Johann Heinrich Voß
Luise
Johann Heinrich Voß

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Zweite Idylle.

Der Besuch.

                      Klar aus Dämmerung stieg am goldenen Himmel der Maitag,
Liebliche Wärm' ankündend, und leuchtete sanft in die Fenster,
Daß ihr scheibiger Glanz mit wankendem Schatten des Pfirsichs
Glomm an der Wand und hellte des Alkovs grüne Gardinen,
Wo sich erquickte der Greis nach emsiger Amtesbesorgung.
Durch den Schimmer geweckt und den Schlag des Kanarienvogels
(Denn nur leis' umschwebte der Schlaf, von des kommenden Tages
Bilde gestört, sein Herz mit flüchtigem Traume der Ahnung),
Hub er den wackeren Blick muthvoll und faltete herzlich
Betend die Hände zu Gott, der rüstige Kraft und Gesundheit
Wieder geschenkt zur Pflicht des Berufs, und in nächtlicher Stille
Väterlich abgewandt von den Seinigen Feuer und Diebstahl.
Jetzo mit Macht anstrengend den Bettquast, dreht' er sich langsam
Um und streckte die Hand, sein Mütterchen, welches benachbart
Ruht' im vorderen Bett, als früh aufstehende Wirthin,
Sacht aus dem Traume zu wecken, mit Hohn, daß sie heute verschliefe.
Aber die Stätte war leer. Da riß er den rauschenden Vorhang
Hastig zurück und spähte, wie weit denn die Sonne gerückt sei.
Sieh, und festlich geputzt, durch die gläserne Thüre des Alkovs,
Lachte daher die vertraute Studirstub', und vor dem Lehnstuhl
Prunkte mit Dresdener Tassen der schön geäderte Theetisch,
Welche die häusliche Frau vornehmeren Gästen nur anbot,
Etwa dem Probst beim Kirchenbesuch und der gnädigen Gräfin,
Auch wenn das Hochzeitsfest sie erfreuete und ein Geburtstag.
Selbst das silberne Kaffeegeschirr, der geliebtesten Gräfin
Pathengeschenk, mit der Dos' und den weinlaubstieligen Löffeln,
Blinkt' im röthlichen Glanz hochfeierlich. Draußen am Heerd' auch
Hört' er geschäftige Red' und die rasselnde Mühle des Kaffee's,
Unter der knatternden Flamme Gesaus' und des siedenden Kessels.
Zweimal zog er den Ring, daß hell in der Küche das Glöcklein
Klingelte. Schnell nun kam in ehrbarem Schmucke die Hausfrau,
Bot ihm fröhlichen Morgen und fragete, herzlich ihn küssend:

Wacht mein Väterchen schon? Da ich aufstand, schliefst du so ruhig;
Auch ganz leis' entschlüpft' ich dem Bett'; in der Hand die Pantoffeln,
Ging ich auf Socken hinaus, und es gab nicht Angel noch Drücker
Einigen Laut, die ich jüngst einölete, deinem Befehl nach.
Siehe, die Angen wie klar, als dräng' ein Gedanke zum Ausbruch
Froh aus dem Herzen empor! Doch warte nur! Gegen den Hahnschrei
Hast du mir wieder im Traume geprediget, bald mit verstärktem
Ausruf, bald mit Gestöhn', daß mir's wehmüthig um's Herz ward.
Was ich verstand, klang völlig wie segnende Red' an dem Trautisch.

Also Mama; da drückte der redliche Vater die Hand ihr,
Mitleidsvoll und verstummt; dann herzhaft sprach er das Wort aus:

Hab' ich dich wieder gestört, mein Mütterchen? Da du so liebreich,
Du gutherziges Weib, mir abwehrst jegliche Störung?
Richtig, getraut ward eben. Mein Text war: »Willst du mit diesem
Manne ziehn?« und die Bilder des Wegziehns machten mich traurig.
Aber wie sehr auch schmerze des trautesten Kindes Entlassung,
Dessen Gestalt wohl künftig bei Tag' und in Träumen uns vorschwebt;
Dennoch, waltete nicht dies Jahr noch die Wittwe des Pfarrhofs,
Allzusehr einengend die Kinderchen; oder ihr Weiber
Hättet nur erst aus dem Rohen gefertiget alle die Aussteu'r,
Linnen und Schränk' und Betten und anderen Trödel der Wirtschaft,
Was wol Kind und Enkel nicht aufbraucht! Heute fürwahr noch
Wollt' ich von Herzen sie trau'n: Seid fruchtbar, Kinder, und mehrt euch!
Denn das ordnete Gott, da dem Mann er gesellte die Männin!
Zeuch in Frieden, o Tochter, ein Haus zu erbauen durch Weisheit
Und holdseliges Thun, als liebliche Krone des Mannes!
Siehe, fürwahr, weit edler denn Gold und köstliche Perlen
Ist ein tugendsam Weib; deß lebt der Gesegnete länger!
Thut euch Liebes hinfort, thut, Kinderchen, nimmer euch Leides,
Bis euch scheide der Tod! – Nun, Mütterchen, nicht so ernsthaft!
Sieh' mich an! Wir selber verließen ja Vater und Mutter.
Auch dein Vater ja machte sich stark und die liebende Mutter,
Als uns weit in die Fremd' Abziehenden lange sie nachsahn,
Und an der Ecke nunmehr wir zurücksahn, winkend den Abschied.
Stumm dann saßen wir Beide, die Händ' in einander gefaltet,
Weder des schönen Gefilds achtsam in besonnetem Frühthau,
Noch des schwebenden Lerchengesangs und des fleißigen Landvolks,
Bis dich das Wort: »Dir bin ich von nun an Vater und Mutter!«
Kräftigte, das du im Kusse: »Ja, dein auf ewig!« zurückgabst,
Bald der tagenden Welt Aufheiterung, wackeres Blickes,
Weitum sahst und plötzlich ein munteres Trillerchen anhubst,
Selber darauf dich straftest, dieweil noch trauerten die Eltern.
Siehe, wir damals, dünken wir uns in den trautesten Kindern
Neu zu erblühn, du Braut, ich Bräutigam wieder, um standhaft
Noch einmal zu beginnen verschlungene Wege der Vorsicht,
Sprößlinge frisch aufwachsen zu sehn, und in herzlicher Eintracht
Lebensfroh mit einander zu nahn dem behaglichen Alter:
Du, gleich deiner Luis', in Lustigkeit schwärmend aus Tiefsinn,
Unruhvoll und beherzt; ich treu, wie Walter, und kopffest!
Hurtig, den Schlafrock her, den festlichen neuen von Damast;
Auch die Mütze von feinem Batist! Denn ich muß ja geschmückt sein,
Wann der Bräutigam kömmt von Seldorf, jenes berühmten
Hochfreiherrlichen Guts hochwohlehrwürdiger Pastor.
Horch! Da blies ja die Post und rasselte über den Steindamm!

Also der Greis; und die Mutter enttrocknete schnell sich die Thräne.
Lächelnd erwiederte dann die gute, verständige Hausfrau:

Männchen, das war in der Küche! Susanna windet ihr Garn ab,
Daß die beschleunigten Rollen sich drehn im rummelnden Umlauf,
Ohne Verzug, um den streng' anmahnenden Weber zu fördern.
Denn gern sähe sie bald mit bleichendem Linnen den Anger
Ueberspannt, und ergänzt die gewaltigen Lücken des Schrankes,
Welchen Luis' ausleert nach der Bräut' uralter Gewohnheit.
Mag sie! Die Zeit wird kommen, daß auch ihr Töchterchen ausräumt!

Sprach's und trat zur Kommode, der blankgebohnten von Nußbaum,
Mit braunmasrigem Feld' und zwei palmtragenden Engeln,
Zwar altmodischer Form, doch werth als mütterlich Erbstück,
Die des Gemahls Amtsbeffchen, die Oberhemd' und die Aermel
Einschloß, und in der Schachtel ein Paar steiffaltiger Kragen,
Jenem ein Gräul, auch den schönen und weitbewunderten Taufschmuck,
Und hellflitternde Kronen, gewünscht von den Bräuten des Dorfes.
Jetzo fand sie die Mütz', urahnlicher Feierlichkeit voll,
Welche zuerst ihn geschmückt als Bräutigam, ländlich und sittlich,
Aber seitdem alljährlich am heiteren Tage der Hochzeit:
Die nun reichte sie dar und lächelte. Dann im Gewandschrank
Nahm sie den Festschlafrock von stahlblauwollenem Damast;
Ueber die Lehn' ihn breitend des Armstuhls, sagte sie also:

Wie wird unsere Braut und der Bräutigam schau'n mit Verwundrung,
Wann hochzeitlich geschmückt das behagliche Väterchen dasteht!
Dehne dich immer zuvor noch ein Weniges; denn zur Gesundheit
Dienet es, saget der Arzt; die Natur will, daß sich das Kindlein
Dehne, vom Schlummer erwacht, und das Vögelchen schüttle die Federn.
Dann die weicheren Strümpfe, die festlichen, sollst du mir anziehn,
Welche Luise gestrickt aus Lämmerwolle des Marschlands,
Daß nicht kalte der Fuß in der kühligen Stunde des Morgens.
Auch dies seidene Tuch sei verehrt dir, welches Luise
Sonntags trug um den Hals; sie bestimmt' es dem Väterchen längst schon.
Lies noch ein Weilchen im Bett, wie du pflegst, ein Kapitel der Bibel
Dort auf der kleinen Riole zur Seite dir, oder ein Leibbuch
Besserer Zeit, als Menschen wie Washington lebten und Franklin,
Oder den lieben Homer, der einsamen Abende Tröster,
Welchen das Kind anhöret mit Lust und der Alte mit Andacht,
Daß du es warm mittheilst bei dem Frühstück! Unsere Post hat
Zeit! Des Verwalters Georg, der die Pferde bewacht in der Koppel,
Meldet es, wann er das Blasen des Posthorns über den See her
Hört; dann schwinget der Weg noch weit sich herum nach dem Dorfe.
Dort am Wald' ist ein Echo, da bläst der fröhliche Postknecht
Gerne sein Morgenlied und den Marsch des Fürsten von Dessau.

So, wohlmeinendes Sinnes, ermahnte sie. Aber der Pfarrer
Hörete nicht; auf stand er und redete, rasch sich bekleidend:

Mutter, wer kann nun lesen! Ich bin unruhig und lustig,
Mehr denn die edlen Phäaken Homer's und die muthigen Freier,
Eben so gut mich dünkend wie Washington oder wie Franklin!
Bald muß kommen der Sohn! Denn gewiß, als muthiger Freier,
Tummelt er redlich die Gäule mit bräutigamswürdigem Trinkgeld!
Wer gut schmiert, der fähret auch gut! Dein Georg hat geschlummert,
Oder auch selber ein Stück auf der Feldschalmei sich gedudelt.
Fest ja steht um die Gleise der Sand, da das gestrige Wetter
Selbst für die Heide genug platzregnete. Weiset die Uhr nicht
Funfzig Minuten auf fünf? O, wie oft dann las ich die Zeitung!
Hurtig das Becken gereicht und das Handtuch! Wahrlich, das Antlitz
Glüht, als hätt' ich, vertieft in des Ewigen Wundergeheimniß,
Voll zuströmende Worte geprediget, oder mit Walter
Ueber Europa geschwatzt und Amerika, jenes im Dunkel,
Dies im tagenden Lichte der Menschlichkeit! Oeffne das Fenster!
Frische Luft ist dem Menschen so noth, wie dem Fische das Wasser,
Oder dem Geist frei denken, so weit ein Gedanke den Flug hebt,
Nicht durch Bann und Gewalt zu den folgsamen Thieren entwürdigt!
Ah! Wie der labende Duft da hereinweht, und wie der Garten
Grünet und blüht, von des Thau's vielfarbigen Tropfen umfunkelt!
Schau' die Morell', und die Pflaum', und dort an der Planke den kleinen
Apfelbaum, wie so voll er die röthlichen Knöpfchen entfaltet;
Und den gewaltigen Riesen, den schneeweiß prangenden Birnbaum!
Das ist Segen vom Herrn! Fürwahr, wie die Bienen und Vögel
Möchte man schwelgen im Duft, »Herr Gott, dich loben wir« singend!
Aber die Braut, wo bleibt sie? Die oft mit dem Hahne mir aufsteht,
Häufte sich Festarbeit, und am Pult mir den Kaffee besorget,
Selbst in winternder Nacht, wann noch mein Mütterchen nachschläft.
Nun ist weder Geräusch hörbar, noch heimliches Trippeln
Ueber mir. Mutter, was gilt's? Sie verschläft des Bräutigams Ankunft!

Staunend erwiederte drauf die gute, verständige Hausfrau:
Vater, bedenk', was du sagst! Sie verschläft des Bräutigams Ankunft?
Unsere rasche Luise verschläft? Und des Bräutigams Ankunft?
Sag' auch, es schlafe im Mausen die Katz' und der Has' an der Trommel!
Nein fürwahr! Ich sage, das Töchterchen steht vor dem Spiegel,
Kleidet sich, ordnet das Haar in schlau erkünstelter Einfalt,
Ordnet des lilienweißen Gewands hellrosige Bänder,
Ordnet das luftige Tuch mit Bescheidenheit, und den gewählten
Blumenstrauß, holdlächelnd und gern noch schöner sich machend.
Oder sie schlich in den Garten hinab und beschaut die Aurikeln,
Unruhvoll und roth im Gesicht, wie die Gluthen des Himmels;
Blickt oft über den Zaun und hört die Nachtigall schmettern
Unten am Bach, und hört, o mit klopfendem Herzen! das Posthorn.
Holla, da blafft an der Pforte Packan; nun gelfert er freundlich
Einem Bekannten den Gruß! Das wird mein guter Georg sein.

Kaum war geredet das Wort, da klingelt' es rasch, und Susanna
Oeffnete. Plötzlich erschien in gezottelter Hülle der Eidam.
Aber vor Freude bestürzt und Verwunderung, eilten die Eltern,
Und »Willkommen, o Sohn! willkommen uns!« riefen sie herzlich,
Fest an die Brust ihn gedrückt und Wang' und Lippen ihm küssend.
Sorgsam streift' ihm die Mutter das Reisegewand von den Schultern,
Nahm ihm den Hut und stellte den knotigen Stab in den Winkel,
Sammt dem türkischen Rohre, dem stattlichen, welches gebracht schien
Für den Papa, deß Höhe mit staunendem Blicke sie abmaß.
Thränend begannst du sofort, ehrwürdiger Pfarrer von Grünau:

Gott sei gelobt, mein Sohn, der väterlich unser gesorgt hat
Und wie die Wasserbäche das Herz der Gemeine gelenket,
Daß Ihn All' einmüthig erwähleten, Prediger Gottes
Ihnen zu sein, der Natur und der Menschlichkeit weiser Verkünder,
Die uns Endlichen sind des Unendlichen dämmernder Abglanz!
Ueb' Er denn Gottes Beruf mit Freudigkeit, stets wie Johannes
Lehrend das große Gebot: »Liebt, Kindelein, liebt euch einander!«,
Nicht durch eitelen Zank um Geheimniß oder um Satzung
Nahen wir Gott; nur Liebe, des Endlosliebenden Ausfluß,
Schafft uns Vertraun und Glauben zum Heil des gesendeten Helfers,
Der sein Wort mit dem Tode versiegelte. Religion sei
Uns zum Gedeihn, und nicht unthätiger Religion wir!
Solches aus Schrift und Vernunft einpredigend, selber ein Beispiel
Leucht' er zu irdischem Wohl und himmlischem! – Nun, was ich sagen
Wollte: das Pfarrhaus, schreibt er, ist hübsch und bequem für die Hausfrau;
Auch für den grübelnden Mann ein sonniges Stübchen mit Aussicht;
Fehllos Scheuer und Stall', auch Vieh und Ackergeräthschaft,
Wie wir's Alles gehofft von des Landbau's kundigem Vorfahr:
Aber die Gärten in Wust und Verwilderung, Blum' und Gemüs' arm,
Quecke genug, unedel das Obst und die Bäume verwahrlost.
O, was sind wir Menschen doch wunderlich und unerklärbar!
Nichtigem Leben allein zum Gebrauch arbeiten wir ängstlich,
Selbst wir Weisen der Welt; der Erwerb ist Blume der Weisheit!
Als ob vom Brote der Mensch und nicht vom Geiste der Gottheit
Lebete! Dennoch sind im Erwerb' auch Wenige sinnreich.
Was nicht stracks dem Gebrauch einträgt, das verachten wir sorglos,
Nicht Ameisen einmal im Voraussehn! Leicht ja gepflanzet,
Sproßt er und blühet empor, der dankbar schmeichelnde Zögling,
Und wird Baum, der die Aeste mit reifendem Nektar umherträgt.
Sohn, aus dem Garten erwuchs manch' saubres Geräth in die Wirtschaft
Und manch' theueres Buch, der Ertrag des veredelten Obstes,
Welches sich, frisch und gedörrt, abholt Seefahrer und Städter;
Dazu feinere Pflaumen und Pfirsiche sammt Aprikosen;
Dazu Pflänzlinge noch und frühere Schoten und Spargel,
Mancherlei Beer' und Melon', auch Kohl und edle Kartoffeln.
Was? Und den baaren Gewinn, wie erhöht ihn die Freude, durch Vorgang
Rings zum erwerbsamen Fleiße die Nachbarschaft zu ermuntern!
Baumarm war's; nun schmücken das Dorf Fruchtgärten und Obsthain.
Sohn, ich segne Sein Haus, und schenk' Ihm den Lüder zum Brautschatz!

Freundlich klopft' ihm die Wang' und sprach die verständige Hausfrau:
Vater, du kommst auch sogleich mit der Wirtschaft! War es die Nacht kalt,
Armer Sohn? Wie verdrießlich das Amt schon drücket den Neuling!
Würd' ist mit Bürde gesellt; wer ein Amt hat, warte des Amtes.
Aber bei Nacht fünf Meilen durch Thau und kältende Nebel
Gehn zum Besuche der Braut, wie gewissenhaft! Wenn ja die Nachbarn
Hinderniß oder Geschäft vorwendeten, konnte der Küster
Doch zur Noth die Gemein' aus dem redlichen Brückner erbauen!
Trinkt mein Sohn auch ein Gläschen für's Nüchterne? Oder nur Kaffee?

Ihr antwortete drauf der edle, bescheidene Walter:
Kaffee nur, liebe Mama. Bei dem glimmenden Pfeifchen am Kaffee
Schwatzen wir über die Pfarr' und die fruchtbaren Gärten mit Weisheit,
Und der Papa (o wie festlich die Bräutigamsmütze sich ausnimmt!)
Schenkt dem gelehrigen Sohne noch mehr Rathschläge zum Brautschatz.
Nicht auch das mindeste Leid hat Thau und kältender Nebel
Meinem Gewissen gethan. Anmuthiger als in der Tagsgluth
Fährt man heitere Nächte hindurch. Schwül nach dem Gewitter
Ruhte die Luft; rings lockte die Nachtigall aus den Gebüschen;
Während der Mond blutroth zum duftigen Rande hinabglitt,
Und vor dem Wetterleuchten die Pferd' oft stutzten am Wagen.
Nur da die goldene Früh' aufdämmerte, weht' es empfindlich
Ueber den See, bis die Sonn', in lieblichem Glanze sich hebend,
Grünau's Dächer beschien, den spitzigen Thurm und das Pfarrhaus
Mit aufsteigendem Rauch, und vorn auf dem Giebel das Storchnest.
Langsam karrt' indessen der unbarmherzige Schwager
Durch den Kies; denn ein wenig zu stark aus dem Glase vernüchtert,
Da Freigebigkeit ihn nicht hurtiger machte, nur durstig,
Nickt' er das Haupt rastlos; und zuletzt noch tränkt' er am Ufer
Sein unwillig Gespann bei gepfiffenem Triller in Eins weg.
Auch der sinnige Schäfer, der dort die gehürdeten Schafe
Weidete, kroch nun erwacht aus bretternem Hüttchen auf Rädern;
Und wie dem belfernden Fix er nachsah, über die Augen
Deckend die Hand, laut rief er und jagete scheltend den Hund weg:
Gott zum Gruß, Herr Walter! Wie geht's? Willkommen in Grünau!
Rief's, da er über die Brach' anrennete, drückte die Hand mir
Kraftvoll, fragete viel und freute sich, minder geschlank mich
Wiederzusehn, und erzählte von Frau und Schafen und Kindern,
Auch von der neulichen Ostermusik, wo ich leider gefehlet,
Um auch das Meine zu thun bei dem rasch abrollenden Presto.
Kaum ging weiter der Zug, da begegnete singend der Jäger,
Stutzt' und begann auflachend: Aha! Der listige Waidmann,
Der uns das niedliche Reh wegbirscht, die behende Luise!
Ganz im Vertraun! Wir sandten ein schön Rehziemer dem Pastor,
Das sich herübergewagt von der Zucht des eutinischen Landes,
Zart und feist, des Galans Ankunft zu verherrlichen würdig!
Fern dann grüßte der Fischer vom Bach, und zeigt' aus dem Kahne
Einen gewaltigen Aal, der blank an der Sonne sich umwand,
Und den erhobenen Hamen, belebt von Schuppengewimmel.
Nahe dem Dorf itzt hemmten die Fahrt ausziehende Pflüger,
Otto Rahn mit dem klugen Gesicht, und der jüngere Geldo,
Haltend zu Gruß und Gespräch. Doch schnell auf dem rasselnden Steindamm
Flog ich vorbei und enteilt', abspringend am Krug, um den Kirchhof.
Hier ein türkisches Rohr und ächter Virginiaknaster,
Lieber Papa, der wie Balsam emporwallt, eben so ächt wol,
Als den Raphael schenkte, der israelitische Hausfreund,
Der, wenn er Waar' umbietet im Land', hier immer die Predigt
Unter dem Chor anhört. O, schauen Sie, Vater, das Rohr ist
Rosenholz, und der Kopf aus Siegelerde von Lemnos.

Jener sprach's; und der Vater bewunderte, freudig empfangend,
Wie so lang und gerade der Schoß des Rosengebüsches,
Blank von bräunlichem Lack, aufstieg mit der Mündung des Bernsteins.
Laut nun redetest du, ehrwürdiger Pfarrer von Grünau:

Welch ein Rohr! O gewiß aus der Mondstadt Konstantinopel
Mitgebracht von dem Freunde, dem Hauskapellan der Gesandtschaft,
Welcher im Bernstein auch das ambrosiaduftende Tröpflein
Rosenöls für die Braut ihm verehrete, das ungehemmt ihr
Anfüllt Schrank und Gemach mit ätherischem Geiste des Balsams!
Welch unermeßlicher Schoß! Bei Muhamet! Ueber den Scheitel
Raget er, gleich wie erwachsen im Rosenhaine der Huri,
Wo, am springenden Quell anmuthiger Rasen gelagert,
Voll paradiesischer Wonn' ausruht der geläuterte Moslem.
Aber im Ernst, mein Sohn! Zu der Pfeif' Anzündung bedarf es
Einer Cirkasserin wol; und Er raubet mir meine Luise,
Grausamer! Raubt mir Luise, des Einsamen flinke Gesellin!
Nun, laß fahren dahin! Mit dem Rohr im gepolsterten Lehnstuhl
Saug' ich gedehnt mir der Sorge Vergessenheit, stolz wie ein Mufti
Und der Vezier im Kaftan auf damaszenischem Sopha!
Rasch den Virginiaknaster geprüft, ob des Rohres er werth sei,
Ob an Geruch zu vergleichen dem würzigen Maracaibo,
Wie mein Raphael seinen benamt. Weib, rufe Susanna,
Daß sie den Trank der Levant' einbringt und den brennenden Wachsstock!
Dann aus dem Schlafe geweckt die Cirkasserin! Während sie mein ist,
Soll sie meiner Geschäfte sich fleißigen, meine Vasallin
Neben dem Pult, in der Bibliothek, in dem labenden Keller,
Nun auch am dampfenden Rohr! Nicht wittere solches der Probst mir,
Daß die Lippen entweiht an dem türkischen Gräuel ein Pfarrer!

Ihm antwortete drauf der edle, bescheidene Jüngling:
Recht so, wackerer Vater! Die Tugenden, welche das Mägdlein
Streng' ausüben gelernt, soll nie sie verlernen in Seldorf,
Neben dem Pult, in der Bibliothek, in dem labenden Keller;
Daß bei Wechselbesuchen in Seldorf oder in Grünau
Stets dem Papa sie geschickt aufwart' als treue Vasallin.
Mütterchen, ob der Luis' auch wohl ist? Frühe ja pflegt sie
Aufzustehn, und während herum wirtschaftet die Mutter,
Emsig den lieben Papa mit Tabak zu bedienen und Kaffee.

Lächelnd erwiderte drauf die gute, verständige Hausfrau:
Faul, mein Sohn, ist die Dirne! Zuerst argwöhnte der Vater,
Und nun glaub' ich es selber: sie steckt noch tief in den Federn.

Sprach's und eilte hinaus und rief der treuen Susanna,
Die an dem Brunnenschwengel den tröpfelnden Eimer heraufzog:

Hole die silberne Kann' und spute dich, liebe Susanna,
Daß du den Kaffee geklärt einbringst und den brennenden Wachsstock.
Nicht zu schwach, wie gesagt! Der levantische haßt die Verdünnung.
Setze die Kann' auf Kohlen mit Vorsicht, wenn du ihn trichterst.
Flugs dann stich mir im Garten die neugeschossenen Spargel,
Die nach dem fruchtbaren Regen die Wärm' als Pilze hervorlockt,
Schneid' auch jungen Spinat; wir nöthigen, denk' ich, die Herrschaft.
Käme nur Hedewig bald von den Milchküh'n, ohne zu plaudern,
Daß sie sogleich vom Fischer die Krollhecht' und die Karauschen
Abholt', oder wenn sonst was Leckeres lief in den Fangkorb,
Dann mir die Laub' an dem Bach ausharkt' und mit trockenem Grande
Streuete, doch vor Allem den Gang! Leicht ordnet die Mahlzeit
Heute Papa dorthin, wo der Quell von gelegeten Steinen
Rauscht in den Bach, wie Hans, der verschlagene Grübler, es angab.
Dort insgeheim zu sinnen auf Predigten, oder zu schlummern,
Lockt der trauliche Winkel den Herrn; auch die Nachtigall liebt ihn.
Prächtig blüht da nunmehr die Kastanie, prächtig der Schneeball,
Cytisus auch und Spring'; und jugendlich glänzt dem gekrümmten
Erlengange das Laub, das, gefrischt vom Regen, gewiß heut
Kräftiger riecht. Nicht wahr, was schmunzelte meine Susanna?

Drauf im Hereingehn sagte mit leiserer Stimme Susanna:
Frau, Sie verrathe mich nicht! Der aussieht, als ob er niemals
Einem das Wasser getrübt, der Hans hat's hinter den Ohren!
Als ich das bleichende Garn einholete, kurz nach dem Thorschluß,
Das ich vergessen am Bach auf dem Grasplan, hört' ich es pickern
Oben am Quell, ganz leise, wie wenn mir ferne die Hausuhr
Pickerte, oder bei Nacht im Gebälk ein emsiger Wandschmied
Hämmerte, Todtenuhr in der graulichen Sage der Einfalt.
Flink ich hinan in der Stille. Da spukte mein Hänschen im Mondschein
Unter dem träufelnden Laube, wodurch hell flammte die Leuchtung,
Gleich dem geschäftigen Hauskobold, der nächtlicher Arbeit
Froh ist, wie Großmütter die Enkelchen lehren im Zwielicht.
Ständer, gesenkt in die Erd', und fugende Balken darüber,
Seh' ich, und Latten daran mit umwundenem Hammer genagelt.
Hans, nachtwandelnder Schalk, was kramest du? frag' ich. Die Nacht ist
Niemands Freund, als wer im Berufe geht! Jetzo erkenn' ich,
Was du die Abende triebst, wenn du wegschlichst, unter dem Vorwand,
Wagen und Pflug zu ergänzen, du Listiger! – Still! ist die Antwort,
Heimliche Freude dem Herrn, vor Wind und Regen ein Schirmdach,
Wann er studirt und wann er den Bräutigam festlich bewirthet
Hier im Nachtigallbusch, an des fallenden Bornes Geplätscher.
Kommen sie morgen daher zur Mahlzeit oder zum Kaffee,
Dann wird gestaunt und gefragt, dann lausch' ich hinter Gesträuch wo. –
Hans, was zu thun recht ist, thu' öffentlich – heißt's in der Predigt –
Und nie scheue das Licht. Zum Lohn sonst hörest du: Das hat
Wieder der Bube gethan! – Ei nun! antwortet' er, wenn auch!
Frühe besah ich das Werk: ein niedlicher Schoppen mit Halmdach,
Wänd' und Bänke mit Moos' und trockenem Schilfe gepolstert;
Auch, von birkener Rinde bedeckt, ein reinliches Tischlein,
Und zwei Bord' an den Seiten, für wenige Bücher und Schreibzeug,
Alles so heimlich und nett, wie es wol Einsiedler gewohnt sind.
Reinen Mund! denn, Mama, ich versprach Stillschweigen dem Thäter!

Also die Magd; und in froher Verwunderung sagte die Mutter:
Hänschen, du hast viel Schinken im Salz; doch üben wir Langmuth.
Art läßt nimmer von Art. Wann schattete grade der Krummstab?
Schweige denn, liebe Susanna, bis selbst urtheile der Vater,
Ob für die Streich' er solle gezüchtiget oder belohnt sein.
Sinnreich schützen wir jetzo den Ort, und, ohne zu fragen,
Decken wir ferne vom Bach im luftigen Schatten des Birnbaums,
Wo durch Blüthengewölbe die blumigen Gänge sich schlängeln.
Wann wir gespeist, dann lad' ich zum fallenden Born die Gesellschaft,
Daß wie bezaubert sie stehn vor der plötzlichen Wundererscheinung.
Tummle dich nun, und bereite dem helligen Gaste das Frühstück!
Heda, wie rennend der Hahn vom gestapelten Holz mit den Weibern
Futter ertrotzt, und die Enten vom Pfuhl, und die Glucke mit Küchlein!
Täubchen, auch ihr? und du Schelm vom Sperlinge? Bin ich für euch da?
Etwas Geduld! Gleich bring' ich ja Hafer und Klei' in der Wanne!
Aber was schimmerte da so geschwind' an dem Zaune vorüber?
Schon ein Besuch? Ja wahrlich! Amalia kommt mit dem Kleinen!

Sprach's, und zur Pforte des Hofes enteilte sie; unter dem Schauer
Hüpfte Packan frohknurrend hervor, und sie wehrte dem Schmeicheln.
Also rief sie entgegen, die gute, verständige Hausfrau:

Kinder, so früh an die Luft, da bethaut noch blinkt der Hollunder?
Und in so dünnem Gewand', Amalia? Frisch in Gefahr gehn
Müssen wir! Traun, wir Mädchen von achtzehn sind unverwüstbar
Heutiges Tags, bis Erfahrung uns witziget! Nun denn, du Leichtsinn,
Dennoch sei willkommen. O, denken Sie, meine Luise
Schläft noch fest wie ein Dachs, und der Bräutigam ist bei dem Vater!
Treten Sie ein; ich wecke. Wie wird sich das Töchterchen schämen!

Also Mama; da klopft' in die Händ' Amalia lachend.
Aber sie dämpfte die Stimm' und redete fröhliches Muthes:

Ach, unschuldiges Ding! Schlaflos an den Bräutigam denkend
Lagst du; da schwand der Gedank' in des lieblichen Traumes Betäubung,
Unter den Brautmelodieen der Nachtigall! Roth von Gesundheit,
Gleich dem Säugling' am Busen, den sanft einlullte die Mutter,
Ruhst du, die Glieder gedehnt, Süßathmende! Mütterchen, laß mich!
Leise mit Kuß und Gelispel erweck' ich sie, und wenn sie aufstarrt:
Schmücke dich, spott' ich, mein Kind! Dein Bräutigam harret mit Inbrunst!

Ihr mit drohendem Wink antwortete also die Mutter:
Wo mir Amalia wagt, mein armes Kind zu verspotten,
Das wol lang' unruhig gewacht und ein Weniges nach schläft!
Sorgsam, gleich wie die Mutter vom Säuglinge wehret die Fliege,
Wehr' ich von meiner Luis' die Spötterin! Naht sie, so klapp' ich!
Muß nicht heute die Braut klaräugig den Bräutigam ansehn?
Flink zu der Stube hinein, und gegrüßt in artiger Demuth
Unseren gar blutjungen, noch kaum ehrwürdigen Pfarrer!
Denn ihm gilt der Besuch doch eigentlich. Nicht zu geschäftig
Liebgekost um den Walter (ich red' im Ernste, mein Mädchen),
Daß sich die Braut an der Freundin nicht ärgere, so wie ich selbst oft
Aergerniß fühlt' und Verdruß, wenn du, schmeichelnde Hexe, das Herz mir
Meines bethörten Gemahls abwendetest! Seid ihr vernünftig,
Kinder, so kommt arglos auf ein Stück Rehbraten zu Mittag,
Und auf ein freundlich Gesicht. Mit eigenem Fette beträufelt,
Sollt ihr bei uns hoch leben! Ich werd' auch die gnädige Gräfin
Nöthigen, daß sie einmal hier find' hochgräfliche Tafel.
Dann mir gelacht aus dem Herzen, wie Landvolk! Dann mir geplaudert!
Sei's in der Laub' am Bach, sei's unter dem blühenden Birnbaum,
Der beim leisesten Wind' uns weiß die Schüssel beregnet.
Aber, in aller Welt, was tragen Sie unter dem schwarzen
Mäntelchen? Fast wie den Täufling die schmucke Gevatterin vorträgt!

Und die gepriesene Gräfin Amalia sagte dagegen:
Eya, wüßten Sie das, mein Mütterchen; gerne vielleicht wol
Würde die Lust mir gegönnt, die Luis' aus dem Bette zu holen.
Einen Talar voll Würde, zur Festsamarie, bring' ich,
Schön, von gewässertem Taft, mit eigenen Händen genähet;
Zwölf Halstücher und Hemd' und zwölf brabantische Beffchen.
Wie dies Wundergebäu der Samarie glückte mir Laiin?
Allem zu rathen verstehn Jungfraun, gleich älteren Hausfraun!
Heimlich stahl mir Luise das Vorbild aus dem Gewandschrank
Ihres Papa's, wie Rahel die häuslichen Götter des Laban;
Hiernach formt' ich den Taft und schneiderte, oft in Gesellschaft
Meiner Luis', andächtig, mit unzähmbarem Gelächter.
Wenn wir das Festmahl heut' in der Bachlaub' oder des Birnbaums
Blüthengewölb' als Gäst' ihm verherrlichen, soll der Beding sein,
Daß er den Schmuck anleg', um recht amtsmäßig und ehrbar
Auszusehn. Nur Schad' um die fehlende Priesterperrücke
Und das gekräuselte Rad! Gar lächerlich schreitet ein Neuling
Unter dem langen Gewand und hebt den hindernden Saum auf.

Also sprach mutwillig Amalia; leichteres Gangs dann
Flog sie hinein zu der Stube, wo schon mit dem Greise der Jüngling
Manche Gespräche einging in Gelehrsamkeit und von der Zeitung,
Aber zumeist, wie besser zu Frömmigkeit leite das Lehramt.
Leis' entschloß sie die Thür', und wie abgewendet sie standen,
Sprang sie hinan, die bestürzt Umschauenden freudig begrüßend.
Und da die herzliche Freundin den Gast als Pfarrer bewillkommt,
Reichte sie dar das Gepäck dem Staunenden, welcher beschämt ihr
Dank aussprach, und erklärt' ernsthaft das umhüllte Geheimniß,
Mit des Papa's Beifall ankündigend, was ihm bevorstand.

Stracks auch prangte daher in reinlichem Schmucke die Köchin,
Welche den Trank der Levant' eintrug und den brennenden Wachsstock,
Aber für Karl Zwieback und schäumende Milch in dem Näpflein.
Traulich nickt' und begann die gefällige, treue Susanna:

Mir willkommen noch eins! Viel Glücks, Herr Pfarrer von Seldorf!
Burr! Ging's eben vorbei zu dem Jüngferchen! Aber geruhig
Schläft mein Jüngferchen noch. Nun will die Mama sie ermuntern.

Also die Magd; ihr dankt' er und bot den versöhnenden Handschlag,
Deß die Befriedigte lacht', und enteilete. Aber die Andern
Setzten sich wohlgemuth um den feierlich blinkenden Theetisch,
Beide sie neben Papa, er selbst in den bauschenden Lehnstuhl;
Karl dann stellte sich nahe dem lang' ersehneten Walter.
Jetzo begann zu dem Vater Amalia, töchterlich kosend:

Lieber Papa, wie so festlich die Bräutigamsmütze sich ausnimmt!
Und das unendliche Rohr! Ein Geschenk unfehlbar des Eidams!
Darf ich die Kerz' anneigen? O, süß wie arabischer Weihrauch
Duftet es; und dem Papa, wie dem Herrscher im Donnergewölk Zeus,
Lacht die heiter Stirn' aus den Wirbelchen! Mög' ich in Demuth
Würdige Schenkerin sein und Hörerin! Doch unumwölkt dort
Schmachte der Bräutigam noch und lausche, wann oben Geräusch sei.

Sprach's, einschenkend in Meißner Geschirr, und lächelt seitwärts.
Doch der verlobete Jüngling erwiederte, schnell sich ermannend:

Schmachten? Ich bin ganz ruhig, Amalia! Nur die Umwölkung
Spar' ich, bis auch kein Lüftchen die gaukelnden Wirbel gefährdet.
Schmerzhaft ist es, die Pfeif' im behaglichen Brande zu legen,
Gleich als wenn ein Mädchen gestört wird mitten im Plaudern.

Drauf antwortetest du, ehrwürdiger Pfarrer von Grünau:
Sag' Er: wie wenn ein Gespräch abbricht redseligen Greisen,
Oder wie mir, der ich reife zum mürrischen Lober des Vormals.
Traun, wohl hätte die Glock' in dem Schwung noch lange geläutet;
So nestorische Wort' umschwebeten Lippen und Herz mir!
Eben hinzuthun wollt' ich: Ein ländlicher Pfarrer verbauert,
Haftet am Kloß und vergeht in Nichtigkeit oder Erwerbssucht,
Wenn nicht griechischer Geist ihn emporhebt aus der Entartung
Neueres Barbarthums, wo Verdienst ist käuflich und erblich,
Zur altedelen Würde der Menschlichkeit: Geist des Homeros,
Welchen das Kind anhöret mit Lust, und der Alte mit Andacht,
Pindaros' Schwung aus dem Staub' und Platon's göttlicher Fittig
Und hochherziger Sinn unsterblicher Todesverächter,
Sinn für gleiches Gesetz, Freiheit und großes Gemeinwohl.
Solch ein Geisterbesuch in der Einsamkeit hellt das Verständniß,
Wärmet das Herz und weiht zur Enträthselung hoher Orakel,
Daß buchstäblicher Nebel zerfließt und erscheinet die Gottheit.
Was der geläuterte Mensch in Entzückungen heiliges Tiefsinns
Sein unwürdig erkennt, o wie weit unwürdiger Gottes,
Dem der gesammten Naturen ätherische Blüthe vereinigt,
Ist, was der Sonn' ein Strahl, was Oceansfluthen ein Tröpflein.
Weg denn, niedriger Wahn, durch Tön' unverständlicher Formeln
Und durch Tempelgebräuch' und Satzungen werde gedient ihm,
Wie vom höfischen Trupp Aufwartender, denen er dankbar
Ohn' ihr Thun anrechne der Seligkeit würdige Tugend!
Weg unmännliche Klag' um den Göttlichen, der, wie die Sünder,
Als Unsündiger starb! Wer weint' um des Sokrates Giftkelch?
Wer um die Flamm', aus welcher, ein Gott, aufstrahlte Herakles?
Soll an erhabenem Sinne der Heid' uns nehmen den Vorrang?
Weg ihr Martergebilde der Kreuzigung! Er, den des Todes
Bittere Schmach nicht beugte, der Held mit dem Siegespanier, schwebt'
Freudig empor, daß wir selber aus Staub nachstreben zum Aether!
Hebe den Glauben das Bild des tätigen Helden zur Thatkraft!
Nicht wie die Schriftlinge, nein! So predigte jener gewaltig:
»Was du willst, daß man thue dir selbst, das thue du Andern;
»Das ist Gottes Gesetz! Nur die Frucht zeigt Güte des Baumes!
»Nichts wer: O Herr! ausruft, wird beseliget, sondern wer recht thut!«
Also mit Licht und Wärme gelehrt, in des rüstigen Lebens
Kraftwort! Dann dringt Kraft in das Herz; dann füllen den Tempel
Andacht, Trost und Entschluß und jubelnde Stimmen des Dankes;
Ob den Gebrauch die Agend' anordnete, oder wir selber
Nach dem Bedarf, vorsichtig dem Heiligen Schönes vermählend:
Als an dem Pfingsttag' hier des Frühlinges blumige Feier,
Als nach der Ernte das Fest, wann blank am Altars der Kranz hängt,
Als bei dem Laubabfalle der ruhenden Freunde Gedächtniß;
Oder wodurch zu erbauen die Meinigen ich für erlaubt hielt.
Wer viel fragt, der bekommt viel Antwort, kluge mitunter.

Ihm antwortete drauf der edle, bescheidene Walter:
Ja, wer Heilsames will mit Festigkeit, ohne zu stürmen,
Der führt aus; gern bietet die Hand gutartige Herrschaft.
Denn je klüger ein Volk, je thätiger Fleiß und Gehorsam.
Auch mein junger Baron, gleich unserer gnädigen Gräfin,
Will klaräugigen Muth um sich her, nicht dumpfe Verstocktheit,
Wie sie vergälleter Sinn mißhandelter Fröhnlinge brütet.
Schon ist dem Dorfanwachse bestellt ein verständiger Lehrer,
Welcher zugleich Baumzucht und, Väterchen, edle Musik lehrt.
Künftig schallen auch dort vielstimmige Chör' um die Orgel,
Bald dem Altar antwortend und bald der Gemeind' und der Predigt.

Also redete Beid' in traulicher Herzensergießung
Um den geselligen Tisch, bis Mama herbrächte die Tochter
Doch stets horchte der Jüngling in süß aufwallender Sehnsucht.

Aber Mama, nachdem sie Amalia führt' in die Stube,
Stieg die Treppe hinauf und wandelte leis' in die Kammer,
Wo ihr muthiges Kind noch schlummerte. Näher hinan nun,

Sacht auf den Zehn sich wiegend, damit nicht knarrte der Boden,
Trat sie und schaut' im Bette die rosenwangige Tochter,
Welche sich über der Deck' in völligem Schmucke gelagert,
Weiß, wie den vorigen Tag, im röthenden Glanz der Gardine.
Jetzo, wo sanft ihr Kind aufathmete, stand sie betrachtend,
Neigte sich, küßte die Wang' und begann mit leisem Geflüster:

Was, unartiges Kind, Langschläferin! Träumst du noch jetzo,
Daß die Wangen dir glühn? Und sogar in völligem Anzug
Ruhest du? Allzu bequem! Hoch stehet die Sonn' an dem Himmel;
Längst auch zirpte die Schwalb', und der Sauhirt tutet im Dorf um;
Kinderchen, glaub' ich sogar, mit dem Frühstück gehn in die Schule.
Mädchen, heraus! Und die Hände gestreckt nach Rocken und Spinnrad,
Fleißig gestrickt und Hemden beschleuniget gegen die Hochzeit!
Oder, behagt dir's mehr, die entfalteten Blumen gemustert;
Auch ob die Sinaros' am Morgenstrahle sich aufschloß,
Welche geheim du erzogst, dem Papa zu prangen am Fenster!
Binde den thauigen Strauß und leg' ihn behend in den Alkov,
Daß dein Vater sich freu' und wundere, wann er erwachet,
Dann nach der Thäterin frag' und wie artig du seist dir erzähle.
Dein Perlhühnchen bereits, das verzärtelte, hat so gegakelt,
Daß unwillig der Hahn einsprach mit eifrigem Strafton.
Hurtig, und suche das Ei, eh' dir's abhole der Iltis.
Aber du schläfst mir, Dirne, bei duftenden Blumen im Zimmer!
Was hilft all mein Singen und Predigen? Schädlich ja, weißt du,
Sind sie dem Haupt, am Meisten Tazett' und Muskathyacinthe.
Uebrigens Alles geputzt, als sollt' hier heute Besuch sein!

Also Mama; schnell fuhr aus dumpfigem Schlafe die Jungfrau,
Blickte verstört ringsum und seufzete tief aus dem Herzen.
Jetzo die glühende Wang' dem Arm aufstützend, begann sie:

Bist du's, traute Mama? O wie kam das? Hat denn der böse
Blumenduft mich betäubt? Ein Strauß am offenen Fenster,
Meint' ich, schadete nicht; und es sind fast lauter Aurikeln
Und nur Eine Tazett' und Eine Muskathyacinthe.
Drum nicht zanken, Mama! Mein Väterchen sagte mir oftmals:
Blumen im Haar und am Busen ein Strauß sind Zierde der Jungfraun.
Ganz unerträgliche Schwüle, so sehr ich die Kammer gelüftet,
Störte den Schlaf, und (darf ich gestern?) des Besuches Erwartung.
Als mir weder den Geist langweiliges Zählen gesänftigt,
Noch die Erinnerung alter Musik, und der heisere Wächter:
Ein ist die Glock'! ausrief; mit Verdruß nun sprang ich vom Bett auf,
Kleidete mich und sahe die funkelnden Stern' aus dem Fenster,
Vom anhauchenden Winde gekühlt, und die Gegend im Mondschein,
Wo der Nachtigall Lied rastlos wetteiferte ringsum
Und der Gesang auf der Bleich' und die einsame Flöte des Schäfers;
Sah umblühete Häuser im Dorf und des plätschernden Baches
Helle Fluth und am Himmel der Wetterleuchtungen Schlängeln.
Endlich nahte der Schlaf, und niedergelegt in den Kleidern,
Schlummert' ich ein allmählich und hört' im Traume noch immer
Nachtigallengesang und der wehenden Linde Gesäusel.
Wunderlich spielte der Traum um die Seele mir. Ueber das Feld hin
Schwebt' ich und über den See wie mit gleitendem Stahl auf der Eisbahn;
Jeder geschwungene Schritt war Wohlklang, und um die Fersen,
Wie von elektrischem Glas', entknisterten rosige Flämmlein.
Nahe dem See rief Walter und flehte mir, niederzusteigen.
Aber so wenig der Kork dem senkenden Finger gehorchet,
Wann im Wassergefäß ein spielendes Kind ihn hinabtaucht,
Sein, des Ereiferten, lächelt die Wärterin – eben so wenig
Konnt' ich hinab mich tauchen; da lacht' und höhnete Walter.
Plötzlich erklang im Gewölk ein silbertöniges Posthorn;
Als ob Oberon käme, das Horn der Bezauberung blasend;
Sieh, und ein Wagen wie Gold mit feurigen Rossen bespannet,
Nahete, Walter entsprang und flugs in seiner Umarmung
War mir, als schwänd' ich dahin seellos! – O du beste der Mütter,
Sage mir, ob an dem Walde Georg schon blasen gehöret!
Lag ich zu tief mit dem Haupte? Mir schlägt das Herz so gewaltig!

Lächelnd erwiederte drauf die gute, verständige Hausfrau:
Schlägt dir das liebe Herz, mein Töchterchen? Aber warum auch
Träumt dein stürmisches Herz so wunderlich? Klas hat die Zeitung
Eben gebracht. Sie erzählt von Amerika und von Gibraltar,
Auch von dem Parlament und der Reise des heiligen Vaters.
Eiferig liest der Papa und vergaß, sich die Pfeife zu stopfen.
Dennoch fragt' er dazwischen: Wo bleibt mein Töchterchen? schläft sie?
Nein, das wäre zu arg! Geh', rufe sie, daß mir gefertigt
Werde die Pfeif' und im Dampf anmuthiger schmecke die Zeitung!
Ich, die Vertheidigerin, muß geh'n und stehe beschämt hier.
Auch ist unten ein Brief an die Jungfrau Anna Luise,
Walter's Hand, wie ich glaube; doch geb' ich's nicht für Gewißheit.

Also Mama; da küßte die Hand ihr zärtlich die Tochter,
Und mit schmeichelnder Stimme begann die rosige Jungfrau:

O du Vertheidigerin, du spottest ja selber der Unschuld!
Wirklich ein Brief? Du lächelst. O Mütterchen, sei nicht grausam!
Denke, was soll ich doch mit Amerika oder Gibraltar
Oder dem Parlament und der Reise des heiligen Vaters?
Du auch warest ja Braut! Bei der Ehrlichkeit deines Gesichtes!
Sag' aufrichtig mir an, mein Mütterchen! Ist er schon unten?

Ihr antwortete drauf die gute, verständige Hausfrau:
Tochter, ich will dir's sagen, auf Ehrlichkeit. Eben besucht' uns
Einer im Reisegewand und bracht' ein türkisches Rohr mit,
Wol so hoch von der Erd', in levantischen Hainen erwachsnes
Rosenholz, und den Kopf aus Siegelerde von Lemnos,
Unserm Vater zur Lust: ein wohlgearteter Jüngling,
Groß und ganz untadlig an Wuchs, mit bescheidenem Anstand,
Der wie andere Menschen und gar nicht priesterlich aussieht.
Dieser erkundigte sich, wie Gebrauch ist, nach der Gesundheit
Unserer lieben Mamsell; auch Amalia, welche hereintrat,
Grüßt' er, wie lange bekannt. Komm' selber, mein Kind, und betracht' ihn.

Also Mama; und im Taumel entsprang dem Lager die Jungfrau,
Schmiegte die Arm' ihr fest um den Hals und mit feurigen Küssen
Unterbrach sie die Wort', im Laut der Begeisterung rufend:

Mütterchen, freue dich doch! Du sollst auch die beste Mama sein!
Sollst auch die Braut aufputzen und tanzen auf unserer Hochzeit!
Sollst auch selber noch Braut, und Bräutigam werden der Vater,
O du goldene Mutter, auf euerer goldenen Hochzeit!
Hurtig hinab, ihn zu sehen, den wohlgearteten Jüngling l

Ihr antwortete drauf die gute, verständige Hausfrau:
Mädchen, du bist wahnsinnig! Zum Bräutigam gehet man ehrbar,
So war's Sitte vordem, mit niedergeschlagenen Augen,
Schritt vor Schritt nach der Tabulatur althöflicher Demuth,
Leis' antwortend dem Gruß, in Züchtigkeit halb sich verneigend.
Schwärmerin, willst du auf Socken hinabgeh'n? Ziehe die Schuh' an!
Und wie das Halstuch hängt! Ei, schäme dich, garstige Dirne!

Also schalt die Mama, und das Töchterchen, lieblich erröthend,
Ordnete schnell die Umhüllung des schön aufwallenden Busens,
Ihres entflogenen Haars achtlos und des lieblichen Sträußleins;
Schnallte sich dann, oft fehlend mit zitternden Händen, die Schuhe
Fest um die zierlichen Füß' und enteilete. Nicht unbelauschet
Blieb ihr hastiger Gang, und Amalia fiel in die Red' ein:

Hurtig! Sie kommt! Was säumet der Braut zu begegnen ihr Jüngling?
Sprach's und hüpfte voran Doch die Braut voll stürmischer Sehnsucht
Wankte die Stufen hinab und die Treppenthüre sich öffnend
Kreischte sie auf; denn begrüßt von der harrenden Freundin Gelächter
Sank sie, ach! in die Arme des überseligen Jünglings.


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