Richard Wagner
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Richard Wagner

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Über die »Goethestiftung«.

Anmerkung des Herausgebers: 20) Der Brief ist Wagners Antwort auf Liszts Schrift »De la Fondation – Goethe à Weimar«, Blockhaus 1851. Zur Ausführung kam weder der Plan Liszts noch der Wagners.

Brief an Franz Liszt

Lieber Freund!

Ich bin Dir die Mittheilung meiner Ansicht über Deinen Entwurf zu einer »Goethestiftung« schuldig.

Habe ich nöthig, zuvor Dir zu versichern, daß ich das, in öffentlichen Blättern ausgesprochene, unbedingte Lob des Feuers und der Schönheit Deiner Auffassung jener Idee durchaus unterschreibe? Ganz abgesehen von Deiner sehr ungewöhnlichen Stellung zu der Frage und davon, daß Du in dieser Stellung den Gegenstand bei weitem edler und würdiger erfassest als Diejenigen, die ihm eigentlich viel näher stehen sollten, muß Dir das Zeugniß gegeben werden, daß Du die Wirksamkeit einer »Goethestiftung« der eigentlichen Absicht nach überhaupt einzig richtig erfaßt hast.

Ich habe seitdem mehreres Weitere über das Projekt gelesen, unter anderem neulich den Aufsatz von Schöll im »deutschen Museum«, in welchem der Fonds der »Goethestiftung« unumwunden zur Unterstützung für die bildenden Künste allein beansprucht wird. Dieß und manch' andere Betrachtung läßt mich nun das Unternehmen in einem etwas anderen Lichte ersehen, als es Dir nothwendig geschienen haben kann. Ich sage Dir ganz offen, daß ich an dem Zustandekommen einer »Goethestiftung« vollständig zweifle, mindestens daran, daß sie in Deinem Sinne zu Stande komme. Du willst eine Vereinigung, wo die vollste Uneinigkeit aus der Natur der Dinge bedingt ist. Bei der gänzlichen Zersplitterung unserer Kunst in einzelne Künste, spricht jede dieser Künste die Suprematie für sich an; und mit genau demselben Rechte, wie die andere, wird jede einzelne sich dahin geltend zu machen wissen, daß sie mindestens die unterstützungsbedürftigste sei. – Wir haben keine Dichtkunst, sondern nur eine poetische Litteratur: hätten wir eine wirkliche Dichtkunst, so würden alle übrigen Künste in dieser enthalten sein, von ihr ihre Wirksamkeit erst angewiesen bekommen. Die poetische Litteratur hilft sich gegenwärtig ganz von selbst: vermittelst des Buchhandels theilt sie sich in weiter Verbreitung mit und macht sich zu Geld; ähnlich ist es mit unserer Litteraturmusik. Maler und Bildhauer haben es dagegen unbedingt schwerer: zwar haben auch sie gewußt ihre Kunst zur Litteratur zu machen; Kupferstiche und Lithographien verbreiten ihre Werke durch den Kunsthandel unter das Publikum: da es bei ihren Leistungen aber auf das plastische Original bei weitem mehr ankommt, als z. B. bei einem Litteraturgedichte auf das Manuscript des Verfassers, das an sich nur als Kuriosum, nicht aber als Kunstwerk Werth haben kann, – da ferner dieses Original nur in einem Exemplare besteht, und der Verkauf dieses kostspieligen Exemplares eben die Schwierigkeit für den Maler oder Bildhauer ausmacht, so müssen sie, denen die künstlerisch fühlenden und lohnenden Fürsten der Renaissance immer mehr ausgehen, die Geldfürsten unserer Tage aber immer gleichgiltiger den Rücken wenden, am ersten auf die Gründung von Vereinen und Gesellschaften, sowie auf deren zusammenschießende Wirksamkeit, sich hingewiesen sehen. Die Kunstvereine werden jetzt immer mehr die eigentlichen Brodgeber der bildenden Kunst, und eine »Goethestiftung« kann in den Augen unserer bildenden Künstler gar nichts Anderes heißen, als ein Goethe-Aktien-Kunstverein: Mitglieder zu diesem Vereine werden sich – wie man gewiß endlich auch vorschlagen wird – am zahlreichsten und zahlungslustigsten finden, wenn man an jedem Goethetage eine Kunstlotterie statthaben läßt. Zu solchen Forderungen sehen sich unsere bildenden Künstler durch die Noth gedrängt, und es dürfte in der That schwer werden, die Gerechtigkeit ihrer Nothforderung zu bestreiten, weil sie diese Forderung in Wahrheit an ein künstlerisches Moment anknüpfen, nämlich daß ihre Kunstprodukte in Originalexemplaren bestehen, die nicht vervielfältigt werden können, ohne ihre wirkliche künstlerische Eigenschaft zu verlieren. Dichtern und Musikern können sie sagen, daß ihnen, falls sie aus der Litteratur zum wirklichen Leben herausgehen wollen, unsere zahlreichen Theater und Konzertanstalten zu Gebote stehen, in denen sie ihre Werke, »wenn sie nur den Geschmack des Publikums zu treffen wissen«, zu jeder Zeit und an jedem Orte durch Aufführungen vervielfachen und bezahlt machen können; wogegen ihre Werke eben zur monumentalen Einheit verdammt und deßhalb auch einem besonderen Schutze zu empfehlen seien, der für Dichter und Musiker gänzlich unnöthig erscheinen müsse.

Würde somit keine höhere Absicht hierbei in das Auge gefaßt, so könnte, wenn von Verwendung der Geldmittel einer »Goethestiftung« die Rede ist, gerechter Weise eigentlich nur die bildende Kunst in Betracht kommen; und die hierin gemachten Erfahrungen haben Dich auch jedenfalls bestimmt, in Deinen Vorschlägen auf die Befriedigung aller Künstlerstände auszugehen. Eine höhere Absicht ist aber zugleich vorhanden, und deutlich sprichst Du sie aus, wenn Du im Allgemeinen auf Förderung von solchen Werken dringst, die ihrem Charakter nach nicht auf den herrschenden Geschmack des Publikums als Lohngeber angewiesen sein dürfen und daher besondere Anstrengungen von Seiten der höheren Kunstintelligenz zu ihrer Förderung nöthig haben. Du zielst unverkennbar auf die Unterstützung von Kunstrichtungen ab, die sich ihrer Eigentümlichkeit wegen nur schwer Bahn brechen können: hierbei kannst Du aber unmöglich die bildende Kunst im Auge haben, sondern nur die Dichtkunst und Musik insofern, als diese aus der Litteratur heraus zum sinnlich darzustellenden Kunstwerke sich anlassen. Der bildende Künstler hat für Anerkennung, Erfolg und Lohn seiner Leistungen nur mit jener fein erzogenen Kunstintelligenz zu thun, die an sich eben als fähig betrachtet wird, neue eigenthümliche Richtungen zu erkennen, und deßhalb zu ihrer Förderung beitragen soll; gar nicht in Berührung, am allermindesten in Abhängigkeit, geräth er aber mit dem, von ihm gänzlich unbeachtet gelassenen, wirklichen Publikum, an welches der Dichter mit seinem sinnlich darzustellenden Kunstwerke sich fast einzig wendet, und welchem gegenüber eine besondere Förderung von Seiten der Kunstintelligenz allein als nothwendig und wirksam gedacht werden kann. Bleibt nun Dichtkunst und Musik nur Litteratur, so bedürfen sie einer besonderen Förderung, wie durch den Goetheverein, gar nicht, und der bildende Künstler hat durchaus Recht, wenn er sie ihnen verwehrt wissen will, so lange die ganze Wirksamkeit der »Goethestiftung« eben nur im Kreise der Kunstintelligenz und nur ihr wiederum gegenüber sich kundgeben, nicht aber in eine fördernde Beziehung zum wirklichen Publikum treten soll. Handelt es sich bei Dichtern und Musikern aber darum, das papierene Kunstwerk zum wirklich dargestellten zu machen, aus dem litterarisch formulirten Gedanken zur einzig wirksamen Wirklichkeit als Kunst erscheinung zu gelangen, so ändert sich die uns vorliegende Frage allerdings gewaltig; denn es fragt sich plötzlich nun darum, wie dem Dichter die Organe der Verwirklichung erst zu verschaffen seien, die dem bildenden Künstler in seinem mechanischen Apparate mit leichter Mühe zu Gebote stehen? Der Maler und Bildhauer hat die Mittel, sein Kunstwerk – so wie er es konzipirte und einzig seiner Fähigkeit nach auszuführen vermag – vollkommen fertig und kenntlich hinzustellen: es kann sich bei ihm, rein praktisch aufgefaßt, nur um eine Entschädigung für seine aufgewendete Zeit und das technische Material handeln, – ein Material, das er für baare Auslage mit Sicherheit sich zu verschaffen weiß. Ist der hierauf bezügliche Handel abgeschlossen, hat er sich Material und Zeit verschafft, oder hat er für dessen Aufwendung sich entschädigt, so ist die rein soziale Frage der Existenz seines Kunstwerkes gelöst, das er nun in seiner vollen, zweifellosen Wirklichkeit nur noch der künstlerischen Beurtheilung zu empfehlen hat: die Frage, wie hoch der Genuß seines Kunstwerkes als geistiges Produkt belohnt werden soll, ist dann eine ganz andere, die mit der Förderung seines Kunstwerkes bis zur Ermöglichung eines unbefangenen Urtheiles über dasselbe nichts zu thun hat. – Wie steht es dagegen mit dem Werke des Dichters und Musikers, wenn es aus dem litterarisch formulirten Gedanken zur unfehlbar bestimmenden sinnlichen Erscheinung gelangen soll?

Fassen wir zunächst den Dichter allein in das Auge. – Dieser dringt zur Wirklichkeit des Kunstwerkes – in dem Sinne der Wirklichkeit des Werkes der bildenden Kunst – nur im Drama vor, und zwar eben nicht im Litteraturdrama, sondern in dem auf der Scene wirklich dargestellten. Wie verhalten sich nun die Organe dieser scenischen Darstellung zu den mechanischen Instrumenten und dem Materiale des Bildhauers oder Malers? Gerade wie Organismus zum Mechanismus überhaupt. Die verwirklichenden Organe des Dichters sind nichts Minderes als menschliche Künstler, und die Kunst der dramatischen Darstellung ist wiederum eine eigentümliche, durch und durch lebenvolle Kunst. Wo findet der Dichter diese, einzig sein Werk ermöglichenden Künstler und diese, seinen Gedanken verwirklichende Kunst, die als Werkzeuge und Werk der Mechanik dem bildenden Künstler überall, wo moderne Civilisation sich ausgebreitet hat, mit leichter Mühe zu Gebote stehen? Maler und Bildhauer antworten: auf unseren Theatern, von denen fast jede Stadt eines besitzt. – Die Sache wäre somit sehr kurz abgemacht, wenn nicht aus der Erfahrung die andere Frage entstünde, ob diese Theater wirklich die Kunstmittel enthielten, die dem Dichter, den wir im Sinne der »Goethestiftung« im Auge haben, ebenso unzweifelhaft sichere Organe zur Verwirklichung seiner Absicht bieten, als der Bildhauer in Thon, Stein und Meißel, oder der Maler in Leinwand, Farbe und Pinsel sie zur Verfügung hat? Wem sollte es einfallen können, diese Frage mit Ja beantworten zu wollen? – Da wir gerade von einer »Goethe«stiftung sprechen, so läge uns – dächte ich – die Erfahrung nicht so weit ab, daß unser größter Dichter jene künstlerischen Organe zur Verwirklichung seiner höchsten Absichten eben nicht fand: wir sehen, daß dieser Dichter durch seinen inneren Gestaltungstrieb zu jeder Zeit auf die vollendetste Äußerung dieses Triebes im wirklichen Drama hingedrängt wurde; wir sehen ihn mit unendlicher Sorge und Mühe sich dem Versuche hingeben, sich aus dem vorhandenen Theater jenes verwirklichende Organ zu gewinnen; wir sehen ihn endlich in verzweiflungsvoller Unlust sich von dieser Qual abwenden, um im bloß litterarischen Schaffen, im wissenschaftlichen Dichten und Trachten, eine gedachte künstlerische Ruhe und Erholung zu gewinnen, – und könnten einen Augenblick im Zweifel darüber sein, ob einem Dichter im Goethe'schen Sinne die Organe zur Verwirklichung des dichterischen Kunstwerkes leicht und mühelos, oder überhaupt nur vorhanden wären? – Wohl sind Theater vorhanden und in jeder Stadt wird fast jeden Abend Theater gespielt: aber es ist auch eine Litteratur vorhanden, die in ihrem edelsten Geiste fast nur von der Unmöglichkeit lebt, in der sich unsere wahrhaft dichterischen Köpfe befinden, diesen Theatern zur Verwirklichung ihrer Absichten beikommen zu können. Unsere Theater stehen mit dem edelsten Geiste unserer Nation in gar keiner Berührung: sie bieten Zerstreuung für die Langeweile, oder Erholung von geschäftlichen Mühen, und bestehen somit durch eine Wirksamkeit, mit welcher der wahre Dichter durchaus nichts gemein hat; den Stoff zu ihren Produktionen nehmen sie vom Auslande, oder aus Nachahmungen desselben, die genau nur für den Zweck der eben bezeichneten Wirksamkeit verfertigt sind: ihre künstlerischen Darstellungsmittel bilden sich wiederum gerade nur für diesen Zweck und der dichterische Geist steht vor dieser Erscheinung mit der vollkommensten Kälte der Resignation in sich gekehrt, um mit Papier und Feder, oder Druckerschwärze, sich für seine imaginäre Verwirklichung zu begnügen.

Was würde uns nun der Maler und Bildhauer antworten, wenn wir ihm sagten: begnüge dich mit Papier und Bleistift, verzichte aber auf Farbe und Pinsel, auf Stein und Meißel, denn diese gehören nicht dem Künstler, sondern der öffentlichen Industrie? – Er würde erwidern, daß ihm dadurch die Möglichkeit der Verwirklichung seines künstlerischen Gedankens entzogen, und er somit in den Zwang versetzt wäre, diesen Gedanken nur andeuten, nicht aber ausführen zu dürfen. – Wir könnten ihm dann entgegnen: nun so nimm die Werkzeuge der Industrie zur Hand, wie du sie dem Dichter mit unserem industriellen Theater zumuthest; ordne deine Absicht dem Zwecke und dem Materiale des Butikenschildmalers oder des Grabsteinhauers unter, so wirst du ganz Dasselbe thun, was du dem Dichter mit der Verweisung auf unsere Bühne zuerkennst. Findest du, daß deine Absicht hierbei vollkommen entstellt und unverständlich gemacht werden würde, so geben wir dir dann den Rath: begnüge dich also eben auch damit, deinen Gedanken nur durch den Entwurf anzudeuten; verkaufe den Entwurf beim Kunsthändler, und du hast den Vortheil, denselben in tausenden von gestochenen oder lithographirten Exemplaren wohlfeil verbreitet zu sehen! Sieh', hiermit begnügt sich ja auch der Dichter unserer Tage; solltest du mehr verlangen können wie er, und namentlich unter der Begünstigung einer »Goethestiftung«? – In Wahrheit verlangt der bildende Künstler mehr; er will eben sein verwirklichtes Kunstwerk gefördert haben: der Bildhauer will seine Statue in Marmor oder Erz, der Maler sein Gemälde mit Farbe auf Leinwand ermöglicht und diese Ermöglichung durch einen zugesicherten Absatz seines Kunstexemplares gewährleistet sehen. Deßhalb auch will er eben den Dichter von der Konkurrenz ausgeschlossen wissen, weil er diesen nur als Litteraten im Sinne hat, dem sein Material leicht zu verschaffen ist, und der durch den Buchhandel bereits seinen Zweck, sei es Lohn oder Anerkennung, erreichen kann: das, was der bildende Künstler von vorn herein verschmäht, die bloß literarische Wirksamkeit, mit dem soll sich der Dichter ein- für allemal begnügen, und um dieser geforderten Begnügung willen wiederum von der Konkurrenz ausgeschlossen sein. Wie wäre es nun, wenn der Dichter – zumal in vernünftiger Betrachtung der Bedeutung einer »Goethestiftung« – heranträte und erklärte, mit der bloßen Litteratenrolle sich nicht begnügen, seinen Gedanken im Litteraturgedichte nicht mehr nur entworfen, sondern im scenischen Kunstwerke ebenso lebendig verwirklicht sehen zu wollen, wie Maler und Bildhauer im farbigen Ölgemälde oder in der marmornen Statue seinen Gedanken hinstellt? Wie wäre es ferner, wenn er, in Erwägung der Untauglichkeit der vorhandenen Theater, unter Anrufung des Namens Goethe's darauf dränge, daß ihm zu allernächst das künstlerische Organ zu jener ihm nöthigen Verwirklichung in einem, dem Wesen seiner höheren Absicht entsprechenden Theater geschaffen werde, da sich der Dichter unmöglich ein Theater in der Weise selbst verschaffen kann, wie der bildende Künstler in seinem technischen Materiale das Mittel der Darstellung sich leicht gewinnt? Möglich, daß in selbstgefälliger Zerstreutheit der bildende Künstler diese Forderung als übertrieben und zu der seinigen nicht stimmend ansehen dürfte. Der Dichter, vorläufig auf den Umstand sich stützend, daß es sich hier zufällig nicht um eine Stiftung zu Ehren Dürer's oder Thorwaldsen's, sondern Goethe's handle, hätte ihm dann aber noch etwas schärfer zuzusetzen, indem er ihm erklärte, daß das Dichterwerk, ohne seine Verwirklichung auf der Scene, mit dem verwirklichten Kunstwerke des Bildners zusammengehalten, in der allerungerechtesten Mißstellung dem öffentlichen Kunsturtheile vorgeführt würde, und daß eine solche Mißstellung – mindestens im Sinne einer »Goethestiftung« – eine vollendete Unwürdigkeit wäre; daß ferner eine »Goethestiftung« nur dann einen vernünftigen Zweck habe, wenn sie zu allernächst für die Beschaffung der Mittel sorge, durch welche eine Gleichstellung der Kunstarten im Vermögen ihrer Kundgebung erreicht würde, und daß sie in dem vorliegenden Falle um so energischer zu wirken habe, als es – zu Ehren des Andenkens unseres größten Dichters – die Aufhebung der Mißstellung der Dichtkunst zu bezwecken gelte.

Ich weiß nicht, ob bildende Künstler dieß begreifen und zugeben werden; für jetzt möge uns das aber nicht kümmern, denn hoffentlich sind sie bei einer »Goethestiftung« nicht die Tonangeber.

Gedenken wir nun noch des Musikers, um uns schnell über seine Stellung zur »Goethestiftung« zu einigen. – Dem Musiker bieten sich für die Verwirklichung seiner reicheren Konzeptionen zwei Wege zur Öffentlichkeit dar: der Konzertsaal und – ebenfalls das Theater. Was er für kleinere Kunstkreise schafft, steht der poetischen Litteratur gleich, die ja auch vorgelesen und deklamirt wird, und mit der wir hier nichts zu thun haben wollen. Der Konzertsaal mit seinem Orchester und Sängerchore ist bei uns meist überall so beschaffen, daß er dem absoluten Musiker als ein vollkommen entsprechendes Organ seiner Absichten gelten kann: in diesem Genre sind die Deutschen original geblieben, weder Franzosen noch Italiener bestreiten ihnen das Feld. Alles hierauf verwendete Genie der Nation ist ganz entsprechend gefördert worden; Mittel und Zweck sind hier vollkommen in Harmonie, und wenn unsere Konzertinstitute einer ästhetischen Kritik mancherlei zu bedenken geben, so liegt dieß in der Natur des Genre's selbst, das hier gepflegt wird, nicht aber in einer technischen Mißbeschaffenheit, der im Sinne einer »Goethestiftung« abzuhelfen wäre. Den Musiker können wir daher nur von da ab in Betracht ziehen, wo er sich mit dem Dichter berührt und unserem Theater gegenüber sein Schicksal theilt: für diese Richtung fällt er uns daher ganz in die Kategorie des Dichters, und Alles, was wir für diesen sagten, gilt im Bezug auf das Theater somit auch für den Musiker. –

Laß mich nach diesen Auseinandersetzungen zu einem Schlüsse kommen.

Will eine »Goethestiftung« sich keinen anderen Zweck setzen, als abwechselnd für Bildhauerei, Malerei, Litteratur und Musik jährliche Preise zu vertheilen, so fördert sie meines Trachtens nicht im Mindesten die Kunst, sondern sie macht es nur einzelnen Künstlern bequemer ihre Arbeiten abzusetzen, als es ihnen für gewöhnlich möglich ist. Bei dieser Wirksamkeit würde die »Goethestiftung« unvermeidlich nach und nach zu der Geschäftigkeit unserer bestehenden Kunstvereine herabsinken, und die Stiftung könnte mit der Zeit um ihres materiellen Bestehens willen nichts Anderes als eine Kunstlotterie unter der Firma »Goethe« werden.

Namentlich nach Deiner Absicht soll die Wirksamkeit der »Goethestiftung« aber in einer Förderung der Kunst sich äußern. Über den Sinn der Förderung kann einzig noch gestritten werden, und hierin ist es, wo ich uneinig mit Dir bin, und zwar dießmal – so glaube ich – als Realist mit dem Idealisten. – Eine bloß materielle Erleichterung des Künstlers für den Absatz seines Werkes, und selbst der Zuspruch eines künstlerischen Preises, kann nimmermehr die ideale Wirkung zur Förderung der Kunst haben, die Du wiederum als Absicht doch einzig im Auge hast: die Annahme dieser Wirkung ist selbst schon das zu weit vorgerückte Ideal, dessen Verwirklichung wiederum eine nur gedachte, nicht aber realisirbare sein kann. Wer nicht die Notwendigkeit des Kunstschaffens in sich fühlt, wer nicht aus dieser Nothwendigkeit schaffen muß, und wer erst durch die Möglichkeit eines lohnenden Absatzes oder einer lobenden Aufnahme seines Werkes zum Produziren desselben gereizt werden soll, der wird nie ein wirkliches Kunstwerk zu Stande bringen. Aber eine andere Möglichkeit muß dem Künstler geboten werden, wenn er den Muth, ja die Fähigkeit zum Schaffen gewinnen soll, und dieß ist die Möglichkeit, sein gedachtes und entworfenes Werk zu der, seiner Absicht entsprechenden Erscheinung zu bringen, in welcher diese seine Absicht erst wirklich verstanden, d. h. empfunden werden kann. Steht einem Künstler dieses Material nicht zu Gebote, so wird er allerdings auch seine Absicht aufgeben müssen: das Kunstwerk wird also in seinem Keime erstickt, oder noch richtiger, die Absicht dazu kann gar nicht erst gefaßt werden. – Diese Möglichkeit zu bieten hast Du nun im Sinne: darin, wodurch sie geboten werden soll, sind wir aber nicht einverstanden, denn Du setzest bereits vorhandene Mittel der Verwirklichung für das dichterische Kunstwerk voraus, deren Dasein oder genügende Tauglichkeit ich bestreiten muß. – Laß mich daher zu der Darstellung Dessen, was nach meiner Ansicht ein Goetheverein in dieser Angelegenheit zu beachten und endlich zu fördern hätte, jetzt fortfahren.

Ein Verein, der sich zu Ehren des Andenkens Goethe's, vom Standpunkte .der reinen künstlerischen Intelligenz aus, den Zweck setzt, für Förderung der Kunst zu wirken, hätte nun zuerst zu erspähen, wo irgend einer Kunstrichtung jene von mir bezeichnete Möglichkeit ihrer genügendsten Kundgebung als Erscheinung erschwert, oder gar gänzlich verwehrt wäre, um alle vereinigte Kraft der Kenntniß und des Willens daran zu setzen, daß diese Möglichkeit erleichtert, oder überhaupt erst hergestellt werde. Bei genauer Prüfung würde der Verein zu seiner Verwunderung ersehen müssen, daß gerade diejenige Kunst, zu deren Ehren er zunächst zusammentrat, der Herstellung jener Möglichkeit am allermeisten, ja in Wahrheit einzig bedarf. Dem Bildhauer, dem Maler und dem Musiker (so lange dieser dem Theater fremd bleibt) stehen durch die Mechanik oder durch die künstlerische Gesellschaft vollkommen die Mittel zu Gebote, die ihm zur Verwirklichung seiner künstlerischen Absicht nöthig sind. Fühlt ein Genie dieser Künste in sich den Drang und die Fähigkeit zu einer neuen eigenthümlichen Richtung, so steht ihm nicht das Geringste im Wege, diese Richtung zu verfolgen; denn er verfügt über die Mittel zur entsprechendsten Kundgebung seiner Absicht, und einzig seiner Unfähigkeit, oder der Ungesundheit, seiner Richtung, müßte es beizumessen sein, wenn er sich nicht verständlich machen, oder seine Absicht nicht zur Mitempfindung bringen könnte; und für diesen Fall würde keine Aufmunterung und kein Verein der Welt zu helfen im Stande sein, da hier nur künstlerischer Rath und der Gewinn eigener Kunsterfahrung fördern kann. Ganz ebenso steht es um den Dichter, der sich für die Kundgebung seines Gedankens mit der Schriftstellers begnügt: ihm stehen in Tinte, Feder und Papier die einfachen Mittel zu Gebote, sich – so weit er es eben nur will und einzig beabsichtigt – vollkommen verständlich zu machen; sie verwehren ihm nicht im Mindesten, neue Richtungen einzuschlagen. – Ganz anders – so sehen wir – steht es aber mit dem wirklichen Dichter, der sein Gedicht zur untrüglichen Erscheinung im scenischen Drama bringen will: für diesen sind die Mittel der Verwirklichung im gegenwärtigen Theater geradesweges unvorhanden. Das Trügliche hierbei, und was den Blick von dieser Erscheinung ablenkt, ist aber, daß diese Mittel scheinbar vorhanden sind. Allerdings giebt es Theater, und auf ihnen werden mitunter sogar die besten Werke der dramatischen Kunst vergangener Zeiten vorgeführt,Wie? darnach fragen allerdings nur Wenige, am wenigsten aber gewiß unsere bildenden Künstler! so daß dieser Erscheinung gegenüber gemeinhin die gedankenlose Äußerung sich hören läßt: warum sind unsere Dichter keine Goethe und Schiller? Wer kann dafür, daß keine Genies wie sie wieder geboren worden sind ? – Es müßte mich hier zu weit führen, wenn ich der Zerstreutheit, aus der diese Äußerungen hervorgehen, gründlich entgegnen wollte: für jetzt genüge uns nur die Bestätigung Dessen, daß in Wahrheit seit Goethe und Schiller nichts von Bedeutung auf unserer Bühne mehr geleistet worden ist, und daß es keinem Menschen einfällt, den Grund hiervon in etwas Anderem, als in einem absoluten Verkommen des dichterischen Genie's der Nation zu suchen. Wie wäre es nun, wenn ich gerade aus dieser Erscheinung den Beweis dafür zöge, daß nur die mangelhaften oder unentsprechenden Mittel der dramatischen Darstellung jenes mehr als scheinbare Verkommen bewirkt haben? Bereits erwähnte ich, daß Goethe, von der Unmöglichkeit, dem Theater in seinem Sinne beizukommen, besiegt, von diesem sich zurückzog. Der verlorene Muth eines Goethe ging natürlich in seine dichterischen Nachkommen über, und das nothgedrungene Aufgeben des Theaters war gerade der Grund, daß sie auch in der poetischen Litteratur immer mehr an dichterisch gestaltender Fähigkeit verloren. Goethe's künstlerisches Gestaltungsvermögen wuchs und erstarkte genau in dem Grade, als er es der Realität der Bühne zuwandte, und eben in dem Grade zerfloß und erschlaffte es, als er mit verlorenem Muthe von dieser Realität es abwandte. Diese Muthlosigkeit ward nun zur ästhetischen Maxime unserer jüngeren Dichterwelt, die ganz in dem Maaße in ein litterarisch abstraktes, gestaltungsunfähiges Schaffen sich verlor, als sie verachtungsvoll der Bühne den Rücken kehrte, und sie der Ausbeutung unserer modernen Theaterstückindustrie überließ.

Gerade diese Bühne wäre nach der gewonnenen Erkenntniß aber dem Dichter zu übergeben, und in dem Bemühen darum würde sich ein einzig vernünftiger Zweck eines Goethevereines zu erkennen geben, zumal da er hierdurch allein die Absicht erreichen könnte, aus künstlerische Bildung auch des Volkes zu wirken, dem der bildende Künstler gar nicht, der Dichter aber nur dann beizukommen vermag, wenn er seinen Gedanken zur sinnfälligen künstlerischen That im dargestellten Drama erhebt. – Mit unserem Theater kann sich bei der heillosen Verderbniß, in die es eben seit Goethe's fruchtlosem Bemühen vollends verfallen ist, der edlere Geist unseres dichterischen Vermögens gar nicht befassen, ohne sich zu beflecken: er trifft hier einen herrschenden und gesetzgebenden schlechten Zustand, dem er nicht beizukommen vermag, ohne sich selbst bis zur vollsten Unkenntlichkeit zu entstellen. Eine ihm eigenthümliche neue Richtung, wie sie durch die »Goethestiftung« im Allgemeinen angeregt oder gefördert sein soll, kann der Dichter durch das Organ unseres Theaters aber gar nicht im Mindesten nur einzuschlagen beabsichtigen: da ihm die übereinstimmenden Organe auf unserer Bühne gänzlich fehlen, indem das Vorhandene ihm das Gesetz giebt, nicht aber er dem Vorhandenen, so müßte seine Richtung nur gänzlich mißverstanden werden, denn er würde eine Absicht kundgeben wollen, für welche ihm die einzig ermöglichenden Mittel des Ausdruckes vollständig abgingen; weßhalb er denn der Unmöglichkeit dieses Ausdruckes gegenüber, gar nicht erst zum Fassen einer solchen Absicht kommt, und eben hieraus erklärt sich sehr einfach das Verkommen unseres dichterischen Geistes.

Wohl überlegt, und Alles zusammengehalten, kann daher die »Goethestiftung« zunächst nur ein Einziges bezwecken wollen: die Herstellung eines Theaters im edelsten Sinne des dichterischen Geistes der Nation, d. h. in Theater, welches dem eigenthümlichsten Gedanken des deutschen Geistes als entsprechendes Organ zu seiner Verwirklichung im dramatischen Kunstwerke diene. – Erst wenn ein solches Theater vorhanden ist, erst wenn der Dichter in diesem Theater den Verwirklicher seiner Absicht gefunden hat, und aus der Möglichkeit dieser Verwirklichung ihm erst die Lust und die Kraft zum Fassen von dichterischen Absichten erwachsen ist, die ihm gegenwärtig der Unmöglichkeit jener Verwirklichung gegenüber, zu fassen gar nicht beikommen können: – erst dann würde man mit Gerechtigkeit den Gedanken aufnehmen dürfen, mit der Dichtkunst auch die bildenden Künste zur Konkurrenz aufzurufen. Ich für mein Theil bin aber überzeugt, daß vor dem lebendig dargestellten Kunstwerke des im Drama mit dem Musiker zur höchsten Fülle seines Kundgebungsvermögens vereinigten Dichters, Maler und Bildhauer jede Konkurrenz ablehnen, und in ehrerbietiger Scheu vor einem Kunstwerke sich verneigen würden, gegen das ihnen ihre Werke, die sie mit so viel anscheinendem Rechte jetzt als die einzigen wirklichen Kunstwerke betrachtet wissen wollen, nur als leblose Bruchstücke der Kunst erscheinen könnten. Sie würden dann vielleicht darauf gerathen, daß sie diese Bruchstücke ebenfalls zu einem Ganzen vereinigen müßten, und für dieses Ganze würden sie dann vom Architekten sich das Gesetz vorschreiben zu lassen haben, dessen bindender Obhut sie sich jetzt mit so eitlem Stolze fortfahren zu entziehen. Über die Stellung dieses jetzt so aus der Acht gelassenen Architekten, des eigentlichen Dichters der bildenden Kunst, mit dem sich Skulptor und Maler so zu berühren haben, wie Musiker und Darsteller mit dem wirklichen Dichter, – über die Stellung dieses so zu seiner würdigsten Wirksamkeit beförderten Architekten zu dem verwirklichten Kunstwerke des Dichters, würden wir uns dann zu vereinigen haben, und hier endlich auf einen gemeinsamen Wirkungskreis treffen, von dem wir jetzt allerdings keine Ahnung haben und den zu beleben einer »Goethestiftung« wohl nicht einzig gelingen dürfte, zu dessen Aufsuchung angeregt zu haben aber entsprechender im Goethe'schen Sinne gehandelt wäre, als wenn unseren zersplitterten Kunstrichtungen bei ihrer offenkundigen inneren Lebensunfähigkeit, gar noch von Außen ermunternde Förderung zugetragen werden sollte. –

Es bliebe mir somit nur noch übrig, mich über die Errichtung jenes Theaters selbst näher auszulassen. Erlaube mir, hierüber in gedrängtester Kürze für heute mich nur dahin zu erklären, daß ich unter allen Umständen, an jedem Orte und bei jeder Beschaffenheit der Mittel, die allmähliche Heranbildung eines unserer Absicht entsprechenden Theaters für möglich halte, sobald vor Allem Eines bestimmt wird, nämlich daß dieß ein Originaltheater sei. Ich muß es für jetzt bei dieser Andeutung bewenden lassen, da die Auseinandersetzung meines Planes zur Errichtung eines solchen Theaters mich viel zu weit führen würde: gern bin ich aber erbötig, mich ausführlich hierüber mitzutheilen, sobald dieß besonders von mir verlangt wird. – – –

Anmerkung des Herausgebers: 21) In der Entstehung und Verwirklichung des Wagnerschen Gedankens eines »Originaltheaters« oder »Festspielhauses« lassen sich im wesentlichen drei Etappen unterscheiden. Zunächst verlangt Wagner die Reform des Theaters. Er bemüht sich als Kapellmeister um die Hebung seines künstlerischen Niveaus, er verlangt, man solle die Zahl der Aufführungen beschränken und dafür nur vorzügliche Aufführungen geben, er arbeitet schließlich ein umfassendes Reformprojekt aus in der Schrift »Entwurf zur Organisation eines deutschen Nationaltheaters« 1848 (G. S. u. D. II, 233 ff., wieder aufgenommen im »Wiener Hofoperntheater« ebenda VII, 272 ff.). Alle diese Bemühungen scheitern aber und so wendet sich Wagner vom modernen Theater ab. Er sieht ein, und damit beginnt die zweite Etappe, daß alle Reform hier unmöglich, und versucht ein gänzlich Neues, eine Regeneration. Wie er seinerzeit mit dem Entwurfe des Rienzi sich absichtlich von jeder Möglichkeit entfernte, an kleinen Provinzbühnen aufgeführt zu werden, so entfernt er sich mit dem Entwurfe des Nibelungendramas bewußt von jeder Möglichkeit, an unsern Operntheatern gegeben zu werden. Der Unterhaltungskunst unserer Großstädte, die ein von unverstandener und verhaßter Tagesarbeit ermüdetes Publikum zerstreut, um sie ihr Leben vergessen zu lassen, soll eine Erbauungskunst gegenübergestellt werden, die ein für diesen Moment von allem Werktag festlich befreites Volk zu tiefster, künstlerischer Andacht sammelt, um es dieses selbe Leben verstehen zu lassen und den freudig-kräftigen Willen zu ihm und seiner Arbeit zu stärken. Der »Ring des Nibelungen« soll als »Fest« gegeben werden. »Am liebsten in irgend einer schönen Einöde, fern von dem Qualm und dem Industriegeruche unserer städtischen Zivilisation« soll »von Brett und Balken ein rohes Theater hergestellt und lediglich bloß mit der Ausstattung an Dekorationen und Maschinerie versehen werden, die zur Aufführung nötig sind.« Sänger und Orchester werden zusammengeladen. Weder sie noch der Autor dürften einen pekuniären Vorteil von der Aufführung haben. Alle wahren Kunstfreunde sollen freien Eintritt genießen. – Soweit die »Festspielidee in ihrer ganzen Reine, wie sie dem Genie vorschwebte, ehe sie durch den Kontakt mit der Wirklichkeit und durch die tausend Kompromisse, die diese nötig macht, so manche ideale Forderung hatte aufgeben müssen, dafür aber lebensfähig geworden war« (Chamberlain, »Richard Wagner« S. 467 der Textausgabe). Die »durch tausend Kompromisse lebensfähig gewordene« Festspielidee ist dann die dritte Etappe, das, was als »Festspielhaus« am grünen Hügel bei Bayreuth steht. Ihre Macht und ihren Zauber schöpft diese endliche »Verwirklichung« einzig aus dem hier vorschwebenden Ideale, ihre Schwächen und Fehler stammen alle aus den Kompromissen mit dem Theater, aus dem allein sie Ausübende wie Zuhörer gewinnen konnte. Dieser Doppelnatur der Bayreuther Festspiele gegenüber darf man also nie vergessen, daß seine edelsten Bemühungen erfolglos bleiben müssen, solange sein Publikum wie seine Künstler nicht an sich selbst jene große Wandlung vollziehen, die allein das Theater zur »moralischen Anstalt« Schillers, zum »Weihefestspiel« Richard Wagners umschaffen kann – die Wandlung, die nicht mehr »Zerstreuung« und »Unterhaltung«, sondern »Sammlung« und »Erbauung« im Festspielhause sucht.

Hier, lieber Liszt, hast Du den Ausspruch Dessen, was mein Bekanntwerden mit Deiner Schrift »über die Goethestiftung« in mir angeregt hat. Ich glaube Deinen Sinn zu treffen, wenn Du ihn auch anders äußerst. Zwei Anschauungen scheinen sich bei Deinem Entwurfe gekreuzt zu haben, eine ideale und eine reale, die sich nicht gegenseitig vollständig durchdringen konnten. In der idealen theilest Du fast ganz meine Ansicht: die jedesmalige vierte Jahresfeier scheint mir in weiten Umrissen Das zu bieten, was dereinst aus der Verwirklichung meines Planes hervorgehen könnte, nur daß ich das Drama mehr in das Auge fasse. Nach der realen Seite hin fühlst Du Dich durch die Anforderungen der gegenwärtigen Künstlerstände zu Zugeständnissen gedrängt, die Dir wahrscheinlich die Rücksicht auf die Ermöglichung einer recht weit ausgedehnten Theilnahme abgenöthigt hat. Hierin laß uns nun aber klar sehen und erkennen, daß wir nichts Gedeihliches erreichen, wenn wir jetzt schon Alles befriedigen wollen. Ziehen wir einen kleineren Kreis und fassen wir zunächst eine bestimmte Absicht in das Auge, die wir als Wurzel des ersehnten schönen Baumes der Zukunft zu erkennen haben. Diese Wurzel ist hier das Theater: dieses steht Dir im Weimarischen zur Hand; es bedarf fast nur des Willens, um in Bälde schon einen Zweck zu erreichen, der ganz an sich bereits die allerentsprechendste »Goethestiftung« wäre. Hierzu bedarfst Du aber der weiteren Goethevereine zur Noth gar nicht: wollen sie Dir helfen, so möge das bei sich zu Haus, am eigenen Ort und Stelle geschehen; sie sollen es Dir in Bezug auf das Theater nachmachen: erreichen sie anderswo dasselbe, desto glücklicher, dann ist der Zweck in immer weiteren Kreisen erreicht. Für jetzt aber kannst Du Dir an Weimar schon vollkommen genügen lassen, und läßt Dich dabei der Goethekomité im Stiche, so laß ihn fahren; er kann Dir zunächst so nichts weiter helfen. Laß sie unter dem Titel einer »Goethestiftung« eine Kunstlotterie errichten: gründe Du während dessen eine wirkliche Goethestiftung, und nenne sie, wie es Dich gut dünkt.

Ich kann nicht anders glauben, als daß ich Deinen wahren Wunsch getroffen habe; ist es so, so möge Dir diese Mittheilung als eine Stütze für Deinen Willen dienen, als eine spezielle Verstärkung Deiner universellen Absicht. Wenigstens nur in diesem Sinne theilte ich mich Dir mit.

So ausführlich diese Mittheilung erscheint, so gut fühle ich doch die mannigfachen Lücken, die sie für die Darstellung des Gegenstandes noch enthält. Um sie ganz zu vervollständigen, um nach allen Seiten hin, wenigstens meinem Bewußtsein nach, zu überzeugen, hätte ich mich geradesweges zu einem Buche anlassen müssen, das am Ende Diejenigen, auf die es mir eben ankommen würde, doch nicht lesen, oder, wenn sie es lesen, einer wohlweislichen Unbeachtung ihrerseits anheimgeben würden. In der Vorsicht der wirklichen oder affektirten Nichtbeachtung Dessen, was sie bei redlichem Erfassen zu einem uneigennützigen Nachdenken auffordern müßte, sind unsere heutigen Künstler und Kunstgelehrten groß; das Vermögen hierzu ziehen sie aus dem glücklichen Umstande, daß sie schon Alles wissen, nämlich gerade so viel, als ihnen in ihren sonderkunstständischen Kram paßt. Dich, bester Freund, verweise ich aber – zur Ergänzung meiner heutigen Mittheilung – noch auf mein nächstes erscheinendes Buch »Oper und Drama«, an dessen Schlüsse ich meine Ansicht über die Unfähigkeit des modernen Theaters, namentlich in Deutschland, genau begründe. Für jetzt aber laß mich an den wirklichen Schluß dieses Briefes denken, bevor auch er zum Buche anschwillt. Ich will es nun kurz und bündig machen, und deßhalb Dir nur noch das herzlichste Lebewohl zurufen

Deines Zürich, 8. Mai 1851.

Richard Wagner.


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