François Marie Arouet de Voltaire
Erzählungen
François Marie Arouet de Voltaire

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Geschichte der Reisen Scarmentados

von ihm selbst verfaßt

1747

Ich bin im Jahre 1600 in der Stadt Kandia geboren. Mein Vater war daselbst Statthalter, und ich entsinne mich, daß ein mittelmäßiger Dichter namens Iro, der ein gar großer Tölpel war, schlechte Verse zu meinem Lobe machte, in denen er meine Abstammung in gerader Linie von Minos herleitete. Nachdem mein Vater jedoch in Ungnade gefallen war, machte er andere, in denen ich nur noch von Pasiphaë und ihrem Liebhaber abstammte. Er war wirklich ein recht boshafter Mensch, dieser Iro, und der langweiligste Halunke auf der ganzen Insel.

Im Alter von fünfzehn Jahren schickte mich mein Vater zum Studium nach Rom. Ich reiste in der Hoffnung hin, dort nun alle Wahrheiten zu lernen, denn bis dahin hatte man mich genau das Gegenteil gelehrt, wie es Brauch ist in dieser Welt hienieden von China bis zu den Alpen. Monsignore Profondo, dem ich anbefohlen, war ein seltsamer Mann und einer der schrecklichsten Gelehrten, die es auf der Welt gab. Er wollte mir die Kategorien des Aristoteles beibringen und war auf dem Punkte, mich in die Kategorie seiner Lustknaben aufzunehmen: ich machte mich jedoch noch mit heiler Haut auf und davon. Ich sah Prozessionen, Teufelsbeschwörungen und allerlei Diebereien mit an. Man behauptete, allerdings sehr fälschlich, Signora Olimpia, ein über die Maßen kluges Frauenzimmer, verkaufe gar vielerlei, was man nicht verkaufen soll. Ich befand mich in einem Alter, in dem mir dieses alles sehr vergnüglich erschien. Eine junge Dame äußerst sanften Gemütes, Signora Fatelo mit Namen, ließ es sich beifallen, sich in mich zu verlieben. Sie war umworben von dem hochwürdigen Pater Poignardini und dem hochwürdigen Pater Aconiti, dem Bruder eines Ordens, den es nicht mehr gibt. Sie versöhnte die beiden, indem sie mir ihre Gunst schenkte, ich aber lief zu gleicher Zeit Gefahr, in den Kirchenbann getan und vergiftet zu werden. Höchst befriedigt über den St. Peters-Bau reiste ich ab.

Ich streifte in Frankreich umher: Zurzeit herrschte Ludwig der Gerechte. Das erste, was man mich fragte, war, ob ich zu meinem Frühstück nicht ein Stückchen vom Marschall d'Ancre haben wolle? Das Volk hatte ihn rösten lassen, und er wurde nun zu äußerst billigen Preisen an alle abgegeben, die davon haben wollten.

Der französische Staat war unaufhörlich von Bürgerkriegen zerrissen, bisweilen handelte es sich dabei um einen Platz im Staatsrat, bisweilen um zwei Seiten strittiger Glaubenssätze. Seit mehr als sechzig Jahren verwüstete dieses bald verdeckte und bald heftig angefachte Feuer das schöne Land: es gehörte dies zu den Freiheiten der gallikanischen Kirche. »Ach,« rief ich aus, »und dennoch ist dieses Volk von Natur sanft geartet! Wer nur hat es dergestalt seinem ursprünglichen Wesen entfremdet? Es vergnügt sich in mutwilligen Scherzen – und es veranstaltet Bartholomäus-Nächte! Glücklich die Zeit, wann es nur noch scherzen wird!«

Ich fuhr nach England hinüber: Dieselben Streitigkeiten entfachten hier eine gleiche Wut! Fromme Katholiken hatten zum Heile der Kirche beschlossen, den König, die königliche Familie und das ganze Parlament mit Pulver in die Luft zu sprengen, und so England von diesen Ketzern zu befreien. Man zeigte mir die Stelle, wo die selige Königin Maria, die Tochter Heinrichs VIII., mehr als fünfhundert ihrer Untertanen hatte verbrennen lassen. Ein irländischer Priester versicherte mir, dies sei eine sehr gute Tat gewesen, erstens weil die Verbrannten Engländer gewesen wären und zweitens, weil sie niemals Weihwasser gebraucht und nicht an das Loch des heiligen Patrick geglaubt hätten. Vor allem bezeigte er sich verwundert darüber, daß die Königin Marie noch nicht heilig gesprochen worden war, er hoffte jedoch, daß es bald geschehen würde, sobald der Neffe Kardinal nur erst ein wenig freie Zeit hätte.

Ich ging nach Holland, wo ich unter der dickblütigen Bevölkerung etwas mehr Ruhe anzutreffen hoffte. Als ich im Haag anlangte, schlug man einem verehrungswürdigen Greise gerade den Kopf ab. Es war der kahle Kopf des ersten Ministers Barneveldt, desjenigen Mannes, der sich am meisten um die Republik verdient gemacht hatte. Von Mitleid ergriffen, fragte ich, welches sein Verbrechen gewesen und ob er Hochverrat begangen? »Er hat weit Schlimmeres getan,« antwortete mir ein schwarz bemäntelter Priester, »er gehörte zu den Menschen, welche glauben, man könne das ewige Heil ebenso durch gute Werke, wie durch den Glauben erringen! Ihr müsset zugeben, daß wenn dergleichen Ansichten um sich greifen, die Republik nicht zu bestehen vermag, und daß es strenger Gesetze bedarf, um solche ärgerlichen Greuel zu unterdrücken.« Ein tief denkender Staatsmann des Landes sprach zu mir: »Ach, mein Herr, die gute Zeit wird nicht ewig dauern, nur aus einem Zufall ist das Volk jetzt so glaubenseifrig, sein Grundcharakter neigt viel mehr der abscheulichen Lehre der Duldsamkeit zu, und eines schönen Tages wird sie ganz allgemein herrschen. Ich erbebe bei diesem Gedanken!« Hoffend, daß diese verhängnisvolle Zeit der Milde und Nachsicht in Bälde eintreten möchte, verließ ich meinerseits schleunigst dies Land, in dem die Strenge durch keinerlei Anmut gelindert wurde, und schiffte mich nach Spanien ein.

Der Hof befand sich in Sevilla, die Gallionen waren angekommen, und alles rings atmete Überfluß und Freude in der schönsten Zeit des Jahres. Am Ende einer Allee aus Orangen- und Zitronenbäumen gewahrte ich eine Art ungeheuerer Schranke, die von abgestuften, mit kostbaren Stoffen bezogenen Sitzreihen umgeben war. Der König und die Königin, die Infanten und Infantinnen saßen unter einem herrlichen Baldachin. Der erlauchten Familie gegenüber stand ein zweiter, aber höherer Thron. Ich sagte zu einem meiner Reisegefährten: »Falls jener Thron dort drüben nicht für Gott bestimmt ist, weiß ich nicht, wer ihn einnehmen soll.« Diese vorlauten Worte wurden von einem würdigen Spanier gehört und kamen mir gar teuer zu stehen. Und während ich mir noch immer einbildete, wir würden so etwas wie ein Ringstechen oder ein Stiergefecht zu sehen bekommen, erschien der Großinquisitor auf jenem Throne und segnete von dort aus den König und das Volk.

Darauf zog paarweise eine unermeßliche Schar von Mönchen vorüber, weiße, schwarze, graue, beschuhte, barfüßige, bärtige, bartlose, und solche mit spitzen Kapuzen und barhäuptige, dann kam der Henker, und dann sah man umgeben von Häschern und Würdenträgern ungefähr vierzig in Säcke gekleidete Menschen, und auf die Säcke waren Teufel und Flammen gemalt. Es waren Juden, die unter gar keinen Umständen Moses hatten abschwören wollen, Christen, die ihre Gevatterinnen geheiratet oder unsere liebe Frau von Atocha nicht angebetet oder ihr flüssiges Geld für die Hieronymiten-Brüder nicht hatten hergeben wollen. Gar frömmiglich sang man nun überaus schöne Gebete, und darauf verbrannte man alle Schuldigen auf niedrigem Feuer, wodurch die ganze königliche Familie äußerst erbaut zu werden schien.

Abends, gerade als ich mich zu Bett legen wollte, erschienen zwei Vertraute der Inquisition mit der heiligen Hermandad bei mir. Sie umarmten mich zärtlich und brachten mich, ohne mir auch nur ein einziges Wort zu sagen, in einen äußerst kühlen Kerker, in dem sich nichts wie ein Strohsack und ein schönes Kruzifix befand. Dort verblieb ich sechs Wochen, nach welcher Zeit der hochwürdige Pater Inquisitor mich bitten ließ, ich möchte mich freundlichst zu einer Unterredung bei ihm einfinden. Er schloß mich eine geraume Zeitlang mit völlig väterlicher Zärtlichkeit in seine Arme und sagte mir, wie aufrichtig es ihn betrübt, vernommen zu haben, daß ich so gar schlecht wohne, leider seien jedoch alle Zimmer seines Hauses besetzt, dafür solle ich es ein andermal, so hoffe er, weit bequemer haben. Darauf fragte er mich herzlich, ob ich wisse, weshalb ich dort sei. Ich entgegnete dem hochwürdigen Vater, daß es doch wahrscheinlich um meiner Sünden willen geschähe. »Wohlan, mein liebes Kind, für welche Sünde denn? Fasse Vertrauen zu mir und sage es.« Aber ich mochte nachdenken, so viel ich nur wollte, ich konnte es nicht erraten, da half er mir barmherzig auf die Spur.

Endlich fielen mir meine unbesonnenen Worte ein. Ich kam dafür mit einer Geißelung und einer Buße von dreitausend Realen davon. Dann mußte ich dem Großinquisitor meine Aufwartung machen, ich fand einen äußerst höflichen Mann, der mich fragte, wie mir seine kleine festliche Veranstaltung gefallen habe? Ich sagte ihm, sie sei herrlich gewesen, und dann drängte ich meine Reisegefährten dieses Land zu verlassen, so schön es auch immer sein möchte. Sie hatten inzwischen vollauf Zeit gehabt, sich von all den großen Dingen in Kenntnis zu setzen, welche die Spanier für die Religion getan; so hatten sie auch die Denkwürdigkeiten des berühmten Bischofs von Chiapa gelesen, denen zufolge man zehn Millionen Ungläubige in Amerika erwürgt, verbrannt oder ertränkt haben soll, um sie zu bekehren. Meiner Meinung nach hat der Bischof übertrieben, aber selbst, wenn man diese Opfer auf fünf Millionen herabmindert, so ist's doch noch immer etwas Bewunderungswürdiges darum.

Meine Reiselust quälte mich unausgesetzt. Ich hatte ehedem die Absicht gehegt, meine Streifereien durch Europa mit der Türkei zu beschließen, und so schlugen wir denn nach dorthin den Weg ein. Ich nahm mir fest vor, meine Ansicht über die Festlichkeiten, die wir etwa sehen sollten, nicht mehr zu äußern. »Die Türken,« sprach ich zu meinen Gefährten, »sind ungetaufte Irrgläubige und werden folglich noch viel grausamer sein als die hochwürdigen Väter der Inquisition; hüllen wir uns also bei diesen Mohammedanern in Schweigen.«

Wir gelangten zu ihnen. Aufs seltsamste war ich überrascht, in der Türkei viel mehr christliche Kirchen zu sehen, als es deren in Kandia gab, ja, ich sah sogar ganze Scharen von Mönchen, die man unbehindert zur Jungfrau Maria beten und Mohammed verfluchen ließ, und zwar taten es die einen auf griechisch und die anderen auf lateinisch und wieder andere auf armenisch. »Was für gute Menschen sind doch die Türken«, rief ich aus. Zwischen den griechischen und römischen Christen in Konstantinopel herrschte Todfeindschaft. Wie Hunde, die auf der Straße übereinander herfallen und von ihren Herren mit Stockschlägen auseinandergetrieben werden, so verfolgten sich diese Sklaven der Türken gegenseitig. Der Großvezier beschützte damals gerade die Griechen. Der griechische Patriarch beschuldigte mich, bei dem römischen Patriarchen zu Abend gegessen zu haben, und so wurde ich vor dem ganzen Diwan zu hundert Stockschlägen auf die Fußsohlen verurteilt, von welcher Strafe ich mich mit fünfhundert Zechinen loskaufen durfte. Am Tage darauf wurde der Großvezier erdrosselt, am übernächsten Tage verurteilte mich sein Nachfolger, der die Römlinge schützte und erst einen Monat später erdrosselt wurde, zu derselben Buße, weil ich bei dem griechischen Patriarchen gespeist. So sah ich mich denn in die traurige Notwendigkeit versetzt, weder die griechischen noch die römischen Kirchen zu besuchen. Um mich dafür zu trösten, mietete ich mir eine ungewöhnlich schöne Tscherkessin, die im einsamen Beieinandersein das zärtlichste und in der Moschee das frömmste Frauenzimmer von der Welt war. Mich umarmend rief sie nun eines Nachts im süßen Überschwange ihrer Liebe aus: »Allah, Illah, Allah!« Dies sind die hohen Sakramentsworte der Türken, ich jedoch hielt sie für heilige Worte der Liebe, und so flüsterte denn auch ich gar zärtlich: »Allah, Illah, Allah!« »Oh,« rief sie, »der barmherzige Gott sei gepriesen! Du bist Türke.« Ich erwiderte ihr, daß ich ihn segne, mir die Kraft dazu verliehen zu haben, und schätzte mich über die Maßen glücklich. Morgens erschien der Iman, um mich zu beschneiden, und da ich einige Schwierigkeiten machte, fragte mich der Kadi des Viertels, ob er mich pfählen lassen solle? Mit tausend Zechinen vermochte ich meine Vorhaut und meinen Hintern zu retten, und floh schnellstens nach Persien, fest entschlossen, nie wieder weder eine griechische noch eine lateinische Messe in der Türkei zu hören und vor allem niemals mehr »Allah, Illah, Allah« bei einem Stelldichein zu flüstern.

Als ich in Ispahan anlangte, fragte man mich, ob ich für den schwarzen oder für den weißen Hammel sei; ich erwiderte, dieses gelte mir völlig gleich, vorausgesetzt, daß der betreffende Hammel zartes Fleisch habe. Man muß jedoch wissen, daß die beiden Sekten des weißen und des schwarzen Hammels Persien noch heute zerspalten. So glaubte man denn, ich wolle mich über beide Parteien lustig machen, und damit hatte ich mir schon an den Toren der Stadt einen gar gefährlichen Handel auf den Hals geladen. Es kostete mir wiederum eine große Summe Zechinen, die Hammel los zu werden.

Ich drang mit einem Dolmetscher bis nach China vor, welches Land, wie er mir versicherte, das einzige war, in dem man frei und fröhlich lebte. Die Tataren hatten sich zu seinen Herren gemacht, nachdem sie alles in Blut und Feuer ertränkt, und mitten unter ihnen gaben die hochwürdigen Jesuitenväter auf der einen und die hochwürdigen Dominikanerväter auf der anderen Seite vor, insgeheim Seelen für Gott zu gewinnen, ohne daß jemand etwas davon merkte. Niemals hat es wohl so eifrige Bekehrer gegeben, denn sie verfolgten einander abwechselnd und schrieben ganze Bände voll schrecklicher Beschuldigungen nach Rom. Um einer jeden Seele willen schalten sie einander gottlos und pflichtvergessen. Vor allem herrschte ein grauenhafter Zwist zwischen ihnen wegen der Art und Weise sich zu verbeugen: die Jesuiten wollten, die Chinesen sollten ihre Väter und Mütter nach chinesischem Brauche grüßen, die Dominikaner dagegen wünschten, es solle nach römischer Weise geschehen. Es widerfuhr mir, von den Jesuiten für einen Dominikaner gehalten zu werden, und man schwärzte mich bei seiner tatarischen Majestät für einen Spion des Papstes an. Der hohe Rat beauftragte einen Obermandarin mit der Sache, und dieser befahl einem Unteroffizier, der vier eingeborene Häscher befehligte, mich gefangen zu nehmen und feierlich zu fesseln. Nach hundertundvierzig Kniebeugungen wurde ich vor seine Majestät gebracht. Sie ließ mich fragen, ob ich ein Spion des Papstes, und ob es ferner wahr sei, daß dieser Fürst in Person heranziehen wolle, um ihn zu entthronen. Ich erwiderte, der Papst sei ein Priester im Alter von siebenzig Jahren, wohne um viertausend Meilen von seiner geheiligten tatarisch-chinesischen Majestät entfernt, besitze ungefähr dreitausend Soldaten, welche mit einem Sonnenschirm auf Wache zögen, und würde niemanden entthronen; seine Majestät könne dieserhalb ruhig schlafen. Dies war das am wenigsten verhängnisvolle Abenteuer meines Lebens: man schickte mich nur nach Macao, von wo ich mich nach Europa einschiffte.

An der Küste von Golconda mußte mein Schiff ausgebessert werden; ich nahm die Zeit wahr, um den Hof des großen Aureng-Zeb zu besuchen, von dem man sich gar wunderbare Dinge in der Welt erzählte. Er hielt sich damals in Delhi auf. Mir ward die Freude, ihn von Angesicht zu Angesicht zu schauen am Tage der prunkvollen Feierlichkeit, in welcher er das heilige Geschenk empfängt, so ihm der Sheriff von Mekka sendet: es besteht in dem Besen, mit dem das heilige Haus, die Kaaba, die Beth-Allah, gefegt wird; dieser Besen ist das Symbol, welches allen Unrat der Seele auskehrt. Aureng-Zeb schien seiner nicht zu bedürfen, denn er war der frömmste Mann in ganz Hindustan. Er hatte allerdings einen seiner Brüder erwürgt und seinen Vater vergiftet und unzählige Rajahs und ebensoviele Omrahs zu Tode martern lassen; das hatte jedoch nichts auf sich, man sprach nur von seiner Frömmigkeit und glich ihm einzig die geheiligte Majestät des hochherrlichen Kaisers von Marokko, Muley Ismael, welcher an allen Freitagen nach dem Gebet ein großes Köpfen vornahm.

Ich äußerte kein Wort, das Reisen hatte mich gebildet; ich fühlte, daß es mir nicht zustand, zwischen diesen beiden erlauchten Herrschern zu entscheiden. Ein junger Franzose jedoch, mit dem ich zusammen wohnte, ließ es, wie ich gestehen muß, an Respekt vor den Kaisern von Indien und von Marokko fehlen; es fiel ihm nämlich bei, ganz laut zu sagen: es gäbe in Europa sehr fromme Fürsten, welche ihre Staaten trefflich beherrschten und sogar die Kirchen besuchten, ohne deshalb ihre Väter und Brüder zu töten und ihren Untertanen die Köpfe abhauen zu lassen. Unser Dolmetscher übersetzte diese gottlose Rede meines jungen Gefährten ins Hindustanische. Von der Vergangenheit belehrt, ließ ich schleunigst meine Kamele satteln und wir, das heißt der Franzose und ich, reisten sofort ab. Später habe ich erfahren, daß noch in selbiger Nacht die Offiziere des großen Aureng-Zeb in unserem Gasthofe erschienen waren, um uns zu verhaften; sie fanden jedoch nur den Dolmetscher. Er wurde auf dem Marktplatze hingerichtet, und alle Höflinge räumten ohne jede Schmeichelei ein, daß er eines gerechten Todes gestorben sei.

Um alle Annehmlichkeiten unseres Erdteils richtig würdigen zu können, mußte ich nur noch Afrika sehen, und so geschah denn auch. Mein Schiff wurde von schwarzen Seeräubern gekapert. Unser Kapitän brach in laute Klagen aus und fragte sie, warum sie dergestalt das Völkerrecht verletzten. Der schwarze Schiffspatron erwiderte ihm: »Ihr habt lange Nasen, die unseren sind platt, eure Haare sind glatt, unsere Wolle dagegen gekräuselt, eure Haut ist aschfarben, die unsere wie Ebenholz: folglich müssen wir auf Grund heiliger Naturgesetze einander ewig feind sein. Ihr kauft uns auf den Märkten an der Küste von Guinea wie Lasttiere, um uns zur Arbeit in weiß Gott welchen ebenso mühseligen wie lächerlichen Verrichtungen zu zwingen; mit Ochsenziemerhieben zwingt Ihr uns, ganze Berge aufzuwühlen, um daraus eine Art gelber Erde zu gewinnen, die an sich zu nichts nütze ist und kaum den Wert einer guten ägyptischen Zwiebel hat; und ebenso zwingen wir Euch, wenn wir Euch treffen und die Stärkeren sind, unsere Felder zu bestellen, oder wir schneiden Euch die Nase und die Ohren ab.«

Wider eine derartig weise Rede ließ sich nichts vorbringen. Um meine Ohren und meine Nase zu behalten, bestellte ich also den Acker einer alten Negerin. Nach Verlauf eines Jahres wurde ich zurückgekauft. Ich hatte alles gesehen, was es an Schönem, Gutem und Herrlichem auf der Welt gibt, und beschloß, fortan in meiner Heimat zu bleiben. Ich verheiratete mich, wurde Hahnrei und erkannte, daß dieses der süßeste Zustand des Lebens sei.


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