausübung der Heilkunde mehr auf, nur den praktischen Ärzten offenstehende, Erfahrung an, sowie etwa auf den richtigen Blick des besonders begabten ärztlichen Individuums, und schließlich auf dessen tief angelegenen Eifer, dem ihm vertrauenden Kranken nach aller Möglichkeit zu helfen. Mahomet, als er alle Wunder der Schöpfung durchlaufen, erkennt schließlich als das Wunderbarste, daß die Menschen Mitleid mit einander hätten; wir setzen dieses, solange wir uns ihm anvertrauen, bei unserem Arzte unbedingt voraus, und glauben ihm daher eher als dem spekulirenden, auf abstrakte Ergebnisse für seinen Ruhm hin operirenden Physiologen im Sezirsaale. Allein auch dieses Vertrauen soll uns benommen werden, wenn wir, wie neuerdings, erfahren, daß eine Versammlung praktischer Ärzte von der Furcht vor der »Wissenschaft« und der Angst für scheinheilig oder abergläubisch gehalten zu werden, sich bestimmen ließen, die von den Kranken bei ihnen vorausgesetzten einzig Vertrauen gebenden Eigenschaften zu verläugnen und sich zu unterwürfigen Dienern der spekulativen Thierquälerei zu machen, indem sie erklären, ohne die fortgesetzten Sezirübungen der Herren Studenten an lebenden Thieren würde der praktische Arzt nächstens seinen Kranken nicht mehr helfen können.

Glücklicherweise sind die wenigen Belehrungen, welche wir über das Wahre und Richtige in dieser Angelegenheit bereits erhalten haben, so vollständig überzeugend, daß die Feigheit jener anderen Herren uns nicht mehr zur Begeisterung für die menschenfreundlich von ihnen befürwortete Thierquälerei hinreißen kann, sondern im Gegentheile wir uns bestimmt fühlen werden, einem Arzte, der seine Belehrung von dort her gewinnt, als einen überhaupt mitleidsunfähigen Menschen, ja als einen Pfuscher in seinem Metier, unsere Gesundheit und unser Leben nicht mehr anzuvertrauen.

Da wir eben über die grauenhafte Stümperei jener, dem »großen Publikum«, namentlich auch unseren Ministern und Prinzen-Räthen zu ungemeiner Hochachtung und unverletzlicher Obhut empfohlenen »Wissenschaft« so lehrreich aufgeklärt worden sind, wie dieß kürzlich durch die, zugleich in edelstem deutschen Style abgefaßten und schon hierdurch sich auszeichnenden, Schriften mehrerer praktischer Ärzte geschehen ist, so dürfen wir uns wohl zu der hoffnungsvollen Annahme berechtigt halten, daß uns das Gespenst der »Nützlichkeit« der Vivisektion in unseren ferneren Bemühungen nicht mehr beängstigen werde; wogegen es uns fortan einzig noch daran gelegen sein sollte, der Religion des Mitleidens, den Bekennern des Nützlichkeits-Dogmas zum Trotz, einen kräftigen Boden zu neuer Pflege bei uns gewinnen zu lassen. Leider mußten wir auf dem soeben beschrittenen Wege der Betrachtung menschlicher Dinge so weit gelangen, das Mitleiden aus der Gesetzgebung unserer Gesellschaft verwiesen zu sehen, da wir selbst unsere ärztlichen Institute, unter dem Vorgeben der Sorge für den Menschen, zu Lehranstalten der Mitleidslosigkeit, wie sie von den Thieren ab – um der »Wissenschaft« willen – ganz natürlich auch gegen den vor ihrem Experimentiren etwa unbeschützten Menschen sich wenden wird, umgeschaffen fanden.

Sollte uns dagegen vielleicht gerade unsere Empörung gegen die willkürlich ihnen zugefügten, entsetzlichen Leiden der Thiere, indem wir von diesem unwiderstehlichen Gefühle vertrauensvoll uns leiten lassen, den Weg zeigen, auf dem wir in das einzig erlösende Reich des Mitleids gegen alles Lebende überhaupt, wie in ein verlorenes und nun mit Bewußtsein wieder gewonnenes Paradies, eintreten würden? –

Als es menschlicher Weisheit dereinst aufging, daß in dem Thiere das Gleiche athme was im Menschen, dünkte es bereits zu spät, den Fluch von uns abzuwenden, den wir, den reißenden Thieren selbst uns gleichstellend, durch den Genuß animalischer Nahrung auf uns geladen zu haben schienen: Krankheit und Elend aller Art, denen wir von bloß vegetabilischer Frucht sich nährende Menschen nicht ausgesetzt sahen. Auch die hierdurch gewonnene Einsicht führte zu dem Innewerden einer tiefen Verschuldung unseres weltlichen Daseins: sie bestimmte die ganz von ihr Durchdrungenen zur Abwendung von allem die Leidenschaften Aufreizenden durch freiwillige Armuth und vollständige Enthaltung von animalischer Nahrung, Diesen Weisen enthüllte sich das Geheimniß der Welt als eine ruhelose Bewegung der Zerrissenheit, welche nur durch das Mitleid zur ruhenden Einheit geheilt werden könne. Das einzig ihn bestimmende Mitleid mit jedem athmenden Wesen erlöste den Weisen von dem rastlosen Wechsel aller leidenden Existenzen, die er selbst bis zu seiner letzten Befreiung leidend zu durchleben hatte. So ward der Mitleidslose um seines Leidens willen von ihm beklagt, am Innigsten aber das Thier, das er nur leiden sah, ohne es der Erlösung durch Mitleid fähig zu wissen. Dieser Weise mußte erkennen, daß seine höchste Beglückung das vernunftbegabte Wesen durch freiwilliges Leiden gewinnt, welches er daher mit erhabenem Eifer aufsucht und brünstig erfasst, wogegen das Thier nur mit schrecklichster Angst und furchtbarem Widerstreben dem ihm so nutzlosen, absoluten Leiden entgegensieht. Noch bedauernswerter aber dünkte jenen Weisen der Mensch, der mit Bewußtsein ein Thier quälen und für seine Leiden teilnahmslos sein konnte, denn er wusste, daß dieser noch unendlich ferner von der Erlösung sei als selbst das Thier, welches im Vergleich zu ihm schuldlos wie ein Heiliger erscheinen durfte.

Rauheren Klimaten zu getriebene Völker, da sie für ihre Lebenserhaltung sich auf animalische Nahrung angewiesen sahen, haben bis in späte Zeiten das Bewußtsein davon bewahrt, daß das Thier nicht ihnen, sondern einer Gottheit angehöre; sie wußten mit der Erlegung oder Schlachtung eines Thieres sich eines Frevels schuldig, für welchen sie den Gott um Sühnung anzugehen hatten: sie opferten das Thier, und dankten ihm durch Darbringung der edelsten Theile der Beute. Was hier religiöse Empfindung war, lebte, nach dem Verderbniß der Religionen, noch in späteren Philosophen als menschenwürdige Überlegung fort; man lese Plutarch's schöne Abhandlung »über die Vernunft der Land- und Seethiere«, um sich, zartsinnig belehrt, zu den Ansichten unserer Gelehrten usw. voll Beschämung zurückzuwenden.


Bis hierher, leider aber nicht weiter, können wir die Spuren eines religiös begründeten Mitleidens unserer menschlichen Vorfahren gegen die Thiere verfolgen, und es scheint, daß die fortschreitende Zivilisation den Menschen, indem sie ihn gegen »den Gott« gleichgiltig machte, selbst zum reißenden Raubthiere umschuf; wie wir denn einen römischen Cäsaren wirklich in das Fell eines solchen gehüllt öffentlich mit den Aktionen eines reißenden Thieres sich produziren gesehen haben. Die ungeheure Schuld alles dieses Daseins nahm ein sündenloses göttliches Wesen selbst aus sich und sühnte sie mit seinem eigenen qualvollen Tode. Durch diesen Sühnungstod durfte sich Alles was athmet und lebt erlöst wissen, sobald er als Beispiel und Vorbild zur Nachahmung begriffen wurde. Es geschah dieß von allen den Märtyrern und Heiligen, die es unwiderstehlich zu freiwilligem Leiden hinriß, um im Quelle des Mitleidens bis zur Vernichtung jedes Weltenwahnes zu schwelgen. Legenden berichten uns, wie diesen Heiligen vertrauensvoll sich Thiere zugesellten, – vielleicht nicht nur um des Schutzes willen, dessen sie hier versichert waren, sondern auch durch einen tiefen Antrieb des als möglich entkeimenden Mitleids gedrängt: hier waren Wunden, endlich wohl auch die freundlich schützende Hand zu lecken. In diesen Sagen, wie von der Rehkuh der Genofeva und so vielen ähnlichen, liegt wohl ein Sinn, der über das alte Testament hinausreicht. –

Diese Sagen sind nun verschollen; das alte Testament hat heut' zu Tage gesiegt, und aus dem reißenden ist das »rechnende« Raubthier geworden. Unser Glaube heißt: das Thier ist nützlich, namentlich wenn es, unserm Schutze vertrauend, sich uns ergiebt; machen wir daher mit ihm, was uns für den menschlichen Nutzen gut dünkt; wir haben ein Recht dazu, tausend treue Hunde tagelang zu martern, wenn wir hierdurch einem Menschen zu dem »kannibalischen« Wohlsein von »fünfhundert Säuen« verhelfen.

Das Entsetzen über die Ergebnisse dieser Maxime durfte allerdings erst seinen wahren Ausdruck erhalten, als wir von dem Unwesen der wissenschaftlichen Thierfolter genauer unterrichtet wurden, und nun endlich zu der Frage gedrängt sind, wie denn überhaupt, da wir in unseren kirchlichen Dogmen keinen wesentlichen Anhalt hierfür finden, unser Verhältniß zu den Thieren als ein sittliches und das Gewissen beruhigendes zu bestimmen sei. Die Weisheit der Brahmanen, ja aller gebildeten Heidenvölker, ist uns verloren gegangen: mit der Verkennung unseres Verhältnisses zu den Thieren sehen wir eine, im schlimmsten Sinne selbst verthierte, ja mehr als verthierte, eine verteufelte Welt vor uns. Es giebt nicht eine Wahrheit, die wir, selbst wenn wir sie zu erkennen fähig sind, aus Selbstsucht und Eigennutz uns zu verdecken nicht bereit sind: denn hierin eben besteht unsere Zivilisation. Doch scheint es dießmal, daß das zu stark gefüllte Maaß überlaufe, worin denn ein guter Erfolg des aktiven Pessimismus, im Sinne des »Gutes schaffenden« Mephistopheles sich zeigen möchte. Abseits, aber fast gleichzeitig mit dem Aufblühen jener, im vorgeblichen Dienste einer unmöglichen Wissenschaft vollzogenen Thierquälereien, legte uns ein redlich forschender, sorgfältig züchtender und wahrhaftig vergleichender wissenschaftlicher Thierfreund, die Lehren verschollener Urweisheit wieder offen, nach welchen in den Thieren das Gleiche athmet, was uns das Leben giebt, ja daß wir unzweifelhaft von ihnen selbst abstammen. Diese Erkenntniß dürfte uns, im Geiste unseres glaubenslosen Jahrhunderts, am sichersten dazu anleiten, unser Verhältniß zu den Thieren in einem unfehlbar richtigen Sinne zu würdigen, da wir vielleicht nur auf diesem Wege wieder zu einer wahrhaften Religion, zu der, vom Erlöser uns gelehrten und durch sein Beispiel bekräftigten, der Menschenliebe gelangen möchten. Wir berührten bereits, was die Befolgung dieser Lehre uns Sklaven der Zivilisation so übermäßig erschwere. Da wir die Thiere bereits dazu verwendeten, nicht nur uns zu ernähren und uns zu dienen, sondern an ihren künstlich herbeigeführten Leiden auch zu erkennen, was uns selbst etwa fehle, wenn unser, durch unnatürliches Leben, Ausschweifungen und Laster aller Art zerrütteter Leib mit Krankheiten behaftet wird, so dürften wir sie jetzt dagegen in förderlicher Weise zum Zwecke der Veredelung unserer Sittlichkeit, ja, in vieler Beziehung, als untrügliches Zeugniß für die Wahrhaftigkeit der Natur zu unserer Selbsterziehung benützen.

Einen Wegweiser hierfür giebt uns schon unser Freund Plutarch. Dieser hatte die Kühnheit, ein Gespräch des Odysseus mit seinem, von Kirke in Thiere verwandelten Genossen zu erfinden, in welchem die Zurückverwandlung in Menschen von diesen mit Gründen von äußerster Triftigkeit abgelehnt wird. Wer diesem wunderlichen Dialoge genau gefolgt ist, wird sich schwer damit zurechtfinden, wenn er heut' zu Tage die durch unsere Zivilisation in Unthiere verwandelte Menschheit zu einer Rückkehr zu wahrer menschlicher Würde ermahnen will. Ein wirklicher Erfolg dürfte wohl nur davon zu erwarten sein, daß der Mensch zu allernächst an dem Thiere sich seiner selbst in einem adeligen Sinne bewußt werde. An dem Leiden und Sterben des Thieres gewannen wir immer einen Maaßstab für die höhere Würde des Menschen, welcher das Leiden als seine erfolgreichste Belehrung, den Tod als eine verklärende Sühne zu erfahren fähig ist, während das Thier durchaus zwecklos für sich leidet und stirbt. Wir verachten den Menschen, der das ihm verhängte Leiden nicht standhaft ertragt und vor dem Tode in wahnsinniger Furcht erbebt: gerade für diesen aber viviseciren unsere Physiologen Thiere, impfen ihnen Gifte ein, welcher jener durch Laster sich bereitet, und unterhalten künstlich ihre Qualen, um zu erfahren, wie lange sie etwa auch jenem Elenden die letzte Noth fernhalten könnten! Wer wollte in jenem Siechthume, wie in dieser Abhilfe, ein sittliches Moment erblicken? Würde dagegen mit Anwendung solcher wissenschaftlicher Kunstmittel etwa dem durch Hunger, Entbehrung und Übernehmung seiner Kräfte leidenden armen Arbeiter geholfen werden? Man erfährt, daß gerade an diesem, welcher – glücklicher Weise! – nicht am Leben hängt und willig aus ihm scheidet, oft die interessantesten Versuche zu objektiver Kenntnißnahme physiologischer Probleme angestellt werden, so daß der Arme noch im Sterben dem Reichen sich verdienstlich macht, wie bereits im Leben z. B. durch das sogenannte »Auswohnen« gesundheitsschädlicher neuer glänzender Wohnräume. Doch geschieht dieß von Seiten des Armen in stumpfsinnigem Unbewußtsein. Dagegen könnte man annehmen, daß das Thier selbst vollbewußt willig für seinen Herrn sich quälen und martern ließe, wenn es seinem Intellekte deutlich gemacht werden könnte, daß es sich hierbei um das Wohl seines menschlichen Freundes handele. Daß hiermit nicht zu viel gesagt sei, dürfte sich aus der Wahrnehmung ergeben können, daß Hunde, Pferde, sowie fast alle Haus- und gezähmten Thiere, nur dadurch abgerichtet werden, daß ihrem Verstande es deutlich gemacht wird, welche Leistungen wir von ihnen verlangen; sobald sie dieß verstehen, sind sie stets und freudig willig, das Verlangte auszuführen; wogegen rohe und dumme Menschen dem von ihnen unaufgeklärten Thiere ihre Wünsche durch Züchtigungen beibringen zu müssen glauben, deren Zweck das Thier nicht versteht und sie deshalb falsch deutet, was dann wiederum zu Mißhandlungen führt, welche auf den Herrn, welcher den Sinn der Bestrafung kennt, angewendet, füglich von Nutzen sein könnten, dem wahnsinnig behandelten Thiere dennoch aber die Liebe und Treue für seinen Peiniger nicht beeinträchtigen. Daß in seinen schmerzlichsten Qualen ein Hund seinen Herrn noch zu liebkosen vermag, haben wir durch die Studien unserer Vivissektoren erfahren: welche Ansichten vom Thiere wir aber solchen Belehrungen zu entnehmen haben, sollten wir, im Interesse der Menschenwürde besser, als bisher es geschah, in ernstliche Erwägung ziehen, wofür uns zunächst die Betrachtung dessen, was wir von den Thieren bereits zuerst erlernt hatten, dann der Belehrungen, die wir noch von ihnen gewinnen könnten, dienlich sein dürfte.

Den Thieren, welche unsere Lehrmeister in allen den Künsten waren, durch die wir sie selbst singen und uns unterwürfig machten, war der Mensch hierbei in nichts überlegen als in der Verstellung, der List, keinesweges im Muthe, in der Tapferkeit; denn das Thier kämpft bis zu seinem letzten Erliegen, gleichgiltig gegen Wunden und Tod: »es kennt kein Bitten, kein Flehen um Gnade, kein Bekenntniß des Besiegtseins.« Die menschliche Würde auf den menschlichen Stolz, gegenüber dem der Thiere, begründen zu wollen, würde verfehlt sein, und wir können den Sieg über sie, ihre Unterjochung, nur von unserer größeren Verstellungskunst herleiten. Diese Kunst rühmen wir an uns hoch: wir nennen sie »Vernunft«, und glauben uns durch sie vom Thiere stolz unterscheiden zu dürfen, da sie, unter Anderem, uns ja auch Gott ähnlich zu machen fähig sei, – worüber Mephistopheles allerdings wiederum seiner eigenen Meinung ist, wenn er findet, der Mensch brauche seine Vernunft allein, »nur thierischer als jedes Thier zu sein«. In seiner großen Wahrhaftigkeit und Unbefangenheit versteht das Thier nicht das moralisch Verächtliche der Kunst abzuschätzen, durch welche wir es unterworfen haben; jedenfalls erkennt es etwas Dämonisches darin, dem es scheu gehorcht: übt jedoch der herrschende Mensch Milde und freundliche Güte gegen das nun furchtsam gewordene Thier, so dürfen wir annehmen, daß es in seinem Herrn etwas Göttliches erkennt, und dieses so stark verehrt und liebt, daß es seine natürlichen Tugenden der Tapferkeit ganz einzig im Dienste der Treue bis zum qualvollsten Tode verwendet. Gleich wie der Heilige unwiderstehlich dazu gedrängt ist, seine Gottestreue durch Martern und Tod zu bezeugen, ebenso das Thier seine Liebe zu seinem gleich göttlich verehrten Herrn. Ein einziges Band, welches der Heilige bereits zu zerreißen vermochte, fesselt das Thier, da es nicht anders als wahrhaftig sein kann, noch an die Natur: das Mitleiden für seine Jungen. In hieraus entstehenden Bedrängnissen weiß es sich aber zu entscheiden. Ein Reisender ließ seine ihn begleitende Hündin, da sie soeben Junge zur Welt brachte, im Stalle eines Wirthshauses zurück, und begab sich allein auf dem drei Stunden langen Wege nach seiner Heimath; des andern Morgens findet er auf der Streu seines Hofes die vier Säuglinge und neben ihnen die todte Mutter: diese hatte, jedesmal eines der Jungen nach heim tragend, viermal den Weg in Hast und Angst durchlaufen; erst als sie das letzte bei ihrem Herrn, den sie nun nicht mehr zu verlassen nöthig hatte, niederlegt, gab sie sich dem qualvoll aufgehaltenen Sterben hin. – Dieß nennt der »freie« Mitbürger unserer Zivilisation »hündische Treue«, nämlich das »hündisch« mit Verachtung betonend. Sollten wir hiergegen in einer Welt, aus welcher die Verehrung gänzlich geschwunden, oder, wo sie anzutreffen ein heuchlerisches Vorgebniß ist, an den von uns beherrschten Thieren nicht ein, durch Rührung belehrendes, Beispiel uns nehmen? Wo unter Menschen hingebende Treue bis zum Tode angetroffen wird, hätten wir schon jetzt ein edles Band der Verwandtschaft mit der Thierwelt keineswegs zu unserer Erniedrigung zuerkennen, da manche Gründe sogar dafür sprechen, daß jene Tugend von den Thieren reiner, ja göttlicher als von den Menschen ausgeübt wird; denn der Mensch ist befähigt in Leiden und Tod, ganz abgesehen von dem der Anerkennung der Welt übergebenen Werthe derselben, eine beseligende Sühnung zu erkennen, während das Thier, ohne jede Vernunfterwägung eines etwaigen sittlichen Vortheiles, ganz und rein nur der Liebe und Treue sich opfert, – was allerdings von unseren Physiologen auch als ein einfacher chemischer Prozeß gewisser Grundsubstanzen erklärt zu werden pflegt.

Diesen in der Angst ihrer Verlogenheit auf dem Baume der Erkenntniß herumkletternden Affen dürfte aber jedenfalls zu empfehlen sein nicht sowohl in das aufgeschlitzte Innere eines lebenden Thieres, als vielmehr mit einiger Ruhe und Besonnenheit in das Auge desselben zu blicken; vielleicht fände der wissenschaftliche Forscher hier zum ersten Male das Allermenschenwürdigste ausgedrückt, nämlich: Wahrhaftigkeit, die Unmöglichkeit der Lüge, worin, wenn er noch tiefer hineinschaute, die erhabene Wehmuth der Natur über seinen eigenen jammervoll sündhaften Daseinsdünkel zu ihm sprechen würde; denn da, wo er wissenschaftlichen Scherz treibt, nimmt es das Thier ernst. Von hier aus blicke er dann zunächst auf seinen wahrhaft leidenden Nebenmenschen, den in nackter Dürftigkeit geborenen, vom zartesten Kindesalter an zu Gesundheit zerrüttender übermäßiger Arbeit gemißbrauchten, durch schlechte Nahrung und herzlose Behandlung aller Art frühzeitig dahinsiechenden, wie er aus dumpfer Ergebenheit fragend zu ihm aufschaut: vielleicht sagt er sich dann, daß dieser nun doch jedenfalls wenigstens ein Mensch, wie er, sei. Das wäre ein Erfolg. Könnt ihr dann dem mitleidigen Thiere, welches willig mit seinem Herren hungert, nicht nachahmen, so suchet es nun darin zu übertreffen, daß ihr dem hungernden Nebenmenschen zur nöthigen Nahrung verhelft, was euch ganz leicht fallen dürfte, wenn ihr ihn mit dem Reichen auf gleiche Diät setzet, indem ihr von der übermäßigen Kost, von welcher dieser erkrankt, jenem soviel zumäßet, daß er davon gesunde, wobei von Leckerbissen, wie Lerchen, welche sich in der Luft besser ausnehmen als in euren Mägen, überhaupt nicht die Rede zu sein brauchte. Allerdings wäre dann zu wünschen, daß eure Kunst hierfür ausreiche. Ihr habt aber nur unnütze Künste gelernt. Von dem bis auf einen gewissen fernen Tag zu verzögernden Tode eines sterbenden ungarischen Magnaten hing die Erlangung gewisser enormer Erbschaftsansprüche ab: die Interessirten setzten ungeheure Salaire an Ärzte daran, jenen Tag von dem Sterbenden erleben zu lassen; diese kamen herbei: da war etwas für die »Wissenschaft« los; Gott weiß was Alles verblutet und vergiftet ward: man triumphirte, die Erbschaft gehörte uns und die Wissenschaft ward glänzend remunerirt. Es ist nun nicht wohl anzunehmen, daß auf unsere armen Arbeiter so viel Wissenschaft verwendet werden dürfte. Vielleicht aber etwas Anderes: die Erfolge einer tiefen Umkehr in unserem Inneren.

Sollte das gewiß von Jedem empfundene Entsetzen über die Verwendung der undenklichsten Thierquälerei zum vorgeblichen Nutzen für unsere Gesundheit – das Schlechteste was wir in einer solchen herzlosen Welt besitzen könnten! – nicht ganz von selbst eine solche Umkehr herbeigeführt haben, oder hatten wir erst nöthig, damit bekannt gemacht zu werden, daß diese Nützlichkeit irrthümlich, wenn nicht gar trügerisch war, da es sich hierbei in Wahrheit nur um Virtuosen-Eitelkeit und etwa Befriedigung einer stupiden Neugier handelte? Wollten wir abwarten, daß die Opfer der »Nützlichkeit«, sich auch auf Menschen-Vivisektion erstrecken? Mehr als der Nutzen des Individuum's soll uns ja der des Staates gelten? Gegen Staatsverbrecher erließ ein Visconti, Herzog von Mailand, ein Strafedikt, wonach die Todesqualen des Delinquenten auf die Dauer von vierzig Tagen berechnet waren. Dieser Mann scheint die Studien unserer Physiologen im Voraus normirt zu haben; diese wissen die Marter eines hierzu tüchtig befähigten Thieres in glücklichen Fallen ebenfalls auf gerade vierzig Tage auszudehnen, jedoch weniger wie dort aus Grausamkeit, sondern aus rechnender Sparsamkeit. Das Edikt Visconti's wurde von Staat und Kirche gut geheißen, denn Niemand empörte sich dagegen; nur solche, welche die angedrohten furchtbaren Qualen zu erdulden nicht für das Schlimmste erachteten, fanden sich angetrieben den Staat in der Person des Herrn Herzogs bei der Gurgel zu fassen. Möge nun der neuere Staat selbst an die Stelle jener »Staatsverbrecher« treten, und die Menschheit schändenden Herren Vivisektoren aus ihren Laboratorien kurzweg hinauswerfen. Oder sollten wir dieß wiederum »Staatsfeinden« überlassen, als welche ja nach den neuesten Gesetzgebungen die sogenannten »Sozialisten« gelten? – In der That erfahren wir, daß – während Staat und Kirche sich den Kopf darüber zerbrechen, ob auf unsere Vorstellungen einzugehen und nicht dagegen der Zorn der etwa beleidigten »Wissenschaft« zu fürchten sei – der gewaltsame Einbruch in solch ein Vivisektions-Operatorium zu Leipzig, sowie die hierbei vollführten schnellen Tödtungen der für wochenlange Martern aufbewahrten und aufgespannten zerschnittenen Thiere, wohl auch eine tüchtige Tracht Prügel an den sorgsamen Abwärter der scheußlichen Marterräume, einem rohen Ausbruche subversiver sozialistischer Umtriebe gegen das Eigenthumsrecht zugeschrieben worden ist. Wer möchte nun aber nicht Sozialist werden, wenn er erleben sollte, daß wir von Staat und Reich mit unserem Vorgehen gegen die Fortdauer der Vivisektion und mit der Forderung der unbedingten Abschaffung derselben, abgewiesen würden? Aber nur von der unbedingten Abschaffung, nicht von »thunlichster Beschränkung« derselben unter »Staatsaufsicht« dürfte die Rede sein können, und es dürfte hierfür unter Staatsaufsicht nur die Assistenz eines gehörig instruirten Gensdarmes bei jeder physiologischen Konferenz der betreffenden Herren Professoren mit ihren »Zuschauern« verstanden werden.

Denn unser Schluß im Betreff der Menschenwürde sei dahin gefaßt, daß diese genau erst auf dem Punkte sich dokumentire, wo der Mensch vom Thiere sich durch das Mitleid auch mit dem Thiere zu unterscheiden vermag, da wir vom Thiere andererseits selbst das Mitleiden mit dem Menschen erlernen können, sobald dieses vernünftig und menschenwürdig behandelt wird.

Sollten wir hierüber verspottet, von unserer National-Intelligenz zurückgewiesen werden, und die Vivisektion in ihrer öffentlichen und privaten Blüthe fortbestehen bleiben, so hätten wir den Vertheidigern derselben wenigstens das eine Gute zu verdanken, daß wir aus einer Welt, in welcher »kein Hund länger mehr leben möchte«, auch als Menschen gern und willig scheiden, selbst wenn uns kein »deutsches Requiem« nachgespielt werden dürfte!

Bayreuth, Oktober 1879.

Richard Wagner.


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